BULLETIN - die Grünen Zug

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ALTERNATIVE KANTON ZUG

 BULLETIN                                         NUMMER 1 | März 2008

* 4 Bildung & Geschlecht – Gender, das bekannte Unbekannte *
* 6 Regierungsrat – UNO-Konferenz zum Altern *
* 8 Kantonsrat – Es flackert und leuchtet über der Grossstadt *
* 12 IV-Revision – Abwehren statt integrieren *
* 16 Stadt Zug – Ortsplanung: Wachstum ohne Ende? *
Titelbild: http://visibleearth.nasa.gov

    Inhaltsverzeichnis

2   3   Editorial
        Warum hohe Energiepreise ein                                             Werbung fürs Bulletin
        Segen sind                                                               NeuabonnentInnen gewinnen!
    4   Bildung und Geschlecht                                                   Interessieren sich Ihre Kolleginnen und
        Gender – das bekannte                                                    Kollegen, Freundinnen und Freunde für
        Unbekannte                                                               Politik, für Zug, für eine gerechte Welt?
                                                                                 Dann ist das BULLETIN die passende
    6   Regierungsrat                                                            Zeitschrift!
        UNO-Konferenz zum Altern                                                 Für jedes bezahlte Neuabo laden wir Sie
                                                                                 zu einem Nachtessen in die alternative
    8   Kantonsrat                                                               Monatsbar ein.
        Es flackert und leuchtet über
        der Grossstadt                                                           Auf bald!
                                                                                 Die HerausgeberInnen des BULLETINs.
    9   Meinung
        Die «letzte Chance» für                                                  Schicken Sie die Adresse fürs Abo bitte
        den Freisinn                                                             an: bulletin@ch.inter.net

    10 Nationalrat
       Swisscoy-Einsatz ist illegal

    12 IV-Revision
       Abwehren statt Integrieren

    15 Nationalrat
       Big Brother bei der Bahn

    16 Stadt Zug
       Die städtische Ortsplanung:
       Wachstum ohne Ende?

    18 Abstimmung Eisstadion
       Niederlage in der Verlängerung
                                              «Mission statement»                    • Gleichwertigkeit von Geschlecht
    20 Finanzplatz Zug                        Das BULLETIN des alternativen          und Rasse
       Der tiefe Fall                         Zug wird von folgenden Gruppen         •Verantwortung des Einzelnen ge-
       des Bertrand Chollet                   getragen: Alternative Kanton Zug,      genüber der Gesellschaft und Ver-
                                              Alternative Stadt Zug, Alternative     antwortung der Gesellschaft gegen-
    22 Agrotreibstoffe                        Baar, Kritisches Forum Alternati-      über dem/der Einzelnen
       Ein Boom mit Schattenseiten            ve Cham, Frische Brise Alternative
       (Teil 2)                               Steinhausen, Gleis 3 Risch-Rot-        Die Redaktion recherchiert zu poli-
                                              kreuz, Freie Wähler Menzingen,         tischen und gesellschaftlichen The-
    23 Nachhaltige Ökonomie                   Forum Oberägeri.                       men nach bestem Wissen und Ge-
       Zuerst das Fressen und                                                        wissen. Sie nimmt aktuelle Themen
       dann die Moral                         Das BULLETIN setzt sich mittels        der alternativen Gruppierungen aus
                                              seiner Publikationen ein für die       den einzelnen Zuger Gemeinden
    24 Serviceteil                            Förderung und den Erhalt von Le-       auf. Das BULLETIN fördert das poli-
       Buch                                   bensqualität im Sinne von:             tische Bewusstsein der Bevölkerung
       Frontal                                • Soziale Gerechtigkeit, Schutz von    und trägt zur Meinungsbildung bei.
       Kino                                   sozial Benachteiligten
       Veranstaltungen                        • Ökologische Nachhaltigkeit, Schutz   Redaktion und Herausgeberverein
       Adressen                               von Lebensräumen und Umwelt            «Das Bulletin»
       Impressum

    BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Editorial

Warum hohe Energiepreise ein Segen sind

Andreas Hürlimann, Kantonsrat Alternative Kanton Zug

Früher redeten alle vom Wetter. Jetzt reden plötzlich alle vom Klima.                                                   3
Vom Klimawandel. Sogar US-Präsident George W. Bush, nicht gerade als
Vordenker der Mächtigen dieser Welt bekannt, tut es. Aber reden hilft nicht
mehr. Es muss auch wirklich etwas geschehen!

Um wirksam gegen die Misere            Die aktuelle Kampagne von Eco-
bei Klima und Energieversorgung        nomiesuisse betreibt hier jedoch
vorzugehen, sind die Preise für        Augenwischerei: Es wird behauptet,
nichterneuerbare Energie noch          dass die Schweizer Wirtschaft
immer viel zu tief. Will man diese     bereits heute zu den effizientesten
erhöhen, stösst man bereits auf        und klimafreundlichsten gehöre.
ein zusätzliches Problem: die weit     Zahlen über den jährlichen Schwei-
verbreitete Angst, dass hohe Ener-     zer CO2-Ausstoss zeugen aber von
giepreise unserer Konjunktur und       einer ganz anderen Realität. Die
Energieversorgung schaden. Dabei       Schweiz gehört nach wie vor zu den
hat zum Beispiel der hohe Ölpreis      Ländern mit dem höchsten Pro-
viele positive Folgen für unsere       Kopf-Ausstoss weltweit. In unserem        Andreas Hürlimann, Kantonsrat der
Gesellschaft.                          Land werden immer stärkere und            Alternative Kanton Zug.
                                       schwerere und somit klimaschäd-
Ein hoher Ölpreis bewirkt weit mehr    lichere Neuwagen gekauft. Dieser
als es gute Worte oder dramatische     europaweit einmalige Trend zeigt
Filmbilder vermögen. Denn stei-        klar auf, dass der Preis für nicht-
gende Preise waren schon immer         erneuerbare Treibstoffe in der
ein kraftvoller Motor für nachhal-     Schweiz noch viel zu gering ist.
tige Verhaltensänderungen. Sie
betreffen auch jene, die weder in      Doch wohin steuert die Schweizer
der Wirklichkeit noch in den Medi-     oder Zuger Politik? Nach wie vor
en sehen wollen, wie knapp gewisse     wird des Langen und Breiten vom
Rohstoffe und wie wichtig neue         Märchen der Eigenverantwortung
Alternativen geworden sind.            gesprochen. Dabei zeigt gerade
                                       die Entwicklung des Ölpreises,            bisher als Energiequellen nur wenig
Für Haushalte wird es bei hohen        dass es keinen vernünftigen Grund         bis überhaupt nicht genutzt. Es gibt
Energiepreisen automatisch und         gibt, sich weiter gegen eine höhere       nichts, was kluge Köpfe nicht zu
ohne neue Subventionen finanziell      Besteuerung von nicht erneuer-            neuen und Rohstoff sparenden und
attraktiv, Energie zu sparen, Hei-     baren Ressourcen zu stemmen.              ersetzenden Erfindungen inspiriert.
zungen zu erneuern oder auszutau-      Dies könnte zum Beispiel auf              Es gibt nichts, was grundsätzlich
schen, Fenster besser abzudichten,     nationaler Ebene durch eine gut           dagegen spricht, neue Ideen rasch
Außenwände zu dämmen und               ausgebaute Lenkungsabgabe auf             und innovativ umzusetzen. Und es
Wohnungen nicht mehr als nötig         alle nichterneuerbaren Energien           gibt nichts, was künftigen Genera-
zu heizen. Nun rechnet es sich         geschehen oder im Kanton Zug              tionen besser hilft, immer wieder
von alleine, Energiesparlampen         mit einer umweltfreundlichen und          auftretende Knappheiten rasch zu
einzuschrauben, weniger heiss zu       anreizorientierten Motorfahrzeug-         überwinden, als steigende Rohstoff-
waschen sowie sparsamer Auto zu        steuer. Diese Massnahmen würden           preise heute.
fahren oder gleich ganz auf öffent-    unsere Gesellschaft gezielt in die        Auch wir Alternativen sollten den
liche Verkehrsmittel umzusteigen.      gewünschte, sprich: umweltverträg-        Mut haben, auf diese Marktkräfte
Aber auch bei Unternehmen hat          lichere Richtung lenken.                  zu vertrauen. Verabschieden wir
der steigende Ölpreis schon dazu                                                 uns von kleinen verzettelten Akti-
geführt, dass endlich nicht nur über   Der Mensch kann Raumkapseln               onen zu Gunsten unserer Umwelt
Energiesparen geredet, sondern         zum Mars schicken, aber die un-           und wagen wir den Schritt in eine
täglich auch entsprechend gehan-       endlichen Möglichkeiten von Sonne         anreiz­orientierte, nachhaltige Um-
delt wird.                             oder Wind hier auf der Erde werden        welt- und Energiepolitik! ■

