Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod

 
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Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
Oktober 2019
Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr

Die Gewerkschaft
Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste

Wie hast du’s mit dem Klima?
Das grosse VPOD-Gespräch über Eisbären, Flugscham, Demokratie und Arbeitsplätze
Ökologisches Mäntelchen? Der VPOD ist schon lange grün!
Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
Editorial und Inhalt     |   VPOD

        Themen des Monats

5       Marschhalt mit Bratwurst
        Der 48. VPOD-Kongress findet am 8. und 9. November
        in St. Gallen statt

6       «Ein Phänomen mit grosser Tragweite»
        Die Expertenkommission hat zehntausendfaches Unrecht
        festgestellt
                                                                                      Christoph Schlatter

7       Frau zückt die lila Karte                                      ist Redaktor des VPOD-Magazins

        Der öffentliche Dienst muss in Gleichstellungsfragen
        vorangehen

9       «Reden mit» statt «reden über»
        Eine Tagung verlangt Bildung, Integration und            Pepper
        Emanzipation für alle – auch für Geflüchtete             Die Gewerkschaftslandschaft in der Schweiz ist zerklüftet. Alles
                                                                 andere wäre nach 150 Jahren Geschichte ein Wunder: Ein gemein-
11–17   Dossier: Klima und Gewerkschaft                          sames Ziel schafft ja keine Einigkeit über den Weg. Optimal wäre
        Schon lange grün – der VPOD hat die «ökologische         (allein schon nach den Gesetzen der Physik), wenn die Verbände
        Wende» längst vollzogen                                  einheitlich nach Arbeitgebern und nach Branchen aufgestellt wä-
        Das grosse VPOD-Klimagespräch mit Stefan Brülisauer,     ren. So würfen sie ihr maximales Gewicht in die Waagschale. Da-
        Barbara Jörg, Jonas Kampus und Katharina Prelicz-Huber   von sind wir weit entfernt. Die Unia, die den privatwirtschaftlichen
                                                                 Bereich abdecken soll, entsendet unentwegt Späh- und Stosstrupps
                                                                 auf das Organisationsgebiet des VPOD. Der Dachverband SGB ar-
                                                                 rondiert sein Portefeuille mit Berufsverbänden, die ebenfalls auf
        Rubriken                                                 VPOD-­Terrain tätig sind und die Logik der gewerkschaftlichen
                                                                 ­Arbeitsteilung aushebeln. Und wir so: Gute Miene zum bösen Spiel.
4       Gewerkschaftsnachrichten                                  Die Arbeitgeber freut’s.
                                                                  Auch ausserhalb der «roten» Organisationen ist Bewegung. Im Jahr
8       Aus den Regionen und Sektionen                            2000 hat der Kaufmännische Verband die Einheit der «Angestell-
                                                                  tenorganisationen» gesprengt; die Folge war ein neuer Dachverband
17      Sunil Mann: Von Äpfeln, Birnen und anderem Gemüse         namens Travail Suisse, zu dem sich nebst den verbliebenen Ange-
                                                                  stellten die (einst) christlichen Gewerkschaften gesellten, die vom
18      Wirtschaftslektion: Lohnentwicklung hilft auch der AHV    VPOD früher mittels Broschüre («Ein Wort an die katholischen Ar-
                                                                  beitnehmer») scharf bekämpft wurden. Von diesem neuen Konglo-
19      Wettbewerb: Wassertiefenpsychologie                       merat haben sich 2012 wiederum die Angestellten Schweiz abgespal-
                                                                  ten. Sie suchen neuerlich die Nähe des KV und positionieren sich mit
20      VPOD aktuell                                              ihm zusammen für uferlose Arbeitszeit à discrétion. Die Arbeitgeber
                                                                  lachen sich ins Fäustchen.
21      Hier half der VPOD: Steine in den Weg                     Da passt es, dass die Angestellten Schweiz offiziell einen Roboter als
                                                                  Mitglied aufgenommen haben, im Bestreben «Trends in der Arbeits-
22      Solidar Suisse: Schupf ins Berufsleben                    welt zu antizipieren». Die Verbandspresse beschwichtigt: Es handle
                                                                  sich nur um einen symbolischen Akt. Umso schlimmer. Ein Angestell-
23      Menschen im VPOD: Vanessa Salamanca,                      ter, der sich nicht mit unterschiedlicher Tagesform quält, der sich nicht
        Campaignerin/Mitarbeiterin Kommunikation beim             auf die Pause und den Feierabend freut, der nicht krank und schon gar
        VPOD-Zentralsekretariat Zürich, Bern                      nicht schwanger wird, na prima. Einer, der Wertschätzung und Respekt
                                                                  nicht nötig hat und auch kein Tageslicht. Der in keinem Quartierverein
                                                                  oder Fussballclub ist und auf dessen Quality-Time daheim weder Kin-
                                                                  der noch pflegebedürftige Alte angewiesen sind.
                                                                  «Sozialleistungen kenne ich nicht, Ferien brauche ich nicht», sagte
        Redaktion /Administration:
        Postfach 8279, 8036 Zürich                                Pepper im Interview mit Radio SRF 3. «Und umkheie mit dem Velo
        Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53              tun i au nöd.» Sehr gut: Braucht’s also auch keine Unfallversiche-
        Nr. 8, Oktober 2019                                       rung. Pepper kostet in der Anschaffung einmalig 20 000 Franken;
        E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch               Lohn verlangt er keinen. Wäre ich Arbeitgeber, ich wüsste eine Ge-
        Erscheint 10-mal pro Jahr                                 werkschaft mit derartigen Mitgliedern sehr zu schätzen.

                                                                                                                          Oktober 2019 3
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                                                                        am Arbeitsplatz.

                                                                        Beendet: Mietverhältnis an der
                                                                        Bahnhofstrasse.

                                                                        mit der Arbeitszeiterfassungspflicht just jenes Instrument zerstört, das
                                                                        überhaupt erst die Kontrolle der Höchstarbeitszeiten und der Überzeit
                                                                        erlaubt. Jetzt müssen auch die Pläne zur Aufweichung der Höchstar-
                                                                        beitszeit und des Sonntagsarbeitsverbots begraben werden. | sgb

                                                                        Bahnhofstrasse Zürich: Manor muss raus
                                                                        Die grösste Warenhausgruppe der Schweiz, Manor, hat die Schlies-
                                                                        sung des Standorts an der Zürcher Bahnhofstrasse per Ende Januar
                                                                        2020 kommuniziert. Es droht eine Massenentlassung im grossen Stil;
                                                                        480 Mitarbeitende sind betroffen. Die Unia verlangt, dass Manor in
                                                                        anderen Filialen Lösungen für die Weiterbeschäftigung findet. Die
                                                                        Gewerkschaft widerspricht auch der Darstellung von Manor, unschul-
                                                                        diges Opfer des Immobilienmarktes zu sein. Seit Jahren sehen sich
                                                                        die Beschäftigten regelmässig mit Negativnachrichten konfrontiert. In
                                                                        Zürich habe das Unternehmen die Situation viel zu lange falsch ein-
                                                                        geschätzt. Mit dem Hinweis auf das Vermögen der Eigentümer – die
                                                                        Maus Frères in Genf besitzen 3 bis 3,5 Milliarden Franken – verbindet
                                                                        die Unia die Aufforderung, soziale Verantwortung zu übernehmen.
                                                                        | slt/unia (Foto: Myriam Thyes/Wikimedia CC)

