Denkmalpflege in Baden-Württemberg - 3 | 2019 48. Jahrgang - Landesamt für Denkmalpflege ...
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Denkmalpflege 3 | 2019 in Baden-Württemberg 48. Jahrgang N A C H R I C H T E N B L AT T D E R L A N D E S D E N K M A L P F L E G E
Inhalt 133 Editorial 177 Zeugen aus Glas Archäologische Funde von der 134 Die Kastelburg über Waldkirch ehemaligen Synagoge in der Dank bürgerschaftlichem Engagement Gartenstraße 33 in Tübingen und fachkundiger Begleitung vor dem Beate Schmid/Dagmar Tonn Kaufhaus Schocken bei Verfall gerettet Nacht. Foto: Bildarchiv Foto Andreas Haasis-Berner / Hubert Baumstark / 181 Nordisch kühl oder heimelig Bertram Jenisch / Judith Platte konservativ Marburg, vormals Archiv Franz Stoedtner 141 Ausgebrannt und aufgestockt Zwei evangelische Kirchen der frühen Der Bergfried der Kastelburg bei Nachkriegszeit im Vergleich Jörg Widmaier Waldkirch Stefan King 187 „Vorstoß in neue Möglichkeiten“ 147 Verloren, aber nicht vergessen: das Georg Meistermanns Betonglasfenster und Betonwände in Freiburg Kaufhaus Schocken in Stuttgart Liane Wilhelmus Ein Nachruf im Jubiläumsjahr des Bau- hauses 192 Denkmalporträt „Das Zelt Gottes Judith Breuer unter den Menschen“ 157 Form außer Funktion St. Josef in Bruchsal Melanie Mertens Rolf Gutbrods vergessenes Frühwerk in der ehemaligen Flak-Kaserne in 194 Mitteilungen Friedrichshafen-Schnetzenhausen Denkmalpflege Martina Goerlich 201 Ausstellungen in Baden-Württemberg 164 Jungpaläolithikum am Oberrhein 202 Neuerscheinungen N A C H R I C H T E N B L AT T Eine Freilandfundstelle des Gravettien DER LANDESDENKMALPFLEGE im Markgräfler Hügelland 203 Personalia 3/ 2019 48. Jahrgang Marcel El-Kassem / Marcel Bradtmöller / Aitor Calvo Herausgeber: Landesamt für Denkmal- pflege im Regierungspräsidium Stuttgart. 170 Chancen für die Textilarchäologie Berliner Straße 12, 73728 Esslingen a.N. gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Ein Forschungsprojekt über die Textil- Arbeit und Wohnungsbau Baden- funde aus den Pfahlbausiedlungen Württemberg – Oberste Denkmalschutz- Johanna Banck-Burgess behörde. Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Präsident des Landesamtes für Denkmal- pflege Prof. Dr. Claus Wolf Schriftleitung: Dr. Irene Plein Stellvertretende Schriftleitung: Grit Grafe Redaktionsausschuss: Dr. Andrea Bräuning, Dr. Dieter Büchner, Dr. Andreas Haasis-Berner, Daniel Keller, Hendrik Leonhardt, Dr. Melanie Mertens, Dr. Claudia Mohn, Dr. Oliver Nelle, Karin Schinken, Dr. Anne-Christin Schöne, Susann Seyfert, Dr. André Spatzier Produktion: Verlagsbüro Wais & Partner, Stuttgart Lektorat: André Wais / Annine Fuchs Gestaltung und Herstellung: Hans-Jürgen Trinkner, Rainer Maucher Druck: Offizin Scheufele, Stuttgart Postverlagsort: 70178 Stuttgart Erscheinungsweise: vierteljährlich Auflage: 29 500 Bankverbindung: Landesoberkasse Baden-Württemberg, Dieser Ausgabe liegt das Veranstaltungs- Baden-Württembergische Bank Karlsruhe, programm der Landesdenkmalpflege IBAN DE02 6005 0101 7495 5301 02 zum Tag des offenen Denkmals sowie BIC SOLADEST600. Nachdruck nur mit schriftlicher Geneh- eine Beilage der Denkmalstiftung Baden- Verwendungszweck: migung des Landesamtes für Denkmal- Württemberg bei. Sie ist auch kostenlos Öffentlichkeitsarbeit Kz 8705171264618. pflege. Quellenangaben und die Über- bei der Geschäftsstelle der Denkmalstif- lassung von zwei Belegexemplaren Wenn Sie eine Spendenbescheinigung wünschen, tung Baden-Württemberg, Charlotten- an die Schriftleitung sind erforderlich. bitte Name und Anschrift angeben. platz 17, 70173 Stuttgart, erhältlich.
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, mit der Ihnen vorliegenden Ausgabe des Nach- richtenblattes der Denkmalpflege in Baden-Würt- temberg begehen wir eine Premiere. Zum ersten Mal in seiner Geschichte findet sich kein Kultur- denkmal auf seinem Titelbild. Das hier abgebildete Kaufhaus Schocken, das bis 1960 an der Stutt- garter Eberhardstraße lag, wurde abgebrochen, bevor seine Denkmalwürdigkeit festgestellt wer- den konnte und ein herausragendes Zeugnis der architektonischen Moderne so für immer aus dem Stadtbild verschwand. Sein Verlust ist aus heutiger Sicht, gerade vor dem Hintergrund des diesjähri- gen Bauhausjubiläums, sicherlich ebenso schmerz- lich wie schwer verständlich, vor allem angesichts des im vorliegenden Heft geschilderten, weit über die Landesgrenzen hinausreichenden damaligen Protests von Fachstudierenden, Kulturschaffenden, und Denkmalpflegern gegen den Abbruch des Ge- bäudes. Ein Besuch im vorbildlich restaurierten interessant. Aber auch unser heutiger, sehr viel vor- Chemnitzer Kaufhaus Schocken, das dem verlore- sichtigerer Umgang mit den Bauwerken aus ver- nen Stuttgarter Bauwerk sehr ähnlich ist, führt gangenen Epochen hängt bekanntlich mit der ra- deutlich vor Augen, was die Architekturlandschaft dikalen Umgestaltung der Städte in den 1950er des Landes damals verloren hat. Nun ist es wohl und 1960er Jahren und dem damit verbundenen feil und müßig, Entscheidungen früherer Genera- Verlust alter Bausubstanz zusammen. So begreift tionen, sofern sie nicht grundlegende humanisti- die moderne Denkmalpflege die Kulturdenkmale sche Werte berühren, zu verurteilen, ohne den zeit- als vielgestaltige historische Quellen und ist glei- historischen Kontext dieser Entscheidungen zu chermaßen einer strengen Quellenkritik wie einer berücksichtigen. Denn die Geschichte der Denk- kritischen Analyse ihrer eigenen Entscheidungen malpflege zeigt, dass diese seit ihren Anfängen im verpflichtet. Dabei gilt es bei ihrem Handeln immer, 18. und vor allem im 19. Jahrhundert, immer den auch die Zukunft im Blick zu haben und nicht zu Strömungen der Zeitläufte, dem jeweils zeitge- vergessen, dass wenig so flüchtig ist, wie der ak- bundenen Geschmack, Diskursen und Zwängen tuelle Zeitgeschmack. Das intensive Bemühen der unterworfen war. Und so wird der Konflikt um das Landesdenkmalpflege um die Kulturdenkmale der Kaufhaus Schocken selbst ein Zeugnis für die Ge- jüngeren und jüngsten Epochen der Architektur- schichte der jungen Bundesrepublik. An ihm ist der geschichte, den Bauten der 1970er bis 1990er unbedingte Willen der Entscheidungsträger in den Jahre, gründet auch auf der Sorge, diese zu ver- 1950er Jahren auszumachen, die Stadt nach Dik- lieren, bevor ihr Denkmalwert und ihre Denkmal- tatur und Krieg neu zu erschaffen – als könne man würdigkeit erkannt werden konnten. Denn schließ- die Wunden der Vergangenheit heilen, indem man lich sind es Beispiele wie das Kaufhaus Schocken ihre bauliche Hinterlassenschaft gleichsam ausra- in Stuttgart, die zeigen, was wir alle einbüßen kön- diert. Der im Wesentlichen von der nächsten Ge- nen, wenn scheinbaren Zwängen des Alltags und neration, nämlich von den Studierenden der Tech- der gerade herrschenden Mode allzuschnell nach- nischen Hochschule Stuttgart, getragene Protest gegeben wird. gegen diese Geschichtsvergessenheit ist auch hin- sichtlich der nur wenige Jahre später stattgefun- denen grundlegenden Umwälzungen der west- Prof. Dr. Claus Wolf deutschen Gesellschaft, subsumiert unter „1968“, Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 133