                                                                             BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Bildung und Geschlecht

    Gender - das bekannte Unbekannte

    Marianne Aepli, Primarlehrperson*, Menzingen | Bild Marianne Aepli

4   Mädchenwelten und Jungenwelten unterscheiden sich. Als ein Ort täglicher        weise Herkunft, familiäres Umfeld
    Sozialisation hat die Schule Einfluss auf die Identitätsbildung von Kindern,    und auch das Geschlecht wichtige
    daher kommt sie um die Geschlechterfrage nicht herum.                           Komponenten sind, haben Bil-
                                                                                    dungsinstitutionen spätestens seit
                                                                                    den feministischen Diskussionen
    Es macht einen Unterschied, ob          Merkmalen, Normierungen, mit            ab Mitte des letzten Jahrhunderts
    Leon oder Leonie spielt. Und die        im Laufe der Zeit sich verschie-        verstanden und mit verschiedenen
    erste Schulklasse ist für Ramona        benden Konturen und regionalen          Massnahmen darauf reagiert. Nebst
    und für Ramon eine je andere erste      Geschmacksnoten heisst in der           der Koedukation ist heute im schu-
    Klasse. Mädchenwelten und Jun-          englischen Sprache «Gender», das        lischen Alltag insbesondere die
    genwelten sind reale Welten und sie     soziale Geschlecht. Ein Begriff, der    Frage von themenbezogener Buben-
    unterscheiden sich. Was in den letz-    sich im EU-Raum bereits durchge-        und Mädchenarbeit aktuell.
    ten Jahren im Kanton Zürich Dis-        setzt hat und auch in der Schweiz       Dabei bewegt sich die Schule in
    kussionen auslöste, die steigende       immer häufiger als Fachbegriff ge-      einem Spannungsfeld: Zum ei-
    Zahl der Maturandinnen, ist auch        nutzt wird. Der Prozess der Mann-       nen existieren Ungleichheitsver-
    im Kanton Zug eine Realität. Seit       werdung oder die Definition des         hältnisse aufgrund bestehender
    Jahren machen mehr Schülerinnen         Frauseins ist nicht einfache. Wie       Geschlechterdifferenzen, die auf-
    als Schüler die Matura. Dieser Um-      der Liedermacher Grönemeyer bis         gezeigt und abgebaut werden müs-
    stand gefährdet die Bildungswelt        heute fragt: «Wann ist ein Mann ein     sen, zum andern soll in der Schule
    sicherlich nicht, trotzdem soll nach    Mann?» Was Mannsein und Frau-           sowohl der Versuch gemacht wer-
    Ursachen gesucht werden. Dabei          sein heute heissen und beinhalten       den, normierende Geschlechts-
    wird die Schullaufbahn von Jungen       kann, ist ein grosses Forschungsge-     identitäten in Frage zu stellen, wie
    und Mädchen nach Geschlechtern          biet (gender studies).                  auch auf wirksame Geschlechter-
    beleuchtet, Unterschiede zeigen         Um Geschlechterfragen kommt die         unterschiede sensibel zu regieren.
    sich.                                   Schule nicht herum. Die Volksschu-      Das heisst im Klartext als erstes
    2008, im hundertsten Geburtsjahr        le hat den gesetzlichen Auftrag, die    akzeptieren, dass Jungen- und Mäd-
    der französischen Philosophin Si-       Gleichstellung der Geschlechter         chenwelten existieren und dass
    mone de Beauvoir darf ihr kompri-       umzusetzen, eine geschlechter-          sie unterschiedlich sind. Es heisst
    miertes geistiges Vermächtnis er-       gerechte Schule zu sein (gender         Unterschiede kennen lernen, hin-
    wähnt werden: «Ich werde nicht als      equality). Dem ist die Schule in den    terfragen, sie in der pädagogischen
    Frau geboren, ich werde zur Frau        letzten Jahrzehnten unter anderem       Arbeit auch berücksichtigen, ohne
    gemacht.» Dem gilt richtigerwei-        mit dem System des koedukativen         dabei Normierungen zu schaffen.
    se auch hinzuzufügen: «Ich werde        Unterrichts begegnet, wo Mädchen        Es heisst unterschiedliche Welten
    nicht als Mann geboren, ich werde       und Jungen in allen Fächern ge-         verbinden, wo es möglich und not-
    zum Mann gemacht.»                      meinsam unterrichtet werden. So         wendig ist, Klischees und Stereo-
                                            wurde formal für Mädchen wie für        typen abbauen. Es heisst Kindern
    Das Eingemachte der Gesellschaft        Jungen der gleiche Zugang zur Bil-      eine Welt mit Gestaltungsfreiheiten
    Dieses Gemachte, dieses kultu-          dung geschaffen. Das alleine macht      in Bezug auf Geschlechterrollen
    rell hergestellte Geschlecht mit        eine geschlechtergerechte Bildung       aufzeigen. Es soll also gezielt auf
                                            nicht aus, was sich nach 20 Jahren      die soziale Spezies der Mädchen
                                            Koedukation auch darin zeigt, dass      und Buben eingegangen werden,
                                            die Berufswahl nach wie vor stark       ohne dabei zusätzliche Gräben zu
     *Dieser Artikel ist der erste          geschlechtsspezifisch geprägt ist.      ziehen: Was ist erlaubt, was ist un-
     Beitrag einer Themenreihe zu           Gesellschaftliche Rollenbilder sind     erlaubt, was ist möglich, was ist
     «Bildung und Geschlecht».              in der Entwicklung junger Men-          unmöglich? Was sind unsere un-
     Die Autorin Marianne Aepli,            schen oftmals wirksamer als indivi-     geschriebenen Gesetze? Was brin-
     Master of cultural&gender              duelle Fähigkeiten und Eignungen.       gen sie für Vor- und Nachteile, in
     studies, arbeitet als Primarleh-                                               der Gemeinschaft, der Familie, der
     rerin in Menzingen sowie in            Lernort Schule ist identitätsbildend    Schulklasse? Ramon darf einen rosa
     der Aus- und Weiterbildung von         Als ein Ort täglicher Sozialisation     Pullover anziehen, Ramona auch.
     Primarlehrpersonen in Zug und          hat die Schule Einfluss auf die Iden-   Ramon setzt sich damit in seiner
     Luzern.                                titätsbildung von Kindern. Dass bei     Jungenwelt stark aus und verzich-
                                            dieser Identitätsbildung beispiels-     tet vielleicht lieber drauf. Das ist in

    BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
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Geschlechtergerechte Schule ist auch eine Gleichgewichtsübung.

Ordnung. Oder er besteht darauf,       durch die Naturwissenschaften          Standards werden regelmässig im
dass er die Farbe Rosa mag. Das ist    ziehen, wird klar, dass die sozialen   Rahmen einer Qualitätssicherung
auch in Ordnung und mutig. Sind        Einflüsse für die Definition von Ge-   überprüft. Im Kanton Zug ist nichts
rosa Pullover gefährlich? Übrigens     schlecht mit seinen Eigenschaften      dergleichen definiert.
tragen erwachsene Männer mit An-       und Zuschreibungen entscheidend        Doch wo Standards definiert sind,
zügen öfters rosa Hemden, die dür-     sind. Je nach Kultur, Religion und     steigt das Bewusstsein und auch
fen das auch.                          Zeit definiert eine Gesellschaft       der    Druck,    Genderkompetenz
                                       «weiblich» und «männlich» sehr         in der Schule als pädagogisches
Schlechtes Einparken ist lernbar       unterschiedlich. Die Schule bleibt     Grundwissen zu verstehen. Die
Gerne werden in dieser Diskussion      also als Definitionsort von «Mäd-      Pädagogische Hochschule Zürich
biologische Unterschiede als weg-      chen- und Jungensachen» in ihrer       verfügt über eine eigene Kom-
weisend für soziale Entwicklung und    Verantwortung.                         mission zur Gleichstellung. Diese
als Begründung für geschlechtsty-                                             zeigte sich jüngst verantwortlich
pisches Verhalten aufgeführt. Nach     Politik als Auftraggeberin             für die Herausgabe der Zeitschrift
allen wissenschaftlichen Untersu-      Eine Bestandesaufnahme zur Gen-        «ph akzente» mit dem Schwer-
chungen, inklusive den Erkennt-        derthematik an den Schweizer           punktthema      «Genderkompetenz
nissen aus der Neurobiologie darf      Volksschulen aus dem Blickwinkel       und Schule». Im Zürcher Lehrmit-
das Stereotyp vom «schlechten Ein-     der Bildungspolitik zeigt auf, dass    telverlag wird in diesem Frühjahr
parken» aber getrost vernachlässigt    jene Kantone den gesetzlichen Auf-     ein Lehrmittel mit Unterrichtsvor-
werden. Zu gross ist die Bandbreite    trag einer geschlechtergerechten       schlägen zur Gleichwertigkeit von
der Unterschiede in den je eigenen     Schule am besten umsetzen, die         Jungen und Mädchen erscheinen.
Geschlechtergruppen, was Muskel-       in Bildungsfragen auch von einem       In der Ausbildung zur Lehrperson
kraft, Hormone oder Vernetzung         Gleichstellungsbüro     unterstützt    wird im Kanton Zürich Genderpä-
der Hirnhälften anbelangt. So sind     werden. Der Regierungsrat des Kan-     dagogik und -didaktik unterrich-
biologische Unterschiede vorhan-       tons Zürich hat im Jahr 2002 zehn      tet, in Zug bis anhin nicht. Die
den und Kenntnisse von Hormon-         «Qualitätsstandards zur gleich-        Pädagogische Hochschule Luzern
ausschüttungen auch im Bildungs-       wertigen Förderung von Mädchen         schafft eben eine 30%-Stelle für
bereich hilfreich, allerdings sind     und Knaben» verabschiedet. Darin       eine    Gleichstellungsbeauftragte,
an diesen Unterschieden unsere         werden Lerninhalte, Unterricht,        von dieser Arbeit kann möglicher-
gesellschaftlichen Geschlechterun-     Schulentwicklung und Schulper-         weise die pädagogische Hochschu-
terschiede nicht festzumachen. Aus     spektiven, Aus- und Weiterbildung      le Zentralschweiz, also auch die
den Genderstudien, die sich auch       von Lehrpersonen aufgeführt. Die       PHZ Zug profitieren. ■