                                                                        SEV zu Meyer-Rücktritt: «Zurück zum Kerngeschäft»
Ombudsfrau sieht Liebe am Arbeitsplatz kritisch                         Der SEV nutzt den angekündigten Rücktritt von SBB-CEO Andreas
«Wir haben in den vergangenen Jahren die Tendenz festgestellt, dass     Meyer für einen Appell: «Es ist an der Zeit, dass die SBB sich wieder
immer häufiger Verwandte, Verschwägerte, Partnerinnen und Part-         auf ihr Kerngeschäft besinnen und auch die Unternehmenskultur neu
ner, Freundinnen und Freunde nicht nur im gleichen Departement,         ausrichten.» Es müsse wieder der Service public im Zentrum stehen,
sondern vermehrt auch in der gleichen Behörde, in der gleichen Ver-     und zwar mit guten Leistungen, hoher Sicherheit und angemessenen
waltungsabteilung oder gar im gleichen Team tätig sind», schreibt die   Preisen. Dazu gehört laut Giorgio Tuti, SEV-Präsident, zentral auch
Stadtzürcher Ombudsfrau Claudia Kaufmann in ihrem Jahresbericht.        das Vertrauen ins eigene Personal, das «weiss, wie Bahnbetrieb geht».
Sie hält den Umstand für problematisch und sieht Loyalitätskonflik-     Damit verbunden ist die Forderung nach einem Ende der unzähligen
te, Interessenkollisionen und den Vorwurf von Klüngelei und Par-        undurchsichtigen Spar- und Reorganisationsprogramme. | slt/sev
teilichkeit als Folge. Zwar sei das Führen einer Liebesbeziehung ein
Menschenrecht, das auch der Arbeitgeber zu achten habe. Der Schutz      Publizistische Vielfalt stärken, aber . . .
könne aber nicht grenzenlos sein. Wenn Spannungen im Team oder          Der SGB und die Syndicom gehen einig mit dem Bundesrat, der die
berechtigte Zweifel am professionellen Geschäftsverhalten aufträten,    schweizerischen Medien stärker als bisher unterstützen will. Der SGB
seien Massnahmen – im äussersten Fall die Auflösung des Arbeits-        verlangt allerdings, dass sich die Massnahmen an der publizistischen
verhältnisses – erforderlich. Kaufmanns Ombudsstelle vermisst vie-      Vielfalt orientieren und nicht zum Geschenk für die Branchenriesen
lerorts die entsprechenden Diskussionen und die daraus folgenden        Tamedia, Ringier, NZZ und CH-Media verkommen. Die Aufhebung
Leitlinien. | slt (Foto: wavebreakmedia/iStock)                         der Auflagenbeschränkung für die indirekte Subvention mittels Post-
                                                                        taxenverbilligung hätte aber genau diesen Effekt. Für die Gewerkschaf-
Endlich kehrt Vernunft ein: Zeiterfassung bleibt                        ten steht ausser Frage, dass die Förderung nur an publizistische An-
Der Ständerat hat die Parlamentarische Initiative der heutigen Bun-     gebote gehen darf, welche einem Gesamtarbeitsvertrag unterstehen,
desrätin Keller-Sutter zum weitgehenden Verzicht auf Arbeitszeiter-     die redaktionelle Unabhängigkeit garantieren und den Medienschaf-
fassung beerdigt. Mindestens 26 Prozent der Arbeitnehmenden wären       fenden gute Arbeitsbedingungen gewähren. Der Verzicht auf ein Me-
davon betroffen gewesen. Endlich kehrt jetzt Vernunft ein, und der      diengesetz sei akzeptabel, wenn dafür rasch gehandelt wird. Auch für
Ständerat gibt dem breiten Widerstand aus Gewerkschaften und Ar-        die Unterstützung von Onlinemedien sollen die genannten Kriterien
beitsmedizin nach. Die Umsetzung der Initiative Keller-Sutter hätte     gültig sein. | slt/sgb/syndicom

4 Oktober 2019
Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
Kongress    |   VPOD

Der 48.VPOD-Kongress findet am 8. und 9. November in St. Gallen statt

Marschhalt mit Bratwurst
Drei Positionspapiere, mehrere Gastbeiträge, allerhand Kleinarbeit an den Statuten sowie die obligaten
Wahlen: Das ist das Programm des VPOD-Kongresses Nummer 48, zu dem Anfang November gegen
400 Delegierte und Gäste in St. Gallen erwartet werden. | Text: VPOD (Foto: Alexander Egger)

Alle 4 Jahre treffen sich die Kongressdelegier-               Der im 4-Jahres-Rhythmus
ten des VPOD, um die vergangene Periode                   stattfindende VPOD-Kongress
                                                           – hier der letzte, 2015 in Lau-
Revue passieren zu lassen und Pflöcke und
                                                            sanne – gibt Gelegenheit zur
Leitplanken für die kommende zu setzen.                            Standortbestimmung.
2011 in Bern stand beispielsweise das Be-
kenntnis im Mittelpunkt, dass die Gewerk-
schaft eben mehr ist als eine Versicherung:
Der VPOD will in erster Linie in kollektiven
Auseinandersetzungen für bessere Arbeits-
bedingungen und einen guten Service public
für alle streiten. Vor 4 Jahren, 2015 im Lau-
sanner Beaulieu, verpflichtete sich der VPOD
auf die Menschenrechte als «Kompass für ge-
werkschaftliches Handeln».
                                                  politischen Ebene gesucht und
Temperatur genommen                               gefunden.
Mit einer Umfrage – «Kollegin, Kollege,           In einem weiteren Grundlagen-
wie geht es dir?» – hat der VPOD in diesem        text – Arbeitstitel «Stark im Be-
Frühling und Sommer seiner Mitgliedschaft         trieb – offensiv in der Aktion» –
die Temperatur und den Puls genommen.             beschäftigt sich der VPOD erneut
Wie zufrieden sind die Leute mit ihrer Ar-        mit den Instrumenten, die ihm
beitssituation? Wie gestresst, wie belastet,      für die Durchsetzung seiner An-
wie gesund? Wie flexibel müssen sie sein?         liegen zur Verfügung stehen. An-
Wie müde sind sie abends? Über 3000 Per-          hand der Erfahrungen der letzten
sonen haben den Fragebogen ausgefüllt; die        Jahre – allen voran natürlich der
Ergebnisse und Erkenntnisse werden eben-          überwältigende Erfolg des Frau-
falls in St. Gallen präsentiert werden. Sie       enstreiks – wird erörtert, wie sich
werden, so viel lässt sich jetzt schon sagen,     Mobilisierung erzeugen lässt. Der
gut zum Gastbeitrag der Soziologin Fabienne       Text ist zugleich ein Bekenntnis
Scandella vom Europäischen Gewerkschafts-         zur basisdemokratischen Struk-
institut ETUI passen. Und zum Positions-          tur: Im VPOD entscheiden die
papier 2, das den Arbeitstitel «Lasst uns un-     Direktbetroffenen vor Ort, welche
sere Arbeit machen» trägt.                        Massnahmen sie ergreifen.
Dieser Text spiegelt die in vielen Branchen
auffällige Erfahrung, dass sich Bürokratie        Die Schweiz in Europa
und Überadministration ausdehnen und für          Ein dritter Schwerpunkt ist das Thema Eu-        ren erneut. Etwas kompliziert wird allerdings
den Kern der Arbeit immer weniger Zeit las-       ropa. Die Thesen, die dem Kongress vor-          das Wahlverfahren für die vakanten Sitze im
sen. Im Positionspapier werden die Treiber        gelegt werden, formulieren den Schutz der        Landesvorstand, weil sowohl Geschlechter- als
dieser Entwicklungen benannt (beispielswei-       Arbeitnehmenden als Kernaufgabe der Ge-          auch Sprachquoten zu berücksichtigen sind.
se die Finanzierungssysteme, die Zergliede-       werkschaften, stellen aber auch klar, dass die   Bekannt ist, dass Kongresse nicht nur wegen
rung bewirken und engmaschige Dokumen-            Schweiz zu Europa gehört und dass sie auf        des offiziellen Teils interessant sind, sondern
tation erfordern). Natürlich strebt der VPOD      geregelte Beziehungen zu den anderen Län-        auch wegen der vielen Begegnungen und
gleichzeitig nach Lösungen oder mindestens        dern angewiesen ist.                             Gespräche am Rande. Weil die Olma-Hallen
Verbesserungen. Wie man ihn kennt, wer-           Die Wahlen dürften keine allzu hohen Wellen      Tagungsort sind, dürften diesmal auch Fans
den diese weniger auf der individuellen, viel-    schlagen: Generalsekretär Stefan Giger und       der originalen St. Galler Bratwurst auf ihre
mehr auf der gewerkschaftspolitischen und         Präsidentin Katharina Prelicz-Huber kandidie-    Kosten kommen.

