Bürokratieexzesse - Die Gewerkschaft - Rapporte, Checklisten, Evaluationen - und wer macht die Arbeit? - UB Basel
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März 2015 Das VPOD-Magazin erscheint 10-mal pro Jahr Die Gewerkschaft Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste Bürokratieexzesse Rapporte, Checklisten, Evaluationen – und wer macht die Arbeit?
Reka-Ferien für 100 Franken Das Angebot gilt für Frühlings-, Sommer- oder Herbstferien. In einigen Reka-Feriendörfern und ausgewählten kleinen Feri- enorten sind auch Winterferien möglich. Die Reka übernimmt die Kosten für die Ferienwohnung oder den Aufenthalt in der Jugendherberge. Die Reise vom Wohnort zum Ferienort ist inbegriffen. Jede angemeldete Person über 16 Jahre erhält ein ÖV-Ticket für die Hin- und Rückreise. Kinder von 6-16 Jahren erhalten einen Gutschein für die Juniorkarte. Sie bezahlen lediglich den Solidaritätsbeitrag von 100 Franken. Teilnahmebedingungen: • Für Familien und Alleinerziehende mit mindestens einem Kind bis 18 Jahre. • Im Jahr 2014 haben Sie keine Ferien im Rahmen der Reka- Ferienhilfe verbracht. • Sie sind Schweizer Bürger oder besitzen den Ausweis C Geniessen auch Sie (Niederlassung). • Bei Zweielternfamilien max. Jahreseinkommen* Fr. 57‘000.– unbeschwerte Ferientage! bei Alleinerziehenden max. Jahreseinkommen* Fr. 47‘000.– Die Schweizer Reisekasse Reka offeriert 20mal Familienferien *inkl. Kinderzulagen und Alimente. Betreuungskosten können abgezogen werden. in der Schweiz für VPOD-Mitglieder mit kleinem Einkommen. Ab dem 2. Kind erhöht sich der Betrag um 5000 Franken pro Kind. Das Vermögen ist ebenfalls entscheidend. Sämtliche Einkommen und Vermögenswerte müssen Viele Familien und Alleinerziehende können von Ferien nur belegt werden. noch träumen, denn das Haushaltsbudget erlaubt es ihnen • Das Angebot gilt nicht für Studierende. nicht, die Ferienwünsche zu verwirklichen. In solchen Fällen ist das Angebot der Reka-Ferienhilfe besonders willkommen: So einfach geht die Anmeldung zur Reka-Ferienhilfe 2015: eine Woche Ferien für die ganze Familie zum Solidaritätspreis VPOD-Mitglieder, welche die Teilnahmebedingungen erfüllen, von 100 Franken! 2014 kamen insgesamt 1300 Familien mit fast bewerben sich beim VPOD Zentralsekretariat, Postfach 8279, 2700 Kindern in den Genuss dieser besonderen Familienferien. 8036 Zürich oder per Email an tanja.lantz@vpod-ssp.ch. Folgende Angaben sind zwingend erforderlich: Zur Auswahl stehen 1300 Reka-Ferienwohnungen in der Name, Adresse, Telefon. Sind Sie eine 1- oder 2-Eltern Schweiz. Oder Sie entscheiden sich für einen Aufenthalt inkl. Familie? Wieviele Kinder haben Sie? In welcher Region sind Halbpension im Familienzimmer einer besonders familien- Sie VPOD-Mitglied? freundlichen Jugendherberge. Weiterführende Informationen unter www.reka.ch. Multi_Rechts_4x 25.1.2011 15:55 Uhr Seite 2 VPOD-Tasche Egal, ob weiblich oder männlich, diese Ta- sche passt zu jedem Typ. Sie ist mit einem längenverstellbaren Traggurt, einem Aus- sen- und einem Handyfach ausgestattet und ist auch mit Biker-Gürtel erhältlich. In ihr finden problemlos ein Bundesordner A4 oder ein Laptop Platz. Die Tasche lässt sich mit wenigen Handgriffen vergrössern. Da die Produktion nur in kleinen Mengen «Wer übernimmt Kosten die Delle für die Jetzt bestellen! Fr. 85.– pro Stück erfolgt, muss mit einer gewissen Lieferfrist gerechnet werden. Die Taschen werden in der Strafanstalt Pöschwies, Regensdorf (Jail-Bag), hergestellt. an meinem Auto,wenn Bestell-Talon Verursacher ?» der nicht zahlt Bitte Anzahl angeben: ▫ rot ▫ grau Tasche(n) Tasche(n) mit Biker-Gürtel Jetzt Multi Rechtsschutz Name/Vorname abschliessen für nur Fr. 120.— Strasse/Nr. für vpod-Mitglieder! PLZ/Ort www.vpod.ch Unterschrift Einsenden an VPOD Zürich, Postfach, 8036 Zürich Telefon 044 295 30 00, Fax 044 295 30 03 info@vpod-zh.ch, www.vpod-zh.ch
Editorial und Inhalt | VPOD Themen des Monats 5 Botschaft verstanden Ein Warnstreik bei Swissport am Genfer Flughafen wird zum durchschlagenden Erfolg 6–7 Vom Kurs abgekommen Die Aufhebung der Euro-Untergrenze schadet der Schweizer Wirtschaft Christoph Schlatter ist Redaktor des VPOD-Magazins 8 Wem die Stunde schlägt Sozialpartner einigen sich auf Beibehaltung der Zeiterfassung 9 Gesundheit ist keine Handelsware Spieltheorie Weitreichende Liberalisierungsvorschläge bei den Ich bin immer der Hund. In meiner neuen Monopoly-App. Der geheimen Tisa-Gesprächen Hund tritt an gegen die Katze, das Schlachtschiff, den Zylinder. «Katze gewinnt 100 M durch Ereignisfeld», sagt die App. «Zylinder 11–16 Gegen Administrationsexzesse hat Hafenstrasse gekauft.» «Schlachtschiff hat 1 Haus auf Goethe- – Dokumentation und Evaluation ohne Ende strasse gebaut.» «Oh nein! Hund ist ins Gefängnis gewandert!» – Was tun gegen überbordende Bürokratie? Bei der deutschen Version, die ich auf dem Handy habe, gibt’s keine Korn- oder Paradeplätze in Chur oder in Zürich, nur blosse Adres- sen wie Parkallee oder Opernplatz. Hiesige Privat-, Berg-, Schwebe- Rubriken und Überlandbahnen heissen dort Süd-, West-, Nord- und Haupt- bahnhof. Egal: Sie garantieren ein regelmässiges Einkommen, wenn man alle viere besitzt. Jedenfalls in der mittleren Spielphase, 4 Gewerkschaftsnachrichten ehe die grossen Investitionen getätigt werden. Dann geschieht, was stets geschieht im Spätkapitalismus: Die Reichen werden immer 17 Susi Stühlinger: Riesenslalom reicher. Die Armen werden immer ärmer. Wir müssen uns ver- schulden, müssen Häuser, ganze Strassenzüge verpfänden. Wir 18 Die Wirtschaftslektion: verkaufen: Elektrizitätswerk an Katze, Wasserwerk auch, es nützt Lohnsenkungen machen alles noch schlimmer aber alles nichts. Bald gibt’s gar keine Einnahmen mehr, weil alles bis unter die Dachrinne belastet ist. 19 Wettbewerb: Dornenvogel Haben wir etwas falsch gemacht? Wir waren womöglich etwas spät dran, als die Welt aufgeteilt wurde. Nicht unsere Schuld. Kran- 20 VPOD aktuell kenhausgebühr mussten wir zahlen und Steuern, als die anderen investierten. Kein Glück eben, und dann kam noch Pech dazu. 21 Hier half der vpod: «Zylinder ist bankrott und aus dem Spiel ausgeschieden», sagt die Das Recht auf Gewerkschaft gilt überall App. Der arme Kerl windet sich, plustert sich nochmals auf, sackt zusammen und erlischt. Das Schlachtschiff torkelt, kentert, säuft 22 Solidar Suisse: ab. Ich, der Hund, gucke meinen traurigsten Hundeblick und lege Community-Radio in Nicaragua mich zum Sterben. «Katze gewinnt.» Tusch. Goldregen. Da kann man was lernen. Wer Monopoly gewinnt, hat alles richtig 23 Menschen im VPOD: gemacht. Sie habe eben, sagt die Katze, zu gegebener Zeit inves- Manuela Kalaj, Pflegefachfrau mit Leib und Seele tiert, aber nicht zu viel, stets auch für Liquidität gesorgt. Sie habe ihre Häuser in Schuss gehalten, habe ihre Grundstücke planvoll arrondiert, sagt die Katze. Innovation, Lohnzurückhaltung, Risi- komanagement, Agenda 2010. Geld müsse immer zuerst verdient werden, ehe man es ausgeben könne. Und die Schuldenwirtschaft der Herren Schlachtschiff und Hund ... Wer jahrelang über seine Redaktion /Administration: Postfach 8279, 8036 Zürich Verhältnisse lebe ... Sagt die Katze. Telefon 044 266 52 52, Telefax 044 266 52 53 Der einzige Unterschied zwischen Monopoly und dem richtigen Nr. 2, März 2015 Leben: Hier bleibt der Verlierer im Spiel. In Athen Syntagmaplatz E-Mail: redaktion@vpod-ssp.ch | www.vpod.ch und Thessaloniki Aristotelesstrasse kann man das Interview mit Erscheint 10-mal pro Jahr der Katze nicht mehr hören. (Ich bin immer der Hund.) März 2015 3
