Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...

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Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
Denkmalpflege
3 | 2019
               in Baden-Württemberg
48. Jahrgang   N A C H R I C H T E N B L AT T D E R L A N D E S D E N K M A L P F L E G E
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
Inhalt

                                              133 Editorial                                      177 Zeugen aus Glas
                                                                                                     Archäologische Funde von der
                                              134 Die Kastelburg über Waldkirch                      ehemaligen Synagoge in der
                                                  Dank bürgerschaftlichem Engagement                 Gartenstraße 33 in Tübingen
                                                  und fachkundiger Begleitung vor dem                Beate Schmid/Dagmar Tonn
Kaufhaus Schocken bei                             Verfall gerettet
Nacht. Foto: Bildarchiv Foto                      Andreas Haasis-Berner / Hubert Baumstark /     181 Nordisch kühl oder heimelig
                                                  Bertram Jenisch / Judith Platte                    konservativ
Marburg, vormals Archiv
Franz Stoedtner                               141 Ausgebrannt und aufgestockt                        Zwei evangelische Kirchen der frühen
                                                  Der Bergfried der Kastelburg bei                   Nachkriegszeit im Vergleich
                                                                                                     Jörg Widmaier
                                                  Waldkirch
                                                  Stefan King                                    187 „Vorstoß in neue Möglichkeiten“
                                              147 Verloren, aber nicht vergessen: das                Georg Meistermanns Betonglasfenster
                                                                                                     und Betonwände in Freiburg
                                                  Kaufhaus Schocken in Stuttgart
                                                                                                     Liane Wilhelmus
                                                  Ein Nachruf im Jubiläumsjahr des Bau-
                                                  hauses                                         192 Denkmalporträt „Das Zelt Gottes
                                                  Judith Breuer                                      unter den Menschen“
                                              157 Form außer Funktion                                St. Josef in Bruchsal
                                                                                                     Melanie Mertens
                                                  Rolf Gutbrods vergessenes Frühwerk
                                                  in der ehemaligen Flak-Kaserne in              194 Mitteilungen
                                                  Friedrichshafen-Schnetzenhausen
Denkmalpflege                                     Martina Goerlich                               201 Ausstellungen
in Baden-Württemberg                          164 Jungpaläolithikum am Oberrhein                 202 Neuerscheinungen
N A C H R I C H T E N B L AT T                    Eine Freilandfundstelle des Gravettien
DER LANDESDENKMALPFLEGE
                                                  im Markgräfler Hügelland                       203 Personalia
3/ 2019 48. Jahrgang                              Marcel El-Kassem / Marcel Bradtmöller /
                                                  Aitor Calvo
Herausgeber: Landesamt für Denkmal-
pflege im Regierungspräsidium Stuttgart.      170 Chancen für die Textilarchäologie
Berliner Straße 12, 73728 Esslingen a.N.
gefördert vom Ministerium für Wirtschaft,         Ein Forschungsprojekt über die Textil-
Arbeit und Wohnungsbau Baden-                     funde aus den Pfahlbausiedlungen
Württemberg – Oberste Denkmalschutz-
                                                  Johanna Banck-Burgess
behörde.
Verantwortlich im Sinne des Presserechts:
Präsident des Landesamtes für Denkmal-
pflege Prof. Dr. Claus Wolf
Schriftleitung: Dr. Irene Plein
Stellvertretende Schriftleitung: Grit Grafe
Redaktionsausschuss:
Dr. Andrea Bräuning, Dr. Dieter Büchner,
Dr. Andreas Haasis-Berner, Daniel Keller,
Hendrik Leonhardt, Dr. Melanie Mertens,
Dr. Claudia Mohn, Dr. Oliver Nelle, Karin
Schinken, Dr. Anne-Christin Schöne,
Susann Seyfert, Dr. André Spatzier
Produktion:
Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart
Lektorat: André Wais / Annine Fuchs
Gestaltung und Herstellung:
Hans-Jürgen Trinkner, Rainer Maucher
Druck: Offizin Scheufele, Stuttgart
Postverlagsort: 70178 Stuttgart
Erscheinungsweise: vierteljährlich
Auflage: 29 500

                                                  Bankverbindung:
                                                  Landesoberkasse Baden-Württemberg,
                                                                                                      Dieser Ausgabe liegt das Veranstaltungs-
                                                  Baden-Württembergische Bank Karlsruhe,
                                                                                                      programm der Landesdenkmalpflege
                                                  IBAN DE02 6005 0101 7495 5301 02
                                                                                                      zum Tag des offenen Denkmals sowie
                                                  BIC SOLADEST600.
Nachdruck nur mit schriftlicher Geneh-                                                                eine Beilage der Denkmalstiftung Baden-
                                                  Verwendungszweck:
migung des Landesamtes für Denkmal-                                                                   Württemberg bei. Sie ist auch kostenlos
                                                  Öffentlichkeitsarbeit Kz 8705171264618.
pflege. Quellenangaben und die Über-                                                                  bei der Geschäftsstelle der Denkmalstif-
lassung von zwei Belegexemplaren                  Wenn Sie eine Spendenbescheinigung wünschen,        tung Baden-Württemberg, Charlotten-
an die Schriftleitung sind erforderlich.          bitte Name und Anschrift angeben.                   platz 17, 70173 Stuttgart, erhältlich.
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,

mit der Ihnen vorliegenden Ausgabe des Nach-
richtenblattes der Denkmalpflege in Baden-Würt-
temberg begehen wir eine Premiere. Zum ersten
Mal in seiner Geschichte findet sich kein Kultur-
denkmal auf seinem Titelbild. Das hier abgebildete
Kaufhaus Schocken, das bis 1960 an der Stutt-
garter Eberhardstraße lag, wurde abgebrochen,
bevor seine Denkmalwürdigkeit festgestellt wer-
den konnte und ein herausragendes Zeugnis der
architektonischen Moderne so für immer aus dem
Stadtbild verschwand. Sein Verlust ist aus heutiger
Sicht, gerade vor dem Hintergrund des diesjähri-
gen Bauhausjubiläums, sicherlich ebenso schmerz-
lich wie schwer verständlich, vor allem angesichts
des im vorliegenden Heft geschilderten, weit über
die Landesgrenzen hinausreichenden damaligen
Protests von Fachstudierenden, Kulturschaffenden,
und Denkmalpflegern gegen den Abbruch des Ge-
bäudes. Ein Besuch im vorbildlich restaurierten       interessant. Aber auch unser heutiger, sehr viel vor-
Chemnitzer Kaufhaus Schocken, das dem verlore-        sichtigerer Umgang mit den Bauwerken aus ver-
nen Stuttgarter Bauwerk sehr ähnlich ist, führt       gangenen Epochen hängt bekanntlich mit der ra-
deutlich vor Augen, was die Architekturlandschaft     dikalen Umgestaltung der Städte in den 1950er
des Landes damals verloren hat. Nun ist es wohl       und 1960er Jahren und dem damit verbundenen
feil und müßig, Entscheidungen früherer Genera-       Verlust alter Bausubstanz zusammen. So begreift
tionen, sofern sie nicht grundlegende humanisti-      die moderne Denkmalpflege die Kulturdenkmale
sche Werte berühren, zu verurteilen, ohne den zeit-   als vielgestaltige historische Quellen und ist glei-
historischen Kontext dieser Entscheidungen zu         chermaßen einer strengen Quellenkritik wie einer
berücksichtigen. Denn die Geschichte der Denk-        kritischen Analyse ihrer eigenen Entscheidungen
malpflege zeigt, dass diese seit ihren Anfängen im    verpflichtet. Dabei gilt es bei ihrem Handeln immer,
18. und vor allem im 19. Jahrhundert, immer den       auch die Zukunft im Blick zu haben und nicht zu
Strömungen der Zeitläufte, dem jeweils zeitge-        vergessen, dass wenig so flüchtig ist, wie der ak-
bundenen Geschmack, Diskursen und Zwängen             tuelle Zeitgeschmack. Das intensive Bemühen der
unterworfen war. Und so wird der Konflikt um das      Landesdenkmalpflege um die Kulturdenkmale der
Kaufhaus Schocken selbst ein Zeugnis für die Ge-      jüngeren und jüngsten Epochen der Architektur-
schichte der jungen Bundesrepublik. An ihm ist der    geschichte, den Bauten der 1970er bis 1990er
unbedingte Willen der Entscheidungsträger in den      Jahre, gründet auch auf der Sorge, diese zu ver-
1950er Jahren auszumachen, die Stadt nach Dik-        lieren, bevor ihr Denkmalwert und ihre Denkmal-
tatur und Krieg neu zu erschaffen – als könne man     würdigkeit erkannt werden konnten. Denn schließ-
die Wunden der Vergangenheit heilen, indem man        lich sind es Beispiele wie das Kaufhaus Schocken
ihre bauliche Hinterlassenschaft gleichsam ausra-     in Stuttgart, die zeigen, was wir alle einbüßen kön-
diert. Der im Wesentlichen von der nächsten Ge-       nen, wenn scheinbaren Zwängen des Alltags und
neration, nämlich von den Studierenden der Tech-      der gerade herrschenden Mode allzuschnell nach-
nischen Hochschule Stuttgart, getragene Protest       gegeben wird.
gegen diese Geschichtsvergessenheit ist auch hin-
sichtlich der nur wenige Jahre später stattgefun-
denen grundlegenden Umwälzungen der west-             Prof. Dr. Claus Wolf
deutschen Gesellschaft, subsumiert unter „1968“,      Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege

                                                                       Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   133
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
Die Kastelburg über Waldkirch
                          Dank bürgerschaftlichem Engagement und
                          fachkundiger Begleitung vor dem Verfall
                          gerettet
                          Die 750 Jahre alte Kastelburg ist eine der am besten erhaltenen Burgruinen in
                          Baden. Auswitterung der Mauerfugen, starker Bewuchs und Frostsprengung
                          hatten den Mauern jedoch stark zugesetzt. Aus diesem Grund entstand vor
                          17 Jahren ein Aktionsbündnis zu ihrer Sanierung. Dieser ehrenamtliche Ar-
                          beitskreis hat es in 34 000 Arbeitsstunden geschafft, die Burg für die nächsten
                          Jahrzehnte fit zu machen. Die wichtigsten Arbeiten fanden 2017 mit der
                          Sanierung des Turms ihren Abschluss.
                          Andreas Haasis-Berner/Hubert Baumstark/ Bertram Jenisch/ Judith Platte

                          Geschichte der Burg                                   Aktion „Kastelburg in Not“

                          Die Kastelburg wurde um die Mitte des 13. Jahr-       Die Kastelburg zeigte sich trotz mehrfacher Sa-
                          hunderts von den Herren von Schwarzenberg, den        nierungen in den 1930er, 1950er und 1970er Jah-
                          Vögten des Reichsklosters St. Margarethen in          ren um das Jahr 2000 in einem bedenklichen Bau-
                          Waldkirch, erbaut (Abb. 2). Sie diente für etwa       zustand. Die stark von Besuchern frequentierte
                          100 Jahre als Stammsitz der jüngeren Linie, welche    Anlage war in Teilbereichen so marode, dass auf-
                          sich nach der neuen Burg benannte. Im Jahr 1354       grund der Verkehrssicherungspflicht eine partielle
                          kaufte sie der Freiburger Patrizier Martin Malterer   Schließung für den Besucherverkehr diskutiert
                          als repräsentativen Wohnsitz. Nach dessen Tod im      wurde. Durch den starken Bewuchs am Burghang
                          Jahr 1386 kam sie als vorderösterreichisches Lehen    sah man von der imposanten Anlage im Sommer
                          an verschiedene Adelige, bis sie schließlich ab       vom Tal aus nur noch die Spitze des hoch aufra-
                          1577 dauerhaft bei der Herrschaft Vorderöster-        genden Turms. Große Teile des Mauerwerkes wa-
                          reich verblieb. Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges   ren von Efeu überwuchert und durch die Durch-
                          erfolgte 1638 ihre Zerstörung durch Brand. Etwa       wurzelung in ihrem Zusammenhalt stark beein-
                          250 Jahre lang dem Verfall preisgegeben, führten      trächtigt.
                          ab 1881 touristische Gründe zu ersten Aufwer-         Die Stadt Waldkirch, in deren Eigentum sich die
                          tungsmaßnahmen durch die Stadt Waldkirch. Wei-        Burg seit fast 50 Jahren befindet, sah sich nicht in
                          tere Arbeiten, bei denen Schutt entfernt oder ein-    der Lage, eine bauliche Instandsetzung allein zu
                          planiert wurde, fanden 1954 und in den 1960er         finanzieren. In dieser Situation bildete sich 2002
                          Jahren statt. Das markanteste Bauteil ist der 28 m    unter dem Dach des „Heimat- und Geschichts-
                          hohe Bergfried aus dem 13. Jahrhundert, der mit       vereins Waldkirch e. V.“ die „Aktion Kastelburg in
                          einer Grundfläche von 12 × 12 m einer der größ-       Not“. Viele der aktiven Mitglieder hatten berufli-
                          ten seiner Art ist. Aber auch die übrigen Baureste
                          stammen überwiegend aus der Frühzeit der Burg.
                          Die Burganlage ist seit 1976 nach Paragraf 12 des
                          baden-württembergischen Denkmalschutzgeset-
                          zes als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung
                          in das Denkmalbuch eingetragen. Die durch einen
                          Halsgraben vom Berg abgetrennte Burg besteht
                          aus einem höher gelegenen Kernbereich mit
1 Nach dem Entfernen
der Bäume und dem
                          Bergfried im Norden und Palas im Süden, sowie
Anbringen einer neuen     einem etwas tiefer gelegenen, die Kernburg im
Beleuchtung war die       Westen und Süden umgebenden Areal, das sei-
Kastelburg wieder deut-   nerseits mit einer knapp 200 m langen Ringmauer
lich wahrnehmbar.         umfasst ist.

                    134   Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
2 Die Kastelburg bildet
                                                                                                                    mit dem Marktplatz von
                                                                                                                    Waldkirch eine maleri-
                                                                                                                    sche Kulisse.

che Erfahrung im Bauhandwerk und konnten sich         Burg. Der auf dieser Grundlage entwickelte An-
ihre Zeit, da im Ruhestand, frei einteilen. Die de-   trag, der im Mai 2003 bei der Unteren Denkmal-
taillierte Abstimmung der Arbeiten mit der Denk-      schutzbehörde eingereicht wurde, erfolgte mit der
malpflege erfolgte in verschiedenen Arbeitsab-        Absicht, die Dokumentation der Gesamtburgan-
schnitten. Die erste Maßnahme dieser Aktion war,      lage durchzuführen, einen Rundweg um die Burg
dass die Stadt auf dem Burghang zahlreiche            zu erstellen und Mittel für das Verfugen der Ring-
Bäume fällen ließ, um die Anlage von der Stadt        mauer zu erhalten (Abb. 3). Die Vertreter der Bau-
und dem Tal aus wieder deutlich in Erscheinung tre-   und Kunstdenkmalpflege sowie der Archäologie
ten zu lassen. Parallel dazu wurden im Burgbereich    des Mittelalters befürworteten diese Maßnahmen;
die Vegetation und der Müll entfernt, um das Areal    viele weitere Anträge und baudenkmalpflegeri-
wieder attraktiver zu machen. Schließlich war mit     schen Arbeiten sollten folgen, die in regelmäßigen
der Installation einer neuen Beleuchtung die Burg     Ortsterminen mit allen Zuständigen abgestimmt
den Bürgern von Waldkirch wieder zu jeder Jahres-     wurden.
und Tageszeit präsent. Dies stellte eine der wich-    Im Jahr 2004 wandte sich das Team schließlich
tigsten Maßnahmen hinsichtlich der öffentlichen       dem freistehenden Aborterker auf der Ostseite
Wahrnehmung dar (Abb. 1).                             der Burg zu, um ihn von Bewuchs zu befreien und
Anschließend entstand ein abgestimmter Maß-           um das stark in Mitleidenschaft gezogene Mau-
nahmenkatalog für die verschiedenen Teile der         erwerk instand zu setzen (Abb. 4a, 4b). Dies stellte

                                                                      Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   135
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
3 Die Kastelburg zu Be-
ginn der Sanierungsar-
beiten (Sommer 2003).

                          den Abschluss der Arbeiten an der äußeren Ring-       Während dieser Zeit befreiten die Mitarbeiter ab-
                          mauer dar. Als nächster Schritt folgte 2005 die Do-   schnittsweise die inneren Gebäudeteile (Palas)
                          kumentation des inneren Baubestandes durch            vom Efeu und verschlossen soweit erforderlich die
                          Photogrammetrie. Ein wichtiger Aspekt war die         offenen Fugen (Abb. 5). Die Mauerkronen erhiel-
                          Prüfung der statischen Sicherheit des gesamten        ten eine Abdeckung aus Bleiblech, um das Ein-
                          Burgberges. Durch die Entfernung des Bewuchses        dringen von Wasser zu verhindern. Ein wesent-
                          vom Berghang war es möglich, den Fels auf seine       licher Schritt für die Logistik stellte die Errichtung
                          Standsicherheit zu untersuchen. Dabei wurden          einer Schutzhütte außerhalb der Burg dar. Somit
4a, 4b Der „Danzger“      teilweise erhebliche Gefahrenstellen identifiziert,   waren nicht nur Stauraum für Maschinen und
genannte Abortturm war    die eine Sanierung erforderlich machte. Die Fi-       Werkzeug vorhanden, sondern auch Wasser- und
stark mit Efeu bewach-    nanzierung dieser Maßnahme erfolgte durch die         Stromanschluss, ein Schutzraum bei schlechter
sen.                      Stadt.                                                Witterung sowie Toiletten. Sowohl das Material,

                    136   Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
wie auch die gesamten Personalkosten für die Er-                                                                    5 Das Entfernen des
richtung der Hütte wurden von den beteiligten                                                                       Bewuchses erforderte
Handwerksbetrieben des Elztales uneigennützig                                                                       erhöhten technischen
zur Verfügung gestellt. Im Jahre 2012, zehn Jahre                                                                   Aufwand.
nach Gründung der Aktion „Kastelburg in Not“,
konnten die Instandsetzungsmaßnahmen abge-
schlossen werden (Abb. 6).