Die Kastelburg über Waldkirch Dank bürgerschaftlichem Engagement und fachkundiger Begleitung vor dem Verfall gerettet Die 750 Jahre alte Kastelburg ist eine der am besten erhaltenen Burgruinen in Baden. Auswitterung der Mauerfugen, starker Bewuchs und Frostsprengung hatten den Mauern jedoch stark zugesetzt. Aus diesem Grund entstand vor 17 Jahren ein Aktionsbündnis zu ihrer Sanierung. Dieser ehrenamtliche Ar- beitskreis hat es in 34 000 Arbeitsstunden geschafft, die Burg für die nächsten Jahrzehnte fit zu machen. Die wichtigsten Arbeiten fanden 2017 mit der Sanierung des Turms ihren Abschluss. Andreas Haasis-Berner/Hubert Baumstark/ Bertram Jenisch/ Judith Platte Geschichte der Burg Aktion „Kastelburg in Not“ Die Kastelburg wurde um die Mitte des 13. Jahr- Die Kastelburg zeigte sich trotz mehrfacher Sa- hunderts von den Herren von Schwarzenberg, den nierungen in den 1930er, 1950er und 1970er Jah- Vögten des Reichsklosters St. Margarethen in ren um das Jahr 2000 in einem bedenklichen Bau- Waldkirch, erbaut (Abb. 2). Sie diente für etwa zustand. Die stark von Besuchern frequentierte 100 Jahre als Stammsitz der jüngeren Linie, welche Anlage war in Teilbereichen so marode, dass auf- sich nach der neuen Burg benannte. Im Jahr 1354 grund der Verkehrssicherungspflicht eine partielle kaufte sie der Freiburger Patrizier Martin Malterer Schließung für den Besucherverkehr diskutiert als repräsentativen Wohnsitz. Nach dessen Tod im wurde. Durch den starken Bewuchs am Burghang Jahr 1386 kam sie als vorderösterreichisches Lehen sah man von der imposanten Anlage im Sommer an verschiedene Adelige, bis sie schließlich ab vom Tal aus nur noch die Spitze des hoch aufra- 1577 dauerhaft bei der Herrschaft Vorderöster- genden Turms. Große Teile des Mauerwerkes wa- reich verblieb. Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges ren von Efeu überwuchert und durch die Durch- erfolgte 1638 ihre Zerstörung durch Brand. Etwa wurzelung in ihrem Zusammenhalt stark beein- 250 Jahre lang dem Verfall preisgegeben, führten trächtigt. ab 1881 touristische Gründe zu ersten Aufwer- Die Stadt Waldkirch, in deren Eigentum sich die tungsmaßnahmen durch die Stadt Waldkirch. Wei- Burg seit fast 50 Jahren befindet, sah sich nicht in tere Arbeiten, bei denen Schutt entfernt oder ein- der Lage, eine bauliche Instandsetzung allein zu planiert wurde, fanden 1954 und in den 1960er finanzieren. In dieser Situation bildete sich 2002 Jahren statt. Das markanteste Bauteil ist der 28 m unter dem Dach des „Heimat- und Geschichts- hohe Bergfried aus dem 13. Jahrhundert, der mit vereins Waldkirch e. V.“ die „Aktion Kastelburg in einer Grundfläche von 12 × 12 m einer der größ- Not“. Viele der aktiven Mitglieder hatten berufli- ten seiner Art ist. Aber auch die übrigen Baureste stammen überwiegend aus der Frühzeit der Burg. Die Burganlage ist seit 1976 nach Paragraf 12 des baden-württembergischen Denkmalschutzgeset- zes als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung in das Denkmalbuch eingetragen. Die durch einen Halsgraben vom Berg abgetrennte Burg besteht aus einem höher gelegenen Kernbereich mit 1 Nach dem Entfernen der Bäume und dem Bergfried im Norden und Palas im Süden, sowie Anbringen einer neuen einem etwas tiefer gelegenen, die Kernburg im Beleuchtung war die Westen und Süden umgebenden Areal, das sei- Kastelburg wieder deut- nerseits mit einer knapp 200 m langen Ringmauer lich wahrnehmbar. umfasst ist. 134 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
2 Die Kastelburg bildet mit dem Marktplatz von Waldkirch eine maleri- sche Kulisse. che Erfahrung im Bauhandwerk und konnten sich Burg. Der auf dieser Grundlage entwickelte An- ihre Zeit, da im Ruhestand, frei einteilen. Die de- trag, der im Mai 2003 bei der Unteren Denkmal- taillierte Abstimmung der Arbeiten mit der Denk- schutzbehörde eingereicht wurde, erfolgte mit der malpflege erfolgte in verschiedenen Arbeitsab- Absicht, die Dokumentation der Gesamtburgan- schnitten. Die erste Maßnahme dieser Aktion war, lage durchzuführen, einen Rundweg um die Burg dass die Stadt auf dem Burghang zahlreiche zu erstellen und Mittel für das Verfugen der Ring- Bäume fällen ließ, um die Anlage von der Stadt mauer zu erhalten (Abb. 3). Die Vertreter der Bau- und dem Tal aus wieder deutlich in Erscheinung tre- und Kunstdenkmalpflege sowie der Archäologie ten zu lassen. Parallel dazu wurden im Burgbereich des Mittelalters befürworteten diese Maßnahmen; die Vegetation und der Müll entfernt, um das Areal viele weitere Anträge und baudenkmalpflegeri- wieder attraktiver zu machen. Schließlich war mit schen Arbeiten sollten folgen, die in regelmäßigen der Installation einer neuen Beleuchtung die Burg Ortsterminen mit allen Zuständigen abgestimmt den Bürgern von Waldkirch wieder zu jeder Jahres- wurden. und Tageszeit präsent. Dies stellte eine der wich- Im Jahr 2004 wandte sich das Team schließlich tigsten Maßnahmen hinsichtlich der öffentlichen dem freistehenden Aborterker auf der Ostseite Wahrnehmung dar (Abb. 1). der Burg zu, um ihn von Bewuchs zu befreien und Anschließend entstand ein abgestimmter Maß- um das stark in Mitleidenschaft gezogene Mau- nahmenkatalog für die verschiedenen Teile der erwerk instand zu setzen (Abb. 4a, 4b). Dies stellte Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 135
3 Die Kastelburg zu Be- ginn der Sanierungsar- beiten (Sommer 2003). den Abschluss der Arbeiten an der äußeren Ring- Während dieser Zeit befreiten die Mitarbeiter ab- mauer dar. Als nächster Schritt folgte 2005 die Do- schnittsweise die inneren Gebäudeteile (Palas) kumentation des inneren Baubestandes durch vom Efeu und verschlossen soweit erforderlich die Photogrammetrie. Ein wichtiger Aspekt war die offenen Fugen (Abb. 5). Die Mauerkronen erhiel- Prüfung der statischen Sicherheit des gesamten ten eine Abdeckung aus Bleiblech, um das Ein- Burgberges. Durch die Entfernung des Bewuchses dringen von Wasser zu verhindern. Ein wesent- vom Berghang war es möglich, den Fels auf seine licher Schritt für die Logistik stellte die Errichtung Standsicherheit zu untersuchen. Dabei wurden einer Schutzhütte außerhalb der Burg dar. Somit 4a, 4b Der „Danzger“ teilweise erhebliche Gefahrenstellen identifiziert, waren nicht nur Stauraum für Maschinen und genannte Abortturm war die eine Sanierung erforderlich machte. Die Fi- Werkzeug vorhanden, sondern auch Wasser- und stark mit Efeu bewach- nanzierung dieser Maßnahme erfolgte durch die Stromanschluss, ein Schutzraum bei schlechter sen. Stadt. Witterung sowie Toiletten. Sowohl das Material, 136 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