VPOD | Gewerkschaftsnachrichten Wird abgeschaltet: NZZ-Rotations- druckmaschine in Schlieren. Wird von den Beschäftigten gewünscht: Demokratie in Unternehmen. rüber, ob die Digitalisierung zu mehr Selbstbestimmung beitragen könne. In einem Umfeld, wo Mitarbeitende Wissen teilen, Schnitt- stellen organisieren und über Abteilungsgrenzen hinweg agieren sollen, müsste eigentlich der «einsame Herrscher an der Spitze» der Vergangenheit angehören. Doch der Unternehmensalltag sieht oft anders aus: Beschäftigte beklagen geringer werdende Spielräu- me. Während zwei Drittel der Befragten für demokratischere Ent- scheidfindung eintreten, halten die interviewten Firmenchefs das für «schwer realisierbar». | pd/slt (Foto: sör alex/Photocase.de) SEV begrüsst BLS-Entscheid zu Werkstätten Die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV begrüsst den Ent- Arbeitslosigkeit kann Menschen in den Suizid treiben scheid der BLS, ihre Fahrzeuge ab 2019 teilweise in Givisiez (Kanton Jährlich nehmen sich rund 45 000 Menschen das Leben, weil sie oder Freiburg) zu warten. Seit längerer Zeit war klar, dass die Werkstätte jemand in ihrem Umfeld von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Dies Aebimatt hinter dem Berner Hauptbahnhof geschlossen wird, weil zeigt eine Studie der Universität Zürich mit Daten aus 63 Ländern. der Platz für den Gleisausbau benötigt wird. Dass die Fahrzeuge wei- «Pro Jahr steht weltweit etwa jeder fünfte Suizid direkt oder indirekt terhin mit eigenem Personal gewartet werden, erfüllt eine zentrale mit Arbeitslosigkeit in Verbindung», sagt Carlos Nordt vom Forscher- Forderung des SEV. Auf diese Weise bleibt auch das Fachwissen im team der Psychiatrischen Universitätsklinik. Alter und Geschlecht Haus. Wie sich der Umbau aufs Personal auswirkt, müsse nun sorg- spielen keine Rolle; hingegen ist der Zusammenhang zwischen Ar- fältig abgeklärt werden, sagt der SEV. | sev/slt beitslosigkeit und Suizid stärker ausgeprägt in Ländern mit allgemein tiefer Erwerbslosigkeit als in jenen mit konstant hoher Quote. Die Stu- Verfehlte Schliessung der NZZ-Druckerei die ist in der Zeitschrift The Lancet Psychiatry publiziert. | pd/slt Der Verwaltungsrat der NZZ bleibt für gute Argumente unzugäng- lich: Die Druckerei in Schlieren wird per 30. Juni dichtgemacht; Gesünder dank Ehrenamt? 125 Beschäftigte verlieren ihren Job in einer der rentabelsten Drucke- Erwerbstätige Menschen, die nebenbei ehrenamtliche Aufgaben reien der Schweiz. Die Gewerkschaft Syndicom bleibt dabei, dass die- wahrnehmen, erfreuen sich besserer Gesundheit und sind mit der ser Entscheid weder einer ökonomischen noch einer publizistischen Balance zwischen Privatleben und Arbeit zufriedener als Menschen, Logik folgt. Eine Weiterführung des Zeitungsdrucks in Schlieren die keine Freiwilligenarbeit leisten. Zu diesem Schluss kommt eine ist möglich, ohne dass die NZZ in Schwierigkeiten geriete und ihre vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Studie. Allerdings ist digital-publizistischen Pläne ändern müsste. Zur wirtschaftlichen Ig- der festgestellte Unterschied gering – und es ist auch nicht sicher, noranz gesellt sich soziale Verantwortungslosigkeit: Die Betroffenen ob das Huhn oder das Ei zuerst da war: Romualdo Ramos gibt zu, werden grosse Mühe haben, innerhalb der Branche und im Raum dass der Zusammenhang auch daher rühren könne, «dass jene Men- Zürich eine gleichwertige Stelle zu finden – zumal zu befürchten ist, schen, die gesünder sind, einfach eher dazu neigen, ehrenamtlich zu dass der starke Franken die Arbeitsplatzsituation in der grafischen arbeiten, als solche, denen es gesundheitlich schlechter geht». Bei Industrie noch verschlimmern wird. | syndicom/slt (Foto: Gaëtan Pensionierten seien die positiven Begleiterscheinungen von Freiwil- Bally/Keystone) ligenarbeit deutlicher ausgeprägt, stellt die Studie zudem fest. | pd/slt Julius Bär baut ab – und erhöht Dividende Mehr Demokratie in Unternehmen Der von der Julius-Bär-Gruppe kommunizierte Abbau von 200 Mit- Deutsche Beschäftigte wünschen sich, einer Studie zufolge, stär- arbeitenden ist für den Schweizerischen Bankpersonalverband nicht keren Einf luss auf Entscheidungen in ihrem Unternehmen. Sie nachvollziehbar – angesichts des sehr guten Jahresergebnisses 2014 möchten beispielsweise die Führungskräfte wählen und die Fir- und erst recht angesichts der Erhöhung der Dividende. Auch der menstrategie mitbestimmen können. Bei der Vorstellung der Un- Kaufmännische Verband stösst sich an diesen voreiligen und völlig tersuchungsergebnisse durch die TU München und das Institut für einseitigen Massnahmen in der Folge der Auf hebung der Wechsel- Sozialwissenschaftliche Forschung München diskutierten Unterneh- kursuntergrenze. Wichtig seien jetzt rasche Informationen über Zeit- mer, Gewerkschafterinnen, Politikerinnen und Wissenschaftler da- plan und Umfang des geplanten Personalabbaus. | slt 4 März 2015