Die Sanierung des Bergfrieds

Von Anfang an ließ sich absehen, dass eine In-
standsetzung des 28 m hohen Bergfrieds die Mittel
und Fähigkeiten der Arbeitsgemeinschaft über-
schreiten würden. Aus diesem Grund blieb er in die-
sen zehn Jahren unangetastet. Nicht zuletzt durch
die Heimattage, die im Jahr 2018 in Waldkirch statt-
finden sollten, wurde nach einigen Verzögerungen
die Sanierung des Turms im Frühjahr 2017 aufge-
nommen. Vor Beginn der Maßnahme erfolgte zu-
nächst durch das Landesamt für Denkmalpflege
eine erneute Dokumentation des Turms mithilfe
von terrestrischem Laserscan und drohnenge-            Zum Sanierungskonzept
stützter Fotographie (Abb. 7). Denn aufgrund der
Höhe des Bauwerks sowie der Lage auf dem Berg          Die denkmalfachliche Herangehensweise hatte
kam es bei der Photogrammmetrie insbesondere in        zum einen das Ziel, die überlieferte historische
den oberen Bereichen unweigerlich zu Unschärfen,       Mauersubstanz zu sichern, ohne größere Rekon-
die mit der neuen Methode behoben werden konn-         struktionen vorzunehmen. Vorrangig galt es, be-
ten. Als das Gerüst stand, wurde zunächst ein Bau-     stehende Schadensbilder auszuräumen und Be-
forscher damit beauftragt, Untersuchungen durch-       funde mit geeigneten Maßnahmen ablesbar zu er-
zuführen, um Hinweise auf Bauabfolgen etc. zu          halten. Nur dort, wo Steinausbrüche unmittelbar
erhalten. Die Ergebnisse fanden bei der darauf fol-    statische Probleme im Mauerwerk verursachten,
genden Instandsetzung Berücksichtigung, indem          wurden Fehlstellen wieder mit örtlichen Steinma-
zum Beispiel Baufugen erhalten blieben.                terialien geschlossen. Arbeiten im Fundamentbe-

                                                                                                                    6 Der Palas nach der
                                                                                                                    Sanierung.

                                                                      Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   137
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
reich wurden im Vorfeld mit der Archäologischen      sehr schlecht wieder trocknen konnte. In den Win-
                             Denkmalpflege abgestimmt und wo notwendig            termonaten führte dies zu Schäden durch Frost-
                             begleitet. Zum anderen mussten geeignete Lö-         sprengungen im Mauerwerk. Daneben gab es ver-
                             sungen für individuelle Probleme gefunden wer-       einzelt auch größere Rissbildungen, vor allem im
                             den, diese betrafen die Verbesserung der Regen-      Bereich des Quadermauerwerks an den Turmkan-
                             wasserableitung und die Abmilderung der Tem-         ten. Ein denkmalerfahrener Architekt sorgte für die
                             peraturschwankungen im Inneren des Bergfrieds.       Beschaffung der richtigen Materialien, arbeitete
                             Der Zustand des Mauerwerks konfrontierte die Be-     die Handwerker ein und überwachte die Maß-
                             teiligten im Wesentlichen mit klassischen Scha-      nahme.
                             densbildern. So lagen ausgewaschene Fugen vor,
                             in denen sich durch Windeintrag erdiges Material     Der handwerkliche Aspekt
                             eingelagert und einen Nährboden für Bewuchs ge-
                             schaffen hatte (Abb. 9). Offene Fugen und daraus     Das Sanierungskonzept sah daher folgende Maß-
                             resultierender Bewuchs sind eine Hauptursache        nahmen vor:
                             von nachfolgenden Schadensphänomenen an his-         Entfernen der zementhaltigen Ausbesserungen,
                             torischem Mauerwerk. In die offenen Fugen kann       Ausräumen der nicht mehr intakten Fugen, Ent-
                             Feuchtigkeit eindringen, die aufgrund des pflanz-    fernen von Bewuchs und erdigen Ablagerungen.
                             lichen Füllmaterials auch länger dort gespeichert    Neuverfugung mit einem abgemagerten Trass-
                             wird. Der entstehende Bewuchs selbst kann mit        kalkmörtel. In den durch starke Feuchte beauf-
                             seinen Wurzeln zu einer weiteren Aufweitung der      schlagten Bereichen und die erforderliche Mörtel-
                             Fugen führen, was im schlimmsten Fall Verschie-      festigkeit konnte auf einen Zementanteil von un-
                             bungen und Risse verursacht. Gerade Efeu mit sei-    ter 5 % nicht verzichtet werden. Der Fugenmörtel
                             nen starken Haftwurzeln ist hierbei oft ein Scha-    besteht aus örtlichem Mauersand und einem drei-
                             densgarant.                                          monatigen Sumpfkalk sowie der Zementbeimen-
                             Ein weiterer Schadensverursacher stellten ältere     gung. Die Verfugung erfolgte so, dass auch die
                             Reparaturen aus Zementmörtel im Bereich von Fu-      Randbereiche der Steine überdeckt wurden, die
                             gen und Mauerkronen dar. Der Zement war über         Steinköpfe aber sichtbar blieben. Dadurch wurde
                             die Jahre teilweise brüchig geworden und zeigte      eine ruhige Gesamterscheinung des Mauerwerks
                             Risse, zudem platzte er an vielen Stellen aufgrund   erreicht.
                             seiner typisch harten Konsistenz schalenartig vom    Auf der Südseite des Turms wurde die Verfugung
                             Natursteinmauerwerk ab. An diesen Stellen konnte     bewusst etwas tieferliegender als die Mauerwerks-
                             ebenfalls leicht Feuchtigkeit eindringen, die sich   steine ausgeführt, um die dort vorhandenen Spu-
                             hinter den Zementplomben sammelte und nur            ren früherer Anbauten gut ablesbar zu lassen. Auf

7 Ein Schnitt durch den
mittels Drohne und 3D-
Laserscanning dokumen-
tierte Turm vor der Sanie-
rung. Es wird deutlich,
dass die Mauer auf der
Feindseite stärker ausge-
bildet ist.

8 Um das Eindringen
feuchtwarmer Luft zu ver-
hindern, wurden reversi-
ble Fensterverschlüsse an-
gebracht.

                      138    Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
der Ostseite war die vorhandene Verfugung in gro-
ßen Bereichen noch intakt und konnte entspre-
chend belassen werden. Fugen wurden auch nur
dort vollständig verfüllt, wo es sich aus statischen
Gründen als notwendig erwies. An vielen Stellen,
an denen kein Wasser eindringen kann, wurden
Ritzen, in denen sich Mauerwespen, Eidechsen
und andere Tiere einnisten können, belassen. Als
Ersatz für die verloren gegangenen Lebensräume
wurde an der Basis von Mauern lockeres Stein-
material angelagert. So wurde zeitgleich ein Kom-
promiss zwischen den Belangen der Denkmal-
pflege und des Naturschutzes gefunden.
Den vereinzelten Rissen an den Turmkanten
musste mit statischen Sicherungsmaßnahmen be-
gegnet werden. Gezielt gesetzte Ankernadeln si-
chern die absturzgefährdeten Bereiche. Die Mau-
erkronen von Abbruchkanten wurden mit einem
mit Zement angereicherten Kalkmörtelabstrich
überdeckt. Die Abdeckung der Mauerkronen der
Zinnen am Turm erfolgte mit den vorhandenen
Sandsteinplatten. Das Gefälle der oberen Turm-          burtstagsgeschenken oder auch anstelle von Krän-               9 Am Bergfried waren
plattform ist auf den Wasserspeier nach Süden aus-      zen bei Beerdigungen für die Aktion „Kastelburg                die Fugen stark ausge-
gerichtet. Dieser wurde erneuert und verlängert,        in Not“ zu spenden. Auch die im Zusammenhang                   wittert und teilweise
sodass er in größerem Abstand zum Mauerwerk             mit Aktionen zur Öffentlichkeitsarbeit (Tag des of-            bewachsen.
entwässert. Der Wasserspeier nach Norden wurde          fenen Denkmals) erzielten Einnahmen flossen in
ausgebaut, um die winterliche Vereisung auf die-        das Projekt. Ein ganz wesentlicher Beitrag erfolgte
ser Seite zu beseitigen und die Stelle insgesamt tro-   durch zahlreiche Einzelspenden. Darüber hinaus
ckener zu halten. Um die jahreszeitliche Bean-          konnten Maschinen und Werkzeug des städti-
spruchung des Mauerwerks auf der Innenseite des         schen Bauhofs und des Forsts kostenfrei genutzt
Turms durch Kondensat abzumindern, erfolgte ab-         werden. Was hier nicht vorhanden war, stellten
schließend ein reversibler Verschluss der Mauer-        lokale Baufirmen unentgeltlich zur Verfügung. Für
werksöffnungen mit Holzläden. Dabei steht we-           die aktiven Personen brachten die Waldkircher
niger ein luftdichtes Verschließen im Mittelpunkt       Wirte abwechselnd das Essen auf die Burg – eben-
als die Vermeidung von Kondensatausfall auf den         falls als Spende. Die örtliche Brauerei stiftete die
kalten Steinwänden, wenn warme Luft durch die           Getränke.
Mauerwerksöffnungen eindringt (Abb. 8).
                                                        Maßnahmen zur Steigerung der
Die Finanzierung der Maßnahmen                          Attraktivität