wie auch die gesamten Personalkosten für die Er- 5 Das Entfernen des richtung der Hütte wurden von den beteiligten Bewuchses erforderte Handwerksbetrieben des Elztales uneigennützig erhöhten technischen zur Verfügung gestellt. Im Jahre 2012, zehn Jahre Aufwand. nach Gründung der Aktion „Kastelburg in Not“, konnten die Instandsetzungsmaßnahmen abge- schlossen werden (Abb. 6). Die Sanierung des Bergfrieds Von Anfang an ließ sich absehen, dass eine In- standsetzung des 28 m hohen Bergfrieds die Mittel und Fähigkeiten der Arbeitsgemeinschaft über- schreiten würden. Aus diesem Grund blieb er in die- sen zehn Jahren unangetastet. Nicht zuletzt durch die Heimattage, die im Jahr 2018 in Waldkirch statt- finden sollten, wurde nach einigen Verzögerungen die Sanierung des Turms im Frühjahr 2017 aufge- nommen. Vor Beginn der Maßnahme erfolgte zu- nächst durch das Landesamt für Denkmalpflege eine erneute Dokumentation des Turms mithilfe von terrestrischem Laserscan und drohnenge- Zum Sanierungskonzept stützter Fotographie (Abb. 7). Denn aufgrund der Höhe des Bauwerks sowie der Lage auf dem Berg Die denkmalfachliche Herangehensweise hatte kam es bei der Photogrammmetrie insbesondere in zum einen das Ziel, die überlieferte historische den oberen Bereichen unweigerlich zu Unschärfen, Mauersubstanz zu sichern, ohne größere Rekon- die mit der neuen Methode behoben werden konn- struktionen vorzunehmen. Vorrangig galt es, be- ten. Als das Gerüst stand, wurde zunächst ein Bau- stehende Schadensbilder auszuräumen und Be- forscher damit beauftragt, Untersuchungen durch- funde mit geeigneten Maßnahmen ablesbar zu er- zuführen, um Hinweise auf Bauabfolgen etc. zu halten. Nur dort, wo Steinausbrüche unmittelbar erhalten. Die Ergebnisse fanden bei der darauf fol- statische Probleme im Mauerwerk verursachten, genden Instandsetzung Berücksichtigung, indem wurden Fehlstellen wieder mit örtlichen Steinma- zum Beispiel Baufugen erhalten blieben. terialien geschlossen. Arbeiten im Fundamentbe- 6 Der Palas nach der Sanierung. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 137
reich wurden im Vorfeld mit der Archäologischen sehr schlecht wieder trocknen konnte. In den Win- Denkmalpflege abgestimmt und wo notwendig termonaten führte dies zu Schäden durch Frost- begleitet. Zum anderen mussten geeignete Lö- sprengungen im Mauerwerk. Daneben gab es ver- sungen für individuelle Probleme gefunden wer- einzelt auch größere Rissbildungen, vor allem im den, diese betrafen die Verbesserung der Regen- Bereich des Quadermauerwerks an den Turmkan- wasserableitung und die Abmilderung der Tem- ten. Ein denkmalerfahrener Architekt sorgte für die peraturschwankungen im Inneren des Bergfrieds. Beschaffung der richtigen Materialien, arbeitete Der Zustand des Mauerwerks konfrontierte die Be- die Handwerker ein und überwachte die Maß- teiligten im Wesentlichen mit klassischen Scha- nahme. densbildern. So lagen ausgewaschene Fugen vor, in denen sich durch Windeintrag erdiges Material Der handwerkliche Aspekt eingelagert und einen Nährboden für Bewuchs ge- schaffen hatte (Abb. 9). Offene Fugen und daraus Das Sanierungskonzept sah daher folgende Maß- resultierender Bewuchs sind eine Hauptursache nahmen vor: von nachfolgenden Schadensphänomenen an his- Entfernen der zementhaltigen Ausbesserungen, torischem Mauerwerk. In die offenen Fugen kann Ausräumen der nicht mehr intakten Fugen, Ent- Feuchtigkeit eindringen, die aufgrund des pflanz- fernen von Bewuchs und erdigen Ablagerungen. lichen Füllmaterials auch länger dort gespeichert Neuverfugung mit einem abgemagerten Trass- wird. Der entstehende Bewuchs selbst kann mit kalkmörtel. In den durch starke Feuchte beauf- seinen Wurzeln zu einer weiteren Aufweitung der schlagten Bereichen und die erforderliche Mörtel- Fugen führen, was im schlimmsten Fall Verschie- festigkeit konnte auf einen Zementanteil von un- bungen und Risse verursacht. Gerade Efeu mit sei- ter 5 % nicht verzichtet werden. Der Fugenmörtel nen starken Haftwurzeln ist hierbei oft ein Scha- besteht aus örtlichem Mauersand und einem drei- densgarant. monatigen Sumpfkalk sowie der Zementbeimen- Ein weiterer Schadensverursacher stellten ältere gung. Die Verfugung erfolgte so, dass auch die Reparaturen aus Zementmörtel im Bereich von Fu- Randbereiche der Steine überdeckt wurden, die gen und Mauerkronen dar. Der Zement war über Steinköpfe aber sichtbar blieben. Dadurch wurde die Jahre teilweise brüchig geworden und zeigte eine ruhige Gesamterscheinung des Mauerwerks Risse, zudem platzte er an vielen Stellen aufgrund erreicht. seiner typisch harten Konsistenz schalenartig vom Auf der Südseite des Turms wurde die Verfugung Natursteinmauerwerk ab. An diesen Stellen konnte bewusst etwas tieferliegender als die Mauerwerks- ebenfalls leicht Feuchtigkeit eindringen, die sich steine ausgeführt, um die dort vorhandenen Spu- hinter den Zementplomben sammelte und nur ren früherer Anbauten gut ablesbar zu lassen. Auf 7 Ein Schnitt durch den mittels Drohne und 3D- Laserscanning dokumen- tierte Turm vor der Sanie- rung. Es wird deutlich, dass die Mauer auf der Feindseite stärker ausge- bildet ist. 8 Um das Eindringen feuchtwarmer Luft zu ver- hindern, wurden reversi- ble Fensterverschlüsse an- gebracht. 138 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
der Ostseite war die vorhandene Verfugung in gro- ßen Bereichen noch intakt und konnte entspre- chend belassen werden. Fugen wurden auch nur dort vollständig verfüllt, wo es sich aus statischen Gründen als notwendig erwies. An vielen Stellen, an denen kein Wasser eindringen kann, wurden Ritzen, in denen sich Mauerwespen, Eidechsen und andere Tiere einnisten können, belassen. Als Ersatz für die verloren gegangenen Lebensräume wurde an der Basis von Mauern lockeres Stein- material angelagert. So wurde zeitgleich ein Kom- promiss zwischen den Belangen der Denkmal- pflege und des Naturschutzes gefunden. Den vereinzelten Rissen an den Turmkanten musste mit statischen Sicherungsmaßnahmen be- gegnet werden. Gezielt gesetzte Ankernadeln si- chern die absturzgefährdeten Bereiche. Die Mau- erkronen von Abbruchkanten wurden mit einem mit Zement angereicherten Kalkmörtelabstrich überdeckt. Die Abdeckung der Mauerkronen der Zinnen am Turm erfolgte mit den vorhandenen Sandsteinplatten. Das Gefälle der oberen Turm- burtstagsgeschenken oder auch anstelle von Krän- 9 Am Bergfried waren plattform ist auf den Wasserspeier nach Süden aus- zen bei Beerdigungen für die Aktion „Kastelburg die Fugen stark ausge- gerichtet. Dieser wurde erneuert und verlängert, in Not“ zu