DAS GROSSE FRESSEN LUZERNER KULTURKÜCHEN IM TEST - null41
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Unabhängige Monatszeitschrift für die Zentralschweiz mit Kulturkalender NO 6 Juni 2018 CHF 9.– www.null41.ch LUZERNER KULTURKÜCHEN IM TEST DAS GROSSE FRESSEN
EDITORIAL Genügend Fleisch am Knochen? Immer wenn ich unsere Kolumne «Gefundenes Fressen» von Sylvan Müller gegenlese, rumort mein Magen. Ich meine, das ist ein gutes Zeichen. Er meint, es könnte auch sein, dass ich zu wenig zu essen bekomme. Um auf Nummer sicher zu gehen, habe ich mich ab Seite 10 gemeinsam mit der «041»-Redaktion – und Sylvan Müller – durch die Kulturküchen der Umgebung gefressen. Wir wollten wissen, ob die hiesigen Kulturschaffenden genug und Gutes zu essen kriegen. Denn, wie wir aus dem Militär wissen (also ich nicht): Ohne Mampf kein Kampf. Damit Sie nicht nur das Magazin vollsabbern, haben wir die getesteten Kulturköchinnen und -köche nach Rezepten gefragt, die Sie einfach und schnell nachkochen können. Sie finden diese auf Seite 16. Gegen ein ganz bestimmtes Gericht hat unser Magen eine Intoleranz entwickelt: Jubiläen. Monat für Monat tischen uns Kommunikationsverantwortliche ihr fünftes, zehntes, zwanzigstes, eintausendzweihundertfünfzigstes oder drittes Jubiläum auf und finden, dass dies unbedingt mit einem Artikel berücksichtigt werden muss. Das finden wir nicht. Christov Rolla schreibt in seinem Essay ab Seite 18, was an Jubiläen nervt – und weshalb wir sie trotzdem brauchen. Zudem präsentieren wir Ihnen unseren persönlichen Trüffel des diesjährigen B-Sides Festival auf Seite 22: die Tin Shelter Crew. Wohl bekomms! Ausserdem: Bei der Neubesetzung unserer Redaktionsleitung sind wir fündig geworden: Sophie Grossmann wird die Stelle am 1. Juni antreten. Sie ist in der Zentralschweiz bestens vernetzt und mit ihrem abgeschlossenen Kulturpublizistik-Studium und ihren Erfahrungen in Print- und Online- redaktionen (u. a. bei «Vice», «Young Swiss Magazine») perfekt für diese Stelle qualifiziert. Herzlich willkommen, wir freuen uns! Bild: zvg von www Heinrich Weingartner, Redaktionsleiter ad interim weingartner@kulturmagazin.ch 3
INHALT AB SEITE 10 ANGERICHTET Was Luzerner Kulturhäuser auftischen: der «041»-Gastrotest SEITE 18 ABGESTANDEN Was an Jubiläen nervt – und weshalb es sie trotzdem braucht SEITE 22 AUSGESUCHT Die Tin Shelter Crew, unser B-Sides-Geheimtipp KOLUMNEN 33 Kino. Kaleo La Belle nimmt’s persönlich PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 6 Doppelter Fokus: Gwerb’18 in Zug 36 Wort. Zwei Zentralschweizer Schinken 40 Stattkino / LSO / Luzerner Theater 8 Gefundenes Fressen: Erdbeeren das ganze 59 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen 42 Kulturlandschaft Jahr Schweiz 46 Neubad / Südpol Bilder: Sylvan Müller / Jodok Achermann 9 Lechts und Rinks: Potenzielle Ausraster 60 Ausschreibungen, Preise, Namen, Notizen 48 HSLU Musik 20 Kulturtank: Kultur «managen»? 61 Leserbriefe 52 Haus für Kunst Uri / Kunstmuseum Luzern / Akku 41 40 Jahre IG Kultur: Ja zur Vielfalt 54 Nidwaldner Museum / Museum Bellpark 62 Käptn Steffis Rätsel 56 Historisches Museum / Natur Museum / Kunsthaus Zug KULTURKALENDER 63 041 – Das Freundebuch: Patrick Müller 58 Kunsthalle 38 Kinderkulturkalender 39 Veranstaltungen SERVICE 53 Ausstellungen 29 Kunst. Ruth Levap malt Most 31 Musik. Stephan Hodel vertont den Jet Titelbild: Matthias Jurt 4
S C H Ö N G E S AG T «Der nachhaltigste Event der Seerose ist deren Verschrottung.» Christof Hirtler, Seite 26 AU F G E L I S T E T G U T E N T AG Leider fein – Gastrosünden, GUTEN TAG, LUZERNER SINFONIEORCHESTER die wir lieben: Bei Euch geht’s um die Wurst: Eine halbe Mil- Gender-Bewusstsein?). Ist das Euer Ernst? Zynisch lion wollt Ihr bis am 19. Juni für Euer High- ist auch die Message: Während sich die Luzerner - Paprika Chips mit Gravy End-Probenhaus beim Südpol fundraisen. Am 1. Kulturszene ein halbes Jahr den Allerwertesten - Nature Chips mit Mascarpone Mai habt ihr dazu ein Video veröffentlicht: Kurt aufgerissen hat, um für 100 000 Franken einen - Dicke Eier mit Mayo Aeschbacher, Götti des ambitiösen Projekts, hält Dokumentarfilm über die Steuerpolitik zu finan- - Mayo mit dicken Eiern eine halbverkohlte Bratwurst in die Kamera. Dazu zieren, wollt Ihr, liebe Luzerner Symphoniker, das rosa Hemd, das botoxerprobte Grinsen unwider- Fünffache für euch selber. - Hüttenkäse mit Sweet-and-Sour-Sauce stehlich – also, wenn er das Probenhaus gut findet, - In ungeschnittenen Mozzarella beissen, finden wir aus «der Bevölkerung» das auch gut! Ist uns Wurst, 041 – Das Kulturmagazin weil man nicht warten kann Am Schluss beisst Aeschbi herzhaft rein in die - Schlagrahm mit Schoggistreusel Bratwurst – es geit um d’Wurscht! Musikalisch - Reis mit Speckwürfeli mögt ihr Stil haben, bei stilvollen Metaphern hapert es noch. Und eine Drohne, die vom Grill - Popcorn mit geschmolzener Butter aufwärts fliegt? Come on, das ist so 2016! Item: - «La Grande Bouffe» Wieso genau braucht Ihr ein Probenhaus? Die - Spaghetti mit Ketchup und Maggi Mietwohnungen, in der die armen Orchester- mitglieder laut Promo-Video nicht üben können, - Darvida mit Cantadou muten zynisch luxuriös an: freshe Küche, smar- - Alles Obige im Bett essen, tes Bad, Flügel im Gästezimmer, überbordend dazu «La Grande Bouffe» schauen pink eingerichtetes Mädchenzimmer (Guten Tag, ANZEIGEN 01 8 . Juni 2 16. – 24 ie le n n aus v en. z u M ensche rg rü nd te te Ko nta k ll e n H in uze rn la d e n l e rm ö g li c ht n s te n ku ltu re t a d t L s y c h ie d e S en, oche A r in d e r n , Fil m D ie A k ti o n sw u n d m it ve rs V e ra n s t a lte e n A k tivit äte r. e rn un d h h f ts lä n d ri n n e n ie le ri s c n d vie le m m e H e rku n n s t a lte und sp u h e Ve ra r tl ic h e n s s io n e n ch Zah lr e ic ll u n g e n , s p o d iu m s d is k u .a a s yl. A u s s te g s ti s c h e n , Po r www e in zu g ra m m u nte t a ro e n , M it D et a il p Lesung 5
D O P P E LT E R F O K U S Gwerb’18, Gewerbeausstellung im Gemeindesaal Steinhausen (Zug), 5. Mai 2018 Bild oben Mischa Christen, rechte Seite Patrick Blank Die beiden Luzerner Fotografen Patrick Blank und Mischa Christen zeigen zwei Blicke auf einen Zentralschweizer Anlass, den «041 – Das Kulturmagazin» nicht besuchen würde. 6