                                                                                                                                  Oktober 2019 5
Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
VPOD      | Geschichte

Aufarbeitung fürsorgerischer Zwangsmassnahmen: Die Unabhängige Expertenkommission UEK hat ihren Schlussbericht vorgelegt

«Ein Phänomen von grosser Tragweite»
Über 60 000 Menschen wurden in der Schweiz des 20. Jahrhunderts ohne Delikt und ohne Verfahren in Anstalten
gesperrt. Die Expertenkommission findet in ihrem Schlussbericht über administrative Versorgungen deutliche Worte:
Willkür, Machtmissbrauch, folterähnliche Bestrafungen. | Text: Christoph Schlatter (Foto: Christian Beutler/Keystone)

                                                                          Die Unabhängige          Entlastung. Die Frist für die Einreichung von
                                                                          Expertenkommission hat   Gesuchen um den Solidaritätsbeitrag sollte
                                                                          ihre Untersuchungen zu
                                                                                                   aus Kommissionssicht ganz wegfallen.
                                                                          den Zwangsversorgungen
                                                                          abgeschlossen.
                                                                                                   Ein Haus für die andere Schweiz
                                                                                                   Ein «Haus der anderen Schweiz» zu errichten,
                                                                                                   ist ein weiterer Vorschlag der UEK. Es könn-
                                                                                                   te Ausstellungen und Veranstaltungen zum
                                                                                                   Thema beherbergen, aber auch Treff- und
                                                                                                   Beratungsort für Betroffene sein. Das Haus
                                                                                                   soll es zudem ermöglichen, die Beziehung zu
                                                                                                   jenen zu hinterfragen, die «mit ihrer Art und
                                                                                                   ihrem Verhalten gezwungenermassen oder
                                                                                                   ganz bewusst nicht den Lebensumständen
                                                                                                   und der Lebensweise entsprechen, die in einer
                                                                                                   bestimmten Zeit vorherrschend sind». Auch
                                                                                                   in die Schullehrpläne soll dieses beschämende
                                                                                                   Stück Schweizer Geschichte einfliessen.

                                                                                                   Die Untersuchungen der Unabhängigen Expertenkommissi-
                                                                                                   on sind in 10 Bänden und einem Schlussbericht im Chronos-
                                                                                                   Verlag erschienen.

Vier Jahre hat die historische Arbeit zu den     ten, wo die juristisch Unschuldigen oft dem
administrativen Versorgungen in der Schweiz      gleichen Regime wie Straffällige unterworfen
in Anspruch genommen. Im September hat           waren, kam es zu Machtmissbrauch, auch zu
die vom Bundesrat eingesetzte Unabhängige        sexuellen Übergriffen und «folterähnlichen        Wie konnte das geschehen?
Expertenkommission (UEK) unter Leitung           Bestrafungen». Der Entlassungszeitpunkt           Eine Frage trieb die Kommission sichtbar an und
des Zürcher alt Regierungsrats Markus Not-       war für viele Betroffene nicht absehbar. Häufig   um: Wie konnte derart offensichtliches Unrecht
ter ihre Ergebnisse vorgestellt. Sie charakte-   seien sie auch danach im Visier der Behörden      so breit und unwidersprochen stattfinden? Wie
risiert das Geschehen als «Phänomen von          geblieben und hätten «ein Leben lang mit der      sorgen wir dafür, dass sich so etwas nie wie-
grosser Tragweite». Mindestens 60 000            damit verbundenen Stigmatisierung zu kämp-        derholt? Die UEK sieht «die stark fehleranfällige
Menschen sind, ohne ein Delikt begangen          fen» gehabt, schreibt die Kommission.             und willkürliche Rechtsanwendung» als «Fol-
zu haben und ohne ein Gerichtsverfahren, in      Die wissenschaftliche Untersuchung des            ge einer Gesetzgebung, die auf unbestimmte
Anstalten eingewiesen worden. Grund: Sie         massenhaften Menschenrechtsbruchs, die            Rechtsbegriffe abstellte, den Behörden grosse
galten als ««arbeitsscheu», «liederlich» oder    in vielen Forschungen fortgesetzt wird, ist       Ermessensspielräume einräumte und den be-
«trunksüchtig», lebten am Rand der Gesell-       ein Element der Rehabilitierung der Betroffe-     troffenen Personen kaum Rechte zugestand».
schaft und hatten keine Lobby.                   nen. Beschlossen und teilweise ausgerichtet       Weiter prangern die Autorinnen und Autoren das
                                                 sind finanzielle Soforthilfe und Solidaritäts-    Fehlen einer wirksamen Aufsicht und eine «Kul-
Lebenslanges Stigma                              beiträge. Aus Sicht der UEK braucht es aber       tur des Wegschauens» an, die «die Augen vor
Die UEK konnte zeigen, dass die Behörden         weitere Massnahmen, auch finanzielle, weil        Missständen in den Vollzugsanstalten und phy-
häufig willkürlich handelten und Leute ein-      viele Opfer noch immer unter prekären Um-         sischen und sexuellen Übergriffen verschloss».
sperrten, um politische Herausforderungen        ständen leben. So möchte die Kommission           Zum Glück hat sich der Rechtsstaat, auch dank
zu bewältigen: «So wurden Versorgungen           beispielsweise kostenlose SBB-Generalabos         völkerrechtlichen Verbindlichkeiten, verbessert.
etwa im Rahmen der Armenfürsorge, zur Be-        ab- und damit einst geraubte Mobilität zu-        Dennoch bleibt es ein Dauerauftrag an die ganze
kämpfung des Alkoholismus, ... zur Wahrung       rückgeben. Ein Fonds zur Deckung nichtver-        Gesellschaft, das Verhältnis zwischen der Ge-
der öffentlichen Ordnung und Moral oder zur      sicherter Gesundheitskosten und der Erlass        meinschaft und den Rechten des Individuums in
‹Umerziehung› eingesetzt.» In den Anstal-        von Steuerschulden brächte zusätzlich vielen      der Balance zu halten. | Christoph Schlatter

6 Oktober 2019
Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
Gleichstellung       |   VPOD

Resolution der VPOD-Delegierten: Der öffentliche Dienst muss in Gleichstellungsfragen eine Vorreiterrolle einnehmen

Frau zückt die lila Karte
Der Frauenstreik vom 14. Juni hat gewaltig Geschichte geschrieben. Jetzt will der VPOD das heisse Eisen schmieden:
Gerade der öffentliche Bereich trägt eine besondere Verantwortung. Die gewerkschaftliche Forderungsliste umfasst
10 Punkte. | Text: VPOD (Foto: Alexander Egger)

Bald vier Monate sind seit dem Frauenstreik        Foul! Lila Karte!
vergangen, der grössten Demo in der Schwei-            Das Spiel ist
                                                     unterbrochen!
zer Geschichte. Die VPOD-Delegiertenver-
sammlung vom September (siehe auch Sei-
te 20) hat daher einen Appell lanciert. Für
VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber
ist klar: «Der öffentliche Dienst muss vor-
angehen und exemplarische Arbeitsbedin-
gungen bieten, welche die Gleichstellung
fördern.» Notwendig sind eine Initiative zur
Aufwertung der sogenannten Frauenberufe
sowie konkrete Massnahmen für die Verein-
barkeit. Alle Geschlechter sollen sich an den
Betreuungsaufgaben beteiligen.

