Der Bote - Das Rauhe Haus
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Der Bote Geht in der Kraft, Nr. 2 | Dezember 2020 | 109. Jahrgang die euch gegeben ist, geht einfach, geht leicht, geht zart, und haltet Ausschau nach der Liebe, Berichte aus der Brüder- und Schwesternschaft und Gottes Geist geleite euch! des Rauhen Hauses Iona-Liturgie 2020 Brüder- und Schwesterntag: das große JA! Ältestenratswahl 2020 Seite 17 Leben in der Warteschleife: Geflüchtete in Thessaloniki Seite 26
Der Bote 2/2020 au f e i n wo rt titelb i ld Einfach so Anders als sonst: Brüder- und Schwesterntag 2020. Im Wichern-Forum stehen die Stühle Liebe Brüder und Schwestern! das auch aus. „He, euch ist weit auseinander. Mit Abstand sich trotzdem ein Kind geboren!“, schrie in der Gemeinschaft nahe sein – das genießen die Schwestern in ihrem Gespräch. Mehr zum Ein goldener Stern, aus festem Karton sie, und es klang wie die Treffen der Brüder und Schwestern unter ausgestanzt. Nicht spektakulär, recht beste Botschaft der Welt. besonderen Bedingungen ist auch ab Seite 6 schlicht. In der Nordkirche tausende Herrlich. Klartext. Voller zu lesen. Male verschickt, verteilt, verschenkt. Energie. 3 Im November, noch im alten Kirchen- Einfach so. jahr, startete die Aktion. Die Initiato- Ich erlaube mir, zwischen allen Nach- ren_innen sind über die große Nachfrage richten und Einschränkungen das Hoff- überrascht. Sie freuen sich über die Kre- nungsleuchten zu entdecken. Ein Stern, ativität, die Freude, den die Sterne mit ein Lied, der Kindermund. dem Aufdruck #Hoffnungsleuchten ans Einfach so. Licht bringen. Was ist euer Hoffnungsleuchten? Ich Einfach so. bin sicher, dass erstaunliche Entdeckun- Tragt in die Welt nun ein Licht, sagt al- gen sich Raum nehmen. len: Fürchtet euch nicht! Gott hat euch Einfach so. lieb, Groß und Klein. Seht auf des Lichtes Mit Sternenleuchten grüße ich alle Le- Schein. Ein Kinderlied summt in meinem ser und Leserinnen und wünsche geseg- Kopf. Dafür bin ich empfänglich. Lasse nete Weihnachten und ein hoffnungs- mich berühren. volles neues Jahr! Einfach so. Eure Ich denke an Hedwig aus der Geschich- te „Hilfe, die Herdmanns kommen“: Da Hedwig die einzige war, die in dem Krip- penspiel etwas zu sagen hatte, nutzte sie Claudia Rackwitz-Busse
i n halt Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 i n halt Das bringt der neue Bote: DAS TH EM A aus dem Rau h en Haus 6 Brüder- und Schwesterntag 2020 am 12. September 2020 im Rauhen Haus 32 Mit Musik geht vieles besser – Neue Seelsorgerin im Rauhen Haus 7 Das große JA! Impulsvortrag, gehalten auf dem von Freia Imsel Brüder- und Schwesterntag am 12. September 2020 im Rauhen Haus von Andreas Theurich AnstöSSe 4 14 Picknick auf grünem Gras – ein Zwischenruf 34 Das Licht der Welt – Andacht zum Anfang des Schuljahres Sommer 2020 5 von Jan-Peter Wilckens von Günter Kutzke 15 Eindrücke vom Einsegnungs- und Aufnahmegottesdienst Zwei in einem und Corona 15 Freude von Nico Mahrt-Thomsen 36 persön lic h es 16 Innig von Pastorin Tatjana Pfendt 36 Nachruf auf Oskar und Renate Wollner 16 Widersprüchlich von Tilman Lutz von Reinhard Förtsch 17 Zwei Gottesdienste von Guido Merten 37 Nachruf auf Waldemar Deckert von Sabine Kühl, Susanne Bertels und Hildegard Scheele-Fuchs aus der gemei nsc haft 40 Nachruf auf Irmgard Noske 18 Ältestenratswahl 2020 – Bericht des Nominierungs- und von Ines Appel und Doris Paland Wahlausschusses für die Wahl zum Ältestenrat 2020 42 Nachruf auf Jürgen Berg von Runhild Jasper-Koch 2020 von Jürgen Laage 20 Ein Beispiel ist uns gegeben 4 Nachruf auf Karl-Heinz Schottowski von Jan-Peter Wilckens von Klaus-Rainer Martin 21 Auf dünnem Eis 46 Nachruf auf Rolf Siebrecht Gedanken zu Corona im ersten Lockdown mit der Erfahrung des zweiten von Claudia Rackwitz-Busse von Ute Zeißler 48 Nachruf auf Erhard Schübel 23 Klosterwochenende in Nütschau von Volker Krolzik von Manfred Niemann 51 Nachruf auf Herbert Heidrich 24 Wochenendkonvikt des Konvikts Niedersachsen, 19.–21. 6. 2020 von Hans-Jürgen Kaiser von Christiane Rose 54 Te r mi n e 26 Leben in einer Warteschleife 56 EMPFEH LUNGEN Ein Erfahrungsbericht über die Situation von Geflüchteten in Griechenland 56 Wo wir am Ende sind, ist es eine große Erlaubnis: wieder anfangen zu dürfen von Julia Stoeckert Ein Andachtsbuch im besten Sinn von Harald Ihmig 29 Rauhhäusler Diakone auf Sansibar von Joachim Weber Wie kamen Rauhhäusler Diakone um 1890 nach Sansibar 58 Blüte des Alters und was machten sie dort? 59 Impr e ssum von Johannes Paehl
