BULLETIN - die Grünen Zug
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ALTERNATIVE KANTON ZUG BULLETIN NUMMER 1 | März 2008 * 4 Bildung & Geschlecht – Gender, das bekannte Unbekannte * * 6 Regierungsrat – UNO-Konferenz zum Altern * * 8 Kantonsrat – Es flackert und leuchtet über der Grossstadt * * 12 IV-Revision – Abwehren statt integrieren * * 16 Stadt Zug – Ortsplanung: Wachstum ohne Ende? *
Titelbild: http://visibleearth.nasa.gov Inhaltsverzeichnis 2 3 Editorial Warum hohe Energiepreise ein Werbung fürs Bulletin Segen sind NeuabonnentInnen gewinnen! 4 Bildung und Geschlecht Interessieren sich Ihre Kolleginnen und Gender – das bekannte Kollegen, Freundinnen und Freunde für Unbekannte Politik, für Zug, für eine gerechte Welt? Dann ist das BULLETIN die passende 6 Regierungsrat Zeitschrift! UNO-Konferenz zum Altern Für jedes bezahlte Neuabo laden wir Sie zu einem Nachtessen in die alternative 8 Kantonsrat Monatsbar ein. Es flackert und leuchtet über der Grossstadt Auf bald! Die HerausgeberInnen des BULLETINs. 9 Meinung Die «letzte Chance» für Schicken Sie die Adresse fürs Abo bitte den Freisinn an: bulletin@ch.inter.net 10 Nationalrat Swisscoy-Einsatz ist illegal 12 IV-Revision Abwehren statt Integrieren 15 Nationalrat Big Brother bei der Bahn 16 Stadt Zug Die städtische Ortsplanung: Wachstum ohne Ende? 18 Abstimmung Eisstadion Niederlage in der Verlängerung «Mission statement» • Gleichwertigkeit von Geschlecht 20 Finanzplatz Zug Das BULLETIN des alternativen und Rasse Der tiefe Fall Zug wird von folgenden Gruppen •Verantwortung des Einzelnen ge- des Bertrand Chollet getragen: Alternative Kanton Zug, genüber der Gesellschaft und Ver- Alternative Stadt Zug, Alternative antwortung der Gesellschaft gegen- 22 Agrotreibstoffe Baar, Kritisches Forum Alternati- über dem/der Einzelnen Ein Boom mit Schattenseiten ve Cham, Frische Brise Alternative (Teil 2) Steinhausen, Gleis 3 Risch-Rot- Die Redaktion recherchiert zu poli- kreuz, Freie Wähler Menzingen, tischen und gesellschaftlichen The- 23 Nachhaltige Ökonomie Forum Oberägeri. men nach bestem Wissen und Ge- Zuerst das Fressen und wissen. Sie nimmt aktuelle Themen dann die Moral Das BULLETIN setzt sich mittels der alternativen Gruppierungen aus seiner Publikationen ein für die den einzelnen Zuger Gemeinden 24 Serviceteil Förderung und den Erhalt von Le- auf. Das BULLETIN fördert das poli- Buch bensqualität im Sinne von: tische Bewusstsein der Bevölkerung Frontal • Soziale Gerechtigkeit, Schutz von und trägt zur Meinungsbildung bei. Kino sozial Benachteiligten Veranstaltungen • Ökologische Nachhaltigkeit, Schutz Redaktion und Herausgeberverein Adressen von Lebensräumen und Umwelt «Das Bulletin» Impressum BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Editorial Warum hohe Energiepreise ein Segen sind Andreas Hürlimann, Kantonsrat Alternative Kanton Zug Früher redeten alle vom Wetter. Jetzt reden plötzlich alle vom Klima. 3 Vom Klimawandel. Sogar US-Präsident George W. Bush, nicht gerade als Vordenker der Mächtigen dieser Welt bekannt, tut es. Aber reden hilft nicht mehr. Es muss auch wirklich etwas geschehen! Um wirksam gegen die Misere Die aktuelle Kampagne von Eco- bei Klima und Energieversorgung nomiesuisse betreibt hier jedoch vorzugehen, sind die Preise für Augenwischerei: Es wird behauptet, nichterneuerbare Energie noch dass die Schweizer Wirtschaft immer viel zu tief. Will man diese bereits heute zu den effizientesten erhöhen, stösst man bereits auf und klimafreundlichsten gehöre. ein zusätzliches Problem: die weit Zahlen über den jährlichen Schwei- verbreitete Angst, dass hohe Ener- zer CO2-Ausstoss zeugen aber von giepreise unserer Konjunktur und einer ganz anderen Realität. Die Energieversorgung schaden. Dabei Schweiz gehört nach wie vor zu den hat zum Beispiel der hohe Ölpreis Ländern mit dem höchsten Pro- viele positive Folgen für unsere Kopf-Ausstoss weltweit. In unserem Andreas Hürlimann, Kantonsrat der Gesellschaft. Land werden immer stärkere und Alternative Kanton Zug. schwerere und somit klimaschäd- Ein hoher Ölpreis bewirkt weit mehr lichere Neuwagen gekauft. Dieser als es gute Worte oder dramatische europaweit einmalige Trend zeigt Filmbilder vermögen. Denn stei- klar auf, dass der Preis für nicht- gende Preise waren schon immer erneuerbare Treibstoffe in der ein kraftvoller Motor für nachhal- Schweiz noch viel zu gering ist. tige Verhaltensänderungen. Sie betreffen auch jene, die weder in Doch wohin steuert die Schweizer der Wirklichkeit noch in den Medi- oder Zuger Politik? Nach wie vor en sehen wollen, wie knapp gewisse wird des Langen und Breiten vom Rohstoffe und wie wichtig neue Märchen der Eigenverantwortung Alternativen geworden sind. gesprochen. Dabei zeigt gerade die Entwicklung des Ölpreises, bisher als Energiequellen nur wenig Für Haushalte wird es bei hohen dass es keinen vernünftigen Grund bis überhaupt nicht genutzt. Es gibt Energiepreisen automatisch und gibt, sich weiter gegen eine höhere nichts, was kluge Köpfe nicht zu ohne neue Subventionen finanziell Besteuerung von nicht erneuer- neuen und Rohstoff sparenden und attraktiv, Energie zu sparen, Hei- baren Ressourcen zu stemmen. ersetzenden Erfindungen inspiriert. zungen zu erneuern oder auszutau- Dies könnte zum Beispiel auf Es gibt nichts, was grundsätzlich schen, Fenster besser abzudichten, nationaler Ebene durch eine gut dagegen spricht, neue Ideen rasch Außenwände zu dämmen und ausgebaute Lenkungsabgabe auf und innovativ umzusetzen. Und es Wohnungen nicht mehr als nötig alle nichterneuerbaren Energien gibt nichts, was künftigen Genera- zu heizen. Nun rechnet es sich geschehen oder im Kanton Zug tionen besser hilft, immer wieder von alleine, Energiesparlampen mit einer umweltfreundlichen und auftretende Knappheiten rasch zu einzuschrauben, weniger heiss zu anreizorientierten Motorfahrzeug- überwinden, als steigende Rohstoff- waschen sowie sparsamer Auto zu steuer. Diese Massnahmen würden preise heute. fahren oder gleich ganz auf öffent- unsere Gesellschaft gezielt in die Auch wir Alternativen sollten den liche Verkehrsmittel umzusteigen. gewünschte, sprich: umweltverträg- Mut haben, auf diese Marktkräfte Aber auch bei Unternehmen hat lichere Richtung lenken. zu vertrauen. Verabschieden wir der steigende Ölpreis schon dazu uns von kleinen verzettelten Akti- geführt, dass endlich nicht nur über Der Mensch kann Raumkapseln onen zu Gunsten unserer Umwelt Energiesparen geredet, sondern zum Mars schicken, aber die un- und wagen wir den Schritt in eine täglich auch entsprechend gehan- endlichen Möglichkeiten von Sonne anreizorientierte, nachhaltige Um- delt wird. oder Wind hier auf der Erde werden welt- und Energiepolitik! ■ BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Bildung und Geschlecht Gender - das