Arbeitskampf | VPOD Eindrücklicher Warnstreik bei Swissport am Flughafen Genf sichert die Arbeitsbedingungen Durchschlagender Erfolg Sieg auf der ganzen Linie: Ein dreistündiger Warnstreik des Swissport-Personals am Flughafen Genf wurde so stark befolgt, dass die Geschäftsleitung in praktisch allen Punkten nachgab. Sogar die verpassten Arbeitsstunden werden bezahlt. | Text: VPOD (Fotos: Eric Roset) Es war einiges anders diesmal als bei früheren Arbeitskämpfen am Flughafen Genf. So hat auch der Hausverband Push die vom VPOD ausgerufene Aktion unterstützt (oder zumindest nicht be- kämpft). Nach dem Scheitern der Schlichtungsverhandlungen drohte den über 1000 Beschäftigten von Swissport massiver Ab- bau: Lohneinbussen von mehreren Hundert Franken pro Monat. Die jetzt unterzeichnete Vereinbarung sieht vor, dass der bestehen- de GAV, der Ende Februar ausgelaufen wäre, bis am 31. Dezember 2016 fortgeführt wird (bei Einfrierung der Löhne ab Januar 2016). Die vorgesehenen Lohnschritte werden gewährt, die Aufteilung der Pensionskassenbeiträge bleibt bestehen. Für die Hilfskräfte gibt es sogar eine Verbesserung: Auch für sie wird eine Kranken- taggeldversicherung eingeführt. Umfassende Garantien VPOD-Regionalsekretär Jamshid Pouranpir ist sehr zufrieden mit dem Erreichten. Zumal der Arbeitgeber nicht nur die Kosten für die streikhalber nicht geleisteten Arbeitsstunden übernimmt, son- dern auch die Garantie abgibt, dass die Teilnahme am Streik kei- nerlei Sanktionen zur Folge hat. Swissport hat sogar Massnahmen zugesichert gegen jene Vorgesetzten, die Streikwillige mit Kündi- gungsdrohungen einzuschüchtern versuchten. An jenem Februarmontag wurden fast alle vom Warnstreik über- rascht. Um 10.55 Uhr erging der Streikaufruf per Lautsprecher; kurz nach 11 Uhr hatten sich etwa 50 Leute versammelt, und die Spannung stieg, ob der Aufruf überall befolgt werde. Er wurde es: Aus allen Bereichen, in denen die Swissport tätig ist, strömten gegen 400 An- gestellte herbei, nicht nur die starken Jungs von Gepäckabfertigung, Fracht und Piste in ihren Leuchtjacken und -hosen, sondern auch das mehrheitlich weibliche Personal vom Check-in. Die Anzeigetafel des Flughafens vermeldete auf Französisch korrekt Verspätungen wegen «débrayage» ; auf Englisch hiess der Grund «heavy snowfall» ... Die Arbeitsniederlegung hatte spürbare Folgen; so startete die Maschine nach New York 3 Stunden zu spät – und ohne Gepäck. «Schweiz» nur noch im Namen Die Swissport International AG, eine der Swissair-Nachfolgegesell- schaften, hat seit ihrem Bestehen schon viermal den Besitzer ge- wechselt. Schweizerisch ist nur noch der Name. Die Firma ist der grösste Anbieter von Bodenabfertigungsdienstleistungen weltweit; in Genf hat sie einen Marktanteil von 70 Prozent. Der Arbeitgeber bezahlt sogar die Streikzeit: Erfolg für kämpferische Swissport-Beschäftigte. März 2015 5
VPOD | Währungspolitik Überbewerteter Franken: Nationalbank muss für tragbare Verhältnisse sorgen Vom Kurs abgekommen Der Entscheid, die Wechselkursgrenze aufzugeben, droht zur grössten wirtschaftspolitischen Fehlleistung der letzten Jahrzehnte zu werden. Jetzt müssen die Schweizerische Nationalbank und der Bundesrat ihren geld- und konjunkturpolitischen Auftrag wahrnehmen. | Text: Paul Rechsteiner, SGB-Präsident (Fotos: asafeliason/Fotolia.de) Ohne dass dies durch reale wirtschaftliche nämlich die Aufgabe, eine Währungspolitik Daten irgendwie zu begründen gewesen im Gesamtinteresse des Landes zu führen, wäre, hat die Schweizerische Natio- Preisstabilität zu gewährleisten und dabei nalbank (SNB) durch die Aufgabe die konjunkturelle Entwicklung zu berück- des Mindestkurses auf einen sichtigen. Allen, die den Tatsachen ins Auge Schlag eine Überbewertung sehen, ist bewusst, dass sich Wechselkurs- des Frankens von rund 25 probleme wirksam nur durch Massnahmen Prozent herbeigeführt. Der beim Wechselkurs selber bekämpfen lassen Währungsschock bedroht (siehe unten). Alles andere sind Scheinge- Arbeitsplätze, Löhne und fechte oder Ablenkungsmanöver. Nach dem ganze Industriezweige. Schock dauerte es allerdings nicht lange, Bleibt der Frankenkurs bis die ersten politischen Währungskrisen- dermassen ausser Kon- gewinnler auf den Plan traten (siehe rechte trolle, droht statt der er- Seite). warteten wirtschaftlich Statt die Ursache der Probleme, nämlich positiven Entwicklung den ausser Kontrolle geratenen Wechsel- die Deflation. kurs, zu benennen, wird die starke Überbe- wertung des Frankens jetzt dazu benützt, Groteske Rezepte neoliberale Wunschzettel und den Abbau Eine K r ise, die von der sozialer Errungenschaften auf dem Bu- Nationalbank selber her- ckel der Bevölkerung zu propagieren. Es beigeführt wurde: Das wider- ist grotesk, dass wegen des überbewerteten spricht dem Auftrag der SNB Frankens an den Schweizer Lohnabhängi- diametral. Diese hat nach Gesetz gen die verfehlten Rezepte des Lohndrucks Der Werkzeugkasten der Nationalbank Warum die Nationalbank den Mindestkurs aufgegeben hat, ist bis machen. Leider beliess sie es Ende 2014 bei der Ankündigung, einen heute nicht klar. Die SNB kann eine Aufwertung grundsätzlich immer Monat später Negativzinsen von (bescheidenen) –0,25 Prozent einzu- bekämpfen, weil sie alleine unendlich Franken «produzieren» und in führen. den Devisenmarkt fliessen lassen kann. Damit ist sie stärker als alle Dass die Nationalbank vermehrt intervenieren musste, dürfte zu einem anderen Marktteilnehmer. Grundsätzlich werden Kursuntergrenzen beträchtlichen Teil auf die immer geringer werdende Zinsdifferenz zum auch in anderen Ländern mit direkten Interventionen – dem Kauf von Euro zurückzuführen sein. Einst, bei Einführung der Untergrenze, war Fremdwährungen – durchgesetzt. Das kann tatsächlich dazu führen, der Unterschied relativ gross. Er schwand fast gänzlich, als die Euro- dass die Fremdwährungsreserven wachsen. Grundsätzlich ist das aber päische Zentralbank ihrerseits die Zinsen senkte. Ein Anleger, der vom nicht problematisch, so lange diese Reserven liquide bzw. später wie- Euro in den Franken wechselte, erlitt somit fast keine Renditeeinbusse der verkäuflich sind. mehr. Ob Franken oder Euro war aus dieser Perspektive zunehmend Doch selbst wenn man der Meinung ist, die SNB-Fremdwährungsre- egal. Um die Anleger somit wieder vermehrt vom Franken fernzuhal- serven hätten ein kritisches Mass erreicht, bedeutet das noch lange ten, wäre eine grössere Zinsdifferenz notwendig gewesen. Angesichts nicht das Ende des Mindestkurses. Die Nationalbank hat weitere Inst- der sehr tiefen Zinsen im Euroraum ist das nur via Negativzinsen zu rumente zu ihrer Verfügung. Sie kann den Devisen- und Kapitalmarkt erreichen. Warum die SNB zur Entlastung der Untergrenze keine genü- einschränken – bei Bedarf mit Hilfe des Bundesrates oder des Parla- gend scharfen Negativzinsen eingeführt hat, ist bis heute das Geheim- mentes. Und sie kann den Franken durch Negativzinsen unattraktiv nis ihres Direktoriums. | Daniel Lampart, SGB-Chefökonom 6 März 2015