GEFUNDENES FRESSEN Erdbeeren das ganze Jahr Anfangs März und bei deutlichen Minus- erhältlichen, sind die aromatischen Beeren frischen: reif, saftig und süss wie fast verges- graden schaltete der Grossverteiler sein In- deutlich weicher und somit viel empfindlicher sene Erinnerungen. Weil die von Bauer Joss serat: «Die Zeit ist reif: für Erdbeeren.» Nun, auf mechanische Einwirkung. Sie müssen angebaute Sorte retardierend wächst, also irgendwo ist die Zeit wohl immer reif für sorgfältig gepflückt werden und schnell zum immer wieder Blüten produziert, sind die Erdbeeren. So reif, dass derselbe Grossverteiler Kunden gelangen, der grossartige Geschmack Hellbühler Erdbeeren je nach Witterung bis in einen Monat später dieselben Erdbeeren in geht zulasten der Lagerfähigkeit. So stand den späten Herbst erhältlich. Um beim Slogan der 500-g-Schale bereits zum Aktionspreis Bauernfamilie Joss eines Tages im Sommer des Grossverteilers zu bleiben: Wenn dann der von einem Franken angeboten hat. Um den vor einem riesigen Berg reifer Erdbeeren und erste Frost in den Wiesen des Littauerbergs Geschmack dieser Beeren zu beschreiben, alle Kunden weilten in den Ferien. Das Lager klebt, ist die Zeit reif für die getrockneten wäre «ein weiterer Aggregatszustand von bereits voll mit Sirup und Konfi, begannen sie Supererdbeeren. Oder für die Wandervögel Wasser» wahrscheinlich ziemlich zutref- aus der Not, die süssen Früchte zu trocknen. als Proviant auch schon jetzt. Die Zeit ist reif. fend gewesen. Dabei gäbe es sie noch, die Durch den Verlust an Feuchtigkeit wurden Für Erdbeeren. Immer halt. Erdbeeren, die auch tatsächlich schmecken, die ohnehin vollaromatischen Früchte zu Text und Bild: Sylvan Müller wie sie heissen. Sie reifen halt einfach etwas wahren Geschmacksbomben. Das hat ihnen, später, anfangs Juni und zum Beispiel auf hübsch verpackt als Fruchtsnack, im ver- dem Biohof Oberzinggen in Hellbühl. Die gangenen Jahr die Auszeichnung des Labels Familie Joss baut eine äusserst aromatische «Bio Gourmet» von Bio Suisse eingebracht, Sorte an, sie heisst Annabelle und schmeckt und uns das Vergnügen, nun tatsächlich das Die Erdbeeren vom Biohof Oberzinggen sind ab Juni am Luzerner Wochenmarkt am Stand vom Hof Wida- intensiv und wunderbar nach Walderdbee- ganze Jahr unbeschwert Erdbeeren geniessen cher erhältlich, getrocknet, als Konfi und als Sirup im ren. Im Gegensatz zu den üblicherweise zu können. Nun gibt’s aber erst einmal die Online-Hofladen: www.biohofoberzinggen.ch ANZEIGEN 8
LEC HTS U N D R I N KS Potenzielle Ausraster Seit einem Jahr werden potenziell gefährliche Menschen präventiv als «Gefährder» in einer Datenbank erfasst. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Das revidierte Polizeigesetz bringt linke Her- Wer einmal als «Gefährder» erfasst ist, muss Direktbetroffenen gemeldet. Zwar kann davon zen wieder mal kräftig zum Hakenschla- nachher selber über sein Verhalten beweisen, ausgegangen werden, dass die Befürchtungen gen: Natürlich ist es gut, wenn gewalttätige dass er kein solcher ist. Sofern er oder sie nicht aus der Luft gegriffen sind, wenn so Männer zum Beispiel bei häuslicher Gewalt überhaupt von dieser Einschätzung weiss: eine Meldung gemacht und überprüft wird. bekannt sind und ein Rayonverbot bekom- Im Kanton Luzern wurden nämlich von Trotzdem ist es eine Gratwanderung: Welche men. Natürlich ist es sinnvoll, wenn es eine den im ersten Jahr erfassten 352 Gefähr- Rolle spielen subjektive Wahrnehmungen und Handhabe gegen Stalker gibt und Behörden dern gerade mal 111 darüber informiert. Sichtweisen der jeweiligen Behörden? Oder vor aggressiver Klientel geschützt sind. Damit Die anderen wissen nichts davon. Vielleicht von Leuten, die so etwas melden? Wie kann das so ist, gibt es allerdings schon Gesetze gehören ja auch Sie oder ich dazu? Wer weiss. ausgeschlossen werden, dass beispielsweise und Massnahmen. Sie kommen zum Einsatz, Polizeikommandant Daniel Bussmann sagte politische Haltungen oder von der Norm wenn tatsächlich etwas vorgefallen ist, sich gegenüber dem Online-Magazin Zentralplus abweichende Lebensformen oder Verhaltens- besagter Mensch effektiv bedrohlich und/ sogar selber, dass unter den Meldungen nicht weisen nicht per se als bedrohlich empfunden oder tätlich gegenüber anderen verhalten nur substanzielle, sondern auch diffuse und werden? Wann ist jemand einfach mal am hat. Seit dem 2017 revidierten Polizeigesetz schlecht fassbare Fälle seien. Da stellt sich falschen Ort laut geworden, weil ihm oder ihr ist das anders: Personen können präventiv die Frage: Wer macht denn diese Meldungen die Sicherung durchgebrannt ist, ohne dass als «Gefährder» erfasst werden, noch bevor und Einschätzungen überhaupt? In Luzern darum gleich eine latente oder tatsächliche sie etwas Unrechtes getan haben. Davon werden potenzielle «Gefährder» dem kanto- Bedrohung vorhanden ist? Solche und weitere verspricht man sich, eine Straf- und/oder nalen Bedrohungsmanagement (KBM) von Fragen müssen bei der Auswertung des neuen Gewalttat zu verhindern, die vielleicht in Institutionen, Behörden, Verwaltungen und Instrumentariums unter die Lupe genommen Zukunft einmal passieren könnte. Vielleicht, werden. Darum ist es gut, wenn der bürger- hätte, sein und könnte. Es handelt sich also lichen Kantonsregierung diesbezüglich auf nicht um Tatsachen, sondern um Vermu- die Finger geschaut wird. tungen und Spekulationen, was eine solche Person vielleicht einmal zu tun gedenkt. PS: Hatten Sie aus Überforderung oder Verzweif- Und das ist doch sehr schwammig für eine lung auch schon eine unangebrachte Wutattacke so krasse Einstufung, die bei einem allfällig an einem unangebrachten Ort, obschon Sie ein späteren Kontakt mit der Polizei oder anderen friedlicher Mensch sind? Ich auch. Behörden bestimmt jahrelang als Etikett an einem klebt: ein bedrohlicher Mensch. Text: Christine Weber, Illustration: Stefanie Sager 9
K U LT U R K Ü C H E N Ohne Mampf kein Kampf Was isst die Zentralschweizer Kulturszene? Politisch nagt sie am Hungertuch, doch wie stärkt sie sich kulinarisch? Die «041»-Redaktion isst sich durch die Luzerner Kulturküchen. Zum Dessert gibt es keinen Kulturkuchen, sondern ausgewählte Rezepte der Köchinnen und Köche. Die Sammlung finden Sie auf Seite 16 und 17. 10