Um die von der Stadt Waldkirch und dem Land             Die Gruppe „Kastelburg in Not“ gab wesentliche
Baden- Württemberg geförderte Sicherung durch-          Impulse zur Erhöhung der Attraktivität des Um-
führen zu können, führte die Gruppe „Kastelburg         felds der Burg. 2003 wurde ein „Ritterweg“ von
in Not“ verschiedene Maßnahmen selber durch.            der Stadt zur Burg angelegt, der insbesondere von
Die Finanzierung der Maßnahmen resultierte aus          Familien gerne angenommen wird, auch weil er
verschiedenen Initiativen. Zum einen finanzierte        durch ein Kinderbuch begleitet wird, in dem die
die Stadt Waldkirch als Eigentümerin aus Haus-          Themen Burg und Ritter behandelt werden. Na-
haltsmitteln unter anderem die Felssanierung, die       türlich floss auch dieser Erlös in das Projekt. Inhalt-
Fotogrammetrie, die Sanierung der Brücke und            lich sehr gut ausgearbeitete Führungen, unterstützt
des Bergfrieds sowie die Kosten für den Architek-       durch eine Gruppe von bis zu 20 Mitgliedern –
ten. Dies machte einen Gesamtbetrag von etwa            alles in authentischer, historischen Vorbildern ent-
600 000 Euro aus. Ferner kamen aus Zuschüssen           sprechender Gewandung – entführt an einigen
der Denkmalpflege im selben Zeitraum insgesamt          Wochenenden im Sommer Besucher in die Welt
170 000 Euro zusammen. Eine weitere, gut ange-          der Ritter. Diese Veranstaltungen sind ein sehr gut
nommene Maßnahme waren Patenschaften zur Fi-            besuchtes „Event“ und sorgen für eine weitere
nanzierung von Baumaterial. Die Bevölkerung             Steigerung der Attraktivität der Burg. Nicht zu
identifizierte sich so sehr mit dem Bauwerk, dass       unterschätzen ist die Bedeutung des Logos, mit
sehr viele darum gebeten haben, anstelle von Ge-        dem alle Aktivitäten versehen wurden. Ein we-

                                                                         Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   139
Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
10 Blick aus dem unte-     sentlicher Punkt war eine ständige und fundierte      Literatur
ren Burghof auf den        Pressearbeit, die auch von den örtlichen Medien
Bergfried und den Palas.   mitgetragen wurde.                                    Waldkircher Orgelstiftung (Hg.): Mit Herz & Hand für
                                                                                 Waldkirch. Eine Festschrift der besonderen Art, 2017,
                           Wie geht es weiter?                                   S. 151– 156, 161– 163.
                                                                                 Hermann Rambach: Die Kastelburg bei Waldkirch,
                           Die ursprüngliche Gruppe hat sich aus Altersgrün-     Waldkirch im Breisgau 1954.
                           den zurückgezogen. Die Fasnetgruppe „Burghexen“
                           hat sich nun bereit erklärt, die Instandsetzungsar-
                           beiten und die Pflege der Anlage zu übernehmen.
                           Wichtig ist insbesondere die Böschungspflege, um
                           ein erneutes Zuwachsen der Burg zu verhindern.
                           Hierbei handelt es sich um eine Daueraufgabe. Un-     Dr. Andreas Haasis-Berner
                           längst erfolgte die Erneuerung der Lichtanlage. Da-   Dr. Bertram Jenisch
                           durch wird nicht nur weniger Strom verbraucht,        Dr. Judith Platte
                           sondern es werden auch weniger Wartungsarbei-         Landesamt für Denkmalpflege
                           ten notwendig sein, da die bisherigen recht gro-      im Regierungspräsidium Stuttgart
                           ßen Scheinwerfer, immer Ziel und Opfer von Van-       Dienstsitz Freiburg
                           dalismus waren. Insgesamt ist die Instandsetzung
                           der Kastelburg insbesondere im Hinblick auf die       Hubert Baumstark
                           abgestimmte Einbindung der Ehrenamtlichen ein         Freier Architekt
                           erfolgreiches Projekt, das für sanierungsbedürftige   Rastatter Straße 29
                           Denkmale Modellcharakter haben kann (Abb. 10).        76199 Karlsruhe-Rüppur

                     140   Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Ausgebrannt und aufgestockt
Der Bergfried der Kastelburg bei Waldkirch
Dem aufmerksamen Betrachter wird die Aufstockung des Turms um das obere
Drittel sicher nicht verborgen bleiben. Auch die Werksteine früherer Öffnun-
gen auf der Nordseite sind gut sichtbar, doch sucht man während des Auf-
stiegs auf der Innenseite vergeblich nach entsprechenden Spuren. Stattdessen
mag man sich über das unvermittelte Ende des Kaminzugs wundern. Im Rah-
men einer bauhistorischen Analyse gelangen der Nachweis einer weiteren Bau-
phase, einer anfänglichen Wohnfunktion und die Entschlüsselung eines Zu-
sammenhangs aus Brand und Wiederaufbau in Verbindung mit der Erhöhung.
Thema des Aufsatzes ist die Schilderung der Baugeschichte des Bergfrieds von
der Errichtung bis zu seiner Zerstörung.
Stefan King

Die Ruine der Kastelburg liegt in Spornlage promi-    Landesamts für Denkmalpflege im Regierungs-
nent oberhalb der Stadt Waldkirch im Elztal. Die      präsidium Stuttgart (LAD) zur Verfügung.
Kernburg umfasst innerhalb der Ringmauer einen        Heute betritt man den Turm ebenerdig und ge-
hohen Palas auf der Talseite und einen Bergfried      langt mittels einer Holztreppe zur offenen Aus-
über dem Halsgraben (Abb. 1). Dieser Turm beein-      sichtsplattform (Abb. 3). Einst gliederte sich sein In-
druckt durch seine Abmessungen von 30 m Höhe          neres in fünf Ebenen, wovon die unterste ein Drit-
ab Hofniveau und 12 auf 12 m Seitenlänge. Damit       tel der Höhe umfasste und ohne Zwischendecke
gehört er zu den größeren Burgtürmen im Land.         und Zugang bis unter den Hocheingang hinauf-
Letzter Abschnitt langjähriger Arbeiten an der        reichte (Abb. 4, blau).
Burg war 2017 eine Mauerwerkssanierung des            Das Bruchsteinmauerwerk des Turms besteht aus             1 Die Kastelburg in
Bergfrieds (Abb. 2). Im Auftrag der Stadt Waldkirch   anstehendem Gneis, wie er auch bei der Anlage             Spornlage oberhalb der
konnte die Gelegenheit zu einer bauhistorischen       des Halsgrabens angefallen war. Für Buckelquader          Stadt Waldkirch. Im
Untersuchung genutzt werden. Zur Kartierung           an den Ecken und für die Einfassung der Öffnun-           Vordergrund der Turm
standen Bildpläne der vier Turmseiten seitens des     gen fand Buntsandstein Verwendung, der in den             von St. Margarethen.
Errichtung, erste Bauetappe