bekannte Unbekannte Marianne Aepli, Primarlehrperson*, Menzingen | Bild Marianne Aepli 4 Mädchenwelten und Jungenwelten unterscheiden sich. Als ein Ort täglicher weise Herkunft, familiäres Umfeld Sozialisation hat die Schule Einfluss auf die Identitätsbildung von Kindern, und auch das Geschlecht wichtige daher kommt sie um die Geschlechterfrage nicht herum. Komponenten sind, haben Bil- dungsinstitutionen spätestens seit den feministischen Diskussionen Es macht einen Unterschied, ob Merkmalen, Normierungen, mit ab Mitte des letzten Jahrhunderts Leon oder Leonie spielt. Und die im Laufe der Zeit sich verschie- verstanden und mit verschiedenen erste Schulklasse ist für Ramona benden Konturen und regionalen Massnahmen darauf reagiert. Nebst und für Ramon eine je andere erste Geschmacksnoten heisst in der der Koedukation ist heute im schu- Klasse. Mädchenwelten und Jun- englischen Sprache «Gender», das lischen Alltag insbesondere die genwelten sind reale Welten und sie soziale Geschlecht. Ein Begriff, der Frage von themenbezogener Buben- unterscheiden sich. Was in den letz- sich im EU-Raum bereits durchge- und Mädchenarbeit aktuell. ten Jahren im Kanton Zürich Dis- setzt hat und auch in der Schweiz Dabei bewegt sich die Schule in kussionen auslöste, die steigende immer häufiger als Fachbegriff ge- einem Spannungsfeld: Zum ei- Zahl der Maturandinnen, ist auch nutzt wird. Der Prozess der Mann- nen existieren Ungleichheitsver- im Kanton Zug eine Realität. Seit werdung oder die Definition des hältnisse aufgrund bestehender Jahren machen mehr Schülerinnen Frauseins ist nicht einfache. Wie Geschlechterdifferenzen, die auf- als Schüler die Matura. Dieser Um- der Liedermacher Grönemeyer bis gezeigt und abgebaut werden müs- stand gefährdet die Bildungswelt heute fragt: «Wann ist ein Mann ein sen, zum andern soll in der Schule sicherlich nicht, trotzdem soll nach Mann?» Was Mannsein und Frau- sowohl der Versuch gemacht wer- Ursachen gesucht werden. Dabei sein heute heissen und beinhalten den, normierende Geschlechts- wird die Schullaufbahn von Jungen kann, ist ein grosses Forschungsge- identitäten in Frage zu stellen, wie und Mädchen nach Geschlechtern biet (gender studies). auch auf wirksame Geschlechter- beleuchtet, Unterschiede zeigen Um Geschlechterfragen kommt die unterschiede sensibel zu regieren. sich. Schule nicht herum. Die Volksschu- Das heisst im Klartext als erstes 2008, im hundertsten Geburtsjahr le hat den gesetzlichen Auftrag, die akzeptieren, dass Jungen- und Mäd- der französischen Philosophin Si- Gleichstellung der Geschlechter chenwelten existieren und dass mone de Beauvoir darf ihr kompri- umzusetzen, eine geschlechter- sie unterschiedlich sind. Es heisst miertes geistiges Vermächtnis er- gerechte Schule zu sein (gender Unterschiede kennen lernen, hin- wähnt werden: «Ich werde nicht als equality). Dem ist die Schule in den terfragen, sie in der pädagogischen Frau geboren, ich werde zur Frau letzten Jahrzehnten unter anderem Arbeit auch berücksichtigen, ohne gemacht.» Dem gilt richtigerwei- mit dem System des koedukativen dabei Normierungen zu schaffen. se auch hinzuzufügen: «Ich werde Unterrichts begegnet, wo Mädchen Es heisst unterschiedliche Welten nicht als Mann geboren, ich werde und Jungen in allen Fächern ge- verbinden, wo es möglich und not- zum Mann gemacht.» meinsam unterrichtet werden. So wendig ist, Klischees und Stereo- wurde formal für Mädchen wie für typen abbauen. Es heisst Kindern Das Eingemachte der Gesellschaft Jungen der gleiche Zugang zur Bil- eine Welt mit Gestaltungsfreiheiten Dieses Gemachte, dieses kultu- dung geschaffen. Das alleine macht in Bezug auf Geschlechterrollen rell hergestellte Geschlecht mit eine geschlechtergerechte Bildung aufzeigen. Es soll also gezielt auf nicht aus, was sich nach 20 Jahren die soziale Spezies der Mädchen Koedukation auch darin zeigt, dass und Buben eingegangen werden, die Berufswahl nach wie vor stark ohne dabei zusätzliche Gräben zu *Dieser Artikel ist der erste geschlechtsspezifisch geprägt ist. ziehen: Was ist erlaubt, was ist un- Beitrag einer Themenreihe zu Gesellschaftliche Rollenbilder sind erlaubt, was ist möglich, was ist «Bildung und Geschlecht». in der Entwicklung junger Men- unmöglich? Was sind unsere un- Die Autorin Marianne Aepli, schen oftmals wirksamer als indivi- geschriebenen Gesetze? Was brin- Master of cultural&gender duelle Fähigkeiten und Eignungen. gen sie für Vor- und Nachteile, in studies, arbeitet als Primarleh- der Gemeinschaft, der Familie, der rerin in Menzingen sowie in Lernort Schule ist identitätsbildend Schulklasse? Ramon darf einen rosa der Aus- und Weiterbildung von Als ein Ort täglicher Sozialisation Pullover anziehen, Ramona auch. Primarlehrpersonen in Zug und hat die Schule Einfluss auf die Iden- Ramon setzt sich damit in seiner Luzern. titätsbildung von Kindern. Dass bei Jungenwelt stark aus und verzich- dieser Identitätsbildung beispiels- tet vielleicht lieber drauf. Das ist in BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
5 Geschlechtergerechte Schule ist auch eine Gleichgewichtsübung. Ordnung. Oder er besteht darauf, durch die Naturwissenschaften Standards werden regelmässig im dass er die Farbe Rosa mag. Das ist ziehen, wird klar, dass die sozialen Rahmen einer Qualitätssicherung auch in Ordnung und mutig. Sind Einflüsse für die Definition von Ge- überprüft. Im Kanton Zug ist nichts rosa Pullover gefährlich? Übrigens schlecht mit seinen Eigenschaften dergleichen definiert. tragen erwachsene Männer mit An- und Zuschreibungen entscheidend Doch wo Standards definiert sind, zügen öfters rosa Hemden, die dür- sind. Je nach Kultur, Religion und steigt das Bewusstsein und auch fen das auch. Zeit definiert eine Gesellschaft der Druck, Genderkompetenz «weiblich» und «männlich» sehr in der Schule als pädagogisches Schlechtes Einparken ist lernbar unterschiedlich. Die Schule bleibt Grundwissen zu verstehen. Die Gerne werden in dieser Diskussion also als Definitionsort von «Mäd- Pädagogische Hochschule Zürich biologische Unterschiede als weg- chen- und Jungensachen» in ihrer verfügt über eine eigene Kom- weisend für soziale Entwicklung und Verantwortung. mission zur Gleichstellung. Diese als Begründung für geschlechtsty- zeigte sich jüngst verantwortlich pisches Verhalten aufgeführt. Nach Politik als Auftraggeberin für die Herausgabe der Zeitschrift allen wissenschaftlichen Untersu- Eine Bestandesaufnahme zur Gen- «ph akzente» mit dem Schwer- chungen, inklusive den Erkennt- derthematik an den Schweizer punktthema «Genderkompetenz nissen aus der Neurobiologie darf Volksschulen aus dem Blickwinkel und Schule». Im Zürcher Lehrmit- das Stereotyp vom «schlechten Ein- der Bildungspolitik zeigt auf, dass telverlag wird in diesem Frühjahr parken» aber getrost