spenden. Auch die im Zusammenhang wittert und teilweise sodass er in größerem Abstand zum Mauerwerk mit Aktionen zur Öffentlichkeitsarbeit (Tag des of- bewachsen. entwässert. Der Wasserspeier nach Norden wurde fenen Denkmals) erzielten Einnahmen flossen in ausgebaut, um die winterliche Vereisung auf die- das Projekt. Ein ganz wesentlicher Beitrag erfolgte ser Seite zu beseitigen und die Stelle insgesamt tro- durch zahlreiche Einzelspenden. Darüber hinaus ckener zu halten. Um die jahreszeitliche Bean- konnten Maschinen und Werkzeug des städti- spruchung des Mauerwerks auf der Innenseite des schen Bauhofs und des Forsts kostenfrei genutzt Turms durch Kondensat abzumindern, erfolgte ab- werden. Was hier nicht vorhanden war, stellten schließend ein reversibler Verschluss der Mauer- lokale Baufirmen unentgeltlich zur Verfügung. Für werksöffnungen mit Holzläden. Dabei steht we- die aktiven Personen brachten die Waldkircher niger ein luftdichtes Verschließen im Mittelpunkt Wirte abwechselnd das Essen auf die Burg – eben- als die Vermeidung von Kondensatausfall auf den falls als Spende. Die örtliche Brauerei stiftete die kalten Steinwänden, wenn warme Luft durch die Getränke. Mauerwerksöffnungen eindringt (Abb. 8). Maßnahmen zur Steigerung der Die Finanzierung der Maßnahmen Attraktivität Um die von der Stadt Waldkirch und dem Land Die Gruppe „Kastelburg in Not“ gab wesentliche Baden- Württemberg geförderte Sicherung durch- Impulse zur Erhöhung der Attraktivität des Um- führen zu können, führte die Gruppe „Kastelburg felds der Burg. 2003 wurde ein „Ritterweg“ von in Not“ verschiedene Maßnahmen selber durch. der Stadt zur Burg angelegt, der insbesondere von Die Finanzierung der Maßnahmen resultierte aus Familien gerne angenommen wird, auch weil er verschiedenen Initiativen. Zum einen finanzierte durch ein Kinderbuch begleitet wird, in dem die die Stadt Waldkirch als Eigentümerin aus Haus- Themen Burg und Ritter behandelt werden. Na- haltsmitteln unter anderem die Felssanierung, die türlich floss auch dieser Erlös in das Projekt. Inhalt- Fotogrammetrie, die Sanierung der Brücke und lich sehr gut ausgearbeitete Führungen, unterstützt des Bergfrieds sowie die Kosten für den Architek- durch eine Gruppe von bis zu 20 Mitgliedern – ten. Dies machte einen Gesamtbetrag von etwa alles in authentischer, historischen Vorbildern ent- 600 000 Euro aus. Ferner kamen aus Zuschüssen sprechender Gewandung – entführt an einigen der Denkmalpflege im selben Zeitraum insgesamt Wochenenden im Sommer Besucher in die Welt 170 000 Euro zusammen. Eine weitere, gut ange- der Ritter. Diese Veranstaltungen sind ein sehr gut nommene Maßnahme waren Patenschaften zur Fi- besuchtes „Event“ und sorgen für eine weitere nanzierung von Baumaterial. Die Bevölkerung Steigerung der Attraktivität der Burg. Nicht zu identifizierte sich so sehr mit dem Bauwerk, dass unterschätzen ist die Bedeutung des Logos, mit sehr viele darum gebeten haben, anstelle von Ge- dem alle Aktivitäten versehen wurden. Ein we- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 139
10 Blick aus dem unte- sentlicher Punkt war eine ständige und fundierte Literatur ren Burghof auf den Pressearbeit, die auch von den örtlichen Medien Bergfried und den Palas. mitgetragen wurde. Waldkircher Orgelstiftung (Hg.): Mit Herz & Hand für Waldkirch. Eine Festschrift der besonderen Art, 2017, Wie geht es weiter? S. 151– 156, 161– 163. Hermann Rambach: Die Kastelburg bei Waldkirch, Die ursprüngliche Gruppe hat sich aus Altersgrün- Waldkirch im Breisgau 1954. den zurückgezogen. Die Fasnetgruppe „Burghexen“ hat sich nun bereit erklärt, die Instandsetzungsar- beiten und die Pflege der Anlage zu übernehmen. Wichtig ist insbesondere die Böschungspflege, um ein erneutes Zuwachsen der Burg zu verhindern. Hierbei handelt es sich um eine Daueraufgabe. Un- Dr. Andreas Haasis-Berner längst erfolgte die Erneuerung der Lichtanlage. Da- Dr. Bertram Jenisch durch wird nicht nur weniger Strom verbraucht, Dr. Judith Platte sondern es werden auch weniger Wartungsarbei- Landesamt für Denkmalpflege ten notwendig sein, da die bisherigen recht gro- im Regierungspräsidium Stuttgart ßen Scheinwerfer, immer Ziel und Opfer von Van- Dienstsitz Freiburg dalismus waren. Insgesamt ist die Instandsetzung der Kastelburg insbesondere im Hinblick auf die Hubert Baumstark abgestimmte Einbindung der Ehrenamtlichen ein Freier Architekt erfolgreiches Projekt, das für sanierungsbedürftige Rastatter Straße 29 Denkmale Modellcharakter haben kann (Abb. 10). 76199 Karlsruhe-Rüppur 140 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Ausgebrannt und aufgestockt Der Bergfried der Kastelburg bei Waldkirch Dem aufmerksamen Betrachter wird die Aufstockung des Turms um das obere Drittel sicher nicht verborgen bleiben. Auch die Werksteine früherer Öffnun- gen auf der Nordseite sind gut sichtbar, doch sucht man während des Auf- stiegs auf der Innenseite vergeblich nach entsprechenden Spuren. Stattdessen mag man sich über das unvermittelte Ende des Kaminzugs wundern. Im Rah- men einer bauhistorischen Analyse gelangen der Nachweis einer weiteren Bau- phase, einer anfänglichen Wohnfunktion und die Entschlüsselung eines Zu- sammenhangs aus Brand und Wiederaufbau in Verbindung mit der Erhöhung. Thema des Aufsatzes ist die Schilderung der Baugeschichte des Bergfrieds von der Errichtung bis zu seiner Zerstörung. Stefan King Die Ruine der Kastelburg liegt in Spornlage promi- Landesamts für Denkmalpflege im Regierungs- nent oberhalb der Stadt Waldkirch im Elztal. Die präsidium Stuttgart (LAD) zur Verfügung. Kernburg umfasst innerhalb der Ringmauer einen Heute betritt man den Turm ebenerdig und ge- hohen Palas auf der Talseite und einen Bergfried langt mittels einer Holztreppe zur offenen Aus- über dem Halsgraben (Abb. 1). Dieser Turm beein- sichtsplattform (Abb. 3). Einst gliederte sich sein In- druckt durch seine Abmessungen von 30 m Höhe neres in fünf Ebenen, wovon die unterste ein Drit- ab Hofniveau und 12 auf 12 m Seitenlänge. Damit tel der Höhe umfasste und ohne Zwischendecke gehört er zu den größeren Burgtürmen im Land. und Zugang bis unter den Hocheingang hinauf- Letzter Abschnitt langjähriger Arbeiten an der reichte (Abb. 4, blau). Burg war 2017 eine Mauerwerkssanierung des Das Bruchsteinmauerwerk des Turms besteht aus 1 Die Kastelburg in Bergfrieds (Abb. 2). Im Auftrag der Stadt Waldkirch anstehendem Gneis, wie er auch bei der Anlage Spornlage oberhalb der konnte die Gelegenheit zu einer bauhistorischen des Halsgrabens angefallen war. Für Buckelquader Stadt Waldkirch. Im Untersuchung genutzt werden. Zur Kartierung an den Ecken und für die Einfassung der Öffnun- Vordergrund der Turm standen Bildpläne der vier Turmseiten seitens des gen fand Buntsandstein Verwendung, der in den von St. Margarethen.