Währungspolitik | VPOD 50 Shades of Arbeitgeberfantasien Der Franken ist überbewertet. Der ungünstige Eurokurs schmälert in vielen allein profitiert umgekehrt ja auch davon, wenn Betrieben den Ertrag. Gewisse Firmen erwägen deshalb, mit Lohnsenkungen der Wechselkurs in die andere Richtung oder mit Eurolöhnen die Kosten zu drücken. Oder sie überlegen sich, wenigs- ausschlägt und so den Ertrag des Unter- tens die Grenzgänger in Euro zu entschädigen. Doch solche Massnahmen sind nehmens erhöht. Weiter verbietet die ju- Fantasien, denen das Gesetz einen Riegel schiebt; sie widersprechen allen ristische Lehre Lohnsenkungen als Form einschlägigen arbeitsrechtlichen Prinzipien und der Rechtsprechung. einer Beteiligung am negativen Ge- Richtig: Der Arbeitgeber verfügt über Handlungsspielraum bei der Festle- schäftsgang einer Firma (Art. 322a OR). gung der Löhne und damit auch bei deren Senkung, sofern er dabei Treu und Glauben und die guten Sitten wahrt und sofern für die Arbeitnehmen- Grenzgänger sind kein Freiwild den voraussehbar ist, was sie am Ende in der Lohntüte haben. Dabei ist Auch mit Grenzgängerinnen und Grenz- jedoch längst nicht alles erlaubt. So bestimmt Art. 323b Obligationenrecht gängern darf man nicht nach Gutdünken ver- (OR), dass der Arbeitgeber den Lohn in einer «gesetzlichen Währung» zu fahren. Art. 2 des Freizügigkeitsabkommens (präzisiert in Art. 9 Abs. 1 entrichten hat; diese Währung ist ein notwendiger Bestandteil des Arbeits- im zugehörigen Anhang I) verbietet eine unterschiedliche Behandlung vertrages, der nicht einseitig vom Arbeitgeber geändert werden darf. nach Nationalität oder Wohnort. Wirtschaftliche Gründe wie etwa die Überhaupt ist die Überwälzung des Unternehmerrisikos auf die Arbeitneh- Schwankung des Wechselkurses vermögen solche Diskriminierungen menden aus gutem Grund verboten: Art. 324 OR ist zwingend und kann nicht zu rechtfertigen. Der Arbeitgeber darf also keine Spezialregelung weder durch Einzel- noch durch Gesamtarbeitsvertrag ausgehebelt wer- für Grenzgänger treffen. Und das ist gut so, weil damit auch die in der den. Genau darum geht es jedoch, wenn ein ungünstiger Wechselkurs die Schweiz wohnenden Beschäftigten geschützt sind: Man kann sie nicht Ertragsaussichten einer Firma trübt. Der Wechselkurs ist Teil des Unterneh- mit «billigen» Leuten von ennet der Grenze konkurrenzieren oder gar merrisikos; der Arbeitgeber muss dieses vorausschauend übernehmen; er ersetzen. | Luca Cirigliano, SGB-Sekretär und des Abbaus sozialer Errungenschaften plätzen geopfert werden. Die Schweizer grenze. Auch 2010/2011 wurde hartnäckig durchexerziert werden sollen, unter denen Industrie hat sich bisher gegen alle Unter- behauptet, die Wiedereinführung eines bei ganz anderen Voraussetzungen die süd- gangsszenarios unter schwierigen Bedin- Mindestkurses sei unmöglich oder unre- europäischen Länder zu leiden hatten und gungen behauptet und ist weltmarktfähig. alistisch. Bis im Sommer 2011 nicht mehr zu leiden haben. Eine Nationalbank, die mit ihrer Währungs- nur die Gewerkschaften, sondern auch politik ein Grounding von wichtigen Teilen wichtige Teile der Industrie einen neuen Versagen beim Grundauftrag der Schweizer Wirtschaft in Kauf nimmt, Mindestkurs forderten. Verantwortungslos handeln auch jene, die versagt bei ihrem Grundauftrag. Auch eine Angesichts des viel stärkeren und präze- sich mit der krassen Überbewertung des fatalistische Haltung gegenüber dem dro- denzlosen Währungsschocks vom Janu- Frankens einfach abfinden. Das Ergebnis henden massiven Anstieg der Arbeitslosig- ar darf es jetzt nicht wieder ein Jahr oder des politischen Fatalismus wäre, dass ganze keit ist zu verurteilen. länger dauern bis zur Kehrtwende. Die Branchen mit Zehntausenden von Arbeits- Wenn aber Wechselkursprobleme wirksam Schweiz hat eine eigene Währung, und so- nicht anders bekämpft werden können als lange das so ist, müssen die zuständigen In- über den Wechselkurs selber, dann muss stanzen dafür sorgen, dass diese Währung die Nationalbank das Heft in die Hand neh- der Wirtschaft und der Bevölkerung nützt, men und den Kurs wieder unter Kontrolle nicht schadet. Es gibt weltweit keine ver- bringen. Die Schweiz kannte seit 1978 gleichbare offene Volkswirtschaft, die ihre mit Ausnahme der Phase 2010/2011 Währung völlig ungeschützt der Devisen- stets eine explizite oder implizite spekulation aussetzt. Die Gewerkschaften Franken- verlangen also, dass die Zuständigen den U n t e r- Franken wieder auf ein tragbares Niveau bringen – auf ein Level, das Planungssi- cherheit schafft und die Wirtschaft und die Arbeitsplätze schützt. Und sie verteidigen die Löhne und Arbeitsbedingungen. In der Pf licht steht nicht nur die Nationalbank, sondern auch der Bundesrat. März 2015 7
VPOD | Politik Pflicht zur Arbeitszeiterfassung wird für Gutverdienende mit viel Arbeitsautonomie gelockert Keine Zeit verschenken Seit Jahren ist die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung Gegenstand von Verhandlungen. Jetzt haben sich die Spitzen der Sozialpartner auf eine neue Regelung geeinigt. Für Gutverdienende mit grosser Zeitsouveränität soll die Vertrauensarbeitszeit zulässig sein – aber nur im Rahmen eines GAV. | Text: Luca Cirigliano, SGB, und Christoph Schlatter, VPOD (Foto: Cydonna/photocase.de) Die Firmen in der Schweiz sind gesetzlich verpflichtet, die Arbeits- festlegen können und die einen AHV-pflichtigen Bruttolohn von über zeit ihrer Angestellten zu dokumentieren. Ausnahmen gibt es nur für 120 000 Franken pro Jahr haben. Weitere Bedingung: Die Ausnahme die Führungsebene. Damit sollen die Beschäftigten vor Überlastung, muss in einem Gesamtarbeitsvertrag geregelt sein, der von den re- Burnout und Selbstausbeutung geschützt werden. Doch das Instru- präsentativen Sozialpartnern in der Branche oder im Unternehmen ment wurde zunehmend schlechter angewendet und immer seltener abgeschlossen wird. Dieser GAV muss zudem spezifische Massnah- durchgesetzt. Im Journalismus zum Beispiel oder in der Finanzbran- men zum Schutz der physischen und psychosozialen Gesundheit ent- che hat sich eine Mentalität verbreitet, die das Pochen auf einen Feier- halten. Schliesslich ist das schriftliche Einverständnis des betroffenen abend oder gar auf ein freies Wochenende mit ungenügender Loyalität Arbeitnehmers Voraussetzung – wobei diese letztere Bestimmung gleichsetzt. Wirtschaftsverbände, Parlament und Bundesrat nutzten erfahrungsgemäss relativ schwach wirkt, weil arbeitnehmerseits im die Gelegenheit und machten Druck, bei der Pflicht zur Arbeitszeiter- Weigerungsfall negative Konsequenzen befürchtet werden. fassung grössere Spielräume einzubauen. Einige wollten unter dem Eine andere Erleichterung der Erfassungspflicht ist für Branchen Label «Flexibilisierung» die Formel «Zeit gegen Geld» grad gänzlich und Betriebe ohne GAV vorgesehen: Dort kann zwischen Direktion aufheben. Die Gewerkschaften aber wissen um die