Auslagerung trifft Frauen speziell
Noch ist der öffentliche Dienst weit davon
entfernt, in Fragen der Gleichstellung ein ex-
emplarischer Arbeitgeber zu sein, und die Ab-
baupolitik verschärft das Problem. Das sieht
auch VPOD-Vizepräsidentin Cora Antonioli
so: «Wir sind immer wieder mit Privatisie-
rung und Auslagerung konfrontiert, wie etwa       1. Der VPOD fordert eine Aufwertung der Frau-             ten bezahlten Elternurlaub einführen, auch
aktuell bei der Reinigung im Spital Tafers im        enberufe durch eine Anhebung aller Lohn-               für gleichgeschlechtliche Eltern und Adoptiv-
Kanton Freiburg. Outsourcing geht immer              klassen, in denen überwiegend Frauen tätig             eltern.
mit einer Verschlechterung der Arbeitsbe-            sind.                                            7.    Der VPOD fordert räumliche und zeitliche Vor-
dingungen einher.» Auch beim genannten            2. Der VPOD wehrt sich gegen Auslagerungen                kehrungen für Schwangere und Stillende so-
Beispiel sind überwiegend Frauen betroffen.          und fordert die Rückführung von ausgelager-            wie generell Stellvertretungen für alle Frauen
Antonioli nimmt die Lage daher ebenfalls als         tem Reinigungspersonal in den öffentlichen             im Mutterschaftsurlaub.
«sehr unbefriedigend» wahr: Auch im öffent-          Dienst oder in subventionierte Betriebe.         8.    Der VPOD lehnt jede Erhöhung des Frauen-
lichen Dienst wird nicht genug in Frauenlauf-     3. Der VPOD fordert eine Arbeitszeitverkür-               rentenalters ab und fordert eine Rente ab 60
bahnen und in den Abbau von Barrieren in-            zung, damit Frauen aus der Teilzeitfalle               im Gesundheitssektor, ausserdem Regelun-
vestiert. Auch die Bekämpfung von Sexismus           kommen und die unbezahlte Arbeit geteilt               gen für Altersteilzeit für Personen ab 55.
und sexueller Belästigung ist ungenügend.            werden kann. Ausserdem fordert der VPOD          9.    Der VPOD fordert eine geschlechtergerechte
Die Liste des VPOD (rechts) zeigt, wo im öf-         eine öffentlich finanzierte gute Kinder- und           Sprache. Sensibilisierungskampagnen sollen
fentlichen Dienst Handlungsbedarf besteht.           Altersbetreuung mit guten Arbeitsbedingun-             für einen respektvollen Umgang mit Frauen
Die Konkretisierung der Punkte muss vor Ort          gen.                                                   und LGBTIQ-Menschen am Arbeitsplatz und
in den Kantonen und Gemeinden geschehen.          4. Der VPOD wehrt sich gegen Flexibilität zu-             in der Schule sorgen. Gegenüber Sexismus
Die öffentlichen Arbeitgeber sind aufgefor-          gunsten des Arbeitgebers und fordert Ar-               und sexueller Belästigung gilt Nulltoleranz.
dert, das Tempo zur Umsetzung der Gleich-            beitszeiten, die mit Familien- und Privatleben   10.   Der VPOD fordert angepasste Berufskleidung
stellung zu erhöhen, indem sie Projekte und          vereinbar sind.                                        für Frauen in mehrheitlich von Männern aus-
Diskussionen starten. Überall dort, wo im         5. Der VPOD fordert die Anerkennung der unbe-             geübten Berufen, getrennte Duschen und
Rahmen oder in der Folge des Frauenstreiks           zahlten Betreuungs- und Sorgearbeit in den             Umkleidekabinen sowie Sicherheitsmassnah-
Forderungen oder Anfragen eingereicht wur-           Sozialversicherungen.                                  men für das weibliche Personal an sensiblen
den, braucht es jetzt Verhandlungen. Der          6. Der VPOD fordert, dass die öffentlichen Ar-            Arbeitsplätzen und auf dem Arbeitsweg, ins-
Frauenstreik war erst der Anfang!                    beitgeber vorausgehen und rasch einen ech-             besondere für Frauen, die nachts arbeiten.

                                                                                                                                         Oktober 2019 7
Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
VPOD      | Aus   den Regionen und Sektionen

                                                                        Zürcher Märchen: Überregulierte Kitas.

                                                                        Arboner Geschichte: Doch nicht mehr Lohn.

                                                                        Arbeit erleichtern. Die Gewerkschaft verlangt unter anderem: Lohn-
                                                                        klasse 19 auf der Kindergartenstufe, die Anrechnung von Therapie
                                                                        und DaZ-Unterricht als vollwertige Erfahrung und die Versicherung
                                                                        aller Lohnbestandteile in der Pensionskasse. Auch zur Umsetzung
                                                                        einer Elternzeit oder eines längeren Vaterschaftsurlaubs präsentiert
                                                                        der VPOD eine praktikable Lösung: Er hat das Formular «Voranzeige
                                                                        der Geburt» modifiziert, so dass auch werdende Väter es verwenden
                                                                        können. Das Instrument sei zwar vom Volksschulamt nicht so ge-
                                                                        dacht, könne aber «im Sinne eines kreativen zivilen Ungehorsams»
                                                                        auf diese Weise verwendet werden, rät der VPOD. | vpod

                                                                        Freiburg: Lohnklasse 13 für FaBe
                                                                        Die Fachpersonen Betreuung FaBe sind, obwohl der Beruf jung ist,
                                                                        ein unersetzbares Glied in der Versorgung von Menschen mit Be-
                                                                        einträchtigung und von Betagten. Ihre Kompetenzen werden, wie
                                                                        die neueste Verordnung des Bundes zeigt, zunehmend ausgeweitet,
                                                                        namentlich bei den medizintechnischen Verrichtungen. Dieser Ent-
                                                                        wicklung müsse auch die Lohneinreihung Rechnung tragen, sagt der
                                                                        VPOD Freiburg. Er will die FaBe, die heute in den Lohnklassen 11 und
Arboner Stapi verzichtet auf mehr Lohn                                  12 angesiedelt sind, in die Lohnklasse 13 verschieben. | vpod
Weil der VPOD die Ungleichbehandlung mit dem übrigen Stadtper-
sonal kritisiert hatte, verzichtet der Stadtpräsident von Arbon, Do-    Bern: Endlich höhere Löhne an der Volksschule
minik Diezi (CVP), auf eine Lohnerhöhung. Der Stadtrat hatte dem        Die Lehrpersonen in der Berner Volksschule bekommen dank höhe-
Stadtparlament ein Plus von 3,5 Prozent beantragt, was den berech-      rer Einstufung mehr Lohn. Mit dem Ausgleich der Teuerung und der
tigten Zorn des VPOD hervorrief. Die Gewerkschaft erinnerte da­ran,     Anpassung der Pikettentschädigung sind weitere Forderungen des
dass den städtischen Angestellten die wöchentliche Arbeitszeit erst     VPOD wenigstens teilweise erfüllt: Der eklatante Lohnrückstand zu
jüngst um 1 Stunde erhöht wurde und dass geplante Lohnerhöhun-          den Nachbarkantonen wird wenigstens ein Stück weit verringert. Of-
gen wieder zurückgenommen wurden. Mit Blick auf diese Vorge-            fen bleibt aus Sicht des VPOD aber die Frage, wie die Lücke vollstän-
schichte fand es der VPOD empörend, dass allein der Stapi mehr          dig geschlossen werden kann: Der Kanton muss seine Verantwortung
bekommen soll. Dessen Verzicht glättete die Wogen. Einstweilen.         wahrnehmen und die guten Lehrkräfte im Kanton halten. | vpod
| slt (Bild: Matthäus Merian, 1643)
                                                                        Auch in Baselland ist Umkleiden Arbeitszeit
Zürich: Kitas als Profitcenter?                                         Der Baselbieter Regierungsrat bestätigt, was der VPOD schon lange
Der Zürcher Kantonsrat will «mehr unternehmerische Freiheit für         weiss: «Umkleiden ist Arbeitszeit». Der VPOD Region Basel fordert
Krippen» und hat drum die Vorgaben punkto Betreuungsschlüssel           jetzt erst recht eine rasche Umsetzung an den Spitälern des Kantons.
und Qualifikation gesenkt. Die bürgerlichen und rechten Parteien be-    Wichtig ist, dass die Sozialpartner dort, wo die konkreten Regeln ge-
haupten, die Kitas würden von zu vielen Vorschriften geplagt. Das ist   macht werden, einbezogen sind. Die Anrechnung als Arbeitszeit darf
barer Unsinn und versteckt nur ungenügend, worum es ihnen eigent-       auf keinen Fall zulasten des Personals erfolgen. | vpod
lich geht: Profite auf Kosten jener, die in Kitas arbeiten. Der VPOD
sagt: 1. Schluss mit Profit-Kitas. 2. FDP, SVP, CVP und GLP abwählen.   Zürich: Alle Kindergartenlehrerinnen in die 19
| vpod (Foto: monkeybusinessimages/iStock)                              Die Zürcher Bildungsdirektion will die Kindergartenlehrpersonen
                                                                        eine Lohnklasse höher einreihen. Endlich!, sagt der VPOD, der das
VPOD Zürich Lehrberufe: Ziviler Ungehorsam                              schon lange fordert. Skandalös ist allerdings, dass die erfahrenen
Die Politik tut sich schwer, die klare Willensäusserung des Frau-       Lehrpersonen, die ihre Ausbildung noch vor der Erfindung der PHs
enstreiks in die Tat umzusetzen. Der VPOD Lehrberufe legt daher         gemacht haben, leer ausgehen sollen. Der VPOD findet das diskrimi-
eine Serie konkreter Vorschläge vor, die der Bildungsdirektion die      nierend; er hat die Petition «Lohnklasse 19 für alle!» lanciert. | vpod