DAS TH EM A Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 DAS TH E M A Brüder- und Schwesterntag 2020 Das große JA! 12. September 2020 im Rauhen Haus Impulsvortrag, gehalten auf dem Brüder- und Schwesterntag am 12. September 2020 im Rauhen Haus Liebe Schwestern und Brüder! Ich freue mich sehr, an diesem Brüder- 6 und Schwesterntag nicht nur teilzuneh- 7 men, sondern ihn auch mit verantworten zu dürfen – in neuer Rolle. Viele von euch kenne ich seit vielen Jahren ebenso wie die Gemeinschaft, deren Mitglied ich nun auch bin. Und doch ist es neu: die Rolle, damit die Perspektive – und dann auch noch diese besondere, durch Corona be- In neuer Rolle: Bruder Andreas Theurich dingte Situation. Ich bin sehr gespannt auf diesen Tag und auch auf die besonde- Machtergreifung 1933 sei und wir das re Form der Einsegnung und Aufnahme doch vielleicht im Zeitalter von facebook morgen. und anderen lassen sollten, zumal es ge- In meinen Impuls will ich mit zwei klei- rade auch unter unseren Jugendlichen Ein wunderbarer Tag! Rund 90 Brüder und der Brüder- und Schwesternschaft. nen Anekdoten einsteigen. durchaus rechte Tendenzen gibt. Es war und Schwestern trafen sich am 12. Sep- Die Fragen nach der Zukunftsfähigkeit, Als wir vor einigen Wochen über den klar, dass wir uns mit einem NEIN posi- tember 2020 im Wichern-Forum im Rau- den Qualitäten und Herausforderungen Neubau der Alten Bäckerei hier auf dem tionieren mussten zu dieser eigentlich hen Haus zum Brüder- und Schwestern- für unsere Gemeinschaft regten zu Dis- Gelände gesprochen haben, um über ei- guten Idee. tag mit Mitgliederversammlung. kussion an und motivierten für einem nen Namen für das dort integrierte Café Zweite Anekdote: Am Montag hatten Weitere 20 Brüder und Schwestern Prozess dazu. zu beraten (es sollte nicht Amandas 2.0 wir die geniale Idee, in Corona-Zeiten ei- nahmen digital teil. Eine Premiere, die Das Picknick bei Sonnenschein auf dem heißen), waren wir nach einiger Zeit froh, nen kleinen Videoclip zum 187. Stiftungs- rundum gelungen ist! Rasen mit den Kirchentagspapphockern uns einigen zu können. Das Café sollte geburtstag zu drehen, den wir wiederum In unserer Andacht zum Beginn ge- wurde zum Höhepunkt, weil wir das Mot- einfach 1833 heißen, verbunden mit einer auf facebook veröffentlichen wollten. Die dachten wir der seit dem letzten Brü- to „Mit Abstand sind wir uns nahe“ damit kleinen Erläuterung dachten wir, das sei Idee war, mit einer paar Worten zum Ge- der- und Schwesterntag Verstorbenen, umsetzen konnten. ein netter Name mit Bezug zu unserer burtstag drei Zahlen-Luftballons steigen für uns alle ein wichtiger Moment in der Am Nachmittag fand die Mitglieder- Stiftung. Bis uns am nächsten Tag einer zu lassen, 1 – 8 – 7 eben, und dazu etwas Gemeinschaft. versammlung mit der Wahl zum Ältes- der an der Beratung Beteiligten nach zu sagen (die Luftballons seht ihr hier Am Vormittag hörten wir den Vortrag tenrat statt. Der neue Ältestenrat wurde durchgoogelter Nacht darauf aufmerk- hinter mir). „Das große JA“ von Dr. Andreas Theurich, in der Abendandacht zum Abschluss des sam machte, dass 1 – 8 – 33 ein neonazis- Am Abend vor dem Dreh habe ich mei- Vorsteher der Stiftung Das Rauhe Haus Tages in sein Amt eingeführt. tisches Symbol für Adolf Hitler und die nem Sohn davon erzählt, der nur lächel-
DAS TH EM A Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 DAS TH E M A te und meinte, das sollten wir mal lieber dem großen NEIN zuerst, mit dem gro- da, richten sich letztlich als Kritik gegen eine positive Positionsbestimmung ent- lassen, wenn wir keinen running gag im ßen JA danach und beides in Beziehung die üblichen Verfahren von Entschei- scheidend: Die Richtschnur des eigenen Internet produzieren wollen. „187-Stra- setzen zueinander und dann zu uns als dungsfindung, weil diese als nicht ausrei- Lebens und Glaubens sollte unmittelbar ßenbande“ ist eine der bekanntesten Gemeinschaft. chend erscheinen. Protestbewegungen die Heilige Schrift (und nicht die Lehre der Hamburger Gangsta-Rapper-Gruppen, Wann sagen wir NEIN zu etwas? Ich sind so etwas wie heimliche Vetospie- Kirche) sein, das berühmte sola scriptura. deren Texte man lieber nicht hören meine nicht NEIN so nebenbei, so als ler unserer Gesellschaft. Ein Vetospieler Protestantismus von daher und auch im möchte und die tatsächlich regelmäßig wäre es eigentlich bedeutungslos: „Nein, kann durch seine Kritik, seinen Protest eigentlichen Wortsinn ist nicht gegen et- wegen irgendwelcher krimineller Akti- da bin ich anderer Meinung“ oder „Nein, etwas verhindern, weil er dazu berufen was gerichtet, sondern es hat eine positi- 8 onen in BILD und MOPO, vor allem aber das möchte ich lieber nicht“. Ich meine ist und eine Grundlage dazu hat. So etwa ve Konnotation: Es bedeutet Zeugnis ab- 9 im Internet auftauchen. 187 ist die Num- NEIN ziemlich laut, klar und deutlich und wie das Bundesverfassungsgericht zum legen, für etwas stehen, für eine Idee, ein mer des Paragraphen im kalifornischen proaktiv, so dass es dahinter auch kein Beispiel, das ja politische Entscheidun- Ziel, eine Überzeugung. Erst diejenigen, Strafgesetzbuch, in dem Mord behandelt Zurück mehr gibt. Ich meine nicht NEIN gen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen die das anders sehen, empfinden dieses wird. Jugend- und andere Gangs haben als Antwort auf eine Frage, die mir je- und gegebenenfalls die Exekutive be- Zeugnis als Protest! Jedem Protest und die Zahl aufgegriffen und benutzen sie mand stellt – und die ich dann eben mit grenzen soll. Protestbewegungen wollen jedem NEIN! liegt somit eigentlich ein JA! als Drohung. „187-Straßenbande, eh Alter, nein beantworte, sondern ein NEIN als das auch, so Nassehi, und sie tun deshalb zugrunde. Der Anlass dieses JA zu sagen Vorsteher Rauhes Haus gehört jetzt auch ungefragter Protest gegen etwas, was auch so, als gäbe es keine Alternativen, ist allerdings ein negativer: Indem ich JA dazu!