vernachlässigt jene Kantone den gesetzlichen Auf- ein Lehrmittel mit Unterrichtsvor- werden. Zu gross ist die Bandbreite trag einer geschlechtergerechten schlägen zur Gleichwertigkeit von der Unterschiede in den je eigenen Schule am besten umsetzen, die Jungen und Mädchen erscheinen. Geschlechtergruppen, was Muskel- in Bildungsfragen auch von einem In der Ausbildung zur Lehrperson kraft, Hormone oder Vernetzung Gleichstellungsbüro unterstützt wird im Kanton Zürich Genderpä- der Hirnhälften anbelangt. So sind werden. Der Regierungsrat des Kan- dagogik und -didaktik unterrich- biologische Unterschiede vorhan- tons Zürich hat im Jahr 2002 zehn tet, in Zug bis anhin nicht. Die den und Kenntnisse von Hormon- «Qualitätsstandards zur gleich- Pädagogische Hochschule Luzern ausschüttungen auch im Bildungs- wertigen Förderung von Mädchen schafft eben eine 30%-Stelle für bereich hilfreich, allerdings sind und Knaben» verabschiedet. Darin eine Gleichstellungsbeauftragte, an diesen Unterschieden unsere werden Lerninhalte, Unterricht, von dieser Arbeit kann möglicher- gesellschaftlichen Geschlechterun- Schulentwicklung und Schulper- weise die pädagogische Hochschu- terschiede nicht festzumachen. Aus spektiven, Aus- und Weiterbildung le Zentralschweiz, also auch die den Genderstudien, die sich auch von Lehrpersonen aufgeführt. Die PHZ Zug profitieren. ■ BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Regierungsrat UNO-Konferenz zum Altern Manuela Weichelt-Picard, Regierungsrätin Zug Bild El Mundo / La Crónica de León, Ausgabe vom 8.11.2007 6 Vom 6. bis 8. November 2007 trafen sich die Ministerinnen und Minister der über die Bandbreite, Merkmale, europäischen und nord-amerikanischen Staaten unter der Schirmherrschaft Ausprägungen und Erfolgsbedin- der UNO-Wirtschaftskommission für Europa ECE in León/Spanien zur Frage gungen neuerer gemeinschaftlicher des Alterns. Neben Themen des Älterwerdens wurden die Fortschritte bei Wohnformen zu gewinnen. Aus den der Umsetzung des Aktionsplans von Madrid gemäss regionalem Umset- drei Modellen zungsplan debattiert. Schlussendlich wurde eine politische Erklärung mit • selbstverwaltete Hausgemeinschaf- 23 Punkten verabschiedet. ten • kombinierte Wohn- und Betreu- ungsangebote und kommunale Al- Der Bundesrat hat beschlossen, sich Entwicklung erst später ausgesetzt ters- und Pflegeeinrichtungen an dieser Ministerkonferenz durch sein werden. Wie ein roter Faden • private Seniorenresidenzen Manuela Weichelt-Picard, Regie- zogen sich zwei Forderungen durch sollen ausgewählte Projekte mit rungsrätin des Kantons Zug und die vielen Referate: «Lebenslanges Innovationscharakter aus der Vertreterin der Sozialdirektorinnen Lernen hört auch im Alter nicht Schweiz und aus Deutschland eva- und -direktorenkonferenz (SODK) auf» sowie «ältere Menschen haben luiert werden. Inzwischen liegen vertreten zu lassen, und wählte eine ein Anrecht auf ein unabhängiges die Ergebnisse vor und werden der Delegation aus dem Bundesamt für Leben mit Menschenwürde». Öffentlichkeit im Rahmen einer Sozialversicherung, Bundesamt für Am letzten Tag fanden die Diskus- Ausstellung und einer Publikation Statistik und Schweizerischen Seni- sionen auf Ministerebene statt. Da- zugänglich gemacht (vgl. Kasten). orenrat, die zudem von einem Mitar- bei nahm die Schreibende am Panel Die Planung und Bereitstellung von beiter der SODK begleitet wurde. Die zum Thema «Eine Gesellschaft für adäquaten Wohnformen für ältere Konferenz bildete die Fortsetzung alle Altersgruppen» teil. Sie betonte Menschen ist das eine. Die demo- der zweiten UNO-Weltversammlung sowohl die individuelle als auch graphische Entwicklung hat jedoch zur Frage des Alters, die im April die gesellschaftliche Dimension der auch Einfluss auf den öffentlichen 2002 in Madrid stattfand. Alterung und wies unter anderem Verkehr, die Erholungsräume und auf folgende Gegebenheiten in der die Dienstleistungsbetriebe (Re- Demographische Alterung Schweiz hin: 51 Prozent der freiwil- staurants, Einkaufsmöglichkeiten Es nahmen 46 Staaten an der Kon- lig Tätigen sind 65 Jahre oder älter usw.). Bei der Planung und Reali- ferenz in León teil. Die Schweiz und 2,6 Prozent dieser Altersgruppe sierung ist der Erreichbarkeit für wurde während der dreitägigen sind noch erwerbstätig. Weichelt- ältere Menschen besondere Beach- Konferenz flankiert von Schwe- Picard betonte, dass es eine persön- tung zu schenken. den und Tayikistan. Während der liche Wahl sein soll. Niemand soll ersten zwei Tage standen verschie- gezwungen werden, über das Pensi- Alter und Migration dene Round-Table-Gespräche mit onierungsalter hinaus erwerbstätig Als weiteres Thema brachte die Vertreterinnen und Vertretern von sein zu müssen. Würde die Arbeit Schweizer Vertreterin die spezi- NGO's, der Wissenschaft sowie der Freiwilligen wegfallen, müssten elle Situation der Schweiz als Mi- weiteren Fachpersonen auf dem vermutlich zahlreiche Kantone und grationsland zur Sprache. Die Mi- Programm. Der demographische Gemeinden ihre Rechnungen mit grierenden kommen vor allem aus Alterungsprozess wird sich nicht roten Zahlen präsentieren. Es ist Deutschland, Portugal, Frankreich, in allen Staaten der Region gleich wichtig, dass die Freiwilligenarbeit Italien und Serbien. Seit 1980 nimmt entwickeln. West- und Osteuropa entsprechend honoriert und den der Anteil der Migrantinnen und sowie Nordamerika sind bereits da- Personen die nötige Wertschätzung Migranten im Alter zwischen 50 von betroffen, während die Transi- entgegengebracht wird. und 79 Jahren ständig zu. Dies for- tionsländer aus Zentralasien dieser dert die Alterspolitik der Schweiz Neue Wohnmodelle generell heraus und natürlich auch Als zweiten Aspekt erwähnte sie das die Pflegenden in der Spitex, den Ausstellung «Ich wohne, bis ich generationenübergreifende Wohnen Alters- und Pflegeheimen. 100 werde. Neues Wohnen 50+» und im Speziellen das Projekt des Schliesslich wies sie auch auf die Ort: EWZ-Unterwerk Selnau ETH-Wohnforums in Zürich. Das gesellschaftlichen Veränderungen Zeit: 5. April bis 20. April 2008 Forschungsprojekt beschäftigt sich hin. In Zukunft werden die älteren http://www.neueswohnen- mit «Neue Wohnmodelle für die Menschen aufgrund der gesell- 50plus.ch/ zweite Lebenshälfte». Ziel des Pro- schaftlichen Veränderungen, der jekts ist es, vertiefte Erkenntnisse zunehmenden Mobilität und der BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