8 Oktober 2019
Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
Migration      |   VPOD

Tagung von VPOD und SOSF: «Geflüchtete – Bildung, Integration und Emanzipation» in Bern

«Reden mit» statt «reden über»
Die nationale Tagung über und für Geflüchtete war nicht nur punkto Teilnahme ein grosser Erfolg.
Ihr gelang auch der Spagat zwischen anregender Fachdiskussion und wirkungsvoller politischer Positionsfindung.
| Text: Fabio Höhener, VPOD-Sekretär Zürich Lehrberufe (Foto: Florian Thalmann)

«Oft spricht man über uns und nicht mit            An der VPOD-Tagung
uns», erklären Natnael Akeza und Mo-                wurde der Anspruch
                                                     auf Bildung für alle
hammad Sulaiman von der Bühne des voll-
                                                              bekräftigt.
besetzten Saals im Campus Muristalden in
Bern. Ihnen gegenüber sitzen Fachpersonen
und Aktivistinnen aus dem Bildungs- und
Sozialbereich. 200 Personen aus der ganzen
Schweiz haben sich zur Fachtagung «Ge-
flüchtete – Bildung, Integration und Eman-
zipation» versammelt. Damit die berechtigte
Kritik der beiden Aktivisten auf diese Veran-
staltung nicht zutreffe, haben die Verbände
VPOD und Solidarité sans frontières (SOSF)
die Stimme der Direktbetroffenen an den An-
fang der Versammlung gestellt.

Rahmenbedingungen schaffen
«Unsere Stimmen» heisst bezeichnender-
weise das Partizipationsprojekt des National System», ruft beispielsweise Heiner Busch                rungsdruck ist in der Berufsbildung höher
Coalition Building Institute (NCBI). Erfreu- von SOSF in den Saal. Er untermauert seine               als in allgemeinbildenden Schulen»: Das hat
licherweise decken sich die Forderungen der Aussage mit Zahlen zu den Rückschaffun-                   eine von ihr geleitete Studie ergeben. Dabei
Betroffenen im Bereich Schule und Bildung gen. Die Diskussion im Plenum zeigt: Oft                    drücke das duale Schweizer Bildungssystem
weitgehend mit den 11 Thesen, welche als tut sich ein Widerspruch auf zwischen dem                    Jugendliche mit Fluchterfahrung viel zu stark
Diskussionsgrundlage der Tagung dienen. politisch Machbaren und dem Anspruch,                         in eine Berufslehre. Sie sollen möglichst
Das Recht auf Bildung für alle, sei es in der Geflüchteten unabhängig von Alter, Schul­               schnell finanziell unabhängig sein, anstatt ihr
Grundschule oder im nachobligatorischen erfahrung und Aufenthaltsstatus ein dis-                      intellektuelles Potenzial zu entwickeln.
Bereich, sowie geeig-                                                       kriminierungsfreies
nete finanzielle und                                                        Bildungsangebot be-       Kurse für Spätzugewanderte
strukturelle Rahmen- Wie es weitergeht                                      reitzustellen. Doch       Da passt das Bildungsangebot, das Anna Brü-
bedingungen sind Auf der Basis der Diskussionen an der Tagung nicht nur Mängel,                       gel vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk
zentral im Positions- und der späteren Rückmeldungen entwickeln sondern auch posi-                    vorstellt: In Schaffhausen können spätzu-
papier, das an dieser VPOD und SOSF das Positionspapier «Gleich- tive Entwicklungen                   gewanderte Migrantinnen und Migranten
Ta g u n g m i t Hi l f e wertige Bildung für alle – keine Diskriminie- werden ausgetauscht,          Intensivkurse in der nachobligatorischen Bil-
der anwesenden Bil- rung von Geflüchteten!» weiter. Auch die Ver- insbesondere in den                 dung besuchen, die den Übergang in eine Be-
dungsfachleute und netzung unter den beteiligten Organisationen Workshops.                            rufsausbildung ermöglichen sollen. Alle, die
A k t i v i s t i n n e n d e r und Personen wird vorangetrieben. Ziel ist, B e s u c h i m R a u m   den Sprung in eine Coiffeur- oder Kochlehre
Asyl-Bewegung wei- dass diese am 18. Januar 2020 in Bern offi- TR 10: «Zugang von                     schaffen, bucht Brügel unter «Erfolge». Die-
terentwickelt werden ziell Forderungen für eine Verbesserung der Ge f l ü c h t e t e n z u r         ser konkrete Ansatz verdeutlicht, dass trotz
soll.                           Bildungssituation von Geflüchteten verab- Berufsbildung, zu           vieler Widersprüche, unterschiedlicher Er-
Den zahlreichen For- schieden und eine entsprechende Kampagne Mittelschulen und                       fahrungen und gesellschaftlicher Realitäten
derungen wird am starten. Parlamentarische Vorstösse werden Hochschulen.» Zwei                        eine fortschrittliche Politik möglich ist – eine
Tagungsmorgen die folgen. Dem VPOD-Kongress im November Dutzend Teilnehmen-                           Politik, die den Bildungserfolg jeder und je-
Realität gegenüberge- liegt der Antrag vor, dass unsere Gewerk- de lauschen den Aus-                  des Einzelnen fördert, ohne das grosse Ganze
stellt. «Es herrscht ein schaft die für die Lobbyarbeit notwendigen führungen von Kath-               aus den Augen zu verlieren. Die Fachtagung
regelrechter Verfah- Ressourcen weiterhin bereitstellt. | Johannes rin Oester von der PH              hat gezeigt, dass der VPOD wesentlich zum
renskrieg im Dublin- Gruber, VPOD                                           Bern. «Der Assimilie-     Gelingen dieses Anspruches beitragen kann.

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Wie hast du's mit dem Klima? - Die Gewerkschaft - Vpod
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Dossier: Klima und Gewerkschaft

Der VPOD hat schon in den 1980er und 1990er Jahren die «ökologische Wende» vollzogen

Schon lange grün
Plötzlich ist der Klimawandel das Megathema, und die Gewerkschaften sind dabei. Ist das billige Anbiederung?
Reflexartige Zustimmung, weil irgendwie «links»? Der VPOD muss sich kein Mäntelchen umhängen, er ist seit
mindestens drei Jahrzehnten grün. | Text: Christoph Schlatter (Fotos: Bildarchiv ETH-Bibliothek)