Errichtung, erste Bauetappe Eine erste Zäsur zeichnet sich bereits in einer Höhe von rund 6 m ab. Dort wechseln Form, Versatz- weise und Steinmaterial der Eckquader, worin sich eine längere Bauunterbrechung abzeichnet. Dies könnte etwa durch einen Besitzerwechsel verur- sacht worden sein, es könnte aber auch einfach mit der Bauabfolge zu tun haben: Zwar sollte der gewaltige Bergfried den architektonischen Kern der Burganlage bilden, doch führte man ihn mög- licherweise zunächst nur so hoch aus wie not- wendig, um die Ringmauer anschließen und den Palas errichten zu können. Erst danach hätte man ihn weiter in die Höhe geführt. Dies würde be- deuten, dass die beiden Bauetappen am Beginn und am Abschluss der Errichtung der Kernburg ge- standen hätten. Über die Höhe der ersten Bauetappe sind die Eck- verbände von Nordost- und Südwestecke mit nur einem Buckelquader pro Schicht gebildet, woge- gen bei den anderen beiden Ecken unterschiedlich viele Quader, einmal mit sieben Stück in einer Reihe, zum Einsatz kamen. Im Fall der Südwest- ecke könnte dies durch den etwas eingerückten Anschluss der Ringmauer begründet sein. Für die 2 Der Bergfried der Kas- nördlich gelegenen Tälern gewonnen wurde. Ins- Ostseite kann Ähnliches vermutet werden. Dort telburg nach Abschluss besondere an der unterschiedlichen Beschaffen- stößt die Ringmauer heute zwar etwa mittig an der Mauerwerkssanie- heit der Eckverbände lassen sich die Errichtung in den Turm, doch sie weist einen seltsamen Knick rung mit Hocheingang zwei Bauetappen und eine spätere Erhöhung nach- auf und hat dort eine geringere Mauerstärke als und den Resten eines vollziehen (Abb. 4, hellrot). im weiteren Verlauf. Dies lässt vermuten, dass sie Treppenturms. 3 Inneres des Bergfrieds mit hölzernem Treppen- einbau. 142 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
einst an die nordöstliche Turmecke anschloss. Zu- Das eng begrenzte Auftreten macht ganz den Ein- 4 Fotogrammetrische sammen mit der äußeren Ringmauer könnte sie ei- druck, als hätte man hier ein gestalterisches Mittel Aufnahmen der vier An- nem Felsabsturz zum Opfer gefallen sein, sodass ausprobiert, mit dem man dem Turm eine rustika- sichten des Bergfrieds – Ersatz in entsprechend zurückgesetzter Lage ge- lere Erscheinung verleihen wollte, und hat es dann blau: Nutzungsebenen; hellrot: Bauphasen; hell- schaffen werden musste (Abb. 5, orange). doch nicht weiterverfolgt. blau: Kragsteine am Im Inneren des Turms fällt im südwestlichen Eck- Bis zum hochliegenden Eingang auf einem Drittel Hocheingang; gelb: vor- bereich eine freistehende Verzahnung auf, die im der Gesamthöhe ist der Turm in baulicher Hinsicht stehende Mauersteine; Abstand von 80 cm von der Südwand bis in 3 m lediglich als Sockel ausgebildet, einzig zum Zweck grün: Steinersatz. Höhe reicht. Damit war ganz offensichtlich der An- der Gewinnung an Höhe (Ebene 1). Für die popu- schluss der Südwand vorbereitet worden, als man läre Zuschreibung als Burgverlies gibt es keine Hin- mit der Westwand mit einer Stärke von 340 cm be- weise. gonnen hatte. Nachdem auch die Nordwand Der Hocheingang besitzt ein aus Buckelquadern stand, besann man sich darauf, bei den beiden gefügtes rundbogiges Gewände (Abb. 2). Davor zum Inneren der Burg gerichteten, geschützten lag ein kurzes Außenpodest auf zwei starken Kon- Turmseiten die Mauerstärke zu reduzieren, was solsteinen. Oberhalb stehen kleinere Hakenkon- dazu führte, dass an die zu Anfang vorbereitete solen zur Anbringung eines Klebdachs vor, das Verzahnung nicht mehr angeschlossen werden sehr viel weiter zur linken Seite reichte, sodass man konnte (Abb. 5, hellgrau). hier einen Treppenaufgang vermuten darf (Abb. 4, hellblau). Der Abstand des Podests zur Ringmauer Errichtung, zweite Bauetappe ist weit, sodass unklar ist, ob man von einem dor- tigen Wehrgang aufsteigen konnte, oder ob dies Die Eckverbände der zweiten Bauetappe sind in et- von einem anstoßenden Gebäude oder über eine was anderer Weise aufgebaut. Sie besitzen allsei- Freitreppe geschah. tig etwa gleichbleibende Breite mit meist zwei, Im Eingangsgeschoss (Ebene 2) öffnet sich je ein manchmal auch drei Quadern nebeneinander. Die Schlitzfenster nach Norden und Westen. Sie wei- Steine weisen eine auffällige orange Färbung auf, ten sich von einer Breite von 11 cm trichterförmig haben größere Formate und tragen flache Buckel. und rundbogig zum Inneren auf. Im nächsten Ge- Sie reichen bis in eine Höhe von 18,5 bzw. 20,5 m schoss (Ebene 3) gibt es ebenfalls zwei Öffnungen, über Hofniveau (in Ebene 4). Innerhalb der Mau- diesmal aber an Süd- und Ostseite. Sie hatten einst erflächen von West- und Nordseite, den beiden die gleiche Form, waren aber etwas breiter be- dem Feind zugewandten Seiten des Turms, fallen messen, doch hat man sie nachträglich stark ver- in Höhe des Eingangsgeschosses (Ebene 2) mar- größert. Die Werksteine an der Innenseite der Fens- kant vorstehende Mauersteine auf (Abb. 4, gelb). teröffnungen weisen Abplatzungen auf, die von Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 143
nächsten Mauerabsatz ein abruptes Ende findet. Dort gründete das höhere Mauerwerk auf einem Sturzholz, von dem Abdrücke geblieben sind. Heute ist dort ein neues Holz eingelegt. Seitlich des Kamins ist die aus Werkstein beschaffene Nische eines verschließbaren Wandschränkchens einge- lassen. Im nächsten Geschoss (Ebene 4) sind an der nörd- lichen Außenseite die Eckfassungen zweier ehe- maliger Öffnungen von 2 m Breite in spiegelbild- licher Anordnung zu erkennen (Abb. 6). Nur eine davon besitzt noch den untersten Stein eines Stich- bogens. Ansonsten fehlen die Bögen, sodass die Öffnungen nicht zuge- sondern übermauert wor- den sind. Die schrägen Wandungen enden in 30 cm Tiefe, doch offenbar handelte es sich nicht um die Gewände der eigentlichen Öffnungen, son- dern um Überfangbögen als Rahmung kleinerer, etwas zurückgesetzter Einzelöffnungen. Im Inne- ren sollte man an dieser Stelle zugesetzte Fen- sternischen erwarten dürfen, doch es finden sich nur sauber durchlaufende, ungestörte Mauerla- gen, denn hier wurde später eine Mauerschale vor- gesetzt. Zwei Rüstlöcher auf der Außenseite rei- chen 190 cm in die Tiefe und dürften die ur- sprüngliche Mauerstärke anzeigen, die tatsächlich 240 cm beträgt. Bei jüngeren Öffnungen im obersten Geschoss (Ebene 5) konnten mehrere Werksteine der Ein- 5 Grundriss der Kastel- großer Hitzeeinwirkung bei einem Brand im Turm- fassung als Bestandteile älterer Fenstergewände burg aus dem Kunstdenk- inneren herrühren. identifiziert werden, deren frühere Innenseite heute mälerinventar von 1904; Ebenfalls in Ebene 3 befinden sich an der West- nach außen gerichtet ist (Abb. 7). Sie gehörten grau: Korrektur des Turm- wand die Reste eines großen offenen Kamins von einst zu schmalen Öffnungen von 102 cm Höhe grundrisses; hellgrau: bei 2 m Breite mit seitlichen Wangen und Konsolen und 22 cm Breite, die sich nach außen stark trich- Baubeginn vorgesehene aus Werkstein. Auf Kragbalken saß ein sich nach terförmig aufweiteten und auf der Innenseite ei- Mauerstärke; orange: ver- muteter Verlauf der Ring- oben verjüngender Schlot, der ein Stück über dem nen Falz hatten (Abb. 8). Bei den meisten Stücken, mauern. 6 Nordseite mit Eckfas- sungen von vermutlich zwei Überfangbögen über ehemaligen Öffnun- gen. In gleicher Höhe er- folgt ein Wechsel in der Beschaffenheit der Bu- ckelquader; Aufnahme vor der Sanierung. 144