7 Regierungsrätin Manuela Weichelt-Picard, Delegationsleiterin der Schweiz, zusammen mit dem spanischen Arbeits- und Sozialminister Jesús Caldera. sehr tiefen Geburtenrate immer we- rung der persönlichen Autonomie reller Höhepunkt in León war das niger Unterstützung von ihren Fa- zu vertiefen. Pedro-de-Escobar Konzert in der milien erhalten. Dies wird für die Am gemeinsamen Nachtessen berühmten gotischen Kathedrale Schweiz, die eine Gesellschaft für der Minister ergab sich die Mög- aus dem 13. Jahrhundert, die am alle Altergruppen sein möchte, eine lichkeit für einen Austausch zwi- Jakobsweg nach Santiago de Com- grosse Herausforderung. schen Schweden und der Schweiz. postela situiert ist. ■ Schweden erarbeitet zurzeit Krite- Bilaterale Gespräche rien für die Erhaltung der Würde Mehr Informationen zur Konferenz Auf Einladung des spanischen Ar- von älteren Menschen in den Pfle- in León finden sich unter: http:// beits- und Sozialministers Jesús Cal- geheimen. Eine Diskussion, die www.bsv.admin.ch/themen/inter- dera Sánchez bot sich der Schweiz auch für die Schweiz interessant nationales/aktuell/01710/index. am Rande der Veranstaltung die sein dürfte. html?lang=de Möglichkeit, in einem persönlichen Die im Text erwähnte Publikati- Gespräch Themen wie die Situation Kulturelle Höhepunkte on «Neues Wohnen in der zweiten der älteren Menschen im Allgemei- Der Tagungsort und die Unter- Lebenshälfte» von Andreas Huber nen, die Betreuung von betagten kunft im Parador selbst waren für (Hrsg.) wird herausgegeben vom Personen, die Verlängerung des Er- sich schon ein einmaliges Erleb- ETH Wohnforum – CCSA und er- werbslebens, die Vereinbarkeit von nis – ein ehemaliges Kloster und scheint im April 2008 im Birkhäu- Familien- und Erwerbsleben, Mi- eine Pilgerunterkunft aus dem 16. sser Verlag. ISBN 978-3-7643-8633-7 gration und Altern sowie die Förde- Jahrhundert. Ein weiterer kultu- (dt.), Preis CHF 49.90 BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Kantonsrat Es flackert und leuchtet über der Grossstadt Erwina Winiger, Kantonsrätin Alternative Kanton Zug | Bild visibleearth.nasa.gov 8 Im letzten Jahr zügelte ich vom Tal auf den Berg. Ich geniesse in Edlibach die herrliche Aussicht weit über das Zugerland hinaus. Auch abends bietet mein neuer Wohnort eine atemberaubende Sicht: Es glit- zert, strahlt und leuchtet über der Grossstadt Zug, und das Lichtspiel könnte einem eigentlich das Herz erfreuen, wenn da die Gedanken nicht weiterkreisen würden. Weiterkreisen zum Thema Lichtver- schmutzung und Lichtverschwen- dung. Unsere Gesellschaft beein- flusst die Nacht künstlich durch ein Strahlendes Europa ertrunken im Lichtermeer. immenses Lichtermeer. Die Beeinflussung durch künst- liches Licht im Aussenraum wird hende Vögel in die Irre. Die betrof- knecht und ich im Kantonsrat eine verstärkt durch in die Atmosphäre fenen Tiere bezahlen dies häufig Interpellation eingereicht. Der An- gerichtetes oder abgestrahltes Licht, mit ihrem Leben. Das Lichtermeer stoss war wichtig – so ist etwa im das ungenutzt verpufft, sowie durch der bewohnten Gebiete bewirkt gleichzeitig erschienenen Energie- unnötige oder übermässige Beleuch- zudem die permanente Aufhel- leitbild des Regierungsrates zur tung von Strassen und Gebäuden. lung des Nachthimmels, was zum Thematik Lichtverschmutzung und Beides verschleisst Energie, verur- weitgehenden Verschwinden des –verschwendung nichts zu finden. sacht vermeidbare Kosten und ver- sichtbaren Sternenhimmels führt Dies ist umso erstaunlicher, haben ändert die nächtlichen Ökosysteme. oder dessen Wahrnehmung stark doch die Zentralschweizer Umwelt- Das Bewusstsein für die Existenz beeinträchtigt. Das Verschmelzen schutzdirektoren bereits im Jahre von Lichtverschmutzung und -ver- der Nacht zum Tag hat auf den Men- 2006 einen Massnahmenkatalog zur schwendung im öffentlichen Raum schen Auswirkungen. So beruht ein Vermeidung von Lichtemissionen ist erst am Wachsen. Immerhin gibt Teil unserer Hormonproduktion auf verabschiedet. Nun hoffen wir, dass es in der Schweiz bereits einen nati- dem tageszeitlichen Wechsel von der Regierungsrat die Interpellation onal organisierten und international hell und dunkel. Eine längere Stö- als Impuls wahrnimmt und aktiv vernetzten Verein «Dark-Sky Swit- rung dieses natürlichen Rhythmus wird. Denn andere Gegenden sind es zerland», der wissenschaftliche Ta- kann Krankheit und Schlafmangel jedenfalls schon. So hat der Kanton gungen organisiert und Öffentlich- zur Folge haben. Die Aussage «Licht Tessin im letzten Jahr unter Mitwir- keitsarbeit zum Thema durchführt. = Sicherheit» stimmt nur bedingt. kung des erwähnten Vereins «Dark- Zu helle Lampen blenden: Das Auge Sky Switzerland» Richtlinien zur Probleme erleuchteter Nächte adaptiert sich an das helle Licht. Vermeidung von Lichtemissionen In einem Wachstumskanton wie Zug Durch die Adaptation wird der erarbeitet. Die Stadt Luzern erarbei- wird in den kommenden Jahren die Nebenraum schlechter erkennbar. tet ein neues Beleuchtungskonzept, künstliche Beleuchtung zwangs- Dies kann die Sicherheit im Stras- einen sogenannten «Plan Lumière», läufig weiter zunehmen. Die nega- sen- und Luftverkehr vermindern. der den Energieverbrauch um min- tiven Auswirkungen der in jüngster Nicht benötigtes Licht verbraucht destens 10 Prozent senken und die Zeit massiv zunehmenden Lichte- unnötig viel Energie. Diese Energie Lichtverschmutzung reduzieren missionen sind ernst zu nehmen. einzusparen ist ein leichtes Unter- kann, trotzdem aber die Sehens- Fachleute weisen auf zahlreiche fangen, da niemand auf etwas ver- würdigkeiten besser beleuchtet und nachteilige Auswirkungen hin: zichten muss. das Sicherheitsempfinden stärkt. Künstliche Beleuchtungen stören Ich freue mich jedenfalls jetzt schon den Lebensraum nachtaktiver Tiere Mehr sehen mit weniger Licht darauf, dem Sternenhimmel über und irritieren Zugvögel. Lichtquel- Damit das Thema auch im Kanton dem Zugerland mehr Beachtung len und -glocken führen nachts zie- Zug erhellt wird, haben Eric Frisch- schenken zu können. ■ BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Meinung Die «letzte Chance» für den Freisinn Grünspecht – ein kritischer Vogel Die FDP hat in den letzten Jahrzehnten bei Wahlen meist verloren. Die FDP, 9 welche die moderne Schweiz geschaffen hat, hat ihre breite Verankerung im Volk verloren. Derzeit präsentieren sich die Freisinnigen als Lobby für die Superreichen und als Rechtspartei im Seitenwagen der SVP. Die Abwahl von Christoph Blocher bietet der FDP die Chance, sich wieder eigenständig und liberal zu positionieren. Im Jahre 1972 veröffentlichte der letzten Jahren am Abbruch der so- Publizist Jürg Tobler eine kleine lidarischen Schweiz als Gemein- Broschüre mit dem Titel «Frei- schaft gearbeitet. Mit dem einzigen sinn ohne Gemeinsinn?» Er tat Unterschied; die SVP konnte ihr dies im Bewusstsein um die hi- neoliberales Programm und die storische Leistung des Freisinns, Umverteilung von unten nach oben der 1848 an die Macht kam und mit dem Thema Ausländer und mit in den folgenden Jahrzehnten die viel Folklore-Gebimmel erfolgreich Schweiz wirtschaftlich und poli- kaschieren. tisch