                                                                          BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Regierungsrat

    UNO-Konferenz zum Altern

    Manuela Weichelt-Picard, Regierungsrätin Zug
    Bild El Mundo / La Crónica de León, Ausgabe vom 8.11.2007

6   Vom 6. bis 8. November 2007 trafen sich die Ministerinnen und Minister der     über die Bandbreite, Merkmale,
    europäischen und nord-amerikanischen Staaten unter der Schirmherrschaft        Ausprägungen und Erfolgsbedin-
    der UNO-Wirtschaftskommission für Europa ECE in León/Spanien zur Frage         gungen neuerer gemeinschaftlicher
    des Alterns. Neben Themen des Älterwerdens wurden die Fortschritte bei         Wohnformen zu gewinnen. Aus den
    der Umsetzung des Aktionsplans von Madrid gemäss regionalem Umset-             drei Modellen
    zungsplan debattiert. Schlussendlich wurde eine politische Erklärung mit       • selbstverwaltete Hausgemeinschaf-
    23 Punkten verabschiedet.                                                      ten
                                                                                   • kombinierte Wohn- und Betreu-
                                                                                   ungsangebote und kommunale Al-
    Der Bundesrat hat beschlossen, sich    Entwicklung erst später ausgesetzt      ters- und Pflegeeinrichtungen
    an dieser Ministerkonferenz durch      sein werden. Wie ein roter Faden        • private Seniorenresidenzen
    Manuela Weichelt-Picard, Regie-        zogen sich zwei Forderungen durch       sollen ausgewählte Projekte mit
    rungsrätin des Kantons Zug und         die vielen Referate: «Lebenslanges      Innovationscharakter     aus   der
    Vertreterin der Sozialdirektorinnen    Lernen hört auch im Alter nicht         Schweiz und aus Deutschland eva-
    und -direktorenkonferenz (SODK)        auf» sowie «ältere Menschen haben       luiert werden. Inzwischen liegen
    vertreten zu lassen, und wählte eine   ein Anrecht auf ein unabhängiges        die Ergebnisse vor und werden der
    Delegation aus dem Bundesamt für       Leben mit Menschenwürde».               Öffentlichkeit im Rahmen einer
    Sozialversicherung, Bundesamt für      Am letzten Tag fanden die Diskus-       Ausstellung und einer Publikation
    Statistik und Schweizerischen Seni-    sionen auf Ministerebene statt. Da-     zugänglich gemacht (vgl. Kasten).
    orenrat, die zudem von einem Mitar-    bei nahm die Schreibende am Panel       Die Planung und Bereitstellung von
    beiter der SODK begleitet wurde. Die   zum Thema «Eine Gesellschaft für        adäquaten Wohnformen für ältere
    Konferenz bildete die Fortsetzung      alle Altersgruppen» teil. Sie betonte   Menschen ist das eine. Die demo-
    der zweiten UNO-Weltversammlung        sowohl die individuelle als auch        graphische Entwicklung hat jedoch
    zur Frage des Alters, die im April     die gesellschaftliche Dimension der     auch Einfluss auf den öffentlichen
    2002 in Madrid stattfand.              Alterung und wies unter anderem         Verkehr, die Erholungsräume und
                                           auf folgende Gegebenheiten in der       die Dienstleistungsbetriebe (Re-
    Demographische Alterung                Schweiz hin: 51 Prozent der freiwil-    staurants, Einkaufsmöglichkeiten
    Es nahmen 46 Staaten an der Kon-       lig Tätigen sind 65 Jahre oder älter    usw.). Bei der Planung und Reali-
    ferenz in León teil. Die Schweiz       und 2,6 Prozent dieser Altersgruppe     sierung ist der Erreichbarkeit für
    wurde während der dreitägigen          sind noch erwerbstätig. Weichelt-       ältere Menschen besondere Beach-
    Konferenz flankiert von Schwe-         Picard betonte, dass es eine persön-    tung zu schenken.
    den und Tayikistan. Während der        liche Wahl sein soll. Niemand soll
    ersten zwei Tage standen verschie-     gezwungen werden, über das Pensi-       Alter und Migration
    dene Round-Table-Gespräche mit         onierungsalter hinaus erwerbstätig      Als weiteres Thema brachte die
    Vertreterinnen und Vertretern von      sein zu müssen. Würde die Arbeit        Schweizer Vertreterin die spezi-
    NGO's, der Wissenschaft sowie          der Freiwilligen wegfallen, müssten     elle Situation der Schweiz als Mi-
    weiteren Fachpersonen auf dem          vermutlich zahlreiche Kantone und       grationsland zur Sprache. Die Mi-
    Programm. Der demographische           Gemeinden ihre Rechnungen mit           grierenden kommen vor allem aus
    Alterungsprozess wird sich nicht       roten Zahlen präsentieren. Es ist       Deutschland, Portugal, Frankreich,
    in allen Staaten der Region gleich     wichtig, dass die Freiwilligenarbeit    Italien und Serbien. Seit 1980 nimmt
    entwickeln. West- und Osteuropa        entsprechend honoriert und den          der Anteil der Migrantinnen und
    sowie Nordamerika sind bereits da-     Personen die nötige Wertschätzung       Migranten im Alter zwischen 50
    von betroffen, während die Transi-     entgegengebracht wird.                  und 79 Jahren ständig zu. Dies for-
    tionsländer aus Zentralasien dieser                                            dert die Alterspolitik der Schweiz
                                           Neue Wohnmodelle                        generell heraus und natürlich auch
                                           Als zweiten Aspekt erwähnte sie das     die Pflegenden in der Spitex, den
     Ausstellung «Ich wohne, bis ich       generationenübergreifende Wohnen        Alters- und Pflegeheimen.
     100 werde. Neues Wohnen 50+»          und im Speziellen das Projekt des       Schliesslich wies sie auch auf die
     Ort: EWZ-Unterwerk Selnau             ETH-Wohnforums in Zürich. Das           gesellschaftlichen Veränderungen
     Zeit: 5. April bis 20. April 2008     Forschungsprojekt beschäftigt sich      hin. In Zukunft werden die älteren
     http://www.neueswohnen-               mit «Neue Wohnmodelle für die           Menschen aufgrund der gesell-
     50plus.ch/                            zweite Lebenshälfte». Ziel des Pro-     schaftlichen Veränderungen, der
                                           jekts ist es, vertiefte Erkenntnisse    zunehmenden Mobilität und der

    BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
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Regierungsrätin Manuela Weichelt-Picard, Delegationsleiterin der Schweiz, zusammen mit dem spanischen Arbeits- und
Sozialminister Jesús Caldera.