Die Entwicklung von einem technik- und                Zunehmend
fortschrittsgläubigen zu einem grünen VPOD             umstritten:
                                                     Autobahnbau.
lässt sich anhand der jeweils an den Kongres-
sen beschlossenen Arbeitsprogramme nach-
vollziehen. «Besser leben» wollte man noch
1964 am VPOD-Verbandstag in Luzern. Und
zwar so: «Geräte, die ganze Produktionsan-
lagen dirigieren, Erfahrungen sammeln und
sich selbst korrigieren, werden konstruiert . . .
Biologen verändern die Pflanzen- und Tier-
welt, steigern den Nahrungsreichtum der Er-
de und verbessern die Methoden der Lebens-
mittelkonservierung . . . Neue Energiequellen
werden erschlossen, neue Kunststoffe entwi-
ckelt, neue Heilverfahren und Medikamente
entdeckt . . . Die modernen Verkehrsmittel
und die Übertragung von Wort und Bild las-
sen die Menschen der entferntesten Erdteile         nis entspreche, öffentlich bereitstellen solle.   se auf der N1 – heute A1 – könne man ruhig
zu Nachbarn werden, und schliesslich öffnet         Das Protokoll spiegelt den Kampfgeist vieler      bestehen lassen, sonst schwelle der Verkehr
ihnen die Atomkraft auch den Weg in die Fer-        junger VPOD-Mitglieder, vorab aus der Sek-        bloss weiter an. VPOD-Verbandssekretär Willy
nen des Weltalls.» Auf diese Weise würden           tion Zürich-Lehrberufe, die mit und in der        Pouly sah in diesem Ansinnen eine regelrech-
«die Grundlagen für eine Welt des Überflus-         Gewerkschaft Politik machen wollten – und         te Diskriminierung der ländlichen Regionen.
ses erschlossen», heisst es im Programm.            zwar grüne Politik.                               Für einen Arbeiter im Alpental sehe die Welt
                                                    So sagte etwa die spätere VPOD-Vizepräsiden-      halt anders aus als für eine Lehrerin in der
Abschied vom Überfluss                              tin Regina Stauffer, Kindergärtnerin: «Unsere     Grossstadt. (Die fraglichen Kleeblatt-Initiati-
Überfluss? 1985, am Kongress von Lugano,            Arbeit wird direkt beeinträchtigt. Turnen und     ven, die einen Ausbau der Autobahn an drei
ist davon nicht mehr die Rede. Erstmals wird        Spiele im Freien können heute nicht mehr          Stellen des Mittellandes verhindern wollten,
das Wirtschaftswachstum kritisch gesehen:           ohne erhöhtes Risiko für die Kinder durchge-      hatten in der Abstimmung 1990 keine Chan-
«Die Zerstörung der Umwelt ist die Folge            führt werden; sie leiden ohnehin öfters unter     ce und unterlagen mit Zweidrittelmehrheit.)
einer schrankenlosen Wachstumspolitik,              dauerndem Schnupfen, Asthma, Bronchi-
welche keine Rücksicht auf die Erhaltung            tis und anderen allergischen und nervösen         Wie bei Homer Simpson
des ökologischen Gleichgewichts nimmt.» Es          Krankheiten.» Daher reichten die «allgemei-       Zwischen den Kongressen von 1985 und
bestehe ein Gegensatz zwischen den «einsei-         nen Absichtserklärungen» des Textentwurfs         1988 liegt die Katastrophe von Tschernobyl,
tigen, profitorientierten Interessen der Wirt-      nicht aus. Edith Zumbühl sah die gesamte          welche die Meinung über die Zukunftsfähig-
schaft» und den «Forderungen nach einer             Menschheit bereits in einer «lebensbedro-         keit der Atomenergie gekippt hat. Der VPOD
menschengerechten Umwelt».                          henden Situation»: «Es geht nicht um unsere       hatte den Ausstieg schon vorher formuliert,
Natürlich nehmen der Nahverkehr und die             Um-Welt, um etwas, was ausserhalb von uns         wenn auch nicht so deutlich. 1985 sagte der
Energiebranche eine Sonderstellung in den           liegt, es geht um unsere Mit-Welt, um unsere      Kongress: «Auf den Ausbau der nuklearen
VPOD-Überlegungen ein. Beim Verkehr                 Welt, um unsere Existenz überhaupt.»              Energiekapazität ist grundsätzlich zu ver-
setzt der VPOD auf eine Verlagerung vom                                                               zichten.» Das Wort «grundsätzlich» lässt ge-
privaten auf den öffentlichen Verkehr. Letz-        Stadt-Land-Gegensatz                              ringfügigen Spielraum offen. Ein Abweichen
terer müsse attraktiver, dichter, bequemer          Konkret wurde dann aber über den Autobahn-        vom Grundsatz sei allerdings «nur dann
werden – und günstiger. Am Folgekongress,           ausbau gesprochen, wobei sich ein Stadt-Land-     überhaupt in Erwägung zu ziehen», wenn
1988 in Zürich, werden die Forderungen              Gegensatz auftat. Zusätzlicher Strassenraum       das Atommüllproblem inklusive Endlage-
noch erweitert, beispielsweise um den Nacht-        erhöhe automatisch die Attraktivität des Auto-    rung gelöst, die Nachfrage nicht anderweitig
verkehr, den man dort, wo er einem Bedürf-          fahrens, fand Städterin Stauffer. Auch Engpäs-    zu befriedigen und die direktbetroffene Be-

                                                                                                                                    Oktober 2019 11
Dossier: Klima und Gewerkschaft

                                                                                                      tastrophe sollte uns allen zu denken geben.
                                                                                                      Boden, Wasser und Luft sind unser Leben
                                                                                                      und dürfen nicht dem Profit geopfert wer-
                                                                                                      den», folgert der Bericht aus dem Baselbiet;
                                                                                                      auf den Umstand, dass der Super-GAU ja
                                                                                                      nicht in der profitorientierten Hälfte der Welt
                                                                                                      eingetreten war, geht man nicht ein.

                                                                                                      Aus für Zwentendorf
                                                                                                      In den folgenden Ausgaben liefert Der öffentli-
                                                                                                      che Dienst weitere Betrachtungen nach. Unter
                                                                                                      anderem einen Kommentar des «Nonkonfor-
                                                                                                      misten» und Basler Politikprofessors Arnold
                                                                                                      Künzli, der sich am «Super» im Wort «Super-
                                                                                                      GAU» abarbeitet und feststellt, es sei alles
                                                                                                      nicht so schlimm – sondern in Wirklichkeit
                                                                                                      noch viel schlimmer. Einer der Cartoons des
                                                                                                      damaligen VPOD-«Hauszeichners» René Gilsi
Das letzte seiner Art: AKW Gösgen.                                                                    zeigt die Schweizer Atomindustrie beim «Ge-
                                                                                                      bet»: «Wir danken dir, o Herr, dass wir nicht
                                                                                                      sind wie die Russen und dass bei unserer Pri-
völkerung einverstanden sei. 1988 dann das          lange Güterzüge mit Kohle benötigen», ist in      maqualitätsarbeit überhaupt nichts passieren
Glaubensbekenntnis in der heute bekannten           einem ganzseitigen und reichbebilderten Bei-      kann. Und wenn dann gegen alle statistische
Form: «Der VPOD befürwortet den Ausstieg            trag zu lesen: Luftaufnahme, Rohrsystem, Ma-      Wahrscheinlichkeit doch etwas passiert, war
aus der Atomenergie.»                               schinenraum und Kontrollzentrum (letzteres        es eben dein unerforschlicher Ratschluss, und
Diese Energiewende spiegelt sich auch in            fast wie bei Homer Simpson in Springfield).       wir können nichts dafür.» Und der Schriftstel-
der Verbandspresse. Noch 1970 wird die Er-          Der Reaktorbrand in Tschernobyl war das           ler Hans Rudolf Hilty stellt fest, dass in Öster-
öffnung des ersten «Kernkraftwerks» in der          Ereignis des Frühjahrs 1986. Im Gegensatz         reich – das ja «weit nach Osten, gegen den Ort
VPOD-Zeitung unkritisch und gar als Beitrag         zu späteren global wahrgenommenen Katas-          der Gefahr hin» sich ausdehne – das fertigge-
zum Umweltschutz gewürdigt. «Den Ausfüh-            trophen – etwa 9/11 – sickerte die Nachricht      stellte, aber nicht in Betrieb genommene erste
rungen von Direktor Fritz Aemmer war zu             langsam ins schweizerische Bewusstsein. Das       AKW Zwentendorf hiermit endgültig gestor-
entnehmen, dass Beznau I einen jährlichen           zeigt sich auch im VPOD-Verbandsorgan,            ben sei. Und dass man den Salat im Speisewa-
Brennstoffbedarf von rund 13 Tonnen ange-           das damals noch wöchentlich erschien. In          gen mit dem Hinweis auf seine Herkunft «aus
reichertem Uran 235 benötigt. Für die damit         der Ausgabe vom 9. Mai findet der «Atom-          dem Glashaus» serviert bekomme. Hilty hatte
mögliche Produktionsmenge an elektrischer           unfall in der UdSSR» lediglich am Rand Er-        schon 1962 im Roman «Parsifal» seinen Prot-
Energie würde ein thermisches Kraftwerk             wähnung: in der Berichterstattung über den        agonisten Ekkehard Gilg radioaktiv verseuchte
rund 600 000 Tonnen Öl oder täglich zwei            1. Mai in Basel und in Pratteln. «Die Atomka-     Thunfischkonserven essen lassen.