K U LT U R K Ü C H E N Vom Berg in die Stadt: Seit einem halben Jahr kocht Phillipp Kehrli im Treibhaus. Zuvor stand er auf Pilatus Kulm hinter dem Herd. Treibhaus-Mittagstisch Am Nebentisch sitzen drei Schüler der nahe gelegenen Kanti Alpenquai und sind begeistert von der kalten Wassermelonen-Suppe, die an diesem Tag im Treibhaus zum Mittagsmenü serviert wird. Nein, meist hätten sie nicht genügend Zeit, um hierhin essen zu kommen, darum würde man auch eher Lehrerinnen und Lehrer sehen, die hätten genügend Zeit, erzählen sie. Prompt bekomme ich Gesellschaft an meinem Tisch in Gestalt zweier Mathematiklehrer aus demselben Institut. Sie treffen sich hier gelegentlich mit Lehrerkollegen zum «English-Lunch», in meiner Anwesenheit aber wird rücksichtsvoll deutsch gesprochen. Und sie versi- chern mit aller Vehemenz, sie hätten nicht mehr Zeit als die Schülerinnen und Schüler, schliesslich müssten sie nach dem Unterricht noch die ganze Schweinerei wieder in Ordnung bringen, geometrische Modelle versorgen und überhaupt. Die Bedienung ist schnell und freundlich und kein erschwerender Faktor unter knappen zeitlichen Voraussetzungen. Wir bestellen. Nach der Melonensuppe wird mir sowohl der Vegi- wie auch der Fleischgang serviert, also einmal Kartoffel-Gnocchi an Gorgonzola- Sauce mit gedünsteten Birnen und Maronen und die Hühnerbrust gefüllt mit Artischocken und Oliven, Tomatenrisotto und sautierten Zucchetti. Natürlich könnte man kritteln, der Wassermelonen-Suppe hätte es an etwas Schärfe gefehlt, die Oliven-Artischocken-Füllung beim Huhn hätte mehr Struktur vertragen mögen und die Tomate im Risotto mehr Tiefe. Nur bekommt man selten zu diesem Preis und in dieser entspannten Atmosphäre einen runderen Vegi-Gang serviert – sorgfältig gekocht und liebevoll angerichtet. Und auch der Mut, für 70 Menschen einen Risotto zuzubereiten, gehört gewürdigt. Dessen Konsistenz war perfekt, genauso wie der Garpunkt des Huhns. Schülerinnen und Studenten können im Treibhaus zu unschlagbaren Preisen essen: Sowohl mittags und neu auch freitag- und samstagabends gibt’s die Menüs für Studierende für 10 Schtutz, abends die Bier & Burger-Kombi (Fleisch- oder Vegi-Burger mit Rösti oder Süsskartoffeln und einem Kübel Bier) für Fr. 19.50. Unaufgefordert vorweisen: Studierendenausweis (und ID ...?). Sylvan Müller Essen: Wassermelonen-Ka ltschale mit Basi- likum, Vegi: Kartoffel-Gnocc hi an Gorgonzola- Sauce, gedünstete Birnen und Maronen, Fleisch: Hühnerbrust gefüllt mit Artis chocken und Oliven, Tomatenrisotto, sautierte Zuc chetti Preis: Vegi Fr. 17.50 (Studis 10 Franken) Fleisch Fr. 19.50 (Studis 10 Franken ) Service: Schnell, freundlich, spricht mich mit «Sie» an, also jung Publikum: Kanti-Lehrperson en (mit viel Zeit), Kanti-Schülerinnen und Kan ti-Schüler (keine Zeit), Personal aus den angrenz enden Büros Ambiente: Bei schönem We tter wie in einem Biergarten und erst noch ohn e Dirndl. Bestens! 11
K U LT U R K Ü C H E N Essen (zweiter Besuch): Vegi-Gschnätzlets ungarische Art mit Peperoni, geräuchertem Paprika und frischen Kräutern auf cremiger, feinkörniger Polenta mit Rosmarin und Dörrap- Jazziger Sommergroove , rikose, Joghurttopping und Brunnenkresse-Mix dazu 3 dl Mineral Preis: 15 Franken, Mineral Fr. 3.50 «Das ist Jazz», urteilt mein Begleiter über die dudelige Musik, die den Raum wie ein Schwarm winziger Flugtiere mit Leben füllt. Muss Service: Selbstbedienung, daher sehr gut so sein, wir testen hier die Jazzkantine. Draussen brennt die Sonne, Publikum: Durchmischt, Geschäftsetage Radio an es ist einer diese Frühlingstage, der sich wie ein Julikind aufführt. 3fach, viele Studis sitzen auf der Wiese neben Ambiente: Heiss, mit einem coolen Anflug von Drinnen lässt man sich voll und ganz auf die Sommerstimmung Sehen-und-Gesehenwerden ein: Der Kellner dreht verträumt seine Runden durchs Lokal, der Koch gibt sich alle Mühe, nicht ins Schwitzen zu geraten, der Gast mit der «Luzerner Zeitung» streicht sorgfältig die Seiten glatt, als wären sie sein Strandtuch. Zwei ältere Herren stecken die Köpfe so sehr zusammen, dass wir unschlüssig bleiben, ob sie über Grafiker lästern oder selber welche sind. Es dauert eine Weile, bis die Karte kommt, und dann noch eine, bis das Wasser da ist, schliesslich noch Bea Guggisberg versucht bei Plan B immer nur zwei oder drei, bis die Melonen-Kaltschale auf dem Tisch steht. Die so viel zu kochen, wie auch gegessen wird. ist alles andere als lahm: überraschend würzig und richtig gut. Als sei hier Sommer auf Capri und nicht Totehosetag in Luzern. «Easy-aufgetürmt-Bea-Style» Auch die Warterei auf das Hauptgericht lohnt sich. Meine Linguine aglio, olio e peperoncino sind zwar mit nur wenig scharf und ich Die Kundschaft des Plan B Catering von Bea Guggisberg liest sich denke ein bisschen wehmütig an die legendären Ölseeli, die hier wie ein Index der Zentralschweizer Kulturinstitutionen. Guggisberg früher integraler Bestandteil aller Teigwarengerichte waren. Heute ist Anlaufstelle Nummer eins für hiesige Kulturcaterings. Bei der ist alles vernünftig: die geschöpfte Menge, der Einsatz von Knobli Volière von Radio 3fach auf dem Inseli serviert sie mittags von April und auch mit dem Fett übertreibt es keiner. Mein Begleiter hat die bis September, jeweils bei schönem Wetter, ein vegetarisches oder Spinat-Riccotta-Ravioli an Thaigemüsesauce mit Poulet bestellt, das veganes Menü. Ihre Küche: gesund, ausgefallen, nachhaltig, stets mit Tagesmenü. Mir klang das zu sehr nach anstrengender Fusionsküche. einem orientalischen Touch. «Ond, wie hesch s’Müesli gfonde?», fragt Doch das Gericht sieht extrem hübsch aus und soll so lecker wie meine Begleitung. «Easy-aufgetürmt-Bea-Style halt», antwortet ihr schön gewesen sein. Dann gibt’s noch einen Espresso obendrauf meine Sitznachbarin am nächsten Tag. Ja, ich musste zweimal hin. Es und zum Abschied ein paar halbgare Witze vom Pächter Domi ist schwierig, zu essen und sich gleichzeitig darauf zu konzentrieren, Meyer himself. Satt und zufrieden laufen wir zurück, kommen wie das Essen schmeckt und wie man das in Worten ausdrücken fast schon beschwingt im Büro an. Als ob wir zwei Tage aufs Meer soll. Vielleicht auch, weil Guggisbergs Menüs an der Volière so subtil geschaut hätten und nicht bloss eine Stunde in der Jazzy auf den daherkommen? Perfekt für eine Sommerbeiz. Im Hintergrund hört Kellner, den Koch und ihre Gäste. man die Musik nicht wirklich, aber man hört sie doch, was beim Essen etwas nervt. Abstellen oder voll aufdrehen, alles dazwischen Anna Chudozilov ist so blöd unverbindlich. Zurück zum Essen: «Ein aufgetürmtes Müesli» trifft es gut. Zahlreiche Zutaten, gemischt und geschichtet, mit der üblichen Kressedeko obendrauf. Das Vegi-Gschnätzlete ist Essen: Melonen-Kaltschale, dann Linguine aglio, ein Traum und vermag auch die hartnäckigsten Fleischesserinnen olio e peperoncino, dazu ein grosses Mineral, und Fleischesser zu täuschen. Geschmackstechnisch extrem vielfältig, hinterher einen Espresso kann man selber entscheiden, was man mit was mischen möchte. Preis: Total 31 Franken (Das Menü kostet Die Polenta ist etwas trocken, was aber nicht weiter stört, weil sie in Fr. 19.50, Tagesteller gibt’s für Fr. 16.50, Studis zahlen Fr. 14.50.) Kombination mit der Gschnätzleten-Sauce die perfekte Konsistenz Service: Total gemütlich unterwegs (kann man bekommt. Es folgt ein scharfer Nachgeschmack während der nächsten so oder so finden) halben Stunde, der auffällt und gefällt. Und zum Schluss noch dies: Publikum: Am Mittwochmittag vor Auffahrt Alles ist schön kaufest, damit es knackt und befriedigt. kaum vorhanden Ambiente: Sommerlich-saumselig, obwohl Heinrich Weingartner doch erst Mai war 12