                                                                                Eine erste Zäsur zeichnet sich bereits in einer Höhe
                                                                                von rund 6 m ab. Dort wechseln Form, Versatz-
                                                                                weise und Steinmaterial der Eckquader, worin sich
                                                                                eine längere Bauunterbrechung abzeichnet. Dies
                                                                                könnte etwa durch einen Besitzerwechsel verur-
                                                                                sacht worden sein, es könnte aber auch einfach
                                                                                mit der Bauabfolge zu tun haben: Zwar sollte der
                                                                                gewaltige Bergfried den architektonischen Kern
                                                                                der Burganlage bilden, doch führte man ihn mög-
                                                                                licherweise zunächst nur so hoch aus wie not-
                                                                                wendig, um die Ringmauer anschließen und den
                                                                                Palas errichten zu können. Erst danach hätte man
                                                                                ihn weiter in die Höhe geführt. Dies würde be-
                                                                                deuten, dass die beiden Bauetappen am Beginn
                                                                                und am Abschluss der Errichtung der Kernburg ge-
                                                                                standen hätten.
                                                                                Über die Höhe der ersten Bauetappe sind die Eck-
                                                                                verbände von Nordost- und Südwestecke mit nur
                                                                                einem Buckelquader pro Schicht gebildet, woge-
                                                                                gen bei den anderen beiden Ecken unterschiedlich
                                                                                viele Quader, einmal mit sieben Stück in einer
                                                                                Reihe, zum Einsatz kamen. Im Fall der Südwest-
                                                                                ecke könnte dies durch den etwas eingerückten
                                                                                Anschluss der Ringmauer begründet sein. Für die
2 Der Bergfried der Kas-   nördlich gelegenen Tälern gewonnen wurde. Ins-       Ostseite kann Ähnliches vermutet werden. Dort
telburg nach Abschluss     besondere an der unterschiedlichen Beschaffen-       stößt die Ringmauer heute zwar etwa mittig an
der Mauerwerkssanie-       heit der Eckverbände lassen sich die Errichtung in   den Turm, doch sie weist einen seltsamen Knick
rung mit Hocheingang       zwei Bauetappen und eine spätere Erhöhung nach-      auf und hat dort eine geringere Mauerstärke als
und den Resten eines
                           vollziehen (Abb. 4, hellrot).                        im weiteren Verlauf. Dies lässt vermuten, dass sie
Treppenturms.

3 Inneres des Bergfrieds
mit hölzernem Treppen-
einbau.

                     142   Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
einst an die nordöstliche Turmecke anschloss. Zu-    Das eng begrenzte Auftreten macht ganz den Ein-                4 Fotogrammetrische
sammen mit der äußeren Ringmauer könnte sie ei-      druck, als hätte man hier ein gestalterisches Mittel           Aufnahmen der vier An-
nem Felsabsturz zum Opfer gefallen sein, sodass      ausprobiert, mit dem man dem Turm eine rustika-                sichten des Bergfrieds –
Ersatz in entsprechend zurückgesetzter Lage ge-      lere Erscheinung verleihen wollte, und hat es dann             blau: Nutzungsebenen;
                                                                                                                    hellrot: Bauphasen; hell-
schaffen werden musste (Abb. 5, orange).             doch nicht weiterverfolgt.
                                                                                                                    blau: Kragsteine am
Im Inneren des Turms fällt im südwestlichen Eck-     Bis zum hochliegenden Eingang auf einem Drittel
                                                                                                                    Hocheingang; gelb: vor-
bereich eine freistehende Verzahnung auf, die im     der Gesamthöhe ist der Turm in baulicher Hinsicht              stehende Mauersteine;
Abstand von 80 cm von der Südwand bis in 3 m         lediglich als Sockel ausgebildet, einzig zum Zweck             grün: Steinersatz.
Höhe reicht. Damit war ganz offensichtlich der An-   der Gewinnung an Höhe (Ebene 1). Für die popu-
schluss der Südwand vorbereitet worden, als man      läre Zuschreibung als Burgverlies gibt es keine Hin-
mit der Westwand mit einer Stärke von 340 cm be-     weise.
gonnen hatte. Nachdem auch die Nordwand              Der Hocheingang besitzt ein aus Buckelquadern
stand, besann man sich darauf, bei den beiden        gefügtes rundbogiges Gewände (Abb. 2). Davor
zum Inneren der Burg gerichteten, geschützten        lag ein kurzes Außenpodest auf zwei starken Kon-
Turmseiten die Mauerstärke zu reduzieren, was        solsteinen. Oberhalb stehen kleinere Hakenkon-
dazu führte, dass an die zu Anfang vorbereitete      solen zur Anbringung eines Klebdachs vor, das
Verzahnung nicht mehr angeschlossen werden           sehr viel weiter zur linken Seite reichte, sodass man
konnte (Abb. 5, hellgrau).                           hier einen Treppenaufgang vermuten darf (Abb. 4,
                                                     hellblau). Der Abstand des Podests zur Ringmauer
Errichtung, zweite Bauetappe                         ist weit, sodass unklar ist, ob man von einem dor-
                                                     tigen Wehrgang aufsteigen konnte, oder ob dies
Die Eckverbände der zweiten Bauetappe sind in et-    von einem anstoßenden Gebäude oder über eine
was anderer Weise aufgebaut. Sie besitzen allsei-    Freitreppe geschah.
tig etwa gleichbleibende Breite mit meist zwei,      Im Eingangsgeschoss (Ebene 2) öffnet sich je ein
manchmal auch drei Quadern nebeneinander. Die        Schlitzfenster nach Norden und Westen. Sie wei-
Steine weisen eine auffällige orange Färbung auf,    ten sich von einer Breite von 11 cm trichterförmig
haben größere Formate und tragen flache Buckel.      und rundbogig zum Inneren auf. Im nächsten Ge-
Sie reichen bis in eine Höhe von 18,5 bzw. 20,5 m    schoss (Ebene 3) gibt es ebenfalls zwei Öffnungen,
über Hofniveau (in Ebene 4). Innerhalb der Mau-      diesmal aber an Süd- und Ostseite. Sie hatten einst
erflächen von West- und Nordseite, den beiden        die gleiche Form, waren aber etwas breiter be-
dem Feind zugewandten Seiten des Turms, fallen       messen, doch hat man sie nachträglich stark ver-
in Höhe des Eingangsgeschosses (Ebene 2) mar-        größert. Die Werksteine an der Innenseite der Fens-
kant vorstehende Mauersteine auf (Abb. 4, gelb).     teröffnungen weisen Abplatzungen auf, die von

                                                                      Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   143
nächsten Mauerabsatz ein abruptes Ende findet.
                                                                                Dort gründete das höhere Mauerwerk auf einem
                                                                                Sturzholz, von dem Abdrücke geblieben sind.
                                                                                Heute ist dort ein neues Holz eingelegt. Seitlich des
                                                                                Kamins ist die aus Werkstein beschaffene Nische
                                                                                eines verschließbaren Wandschränkchens einge-
                                                                                lassen.
                                                                                Im nächsten Geschoss (Ebene 4) sind an der nörd-
                                                                                lichen Außenseite die Eckfassungen zweier ehe-
                                                                                maliger Öffnungen von 2 m Breite in spiegelbild-
                                                                                licher Anordnung zu erkennen (Abb. 6). Nur eine
                                                                                davon besitzt noch den untersten Stein eines Stich-
                                                                                bogens. Ansonsten fehlen die Bögen, sodass die
                                                                                Öffnungen nicht zuge- sondern übermauert wor-
                                                                                den sind. Die schrägen Wandungen enden in
                                                                                30 cm Tiefe, doch offenbar handelte es sich nicht
                                                                                um die Gewände der eigentlichen Öffnungen, son-
                                                                                dern um Überfangbögen als Rahmung kleinerer,
                                                                                etwas zurückgesetzter Einzelöffnungen. Im Inne-
                                                                                ren sollte man an dieser Stelle zugesetzte Fen-
                                                                                sternischen erwarten dürfen, doch es finden sich
                                                                                nur sauber durchlaufende, ungestörte Mauerla-
                                                                                gen, denn hier wurde später eine Mauerschale vor-
                                                                                gesetzt. Zwei Rüstlöcher auf der Außenseite rei-
                                                                                chen 190 cm in die Tiefe und dürften die ur-
                                                                                sprüngliche Mauerstärke anzeigen, die tatsächlich
                                                                                240 cm beträgt.
                                                                                Bei jüngeren Öffnungen im obersten Geschoss
                                                                                (Ebene 5) konnten mehrere Werksteine der Ein-
5 Grundriss der Kastel-      großer Hitzeeinwirkung bei einem Brand im Turm-    fassung als Bestandteile älterer Fenstergewände
burg aus dem Kunstdenk-      inneren herrühren.                                 identifiziert werden, deren frühere Innenseite heute
mälerinventar von 1904;      Ebenfalls in Ebene 3 befinden sich an der West-    nach außen gerichtet ist (Abb. 7). Sie gehörten
grau: Korrektur des Turm-    wand die Reste eines großen offenen Kamins von     einst zu schmalen Öffnungen von 102 cm Höhe
grundrisses; hellgrau: bei
                             2 m Breite mit seitlichen Wangen und Konsolen      und 22 cm Breite, die sich nach außen stark trich-
Baubeginn vorgesehene
                             aus Werkstein. Auf Kragbalken saß ein sich nach    terförmig aufweiteten und auf der Innenseite ei-
Mauerstärke; orange: ver-
muteter Verlauf der Ring-
                             oben verjüngender Schlot, der ein Stück über dem   nen Falz hatten (Abb. 8). Bei den meisten Stücken,
mauern.