“ – das wäre so das, was ich mir geschieht oder geschehen soll, was ent- sondern als ginge immer um die Wurst. zu etwas sage, sage ich eben auch NEIN wünschen würde. schieden wurde. Protest ist aber kein offizieller Vetospie- zu etwas anderem, das den Anlass gibt, Warum erzähle ich das? Das ist ungefähr der Ansatz, den ein ler, sondern eher ein ungebetener Gast, JA zu sagen. Das JA hat es deshalb auch Mit allem, was wir tun als Rauhes Haus, sehr spannendes kleines Buch des Sozio- der durch sein Erscheinen eben die nicht viel schwerer. Das JA ist nämlich schein- mit allem was wir tun – oder eben auch logen Armin Nassehi verfolgt, das er kurz ausreichend besprochenen Themen auf bar selbstverständlich und wird nicht so nicht tun als Diakoninnen und Diakone, vor Corona Anfang des Jahres veröffent- die Agenda bringt – wohl wissend, dass oft angefragt. Das JA setzt voraus, dass als Brüder- und Schwesternschaft –, wer- licht hat. „Das große Nein“ – so der Titel seine alternativlosen Forderungen sich wir uns einig sind, ich muss es nicht extra den wir sichtbar, heute vielleicht mehr als des Buches. Nassehi bearbeitet darin die nie in Gänze werden durchsetzen lassen. betonen oder ansprechen. je zuvor. Und wie immer wir uns entschei- Frage, wie in unserer Gesellschaft heute Uns als Gemeinschaft von evange- Nun ist die Frage: Haben wir aktuell als den auch bei den beiden Beispielen eben, Protest entsteht, Protest als Ausdrucks- lischen Diakoninnen und Diakonen Gemeinschaft einen solchen Anlass, un- machen wir sichtbar, wozu wir uns wie form von Kritik, von kritischer Positio- müsste das ganz vertraut vorkommen. ser JA zu betonen? Vorab natürlich: Was verhalten: ob wir NEIN sagen zu etwas nierung gegen vor allem politische oder Wir sind ja nun mal Protestanten, dia- ist für uns wichtiger: Das große NEIN! oder JA oder WEDER NOCH. Indem wir ökonomische Entscheidungsprozesse. konische Protestanten, oder?! Und als Oder das große JA!? Also das, was uns von beiden Ideen abgerückt sind, haben Die These des Buches lautet kurz gesagt, Protestanten definieren wir uns ja auch ausmacht, wofür wir stehen, was wir sind wir uns natürlich auch den eventuellen dass Protest immer eine Form des Wider- über den Protest und die Kritik gegen et- und sein wollen in Kirche, Diakonie und Möglichkeiten einer medialen oder gar standes ist, die sich gegen und jenseits was, oder?! Protestantismus war aber ur- Gesellschaft. Wenn Nassehi sagt, der An- politischen Ausschlachtung ergeben. Wir der institutionellen Formen von Kritik sprünglich eine Fremdzuschreibung der lass, das JA zu betonen sei meist ein nega- haben nichts riskiert – und damit weder und Opposition zu Wort meldet. Die mo- Kirche beziehungsweise der Kurie, die die tiver, ein kritischer also, welcher wäre das deutlich JA noch NEIN gesagt. dernen Protestbewegungen wie Fridays kritisch Oppositionellen eben als Protes- für uns als Gemeinschaft? Mit dem NEIN und dem JA möchte ich for Future, die Occupy-Bewegung – aber tanten bezeichnete. Im Selbstverständ- Gemeinschaften im Diakonat sind heu- mich beschäftigen heute Vormittag. Mit auch unsympathische Formen wie Pegi- nis des Protestantismus war eigentlich te kaum mehr Protestgemeinschaften.
DAS TH EM A Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 DAS TH E M A Jedenfalls sind sie mir bisher so nicht auf- Erstens die Veränderung unserer Kirche legen. Es wird aber natürlich nicht klar, betrifft, für die wir arbeiten, und auch die gefallen, obwohl es immer mal wieder hin zu einer zunehmend marginalisier- welche Funktion, welche Bedeutung und Mitarbeitenden sind zunehmend divers Protest gibt und gab – gern auch an Ent- ten Minderheitenkirche, in der wir ein welchen besonderen Wert unsere Arbeit in jeder Hinsicht. Auf Ebene der Leiten- scheidungen der Vorsteher des Rauhen öffentliches Amt als Diakoninnen und Di- in einer kleiner werdenden Kirche haben den sieht das aber leider noch ganz an- Hauses oder Veränderungen der Ausbil- akone innehaben. kann. ders aus. Ist das struktureller Rassismus? dung etwa. Es mag dennoch Negativan- Ich finde, es ist nicht einfach, sich als Das gilt nun in besonderer Weise si- Auf alle Fälle sieht das aus wie ein „closed lässe von Entwicklungen oder Entschei- Repräsentant einer solchen sich verän- cher für unsere Landeskirche, in der ich shop“. dungen geben, die uns den Anlass geben dernden Institution zu verstehen. Zumal, tatsächlich ein Programm, eine Strategie Also heißt das JA: Diakonische Gemein- 10 können, das eigene JA noch einmal neu wenn wir uns selbst in dieser Organi- vermisse, wie sie in anderen Landeskir- schaften sind kein closed shop, sondern 11 zu denken und zu sagen: Das ist der An- sation Kirche als Individuen oder auch chen eher zu finden sind, wenn dort etwa ein open house und eine open commu- satz und die Einladung für heute. als Gemeinschaft nicht immer zu Hause Gemeindeleitung in einem multiprofes- nity. Und, ja, das heißt auch positiv anzu- Nun, gesellschaftlich muss man nicht fühlen. Welche Rolle werden wir spielen sionellen Mix neu gedacht wird. Diako- nehmen, dass Mitgliedschaft zukünftig allzu weit ausholen, um viele Anlässe zu in dieser sich verändernden Kirche? Die nische Gemeinschaften sind an dieser keine gesetzlich geregelte Verpflichtung, finden, zu denen sich diakonisch etwas Veränderungen werden ja teils drama- Stelle gefordert zu beschreiben, welche sondern eine freiheitlich getroffene sagen lässt in dieser