K U LT U R K Ü C H E N Essen: Menüsalat, Curry-Gemüse-Frittata mit Spinat und Gurken-Raita Preis: Fr. 27.50. Menü Fr. 19.50 (vegetarisch), Wie zu Hause, einfach besser Fr. 21.50 (Fleisch), inklusive Salat oder Suppe plus Café crème (4 Franken) und 3 dl Mineral (4 Franken) Die Meyer Kulturbeiz trägt die Kultur im Namen. Doch Service: Bedienung am Tisch, Essen und warum ist gerade das Meyer eine Kulturbeiz? Auf den Getränke kommen schnell und sind genau- ersten Blick wegen des Interieurs: Die Wände sind über so schnell wieder abgeräumt. Freundlich und unkompliziert und über behängt mit Kunst aus dem Epizentrum der Publikum: Homeoffice-Menschen (Autorin), Luzerner Kulturszene: Tschutti-Bildli, Fotomontagen, Mütter mit Kindern (Väter werden wohl nicht nur Konzertbilder und wechselnde Ausstellungen bilden an diesem Mittag vermisst …), Zeitungsleserin- Neubad-Küchenchef Patrick Schwehm gehört nen und Zeitungsleser eine bunte Kunst-Collage. Auf den zweiten Blick wegen schon zum festen Inventar des Neubads Luzern. der regelmässigen Kulturveranstaltungen: Pro Monat Ambiente: Kreativ, freundschaftlich, wissbegie- rig, generationenübergreifend gesprächig finden rund drei Konzerte im Meyer statt. Doch der dritte Blick ist wohl der wichtigste: «Stille deine legalen Süchte mit lokalen Mitteln.» steht auf der Homepage. Kulinarisches Märchen Was das heisst? Sämtliche Produkte kommen aus der Region: Das Gemüse aus Rothenburg, das Fleisch aus Das Mittagessen im Neubad ist nicht nur kulinarisch, sondern auch Zell, die Glace aus Sempach. Die Köchin Michaela soziologisch und literarisch eine Wohltat und sehr zu empfehlen. Muheim macht aus diesen Zutaten bodenständig- Die Küche konzentriert sich auf ein Vegi- und ein Fleisch-Menü am leckeres Essen – am Tag unserer Degustation eine Mittag und bereitet dieses mit lokalen Zutaten zu. Das schmeckt und Gemüsequiche mit Quark-Dip. Klingt simpel, doch sieht gut aus. Das Portemonnaie ist ein bisschen gefordert, aber das die Details machen’s aus. Der Boden ist unschlagbar lohnt sich durchaus. Schon nur die in Schwarz und Weiss gehaltene knusprig, der Blätterteig luftig, der Salat zur Vorspeise und übersichtliche Karte ist ein Erlebnis, das sich zeitweilen wie wird in einer Schüssel und mit Croutons garniert serviert ein Nahrungsmittel-Märchen liest. «Chutney», ja, das weckt noch – wie zu Hause, einfach besser. Besonders fein war der Assoziationen. Aber was ist «Raita»? «Fregola Sarda»? «Hanf-Pilz- weiche, kleine Schoggi-Pancake zum Dessert. Und für Kugeln»? «Randen-Meerrettich-Aiola»? «Zitronen-Kräuter-Gremo- Extra-Restaurantfeeling sorgen liebevolle Garnituren lata»? «Galgant-Chili-Sauce»? (Eine dieser Menü-Komponenten ist wie getrocknete Blütenblätter. Herkunftstransparenz übrigens erfunden.) Aber das Werweissen macht Spass und festigt und Esskultur werden grossgeschrieben, doch von die Vorfreude. So verspielt wie auf der Karte geht es auch unter den Gastgeberin Fiona Meyer und ihrem Team angenehm Tischen zu und her. Es ist eine intensive Lebenserfahrung, dieses unaufgeregt und undogmatisch gelebt. Ab 16 Uhr darf Mittagessen. Da schaut einer nicht richtig und schlägt sich an der man im Meyer übrigens rauchen. Wand den Kopf an, die andere fällt über die eigenen Füsse, der Dritte lässt sich ungern was sagen und bockt, es gibt Streit, man fällt sich Katharina Thalmann weinend in die Arme oder schreit nach Mama. Ziemlich so geht doch Leben! Dazu läuft aus den Boxen französische Popmusik, «Joe Le Taxi» von Vanessa Paradis. Es kann losgehen: Der Menüsalat ist farbig, die Sauce schmeckt selbstgemacht und Ruchbrot dazu ist ein formidabler Evergreen. Die Curry-Gemüse-Frittata als Hauptspeise überzeugt durch Grösse und Konsistenz, Mais und Erbsen geben dem salzigen Gericht eine bestechende Süsse. Der Spinat bleibt mehrheitlich ungewürzt und das ist gut so, man kann ihn nämlich in die Gurken-Raita tunken. Unter dieser versteckt sich Essen: Eine Schüssel Salat, Gemüseq uiche, übrigens geschickt eine Rande, gelungener Überraschungseffekt! Pancake, Wasser-für-Wasser-Wasser und einen Hier kocht jemand, der sich mit Gemüse auskennt und weiss, wie Café crème man es drapieren muss. Das merkt man auch dem Rest der Karte Preis: 25 Franken (Das Vegimenü kostet 18 Franken, das Fleischmenü 20 Fran an. Nachhaltigkeit scheint weder bei den Menüs noch bei den ken.) Service: Bedienung am Tisch, sehr Getränken ein Fremdwort zu sein. Das Neubad-Bistro gehört auf ungezwungen und zuvorkommend. aufmerksam, Michaela Muheim arbeitet seit Sommer Der Café den kulinarischen Radar von Liebhaberinnen und Liebhabern, die 2017 im Meyer. Ursprünglich stammt konnte problemlos draussen getrunken wurden. Unbekanntes und Unvorhergesehenes genauso zu schätzen wissen sie aus dem Kanton Uri und wuchs im Publikum: Diverse Musikstudierende, Kanton Schwyz auf. ein paar wie einfallsreiche Menüs. Geschäftsleute aus der Tribschenstad t. Danièle kommt mit der Gitarre vorbei. Ambiente: Ungezwungen und nied Nina Laky erschwellig. Sitzt man draussen, ist es durch den Verkehr auf der Langensandbrücke eher laut. 13
K U LT U R K Ü C H E N Business-Feeling Im Bistro des Kunstmuseums lässt sich ein gemütlicher oder auch produktiver Tag verbringen. Dieses Bistro ist in dieser Hinsicht ein Alleskönner! Diskurse über Galeristen, Lesen von Lektüren mit Blick aufs dunkelblaue Wasser … aber auch die Altersvorsorge lässt sich dort gut regeln. Unter dem Publikum finden sich nämlich auch Vermögensberaterinnen und Vermögensberater sowie deren Kundschaft. Dicke, weisse Ordner liegen auf und man fragt sich gegenseitig, ob sich eine Pensionierung in der Schweiz überhaupt finanzieren lässt. Das Gespräch nebenan lässt allerdings sanfte Hitzewallungen bei der Autorin aufkommen. «Vorsorge?! Kapitaleinlagen?!» – es könnten aber auch die Getränke sein: eine geschmacksintensive Kombination aus Ingwer und Koffein. Da die an der Bar ausgestellten Beispiele von Ingwertee (der Bastian Mantey, Executive Chef vom World Café, bei der Ausgabe an der Salattheke. Hungrige Gäste können Salate schon lange nicht mehr dampft) und Caffè freddo (ein halbes Glas braune Suppe) und Snacks auch mitnehmen. leider nicht gerade zum Probieren einladen, entschied sich der Gast für eine Limo und einen Kaffee. Sympathisch: Der Kaffeerahm kommt im Kännchen und nicht im Plastikbecher daher. Aber leider ungünstig: Die Schrift auf den Empfehlungs- zettelchen an der Bar lassen sich kaum entziffern. Dass es sich bei der Limo um eine Apfel-Ingwer-Mischung aus dem Wallis handelt, die mit regionalen Früchten hergestellt wird, ist erst der Etikette der Flasche zu entnehmen. Ein paar Stockwerke weiter unten befindet sich das World Café, in dem die Welt heute ziemlich klein scheint: Viele der Gäste kennen sich, sie winken sich und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fleissig zu. Das Angebot