prägte. Er tat dies aber auch Und jetzt, im Frühling 2008 ? Mit Der Autor «Grünspecht» ist in der Befürchtung, dass sich der neoliberaler Ideologie lässt sich ein kritischer Vogel. Schweizer Freisinn immer mehr angesichts des UBS-Debakels kein von seinen ursprünglichen Idealen Parteiprofil gewinnen, und schon als reformerische Kraft für die ge- gar keine neuen Wählerinnen und samte Bevölkerung entfernte. Wähler. Im politischen Seitenwa- Die Bruchstelle – und damit der gen der SVP-Ausgrenzer geht jedes Anfang des Niedergangs – lässt liberale Profil verloren. Wer zudem sich genau fixieren. Damals, als die Empörung an den Abzocker- die FDP erstmals mit dem Slogan Millionen als reinen Neid abtut, «Mehr Freiheit, weniger Staat» in bemerkt nicht mehr, wo der über- die Wahlen zog. Da verabschiedete wiegenden Mehrheit in unserem heit nicht mehr mit grenzenlosem sie sich von der Verantwortung Land der Schuh drückt. Jürg Tobler Egoismus verwechselt? Ob sie den für die Schweiz; sie wandelte sich brachte es in seiner kleinen Schrift Staat nicht weiter verteufelt? Ob zum Sprachrohr der neoliberalen schon vor Jahren auf den Punkt: sie gemeinschaftliche Aufgaben Ellbogengesellschaft; der Markt «Die Freiheit der Habenichtse ist auch in Zukunft den privaten Ab- wurde zum neuen Götzen. Der die elementarste Form der Unfrei- zockern überlässt? Ob sie weiter- Staat, die Gemeinschaft der freien heit.» hin Steuersenkungen zugunsten Bürgerinnen und Bürger, wurde der Superreichen durchsetzt? Die zum Gegner, der nur Kosten ver- Quo vadis, FDP? Antworten auf diese Fragen wer- ursacht und am besten möglichst Im letzten Dezember haben CVP, den matchentscheidend sein für rasch und mit Gewinn privatisiert SP und Grüne den Volkstribun und die FDP als Volkspartei. wird. Nur, diese arroganten Mana- Multimillionär Blocher aus dem Ein «Freisinn ohne Gemeinsinn» ger mit dem FDP-Parteibuch und Bundesrat gekippt. Und damit der hat keine Perspektive: Er wird zur ihren Millionengehältern konnten FDP eine Steilvorlage geliefert. Es Splitterpartei für ein paar wenige es nicht besser. Im Gegenteil: Sie ist ihre «letzte Chance» für einen Auserwählte und ist damit kein «groundeten» die Swissair und eigenständigen politischen Kurs. ernst zu nehmender Partner mehr setzten in den letzten Monaten Ein bisschen «Hop Sviz» (rätoro- für die reformfreudige Linke bei Milliarden in den amerikanischen manisch) und die Fortsetzung der der Gestaltung der Schweiz im Hypothekensand. bisherigen Rechts-Politik, einfach 21. Jahrhundert. Als Folge wer- anständiger und mit Stil, reichen den immer mehr Liberale dorthin FDP als Seitenwagen der SVP bei weitem nicht. abwandern, wo «Liberté, Egalité, Politisch hat sich die FDP immer Ob sich die FDP politisch aus der Fraternité» gleichberechtigt gelebt mehr der SVP angenähert; sie ist Abhängigkeit von der SVP frei- werden – wo individuelle Freiheit, als Juniorpartner in den SVP-Sei- schwimmen kann? Ob sie sich sozialer Ausgleich und nachhal- tenwagen gestiegen. Zusammen aus der neoliberalen Ideologie lö- tige Umweltpolitik zuhause sind. mit der SVP hat die FDP in den sen kann? Ob sie in Zukunft Frei- Zu den Altenativen. ■ BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Nationalrat Swisscoy-Einsatz ist illegal Josef Lang, Nationalrat Alternative Kanton Zug | Bild istockphoto.com 10 Am 5. März hat der Nationalrat den Swisscoy-Einsatz im Kosovo verlängert, frühzeitig erkennen und angehen, obwohl dafür das UNO-Mandat fehlt. Nachfolgend Jo Langs Rede gegen die bevor die Gewalt eskaliert. Obwohl Verlängerung des Armee-Einsatzes im Kosovo. das Frühwarnprogramm zu einem weltweit anerkannten Vorzeigepro- jekt avancierte, hat das DEZA be- «Die Grünen empfehlen Ihnen, auf mit von schweizerischem Hoheits- schlossen, es auf Ende diesen Mo- die Verlängerung des Swisscoy-Ein- gebiet hat die offizielle Schweiz die nats zu schliessen. «Wissen Sie, wie satzes nicht einzutreten. Sollten Sie Ausgrenzungspolitik sanktioniert. viel diese 200 zivilen Frühwarner auf die Vorlage eintreten, schlagen Und wenn sich jetzt daran etwas die Schweiz gekostet haben? 30 mal wir Ihnen vor, den Verlängerungs- ändert, ist das nicht das Verdienst weniger als die 200 Swisscoy-Solda- entscheid zu suspendieren, bis es ein von Militär-, sondern von Zivilper- ten! Das zivile Engagement ist nicht gültiges UNO-Mandat gibt, so, wie sonen. nur viel nützlicher, es ist auch viel es das Militärgesetz vorschreibt», so günstiger.» Jo Lang anlässlich seiner Rede vor Abbau beim Zivilen dem Nationalrat. «Wie wir schon wiederholt ausge- Fehlendes UNO-Mandat führt haben, soll die Schweiz der «Dass die einseitige Unabhängig- Vertreibung der Roma Welt ihr Bestes, das zivile Friedens- keit den Verlust des bisher gültigen Seit dem völkerrechtswidrigen Ko- handwerk und nicht das militä- UNO-Mandats zur Folge hat, das sovo-Krieg ist unter den Augen der rische Kriegshandwerk zur Verfü- war im letzten Sommer auch un- so genannten «Schutztruppen» der gung stellen. Wer hier einwendet, serem Verteidigungsminister klar. Kosovo praktisch «zigeunerfrei» man solle beides tun, den möchte Ich zitiere aus einem Tagesanzei- gesäubert worden. Von den 150‘000 ich auf einen kürzlichen Entscheid ger-Artikel eines Journalisten, der Roma, die vor neun Jahren noch im des Bundesrates aufmerksam ma- Samuel Schmid auf seiner Kosovo- Kosovo lebten, wurden neun Zehn- chen: Die Schweiz beschäftigt bis Reise begleitete und der notabene tel vertrieben oder verdrängt. Ver- zum Ende dieses Monats in 24 Län- ein entschiedener Befürworter von mochten die Swisscoy eine einzige dern (auch im Kosovo) 200 Personen militärischen Auslandeinsätzen Roma-Familie zu schützen? Ist es an- in einem politischen Frühwarnpro- ist: 'Kosovo erklärt sich einseitig gesichts dieser Tragödie nicht frag- gramm», so Lang weiter. für unabhängig und wird von der würdig, das verbliebene Zehntel als Diese Früh-Analyse von Span- Schweiz anerkannt. Damit kann Argument für einen Truppeneinsatz nungen und Tatsachen (abgekürzt: sich die Schweiz nicht länger auf zu verwenden? Mit dem Ausschluss FAST) macht das friedenspolitisch die UNO-Resolution 1244 berufen, von Angehörigen der Minderheiten Sinnvollste, was die Schweiz, was da diese den Anspruch Serbiens aus ihrem Verbindungsbüro und da- man überhaupt tun kann: Konflikte auf Kosovo bejaht. Die gesetzliche Verbindungsbüro ohne sollten Serbinnen, Serben oder der Ethnonationalisten, welche Minderheiten Roma eingestellt werden. meinen, ein Gemeinwesen könne Bereits vor zweieinhalb Jahren nur funktionieren, wenn alle Die Schweiz beschäftigt in ihrem habe ich gegen die Nichtanstel- Angehörigen dem gleichen Stamm Verbindungsbüro in Pristina, also lung von Minderheiten Vorstösse angehören. auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet, gemacht. Damals