sehr tiefen Geburtenrate immer we-      rung der persönlichen Autonomie        reller Höhepunkt in León war das
niger Unterstützung von ihren Fa-       zu vertiefen.                          Pedro-de-Escobar Konzert in der
milien erhalten. Dies wird für die      Am     gemeinsamen     Nachtessen      berühmten gotischen Kathedrale
Schweiz, die eine Gesellschaft für      der Minister ergab sich die Mög-       aus dem 13. Jahrhundert, die am
alle Altergruppen sein möchte, eine     lichkeit für einen Austausch zwi-      Jakobsweg nach Santiago de Com-
grosse Herausforderung.                 schen Schweden und der Schweiz.        postela situiert ist. ■
                                        Schweden erarbeitet zurzeit Krite-
Bilaterale Gespräche                    rien für die Erhaltung der Würde       Mehr Informationen zur Konferenz
Auf Einladung des spanischen Ar-        von älteren Menschen in den Pfle-      in León finden sich unter: http://
beits- und Sozialministers Jesús Cal-   geheimen. Eine Diskussion, die         www.bsv.admin.ch/themen/inter-
dera Sánchez bot sich der Schweiz       auch für die Schweiz interessant       nationales/aktuell/01710/index.
am Rande der Veranstaltung die          sein dürfte.                           html?lang=de
Möglichkeit, in einem persönlichen                                             Die im Text erwähnte Publikati-
Gespräch Themen wie die Situation       Kulturelle Höhepunkte                  on «Neues Wohnen in der zweiten
der älteren Menschen im Allgemei-       Der Tagungsort und die Unter-          Lebenshälfte» von Andreas Huber
nen, die Betreuung von betagten         kunft im Parador selbst waren für      (Hrsg.) wird herausgegeben vom
Personen, die Verlängerung des Er-      sich schon ein einmaliges Erleb-       ETH Wohnforum – CCSA und er-
werbslebens, die Vereinbarkeit von      nis – ein ehemaliges Kloster und       scheint im April 2008 im Birkhäu-
Familien- und Erwerbsleben, Mi-         eine Pilgerunterkunft aus dem 16.      sser Verlag. ISBN 978-3-7643-8633-7
gration und Altern sowie die Förde-     Jahrhundert. Ein weiterer kultu-       (dt.), Preis CHF 49.90

                                                                           BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Kantonsrat

    Es flackert und leuchtet
    über der Grossstadt

    Erwina Winiger, Kantonsrätin Alternative Kanton Zug | Bild visibleearth.nasa.gov

8   Im letzten Jahr zügelte ich vom
    Tal auf den Berg. Ich geniesse in
    Edlibach die herrliche Aussicht weit
    über das Zugerland hinaus. Auch
    abends bietet mein neuer Wohnort
    eine atemberaubende Sicht: Es glit-
    zert, strahlt und leuchtet über der
    Grossstadt Zug, und das Lichtspiel
    könnte einem eigentlich das Herz
    erfreuen, wenn da die Gedanken
    nicht weiterkreisen würden.

    Weiterkreisen zum Thema Lichtver-
    schmutzung und Lichtverschwen-
    dung. Unsere Gesellschaft beein-
    flusst die Nacht künstlich durch ein    Strahlendes Europa ertrunken im Lichtermeer.
    immenses Lichtermeer.
    Die Beeinflussung durch künst-
    liches Licht im Aussenraum wird         hende Vögel in die Irre. Die betrof-   knecht und ich im Kantonsrat eine
    verstärkt durch in die Atmosphäre       fenen Tiere bezahlen dies häufig       Interpellation eingereicht. Der An-
    gerichtetes oder abgestrahltes Licht,   mit ihrem Leben. Das Lichtermeer       stoss war wichtig – so ist etwa im
    das ungenutzt verpufft, sowie durch     der bewohnten Gebiete bewirkt          gleichzeitig erschienenen Energie-
    unnötige oder übermässige Beleuch-      zudem die permanente Aufhel-           leitbild des Regierungsrates zur
    tung von Strassen und Gebäuden.         lung des Nachthimmels, was zum         Thematik Lichtverschmutzung und
    Beides verschleisst Energie, verur-     weitgehenden Verschwinden des          –verschwendung nichts zu finden.
    sacht vermeidbare Kosten und ver-       sichtbaren Sternenhimmels führt        Dies ist umso erstaunlicher, haben
    ändert die nächtlichen Ökosysteme.      oder dessen Wahrnehmung stark          doch die Zentralschweizer Umwelt-
    Das Bewusstsein für die Existenz        beeinträchtigt. Das Verschmelzen       schutzdirektoren bereits im Jahre
    von Lichtverschmutzung und -ver-        der Nacht zum Tag hat auf den Men-     2006 einen Massnahmenkatalog zur
    schwendung im öffentlichen Raum         schen Auswirkungen. So beruht ein      Vermeidung von Lichtemissionen
    ist erst am Wachsen. Immerhin gibt      Teil unserer Hormonproduktion auf      verabschiedet. Nun hoffen wir, dass
    es in der Schweiz bereits einen nati-   dem tageszeitlichen Wechsel von        der Regierungsrat die Interpellation
    onal organisierten und international    hell und dunkel. Eine längere Stö-     als Impuls wahrnimmt und aktiv
    vernetzten Verein «Dark-Sky Swit-       rung dieses natürlichen Rhythmus       wird. Denn andere Gegenden sind es
    zerland», der wissenschaftliche Ta-     kann Krankheit und Schlafmangel        jedenfalls schon. So hat der Kanton
    gungen organisiert und Öffentlich-      zur Folge haben. Die Aussage «Licht    Tessin im letzten Jahr unter Mitwir-
    keitsarbeit zum Thema durchführt.       = Sicherheit» stimmt nur bedingt.      kung des erwähnten Vereins «Dark-
                                            Zu helle Lampen blenden: Das Auge      Sky Switzerland» Richtlinien zur
    Probleme erleuchteter Nächte            adaptiert sich an das helle Licht.     Vermeidung von Lichtemissionen
    In einem Wachstumskanton wie Zug        Durch die Adaptation wird der          erarbeitet. Die Stadt Luzern erarbei-
    wird in den kommenden Jahren die        Nebenraum schlechter erkennbar.        tet ein neues Beleuchtungskonzept,
    künstliche Beleuchtung zwangs-          Dies kann die Sicherheit im Stras-     einen sogenannten «Plan Lumière»,
    läufig weiter zunehmen. Die nega-       sen- und Luftverkehr vermindern.       der den Energieverbrauch um min-
    tiven Auswirkungen der in jüngster      Nicht benötigtes Licht verbraucht      destens 10 Prozent senken und die
    Zeit massiv zunehmenden Lichte-         unnötig viel Energie. Diese Energie    Lichtverschmutzung        reduzieren
    missionen sind ernst zu nehmen.         einzusparen ist ein leichtes Unter-    kann, trotzdem aber die Sehens-
    Fachleute weisen auf zahlreiche         fangen, da niemand auf etwas ver-      würdigkeiten besser beleuchtet und
    nachteilige Auswirkungen hin:           zichten muss.                          das Sicherheitsempfinden stärkt.
    Künstliche Beleuchtungen stören                                                Ich freue mich jedenfalls jetzt schon
    den Lebensraum nachtaktiver Tiere       Mehr sehen mit weniger Licht           darauf, dem Sternenhimmel über
    und irritieren Zugvögel. Lichtquel-     Damit das Thema auch im Kanton         dem Zugerland mehr Beachtung
    len und -glocken führen nachts zie-     Zug erhellt wird, haben Eric Frisch-   schenken zu können. ■

    BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Meinung

Die «letzte Chance» für den Freisinn

Grünspecht – ein kritischer Vogel

Die FDP hat in den letzten Jahrzehnten bei Wahlen meist verloren. Die FDP,                                             9
welche die moderne Schweiz geschaffen hat, hat ihre breite Verankerung
im Volk verloren. Derzeit präsentieren sich die Freisinnigen als Lobby für
die Superreichen und als Rechtspartei im Seitenwagen der SVP. Die Abwahl
von Christoph Blocher bietet der FDP die Chance, sich wieder eigenständig
und liberal zu positionieren.