am Mittag kann für Vegetarier eher enttäuschend ausfallen; von sechs Mittagsmenüs sind zwei vegetarisch. An diesem Tag kann man wählen zwischen einer Lasagne mit Pesto und Rucola (Fr. 16.60) und einer Grünkernpfanne mit grünen Bohnen, Mais und Zucchetti (Fr. 16.90). Dazu gäbe es diverse Salate (Fr. 13.90), Wraps (Fr. 10.50), Quiche (9 Franken) oder eine Tagessuppe (Fr. 8.50). Da die Tintenfisch-Zubereitung eine kleine Wissenschaft ist (in Italien werden zum Beispiel Weinkorken im Garfond mitgekocht, damit das Fleisch zarter wird, die Griechen hingegen schlagen aus demselben Grund die Tiere vor dem Kochen gegen Steine), entscheidet sich die Autorin für diesen. Das kleine Menü mit Reis ist ästhetisch nichts Besonderes, allerdings schmeckt der Pulpo (aus Spanien) sehr zart und intensiv. Schade verliert sich der Fisch in einer farblosen Sauce, in der der Koriander anscheinend mitgekocht wurde. Frische Kräuter hätten dem Gericht nicht nur geschmacklich gut getan, sondern auch dessen Farbkonzept. Weisser Reis ist weisser Reis und war ganz in Ordnung. An der Theke arbeitete der Service schnell und effektiv. Ideal für einen kurzen, zentralen Business-Lunch. Nina Laky Essen: Frisch zubereitete Canapés (Thon, Ei, Essen: Pulpo in Tamarinden-Zitronengras-Sauce Sellerie, Spargel, Salami, Schinken), hausge- mit Kefen, Shitakepilzen, Stangensellerie, Korian- machte Glace (Becher für 5 Franken), Cookies der mit Basmatireis Preis: Für Kaffee und Opaline-Apfel-Ingwer- Preis: Fr. 16.50 (kleine Portion) Limo Fr. 10.50 Service: Selbstbedienung, Geschirr wird abge- Service: Bestellung an der Bar, rascher Service, räumt, locker und ruhebewahrend aber eher schlecht gelaunt, Tisch wird bedient und abgeräumt Publikum: Aktuelle und vergangene Arbeitskol- legen machen Mittag, Familien auf Wanderun- Publikum: Managerinnen, Galeristen, Kunst- gen, Touristen museums-Besucherinnen, Wanderer und Schiff- fahrerinnen, Menschen mit Hüten, die picknicken Ambiente: Kantinen-Stimmung, gut für schnelle und effektive Mittagspause Ambiente: Kultiviert und leistungsorientiert 14
K U LT U R K Ü C H E N Heiss und nice Essen: Grosszügiges Salatbuffet oder Suppe, Rainers Schweinsschnitzel Wiener Art und Kartoffelsalat mit Gurken, dazu 3 dl Wasser für Beliefert von der Abwärme des Spitals Wolhusen herrscht Wasser im Tropenhaus ein Klima wie am Amazonas. Die Preis: Fr. 19.50, Wasser 1 Franken entsprechende Flora gedeiht im riesigen Gewächshaus Service: an der Theke etwas unflexibel, im prächtig und liefert mitunter Zutaten für das hauseigene Servierbereich hingegen ausgezeichnet Restaurant Mahoi. Der Empfang ist herzlich, der Weg Publikum: Durchmischt, von Handwerkern über vom Vorraum an den Tisch in der Halle wird zum Kulturschaffende bis Büroteams Ferienstart im Kleinformat: Ein Platz inmitten des Der Schnitzelking Rainer Macherhammer am Ambiente: Viel Platz in der Shedhalle, sehr ruhig Brutzeln. Regenwalds, Wasser plätschert hinter Bäumen und und angenehm Lianen, es zwitschern die Vögel, T-Shirt-Temperaturen – genauso muss es in den Tropen sein, denkt sich einer, der Schnitzelpolizei im Südpol noch nie am Äquator war. An diesem Mittwochmittag ist nur ein halbes Dutzend der Tische belegt. Neben mir Es ist Zeit. Zeit für die Schnitzelpolizei. Seit Antritt des Oberösterreichers wuchert eine Kardamonstaude, ein Schmetterling fliegt Rainer Macherhammer, seines Zeichens Chefkoch im Südpol, wirbt vorbei. Die beiden Gänge (Salat und Suppe werden das dortige Bistro mit dessen gutbürgerlicher Küche. Der Kaiser unter gemeinsam serviert) folgen in angenehmem Tempo und den Kulinarikschmankerln: Rainers Schweinsschnitzel Wiener Art. schmecken. Herausgestochen ist die Suppe, die überdies Diese Deklaration ist zentral in Österreich, gilt doch nur ein Schnitzel genau die richtige Temperatur hatte. Mittags würden mit Kalbfleisch als Wiener Schnitzel; nach Wiener Art heisst hingegen, einfachere Menüs angeboten, meint Küchenchef Andreas dass im gleichen Hergang das günstigere Schweinefleisch verarbeitet Halter, der seit dem Start des Tropenhauses vor acht wird. Die Südpol-Titulierung geht demnach in Ordnung: Ab ins Bistro! Jahren dabei ist. Abends aber drehe das siebenköpfige Im Vorfeld wurde zwecks Foodwaste-Vermeidung um Anmeldung Küchenteam auf und liefere aufwendige Mehrgänger. Ich gebeten – eine Bestätigung kam aber trotz Nachfragen nicht zurück. stelle mir vor, wie ein Ausflug ins Tropenhaus während Ob sich wohl alle Essenden in der Shedhalle angemeldet haben? Wohl einer mehrwöchigen Nebelphase im November die kaum, so pumpenvoll, wie die ist. Vor dem Tresen hat sich bereits eine klimatische Erholung vor der Wetterdepression bietet. amtliche Schlange gebildet, die schnell schrumpft: Wer im Südpol Wie alle Ferien hat auch dieser Besuch ein Ende, nach nämlich bestellt, erhält einen Pager, der reagiert, sobald das Essen – einer Weile wird es «tüppig». Ich verzichte deshalb auf wahlweise Variante Fleisch oder Vegi – bereit ist. Deshalb nimmt den Kaffee. auch nur eine Person Bestellungen entgegen und schenkt Getränke aus. Da meine Begleitung Mühe mit dem Gurken-Kartoffel-Salat hat, Mario Stübi fragt man nach einer Alternative; die gibt’s jedoch ausnahmsweise nicht aufgrund der hohen Anzahl Gäste und dem damit verbundenen unflexiblen, weil genauestens getakteten Workflow. Dann also ran ans grosszügige Suppen- und Salatbuffet mit Brot und allerlei Pimp-your- salad-Programm à Nüssen, Kernen, Saucen und vielem mehr. Lediglich eine Alternative zum Olivenbrot wäre wünschenswert gewesen; die Früchte sind nicht jedermanns Sache. Alsbald surrt auch schon der Pager – nach gerade mal 20 Minuten stehen zwei Prachtstücke an Schnitzel bereit. Macherhammer macht’s, wie es sich gehört: Fleisch Tropenhaus-Küchenchef Andreas Halter schneidet Süsskartoffeln, um daraus Chips herzustellen. dünn klopfen, in Mehl, verquirltem Ei und Semmelbrösel wenden und im heissen Öl (oder Butterschmalz) ausbacken. Das Menü ist ein Gustostückerl – als Sohn einer gebürtigen Österreicherin ist man sich gute Schnitzel gewöhnt und hat Ansprüche. Die erfüllt Macherhammer bestens, zumal auch sein Kartoffelsalat sehr gut schmeckt. Lediglich Essen: Salat vom Biohof Widacher Malters mit Guaven- die Panade löst sich auffallend schnell bei unseren Schnitzeln und die vinaigrette und einer Karottensuppe mit Mango und Basmatireis, Pouletgeschnetzeltes an einer hausgemach- Preiselbeermarmelade ist nicht klassisch körnig, sondern zu geleeartig. ten Süss-Sauer-Sauce mit Jasminreis und Broccoli Aber das sind Details, die gerade in Anbetracht des sehr fairen Preises Preis: 27 Franken (günstigere Alternative: Pastagericht kaum stören. Und wenn schliesslich Servicechef Robert Leirer mit dem für 18 Franken), 1 dl Seetaler Pinot Noir für Fr. 8.60, Karaffe Wasser für Wasser für 2 Franken breitesten Österreicher Akzent «Hat’s geschmeckt?» fragt, wähnt man sich in der Heimat des Herzens: Dankscheen, Bussi und servus pfiat di! Service: Nach Lehrbuch, freundlich und zuvorkommend Publikum: Ältere Ausflügler, Angestellte vom nahen Spital Stoph Ruckli Ambiente/Atmosphäre: Ungewohnt sommerlich und ferienhaft, nach einer Weile etwas drückend aufgrund der 15 Feuchtigkeit