Gesetzmässigkeit, und Personalkommission eine Vereinbarung für eine «erleichterte» dass Deregulierung immer der schwächeren Partei schadet. Zeiterfassung getroffen werden, welche die Lage der Arbeitszeit – von wann bis wann gearbeitet wurde – nicht festhält. Neues Fundament Mit der neuen Regelung wurde aber Schlimmeres verhindert. Die Jetzt stellt eine neue Regelung die Arbeitszeiterfassung auf ein neues vollständige Abschaffung der Zeiterfassung für ganze Branchen, Fundament. Die Formulierung wurde vom Departement für Wirt- wie sie zum Beispiel zwei in den eidgenössischen Räten hängige schaft, Bildung und Forschung vorgeschlagen und wird von den Motionen verlangen, wäre einem eigentlichen Dammbruch gleich- Dachverbänden der Sozialpartner akzeptiert oder zumindest nicht gekommen. Es bestand zudem die Gefahr, dass der Bundesrat in ei- bekämpft; ausgehandelt wurde sie letztlich zwischen SGB-Präsident gener Regie via Verordnungsänderung weitergehende Ausnahmen Paul Rechsteiner und Arbeitgeberverbandspräsident Valentin Vogt. beschlossen hätte. Mit der Neuregelung sind Mechanismen zum Ausnahmen lässt die Vorschrift, deren Text noch nicht im Wortlaut automatischen Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung blockiert, etwa bekannt ist, nur beschränkt zu. Die gesetzliche Höchstarbeitszeit und eine schlichte Lohngrenze, oberhalb welcher Vertrauensarbeitszeit die Bestimmungen über Pausen und Überzeit haben weiterhin für ohne weitere Bedingung zulässig gewesen wäre. Oder der Eintrag alle Beschäftigten Gültigkeit. Von der Zeiterfassungspflicht ausneh- des für die Befreiung von der Erfassung vorgesehenen Arbeitneh- men lassen sich nur Arbeitnehmende, die in ihrer Tätigkeit über eine mers im Handelsregister, was das Seco ursprünglich vorgeschlagen grosse Autonomie verfügen, die ihre Arbeitszeit grösstenteils selber hätte (und was dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet hätte). Korrekte Durchsetzung nötig Mit der neuen Regelung stehen nun die Arbeitgeber sowie Bund und Kantone in der Pflicht. Sie müssen für eine korrekte Durchset- zung sorgen. Auch müssen die Arbeitgeber in den GAV spezifische Schutzmassnahmen gegen psychosoziale Risiken akzeptieren; das gilt auch für die Bankbranche, wo eine Vereinbarung bereits besteht. Es darf nicht wieder vorkommen, dass die Behörden einfach weg- schauen, wenn Gesetz und Verordnung mit Füssen getreten werden. Sonst greift die Gesellschaftskrankheit Burnout immer weiter um sich. Das würde allen schaden, Arbeitnehmenden wie Firmen. Gratis ist fast nichts im Leben – auch nicht die Zeit jener, die ihre Arbeitskraft verkaufen. Die Arbeitsstunden werden gemessen, damit sie gerecht bezahlt werden können. 8 März 2015
International | VPOD Tisa-Geheimverhandlungen: Ein neuer Vorschlag zielt offenbar auf vollständige Kommerzialisierung des Gesundheitswesens «Mangel an Marktorientierung» Unter dem Label Tisa verhandelt eine Auswahl von (reichen) Staaten in Genf ein globales Dienstleistungsabkommen. Auch die Schweiz ist dabei – ohne jedes Mandat. Neue Enthüllungen zeigen, dass einige Länder in diesem Rahmen das Gesundheitswesen radikal liberalisieren wollen. Ein Ansatz mit katastrophalen Folgen. Allmählich nimmt die Schweizer Öffentlich- keit Kenntnis von dem, was in Genf seit ge- raumer Zeit hinter verschlossenen Türen in einem selbsternannten Staatenclub verhan- delt wird: Mit dem Tisa-Abkommen wollen die reichen Industrienationen Liberalisie- rungen im Dienstleistungsbereich durch- drücken. Im Rahmen des Doha-Abkommens ist ihnen das nicht gelungen, weil sie dort selber zu Zugeständnissen bei ihrer protekti- onistischen Landwirtschaftspolitik gezwun- gen worden wären. Nach und nach sickern nun – dank Whistleblowern – Details aus den geheimen Gesprächen durch. Ein Vor- schlag zielt auf die globale und totale Kom- merzialisierung des Gesundheitswesens ab. «Grosses Potenzial» Gemäss der Quelle Associated Whistle- Qualitätsverlust in den Industrienationen Gesundheit ist keine Ware und mit der Logik des Blowing Press wurde der Antrag im Septem- führen», sagt sie. Der Tisa-Vorschlag gehe Marktes nicht kompatibel. ber von der Türkei eingebracht (an den Ver- davon aus, dass Gesundheitsdienstleistun- handlungen nehmen unter anderen auch die gen eine Ware sind, die wie andere Waren USA und Kanada, die EU und die Schweiz auf dem Markt gehandelt werden sollen. Und teil). Danach soll es zum Tisa-Abkommen ei- das hätte katastrophale Folgen für die über- nen Anhang geben, der es Patientinnen und wiegende Mehrheit der Menschheit – auch in Türen debattiert werden und dass sich die Patienten einfacher macht, Gesundheits- den reichen Ländern. Öffentlichkeit auf durchgesickerte Informa- dienstleistungen im Ausland in Anspruch Die Implementierung eines freien Handels tionen verlassen muss, um herauszufinden, zu nehmen. Es gebe «ein grosses ungenutz- mit Gesundheitsdienstleistungen würde was die Regierungen in ihrem Namen ver- tes Potenzial für die Globalisierung» von sol- unweigerlich einen Abzug staatlicher Mittel handeln», kommentiert PSI-Generalsekretä- chen Services, heisst es im Papier. Das liege aus den Systemen bewirken: Man kann’s ja rin Rosa Pavanelli. in erster Linie daran, «dass die Gesundheits- im Ausland billiger haben. Dort allerdings versorgung von staatlichen Institutionen auch nur solange, als die Finanzierung öf- Kein Verkauf von Menschenrechten oder Wohlfahrtsorganisationen finanziert fentliche Gelder mit einschliesst. Fallen Pavanelli hält fest, dass Gesundheit ein und übernommen wird und für ausländi- diese weg, entstehen Marktpreise, gemäss Menschenrecht ist: «Sie darf nicht verkauft sche Wettbewerber aufgrund des Mangels denen zahlreiche Behandlungen auch für werden und ist kein Handelsgut. Das Ge- an marktorientierten Betätigungsfeldern den Mittelstand unerschwinglich werden sundheitssystem ist dazu da, uns und un- praktisch nicht von Interesse ist». Und das (und folglich bald gar nicht mehr angeboten seren Angehörigen ein möglichst gesundes soll sich ändern? werden). Die Staaten müssten erneut interve- Leben zu ermöglichen – und dient nicht Odile Frank von Public Services Internati- nieren – mit einem System von Gutscheinen dem Zweck, Grosskonzernen fette Gewin- onal (PSI), der Dachorganisationen der Ge- oder von individuellen Gesundheitskonten. ne zu sichern.» Das Gewinnpotenzial für werkschaften im öffentlichen Dienst, der Damit wäre die Subjektfinanzierung etab- Unternehmen ist in der Tat hoch. Die Ge- auch der VPOD angehört, hat das Papier liert, die bewirkt, dass öffentliches Geld am sundheitsversorgung nimmt in den 50 an analysiert und hegt schlimmste Befürchtun- Ende in den Taschen der privaten Konzerne Tisa beteiligten Staaten einen gewichteten gen: «Die Umsetzung des Prinzips würde verschwindet. «Es ist ein Skandal, dass Vor- Anteil von 12,5 Prozent des Bruttoinland- die Gesundheitskosten in den Entwicklungs- schläge über die Abschaffung öffentlicher produktes ein. | PSI/slt (Foto: trepavica/pho- ländern in die Höhe treiben und zu einem Gesundheitssysteme hinter geschlossenen tocase.de) März 2015 9 9