fünf an der Zahl, handelte es sich um 55 cm breite Zwischenstücke von Doppel- oder mehrteiligen Gruppenfenstern. Es ist naheliegend, dass sie vom Bergfried selbst herrühren. Sie könnten aber auch von den Fenstern des Palas genommen worden sein. Brandspuren sind jedoch nicht zu erkennen. Der große offene Kamin ermöglichte angenehmen Aufenthalt im Inneren des Turms. Die Öffnungen an der Nordseite, verbunden mit einer geringeren Mauerstärke, rühren vermutlich von Wohnräumen her. Der Hauptraum wäre auf der Hofseite mit ei- ner größeren Zahl an Öffnungen zu erwarten, von dem die wiederverwendeten Werksteine herrüh- ren könnten. Es darf daher vermutet werden, dass der ungewöhnlich große Bergfried anfangs mit hochwertigen Räumlichkeiten ausgestattet war. Hierin dürfte auch die ungewöhnlich groß be- messene Grundfläche des Turms begründet sein. Es ist nicht auszuschließen, dass es noch ein wei- teres Geschoss gab, etwa in der Form eines höl- zernen Aufsatzes, wofür es jedoch keine Baube- funde oder Bildquellen gibt. In dieser exponierten und nur unter Mühen er- reichbaren Lage hoch im Turm waren sie sicherlich 7 In Ebene 5 wiederver- nicht zur ständigen Wohnung vorgesehen, son- wendete Werksteine von dern dienten vornehmlich der Repräsentation. Wie ehemaligen Gruppenfens- vor allem auch der hochragende Palas deutlich tern. Sie sind heute mit ihrer gefälzten Innenseite macht, sahen die Erbauer der Burg trotz beengter nach außen gewandt. Verhältnisse ein umfangreiches Raumprogramm vor, um den Anlagen der größeren Landesherren 8 Rekonstruktion der mit Residenzcharakter nicht nachzustehen. ursprünglichen Form der Die Form der Eckquader und die rundbogigen Öff- Gruppenfenster. Ob sie nungen machen eine Errichtung des Bergfrieds im nach oben rund- oder 13. Jahrhundert wahrscheinlich. Dies zeichnet sich spitzbogig schlossen und auch im Fundspektrum der Keramik ab, die nicht ßeres Format und sind aus Steinmaterial von küh- ob es einen Überfangbo- vor die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückreicht lerer Färbung hergestellt. Zudem tragen nun alle gen gab, ist ungewiss. (nach Forschungen durch Andreas Haasis-Berner, Quader Zangenlöcher. An der Südwestecke ist der Waldkirch, und Heiko Wagner, Kirchzarten). Die Übergang durch eine spätere Reparatur verwischt Werksteine von erster und zweiter Bauetappe wei- (Abb. 4, grün). Es darf vermutet werden, dass die sen keine Zangenlöcher auf, mit denen sie mittels Aufstockung im Laufe des 14. Jahrhundert er- einer Steinzange gehoben und versetzt hätten folgte. An der Ostseite tritt die Erhöhung durch werden können. Stattdessen fanden sich an we- eine hellere Mauerfläche in Erscheinung, was an nigen Stellen kurze, sich verbreiternde Schlitze in der besseren Erhaltung des vermutlich deckend der Oberseite zum Einsetzen eines Spreizwolfs, aufgetragenen Mörtels liegen dürfte. Für die ho- was vermuten lässt, dass alle Quader auf diese hen schmalen Öffnungen hatten die bereits er- Weise am Kran hingen. Dieser Umstand bietet ei- wähnten älteren Gewändesteine neue Verwen- nen Datierungshinweis, denn am Freiburger Müns- dung gefunden. Die heute oben unvermittelt en- ter waren die Steine der romanischen Bauperiode denden Eckverbände dürften noch ein Stück höher bis um 1240 ebenfalls mit dem Spreizwolf geho- gereicht haben. ben worden, der dann von der Greifzange abge- Wie die Brandspuren an den innenliegenden Werk- löst wurde. steinen der zweiten Bauetappe verraten, war der Turm ausgebrannt. Das Feuer dürfte damals die ge- Erhöhung samte Kernburg erfasst haben, denn auch alle frü- hen Fenstereinfassungen des Palas lassen Abplat- Eine Erhöhung des Bergfrieds ist deutlich am zungen erkennen. Von dieser Katastrophe gibt es Wechsel in der Beschaffenheit der Eckverbände keine schriftliche Überlieferung. Im Zuge des wahrzunehmen (Ebene 4 und 5) (Abb. 6). Sie ha- Wiederaufbaus gab man die Wohnnutzung des ben deutlich stärker vortretende Buckel, etwas grö- Turms auf und nahm eine Erhöhung vor. Dafür Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 145
wurde das Wohngeschoss in weiten Teilen abge- Südlich vor dem Turm erheben sich die Reste ei- tragen und eine größere Mauerstärke als zuvor vor- ner Wendeltreppe (Abb. 2). Die Stümpfe der aus gesehen. Auch den ohnehin vom Brand stark ge- Werkstein gefertigten Stufen reichen bis in eine schädigten Kamin gab man auf, schlug die Reste Höhe von 7,5 m, was drei Treppenwindungen ent- der Wangen ab, vermauerte die Balkenlöcher und sprach. Die Treppe entstand in Verbindung mit der legte über die Aussparung des Schlots ein Sturz- Neuerrichtung eines Gebäudes an der westlichen holz, um von dort in gerader Flucht neu aufmau- Ringmauer. Sie diente diesem als Erschließung und ern zu können. Der Innenraum erhielt einen flä- trat als vorspringender viereckiger Treppenturm chigen Verputz, der im Bereich des Kamins den Ab- mit abgeschrägter Ecke in Erscheinung. Zugleich druck einer Treppe erkennen lässt. In den konnte man zum Hocheingang des Turms gelan- Fensternischen der Ostseite sind noch die Reste gen. Zum Bau wurde eine tiefe Kuhle aus der Süd- von Ritzzeichnungen im Wandputz schemenhaft seite des Turms gebrochen und das im Inneren zy- erkennbar. linderförmige Treppengehäuse hineingemauert. Seiner Form nach könnte der Treppenturm im Zeit- Anbauten und Umbauten raum zwischen dem späten 15. und dem frühen 17. Jahrhundert entstanden sein. An der Ostseite sind zwei übereinanderliegende Die Schaffung einer Wehrplattform etwa in Höhe Abdrücke von Satteldächern ehemals anstoßender der heutigen Aussichtsplattform, dürfte auf das Gebäude zu erkennen, die die Breite zwischen der 16. Jahrhundert zurückgehen. Sie besitzt rund- Südostecke des Bergfrieds und der bestehenden herum Zinnen mit integrierten Schießscharten. Die Ringmauer eingenommen hatten (Abb. 4). Den un- vom obersten Geschoss heraufführende Treppe teren Dachabdruck hatte ein zweigeschossiges Ge- liegt innerhalb der Mauerstärke der Ostwand. Da- bäude hinterlassen. An den Eckquadern des Turms für hatte man das Mauerwerk von der Innenseite sind Brandabplatzungen zu finden, die aber erst her ausgebrochen. Zugleich wurden die obersten im Abstand von 45 cm von der Südostecke in einer Fensteröffnungen neu eingewölbt. Bevorzugtes vertikalen Linie beginnen und bis zum Ansatz der Baumaterial waren Backsteine. Da Gewölbean- Dachschräge hinaufreichen. Diese Situation ist da- sätze fehlen, ist davon auszugehen, dass die Platt- durch entstanden, dass die aus Mauerwerk be- form von einer Balkenlage gebildet wurde, was stehende hofseitige Wand an den Turm stieß, das wiederum eine Überdachung voraussetzt. Ent- Gebäude dann Opfer eines Feuers wurde und die sprechend sind auf älteren Abbildungen die ge- Hitzeentwicklung nur in der Breite des Innenraums mauerten