6 Nordseite mit Eckfas-
sungen von vermutlich
zwei Überfangbögen
über ehemaligen Öffnun-
gen. In gleicher Höhe er-
folgt ein Wechsel in der
Beschaffenheit der Bu-
ckelquader; Aufnahme
vor der Sanierung.

                     144
fünf an der Zahl, handelte es sich um 55 cm breite
Zwischenstücke von Doppel- oder mehrteiligen
Gruppenfenstern. Es ist naheliegend, dass sie vom
Bergfried selbst herrühren. Sie könnten aber auch
von den Fenstern des Palas genommen worden
sein. Brandspuren sind jedoch nicht zu erkennen.
Der große offene Kamin ermöglichte angenehmen
Aufenthalt im Inneren des Turms. Die Öffnungen
an der Nordseite, verbunden mit einer geringeren
Mauerstärke, rühren vermutlich von Wohnräumen
her. Der Hauptraum wäre auf der Hofseite mit ei-
ner größeren Zahl an Öffnungen zu erwarten, von
dem die wiederverwendeten Werksteine herrüh-
ren könnten. Es darf daher vermutet werden, dass
der ungewöhnlich große Bergfried anfangs mit
hochwertigen Räumlichkeiten ausgestattet war.
Hierin dürfte auch die ungewöhnlich groß be-
messene Grundfläche des Turms begründet sein.
Es ist nicht auszuschließen, dass es noch ein wei-
teres Geschoss gab, etwa in der Form eines höl-
zernen Aufsatzes, wofür es jedoch keine Baube-
funde oder Bildquellen gibt.
In dieser exponierten und nur unter Mühen er-
reichbaren Lage hoch im Turm waren sie sicherlich                                                                  7 In Ebene 5 wiederver-
nicht zur ständigen Wohnung vorgesehen, son-                                                                       wendete Werksteine von
dern dienten vornehmlich der Repräsentation. Wie                                                                   ehemaligen Gruppenfens-
vor allem auch der hochragende Palas deutlich                                                                      tern. Sie sind heute mit
                                                                                                                   ihrer gefälzten Innenseite
macht, sahen die Erbauer der Burg trotz beengter
                                                                                                                   nach außen gewandt.
Verhältnisse ein umfangreiches Raumprogramm
vor, um den Anlagen der größeren Landesherren                                                                      8 Rekonstruktion der
mit Residenzcharakter nicht nachzustehen.                                                                          ursprünglichen Form der
Die Form der Eckquader und die rundbogigen Öff-                                                                    Gruppenfenster. Ob sie
nungen machen eine Errichtung des Bergfrieds im                                                                    nach oben rund- oder
13. Jahrhundert wahrscheinlich. Dies zeichnet sich                                                                 spitzbogig schlossen und
auch im Fundspektrum der Keramik ab, die nicht        ßeres Format und sind aus Steinmaterial von küh-             ob es einen Überfangbo-
vor die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückreicht       lerer Färbung hergestellt. Zudem tragen nun alle             gen gab, ist ungewiss.
(nach Forschungen durch Andreas Haasis-Berner,        Quader Zangenlöcher. An der Südwestecke ist der
Waldkirch, und Heiko Wagner, Kirchzarten). Die        Übergang durch eine spätere Reparatur verwischt
Werksteine von erster und zweiter Bauetappe wei-      (Abb. 4, grün). Es darf vermutet werden, dass die
sen keine Zangenlöcher auf, mit denen sie mittels     Aufstockung im Laufe des 14. Jahrhundert er-
einer Steinzange gehoben und versetzt hätten          folgte. An der Ostseite tritt die Erhöhung durch
werden können. Stattdessen fanden sich an we-         eine hellere Mauerfläche in Erscheinung, was an
nigen Stellen kurze, sich verbreiternde Schlitze in   der besseren Erhaltung des vermutlich deckend
der Oberseite zum Einsetzen eines Spreizwolfs,        aufgetragenen Mörtels liegen dürfte. Für die ho-
was vermuten lässt, dass alle Quader auf diese        hen schmalen Öffnungen hatten die bereits er-
Weise am Kran hingen. Dieser Umstand bietet ei-       wähnten älteren Gewändesteine neue Verwen-
nen Datierungshinweis, denn am Freiburger Müns-       dung gefunden. Die heute oben unvermittelt en-
ter waren die Steine der romanischen Bauperiode       denden Eckverbände dürften noch ein Stück höher
bis um 1240 ebenfalls mit dem Spreizwolf geho-        gereicht haben.
ben worden, der dann von der Greifzange abge-         Wie die Brandspuren an den innenliegenden Werk-
löst wurde.                                           steinen der zweiten Bauetappe verraten, war der
                                                      Turm ausgebrannt. Das Feuer dürfte damals die ge-
Erhöhung                                              samte Kernburg erfasst haben, denn auch alle frü-
                                                      hen Fenstereinfassungen des Palas lassen Abplat-
Eine Erhöhung des Bergfrieds ist deutlich am          zungen erkennen. Von dieser Katastrophe gibt es
Wechsel in der Beschaffenheit der Eckverbände         keine schriftliche Überlieferung. Im Zuge des
wahrzunehmen (Ebene 4 und 5) (Abb. 6). Sie ha-        Wiederaufbaus gab man die Wohnnutzung des
ben deutlich stärker vortretende Buckel, etwas grö-   Turms auf und nahm eine Erhöhung vor. Dafür

                                                                     Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   145
wurde das Wohngeschoss in weiten Teilen abge-        Südlich vor dem Turm erheben sich die Reste ei-
      tragen und eine größere Mauerstärke als zuvor vor-   ner Wendeltreppe (Abb. 2). Die Stümpfe der aus
      gesehen. Auch den ohnehin vom Brand stark ge-        Werkstein gefertigten Stufen reichen bis in eine
      schädigten Kamin gab man auf, schlug die Reste       Höhe von 7,5 m, was drei Treppenwindungen ent-
      der Wangen ab, vermauerte die Balkenlöcher und       sprach. Die Treppe entstand in Verbindung mit der
      legte über die Aussparung des Schlots ein Sturz-     Neuerrichtung eines Gebäudes an der westlichen
      holz, um von dort in gerader Flucht neu aufmau-      Ringmauer. Sie diente diesem als Erschließung und
      ern zu können. Der Innenraum erhielt einen flä-      trat als vorspringender viereckiger Treppenturm
      chigen Verputz, der im Bereich des Kamins den Ab-    mit abgeschrägter Ecke in Erscheinung. Zugleich
      druck einer Treppe erkennen lässt. In den            konnte man zum Hocheingang des Turms gelan-
      Fensternischen der Ostseite sind noch die Reste      gen. Zum Bau wurde eine tiefe Kuhle aus der Süd-
      von Ritzzeichnungen im Wandputz schemenhaft          seite des Turms gebrochen und das im Inneren zy-
      erkennbar.                                           linderförmige Treppengehäuse hineingemauert.
                                                           Seiner Form nach könnte der Treppenturm im Zeit-
      Anbauten und Umbauten                                raum zwischen dem späten 15. und dem frühen
                                                           17. Jahrhundert entstanden sein.
      An der Ostseite sind zwei übereinanderliegende       Die Schaffung einer Wehrplattform etwa in Höhe
      Abdrücke von Satteldächern ehemals anstoßender       der heutigen Aussichtsplattform, dürfte auf das
      Gebäude zu erkennen, die die Breite zwischen der     16. Jahrhundert zurückgehen. Sie besitzt rund-
      Südostecke des Bergfrieds und der bestehenden        herum Zinnen mit integrierten Schießscharten. Die
      Ringmauer eingenommen hatten (Abb. 4). Den un-       vom obersten Geschoss heraufführende Treppe
      teren Dachabdruck hatte ein zweigeschossiges Ge-     liegt innerhalb der Mauerstärke der Ostwand. Da-
      bäude hinterlassen. An den Eckquadern des Turms      für hatte man das Mauerwerk von der Innenseite
      sind Brandabplatzungen zu finden, die aber erst      her ausgebrochen. Zugleich wurden die obersten
      im Abstand von 45 cm von der Südostecke in einer     Fensteröffnungen neu eingewölbt. Bevorzugtes
      vertikalen Linie beginnen und bis zum Ansatz der     Baumaterial waren Backsteine. Da Gewölbean-
      Dachschräge hinaufreichen. Diese Situation ist da-   sätze fehlen, ist davon auszugehen, dass die Platt-
      durch entstanden, dass die aus Mauerwerk be-         form von einer Balkenlage gebildet wurde, was
      stehende hofseitige Wand an den Turm stieß, das      wiederum eine Überdachung voraussetzt. Ent-
      Gebäude dann Opfer eines Feuers wurde und die        sprechend sind auf älteren Abbildungen die ge-
      Hitzeentwicklung nur in der Breite des Innenraums    mauerten Giebeldreiecke eines Satteldachs dar-
      auf die Turmquader einwirkte. Der Ersatzbau be-      gestellt, wogegen es sich bei der bestehenden Auf-
      kam eine größere Höhe und führte zum höherlie-       mauerung an der Südseite um eine Nachbildung
      genden Dachabdruck gleicher Breite und gleicher      handeln dürfte.
      Dachneigung.                                         Später hat man die Zinnen auf der Berg- und An-
      Oberhalb davon lassen sich Spuren eines dritten      griffsseite mit einer halbkreisförmigen und die
      und älteren Dachanschlusses mit einer Traufhöhe      Ecken mit Ausnahme des Treppenaufgangs mit ei-
      von etwa 15 m über Hofniveau nachweisen (in          ner viertelkreisförmigen Hintermauerung verstärkt.
      Ebene 3). Allerdings liegen sie nahe der Nordoste-   Sicherlich war diese Maßnahme dazu bestimmt,
      cke des Turms und damit außerhalb der beste-         die Zinnen gegen Kanonenbeschuss zu stabilisie-
      henden Ringmauer. Wie in Verbindung mit der Be-      ren. Es dürfte eine der letzten Baumaßnahme ge-
      schaffenheit der Eckverbände der ersten Bau-         wesen sein, kurz bevor die Burg im Dreißigjährigen
      etappe schon gemutmaßt, dürfte die Ringmauer         Krieg zerstört wurde und seitdem Ruine ist.
      ursprünglich an die Nordostecke des Turms ange-
      schlossen haben. Ob es sich um den Dachan-           Dipl.-Ing. Stefan King
      schluss eines Gebäudes oder eines Wehrgangs          Kandelstraße 8
      handelte, konnte nicht geklärt werden.               79106 Freiburg