VPOD | Aus den Regionen und Sektionen Ganz schräge Masche: Eurolöhne für Schaff hauser Grenzgänger. Ganz falsche Farbe: Der Rotstift schadet der Bundesverwaltung. Freiburg: Wasser und Gas – städtisch Es geht um die Zukunft der Industriellen Betriebe: Heute eine öf- fentlich-rechtliche Einrichtung, sollen sie in der Stadt Freiburg in zwei Aktiengesellschaften umgewandelt werden, deren Aktien zu- mindest zu Anfang vollumfänglich in städtischem Besitz sind. Der VPOD kämpft gegen das Projekt, weil er es als einen ersten Schritt in einem Szenario sieht, bei dem der Staat die Kontrolle über we- sentliche Grundversorgungsbereiche verliert. Auch andernorts hat man die Erfahrung gemacht, dass die Veräusserung öffentlicher Gü- ter scheibchenweise geschieht – Ausgliederung aus der öffentlichen Verwaltung, öffentliche AG, private AG, Ausverkauf … In der Stadt Freiburg geht es aktuell um die Versorgung mit Wasser und mit Erd- gas und um rund 60 Beschäftigte. Der VPOD fürchtet um deren menssteuerreform II des Bundes. Das gilt auch für Basel-Stadt, wo Anstellungsbedingungen und beklagt, dass das künftige Reglement der VPOD die neuesten Sparpläne der Regierung nicht nachvollzie- keinen speziellen Kündigungsschutz mehr vorsieht. | slt hen kann. Insbesondere den Stellenabbau an Schulen, die Reduktion der Unterstützung für die integrative Schule und die Massnahmen Schaffhausen: «Ganz schräge Masche» im Sozialbereich weist der VPOD vehement zurück, ebenso wie eine Die Schaff hauser Regierung soll prüfen, ob der Kanton die Grenz- Verschlechterung der Anstellungsbedingungen. Vielmehr bedarf es gängerlöhne künftig in Euro entrichten könne. Dies fordert ein einer Verbesserung: Während in der Privatwirtschaft längst die 41-, Schaff hauser SVP-Kantonsrat mittels Kleiner Anfrage. Auch die wenn nicht die 40-Stunden-Woche üblich ist, müssen die Kanton- Schaff hauser Luxusuhrenfabrik IWC hat verlauten lassen, sie ziehe sangestellten immer noch 42 Wochenstunden bügeln. Nötig wären Eurolöhne in Erwägung. Doch Währungsschwankungen gehören aus VPOD-Sicht zudem endlich einnahmeseitige Massnahmen, zum Unternehmerrisiko und lassen sich nicht auf die Arbeitneh- auch zwecks Korrektur der wachsenden Einkommensunterschiede. menden abwälzen. Das gilt für die ohne Zweifel unter dem Wäh- Eigentlich, so der VPOD, müsste Letzteres auch ein Anliegen der rungsschock leidende Exportindustrie – und erst recht natürlich für rot-grünen Regierung sein … | vpod einen Kanton, für den es nicht in Frage kommen kann, für gleiche Arbeit unterschiedliche Löhne zu bezahlen. Der VPOD erteilt dieser Bund: Sparen schadet der Heimat offenkundigen Schnapsidee eine glasklare Absage: Regionalsekre- Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat ein Nullwachstum beim tär Kurt Altenburger nannte sie in der Schaff hauser AZ eine «ganz Stellenbestand des Bundes ab 2016 angekündigt – als Massnahme schräge Masche». | slt (Foto: Francesca Schellhaas/photocase.de) vor dem Hintergrund der nach unten korrigierten Rechnung 2014, der schlechter werdenden Wirtschafts- und Steueraussichten und Zürich: Bischoff will’s wissen in Vorwegnahme von Ausfällen durch die Unternehmenssteuerre- Kantonsrat Markus Bischoff, Regierungsratskandidat der Alternati- form III. Die Verhandlungsgemeinschaft Bundespersonal (darin: der ven Liste Zürich und Präsident des kantonalen Gewerkschaftsbun- VPOD) kritisiert diese Sparmassnahme allerdings scharf, da sie die des, will’s wissen und zwingt die Zürcher Regierung zum Handeln. aktuelle Personalsituation ignoriert: Die aussenpolitische Lage, die Das Zürcher Kantonsparlament hat ein Postulat der Gewerkschaft- demografische Entwicklung und die Umsetzung von komplexen Ge- lichen Gruppe im Kantonsrat für dringlich erklärt. Dieses fordert setzesrevisionen fordern im Gegenteil der Bundesverwaltung noch eine rasche Analyse der Folgen des Währungsschocks für den Kan- mehr Ressourcen ab. Mit dem bestehenden Personal ist die anfallen- ton. Der Regierungsrat müsse aufzeigen, was er zu unternehmen de Arbeit nicht zu schaffen. Die Folge: Viele Bundesämter weichen gedenkt, um Arbeitsplätze und Löhne zu sichern, verlangt VPOD- seit Jahren auf externe Fachkräfte aus, was vom Parlament kritisiert Kollege Bischoff. Sein Vorstoss erhielt Stimmen aus AL, SP, Grünen, wurde. Absolut zu Recht, wie der VPOD findet – nicht nur im Hin- CSP – und der FDP. Der Ball liegt jetzt beim Regierungsrat. | vpod blick auf ungleiche Arbeitsbedingungen, sondern auch bezüglich der Wissenssicherung. Erste notwendige Schritte hat der Bundesrat im Basel-Stadt: Besser kürzer arbeiten … Budget 2015 umgesetzt, indem externes Personal teilweise interna- Wieder einmal soll das Kantonspersonal die Löcher stopfen, die an- lisiert und Stellenetats etwas aufgestockt wurden. Die neuen Spar- dere gerissen haben – in diesem Fall vorab die unselige Unterneh- massnahmen machen diese Korrektur zunichte. | vpod/slt 10 März 2015
Dossier: Gegen Administrationsexzesse | VPOD VPOD-Kollegin Sina Bardill hat ein Manifest gegen Überadministration lanciert Die Evaluation frisst ihre Kinder Die Klage ist im VPOD verbreitet – speziell bei den Kolleginnen und Kollegen im Gesundheits- und Sozialwesen: «Vor lauter Rapporten und Checklisten entfernen wir uns immer mehr vom Kern unserer Arbeit.» Was tun gegen über- bordende Bürokratie? Das VPOD-Magazin hat sich mit Sina Bardill unterhalten, die ein Manifest mitinitiiert hat. | Text: Christoph Schlatter (Fotos: VPOD und Epert/Photocase.de) «Wir sind Menschen, die gerne arbeiten und Paarbeziehungen promoviert und konzent- shing betrieben wird, geht die Gewerkschaft unser Bestes geben», heisst es im Manifest riert sich derzeit auf Beratungs- und Super- auf Abwehr. Doch die Kritik von Sina Bardill «Adminus – Eigenverantwortung statt Bü- visionstätigkeit in eigener Praxis. Aber sie und Konsorten zielt nicht auf diese – sozu- rokratie» (zu finden unter adminus.ch). kennt den Laden «öffentliche Verwaltung» sagen ältere – Form von Bürokratie, die mit Und weiter: «Wir wehren uns dagegen, dass sehr wohl: aus ihrer Arbeit als Leiterin der grauen Menschen in