wurde Besse- Unter dem Druck meines er- keine Angehörige der Minder- rung versprochen. Im Februar neuten Protestes und aufgrund heiten. Wie soll sich die Schweiz habe ich herausgefunden, dass eines Antrages, den ich in der im Kosovo für eine multieth- Roma und Serben weiterhin Aussenpolitischen Kommission nische Gesellschaft einsetzen, nicht beschäftigt werden. Der durchbrachte, hat nun das Eidge- wenn sie dieses Anligen nicht ein- zuständige «Head of Mission» nössische Departement für Aus- mal im eigenen Büro umzusetzen rechtfertigte diesen Skandal mit wärtige Angelegenheiten verspro- wagt? Der wahre Grund für die der Aussage, damit würde ein chen, auch Serbinnen und Serben Ausgrenzung der Minderheiten eingespieltes Team gestört und einzustellen. Das ist ein Schritt in liegt im Umstand, dass die Ange- ein reibungsloser Ablauf beein- die richtige Richtung. Nun geht es hörigen der albanischen Mehrheit trächtigt. Damit übernahm der darum auch die Anstellung von drohen, die Stelle zu verlassen, «Botschafter» die Argumentation Roma durchzusetzen. BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Grundlage für den Einsatz ist nicht Interesse hat, dass das Völkerrecht UNO-Mandat eine Missachtung des 11 mehr vorhanden, die Swisscoy muss ernst und genau genommen wird? Völkerrechts und eine Marginalisie- abziehen.' Weiter schrieb der Tages- Auf jeden Fall bedeutet eine Verlän- rung der UNO. Es bedeutet eine Un- anzeiger: 'Er (Verteidigungsminister gerung des Swisscoy-Einsatzes ohne terordnung der Loyalität zur UNO Schmid) geht davon aus, dass die gültiges oder ohne sicher gültiges unter die Loyalität zur Nato.» ■ Mehrheit der in Kosovo engagierten Staaten auch ohne UNO-Mandat vor Ort bliebe. Für den Fall eines Swis- scoy-Abzugs rechnet Schmid zwar mit dem Verständnis der Staaten- gemeinschaft für die besondere Si- tuation der neutralen Schweiz.' (TA 4.9.2007) Völkerrecht missachtet In anderen Worten: Bundesrat Schmid war klar, dass die Schweiz im Falle der Unabhängigkeit die Swisscoys zurückziehen muss. Selbst wer in Frage stellt, dass die Verlängerung des Swisscoy-Ein- satzes eindeutig rechtswidrig ist, muss angesichts der unterschied- lichsten Einschätzungen der Völker- rechtler eingestehen, dass sie recht- lich prekär ist. Ist aber gesetzliche Klarheit nicht gerade beim Einsatz von Gewaltmitteln besonders dring- lich? Gilt das, was vor drei Monaten vor der Bundesratsabwahl immer wieder betont wurde, nicht mehr: Dass die Schweiz ein besonderes Stellungnahme der JUSO Swisscoy-Einsatz ohne gültiges UNO-Mandat: eine Missachtung des Völkerrechts. Swisscoy-Verlängerung: Kosovo. Die KFOR-Truppen, denen Die JUSO ist enttäuscht von der die Swisscoy angehören, konnten SP. Während andere linke Natio- JUSO enttäuscht über oder wollten die Vertreibung von nalrätInnen für das Völkerrecht den Entscheid Minderheiten nicht verhindern. einstehen, hat heute die Mehrheit Der Einsatz der Swisscoy dient der SP mit der Verlängerung des Die JUSO Schweiz ist enttäuscht nicht dem Frieden, sondern haupt- Swisscoy-Einsatzes der Aushöh- über das Stimmverhalten der sächlich der Selbstprofilierungs- lung des Völkerrechtes Vorschub SP-Fraktion heute Nachmittag im sucht der Armee. Seit 1999 werden geleistet. Der Swisscoy-Einsatz ist Nationalrat. jährlich gegen 40 Millionen für die heute nämlich illegal. Bis zur ein- Der Nationalrat verlängerte mit Hil- Spielübung der Armee im Ausland seitigen Unabhängigkeitserklärung fe der SP-Fraktion den nutzlosen verschleudert – Geld, welches bei Kosovos bildete Resolution 1244 und illegalen Swisscoy-Einsatz im der zivilen Hilfe fehlt. die rechtliche Grundlage. BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
5. IV-Revision Abwehren statt Integrieren Das Interview wurde am 5. März von Hansjörg Glauser geführt | Bild Jean Baptiste Huber 12 Die 5. IV-Revision ist seit anfangs Jahr in Kraft. Wie sich die Revision auf BULLETIN: Wie ist die Vorgehens- die betroffenen Personen auswirkt und wo die Missstände innerhalb der weise der IV, um Arbeitsplätze zur IV liegen, beleuchtet das Interview im Gespräch mit Jean Baptiste Huber, Integration von Patienten zu fin- Rechtsanwalt in Zug. den? J. B. Huber: Die Devise der Invali- denversicherung heisst ja seit jeher: BULLETIN: Seit dem ersten Janu- einbart hat. In einem konkreten «Eingliederung vor Rente.» Als ich ar ist die 5. IV-Revision in Kraft. Fall habe ich zusammen mit einer vor etwa 15 Jahren auf diesem Ge- Welches sind Ihre ersten Erfah- privaten Case-Management-Firma biet zu arbeiten begonnen habe, hat rungen, welche Reaktionen konn- einen Arbeitgeber gefunden, der be- die IV diesen Grundsatz noch viel ten Sie feststellen? reit ist, einen schwer verunfallten ernster genommen als in den letz- J. B. Huber: Mit der neuen Rege- technischen Fachmann mit Unter- ten Jahren. Der Fokus hat sich – vor lung entsteht ein Rentenanspruch stützung der Case Management-Fir- allem seit Beginn der so genannten frühestens sechs Monate nach der ma wieder einzuarbeiten. Obwohl «Scheininvaliden»-Kampagne – Anmeldung bei der Invalidenver- die Case-Management-Firma – die immer mehr von der realen Einglie- sicherung (IV). Bisher konnte man im übrigen schon lange auf dem derung wegbewegt, hin zur Abwehr bis zwei Jahre nach Beginn der Markt ist – für ihre Dienstleistungen angeblich unberechtigter Ansprü- Arbeitsunfähigkeit mit der Anmel- marktgerechte Preise verlangt und che. Zudem hat die IV angesichts dung zuwarten. Um keine Ansprü- die IV-Berufsberaterin diese Ein- der schwierigen Arbeitsmarktlage che zu verlieren, habe ich deshalb gliederungsmassnahme ausdrück- vor allem für einfachere Tätigkeiten vor Ende 2007 noch zahlreiche lich unterstützt, hat die IV bis heu- quasi «forfait» gegeben und sich KlientInnen bei der IV angemeldet. te keine Kostengutsprache erteilt. nicht mehr energisch auf die Suche Alle bekamen bereits Mitte Januar Begründung: Die IV hat mit dieser nach Stellen gemacht. Ich hoffe, das 2008 eine Einladung von der IV- Case-Management-Firma noch kei- bessert jetzt mit der 5. IV-Revision. Stelle zu einem Erstgespräch, das nen Rahmenvertrag abgeschlossen in den meisten Fällen noch im Ja- und die vorgesehene Steigerung des BULLETIN: Wie muss man sich nuar stattfand. Früher hatte man Arbeitspensums folgt nicht dem diese Entwicklung in den letzten nach einer Anmeldung erst nach von der IV gewünschten Schema. Jahre konkret vorstellen? Monaten etwas von der IV gehört Die IV hätte gerne eine schnellere J. B. Huber: Ich kann dies an einem (ausser der kurzen Bestätigung, Steigerung. Beispiel erläutern: Ein Bauarbeiter dass die Anmeldung eingegangen kann wegen Rückenbeschwerden sei). Die IV hat also in Bezug auf die BULLETIN: Weshalb hat denn die nicht mehr auf dem Bau arbeiten. so genannte Früherfassung