Das Kochmagazin Die Köchinnen und Köche unseres Tests präsentieren ihre Lieblingsrezepte. Einfach für Sie zum Nachkochen. Einige schonen das Portemonnaie, alle verwöhnen den Gaumen. Für Veganerinnen oder Veganer nicht geeignet. Sorry. Jazzy-Panino Zutaten: 1 Ciabatta-Brot Kräuter fein hacken, Avocado schälen und grob schneiden. Alles in eine Schale geben, Olivenöl dazu und mit Gabel 1 Ananas zerdrücken, dann mit Pfeffer und Salz abschmecken. Ananas in Würfel schneiden und mit wenig Chili in der Pfanne Chili anziehen. 70 g Zucker dazu und das Ganze karamellisieren, mit Weisswein ablöschen und mit Salz, Pfeffer und Curry 1 Pouletbrust würzen. Köcheln lassen, bis es sämig wird. Poulet anbraten und mit Salz und Pfeffer würzen. Ciabatta aufschneiden Kräuter und das Poulet halbieren. Ciabatta mit Avocadocreme bestreichen, Poulet drauflegen und Ananas-Chili-Chutney auf 1 Avocado (weich) das Poulet geben. Dann eine Scheibe Rahmkäse oben drauf und fünf bis sieben Minuten bei 150 Grad in den Ofen. Rahmkäse En Guete!, Domi Meyer (Jazzkantine) Bohneneintopf mit Speck Zutaten (für 4 Personen): 400 g getrocknete Bohnen Die Bohnen über Nacht in einem mit Wasser gefüllten Topf einlegen. Am darauffolgenden Tag das Wasser abgiessen, (2 Sorten nach Belieben) die Zwiebeln und Knoblauchzehen in kleine Stücke und den Speck in kleine Würfel schneiden. In einer Pfanne das Öl 4 Knoblauchzehen erhitzen und die Zwiebeln sowie den Knoblauch darin anschwitzen. Den Speck und die Bohnen beigeben und ebenfalls 2 Zwiebeln anschwitzen. Im Anschluss Pelati, Poulet-Fond, Essig sowie Thymian und Majoran beigeben und das Ganze mit Salz, 200 g Speck (am Stück) Pfeffer und Paprika abschmecken. Den Eintopf während ca. 60 Minuten auf kleiner Stufe köcheln lassen und im An- 1 Dose Pelati schluss beispielsweise mit (selbstgemachten) Bandnudeln servieren. 400 ml Poulet-Fond Mahlzeit!, Rainer Macherhammer (Südpol) 2 EL Essig 4 EL Öl Thymian, Majoran Salz, Pfeffer, Paprika Fregola Sarda mit grünem Spargel, Frühlingszwiebeln, Radieschen und frischen Kräutern Zutaten (für 4 Personen): 500 g Fregola Sarda Fregola Sarda mit ca. 3 Liter Wasser (gesalzt) sieben bis neun Minuten al dente kochen, mit kaltem Wasser gut abschre- (am besten aus dem Tessiner cken (abkühlen). Ein bisschen Olivenöl darüber, damit die Pasta nicht klebt. Den grünen Spargel nur wenig schälen und Laden in der Neustadt) drei Minuten blanchieren und mit kaltem Wasser abkühlen. Peperoni in kleine Würfel schneiden. Frühlingszwiebel in kleine 1 kg grüner Spargel Ringe schneiden. Zitrone mit einer Raffel reiben, Zitronensaft pressen. Peterli hacken. Spargel in mundgerechte Stücke 2 Bund Frühlingszwiebeln schneiden. Alles zusammenbauen. Eine grosse Pfanne bei mittlerer Hitze mit Olivenöl erhitzen. Peperoniwürfel andüns- 1 rote Peperoni ten. Frühlingszwiebeln dazugeben. Spargel dazugeben. Mit der Fregola Sarda vermischen. Zitronenreste, Zitronensaft, 1 Zitrone (Bio) Salz, Pfeffer, frische Kräuter dazu. Auf warmen Tellern servieren, mit Basilikum austarieren und mit einem Schuss Olivenöl 1 Bund Peterli beträufeln. Olivenöl, Salz, Pfeffer Ein super Gericht für einen schönen Tag, Patrick Schwehm (Neubad) 16
Giersch-Focaccia Zutaten: 190 ml lauwarmes Wasser Hefe mit dem Zucker im Wasser auflösen und 2 EL Olivenöl dazugeben. Die Salz-Mehl-Mischung mit der Flüssigkeit 250 g Weissmehl vermengen und die Masse mit dem kleingehackten Giersch während 10 Minuten zu einem glatten Teig kneten. Den 4 EL Olivenöl Teig nach dem Gehenlassen auf einem mit 1 EL Olivenöl bestrichenen Blech auslegen (ca. 2 cm dick)‚ mit 1 EL Olivenöl 1 TL Salz einreiben, mit Fleur de Sel bestreuen und 30 Minuten bei 175 Grad backen. 1 Prise Zucker 1/2 Hefe 1 Handvoll Giersch (nur die jungen Blätter), findet man gratis in jedem Park/Wiese/Nachbarsgarten Fleur de Sel Plan-B-Ofen-Ratatouille Zutaten: 1Zwiebel Den Backofen auf 180 Grad vorheizen. Zwiebeln und Knoblauch schälen und in Spalten schneiden. Paprikaschoten 1Knoblauch waschen, schälen, entkernen. Zucchini und Aubergine waschen. Das Gemüse in ca. 2 cm grosse Würfel schneiden. In 1Chilischote einer grossen Pfanne 2 EL Olivenöl erhitzen, Zwiebeln und Knoblauchzehen darin glasig braten, das Gemüse und den 500 g Aubergine, Zucchetti, Peperoni Kreuzkümmel dazugeben und kurz anbraten. Alles in eine grosse, ofenfeste Form geben und die gewaschenen, ganzen 200 g Cherrytomaten Cherrytomaten, den grob gehackten Rosmarin und Thymian, Salz und Pfeffer dazugeben und alles vermengen. Alles im Ofen bei 180 Grad ca. 20 bis 40 Minuten schmoren (das Gemüse darf noch Biss haben). Ratatouille aus dem Ofen 1 TLKreuzkümmel, Salz und Pfeffer 1Handvoll Thymian, Rosmarin und nehmen, grob gehackten Basilikum untermischen, mit Salz und Pfeffer abschmecken und mit einem Klecks Sauerrahm und dem frischen Giersch-Focaccia servieren. Basilikum 1 Kübeli Sauerrahm Genüsslichen Appetit!, Bea, Plan B KKL Steak Tartar Zutaten: 150 g Schweizer Rinderfilet, so fein wie Alle Zutaten bis und mit Pfeffer mit einer Gabel vermengen. Kapern und Cornichons nach Belieben hinzugeben möglich geschnitten (am besten bei oder als Garnitur verwenden. Brot zum Servieren dazureichen. der Metzgerei machen lassen) 19 g Olivenöl (Orica ATG) En Guete, Bastian Mantey 1 Eigelb 20 g Schalotten, fein gewürfelt 3 g Cayenne-Pfeffer 3 g frischer Limettensaft 12 g Salz 8 g schwarzer Pfeffer aus der Mühle 15 g Kapern 15 g Cornichons 4 Stück Toast oder leicht getoastetes Brot Indische Linsensuppe Zutaten (für 4 Personen): 500 g Tomaten gewürfelt aus der Dose Hacken Sie die Zwiebel und den Knoblauch fein und dünsten Sie beides für zwei Minuten in der Butter an. Geben Sie die 100 g rote Linsen Gewürze dazu und rösten Sie alles für eine Minute an, damit sich die Aromen voll entfalten. Mixen Sie die Tomaten kurz 20 g Butter mit einem Stabmixer auf. Geben Sie dann die Tomaten, die roten Linsen, den Zitronensaft, die Gemüsebouillon und die 3,5 dl Gemüsebouillon Kokosmilch dazu und bringen Sie das Ganze zum Kochen. Reduzieren Sie die Hitze und lassen Sie die Dal-Suppe eine halbe Stunde köcheln, bis die Linsen weich sind. Schmecken Sie die Suppe mit Salz ab und garnieren Sie sie mit dem 2 dl Kokosmilch Joghurt und dem gehackten Koriander. Zu der Suppe passt indisches Naan-Brot sehr gut. 1 Knoblauchzehen 1 Zwiebel Herzliche Grüsse aus der Tropenhaus-Küche, Andreas