staubigen Amtsstuben unser Kerngeschäft zunehmend durch bü- Berufs-, Lauf bahn- und Studienberatung assoziiert ist, mit ellbogenschonerbewehrten rokratische Inhalte entwertet wird, die uns des Kantons St. Gallen zum Beispiel. Jetzt, Bürokraten, die eine überflüssige Vorschrift zu Leistungserbringerinnen, Statistikzu- in der Küche des alten Bündner Hauses in nach der anderen erlassen, ohne zu wissen, lieferern, Formularausfüllern und Berich- Scharans, das sie mit Ehemann, Kindern wovon sie reden. (Ganz abgesehen davon, teverfasserinnen machen. Für uns stehen und Seite an Seite mit weiteren teils promi- dass in der Schweiz eine Tradition der Bür- die uns anvertrauten Menschen im Mittel- nenten Verwandten bewohnt, erzählt sie von gernähe herrscht, von der man in den Nach- punkt. Wir verwenden unsere Zeit lieber für (fruchtlosen) Gefechten gegen (nutzlose) Bü- barländern nur träumen kann. In deutschen sie als für Qualitätsmanagement, Optimie- rokratie, die auch sie geführt hat. Beispiel: Amtsstuben ist Reinhard Meys «Antrag auf rungswut, Statistiken und Berichte, die am die Einführung eines neuen Arbeitszeiter- Erteilung eines Antragsformulars zur Bestä- Ende keiner liest.» fassungssystems im Kanton St. Gallen. Der tigung der Nichtigkeit des Durchschriftex- interviewende Gewerkschafter vis-à-vis zuckt emplars» oft noch immer nicht so weit von Gewerkschaftliche Reflexe zusammen. Zeiterfassung gehört ja zu den der Realität entfernt.) Angriffsziel ist viel- Sina Bardill ist Psychologin (und VPOD- gewerkschaftlichen Kernanliegen. Ist deren mehr eine Erscheinung der letzten 10 oder Mitglied). Sie hat mit einer Arbeit über Schleifung gemeint mit dem Abbau von Bü- 15 Jahre: Unter Labels wie «Evaluation» und rokratie? «Qualitätsmanagement» fressen sich auf- Nein, die Kollegin will die Arbeitszeiterfas- wendige Dokumentationsverfahren in im- sung nicht abschaffen. Sie will vielmehr mer mehr Berufsfelder ein und breiten sich den Aufwand für die Erhebung in einem dort einer Hydra gleich aus. Zur Empörung Sina Bardill, Psychologin und VPOD-Kollegin, vernünftigen Verhältnis zur gesamten Ar- der Berufsleute, die sich und das Ethos ihrer kämpft gegen bürokratische Exzesse. beitszeit halten: «Wenn täglich eine Viertel- Profession verkannt, ja verhöhnt sehen. stunde bloss fürs Ausfüllen draufgeht oder wenn es nicht möglich ist, einen Elternabend Am Eigentlichen vorbei vom Vortag ins System einzuspeisen, dann «Gerade in Sozial- und Gesundheitsberufen, stimmt etwas nicht.» Die kurze Irritation allgemein in Berufen, die eine hohe inne- zeigt, wie schwierig das Thema «Bürokra- re Motivation voraussetzen, droht dabei ein tie» im gewerkschaftlichen Wahrnehmungs- Gleichgewicht untergraben zu werden, das raster zu platzieren ist. Die Dokumentation für die Ausübung der Profession Vorausset- von Handlungen, besonders von staatlich zung ist», sagt Sina Bardill. «Der Deal lautete erbrachten, stellt ja historisch gesehen einen einst: ‹Ich bin eine motivierte Arbeitskraft, Fortschritt dar (siehe Seite 16) – das bestrei- ich verpf lichte mich kraft Ausbildung und tet Sina Bardill in keiner Weise. Aufzeich- Berufsethik auf zentrale Grundprinzipien nung bedeutet Nachvollziehbarkeit, schafft meiner Arbeit, übernehme Verantwortung die Möglichkeit, dass Dinge auch noch im für mein Handeln – im Gegenzug lasst ihr Nachhinein auf ihre Richtigkeit und Gerech- mich meine Arbeit machen, gewährt mir tigkeit hin überprüft werden können. Handlungs- und Gestaltungsspielraum.›» Ausserdem vertritt ja gerade der VPOD jene Wenn dieser Kontrakt aufgekündigt wird, Menschen, die in diesen staatlichen oder pa- ist Demotivation die zwingende Folge – auch rastaatlichen Bürokratien arbeiten – und also weil all das, was gemessen und dokumentiert davon leben. Wo in der Art eines Volkssports wird, am eigentlichen Inhalt der Tätigkeit vor- auf den wiehernden Amtsschimmel ge- beigeht. Die Pflegefachfrau notiert die Anzahl schimpft wird, wo pauschales Beamten-Ba verbrauchter Tupfer und Kanülen; der Sozial- März 2015 11
Zergliedert bis zur Unkenntlichkeit: Nicht alles, was Menschen in ihren Berufen tun, lässt sich dokumentieren und in Statistiken und Diagramme abfüllen. kratie? Die Ursachenforschung gestaltet sich nicht so einfach. Die Psychologin und der Gewerkschaftssekretär mutmassen, dass die Komplexität der Systeme, in denen wir uns heute bewegen, dazu beiträgt – Administrati- on als Versuch, der Unübersichtlichkeit Herr zu werden. Oder der Verunsicherung, die da- mit einhergeht. Nur keinen Fehler machen, den die Presse finden und auf bauschen könnte! Dann lieber drei Checklisten abar- beiten! Sina Bardill stellt fest, dass dabei oft wenig gewonnen ist: Das Sicherheitsszenario dient nicht der Klientin oder dem Patienten, sondern den Angestellten selbst zu ihrem eigenen Schutz gegenüber Vorgesetzten und Öffentlichkeit. Man wird ihnen im Zweifel nichts vorwerfen können. Umkehrschluss: «Was bedeutet es», fragt Sina Bardill, «für den Umgang mit Fehlern in einem Unter- nehmen, wenn die Fehlermeldung bedeutet, dass wieder ein neues Formular geschaffen wird, das fortan alle Kolleginnen und Kol- legen bei diesem oder jenem Vorgang aus- zufüllen haben?» Antwort: Man will ja kein Kollegenschwein sein und unterlässt die Meldung ... Die Entwicklung im IT-Bereich trägt ohne Zweifel das ihre zu administrati- arbeiter trotzt der Klientin den Nachweis der Beispiel «Zeiterfassung» veranschaulicht, ven Exzessen bei: Es sei ja einfach, diese und Bemühungen um Arbeit ab; die Tramwagen- um eine Frage des Masses. Wenn das Eigent- jene Kennzahl auch noch zu erheben, denkt führerin wird auf die Farbe ihrer Socken und liche und Zentrale unter die Räder des «Bü- man. Und erhebt sie. (Vom Datenschutzpro- die korrekte Befestigung ihres Namensschilds ros» gerät, ist die Grenze überschritten. Und blem, das so genährt wird, nicht zu reden.) untersucht. Das, wofür sie sich eigentlich zu- häufig sind aktuelle Qualitätsmessungen ständig fühlen, die Krankenpf lege oder die nicht nur kaum hilfreich für die zu erledi- «Wir wissen, wie’s geht» Anleitung zur Selbsthilfe oder das sichere gende Aufgabe, sondern regelrecht kontra- Auch Effizienzsteigerung wird zur Begrün- Chauffieren durch den Stossverkehr, entzieht produktiv. Ein Beispiel sind die Fehlanreize, dung für (Über-)Administration häufig an- sich derweil der Benotung. die Fallpauschalen im Gesundheitswesen geführt, wie ja viele der genannten Elemente Es ist laut Sina Bardill ja keineswegs so, dass setzen, ein anderes die Mitarbeitergesprä- im Windschatten des New Public Manage- Berufsleute 8 von 8 Stunden