Ökoteufel im Detail
In welcher Weise Umweltanliegen in eine so di-      der Kongress – und stimmte dem Antrag mit
rektdemokratische Organisation wie den VPOD         knapper Mehrheit zu. Ein vergleichbares Ansin-
einfliessen, zeigt ein Beispiel vom VPOD-Kongress   nen war am Kongress 2015 der Antrag, wonach
1988. Die Sektion Zürich Staatspersonal stellte     der VPOD Teil der Blue Community werden und
den Antrag, im VPOD «für Drucksachen und Kopi-      auf Mineralwasser in Flaschen verzichten solle.
en wo immer möglich Umweltschutzpapier» ein-        Der Vorstoss wurde zur Prüfung entgegenge-
zusetzen. Der damalige Verbandsvorstand wollte      nommen. Inzwischen ist das VPOD-Sekretariat
sich nicht festlegen und den Antrag lediglich zur   punkto Flaschenwasser gerüstet und kann die
Prüfung entgegennehmen; es ergäben sich Prob-       T V-Werbungsfrage «Und du? Was machsch
leme bei der Archivierung (schlechte Haftung des    du für d’Umwält?» reinen Herzens beantwor-
Toners, rasches Verblassen der Schrift), zudem      ten: Vor dem Sitzungssaal in Wiedikon ist ein
würden möglicherweise die Kopiergeräte durch        Brunnen installiert, der Leitungswasser zu
die harten Partikel überbeansprucht.                kühlen und mit Kohlensäure zu versetzen in
Durch die Formulierung «wo immer möglich»           der Lage ist. | slt (Foto: Svea Anais Perrine/
sei diesen Bedenken Rechnung getragen, fand         photocase.de)

12 Oktober 2019
Dossier: Klima und Gewerkschaft

Stefan Brülisauer, Barbara Jörg, Jonas Kampus und Katharina Prelicz-Huber unterhalten sich übers Klima

«Nicht für die Eisbären, sondern für uns»
Der VPOD-Sekretär Luftverkehr, Stefan Brülisauer, und aus dem Landesvorstand Präsidentin Katharina Prelicz-Huber
und Barbara Jörg treffen auf den klimabewegten Gymischüler Jonas Kampus. Haben Gewerkschaft und
Klimabewegung gemeinsame Ziele? Gelingt der Umbau mit Zwang oder mit neuen Technologien?
| Text und Foto: Christoph Schlatter (Fotos: slt und Georgios Kefalas/Keystone [«Make Love»])

       Stefan Brülisauer ist                   Jonas Kampus ist                Katharina Prelicz-Huber ist              Barbara Jörg ist Mitglied
     VPOD-Sekretär Luftverkehr.           Kantonsschüler und aktiv bei     Präsidentin des VPOD, ­Stadtzürcher      des VPOD-Landesvorstands und
                                               der Klimajugend.             Gemeinderätin der Grünen sowie           Gärtnerin bei Stadtgrün Bern.
                                                                                 ­Nationalratskandidatin.

VPOD-Magazin: Wir haben ja heute                 den Folgen der Klimaerwärmung am stärks-            ren und die Pandas, sondern für mich und
quasi eine «Schweizer Greta» in unserer          ten getroffen werden wird. Und sie sind die-        meine Mitmenschen. Ich will nicht, dass die
Runde. Jonas, wie bist du politisiert            jenigen, die vielleicht das Steuer noch herum-      Welt kaputt geht, in der ich leben soll.
und «klimatisiert» worden?                       reissen können.                                     Das Thema ist ja nicht neu. Trotzdem hätte vor
Jonas Kampus: Am Anfang stand der Kampf Stefan Brülisauer: Was für ein Paradox: Der                  einem Jahr niemand gedacht, dass wir 2019
gegen steuersenkungsbedingte Abbaumass- Kapitalismus ist als Gewinner der Geschich-                  in der Schweiz Massendemos haben werden.
nahmen an unserer Kantonsschule. Das war te durchmarschiert – und gleichzeitig geht                  Prelicz-Huber: Ja, die Fakten sind bekannt –
mein erstes politisches                                                  die Welt vor die Hun-       auch wenn einige sie noch immer leugnen.
Engagement. Am Thema                                                     de. Das Pariser Ab-         Aber die Politik hat nicht adäquat reagiert. Sie
Klima war ich auch schon
                                    «Die Leute lassen sich               kommen von 2015 ist         hat nicht die nötigen Anreize gesetzt, sonst
lange dran. An der Klima- bewegen, wenn man sie am totes Papier geblieben.                           hätten wir längst schon das Nullenergiehaus
konferenz von Kattowitz         empfindlichsten Körperteil In diesen Widerspruch                     und das Einliterauto, die schon in den 1960er
                                                                                                     Jahren bekannt waren.
letzten Dezember kam
                                trifft: dem Portemonnaie.» hinein stösst Greta
für mich so etwas wie die                                                und findet die nötige       Jörg: Die Leute lassen sich durchaus bewe-
                                           Barbara Jörg
Initialzündung. Als die                                                  Öffentlichkeit. Es gab      gen, wenn man sie an ihrem empfindlichsten
Klimademos mit Greta                                                     in der Weltgeschich-        Körperteil trifft: dem Portemonnaie.
Thunberg Fahrt aufnahmen, war ich bereit, te immer wieder solche Momente, wo eine                    Kampus: Auch mir war schon vor Jahren
in der Schweizer Klimastreik-Bewegung mit- einzelne Person gewaltige Veränderungen                   klar, dass etwas geschehen muss. Aber was?
zutun.                                           anstiess.                                           Damals hat man noch beratschlagt, ob man
Warum kommt diese Bewegung                       Katharina Prelicz-Huber: Auch aus meiner            vielleicht einen Brief an Umweltministerin
gerade jetzt? Und welche Hoffnung                Sicht ist die Klimabewegung die lang erwar-         Leuthard aufsetzen soll . . .
verbindet ihr «Älteren» damit?                   tete Antwort auf die neoliberale Welle, die         Jörg: Solche Übungen kenne ich. Als ich in
Barbara Jörg: Auf einem Buchzeichen, das uns seit dem Mauerfall gefangen hält. Mir                   jüngeren Jahren Greenpeace-Aktivistin der
mich seit Jahren begleitet, steht unter dem machen diese Demos jedenfalls Mut. Und ich               zweiten Reihe war – also nicht bei den ganz
Bild unseres blauen Planeten der Satz: «Die finde gut, dass ihr nicht von abstrakten Din-            harten Sachen dabei –, gab es immer mal
Mietsache ist schonend zu behandeln und gen sprecht, sondern von euch selber. Dass                   wieder derartige Briefaktionen. Die Briefe
in gutem Zustand zurückzugeben.» Die Ju- ihr sagt: Es geht um unser Leben; wir wollen,               landeten allesamt in der Schublade oder im
gendlichen sind sicher prädestiniert für die- verdammt nochmal, eine Zukunft!                        Altpapier. Daher freue ich mich über die
sen Protest. Sie sind jene Generation, die von Kampus: Ich kämpfe nicht nur für die Eisbä-           Energie und Dynamik der neuen Bewegung.