Giebeldreiecke eines Satteldachs dar- auf die Turmquader einwirkte. Der Ersatzbau be- gestellt, wogegen es sich bei der bestehenden Auf- kam eine größere Höhe und führte zum höherlie- mauerung an der Südseite um eine Nachbildung genden Dachabdruck gleicher Breite und gleicher handeln dürfte. Dachneigung. Später hat man die Zinnen auf der Berg- und An- Oberhalb davon lassen sich Spuren eines dritten griffsseite mit einer halbkreisförmigen und die und älteren Dachanschlusses mit einer Traufhöhe Ecken mit Ausnahme des Treppenaufgangs mit ei- von etwa 15 m über Hofniveau nachweisen (in ner viertelkreisförmigen Hintermauerung verstärkt. Ebene 3). Allerdings liegen sie nahe der Nordoste- Sicherlich war diese Maßnahme dazu bestimmt, cke des Turms und damit außerhalb der beste- die Zinnen gegen Kanonenbeschuss zu stabilisie- henden Ringmauer. Wie in Verbindung mit der Be- ren. Es dürfte eine der letzten Baumaßnahme ge- schaffenheit der Eckverbände der ersten Bau- wesen sein, kurz bevor die Burg im Dreißigjährigen etappe schon gemutmaßt, dürfte die Ringmauer Krieg zerstört wurde und seitdem Ruine ist. ursprünglich an die Nordostecke des Turms ange- schlossen haben. Ob es sich um den Dachan- Dipl.-Ing. Stefan King schluss eines Gebäudes oder eines Wehrgangs Kandelstraße 8 handelte, konnte nicht geklärt werden. 79106 Freiburg 146 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Verloren, aber nicht vergessen: das Kaufhaus Schocken in Stuttgart Ein Nachruf im Jubiläumsjahr des Bauhauses In diesem Jahr gedenkt man der Gründung des Bauhauses vor 100 Jahren und würdigt seine Arbeiten und die Nachwirkung seiner Idee in Gebrauchsdesign und Architektur. Somit rücken auch die vom Gedankengut des Bauhauses be- einflussten baulichen Zeugnisse in Stuttgart in diesem Jahr verstärkt in das Blickfeld. Zugleich wird in der Stadt aber auch der Verlust eines wichtigen Do- kuments des Neuen Bauens, des Kaufhauses Schocken, bewusst. Das Kauf- haus gehörte neben der Weißenhofsiedlung von 1927 und dem Tagblatt-Turm von 1928, die erhalten sind, zu den bedeutendsten Zeugnissen des Neuen Bauens in Stuttgart. 1926 bis 1928 in markanter Lage in der Stadtmitte im Auftrag der Kaufleute Schocken durch den Architekten Erich Mendelsohn er- baut, wurde das Schicksal des seit 1939 in Kaufstätte Merkur umbenannten Kaufhauses dank des Einsatzes Stuttgarter Architekturstudenten international diskutiert. Die Interessen des Bauherrn Horten und der Stadt obsiegten und so wurde der Bau ab dem 2. Mai 1960 zugunsten eines Neubaus abgebrochen. Judith Breuer Baugeschichte 1926 bis 1928 beim Kaufhaus in Stuttgart, den für Neues Bauen und die Bauaufgabe prädestinierten namhaften Die Gebrüder Salman und Simon Schocken waren Berliner Architekten Erich Mendelsohn (1887– erfolgreiche Kaufleute, die seit 1904 in ganz 1953). Mendelsohn hatte bis dahin insgesamt fünf Deutschland, vor allem in Sachsen, Kaufhäuser führ- Kauf- und Ladengeschäftshäuser in Deutschland 1 Kaufhaus Schocken im ten. Ihnen gehörte die nach Karstadt, den beiden geplant und gebaut, darunter in Nürnberg auch Rohbau von Nordosten, Tietz und Wertheim seit 1930 fünftgrößte Waren- sein erstes Kaufhaus für die Schocken KG. 1927. hausgruppe in Deutschland. Die Gebrüder Scho- cken hatten das Ziel, durch das Angebot preiswer- ter, aber qualitätvoller Industrieware den Lebens- standard auch gering verdienender Menschen zu heben. Eine Niederlassung im seit den 1920er Jah- ren durch Auto- und Elektroindustrie wachsenden und wirtschaftlich erstarkenden Stuttgart wurde für sie interessant. 1925 kauften sie deshalb gegenüber der Baustelle für den Tagblatt-Turm das Gasthaus Petersburger Hof und ließen es abbrechen. 1925/26 besuchte Salman Schocken das Bauhaus in Dessau. Er war nicht nur beeindruckt, sondern beauftragte einen Bauhaus-Absolventen mit der Entwicklung eines Verkaufstischs. Tische nach die- sem Prototyp wurden von allen Schocken-Waren- häusern übernommen. Auch die Drucksachen des Konzerns wurden fortan konsequent in der Bau- haus-Typografie gestaltet. In Neuer Sachlichkeit wollte Schocken auch die neuen Schocken-Kauf- häuser gestaltet sehen. Die Schocken KG beauftragte daher mit der Pla- nung und dem Bau ihrer Kaufhäuser, so 1926 auch Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 147
2 Kaufhaus Schocken, Ansicht zur Steinstraße mit Treppenturm im Ske- lettbau, 1927. 3 Ansicht zur Steinstraße kurz vor dem Abbruch im Mai 1960. Schon Ende 1926 stand das Stahlskelett mit 44 auf dem von vier Straßen asymmetrisch umgriffe- Hauptstützen auf Beton- und Klinkerfundamen- nen, zur Geißstraße stark abfallenden Grundstück ten, die die Gebäudelasten abfingen. Im April 1927 Eberhardstraße 28, war ebenso schiefwinklig, da- war der Rohbau fertig. Feierlich eröffnet wurde das bei vierflügelig und zu den Seitenstraßen nur vier- Kaufhaus dann am 4. Oktober 1928, gut einen geschossig (Abb. 5). Ein Betriebs- und Lichthof er- Monat vor der Fertigstellung des Tagblatt-Turms. füllte die Forderung der städtischen Baubehörde Vormittags empfingen die Bauherren Simon und nach ausreichend natürlicher Belichtung und Be- Salman Schocken und ihr Architekt Mendelsohn lüftung. Vier Treppenhäuser dienten der Erschlie- geladene Repräsentanten aus Stadt, Land, Wirt- ßung. Die Haupttreppen befanden sich in den schaft sowie unter anderem die Architekten des turmartigen Bauteilen, eine nebst zwei Fahrstüh- neuen Hauptbahnhofs Paul Bonatz und Friedrich len im gerundeten gläsernen Treppenturm an der Scholer sowie den ehemaligen Bauleiter der Wei- Ecke Eberhard-Hirschstraße, die andere mit einem ßenhofsiedlung Richard Döcker. Simon Schocken dritten Aufzug im noch höheren, dabei kubischen lobte in seiner Rede den auf moderne Architektur Treppenturm zur Steinstraße (Abb. 2; 3). Im obe- vorbereiteten Standort Stuttgart. Am Nachmittag ren Teil des Steinstraßenturms, der gegen die Ter- stand das Haus dann auch den Kunden offen. rasse in ein Rund mit Fensterbändern überging, be- fand sich das Büro der Geschäftsleitung. Charakteristik und zeitgenössische Mendelsohn gelang es, der Baumasse des Stutt- Wertung des Kaufhausbaus garter Kaufhauses durch Fensterbänder Leichtig- keit zu verleihen. Die horizontal gegliederte Front Das an der Schauseite fünfgeschossige Kaufhaus zur Eberhardstraße war die Schauseite. Hier war Schocken mit seinen erhöhten Treppentürmen Blickfang, geradezu Wahrzeichen, der gläserne und der achtzehngeschossige Tagblatt-Turm, zwei Treppenhausturm an der Ecke. An der Schauseite Inkunabeln des Neuen Bauens, standen fortan in fand sich auch die Schaufensterzone, die dem Bau direktem Gegenüber am Südrand der Stuttgarter vorgesetzt war. Mitprägend wirkte hier zudem der Altstadt (Abb. S. 147 oben). Während der Tagblatt- aus einzelnen Leuchtbuchstaben in Grotesk-Groß- Turm eine sachliche, dem Bauhausgebäude in Des- buchstaben der Schaufensterzone aufsitzende sau nahestehende Gestaltung aufweist, war das Schriftzug SCHOCKEN (Abb. 4; 6). Kaufhaus Schocken dynamisch komponiert. Folg- Der Stuttgarter Bau wie auch andere Bauten Men- lich wird seine Architektur auch als expressionisti- delsohns waren auf Wirkung im Stadtbild ange- scher Funktionalismus charakterisiert. legt – und dies sogar während der Nacht. Kunden Der Kaufhausbau Mendelsohns passte sich dem sollten durch die beleuchteten Schaufenster und vorgegebenen Gelände geschickt an. Er erhob sich die Lichtreklame angezogen werden. Diese Wir- 148 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