Verschränkung von tisch sein. Die Mitglieder werden weni- Kompetenzen sie in eine Minderheiten- Selbstverpflichtung als Antwort auf eine NEIN und JA. Wenn wir JA sagen zu Men- ger, der Nachwuchs wird fehlen, die Gel- kirche wie einbringen können und wollen Einladung ist. Es ist kein Mangel, dass schenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität, der werden schwinden, damit verbunden – und das ist richtig Arbeit. In unserem morgen von den 14 Einzusegnenden nur zu Inklusion und Teilhabe, zu Vielfalt der die öffentliche Relevanz. Teilweise ist das Denkmodell von JA und Nein ist der Ne- sieben in unsere Gemeinschaft eintreten Religionen und Kulturen, dann zeigt sich, sicher auch selbstverschuldet, es gibt so gativanlass das Schwinden der Finanzen, werden. Und wir sollten auch zu diesen dass es viele Anlässe gibt, in denen Dia- einen Trend zur Selbstsäkularisierung, der bekannten Strukturen, der Nach- JA sagen als Brüder und Schwestern! Das konie ihr JA mit dem NEIN des Protestes wie schon Wolfgang Huber das vor vie- wuchsmangel, die Kirchenaustritte und JA lautet, wir sind eine Gemeinschaft, die gemeinsam mit anderen stark machen len Jahren genannt hat, den wir im Lock- die Säkularisierung unserer Gesellschaft. sich ihrer selbst bewusst ist, und darum kann und stark macht. Ob und inwiefern down der Coronazeit auch gespürt ha- Da hinein müssen wir das JA formulieren, auch nicht auf eine wie auch immer ge- sich daran auch Gemeinschaften oder Di- ben. Es könnte ein Negativanlass sein, das uns ausmacht. artete Anerkennung von außen angewie- akonische Träger und Unternehmen be- dass Kirche in Größe und Bedeutung und Und wir müssen es auch einlösen. Aus sen ist. (Schon gar nicht durch ein Gesetz, teiligen, sei an dieser Stelle ausgeklam- Handlungsspielräumen schwindet, um meiner Sicht sind auch wir gefährdet, das Gemeinschaft ja nicht für essenziell mert (sie folgen ja oft verschiedenen das JA des Diakonischen auch als Reprä- zunehmend einer Milieuverengung zu hält.) Ich komme auf den Punkt noch zu- Logiken und sind durchaus heterogen). sentanten und als Gemeinschaft neu zu unterliegen, obwohl genau das nie der rück. Interessanter finde ich für uns hier, wel- bestimmen. Kern diakonischer Arbeit war und sein Zweitens: Professionalität! che kirchlichen Strömungen, Tendenzen, Das neue Diakonen- und Gemeindepä- darf. Dirk Ahrens sagt: „Das Problem be- Durch die Gemischte Fachkommis- Entwicklungen uns als Gemeinschaft, dagogendienstgesetz – DGpDG – macht ginnt ja in der Kirche schon damit, dass sion (GFK) der EKD wurde ein Prozess als professionelle Geschwisterschaft he- es uns dabei nicht unbedingt leichter. Mitgliedschaft und Mitarbeitende nicht fortgesetzt, der schon vor vielen Jahren rausfordern könnten, unser JA neu und Dort wird zwar das spezifische Zeugnis ansatzweise die Vielfalt unserer Gesell- mit der Erarbeitung der sogenannten deutlich herauszustellen. in der Kommunikation des Evangeliums schaft abbilden. Wir leiden zunehmend Kompetenzmatrix diakonischer Berufe Ich möchte nur drei Themen/Heraus- beschrieben, das Diakon_innen in ihren an unserer Milieu- und Kulturverengung im Rahmen des VeDD begonnen hat. Es forderungen nennen, auf die bezogen wir jeweiligen Handlungsfeldern verkün- und werden demgemäß weniger. Das ist geht in der GFK der EKD darum, die vie- das große JA hin denken könnten. digend, unterstützend oder bildend ab- in der Diakonie besser, was die Menschen len unterschiedlichen Zugänge zur diako-
DAS TH EM A Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 DAS TH E M A nischen oder gemeindepädagogischen Dazu gehört nicht nur praktisches son- Ich hatte es schon vorhin angedeu- chen Zugänge zur Gemeinschaft und zur Beruflichkeit in ihrer Professionalität und dern auch theoretisches Wissen. tet. Für uns als Gemeinschaft wird es Gestaltung und Organisation von Ge- ihren Kompetenzen zu beschreiben, zu Für mich ist der Zugang zunehmend zunehmend wichtig sein, das JA zur Ge- meinschaft für uns denkbar sind, wenn ordnen und sie verbindlich und vergleich- der einer religions- und kultursensiblen meinschaft aufzuschlüsseln in sehr be- die Dinge sich verändern. Es gibt mittel- bar zu machen. Ich will über den Prozess, Wahrnehmung und Eröffnung von Le- wusst unterschiedlich gestaltete und fristig mit Sicherheit kein „Weiter so“! an dem ich bis zu meinem Amtswechsel bensmöglichkeiten geworden. Und das angebotene Formen des Zugangs und Ich hatte ja unvorsichtigerweise mei- mitgewirkt habe, gar nichts weiter sagen. heißt auch ein JA viel stärker hin zum der Mitgliedschaft. Im Ältestenrat haben nen Impuls unter die Überschrift „Das Entscheidend für uns ist, dass wir auch Religiösen ragen, zum Unbestimmten wir bereits darüber nachgedacht – unter große JA!