Halter 1 EL Zitronensaft 1 EL Garam Marsala Gewürzmischung 1 KL gemahlener Kreuzkümmel 1 Espressolöffel Kurkuma 1/2 Espressolöffel Chilipulver frisch gehackten Koriander 4 EL Joghurt Nature Salz Gemüsequiche Für die Füllung: 1 Zwiebel, gewürfelt Die gewürfelten Zwiebeln vorsichtig in Öl andünsten. Den Knoblauch und das klein geschnittene Gemüse dazugeben 1 Zehe Knoblauch, kleingeschnitten und kurz mit anschwitzen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Wenn das Gemüse auskühlt, hat man Zeit, um den Blätterteig auf das Blech mit Backpapier zu legen. Nicht vergessen, den Blätterteig mit einer Gabel einzustechen. Nun 500g Gemüse, was das Herz begehrt (oder der Kühlschrank hergibt) nimmt man ein weiteres Backpapier, legt es auf den Teig, beschwert ihn (am besten mit Kichererbsen) und backe dies zehn Minuten im auf 180 Grad vorgeheizten Ofen. Für den Guss: 1 dl Rahm Für den Guss alle Zutaten gut mischen. Zum Schluss kommt das glasierte Gemüse auf den vorgebackenen Blätterteig 1 dl Milch und wird mit dem Guss übergossen. Ab in den Ofen damit! Nach ca. 20 Minuten bei 180 Grad hat man eine herrlich- 3 Eier goldbraune Gemüsequiche mit Kleinigkeiten, die man zu Hause hatte. Dazu vielleicht eine frische Quarksauce und 100 g Reibkäse Salat? Salz, Pfeffer, Muskatnuss Liebe Grüsse aus der Meyer-Küche, Michaela Muheim 17
18 Illustration: Sarah Elena Müller
J U BI L Ä EN Zum letzten Mal: Jubiläen sind ein Graus. Und kein Grund, mit einem Artikel berücksichtigt zu werden. Das findet unsere Redaktion, die mit gefühlten 150 Jubiläen monatlich überschüttet wird. Grund genug, in der 326. Jubiläumsausgabe von «041 – Das Kulturmagazin» dem Jubiläum einen Artikel zu widmen. Bestellt hatten wir eine Polemik, Christov Rolla* lieferte eine Festrede. Grmpf. Ich leite seit vielen Jahren einen Kirchenchor. Es ist ein schien mir nicht vollkommen uninteressant. Daraus sehr lieber Chor. Letztes Jahr beschloss er, ein Jubiläum liess sich ein bisschen Seemannsgarn für das grosse, zu feiern. Vermutlich hatten ihm die Feierlichkeiten zum inexakte Jubiläum spinnen. 75-jährigen Bestehen seiner Kirche so gut gefallen, dass Ausser uns fand das allerdings niemand so richtig er auch wieder mal ein bisschen Party machen wollte. witzig. Oder jedenfalls lang nicht so lustig wie wir. Das Problem war allerdings, dass wir das Alter des Wir grübelten im Vorstand, woran das liegen mochte. Chors – und damit die Höhe des zu begehenden Ju- Humorlosigkeit schlossen wir aus, und den gefürchteten biläums – nicht genau bestimmen konnten. Je nach Chorneid hielten wir für äusserst unwahrscheinlich. Betrachtungsweise und historischer Akkuratesse kamen Wir waren ja nicht an einem Eidgenössischen. Viel- verschiedene Gründungsjahre infrage. Weil ich das mehr vermuteten wir, dass der Mensch offenbar tief ehrliche Ungefähre der leutseligen, aber vorgeblichen drinnen ein anständiges Jubiläum will. Also ein rundes. Exaktheit vorziehe, den Festgelüsten meiner Sängerinnen Kein schmürzeliges, kein unrundes und zuallerletzt ein aber nicht im Wege stehen wollte, schlug ich dem Chor ungefähres Jubiläum. vor, das Jubiläumskonzert unter den Titel «Etwa 80 Jahre Johanneschor» zu stellen. Der Chor fand das charmant, Es ist nämlich so: und mir gefiel das leicht Selbstironische daran. Schliess- lich sind die anderen beiden Krienser Kirchenchöre Der Mensch ist bei Jubiläen auf konkrete Zahlen kon- weitaus älter, da kann man als reformiertes Nesthäkchen ditioniert. 5 Jahre und der Prosecco entkorkt sich von eh nicht mit dem Alter auftrumpfen. Und so gern ich selber. 10 Jahre: Die Hüpfburg für die Kinder ist ga- meinen Chor habe: Sonderlich spektakulär ist seine rantiert. 25 Jahre? Für die Feldmusik ist ein Auftritt Geschichte nicht. Man blicke in die Chor- und sonstige Ehrensache und der Gemeinderat ist fast vollzählig Vereinslandschaft hinaus: Die Anekdoten, Originale und anwesend. Zum 30-Jährigen bringt ein Regierungsrat Ausflüge gleichen sich in unspektakulärster Weise. Dass eine Grussbotschaft. Zum 50-Jährigen kommt er freiwillig es bei uns aber gewisse Gründungsjahrwirrnisse gibt, und eröffnet obendrein eine Sonderausstellung in der 19
J U BI L Ä EN Regionalbibliothek. Spätestens beim 75-Jährigen werden folglich länger geübt hat. Oder einer Seifenmanufaktur, die ersten Nationalräte gesichtet und die Schulkinder die ihr Gründungsjahr erst nach 100 Jahren (und dann haben ein Lied einstudiert. Ab 100 Jahren darf man zu Recht mit Stolz) auf das Seifenpapier zu drucken mit einem bundesrätlichen Besuch rechnen und ab 500 begonnen hat. Daher als Faustregel: Immer zuerst mal Jahren endlich mit überregionaler Berichterstattung, ein paar Jahre bestehen. Oder besser noch Jahrzehnte. einem Freilichtspiel oder gar einem Musical. Ab 750 Jahren wird es dann wieder würdevoller: An Man verstehe mich richtig: die Stelle der Festschrift treten eine wissenschaftliche Einordnung und einige beflissen nickende, tendenziell Sollen alle feiern, wie sie lustig sind, aus jedwedem ergraute Haarschöpfe. Anlass, zu jedwedem Jubiläum. Auch ich könnte mich Ob in der Schweiz noch höhere Jubiläen gefeiert jeden Tag umarmen! Bloss, was die indirekte Erwar- werden, weiss ich nicht. Ich bezweifle es. Erstens muss tungshaltung, dass einem dann alle voller Bewunde- man da erst recht auf der Suche nach dem exakten Da- rung auf die Schultern klopfen, betrifft: Da würde der tum den angefeuchteten Daumen in den Wind halten, einen Jubilarin oder dem anderen Jubilar etwas mehr und zweitens: Was will man da auch feiern? 2000 Jahre Würde und Bescheidenheit vielleicht nicht schlecht zu kulturelle Unterlegenheit gegenüber den Römern? 20 000 Gesichte stehen. Jahre Einführung des Faustkeils westlich der Reuss? Ansonsten: Lasst uns feiern! Anlässe gibt es genug! Jubiläen sind also äusserst populär. Allerdings mutet Denn der Mensch hat einen tiefen Hang zum Feiern, deren Rundheit zuweilen etwas zufällig an. Ich persön- und wenn es keinen Grund gibt, erfindet er halt einen. lich finde es zum Beispiel wenig schlüssig, warum 25 Geburtstag, Hochzeit und Beförderung sind ja nur die als rund gilt, 16 hingegen nicht. Ober warum ein 40. offensichtlichsten Feieranlässe. Aber was da nicht alles Jubiläum festwürdiger ist als das 35ste. Aber wenn man gefeiert wird: vom Feierabendbier zum Wichteln, vom mit Jubiläen wie «5 Jahre Auto Moto Hunkeler», «15 Après-Schi zum ersten Schultag, von der siegreichen Jahre Chinderhüeti Hofdere» und «45 Jahre Gartencenter Schlacht zur erfolgreichen Hausbesetzung und vom Grüter» aufgewachsen ist, denkt man irgendwann nicht Begrüssungsumtrunk zum Liichemöhli – Wir sind keine mehr darüber nach, sondern feiert einfach mit. Nation, wir sind eine Festgemeinde. Und ein Segen für Für ein zünftiges Jubiläum ist zu beachten, dass