Ernst IV mit dieser Firma noch keinen Im medizinischen Gutachten heisst gemacht mit Ihrer Ankündigung, Rahmenvertrag abgeschlossen? es zur Arbeitsfähigkeit: «Die ange- dass nun alles viel schneller gehen J. B. Huber: Das weiss ich in diesem stammte Tätigkeit als Bauarbeiter soll. Fall nicht genau. Aber die von der ist nicht mehr zumutbar. In einer IV vorgeschlagenen Rahmenver- leichten wechselbelastenden Tätig- BULLETIN: Und wie ist es dann träge, die ich bisher gesehen habe, keit ohne Heben und Tragen, mit der weitergegangen? sind sehr detailverliebt. Die ganzen Möglichkeit, Pausen einzuschalten, J. B. Huber: Im Anschluss an diese Interventions- und Integrations- ist dem Exploranden eine 100%ige Erstgespräche ist nun noch nichts mechanismen wurden unheimlich Tätigkeit zumutbar.» Früher hätte weiter passiert. Ich nehme an, dass formalisiert, was eine Integration sich der IV-Berufsberater zusammen bei der IV noch eine gewisse Rat- nicht fördert, da ein solcher Prozess mit dem Betroffenen auf die Suche losigkeit herrscht, wie die (Wie- am Besten mit Vertrauen und nicht nach einer Stelle gemacht, beispiels- der-)eingliederungsmassnahmen mit Formalismen unterstützt wird. weise für leichte Montagearbeiten. erbracht werden sollen. Die IV ist Für die Anbieter ist ein so straffes In den letzten Jahren wurden die schon von der personellen Beset- Korsett, das den Prozess bis in alle Berufsberatung und die Arbeits- zung her nicht in der Lage, alle Details vorschreibt, keine optimale vermittlung in solchen Fällen aber Massnahmen selbst zu erbringen. Ausgangslage, um auf ihre Patien- nur noch rituell abgespult. Nach Sie arbeitet deshalb mit externen tInnen individuell einzugehen. Ich einigen Wochen kam ein Brief von Anbietern zusammen, aber offen- bezweifle, dass diese überstruktu- der Arbeitsvermittlung, die Suche bar nur mit solchen, mit denen sie rierte Vorgehensweise zu guten Re- sei erfolglos geblieben. Kurze Zeit bereits einen Rahmenvertrag ver- sultaten führt. später kam die Rentenverfügung, BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
in der es hiess: «In der Tätigkeit als 13 Bauarbeiter würden Sie heute ein Einkommen von CHF 65'000 erzie- len. In einer leichten wechselbela- stenden Tätigkeit ohne Heben und Tragen, mit der Möglichkeit, Pausen einzuschalten, könnten Sie nach der Lohnstrukturerhebung (LSE) 2006, Tabelle 1, Männer, Anforde- rungsniveau 4 ein Einkommen von CHF 4'732 x 12 = CHF 56'784, bezie- hungsweise, hochgerechnet von 40 Stunden auf 41.7 Stunden, von CHF 59'197 erzielen.» Der Invaliditäts- grad beträgt damit 9%, was keinen Rentenanspruch begründet. Dass der Bauarbeiter keine entsprechende Stelle findet, spielt keine Rolle. Dies weil die IV die Erwerbsfähigkeit nach dem Gesetz im Hinblick auf den so genannten «ausgeglichenen Arbeitsmarkt» bestimmen muss. Danach ist nur zu prüfen, ob es für eine theoretisch mögliche Ein- satzmöglichkeit auf einem fiktiven Arbeitsmarkt ohne Arbeitslosigkeit Stellen geben würde. BULLETIN: War das denn früher besser? J. B. Huber: Noch vor einigen Jahren hat die IV viel energischer versucht, «Auf den Skates immer gut geschützt mit Helm - Jean-Baptiste Huber am invalide Personen tatsächlich ein- Sponosringevent der Alternativen im letzten Herbst.» zugliedern. Bei der Invaliditätsbe- messung wurde dann in der Regel auf das tatsächlich erzielte Inva- Man hat sich darauf beschränkt, der Landis & Gyr, V-Zug AG, Dätt- lideneinkommen abgestützt. Dies das Personal stark auszubauen. Ver- wiler Gummi und noch vielen wei- war meist vorteilhafter, da die tat- nachlässigt wurde aber das hartnä- teren. Das nicht in erster Linie, weil sächlich erzielten Invalidenein- ckige Bearbeiten potentieller Ar- er gerne gut isst, sondern um die kommen tiefer lagen als theoretisch beitgeber. Kontakte zu pflegen. Dank diesem angenommene Invalideneinkom- guten Netzwerk konnte er viele IV- men. Diese Entwicklung weg von BULLETIN: Wie soll denn die IV BezügerInnen platzieren. Er konnte der realen Eingliederung ist teil- die Arbeitgeber bearbeiten? diese Firmen bei der Verantwortung weise auf die Veränderungen auf J. B. Huber: Vor vielen Jahren gab packen und sie so lange bearbeiten, dem Arbeitsmarkt zurückzufüh- es einen einzigen Berufsberater, bis sie bereit waren, einen Arbeits- ren. In den letzten Jahren wurde und zwar nicht nur für die IV-Stelle platz zu stellen. Aber schon damals es immer schwieriger, Stellen für Zug, sondern für die Kantone Zug, hat die IV nicht verstanden, wel- gesundheitlich eingeschränkte Per- Schwyz, Uri und Luzern, der zu che Arbeit von diesem Berufsbera- sonen zu finden. Allerdings habe sämtlichen Personalverantwort- ter geleistet wurde. So wollte man ich auch den Eindruck, dass die IV lichen der Unternehmungen in der ihm beispielsweise nie die Spesen in den letzten Jahren ihren Einglie- Gegend gute Kontakte pflegte. Er vergüten, wenn er einen Personal- derungsauftrag nicht mehr mit der verabredete sich regelmässig zum verantwortlichen zum Mittagessen nötigen Hartnäckigkeit verfolgt hat. Mittagessen mit den Personalchefs eingeladen hatte. BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
14 BULLETIN: Und wie sind heute die Kontakte der IV zur Wirtschaft? J. B. Huber: Heute scheint das Netz- werk schlechter zu sein. Ich war vor ca. einem Jahr mit einem Klienten bei der IV-Stelle Zug und habe eine Stelle bei einem Zuger Unterneh- men vorgeschlagen. Der Berufsbe- rater meinte, das sei eine gute Idee, er werde diese prüfen. Ich bestand darauf, dass man gleich Nägel mit Köpfen machen würde, und schlug vor, dass der Berufsberater jetzt gleich den Personalverantwort- lichen dieser Firma anrufen wür- «Die Revision wäre nicht so vordringlich gewesen, wenn in den IV-Stellen de. Ich ging davon aus, dass er die professioneller gearbeitet worden wäre.» Nummer des Personalverantwort- lichen in seinem Adressverzeichnis notiert hätte. Dem war aber nicht und es hat meiner Meinung nach gehe schon davon aus, dass die IV so. Der Berufsberater nahm viel- an einer effizienten Führung durch in dieser Hinsicht grosse Anstren- mehr das «Pronto»-Telefonbuch zur das Bundesamt für Sozialversiche- gungen unternimmt. Es steht und Hand und suchte nach der Nummer rungen gefehlt. Viele Probleme sind fällt ja alles mit der Mitwirkung der fraglichen Firma. So kommt’s rein technischer Natur, und es hätte der Arbeitgeber bei der Einglie- natürlich nicht gut. keine 5. IV-Revision gebraucht, um derung bzw. schon bei der Nicht- schneller vorwärts zu machen. Ich Ausgliederung. Die Linke hat im BULLETIN: Die IV steckt in einer hoffe natürlich, dass die 5. IV-Revi- Gesetzgebungsprozess vergeblich schwierigen finanziellen Situation. sion tatsächlich zu einer Beschleu- ein Anreiz-System verlangt, um die Welches sind Deines Erachtens die nigung und