“ gestellt. Und nun vermisst Ihr 12 als Gemeinschaft das Thema Professio- oder Eröffnenden – eben weil es nichts anderem auch aus Anlass der in einigen sicher genau dieses JA als eine Positionie- 13 nalität viel bewusster annehmen, als das Bestimmtes mehr gibt. Diakonische Pro- Bereichen großen Schwierigkeiten, die rung des neuen Vorstehers. Deshalb noch vielleicht bisher der Fall war. Wir sind ein fessionalität heißt nicht, eindeutige Ant- vorhandenen Strukturen der Konvikte einmal ganz knapp und in einer zur Dis- professionelles Netzwerk, und das müs- worten zu geben. Professionalität heißt, zu füllen und aufrechtzuerhalten. Ge- kussion hin öffnenden Form: sen wir auch beschreiben und ernstneh- damit umzugehen, dass aus der religiö- meinschaft gestaltet sich zunehmend in Ja zu einer offensiven Gemeinschaft! men. Deshalb ist die Verbindung zu einer sen Bestimmtheit und Sicherheit längst loseren Verbindungen, digitale Formen Ja zu einer professionellen Gemein- Ausbildungsstätte wie der unseren hier die Möglichkeit und Aufgabe geworden der Kommunikation spielen eine größere schaft! im Rauhen Haus so wichtig. Das JA zur ist, das Unbestimmte, die Unsicherheit Rolle, die sogenannte Intergenerativität, Ja zu einer differenzierten Gemein- Professionalität heißt für mich immer und die Widersprüche unserer Welt aus- also der Austausch zwischen ganz unter- schaft! noch ein JA zur Doppel- oder Mehrfach- zuhalten. schiedlich geprägten Generationen von Ich bin sehr gespannt, wie wir diese und qualifikation in einem gestuften System Für uns als Gemeinschaft wünsche ich Schwestern und Brüdern, muss neu ge- weitere Positionierungen als diakonische von Bachelor-, Master und Promotions- mir für die Zukunft noch viel klarer, dass dacht werden. Gemeinschaft miteinander in Richtung niveaus. wir uns als Gemeinschaft von Profis ver- Damit verbunden ist auch die Heraus- Zukunft durchdiskutieren werden. Ich Dabei ist wichtig, die Integration oder, stehen und dies auch verstärkt zeigen. forderung, Gemeinschaft zu gestalten freue mich, daran mitwirken zu können von mir aus, die Interdisziplinarität viel Auch hier ist ein Negativanlass für das JA und zu leiten, wenn finanzielle und mate- – und vielleicht lassen wir am Ende den stärker hervorzubringen. Mir scheint gegeben. Die Abschlüsse unserer Hoch- rielle Ressourcen geringer werden. Auch einen oder anderen Luftballon miteinan- es manchmal, als würden viele die Aus- schule lassen teilweise zu wünschen üb- dies ist ein Negativanlass, neu darüber der steigen. Vielen Dank! bildung so sehen, als könne man das rig. Das liegt sicher an vielen Faktoren. Als nachzudenken, welche unterschiedli- Andreas Theurich Diakonische lernen und das Sozialwis- diakonische Gemeinschaft von Professio- senschaftliche so mitnehmen – oder um- nellen sollten wir die Studierenden enger gedreht, als könne man das Diakonisch- begleiten und sie eben darin stärken, dass Theologische lediglich auf das Herz am die Doppelqualifikation unabdingbar ist rechten Fleck und die richtige Haltung im Sinne des eben beschriebenen pro- reduzieren und dann würde das schon fessionellen Handelns. Und das heißt, es reichen. Das JA zur Professionalität heißt muss auch beides gleichermaßen ernst- aber JA zur Integration verschiedener Zu- genommen werden – von den Lehrenden gänge zum Verstehen von Menschen in ebenso wie von den Studierenden. ihren Lebenswelten, Bedürfnissen und Drittens: neue Formen von Mitglied- diversen Vorstellungen und Prägungen. schaft und Partizipation.
DAS TH EM A Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 DAS TH E M A Picknick auf grünem Gras – Eindrücke vom Einsegnungs- ein Zwischenruf und Aufnahmegottesdienst Eben haben wir uns vor der Mittagspause Zwei in einem und Corona gemeinsam auf unseren Atem konzent- riert. Die Hände lagen auf dem eigenen Es sollte ein Gottesdienst sein: Die Ein- Die Musik bot einen Ausgleich für den Bauch und nahmen die wiegende Bewe- segnung der Diakone und Diakoninnen fehlenden Gemeindegesang. Das Solo 14 gung des Atems auf: Gott gab uns Atem der Nordkirche und die Aufnahme in die von Orgel und Trompete, der Gesang von 15 … Vielleicht hat sich hier und da wäh- Brüder- und Schwesternschaft des Rau- Bischöfin Fehrs und Bruder Axel Mangat renddessen auch der Magen gemeldet? hen Hauses. In diesem Jahr kam dazu und sein Gitarrenspiel wurde zum echten Gebt ihr ihnen zu essen! Logistische die Herausforderung, den Gottesdienst Höhepunkt des Gottesdienstes. Herausforderung bei diesem von Corona- mit dem nötigen Hygienekonzept zum Für unsere Gemeinschaft war der Got- Auflagen geprägten Brüder- und Schwes- Schutz vor dem Covid-19-Virus zu planen. tesdienst in vielerlei Hinsicht eine Pre- terntag. In den Evangelien gibt es dazu Im Diakonenbüro und bei der Konvikt- miere. Das Selbstverständliche, dass Ein- unterschiedliche Erzählungen. meisterin liefen die Fäden zusammen. segnung und Aufnahmen auch liturgisch Als nun der Tag fast vorüber war, traten alle werden satt. Ein vertiefter Blick auf Die Bischofskanzlei von Bischöfin Kirsten zusammengehören, wird zu zwei eigen- seine Jünger zu ihm und sprachen: Es ist die Sättigungs-Bedürfnisse unserer Zeit. Fehrs war gute Partnerin in der Planung ständigen Teilen in der Liturgie. Diese Er- öde hier und der Tag ist fast vorüber; lass Die Erzählung von Markus unterschei- für den Gottesdienst. Das Landeskirchen- fahrung haben wir dieses Jahr das erste sie gehen, damit sie in die Höfe und Dör- det sich von den anderen durch einen amt bearbeitete die vierzehn Anträge zur Mal deutlich erlebt. Wie wurde der Got- fer ringsum gehen und sich Brot kaufen. kleinen, überraschenden Hinweis: Und Einsegnung, das Diakonenbüro die sie- tesdienst also empfunden? Vier Teilneh- Er aber antwortete und sprach zu ih- er gebot ihnen, dass sie sich alle lagerten, ben Anträge zur