es das Festzeltverleihgewerbe. Man könnte meinen, der gross genug sein sollte – andernfalls könnte sich das Mensch lebe unter dem Motto: «Man soll die Feste feiern, eine oder andere Stirnrunzeln ereignen. Denn ausser wie sie fallen. Und wenn sie nicht von selber fallen, Eintagsfliegen, Bierideen und Medienhypes wird ja dann schubsen wir sie um!» Ich bin sicher: Stellte man fast alles ein paar Jahre alt. Darum sind Jubiläen unter irgendwo einen Biertisch auf, es ginge nicht lange, bis ein zehn Jahren nur selten erstaunlich und fast immer paar Leute da sässen, Luftballone aufbliesen, Bratwürste auch ein bisschen egal. Ich meine, ich gönne es jeder brutzelten und sich einen Jubiläumsanlass ausdächten. neuen Beiz, Band und Marke von Herzen, wenn sie Warum ist das so? Vielleicht, weil der Mensch generell das erste Jahr überlebt hat. Ob aber das zwei- und das so eine Frohnatur ist? Vielleicht, weil die allgemeine dreijährige Bestehen auch so gross angekündigt werden Wurstigkeit des Lebens sonst nicht auszuhalten ist? Oder müssen? Wenn ich von solchen Jubiläen lese, werde weil wir tief innen wissen, dass wir alle einmal sterben ich unabsichtlich immer grad misstrauisch. Warum müssen und uns daher so gerne mit Bier, einer Tombola in Gottes Namen feiern die denn ihr Zweijähriges? und Chips auf Plastiktellern trösten? Ich weiss nicht, Wenn es besonders, erstaunlich, bewundernswert ist, ob Horaz sein «Carpe diem» in diesem Sinn ausgelegt dass sie zwei Jahre überlebt haben – warum ist es dann haben wollte. Aber vielleicht ist er ja ebenfalls gerade besonders, erstaunlich, bewundernswert? Was wird mit Seneca auf Wolke sieben am Aperölen. uns da verschwiegen? Juhui, wir werden drei Jahre alt, Es fällt auf, dass bei Jubiläen ausschliesslich Jahre obwohl unsere Küche nicht den geringsten hygienischen gefeiert werden. Andere Zeiteinheiten existieren beim Standards entspricht, aber keiner hat’s gemerkt? Hurra, erwachsenen Menschen so gut wie gar nicht. Wie an- uns gibt es schon vier Jahre, obwohl wir nicht einmal ders war es doch in der Blüte der Jugend! Ich feierte mehr an offenen Bühnen spielen dürfen? Noch herziger beispielsweise das Jubiläum meines ersten geglückten (oder eher: vollends bizarr) dünkt mich, wenn man Beischlafs jede Viertelstunde (und freute mich mit jedem schon nach einem Jahr etwas wie «est. 2015» unter Atemzug). Ich zündete jeden Tag eine Kerze an für den sein Logo schreibt. Kann man natürlich machen; aber ersten Kuss mit der ersten grossen Liebe. Ich wollte ich vertraue dann lieber auf das Bier einer Brauerei, jede Woche den Gedenktag des ersten Nachtbadens die schon 1685 established wurde und das Biermachen im Baldeggersee abhalten. Warum Jahre warten? Ein 20
J U BI L Ä EN Jahr war unfassbar lang. – Aber ja: Man wird älter, die Aber 60 Jahre Regionalbibliothek bedeutet eben in erster grossen Lebensereignisse und Erstmaligkeiten dünnen Linie: 60 Jahre Regionalbibliothek. 60 Jahre Bücher, nach und nach aus, das Gedächtnis wird etappenhafter, 60 Jahre Lesen, 60 Jahre heimelige Öffnungszeiten. die Begeisterungsbereitschaft fauler. Vielleicht liegt das Und vor allem sagt es, tröstlich und schön: Es gibt Jubilieren nach Jahren auch darin begründet. Ich muss uns noch. Wir leben! Und ihr, die ihr mit uns feiert, mich mittlerweile jedenfalls anstrengen, um mich über- ebenfalls. haupt noch an das Jahr, geschweige denn das genaue Und darum: Lasst uns feiern, so lange wir leben. Datum meiner Entjungferung zu erinnern. Das macht Sie lebe hoch, die Regionalbibliothek; sie lebe hoch, die aber nichts. Einerseits ist ja das erste Mal nicht in jedem zweijährige Beiz. Und die dreijährige Band. Und das Fall das erinnerungswürdigste. Und andererseits geht mit vierjährige Bier! Mögen alle hochleben, die hochgelebt dem Älterwerden ein gewisser Zugewinn an Vernunft gelassen werden wollen! einher. Wenn ich mein erstes Mal bis heute noch jedes Jahr feiern würde, mit einem geselligen Umtrunk und (Und ich stosse jetzt auf 10688 erfolgreich abgegebene einer grossen Festrede, dann fände das meine jetzige Zeichen an. Prost!) Freundin glaub suboptimal für den weiteren Verlauf der Festivitäten. * Christov Rolla ist Theatermusiker, Chorleiter und schreibt regelmässig für «041 – Das Kulturmagazin». Freilich: Im obigen Beispiel feierte ich (erstmalige) Ereignisse; beim landläufigen Jubiläum wird aber primär die Dauer eines Bestehens gefeiert: Das zu Grunde liegende Ereignis, die Gründung, der Ursprung schwingt eher so mit. Und just diese Dauer wird wohl der Grund für das Jahr als Jubiliereinheit sein: Ein langes Bestehen lässt sich in Jahren schlichtweg eleganter ausdrücken. Abschliessend stellt sich nur noch die Frage, wa- Jubiläen, die uns in diesem Quartal rum es fast immer die Dauer ist, die gefeiert wird, und erreichten: nicht eine andere Kategorie. Man könnte ja auch die 5 Jahre Edition Bücherlese hundertste Predigt, das tausendste verkaufte Auto, 10 Jahre Zirkusschule Tortellini das fünftausendste vermietete Festzelt, das millionste 10 Jahre Theaterpavillon Like feiern. Aber da wird es auch schon offensichtlich: 20 Jahre Der gesunde Menschenversand Jubilierende wissen in der Regel recht gut, wo der feine 20 Jahre Radio 3fach Grat zwischen Festfreude und Prahlsucht verläuft, und 20 Jahre Modul AG noch besser wissen es die Festgäste. Würde die örtliche 20 Jahre Jodlergruppe Schlierätal Filiale der Versicherung die zweitausendste verkaufte 20 Jahre Wirtschaftsmittelschule Luzern Police mit einem Volksfest feiern, käme man sich als 20 Jahre Kick’n’Rush Zaungast, Klatschvieh, gleichermassen eingeladen wie 25 Jahre Jungzüchterverein Uri exkludiert und irgendwie benutzt vor. Feiert sie aber 25 Jahre berufliche Integration bei der Caritas das 20-Jährige, dann fühlt man sich gut aufgehoben, 30 Jahre Verein Freunde des Kollegiums St. Fidelis abgesichert – und mitgemeint. Schliesslich haben diese 30 Jahre Hirschmatt Buchhandlung Luzern 20 Jahre weitaus mehr mit einem zu tun als zweitausend 50 Jahre Galerie Kriens verkaufte Policen. Man hatte ja, zumal als Kundschaft, 50 Jahre Pfadi Sarnen Anteil daran. 50 Jahre Stiftung Brändi Alles in allem ist die Dauer von allen Jubiläums- 50 Jahre Kunstbulletin gründen nicht nur der am wenigsten eitle, sondern auch 75 Jahre Trachtengruppe Kerns ein unbestechlicher und unbezweifelbarer Wert: Wer 75 Jahre LSD jubiliert, hat überlebt. Nicht mehr, nicht weniger – und 100 Jahre Rast Kaffee Ebikon das ist nicht selten schon viel. 100 Jahre Studentenverbindung Rusana der Kantonalen Gewiss, 60 Jahre Regionalbibliothek kann auch Mittelschule Uri bedeuten: 60 Jahre klebrige Literatur in einem dunklen, 100 Jahre Kirchenchor Spiringen wenig frequentierten und muffig riechenden Raum. 21
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