im Kernge- che: Wo sie lohnwirksam sind, sind sie in- ment und der Vermarktlichung nicht vom schäft tätig sein wollen und müssen. Früher haltlich entwertet: Ich plustere mich mit Markt gesteuerter Bereiche Einzug gehalten war man vielerorts – gerade in Berufen mit falschen Federn auf einer Scheinbühne auf; haben. Einer näheren Betrachtung hält die viel Sozialkontakt – ganz froh, wenn man meine wirklichen Schwächen und Schwie- Behauptung kaum je stand. «Es ist nicht zwischendurch mal eine halbe Stunde «Büro rigkeiten werde ich unter solchen Vorzei- effizient, wenn die Spitex-Pf legefachfrau machen» konnte, wie man es damals nann- chen niemals ansprechen ... Und also auch mit 30-jähriger Erfahrung bei jeder Neuauf- te: «Der zwischenmenschliche Austausch nicht anpacken ... nahme einen 70-Punkte-Katalog abarbeiten ist intensiv und verlangt viel ab.» Aber für Woher kommt das denn alles, diese Überad- muss», sagt Bardill. Und ebenso wenig kön- Sina Bardill handelt es sich, wie bereits am ministration, diese lebensfeindliche Büro- ne von Effizienzzuwachs gesprochen wer- 12 März 2015
Dossier: Gegen Administrationsexzesse | VPOD den, wenn man ermesse, welch immense Das Murren über Exzesse des Qualitätsma- von Selbständigkeit und Wertschätzung mit Ressourcen in Aufgaben fliessen, die es vor nagements kommt typischerweise von der Zukunftsfähigkeit und Erneuerung verbun- 20 Jahren noch gar nicht gab. Woher also das Basis, aus der Praxis. Man wisse schliesslich den sind. Starre Kataloge, unbegrenzter Kon- alles? Keineswegs möchte Sina Bardill un- schon, wie es geht, und müsse sich von fer- trollzwang, übermässige Zergliederung in terstellen, dass böse Menschen mit Absicht nen Schreibtischtätern nicht dreinreden las- exceltaugliche Daten erdrosseln die Innova- engagierte Berufsleute schikanieren und sen. Darin liegt sicher etwas Wahres. Doch tionskraft. Aber auch wenn Konsens besteht quälen möchten. Der Ausgangspunkt sei stellt sich die Frage, wie denn überhaupt und das Ziel «weniger Bürokratie» etabliert häufig nachvollziehbar, ja sogar begrüssens- Innovation in Systeme gelangen kann. Denn wäre – bei der Implementierung wird man wert: der Versuch, bessere Auslastung zu er- mit dem «Wir wissen schon, wie das zu ma- sich vorsehen müssen. Erstens, dass man zielen oder einen sparsameren Umgang mit chen ist» geht gern auch ein «Das haben wir nicht den Sack schlägt, wenn man den Esel Ressourcen oder mehr Gerechtigkeit. Auch schon immer so gemacht» einher, ein Be- meint. Und zweitens, dass nicht auch der an historischen Beispielen fehlt es nicht, die harrungsvermögen, das womöglich aktuelle Kampf gegen Überadministration selber belegen, was – gerade im Sozialbereich – das Entwicklungen verpennt. Allerdings zeigen sinnlose Bürokratie generiert ... Resultat mangelnder Kontrolle sein kann. die neueren Befragungen zum Thema «gu- Das steht am Anfang, ja. «Aber am Ende te Führung», dass Faktoren wie Flexibilität, steht etwas, was niemand gewollt hat.» Diversität, flache Hierarchien und ein Klima Mit dem Rechtsanwalt zum Elternabend ... Ausufernde Administration wird von VPOD-Kolleginnen und -Kollegen Auch wenn das (noch) ein Gerücht sein mag, sagt es einiges aus über die immer wieder angeführt, wenn es um die Widerwärtigkeiten des Alltags Stimmung bei den Lehrkräften. geht. Speziell im Bildungs-, im Gesundheits- und im Sozialbereich. «Zu An sich dürfte Administration nur einen minimalen Anteil der Arbeit ei- viel Bürokratie, zu viel Kontrolle – und die Integration kommt, obwohl ner Lehrerin ausmachen; im LCH-Konzept etwa ist der ganze Bereich «Ge- erwünscht und angestrebt, zu kurz», sagt etwa Daniel Altenbach, Sozial- staltung der Schule», der auch (aber keineswegs ausschliesslich) Büro- arbeiter (VPOD-Magazin Februar 2015). Auch an der letzten Verbands- Aufgaben umfasst, mit 5 Prozent der Arbeitszeit veranschlagt. Die erlebte konferenz Sozialbereich löste die Frage «Wann habe ich endlich wieder Realität sieht aber offensichtlich anders aus, wie ein zufällig ausgewähltes Zeit, meine Arbeit zu machen?» eine intensive Diskussion aus. Unisono Beispiel aus der Stadt Zürich zeigt: Für Barrückforderungen im Rahmen wurde die Zunahme des administrativen Aufwands bestätigt: «Die Doku- des Globalkredits existiert ein zweiseitiges Merkblatt, das nicht nur erläu- mentation der Fälle und die Dateneingabe beanspruchen sehr viel Zeit. tert, dass solche Quittungen auf A4-Blätter geklebt gehören, sondern auch, Wo öffentliche Gelder fliessen und Leistungsverträge erfüllt werden, dass «zu grosse oder zu lange Quittungen ... gefaltet werden» müssen. muss alles genauestens erfasst werden.» Es ist nicht so, dass man das Wichtig auch: «Beträge auf Quittungen dürfen nicht mit Leuchtstift mar- pauschal ablehnt; es besteht bei Sozialarbeiterinnen und Sozialpädago- kiert werden.» Und sehr hilfreich die Anleitung: «Vermeiden Sie ‹Misch- gen durchaus Verständnis dafür, dass das Handeln von staatlichen oder belege›, indem Sie private und schulische Einkäufe zusammen auf einer staatlich getragenen Einrichtungen nachvollziehbar sein muss. Aber die Quittung aufführen lassen.» Ach ja? Sollten wir das nicht eher vermeiden, VPOD-Kolleginnen und Kollegen in den Sozialberufen leiden, wenn ihre indem wir diese Einkäufe eben gerade nicht auf einen Zettel nehmen? eigentliche Arbeit leidet. Allerdings zeigt das Beispiel der familienergänzenden Kinderbetreuung Der Absicherung bedarf es nicht nur gegenüber dem Geldgeber, sondern laut VPOD-Zentralsekretärin Christine Flitner auch auf, dass Bürokratie und auch – im «eigenen» Interesse – gegenüber der Vorgesetzten, gegenüber Bürokratisierung häufig als polemische Schlagworte eingesetzt werden – anderen Klientinnen, gegenüber der Öffentlichkeit. Im Bildungsbereich zwecks Bekämpfung von Fortschritt und Qualitätsverbesserung. Bürokratie kommen die Eltern als weiterer potenziell «bedrohlicher», Rechenschaft verhindere den bedarfsgerechten Ausbau von Kitas durch unzählige Aufla- verlangender Player dazu – Eltern, die offensichtlich immer weniger bereit gen wie Platzbestimmungen, Hygienestandards, Ausbildungsanforderun- sind, eine mässige oder negative Qualifikation ihres (in aller Regel hoch- gen, heisst es da. Was erstens nicht zutrifft und zweitens unverkennbar ein begabten) Nachwuchses zu akzeptieren. Angeblich gibt es Schulen, wo die reines Deregulierungsargument darstellt ... | slt Eltern schon gleich mit dem Rechtsanwalt zum Elternabend erscheinen. Siehe auch folgende Doppelseite zur Bürokratisierung im Gesundheitswesen. März 2015 13
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