Aufnahme. mende berichten von ihren Eindrücken. nen: Gebt ihr ihnen zu essen! … wie viel tischweise, auf das grüne Gras. In der als Brote habt ihr? Geht hin und seht! … Und öde beschriebenen Gegend sitzen Men- er gebot ihnen, dass sie sich alle lagerten, schen in Gruppen plötzlich auf grünem Freude gen der derzeitigen Situation war es ein tischweise, auf das grüne Gras … Und er Gras! Die Glocken läuten, die angehenden Di- Gottesdienst der besonderen Art. Nach dankte und brach die Brote und gab sie Ja, der staubige Schulhof wurde unter akoninnen und Diakone stehen in einem einem Studium, in dem wir in den letzten den Jüngern, damit sie unter ihnen aus- „Gottes Atem“ und Dank zur grünen Wie- großen Kreis – mit Abstand – auf dem drei Jahren durch kritische Auseinander- teilten, und die zwei Fische teilte er unter se! Ich habe sie gesehen! Markus weiß Vorplatz der Dreifaltigkeitskirche. Die setzungen und produktive Gespräche sie alle. Und sie aßen alle und wurden genau, was er ausdrücken möchte: Ein strahlenden Gesichter werden von der unsere diakonische Haltung und Iden- satt (Markus 6, 30–44). Bild für das große JA, wenn Öde zur Oas‘ Sonne begleitet an diesem späten Som- tität ausgeprägt und entwickelt haben, Da sitzen wir nun in kleinen Gruppen wird. Ein ermutigendes Bild für diakoni- mertag und doch ist auch eine Aufregung wurde mit viel Liebe und Anerkennung mit auferlegtem Abstand auf Pappho- sche Gemeinschaft. und Spannung zu spüren, da mit diesem unser Abschluss gewürdigt. Auch wenn ckern, eine gefüllte Picknick-Tüte in den Solche Verwandlung war atmosphä- Tag nun tatsächlich das Studium und wir im Gottesdienst nicht singen durften, Händen und die Schar von Jünger_innen – risch auch sonst zu spüren. die Ausbildung abgeschlossen werden. wurden durch die gespielten Lieder und meist gar nicht sichtbar – organisiert. So Jan-Peter Wilckens Mit dem Segen der Bischöfin ziehen wir liebevollen Worte dennoch Erinnerungen bilden sich Oasen der Gemeinschaft. Und in die Kirche ein. Trotz oder gerade we- an all die großartigen Erlebnisse und Er-
DAS TH EM A Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 DAS TH E M A fahrungen wach, die mich in dieser Aus- fünf anderen dem Einsingen von Kirsten bildung begleitet haben. Gern erinnere Fehrs und Axel Mangat lauschen, das die ich mich an die gemeinsame Israelreise, fast leere Kirche gefüllt und erfüllt hat. die Kirchentage und die vielen besonde- Im Gottesdienst dann noch einmal. Die ren Momente bei uns im Rauhen Haus. coronabedingten Lücken auf den Bänken Waren wir vor drei Jahren noch Kommi- waren nicht überraschend, aber doch ei- litonen und Kommilitoninnen, sind wir genartig: einsam sitzen in Gemeinschaft. im Laufe der Zeit Freunde und Freundin- Wirklich widersprüchlich war dann die 16 nen geworden und nun sogar Brüder und Trennung von Einsegnung und Aufnahme. 17 Schwestern. Dafür bin ich dankbar und Die Freude, dass so viele sich einsegnen freue mich über die Würdigung, die wir lassen, die ich in ihrem Studium erleben an diesem Tag durch die Evangelische und begleiten durfte, stand im Kontrast zu Hochschule, die Landeskirche und die der sichtbaren Trennung in Eingesegnete Brüder- und Schwesternschaft erfahren und Aufgenommene. Zwei Kreise, zwei Ri- haben. Nico Mahrt-Thomsen tuale. Das provoziert ungewollt Bilder von unterschiedlichen Sorten von Geschwis- Innig tern, obwohl sie das nicht sind! Gruppenbild mit neuen Brüdern und Schwestern: Kirsten Fehrs, Andreas Theurich, Martin Leim- Der Einsegnungsgottesdienst der Dia- Die Konsequenzen des Diakonengeset- bach, Dirk Drewelow, Maria-Katharina Schulz, Friederike Stöver, Nico Mahrt-Thomsen, Luise koninnen und Diakone hatte für mich zes wurden sehr spürbar und sehr sichtbar. Westecker, Brigitte Wever, Claudia Rackwitz-Busse (von links, es fehlt Marie-Josephine Gomolzig) eine ausgesprochene Tiefe – gerade in Das hat Fragen zurückgelassen, mit denen Anbetracht der pandemiebedingten be- ich aus dem Gottesdienst gegangen bin Zwei Gottesdienste schaft noch mit der Einsegnung zu tun? sonderen Situation war die Stimmung und die mich weiter bewegen. Wer hatte Am liebsten hätte ich im Rückblick einen Diese ist aus meiner Sicht jetzt aus- sehr dicht, die Gemeinschaft sehr innig. welche Rolle in diesem Gottesdienst und eigenen Gottesdienst nur zur Aufnah- schließlich eine Veranstaltung der Lan- Es war spürbar: Jeder und jede ist zutiefst wie sieht das künftig aus – Hochschule, me in die Brüder- und Schwesternschaft deskirche. dankbar, diesen Gottesdienst jetzt feiern Nordkirche, Brüder- und Schwestern- gefeiert, mit den dann schon irgendwo Und schon sind wir mitten im Thema, zu können, in der Gemeinschaft mit den schaft? Kann dies ein Festgottesdienst anders (Michel?) eingesegneten neuen welchen Platz die Diakonie in der verfass- Schwestern und Brüdern, und mit Gott in und Höhepunkt der Brüder- und Schwes- Schwestern und Brüdern. Von ganzem ten Kirche hat. Und dass wir uns bis heute ihrer Mitte. Ein sehr berührender Gottes- terntage bleiben (das war es für mich bis- Herzen! nicht gut und vernünftig geordnet haben. dienst! Pastorin Tatjana Pfendt, lang immer)? Und weiter gedacht: Welche Die ganze Zeit dachte ich beim Feiern, Ich sehe hier eine ungeklärte Verzahnung Persönliche Referentin der Bischöfin Rolle hat unsere