4 Kaufhaus Schocken gegen die Eberhardstraße bei Nacht, kurz nach der Eröffnung 1928. kung wurde von zahlreichen Fotografen festge- Konstruktion, Montage und Baustellenlogistik sind halten. Ihre Aufnahmen in der damaligen Schwarz- durch die Publikation „Der Stahl-Skelettbau“ des weiß-Technik haben das Erinnerungsbild vom Architekten Konrad W. Schulze, die im Juli 1928 Stuttgarter Schockenbau geprägt. erschien, als vorbildhaft dargestellt und umfang- Wie aber die wenigen Farbfotos des ehemaligen reich fotografisch dokumentiert. Kaufhauses Schocken aus der Nachkriegszeit zei- Das Kaufhaus war von Anbeginn ein Publikums- gen, waren die Fassadenflächen vorwiegend mit magnet und machte enormen Umsatz. Vier Kauf- bräunlichen Klinkern verblendet, einem leicht glän- häuser baute Mendelsohn noch in Europa, darun- zenden Material, das der vielgereiste Mendelsohn ter 1930 das Kaufhaus Schocken in Chemnitz, das an Bauten von Henry van de Velde in Belgien und einzige in Deutschland, das als Zeugnis von Men- von Frank Lloyd Wright in den USA. kennengelernt delsohns Kaufhausarchitektur (heute Staatliches 5 Lageplan vom 30. Ja- hatte. Einen regionalen Bezug am Stuttgarter Museum für Archäologie Chemnitz) erhalten blei- nuar 1930 zum Erweite- Schockenbau stellten die schmalen, das Klinker- ben sollte. rungsbaugesuch. mauerwerk der Brüstungen unterteilenden Hori- zontalstreifen aus hellgelblichem Cannstatter Tra- vertin dar (Abb. 11). Wie bei Warenhäusern üblich, boten die Ge- schosse offene Verkaufsflächen. Der Hof war außermittig an den Nordrand gelegt, damit eine große zusammenhängende Verkaufsfläche zur Eberhardstraße gegeben blieb. Im Untergeschoss fand sich – neu in einem Warenhaus – die Le- bensmittelabteilung. Hinter den mannshoch ge- mauerten Brüstungen waren im Erd- und Ober- geschoss die Warenregale angeordnet, darüber sorgten Fensterbänder für eine in die Tiefe rei- chende Belichtung (Abb. 9). Regale und Tische wa- ren aus Eichenholz gearbeitet und hellbraun oder -grün gefasst. Die Zeitgenossen waren von den technischen Fi- nessen des Baus, von Dynamik und Eleganz sei- ner Gliederung, der nächtlichen Beleuchtung und der Tageslichtfülle im Inneren begeistert. Selbst die Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 149
6 Kaufhaus Schocken von Nordwesten gegen die Eberhardstraße kurz nach der Eröffnung 1928. 7 Erdgeschoss-Grundriss des Kaufhauses Schocken vom 25. Juni 1928. 150 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019
Das Kaufhaus Schocken im Dritten Reich Auch der neue Eigentümer plante, das Stuttgarter und in der Nachkriegszeit Warenhaus zu vergrößern und beauftragte dafür ebenfalls das Büro Eiermann und Hilgers. Deren Im Zuge der Machtergreifung durch die NSDAP Pläne zeigten von Mal zu Mal weniger Rücksicht kam es ab Februar 1933 zu Boykotten jüdischer im Umgang mit dem erst rund 30 Jahre alten Men- Geschäfte. Diese betrafen auch die Kaufhäuser delsohn-Bau. Erheblichen Anteil an dieser Ent- von Salman Schocken, seit dem Unfalltod seines wicklung hatten die Forderungen der Stadt nach Bruders alleiniger Inhaber, denn er war Jude. In Verbreiterung der Eberhardstraße und Begradi- Stuttgart schikanierten Männer von SA und SS die gung der Flucht an der Steinstraße. Das Baugesuch Kunden des Kaufhauses. Der Umsatz ging in Folge von 1957 sah schließlich nicht nur die Überbauung drastisch zurück. 1934, ein Jahr nach Mendelsohn, des Hofs, eine anderthalbgeschossige Aufsto- verließ auch Schocken Deutschland, um sich wie ckung, den Bau neuer Treppen und einer Roll- dieser den Repressionen gegen Juden zu entzie- treppe vor, sondern auch den Abriss des Schau- hen. Den Warenhauskonzern übernahm 1938 fenstervorbaus und des unteren Teils des Glas-Trep- eine Gruppe deutscher Banken. penhauses, den Einbau einer Passage entlang der Die Kaufhäuser Schocken trugen ab 1939 den Na- Eberhardstraße und sogar eine vorgehängte men Merkur. In Stuttgart wurde der Namenszug Leichtmetallfassade. Bei Verwirklichung dieser Pla- Schocken über der Schaufensterzone ersatzlos ent- nung wäre von Mendelsohns Bau nichts Wesent- fernt. Die neue Bezeichnung KAUFSTÄTTE MER- liches übrig geblieben. KUR brachte man am oberen Rand des Treppen- turms zur Hirschstraße an. Diskussion um Erhaltung oder Abbruch Bei einer Bombardierung Stuttgarts 1944 wurde das Kaufhaus Schocken getroffen und brannte Bauherr Horten, ermutigt durch die rücksichtslose aus. Spätestens dabei ging seine originale Einrich- Planung seines Architekturbüros, sprach erstmals tung verloren. Sein Stahlskelett und das Fassa- am 4. Februar 1958 in einer Besprechung mit Eier- denmauerwerk wurden jedoch kaum beschädigt. mann in Düsseldorf über den Abbruch des Men- Größere Schäden zeigten die obersten beiden delsohn-Baus und einen kompletten Kaufhaus- Stockwerke mit der Geschäftsleitung (Abb. 10). Neubau. In einem Schreiben vom 27. Januar 1959 Der Bau konnte schnell wiederhergestellt werden. äußerte Horten diese Absicht auch gegenüber der Schon im September 1945 wurde das Kaufhaus Stadt. Wohl gleichzeitig entwickelten auch maß- wiedereröffnet, nun ganz ohne fernwirksamen Na- gebliche Personen in der Stadtverwaltung diese menszug. Idee. Ende 1958 hörte Louise Mendelsohn, Witwe Etwas mehr als die Hälfte der Merkur AG und da- des 1953 verstorbenen Schocken-Architekten, die mit auch das Stuttgarter Kaufhaus gingen 1949 erstmals seit ihrer Emigration in Deutschland und zurück an Salman Schocken. Schon kurz nach Fer- auch in Stuttgart war, in einem Telefonat mit Ober- tigstellung des Stuttgarter Kaufhauses 1928 hatte bürgermeister Arnulf Klett, dass das Kaufhaus aus Schocken Planungen für eine Überbauung des Hofs und den Einbau von Rolltreppen in Auftrag gegeben, doch waren diese Pläne nicht mehr zur Ausführung gekommen (Abb. 5). Zwei Jahre nach der Rückgabe des Stuttgarter Hau- ses ging Schocken erneut dessen Mo- dernisierung und maßvolle Aufsto- ckung an. Allerdings beauftragte Schocken nun nicht mehr Mendel- sohn, mit seinem Büro inzwischen im fernen San Francisco, sondern das Karls- ruher Büro der Architekten Egon Eier- mann und Robert Hilgers, damals angehende Spezialisten für Kaufhausbauten. Das Baugesuch für die Aufstockung des Hauses an Stein- und Hirschstraße von Juni 1951 wurde zwar geneh- migt, kam allerdings nicht zur Ausführung. Eier- mann richtete aber 1952 die wiederhergestellte Chefetage mit von ihm entworfenen Möbeln ein. 8 Isometrie des Scho- Bald darauf, 1953, verkaufte Schocken, wohl cken-Baus von Erich Men- mangels Nachfolger, seine Warenhäuser an den delsohn für die Eröff- rheinischen Kaufhausmagnaten Helmut Horten. nungsanzeige von 1928. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2019 151
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