Im Jahre 1972 veröffentlichte der      letzten Jahren am Abbruch der so-
Publizist Jürg Tobler eine kleine      lidarischen Schweiz als Gemein-
Broschüre mit dem Titel «Frei-         schaft gearbeitet. Mit dem einzigen
sinn ohne Gemeinsinn?» Er tat          Unterschied; die SVP konnte ihr
dies im Bewusstsein um die hi-         neoliberales Programm und die
storische Leistung des Freisinns,      Umverteilung von unten nach oben
der 1848 an die Macht kam und          mit dem Thema Ausländer und mit
in den folgenden Jahrzehnten die       viel Folklore-Gebimmel erfolgreich
Schweiz wirtschaftlich und poli-       kaschieren.
tisch prägte. Er tat dies aber auch    Und jetzt, im Frühling 2008 ? Mit         Der Autor «Grünspecht» ist
in der Befürchtung, dass sich der      neoliberaler Ideologie lässt sich         ein kritischer Vogel.
Schweizer Freisinn immer mehr          angesichts des UBS-Debakels kein
von seinen ursprünglichen Idealen      Parteiprofil gewinnen, und schon
als reformerische Kraft für die ge-    gar keine neuen Wählerinnen und
samte Bevölkerung entfernte.           Wähler. Im politischen Seitenwa-
Die Bruchstelle – und damit der        gen der SVP-Ausgrenzer geht jedes
Anfang des Niedergangs – lässt         liberale Profil verloren. Wer zudem
sich genau fixieren. Damals, als       die Empörung an den Abzocker-
die FDP erstmals mit dem Slogan        Millionen als reinen Neid abtut,
«Mehr Freiheit, weniger Staat» in      bemerkt nicht mehr, wo der über-
die Wahlen zog. Da verabschiedete      wiegenden Mehrheit in unserem             heit nicht mehr mit grenzenlosem
sie sich von der Verantwortung         Land der Schuh drückt. Jürg Tobler        Egoismus verwechselt? Ob sie den
für die Schweiz; sie wandelte sich     brachte es in seiner kleinen Schrift      Staat nicht weiter verteufelt? Ob
zum Sprachrohr der neoliberalen        schon vor Jahren auf den Punkt:           sie gemeinschaftliche Aufgaben
Ellbogengesellschaft; der Markt        «Die Freiheit der Habenichtse ist         auch in Zukunft den privaten Ab-
wurde zum neuen Götzen. Der            die elementarste Form der Unfrei-         zockern überlässt? Ob sie weiter-
Staat, die Gemeinschaft der freien     heit.»                                    hin Steuersenkungen zugunsten
Bürgerinnen und Bürger, wurde                                                    der Superreichen durchsetzt? Die
zum Gegner, der nur Kosten ver-        Quo vadis, FDP?                           Antworten auf diese Fragen wer-
ursacht und am besten möglichst        Im letzten Dezember haben CVP,            den matchentscheidend sein für
rasch und mit Gewinn privatisiert      SP und Grüne den Volkstribun und          die FDP als Volkspartei.
wird. Nur, diese arroganten Mana-      Multimillionär Blocher aus dem            Ein «Freisinn ohne Gemeinsinn»
ger mit dem FDP-Parteibuch und         Bundesrat gekippt. Und damit der          hat keine Perspektive: Er wird zur
ihren Millionengehältern konnten       FDP eine Steilvorlage geliefert. Es       Splitterpartei für ein paar wenige
es nicht besser. Im Gegenteil: Sie     ist ihre «letzte Chance» für einen        Auserwählte und ist damit kein
«groundeten» die Swissair und          eigenständigen politischen Kurs.          ernst zu nehmender Partner mehr
setzten in den letzten Monaten         Ein bisschen «Hop Sviz» (rätoro-          für die reformfreudige Linke bei
Milliarden in den amerikanischen       manisch) und die Fortsetzung der          der Gestaltung der Schweiz im
Hypothekensand.                        bisherigen Rechts-Politik, einfach        21. Jahrhundert. Als Folge wer-
                                       anständiger und mit Stil, reichen         den immer mehr Liberale dorthin
FDP als Seitenwagen der SVP            bei weitem nicht.                         abwandern, wo «Liberté, Egalité,
Politisch hat sich die FDP immer       Ob sich die FDP politisch aus der         Fraternité» gleichberechtigt gelebt
mehr der SVP angenähert; sie ist       Abhängigkeit von der SVP frei-            werden – wo individuelle Freiheit,
als Juniorpartner in den SVP-Sei-      schwimmen kann? Ob sie sich               sozialer Ausgleich und nachhal-
tenwagen gestiegen. Zusammen           aus der neoliberalen Ideologie lö-        tige Umweltpolitik zuhause sind.
mit der SVP hat die FDP in den         sen kann? Ob sie in Zukunft Frei-         Zu den Altenativen. ■

                                                                             BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Nationalrat

     Swisscoy-Einsatz ist illegal

     Josef Lang, Nationalrat Alternative Kanton Zug | Bild istockphoto.com

10   Am 5. März hat der Nationalrat den Swisscoy-Einsatz im Kosovo verlängert,       frühzeitig erkennen und angehen,
     obwohl dafür das UNO-Mandat fehlt. Nachfolgend Jo Langs Rede gegen die          bevor die Gewalt eskaliert. Obwohl
     Verlängerung des Armee-Einsatzes im Kosovo.                                     das Frühwarnprogramm zu einem
                                                                                     weltweit anerkannten Vorzeigepro-
                                                                                     jekt avancierte, hat das DEZA be-
     «Die Grünen empfehlen Ihnen, auf        mit von schweizerischem Hoheits-        schlossen, es auf Ende diesen Mo-
     die Verlängerung des Swisscoy-Ein-      gebiet hat die offizielle Schweiz die   nats zu schliessen. «Wissen Sie, wie
     satzes nicht einzutreten. Sollten Sie   Ausgrenzungspolitik sanktioniert.       viel diese 200 zivilen Frühwarner
     auf die Vorlage eintreten, schlagen     Und wenn sich jetzt daran etwas         die Schweiz gekostet haben? 30 mal
     wir Ihnen vor, den Verlängerungs-       ändert, ist das nicht das Verdienst     weniger als die 200 Swisscoy-Solda-
     entscheid zu suspendieren, bis es ein   von Militär-, sondern von Zivilper-     ten! Das zivile Engagement ist nicht
     gültiges UNO-Mandat gibt, so, wie       sonen.                                  nur viel nützlicher, es ist auch viel
     es das Militärgesetz vorschreibt», so                                           günstiger.»
     Jo Lang anlässlich seiner Rede vor      Abbau beim Zivilen
     dem Nationalrat.                        «Wie wir schon wiederholt ausge-        Fehlendes UNO-Mandat
                                             führt haben, soll die Schweiz der       «Dass die einseitige Unabhängig-
     Vertreibung der Roma                    Welt ihr Bestes, das zivile Friedens-   keit den Verlust des bisher gültigen
     Seit dem völkerrechtswidrigen Ko-       handwerk und nicht das militä-          UNO-Mandats zur Folge hat, das
     sovo-Krieg ist unter den Augen der      rische Kriegshandwerk zur Verfü-        war im letzten Sommer auch un-
     so genannten «Schutztruppen» der        gung stellen. Wer hier einwendet,       serem Verteidigungsminister klar.
     Kosovo praktisch «zigeunerfrei»         man solle beides tun, den möchte        Ich zitiere aus einem Tagesanzei-
     gesäubert worden. Von den 150‘000       ich auf einen kürzlichen Entscheid      ger-Artikel eines Journalisten, der
     Roma, die vor neun Jahren noch im       des Bundesrates aufmerksam ma-          Samuel Schmid auf seiner Kosovo-
     Kosovo lebten, wurden neun Zehn-        chen: Die Schweiz beschäftigt bis       Reise begleitete und der notabene
     tel vertrieben oder verdrängt. Ver-     zum Ende dieses Monats in 24 Län-       ein entschiedener Befürworter von
     mochten die Swisscoy eine einzige       dern (auch im Kosovo) 200 Personen      militärischen     Auslandeinsätzen
     Roma-Familie zu schützen? Ist es an-    in einem politischen Frühwarnpro-       ist: 'Kosovo erklärt sich einseitig
     gesichts dieser Tragödie nicht frag-    gramm», so Lang weiter.                 für unabhängig und wird von der
     würdig, das verbliebene Zehntel als     Diese Früh-Analyse von Span-            Schweiz anerkannt. Damit kann
     Argument für einen Truppeneinsatz       nungen und Tatsachen (abgekürzt:        sich die Schweiz nicht länger auf
     zu verwenden? Mit dem Ausschluss        FAST) macht das friedenspolitisch       die UNO-Resolution 1244 berufen,
     von Angehörigen der Minderheiten        Sinnvollste, was die Schweiz, was       da diese den Anspruch Serbiens
     aus ihrem Verbindungsbüro und da-       man überhaupt tun kann: Konflikte       auf Kosovo bejaht. Die gesetzliche