Gemeinschaft für das ob die Geschwister, die ( jetzt noch) nicht von Aufträgen in der Nachfolge Jesu. Die Diakonat und die Kirche? Diese Frage ist aufgenommen werden wollten, über- Entscheidung, die Gemeinschaftsbin- Widersprüchlich nicht neu, nach dem Gottesdienst aber haupt mit der Beteiligung der Brüder- dung aus dem Gesetz zu streichen, war Sehr widersprüchlich und eigenartig im lebendiger und drängender. Dass die Pre- und Schwesternschaft an „ihrer“ Einseg- vielleicht der Anfang einer notwendigen Wortsinne habe ich den diesjährigen Ein- digt selbst kraftvoll, politisch und klar war, nung einverstanden waren? Reformation unserer Kirche, die wehtun segnungs- und Aufnahmegottesdienst hat die Widersprüchlichkeit nicht aufge- Im besten Fall waren sie es. Was aber, könnte und die uns mit alten Traditionen erlebt. Ein wunderbarer Beginn. Bevor der löst, mit der ich nach Hause gefahren bin, wenn beim nächsten Mal jemand das brechen lässt. Aber wovor sollten wir uns Gottesdienst losging, konnte ich mit etwa eher im Gegenteil. Tilman Lutz nicht möchte? Was hat unsere Gemein- fürchten? Guido Merten
aus der g emei nsc haft Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 au s d e r g e m e i n s c haf t Ältestenratswahl 2020 Helen Joachim, Nicola Ahrens- 2020 Tilsner, Clau- Bericht des Nominierungs- und Wahlaus- dia Rackwitz- Busse, Andreas schusses für die Wahl zum Ältestenrat 2020 Theurich, Dag- mar Krok, Fried Mit großer Freude hatten wir, Marco Im Mai 2020 haben wir aus den einge- Germer, Niclas Rabe und Ste- Schramm, Brigit Dethlefs und Runhild reichten Vorschlägen den Wahlaufsatz 18 Jasper-Koch, die Arbeit als Wahl- und erstellt. fan Harms (von 19 links; nicht mit Nominierungsausschuss übernommen. Unser Dank geht an alle Kandidatinnen auf dem Bild: Wir haben in guter Weise zusammenge- und Kandidaten, die sich zur Wahl ge- Alexandra Koch) arbeitet. Die Mitglieder wurden im März stellt haben. 2020 über das Wahlverfahren informiert. Von der Möglichkeit der Briefwahl haben coronabedingt viele Brüder und R ü c ksc h au B e i e i n e m g ute n Tropfe n Dazu gehörte auch das Treffen des Ältestenrates Hallo, das si n d wi r ! Schwestern Gebrauch gemacht. Unsere Grazie! Der spätsommerliche Abend am Hambur- mit Landespastor Dirk Ahrens und Katharina von Der neue Ältestenrat trifft sich knapp drei Aufgaben endeten mit der Durchführung ger Hafen verlieh dem Dankeschön an den alten Fintel aus der Kirchenleitung. Wochen nach seiner Wahl – coronagerecht mit der Wahl zum Ältestenrat in der Mitglie- Ältestenrat ein italienisches Flair. Mit Genuss und Im Sommer 2019 gestaltete der Ältestenrat die Abstand, aber mit sehr viel Elan – im Rauhen Haus. Keine Anreise ist zu weit, ob von München derversammlung am 12. September 2020. etwas Wehmut schauten alle auf die vier Jahre Segensandacht und die Verabschiedung der Aus den 138 gültigen Stimmzetteln der gemeinsamer Arbeit im Ältestentrat zurück. Brüder- und Schwesternschaft von Bruder oder Kiel. Das klappt schon gleich sehr gut. Alle Dem Ältestenrat gehörte bis Februar 2019 auch Friedemann Green, der als Vorsteher der Stiftung freuen sich auf die Zusammenarbeit und die Runhild Jasper-Koch als gewählte Vertreterin der Das Rauhe Haus in den Ruhestand ging. Aufgaben für die Amtszeit von 2020–2024. Delegiertenversammlung an, die von Alexandra Pastor Dr. Andreas Theurich übernahm das Amt Auf gutes Gelingen! Koch in der Legislaturperiode abgelöst wurde. Die des Vorstehers ab Oktober 2019. Amtszeit von 2016 bis 2020 wurde nie langweilig. Auf einer Klausur wurden miteinander Schwer- In sechzehn Sitzungsterminen im Rauhen Haus punkte für einen Zukunftsprozess gesetzt. und bei zwei Klausurtagungen in Eisenach und Die Themen wurden an den neu gewählten Hephata wurden vielfältigste Themen bewegt Ältestenrat weitergegeben. Die Zusammenarbeit und beraten. Zwei Brüder- und Schwesterntage der Brüder und Schwestern war immer kollegial und die Mitgliederversammlungen hat der Ältes- und professionell. Es war allen eine Herzensan- tenrat verantwortet. Das Diakonendienstgesetz gelegenheit, die Leitung der Gemeinschaft hoch (DGpDG) bestimmte bis zu seinem Beschluss in engagiert und motiviert umzusetzen. der Landessynode die kirchenpolitische Arbeit. Herzlichen Dank dafür an alle! Briefwahl und 62 gültigen, direkt abge- Sie bilden zusammen mit den über die De- gebenen Stimmzetteln folgt das Wahler- legiertenversammlung gewählten Mit- gebnis: gliedern Martin Leimbach und Brigitte In den Ältestenrat wurden Ute Zeißler, Wever den Ältestenrat für die Legislatur- Martin Leimbach, Ute Zeißler, Reinhard Förtsch, Brigitte Wever, Nicola Ahrens-Tilsner, Niclas Rabe, Dagmar Krok, Reinhard Förtsch, Niclas periode 2020–2024. Herzlichen Glück- Dagmar Krok, Andreas Theurich und Claudia Rackwitz-Busse (von links) Rabe und Nicola Ahrens Tilsner gewählt. wunsch! Runhild Jasper-Koch