Verbesserung der Ver- Arbeitgeber in dieser Hinsicht zu Gründe dafür? fahren führt. Allerdings befürchte motivieren. Wir werden nun sehen, J. B. Huber: Die erwähnten Beispiele ich, dass man nun einfach fehlende ob sich die bürgerliche Behauptung mit dem Bauarbeiter sowie dem Be- Führung durch ein überstruktu- bewahrheiten wird, die Arbeitgeber rufsberater, der die Telefonnummer riertes Kontrollsystem ersetzt, in würden ihre Verantwortung wahr- des Personalverantwortlichen eines dem der hinterste und letzte Ablauf nehmen. Ich bin in dieser Hinsicht grossen Zuger Unternehmens nicht bis in jedes Detail reglementiert ist. nicht allzu optimistisch, obwohl kennt, beschreiben recht gut das Problematisch ist aber vor allem, die Unterstützung, die die IV einem Malaise, in dem die IV steckt: Viele dass die 5. IV-Revision geprägt ist Arbeitgeber gewähren kann, durch- Probleme sind struktureller Natur. von einem tiefgreifenden Misstrau- aus ihre Wirkung haben kann. Die Firmen haben Arbeitsplätze für en gegenüber jeder Antragstelle- IV kann beispielsweise für die An- Menschen, die nicht 100 oder 150% rIn. Das neue Gesetz atmet deshalb passung eines Arbeitsplatzes auf- leistungsfähig sind, einfach wegra- buchstäblich Zwang und Misstrau- kommen oder kann dem Arbeitgeber tionalisiert. Die Entwicklung in den en – beides schlechte Vorausset- finanzielle Beiträge für Integrati- letzten Jahren ist ganz klar: Die Ge- zungen für die Eingliederung. onsmassnahmen oder so genannte winne wurden privatisiert, die Ko- Einarbeitungszuschüsse gewähren, sten sozialisiert. Daneben sind für BULLETIN: In der Schweiz zeigt wenn Mitarbeitende in der An- das Malaise der IV auch IV-interne sich ein Trend weg vom produzie- fangsphase nur eine reduzierte Lei- Gründe verantwortlich. Auch vor renden Betrieb, hin zum Dienst- tung erbringen. Zudem glaube ich der 5. IV-Revision hat das Gesetz leistungsunternehmen. Ist die IV auch, dass Eingliederung ein Stück den IV-Stellen nicht verboten, die vorbereitet, diesen Dienstleistungs- weit eine Frage der Kultur ist und Leute schneller einzugliedern und unternehmen auch aufzuzeigen, man durch geeignete Massnahmen ihnen tatkräftiger bei der Suche wie und wo Arbeitsplätze für nicht eine bessere Eingliederungskultur nach geeigneter Arbeit zu helfen. voll arbeitsfähige Mitmenschen bewirken kann. Bisher hat aber jede IV-Stelle ein eingerichtet werden könnten? BULLETIN: Herzlichen Dank für bisschen «vor sich hin gewerkelt», J. B. Huber: Das weiss ich nicht. Ich das interessante Gespräch. ■ BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Nationalrat Big Brother bei der Bahn Josef Lang, Nationalrat Alternative Kanton Zug | Bild istockphoto.com Im Rahmen der Bahnreform hat der Nationalrat die Aufbewahrung von Vi- 15 deoaufnahmen verlängert und deren Verschlüsselung abgelehnt. Dazu nach- folgend die Nationalratsrede von Josef Lang zugunsten des Datenschutzes. Als liberale Bürgerrechtspartei ha- zu sein! Zu einem griffigen Daten- ben die Grünen vor dem Big-Brot- schutz gehört der Einsatz von Tech- her-Gespenst grossen Respekt. Und nologien, welche die Privatsphäre wir bedenken jederzeit, was Benja- schützen. min Franklin vor 250 Jahren gesagt hat: «Wer Sicherheit auf Kosten der Vorbild ZVB Freiheit bewahren will, verliert zu- Heute gibt es Chiffrierungstechno- letzt beides.» In seinem vom Bun- logien, mit denen dafür gesorgt ist, desrat Ende September 2007 ab- dass keine Unberechtigten Zugang gesegneten Bericht hielt das EJPD zu den Videoaufnahmen erhalten. fest: «Die Erhebung, Aufbewahrung Diese Technologie ist nicht einmal und Bearbeitung von Daten aus Vi- teuer. Der bereits zitierte EJPD-Be- deoüberwachungen greifen in die richt schreibt dazu im Zusammen- Grundrechte ein. Je nach Aufbe- hang mit Busunternehmen: «Bei wahrungsdauer und Erkennbar- grösseren Betrieben erfolgt vor keit der Personen kann es sich um der Speicherung eine Verschlüs- Big Brother im Vormarsch. schwere Eingriffe handeln.» Der selung.» Als Beispiele angeführt gleiche Bericht zeigt auf, wie mas- werden die Zugerland Verkehrs- siv die Videoüberwachung in den betriebe, die Verkehrsbetriebe Zü- Stasi-Syndrom nächsten Jahren allein im Bahn- rich und die Matterhorn-Gotthard- Nun zur hochsensiblen Frage der bereich zunehmen wird. Je grösser Bahn. Was der ZVB und den VBZ Aufbewahrungsdauer: Die Auswei- die Big-Brother-Gefahr erscheint, recht ist, sollte der viel grösseren tung von einem Tag auf hundert Tage desto griffiger hat der Datenschutz SBB billig sein. ist völlig übertrieben. Nirgendwo sonst gilt eine so lange Frist. Zum Vergleich: Die Kantone Solothurn Privatpolizeistaat ersten zwei Beschlüsse verletzen und Waadt kennen eine Frist von 96 Im Rahmen der Bahnreform hat rechtsstaatliche Grundsätze, der Stunden. Bei den österreichischen der Nationalrat in einem ersten dritte Beschluss gefährdet die Bahnen sind es 48 Stunden. Wenn Schritt die Bahnpolizei priva- Freiheitsrechte. Das Institut für wir die 100-fache Verlängerung der tisiert. Damit wird gegen den öffentliches Recht der Univer- Aufbewahrungsdauer multiplizie- Grundsatz, dass Sicherheit im sität Bern hat unter der Leitung ren mit der Verhundertfachung der öffentlichen Raum in öffentliche von Professor Walter Kälin dazu Videoaufnahmen in den nächsten Hände gehört, verstossen. In Folgendes festgehalten: «Beson- Jahren, dann führt das zu einem einem zweiten Schritt hat die bür- ders problematisch erscheint die Datenberg, der nicht nur den Daten- gerliche Mehrheit die Bewaffnung Übertragung solcher Aufgaben schutz, sondern auch die Datenver- dieser Privatpolizisten beschlos- auf Private, wenn bei der Auf- arbeitung erdrückt. sen und damit das staatliche gabenerfüllung Ermessensent- Ohne Diktatur und Demokratie Gewaltmonopol aufgeweicht. Und scheide getroffen werden müssen gleichsetzen zu wollen, erinnere ich in einem dritten Schritt wurde und/oder wenn kein vorgängiger Sie an das Stasi-Syndrom mit sei- der Privatpolizei die Kompetenz Rechtsschutz möglich ist.» nem unbezwingbaren Daten-Mas- erteilt, Leute zu verhaften und Bemerkenswert ist, dass diese siv. Dann sind wir an jenem Punkt, einzusperren. liberalen Grundsätze wie auch der vor dem uns Benjamin Franklin Die unter anderem vom Poli- Datenschutz nur von den beiden gewarnt hat: Wir verlieren beides, zeibeamtenverband bekämpfte linken Fraktionen vertreten und die Freiheit und die Sicherheit! Die Privatisierung und Ermächti- von den sogenannten Liberalen, von der grünen Kommissionsmin- gung der Privatpolizei ist in blauer, grüner und oranger Farbe, derheit vorgeschlagene Vervierfa- höchstem Masse antiliberal. Die verraten wurden. chung der Aufbewahrungsdauer reicht völlig. ■ BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
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