146   Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Verloren, aber nicht vergessen:
das Kaufhaus Schocken in Stuttgart
Ein Nachruf im Jubiläumsjahr des Bauhauses
In diesem Jahr gedenkt man der Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren und
würdigt seine Arbeiten und die Nachwirkung seiner Idee in Gebrauchsdesign
und Architektur. Somit rücken auch die vom Gedankengut des Bauhauses be-
einflussten baulichen Zeugnisse in Stuttgart in diesem Jahr verstärkt in das
Blickfeld. Zugleich wird in der Stadt aber auch der Verlust eines wichtigen Do-
kuments des Neuen Bauens, des Kaufhauses Schocken, bewusst. Das Kauf-
haus gehörte neben der Weißenhofsiedlung von 1927 und dem Tagblatt-Turm
von 1928, die erhalten sind, zu den bedeutendsten Zeugnissen des Neuen
Bauens in Stuttgart. 1926 bis 1928 in markanter Lage in der Stadtmitte im
Auftrag der Kaufleute Schocken durch den Architekten Erich Mendelsohn er-
baut, wurde das Schicksal des seit 1939 in Kaufstätte Merkur umbenannten
Kaufhauses dank des Einsatzes Stuttgarter Architekturstudenten international
diskutiert. Die Interessen des Bauherrn Horten und der Stadt obsiegten und so
wurde der Bau ab dem 2. Mai 1960 zugunsten eines Neubaus abgebrochen.
Judith Breuer

Baugeschichte 1926 bis 1928                           beim Kaufhaus in Stuttgart, den für Neues Bauen
                                                      und die Bauaufgabe prädestinierten namhaften
Die Gebrüder Salman und Simon Schocken waren          Berliner Architekten Erich Mendelsohn (1887–
erfolgreiche Kaufleute, die seit 1904 in ganz         1953). Mendelsohn hatte bis dahin insgesamt fünf
Deutschland, vor allem in Sachsen, Kaufhäuser führ-   Kauf- und Ladengeschäftshäuser in Deutschland                1 Kaufhaus Schocken im
ten. Ihnen gehörte die nach Karstadt, den beiden      geplant und gebaut, darunter in Nürnberg auch                Rohbau von Nordosten,
Tietz und Wertheim seit 1930 fünftgrößte Waren-       sein erstes Kaufhaus für die Schocken KG.                    1927.
hausgruppe in Deutschland. Die Gebrüder Scho-
cken hatten das Ziel, durch das Angebot preiswer-
ter, aber qualitätvoller Industrieware den Lebens-
standard auch gering verdienender Menschen zu
heben. Eine Niederlassung im seit den 1920er Jah-
ren durch Auto- und Elektroindustrie wachsenden
und wirtschaftlich erstarkenden Stuttgart wurde für
sie interessant. 1925 kauften sie deshalb gegenüber
der Baustelle für den Tagblatt-Turm das Gasthaus
Petersburger Hof und ließen es abbrechen.
1925/26 besuchte Salman Schocken das Bauhaus
in Dessau. Er war nicht nur beeindruckt, sondern
beauftragte einen Bauhaus-Absolventen mit der
Entwicklung eines Verkaufstischs. Tische nach die-
sem Prototyp wurden von allen Schocken-Waren-
häusern übernommen. Auch die Drucksachen des
Konzerns wurden fortan konsequent in der Bau-
haus-Typografie gestaltet. In Neuer Sachlichkeit
wollte Schocken auch die neuen Schocken-Kauf-
häuser gestaltet sehen.
Die Schocken KG beauftragte daher mit der Pla-
nung und dem Bau ihrer Kaufhäuser, so 1926 auch

                                                                     Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   147
2 Kaufhaus Schocken,
Ansicht zur Steinstraße
mit Treppenturm im Ske-
lettbau, 1927.

3 Ansicht zur Steinstraße
kurz vor dem Abbruch im
Mai 1960.

                            Schon Ende 1926 stand das Stahlskelett mit 44          auf dem von vier Straßen asymmetrisch umgriffe-
                            Hauptstützen auf Beton- und Klinkerfundamen-           nen, zur Geißstraße stark abfallenden Grundstück
                            ten, die die Gebäudelasten abfingen. Im April 1927     Eberhardstraße 28, war ebenso schiefwinklig, da-
                            war der Rohbau fertig. Feierlich eröffnet wurde das    bei vierflügelig und zu den Seitenstraßen nur vier-
                            Kaufhaus dann am 4. Oktober 1928, gut einen            geschossig (Abb. 5). Ein Betriebs- und Lichthof er-
                            Monat vor der Fertigstellung des Tagblatt-Turms.       füllte die Forderung der städtischen Baubehörde
                            Vormittags empfingen die Bauherren Simon und           nach ausreichend natürlicher Belichtung und Be-
                            Salman Schocken und ihr Architekt Mendelsohn           lüftung. Vier Treppenhäuser dienten der Erschlie-
                            geladene Repräsentanten aus Stadt, Land, Wirt-         ßung. Die Haupttreppen befanden sich in den
                            schaft sowie unter anderem die Architekten des         turmartigen Bauteilen, eine nebst zwei Fahrstüh-
                            neuen Hauptbahnhofs Paul Bonatz und Friedrich          len im gerundeten gläsernen Treppenturm an der
                            Scholer sowie den ehemaligen Bauleiter der Wei-        Ecke Eberhard-Hirschstraße, die andere mit einem
                            ßenhofsiedlung Richard Döcker. Simon Schocken          dritten Aufzug im noch höheren, dabei kubischen
                            lobte in seiner Rede den auf moderne Architektur       Treppenturm zur Steinstraße (Abb. 2; 3). Im obe-
                            vorbereiteten Standort Stuttgart. Am Nachmittag        ren Teil des Steinstraßenturms, der gegen die Ter-
                            stand das Haus dann auch den Kunden offen.             rasse in ein Rund mit Fensterbändern überging, be-
                                                                                   fand sich das Büro der Geschäftsleitung.
                            Charakteristik und zeitgenössische                     Mendelsohn gelang es, der Baumasse des Stutt-
                            Wertung des Kaufhausbaus                               garter Kaufhauses durch Fensterbänder Leichtig-
                                                                                   keit zu verleihen. Die horizontal gegliederte Front
                            Das an der Schauseite fünfgeschossige Kaufhaus         zur Eberhardstraße war die Schauseite. Hier war
                            Schocken mit seinen erhöhten Treppentürmen             Blickfang, geradezu Wahrzeichen, der gläserne
                            und der achtzehngeschossige Tagblatt-Turm, zwei        Treppenhausturm an der Ecke. An der Schauseite
                            Inkunabeln des Neuen Bauens, standen fortan in         fand sich auch die Schaufensterzone, die dem Bau
                            direktem Gegenüber am Südrand der Stuttgarter          vorgesetzt war. Mitprägend wirkte hier zudem der
                            Altstadt (Abb. S. 147 oben). Während der Tagblatt-     aus einzelnen Leuchtbuchstaben in Grotesk-Groß-
                            Turm eine sachliche, dem Bauhausgebäude in Des-        buchstaben der Schaufensterzone aufsitzende
                            sau nahestehende Gestaltung aufweist, war das          Schriftzug SCHOCKEN (Abb. 4; 6).
                            Kaufhaus Schocken dynamisch komponiert. Folg-          Der Stuttgarter Bau wie auch andere Bauten Men-
                            lich wird seine Architektur auch als expressionisti-   delsohns waren auf Wirkung im Stadtbild ange-
                            scher Funktionalismus charakterisiert.                 legt – und dies sogar während der Nacht. Kunden
                            Der Kaufhausbau Mendelsohns passte sich dem            sollten durch die beleuchteten Schaufenster und
                            vorgegebenen Gelände geschickt an. Er erhob sich       die Lichtreklame angezogen werden. Diese Wir-