                                                                                                                                   Oktober 2019 13
Dossier: Klima und Gewerkschaft

Aber bereits droht eine Spaltung. Die                freie Tage zum Verreisen. Und hier bei uns,        genau diese Menschen, die dann von Stür-
einen verlangen individuellen Verzicht und           wo sich diese Frage stellt, liegen die Fehler in   men, Dürren und anderen Folgen des Kli-
beschämen jene, die immer noch Fleisch               einer Politik, die das Fliegen staatlich geför-    mawandels besonders getroffen werden. Die
essen und Flugreisen unternehmen. Und die            dert und so pervers billig gemacht hat.            Klimafrage ist also eine soziale Frage.
anderen wollen sich in ihrem Leben nichts            Kampus: Individuell lebe ich recht ökologisch,     Brülisauer: Und was machen wir mit unserem
vorschreiben lassen, jetten weiter munter            wenn ich das so sagen darf. Ich esse kein          linken Traum, Reichtum für alle zu schaffen?
durch die Weltgeschichte und verlangen erst          Fleisch, ich fliege nicht, ich fahre nicht Auto.   Prelicz-Huber: Ich habe unser Engagement
einmal «griffige Massnahmen der Politik».            Aber ich würde nie jemandem ein schlechtes         nie so verstanden, dass wir Reichtum für
Prelicz-Huber: Es gibt missionarische oder Gewissen machen, der oder die sich anders                    alle wollen. Sondern – fundamentaler Unter-
extremistische Haltungen, die mich schau- verhält. Warum nicht? Ganz einfach: weil uns                  schied – eine würdige Existenz für alle. Ma-
dern machen. Wenn einzig die vegane Le- das unserem Ziel keinen Millimeter näher-                       terielle Existenzsicherung ist dafür natürlich
bensweise die Welt retten soll, zum Bei- bringt. Wir müssen aufs grosse Ganze sehen.                    Voraussetzung, aber es braucht auch Bildung,
spiel . . . Andererseits finde ich es nicht falsch, Noch immer stammen 87 Prozent der Ener-             Gesundheitswesen, Zeit.
individuell die Erfahrung zu machen, dass gie aus fossilen Brennstoffen. Und drei Vier-                 Grundsatzfrage: Kann man im kapitalistischen
ein ökologischeres Leben keineswegs zwin- tel der fossilen Rohstoffe werden via Schweiz                 System die Klimafrage lösen?
gend mit Verlust verbunden ist. Denken wir gehandelt. Hier liegen die Hebel, nicht darin,               Brülisauer: Was sind denn die Alternativen?
nur an all die roten Lämpchen an unseren Leuten Schuldgefühle einzubläuen.                              Die Annahme, dass andere Systeme ökologi-
elektronischen Geräten, die Tag und Nacht Das Streben nach Wachstum liegt ja                            scher wären, ist reine Spekulation. Der real­
leuchten. Wenn wir die abschalten, sparen allerdings in der DNA der Gewerkschaften.                     existierende Sozialismus war jedenfalls kein
wir schon mal 1 bis 2 AKWs. Und haben null Wir wollten immer mehr – und haben                           sehr erfolgreiches ökologisches Projekt. Wir
Einbusse an Lebensqualität.                          von diesem «Mehr» regelrecht gelebt.               müssen die Frage beantworten, wie Wachs-
Jörg: Ich sehe hier auch keinen grundlegen- Brülisauer: Richtig. Unser Job ist es, die ma-              tum und Ökologie zu vereinbaren sind.
den Widerspruch. Mit gutem Beispiel vor- terielle Situation der Arbeitnehmenden zu                      Kampus: Es braucht neue Werte, neue Leit-
angehen ist nie verkehrt.                                                verbessern. Wohlstand für      bilder. Vorher war von Lehmhütten die Re-
Warum verrichten meine                                                   alle, das ist unser Credo.     de – im Sinne von: Einschränkung kommt
Lernenden die Arbeiten               «Dass andere Systeme Und nicht: Lehmhütten                         nicht in Frage. Wir Jugendlichen versuchen,
– jedenfalls die meisten –          ökologischer wären, ist für alle. Den Level, den wir                die Welt anders zu denken. Ich glaube nicht,
nach den Regeln der Gärt-             reine Spekulation.»                hier erreicht haben, woll-     dass auf Dauer ein richtiges Leben im fal-
nerinnenkunst? Weil ich                                                  ten wir global schaffen.       schen System möglich ist. Es braucht eine
                                           Stefan Brülisauer
es ihnen vormache und                                                    Jetzt merken wir, dass wir     Änderung des Systems, einen Ausbruch
vorlebe. Und so kann es ja                                               damit Ressourcenprob­          aus dem Hamsterrad des Wachstums. Mehr
auch in Bezug auf die Umwelt sein. Massvol- leme generieren. Ich glaube aber nicht, dass                menschlichen Kontakt, weniger Konsum – es
les Verhalten bedeutet nicht Totalverzicht.          wir bei der Mobilität zurückbuchstabieren          gibt so viele Möglichkeiten, sein Leben um-
Nur sind halt die Massstäbe verschieden ...          können. Vielmehr sollten wir Technologien          weltfreundlich zu leben, ohne dass etwas ver-
Es gibt Leute, die es schon grossartig               entwickeln, welche die Mobilität erhalten.         loren geht. Müssen wirklich alle Leute eine
finden, wenn sie für die Reise nach Paris            Emissionsfrei und klimaneutral.                    eigene Waschmaschine haben?
den TGV nehmen statt das Flugzeug.                   Ach, wie war das früher schön, in den              Ohalätz, damit bringst du die
Brülisauer: Prompt sind wir beim Luftverkehr Nachkriegsjahrzehnten. Jedes Jahr war der                  Gender- und Care-Thematik ins Spiel.
gelandet. Seien wir ehrlich: Individuelle Mass- Kuchen grösser, jedes Jahr gab es mehr zu               Sollen wieder die Frauen mit dem
nahmen sind in erster Linie Gewissensbalsam. verteilen. Die Gewerkschaften feierten Erfolg              Waschbrett am Dorf bach waschen?
Auf das Gesamtsystem hat es keinen Einfluss, um Erfolg, und Bundesrat Tschudi machte                    Jörg: Quatsch. Aber es muss auch nicht in
ob der Stefan Brülisauer in Glattbrugg zum eine AHV-Reform nach der anderen.                            jeder Wohnung eine Waschmaschine stehen,
Zmittag eine Wurst isst oder nicht. Verzicht Prelicz-Huber: Damals hat allerdings auch                  wie es heute zunehmend der Fall ist. Auch
ist ohnehin nur ein «Produkt» unseres Wohl- die Arbeitgeberseite noch auf eine soziale                  wenn es die Rückkehr der Waschküchenbe-
standes. Die Mehrheit auf der Welt hat gar kei- Marktwirtschaft gesetzt. Eine solche Partizi-           nützungsordnung bedeutet: Eine gemein-
ne Wahl. Die einzig griffige Lösung sehe ich pation aller am zunehmenden Reichtum hat                   same Maschine in Mehrfamilienhäusern ist
daher in einer ökologischen Transformation es in den letzten zwei Jahrzehnten gar nicht                 sicher ökologischer.
der Wirtschaft, die von jenen bezahlt wird, die mehr gegeben. Vielmehr Umverteilung. Die                Kampus: Dass wir in diesem Jahr nicht nur
jahrzehntelang dicke Gewinne durch umwelt- Schere zwischen Arm und Reich geht auf.                      die Klimastreiks, sondern auch einen riesigen
schädliche Produkte gemacht haben.                   Kampus: Und was für die Verteilung von             Frauenstreik gesehen haben, ist aus meiner
Prelicz-Huber: Als ich Kind war, war das Flie- Geld gilt, gilt genauso für den Ausstoss von             Sicht kein Zufall. Die Probleme und Krisen
gen so teuer, dass nur eine reiche Minderheit CO2. Gemäss einer Studie von Oxfam stos-                  sind miteinander verknüpft, die Genderfrage,
ständig ins Flugzeug steigen konnte. Welt- sen die reichsten 10 Prozent 49 Prozent der                  die Migrationsthematik, die ökologische Fra-
weit gesehen, trifft das immer noch zu. Die Emissionen aus. Und die Hälfte der Mensch-                  ge – alles gehört zusammen. Es ist das Wirt-
überwiegende Mehrheit der Leute auf diesem heit, immerhin mehr als 3½ Milliarden, sind                  schaftssystem, das diese Ungerechtigkeiten
Planeten steht nicht vor solchen Entscheidun- nur für 10 Prozent der klimaschädlichen                   produziert. Das BIP und der CO2-Ausstoss
gen. Sie haben weder Zeit noch Geld noch Treibhausgase verantwortlich. Es sind aber                     korrelieren aufs Engste.

14 Oktober 2019
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