      Verbindungsbüro ohne                   sollten Serbinnen, Serben oder          der Ethnonationalisten, welche
      Minderheiten                           Roma eingestellt werden.                meinen, ein Gemeinwesen könne
                                             Bereits vor zweieinhalb Jahren          nur funktionieren, wenn alle
      Die Schweiz beschäftigt in ihrem       habe ich gegen die Nichtanstel-         Angehörigen dem gleichen Stamm
      Verbindungsbüro in Pristina, also      lung von Minderheiten Vorstösse         angehören.
      auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet,       gemacht. Damals wurde Besse-            Unter dem Druck meines er-
      keine Angehörige der Minder-           rung versprochen. Im Februar            neuten Protestes und aufgrund
      heiten. Wie soll sich die Schweiz      habe ich herausgefunden, dass           eines Antrages, den ich in der
      im Kosovo für eine multieth-           Roma und Serben weiterhin               Aussenpolitischen Kommission
      nische Gesellschaft einsetzen,         nicht beschäftigt werden. Der           durchbrachte, hat nun das Eidge-
      wenn sie dieses Anligen nicht ein-     zuständige «Head of Mission»            nössische Departement für Aus-
      mal im eigenen Büro umzusetzen         rechtfertigte diesen Skandal mit        wärtige Angelegenheiten verspro-
      wagt? Der wahre Grund für die          der Aussage, damit würde ein            chen, auch Serbinnen und Serben
      Ausgrenzung der Minderheiten           eingespieltes Team gestört und          einzustellen. Das ist ein Schritt in
      liegt im Umstand, dass die Ange-       ein reibungsloser Ablauf beein-         die richtige Richtung. Nun geht es
      hörigen der albanischen Mehrheit       trächtigt. Damit übernahm der           darum auch die Anstellung von
      drohen, die Stelle zu verlassen,       «Botschafter» die Argumentation         Roma durchzusetzen.

     BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Grundlage für den Einsatz ist nicht     Interesse hat, dass das Völkerrecht       UNO-Mandat eine Missachtung des       11
mehr vorhanden, die Swisscoy muss       ernst und genau genommen wird?            Völkerrechts und eine Marginalisie-
abziehen.' Weiter schrieb der Tages-    Auf jeden Fall bedeutet eine Verlän-      rung der UNO. Es bedeutet eine Un-
anzeiger: 'Er (Verteidigungsminister    gerung des Swisscoy-Einsatzes ohne        terordnung der Loyalität zur UNO
Schmid) geht davon aus, dass die        gültiges oder ohne sicher gültiges        unter die Loyalität zur Nato.» ■
Mehrheit der in Kosovo engagierten
Staaten auch ohne UNO-Mandat vor
Ort bliebe. Für den Fall eines Swis-
scoy-Abzugs rechnet Schmid zwar
mit dem Verständnis der Staaten-
gemeinschaft für die besondere Si-
tuation der neutralen Schweiz.' (TA
4.9.2007)

Völkerrecht missachtet
In anderen Worten: Bundesrat
Schmid war klar, dass die Schweiz
im Falle der Unabhängigkeit die
Swisscoys zurückziehen muss.
Selbst wer in Frage stellt, dass die
Verlängerung des Swisscoy-Ein-
satzes eindeutig rechtswidrig ist,
muss angesichts der unterschied-
lichsten Einschätzungen der Völker-
rechtler eingestehen, dass sie recht-
lich prekär ist. Ist aber gesetzliche
Klarheit nicht gerade beim Einsatz
von Gewaltmitteln besonders dring-
lich? Gilt das, was vor drei Monaten
vor der Bundesratsabwahl immer
wieder betont wurde, nicht mehr:
Dass die Schweiz ein besonderes

 Stellungnahme der JUSO

                                        Swisscoy-Einsatz ohne gültiges UNO-Mandat: eine Missachtung des Völkerrechts.

 Swisscoy-Verlängerung:                 Kosovo. Die KFOR-Truppen, denen           Die JUSO ist enttäuscht von der
                                        die Swisscoy angehören, konnten           SP. Während andere linke Natio-
 JUSO enttäuscht über                   oder wollten die Vertreibung von          nalrätInnen für das Völkerrecht
 den Entscheid                          Minderheiten nicht verhindern.            einstehen, hat heute die Mehrheit
                                        Der Einsatz der Swisscoy dient            der SP mit der Verlängerung des
 Die JUSO Schweiz ist enttäuscht
                                        nicht dem Frieden, sondern haupt-         Swisscoy-Einsatzes der Aushöh-
 über das Stimmverhalten der
                                        sächlich der Selbstprofilierungs-         lung des Völkerrechtes Vorschub
 SP-Fraktion heute Nachmittag im
                                        sucht der Armee. Seit 1999 werden         geleistet. Der Swisscoy-Einsatz ist
 Nationalrat.
                                        jährlich gegen 40 Millionen für die       heute nämlich illegal. Bis zur ein-
 Der Nationalrat verlängerte mit Hil-
                                        Spielübung der Armee im Ausland           seitigen Unabhängigkeitserklärung
 fe der SP-Fraktion den nutzlosen
                                        verschleudert – Geld, welches bei         Kosovos bildete Resolution 1244
 und illegalen Swisscoy-Einsatz im
                                        der zivilen Hilfe fehlt.                  die rechtliche Grundlage.

                                                                              BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
5. IV-Revision

     Abwehren statt Integrieren

     Das Interview wurde am 5. März von Hansjörg Glauser geführt | Bild Jean Baptiste Huber

12   Die 5. IV-Revision ist seit anfangs Jahr in Kraft. Wie sich die Revision auf      BULLETIN: Wie ist die Vorgehens-
     die betroffenen Personen auswirkt und wo die Missstände innerhalb der             weise der IV, um Arbeitsplätze zur
     IV liegen, beleuchtet das Interview im Gespräch mit Jean Baptiste Huber,          Integration von Patienten zu fin-
     Rechtsanwalt in Zug.                                                              den?
                                                                                       J. B. Huber: Die Devise der Invali-
                                                                                       denversicherung heisst ja seit jeher:
     BULLETIN: Seit dem ersten Janu-           einbart hat. In einem konkreten         «Eingliederung vor Rente.» Als ich
     ar ist die 5. IV-Revision in Kraft.       Fall habe ich zusammen mit einer        vor etwa 15 Jahren auf diesem Ge-
     Welches sind Ihre ersten Erfah-           privaten Case-Management-Firma          biet zu arbeiten begonnen habe, hat
     rungen, welche Reaktionen konn-           einen Arbeitgeber gefunden, der be-     die IV diesen Grundsatz noch viel
     ten Sie feststellen?                      reit ist, einen schwer verunfallten     ernster genommen als in den letz-
     J. B. Huber: Mit der neuen Rege-          technischen Fachmann mit Unter-         ten Jahren. Der Fokus hat sich – vor
     lung entsteht ein Rentenanspruch          stützung der Case Management-Fir-       allem seit Beginn der so genannten
     frühestens sechs Monate nach der          ma wieder einzuarbeiten. Obwohl         «Scheininvaliden»-Kampagne          –
     Anmeldung bei der Invalidenver-           die Case-Management-Firma – die         immer mehr von der realen Einglie-
     sicherung (IV). Bisher konnte man         im übrigen schon lange auf dem          derung wegbewegt, hin zur Abwehr
     bis zwei Jahre nach Beginn der            Markt ist – für ihre Dienstleistungen   angeblich unberechtigter Ansprü-
     Arbeitsunfähigkeit mit der Anmel-         marktgerechte Preise verlangt und       che. Zudem hat die IV angesichts
     dung zuwarten. Um keine Ansprü-           die IV-Berufsberaterin diese Ein-       der schwierigen Arbeitsmarktlage
     che zu verlieren, habe ich deshalb        gliederungsmassnahme ausdrück-          vor allem für einfachere Tätigkeiten
     vor Ende 2007 noch zahlreiche             lich unterstützt, hat die IV bis heu-   quasi «forfait» gegeben und sich
     KlientInnen bei der IV angemeldet.        te keine Kostengutsprache erteilt.      nicht mehr energisch auf die Suche
     Alle bekamen bereits Mitte Januar         Begründung: Die IV hat mit dieser       nach Stellen gemacht. Ich hoffe, das
     2008 eine Einladung von der IV-           Case-Management-Firma noch kei-         bessert jetzt mit der 5. IV-Revision.
     Stelle zu einem Erstgespräch, das         nen Rahmenvertrag abgeschlossen
     in den meisten Fällen noch im Ja-         und die vorgesehene Steigerung des      BULLETIN: Wie muss man sich
     nuar stattfand. Früher hatte man          Arbeitspensums folgt nicht dem          diese Entwicklung in den letzten
     nach einer Anmeldung erst nach            von der IV gewünschten Schema.          Jahre konkret vorstellen?
     Monaten etwas von der IV gehört           Die IV hätte gerne eine schnellere      J. B. Huber: Ich kann dies an einem
     (ausser der kurzen Bestätigung,           Steigerung.                             Beispiel erläutern: Ein Bauarbeiter
     dass die Anmeldung eingegangen                                                    kann wegen Rückenbeschwerden
     sei). Die IV hat also in Bezug auf die    BULLETIN: Weshalb hat denn die          nicht mehr auf dem Bau arbeiten.
     so genannte Früherfassung Ernst           IV mit dieser Firma noch keinen         Im medizinischen Gutachten heisst
     gemacht mit Ihrer Ankündigung,            Rahmenvertrag abgeschlossen?            es zur Arbeitsfähigkeit: «Die ange-
     dass nun alles viel schneller gehen       J. B. Huber: Das weiss ich in diesem    stammte Tätigkeit als Bauarbeiter
     soll.                                     Fall nicht genau. Aber die von der      ist nicht mehr zumutbar. In einer
                                               IV vorgeschlagenen Rahmenver-           leichten wechselbelastenden Tätig-
     BULLETIN: Und wie ist es dann             träge, die ich bisher gesehen habe,     keit ohne Heben und Tragen, mit der
     weitergegangen?                           sind sehr detailverliebt. Die ganzen    Möglichkeit, Pausen einzuschalten,
     J. B. Huber: Im Anschluss an diese        Interventions- und Integrations-        ist dem Exploranden eine 100%ige
     Erstgespräche ist nun noch nichts         mechanismen wurden unheimlich           Tätigkeit zumutbar.» Früher hätte
     weiter passiert. Ich nehme an, dass       formalisiert, was eine Integration      sich der IV-Berufsberater zusammen
     bei der IV noch eine gewisse Rat-         nicht fördert, da ein solcher Prozess   mit dem Betroffenen auf die Suche
     losigkeit herrscht, wie die (Wie-         am Besten mit Vertrauen und nicht       nach einer Stelle gemacht, beispiels-
     der-)eingliederungsmassnahmen             mit Formalismen unterstützt wird.       weise für leichte Montagearbeiten.
     erbracht werden sollen. Die IV ist        Für die Anbieter ist ein so straffes    In den letzten Jahren wurden die
     schon von der personellen Beset-          Korsett, das den Prozess bis in alle    Berufsberatung und die Arbeits-
     zung her nicht in der Lage, alle          Details vorschreibt, keine optimale     vermittlung in solchen Fällen aber
     Massnahmen selbst zu erbringen.           Ausgangslage, um auf ihre Patien-       nur noch rituell abgespult. Nach
     Sie arbeitet deshalb mit externen         tInnen individuell einzugehen. Ich      einigen Wochen kam ein Brief von
     Anbietern zusammen, aber offen-           bezweifle, dass diese überstruktu-      der Arbeitsvermittlung, die Suche
     bar nur mit solchen, mit denen sie        rierte Vorgehensweise zu guten Re-      sei erfolglos geblieben. Kurze Zeit
     bereits einen Rahmenvertrag ver-          sultaten führt.                         später kam die Rentenverfügung,

     BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
in der es hiess: «In der Tätigkeit als                                                                                      13
Bauarbeiter würden Sie heute ein
Einkommen von CHF 65'000 erzie-
len. In einer leichten wechselbela-
stenden Tätigkeit ohne Heben und
Tragen, mit der Möglichkeit, Pausen
einzuschalten, könnten Sie nach
der Lohnstrukturerhebung (LSE)
2006, Tabelle 1, Männer, Anforde-
rungsniveau 4 ein Einkommen von
CHF 4'732 x 12 = CHF 56'784, bezie-
hungsweise, hochgerechnet von 40
Stunden auf 41.7 Stunden, von CHF
59'197 erzielen.» Der Invaliditäts-
grad beträgt damit 9%, was keinen
Rentenanspruch begründet. Dass
der Bauarbeiter keine entsprechende
Stelle findet, spielt keine Rolle. Dies
weil die IV die Erwerbsfähigkeit
nach dem Gesetz im Hinblick auf
den so genannten «ausgeglichenen
Arbeitsmarkt» bestimmen muss.
Danach ist nur zu prüfen, ob es
für eine theoretisch mögliche Ein-
satzmöglichkeit auf einem fiktiven
Arbeitsmarkt ohne Arbeitslosigkeit
Stellen geben würde.

BULLETIN: War das denn früher
besser?
J. B. Huber: Noch vor einigen Jahren
hat die IV viel energischer versucht,     «Auf den Skates immer gut geschützt mit Helm - Jean-Baptiste Huber am
invalide Personen tatsächlich ein-        Sponosringevent der Alternativen im letzten Herbst.»
zugliedern. Bei der Invaliditätsbe-
messung wurde dann in der Regel
auf das tatsächlich erzielte Inva-        Man hat sich darauf beschränkt,          der Landis & Gyr, V-Zug AG, Dätt-
lideneinkommen abgestützt. Dies           das Personal stark auszubauen. Ver-      wiler Gummi und noch vielen wei-
war meist vorteilhafter, da die tat-      nachlässigt wurde aber das hartnä-       teren. Das nicht in erster Linie, weil
sächlich erzielten Invalidenein-          ckige Bearbeiten potentieller Ar-        er gerne gut isst, sondern um die
kommen tiefer lagen als theoretisch       beitgeber.                               Kontakte zu pflegen. Dank diesem
angenommene        Invalideneinkom-                                                guten Netzwerk konnte er viele IV-
men. Diese Entwicklung weg von            BULLETIN: Wie soll denn die IV           BezügerInnen platzieren. Er konnte
der realen Eingliederung ist teil-        die Arbeitgeber bearbeiten?              diese Firmen bei der Verantwortung
weise auf die Veränderungen auf           J. B. Huber: Vor vielen Jahren gab       packen und sie so lange bearbeiten,
dem Arbeitsmarkt zurückzufüh-             es einen einzigen Berufsberater,         bis sie bereit waren, einen Arbeits-
ren. In den letzten Jahren wurde          und zwar nicht nur für die IV-Stelle     platz zu stellen. Aber schon damals
es immer schwieriger, Stellen für         Zug, sondern für die Kantone Zug,        hat die IV nicht verstanden, wel-
gesundheitlich eingeschränkte Per-        Schwyz, Uri und Luzern, der zu           che Arbeit von diesem Berufsbera-
sonen zu finden. Allerdings habe          sämtlichen     Personalverantwort-       ter geleistet wurde. So wollte man
ich auch den Eindruck, dass die IV        lichen der Unternehmungen in der         ihm beispielsweise nie die Spesen
in den letzten Jahren ihren Einglie-      Gegend gute Kontakte pflegte. Er         vergüten, wenn er einen Personal-
derungsauftrag nicht mehr mit der         verabredete sich regelmässig zum         verantwortlichen zum Mittagessen
nötigen Hartnäckigkeit verfolgt hat.      Mittagessen mit den Personalchefs        eingeladen hatte.