                     148    Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
4 Kaufhaus Schocken
                                                                                                                     gegen die Eberhardstraße
                                                                                                                     bei Nacht, kurz nach der
                                                                                                                     Eröffnung 1928.

kung wurde von zahlreichen Fotografen festge-           Konstruktion, Montage und Baustellenlogistik sind
halten. Ihre Aufnahmen in der damaligen Schwarz-        durch die Publikation „Der Stahl-Skelettbau“ des
weiß-Technik haben das Erinnerungsbild vom              Architekten Konrad W. Schulze, die im Juli 1928
Stuttgarter Schockenbau geprägt.                        erschien, als vorbildhaft dargestellt und umfang-
Wie aber die wenigen Farbfotos des ehemaligen           reich fotografisch dokumentiert.
Kaufhauses Schocken aus der Nachkriegszeit zei-         Das Kaufhaus war von Anbeginn ein Publikums-
gen, waren die Fassadenflächen vorwiegend mit           magnet und machte enormen Umsatz. Vier Kauf-
bräunlichen Klinkern verblendet, einem leicht glän-     häuser baute Mendelsohn noch in Europa, darun-
zenden Material, das der vielgereiste Mendelsohn        ter 1930 das Kaufhaus Schocken in Chemnitz, das
an Bauten von Henry van de Velde in Belgien und         einzige in Deutschland, das als Zeugnis von Men-
von Frank Lloyd Wright in den USA. kennengelernt        delsohns Kaufhausarchitektur (heute Staatliches              5 Lageplan vom 30. Ja-
hatte. Einen regionalen Bezug am Stuttgarter            Museum für Archäologie Chemnitz) erhalten blei-              nuar 1930 zum Erweite-
Schockenbau stellten die schmalen, das Klinker-         ben sollte.                                                  rungsbaugesuch.
mauerwerk der Brüstungen unterteilenden Hori-
zontalstreifen aus hellgelblichem Cannstatter Tra-
vertin dar (Abb. 11).
Wie bei Warenhäusern üblich, boten die Ge-
schosse offene Verkaufsflächen. Der Hof war
außermittig an den Nordrand gelegt, damit eine
große zusammenhängende Verkaufsfläche zur
Eberhardstraße gegeben blieb. Im Untergeschoss
fand sich – neu in einem Warenhaus – die Le-
bensmittelabteilung. Hinter den mannshoch ge-
mauerten Brüstungen waren im Erd- und Ober-
geschoss die Warenregale angeordnet, darüber
sorgten Fensterbänder für eine in die Tiefe rei-
chende Belichtung (Abb. 9). Regale und Tische wa-
ren aus Eichenholz gearbeitet und hellbraun oder
-grün gefasst.
Die Zeitgenossen waren von den technischen Fi-
nessen des Baus, von Dynamik und Eleganz sei-
ner Gliederung, der nächtlichen Beleuchtung und
der Tageslichtfülle im Inneren begeistert. Selbst die

                                                                       Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019   149
6 Kaufhaus Schocken
von Nordwesten gegen
die Eberhardstraße kurz
nach der Eröffnung 1928.

7 Erdgeschoss-Grundriss
des Kaufhauses Schocken
vom 25. Juni 1928.

                    150    Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Das Kaufhaus Schocken im Dritten Reich                Auch der neue Eigentümer plante, das Stuttgarter
und in der Nachkriegszeit                             Warenhaus zu vergrößern und beauftragte dafür
                                                      ebenfalls das Büro Eiermann und Hilgers. Deren
Im Zuge der Machtergreifung durch die NSDAP           Pläne zeigten von Mal zu Mal weniger Rücksicht
kam es ab Februar 1933 zu Boykotten jüdischer         im Umgang mit dem erst rund 30 Jahre alten Men-
Geschäfte. Diese betrafen auch die Kaufhäuser         delsohn-Bau. Erheblichen Anteil an dieser Ent-
von Salman Schocken, seit dem Unfalltod seines        wicklung hatten die Forderungen der Stadt nach
Bruders alleiniger Inhaber, denn er war Jude. In      Verbreiterung der Eberhardstraße und Begradi-
Stuttgart schikanierten Männer von SA und SS die      gung der Flucht an der Steinstraße. Das Baugesuch
Kunden des Kaufhauses. Der Umsatz ging in Folge       von 1957 sah schließlich nicht nur die Überbauung
drastisch zurück. 1934, ein Jahr nach Mendelsohn,     des Hofs, eine anderthalbgeschossige Aufsto-
verließ auch Schocken Deutschland, um sich wie        ckung, den Bau neuer Treppen und einer Roll-
dieser den Repressionen gegen Juden zu entzie-        treppe vor, sondern auch den Abriss des Schau-
hen. Den Warenhauskonzern übernahm 1938               fenstervorbaus und des unteren Teils des Glas-Trep-
eine Gruppe deutscher Banken.                         penhauses, den Einbau einer Passage entlang der
Die Kaufhäuser Schocken trugen ab 1939 den Na-        Eberhardstraße und sogar eine vorgehängte
men Merkur. In Stuttgart wurde der Namenszug          Leichtmetallfassade. Bei Verwirklichung dieser Pla-
Schocken über der Schaufensterzone ersatzlos ent-     nung wäre von Mendelsohns Bau nichts Wesent-
fernt. Die neue Bezeichnung KAUFSTÄTTE MER-           liches übrig geblieben.
KUR brachte man am oberen Rand des Treppen-
turms zur Hirschstraße an.                            Diskussion um Erhaltung oder Abbruch
Bei einer Bombardierung Stuttgarts 1944 wurde
das Kaufhaus Schocken getroffen und brannte           Bauherr Horten, ermutigt durch die rücksichtslose
aus. Spätestens dabei ging seine originale Einrich-   Planung seines Architekturbüros, sprach erstmals
tung verloren. Sein Stahlskelett und das Fassa-       am 4. Februar 1958 in einer Besprechung mit Eier-
denmauerwerk wurden jedoch kaum beschädigt.           mann in Düsseldorf über den Abbruch des Men-
Größere Schäden zeigten die obersten beiden           delsohn-Baus und einen kompletten Kaufhaus-
Stockwerke mit der Geschäftsleitung (Abb. 10).        Neubau. In einem Schreiben vom 27. Januar 1959
Der Bau konnte schnell wiederhergestellt werden.      äußerte Horten diese Absicht auch gegenüber der
Schon im September 1945 wurde das Kaufhaus            Stadt. Wohl gleichzeitig entwickelten auch maß-
wiedereröffnet, nun ganz ohne fernwirksamen Na-       gebliche Personen in der Stadtverwaltung diese
menszug.                                              Idee. Ende 1958 hörte Louise Mendelsohn, Witwe
Etwas mehr als die Hälfte der Merkur AG und da-       des 1953 verstorbenen Schocken-Architekten, die
mit auch das Stuttgarter Kaufhaus gingen 1949         erstmals seit ihrer Emigration in Deutschland und
zurück an Salman Schocken. Schon kurz nach Fer-       auch in Stuttgart war, in einem Telefonat mit Ober-
tigstellung des Stuttgarter Kaufhauses 1928 hatte     bürgermeister Arnulf Klett, dass das Kaufhaus aus
Schocken Planungen für eine Überbauung des
Hofs und den Einbau von Rolltreppen in Auftrag
gegeben, doch waren diese Pläne nicht mehr zur
Ausführung gekommen (Abb. 5). Zwei Jahre
nach der Rückgabe des Stuttgarter Hau-
ses ging Schocken erneut dessen Mo-
dernisierung und maßvolle Aufsto-
ckung an. Allerdings beauftragte
Schocken nun nicht mehr Mendel-
sohn, mit seinem Büro inzwischen im
fernen San Francisco, sondern das Karls-
ruher Büro der Architekten Egon Eier-
mann und Robert Hilgers, damals angehende
Spezialisten für Kaufhausbauten. Das Baugesuch
für die Aufstockung des Hauses an Stein- und
Hirschstraße von Juni 1951 wurde zwar geneh-
migt, kam allerdings nicht zur Ausführung. Eier-
mann richtete aber 1952 die wiederhergestellte
Chefetage mit von ihm entworfenen Möbeln ein.                                                                       8 Isometrie des Scho-
Bald darauf, 1953, verkaufte Schocken, wohl                                                                         cken-Baus von Erich Men-
mangels Nachfolger, seine Warenhäuser an den                                                                        delsohn für die Eröff-
rheinischen Kaufhausmagnaten Helmut Horten.                                                                         nungsanzeige von 1928.

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