                                                                              BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
14   BULLETIN: Und wie sind heute die
     Kontakte der IV zur Wirtschaft?
     J. B. Huber: Heute scheint das Netz-
     werk schlechter zu sein. Ich war vor
     ca. einem Jahr mit einem Klienten
     bei der IV-Stelle Zug und habe eine
     Stelle bei einem Zuger Unterneh-
     men vorgeschlagen. Der Berufsbe-
     rater meinte, das sei eine gute Idee,
     er werde diese prüfen. Ich bestand
     darauf, dass man gleich Nägel mit
     Köpfen machen würde, und schlug
     vor, dass der Berufsberater jetzt
     gleich den Personalverantwort-
     lichen dieser Firma anrufen wür-        «Die Revision wäre nicht so vordringlich gewesen, wenn in den IV-Stellen
     de. Ich ging davon aus, dass er die     professioneller gearbeitet worden wäre.»
     Nummer des Personalverantwort-
     lichen in seinem Adressverzeichnis
     notiert hätte. Dem war aber nicht       und es hat meiner Meinung nach           gehe schon davon aus, dass die IV
     so. Der Berufsberater nahm viel-        an einer effizienten Führung durch       in dieser Hinsicht grosse Anstren-
     mehr das «Pronto»-Telefonbuch zur       das Bundesamt für Sozialversiche-        gungen unternimmt. Es steht und
     Hand und suchte nach der Nummer         rungen gefehlt. Viele Probleme sind      fällt ja alles mit der Mitwirkung
     der fraglichen Firma. So kommt’s        rein technischer Natur, und es hätte     der Arbeitgeber bei der Einglie-
     natürlich nicht gut.                    keine 5. IV-Revision gebraucht, um       derung bzw. schon bei der Nicht-
                                             schneller vorwärts zu machen. Ich        Ausgliederung. Die Linke hat im
     BULLETIN: Die IV steckt in einer        hoffe natürlich, dass die 5. IV-Revi-    Gesetzgebungsprozess vergeblich
     schwierigen finanziellen Situation.     sion tatsächlich zu einer Beschleu-      ein Anreiz-System verlangt, um die
     Welches sind Deines Erachtens die       nigung und Verbesserung der Ver-         Arbeitgeber in dieser Hinsicht zu
     Gründe dafür?                           fahren führt. Allerdings befürchte       motivieren. Wir werden nun sehen,
     J. B. Huber: Die erwähnten Beispiele    ich, dass man nun einfach fehlende       ob sich die bürgerliche Behauptung
     mit dem Bauarbeiter sowie dem Be-       Führung durch ein überstruktu-           bewahrheiten wird, die Arbeitgeber
     rufsberater, der die Telefonnummer      riertes Kontrollsystem ersetzt, in       würden ihre Verantwortung wahr-
     des Personalverantwortlichen eines      dem der hinterste und letzte Ablauf      nehmen. Ich bin in dieser Hinsicht
     grossen Zuger Unternehmens nicht        bis in jedes Detail reglementiert ist.   nicht allzu optimistisch, obwohl
     kennt, beschreiben recht gut das        Problematisch ist aber vor allem,        die Unterstützung, die die IV einem
     Malaise, in dem die IV steckt: Viele    dass die 5. IV-Revision geprägt ist      Arbeitgeber gewähren kann, durch-
     Probleme sind struktureller Natur.      von einem tiefgreifenden Misstrau-       aus ihre Wirkung haben kann. Die
     Firmen haben Arbeitsplätze für          en gegenüber jeder Antragstelle-         IV kann beispielsweise für die An-
     Menschen, die nicht 100 oder 150%       rIn. Das neue Gesetz atmet deshalb       passung eines Arbeitsplatzes auf-
     leistungsfähig sind, einfach wegra-     buchstäblich Zwang und Misstrau-         kommen oder kann dem Arbeitgeber
     tionalisiert. Die Entwicklung in den    en – beides schlechte Vorausset-         finanzielle Beiträge für Integrati-
     letzten Jahren ist ganz klar: Die Ge-   zungen für die Eingliederung.            onsmassnahmen oder so genannte
     winne wurden privatisiert, die Ko-                                               Einarbeitungszuschüsse gewähren,
     sten sozialisiert. Daneben sind für     BULLETIN: In der Schweiz zeigt           wenn Mitarbeitende in der An-
     das Malaise der IV auch IV-interne      sich ein Trend weg vom produzie-         fangsphase nur eine reduzierte Lei-
     Gründe verantwortlich. Auch vor         renden Betrieb, hin zum Dienst-          tung erbringen. Zudem glaube ich
     der 5. IV-Revision hat das Gesetz       leistungsunternehmen. Ist die IV         auch, dass Eingliederung ein Stück
     den IV-Stellen nicht verboten, die      vorbereitet, diesen Dienstleistungs-     weit eine Frage der Kultur ist und
     Leute schneller einzugliedern und       unternehmen auch aufzuzeigen,            man durch geeignete Massnahmen
     ihnen tatkräftiger bei der Suche        wie und wo Arbeitsplätze für nicht       eine bessere Eingliederungskultur
     nach geeigneter Arbeit zu helfen.       voll arbeitsfähige Mitmenschen           bewirken kann.
     Bisher hat aber jede IV-Stelle ein      eingerichtet werden könnten?             BULLETIN: Herzlichen Dank für
     bisschen «vor sich hin gewerkelt»,      J. B. Huber: Das weiss ich nicht. Ich    das interessante Gespräch. ■

     BULLETIN | NUMMER 1 | März 2008
Nationalrat

Big Brother bei der Bahn

Josef Lang, Nationalrat Alternative Kanton Zug | Bild istockphoto.com

Im Rahmen der Bahnreform hat der Nationalrat die Aufbewahrung von Vi-                                                 15
deoaufnahmen verlängert und deren Verschlüsselung abgelehnt. Dazu nach-
folgend die Nationalratsrede von Josef Lang zugunsten des Datenschutzes.

Als liberale Bürgerrechtspartei ha-    zu sein! Zu einem griffigen Daten-
ben die Grünen vor dem Big-Brot-       schutz gehört der Einsatz von Tech-
her-Gespenst grossen Respekt. Und      nologien, welche die Privatsphäre
wir bedenken jederzeit, was Benja-     schützen.
min Franklin vor 250 Jahren gesagt
hat: «Wer Sicherheit auf Kosten der    Vorbild ZVB
Freiheit bewahren will, verliert zu-   Heute gibt es Chiffrierungstechno-
letzt beides.» In seinem vom Bun-      logien, mit denen dafür gesorgt ist,
desrat Ende September 2007 ab-         dass keine Unberechtigten Zugang
gesegneten Bericht hielt das EJPD      zu den Videoaufnahmen erhalten.
fest: «Die Erhebung, Aufbewahrung      Diese Technologie ist nicht einmal
und Bearbeitung von Daten aus Vi-      teuer. Der bereits zitierte EJPD-Be-
deoüberwachungen greifen in die        richt schreibt dazu im Zusammen-
Grundrechte ein. Je nach Aufbe-        hang mit Busunternehmen: «Bei
wahrungsdauer und Erkennbar-           grösseren Betrieben erfolgt vor
keit der Personen kann es sich um      der Speicherung eine Verschlüs-         Big Brother im Vormarsch.
schwere Eingriffe handeln.» Der        selung.» Als Beispiele angeführt
gleiche Bericht zeigt auf, wie mas-    werden die Zugerland Verkehrs-
siv die Videoüberwachung in den        betriebe, die Verkehrsbetriebe Zü-      Stasi-Syndrom
nächsten Jahren allein im Bahn-        rich und die Matterhorn-Gotthard-       Nun zur hochsensiblen Frage der
bereich zunehmen wird. Je grösser      Bahn. Was der ZVB und den VBZ           Aufbewahrungsdauer: Die Auswei-
die Big-Brother-Gefahr erscheint,      recht ist, sollte der viel grösseren    tung von einem Tag auf hundert Tage
desto griffiger hat der Datenschutz    SBB billig sein.                        ist völlig übertrieben. Nirgendwo
                                                                               sonst gilt eine so lange Frist. Zum
                                                                               Vergleich: Die Kantone Solothurn
 Privatpolizeistaat                    ersten zwei Beschlüsse verletzen        und Waadt kennen eine Frist von 96
 Im Rahmen der Bahnreform hat          rechtsstaatliche Grundsätze, der        Stunden. Bei den österreichischen
 der Nationalrat in einem ersten       dritte Beschluss gefährdet die          Bahnen sind es 48 Stunden. Wenn
 Schritt die Bahnpolizei priva-        Freiheitsrechte. Das Institut für       wir die 100-fache Verlängerung der
 tisiert. Damit wird gegen den         öffentliches Recht der Univer-          Aufbewahrungsdauer multiplizie-
 Grundsatz, dass Sicherheit im         sität Bern hat unter der Leitung        ren mit der Verhundertfachung der
 öffentlichen Raum in öffentliche      von Professor Walter Kälin dazu         Videoaufnahmen in den nächsten
 Hände gehört, verstossen. In          Folgendes festgehalten: «Beson-         Jahren, dann führt das zu einem
 einem zweiten Schritt hat die bür-    ders problematisch erscheint die        Datenberg, der nicht nur den Daten-
 gerliche Mehrheit die Bewaffnung      Übertragung solcher Aufgaben            schutz, sondern auch die Datenver-
 dieser Privatpolizisten beschlos-     auf Private, wenn bei der Auf-          arbeitung erdrückt.
 sen und damit das staatliche          gabenerfüllung Ermessensent-            Ohne Diktatur und Demokratie
 Gewaltmonopol aufgeweicht. Und        scheide getroffen werden müssen         gleichsetzen zu wollen, erinnere ich
 in einem dritten Schritt wurde        und/oder wenn kein vorgängiger          Sie an das Stasi-Syndrom mit sei-
 der Privatpolizei die Kompetenz       Rechtsschutz möglich ist.»              nem unbezwingbaren Daten-Mas-
 erteilt, Leute zu verhaften und       Bemerkenswert ist, dass diese           siv. Dann sind wir an jenem Punkt,
 einzusperren.                         liberalen Grundsätze wie auch der       vor dem uns Benjamin Franklin
 Die unter anderem vom Poli-           Datenschutz nur von den beiden          gewarnt hat: Wir verlieren beides,
 zeibeamtenverband bekämpfte           linken Fraktionen vertreten und         die Freiheit und die Sicherheit! Die
 Privatisierung und Ermächti-          von den sogenannten Liberalen,          von der grünen Kommissionsmin-
 gung der Privatpolizei ist in         blauer, grüner und oranger Farbe,       derheit vorgeschlagene Vervierfa-
 höchstem Masse antiliberal. Die       verraten wurden.                        chung der Aufbewahrungsdauer
                                                                               reicht völlig. ■

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