aus der g emei nsc haft Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 au s d e r g e m e i n s c haf t Ein Beispiel ist uns gegeben Nach dieser erneuerten maßgebli- chen Erfahrung bin ich beim Brüder- und ten Engel erkannt werden! Ich kann nur jedem empfehlen, als Schwesterntag unter dem Thema „Das gerngesehener Gast an verschiedenen Im griechischen Lager sitzen tausende Ich entdecke das Geschenk, das mir große Ja“ von der Frage berührt, wie die Angeboten dieser Gemeinschaft hin und Geflüchtete auf der Straße, aus bren- diese Gemeinschaft an der Basis macht. Kirche in Zukunft aussehen wird. Wie ein wieder teilzunehmen, um dem Selbst- nendem Lager einmal mehr geflüchtet. Mein Besuch in dieser von solcher Selbst- Gasthaus, zitiere ich den verstorbenen verständlichen Raum im Bewusstsein zu Betroffenheit auf der einen und Impulse, verständlichkeit geprägten Lebens- Theologen Jörg Zink. Er hatte immer den geben und ermutigt zu gestalten und zu diese Menschen nicht allein zu lassen, gemeinschaft bringt mich ins Gleich- Blick der Verwandlung, die im genannten handeln. 20 auf der anderen Seite, treffen auf admi- gewicht. Als Gast partizipiere ich und Brief an die Hebräer bildhaft Sprache fin- Ein Beispiel ist uns gegeben! 21 nistratives Gerangel auf politischer Ebe- entdecke die Wohltat eines Beispiels: Ein det. Welch eine Perspektive, wenn in Gäs- Jan-Peter Wilckens ne. Unerträglichkeit und eigene Hilflosig- Beispiel habe ich euch gegeben, wird als keit machen sprachlos. Äußerung von Jesus überliefert; weniger So bin ich auf dem Weg zum Brüder- und Schwesterntag und machte Stati- als Mahnung mit erhobenem Zeigefin- ger, sondern als Ermutigung! Auf dünnem Eis on bei BROT UND ROSEN. Ich bin zum Ich erinnere mich, als ich mit Jugendli- Frühstück eingeladen und sitze am Tisch chen vor über 50 Jahren zum ersten Mal Gedanken zu Corona im ersten Lockdown der Diakonischen Basisgemeinschaft in nach Taizé kam, an eine gewisse Beschä- mit der Erfahrung des zweiten Hamburg. Unsere Schwester Birke Klein- mung. Die Art und Weise, wie wir unser wächter lebt seit fast 30 Jahren in dieser Leben gestalteten, geriet angesichts der Diesen Text habe ich für einen Oster- Eigentlich geht es mir doch ganz gut. Lebensgemeinschaft und bietet mit wei- auch dort präsenten Not und der selbst- nachtsgottesdienst geschrieben, den ich Kein Grund zum Klagen: Ich bin nicht teren Gastfreundschaft für obdachlose verständlichen Lebensart von Einfachheit mit zwei Kolleginnen, alle ohne Erfah- allein; bin mit Mann, Tochter und Enkel Flüchtlinge. und Gastfreundschaft in Konfrontation. rung mit dem Medium, per Zoom gestal- unter einem Dach. Wir kochen uns je- Wenn ich mich in Hamburg aufhal- Der uns damals begleitende Bruder der tet habe. Mittlerweile haben wir einen den Tag etwas Schönes und entdecken te, bin ich hier gern Gast. Da geschieht Gemeinschaft von Taizé, dem ich heute relativ entspannten Sommer hinter uns Hamburg per Rad ganz neu, Sonnenun- etwas Besonderes. Ich fühle mich in der noch freundschaftlich verbunden bin, gab und befinden uns, nicht ganz unerwar- tergänge hoch über der Elbe. Ich habe oben beschriebenen Sprachlosigkeit wie uns dieses auf den Weg: „Freut euch über tet, im zweiten Lockdown. Der trifft uns Kontakt zu vielen Menschen, telefoniere aufgehoben: Die eigene Hilflosigkeit er- diesen Ort von Gemeinschaft und Enga- einerseits mit mehr Routine, anderer- häufig mit meiner Mutter. Wir treffen kennen und gleichzeitig die fast selbst- gement und entdeckt eure Möglichkeiten seits mit schwindender Kondition und uns mit Abstand als Nachbarschaft im verständlichen Schritte zu einem gewis- dort, wo ihr seid.“ So wurde Taizé für mich schwächerem Nervenkostüm. Insgeheim Hof. Technisch bin ich gut ausgestattet sen Maß von Erträglichkeit wagen. bis heute ein Ort der Orientierung. hatten wir wider besseren Wissens alle und das Homeoffice funktioniert, ich „Oft ist es zum Heulen“, schreibt ein Diese diakonische Basisgemeinschaft gehofft, wir wären noch einmal davon- genieße sogar das Fehlen der vielen Ter- Bundesfreiwilliger im Rundbrief der in Hamburg ist ein Ort der Freude und gekommen. Und auf die Kraft des nahen- mine. Und das Wichtigste: Wir sind alle Gemeinschaft. Er hat hier für sich einen der Orientierung. Sie ist Ort der Vision, den Frühlings und Sommers können wir gesund. Mittlerweile sitze ich in Quaran- Ankerplatz entdeckt. „Ich suchte nach die sich im Hebräer-Brief so anhört: „Ver- gerade auch nicht hoffen. Stattdessen täne, mein Mann macht eine milde Co- einem Ort, wo ich beten und arbeiten gesst die Gastfreundschaft nicht, durch düstere Aussichten fürs Weihnachtsfest. ronainfektion durch und ich hoffe, dass kann“, höre ich ihn seinen Einsatz be- sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel Ich lese den Text und merke, ich fühle ich verschont bleibe (der Test ist negativ schreiben. beherbergt.“ (Hebräer 13, 2) immer noch das Gleiche. ausgefallen).
aus der g emei nsc haft Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 au s d e r g e m e i n s c haf t Klosterwochenende in Nütschau Ein Fingerzeig? Auf einer Bank verweilen Entschleunigen Zur Ruhe kommen 22 Zu sich kommen 23 Mit sich ins Gespräch kommen In Gott sein Den Atem spüren Ihm nachgehen Im Gehen Und wieder Stehenbleiben Und Auf einer Bank verweilen Manfred Niemann Was ist dann los mit mir? Wo ist mei- es schaffen, gesund zu bleiben?, fängt ne Phantasie, wo meine Energie geblie- das Eis bedrohlich an zu knacken, ich sehe ben, Neues anzupacken, die Zeit für die das schwarze Wasser unter mir und ziehe Planung zukünftiger Projekte zu nutzen? meinen Fuß zurück … Warum bin ich so verhalten, wie ausge- Was wird mit der Kultur und all den frei- bremst? schaffenden Künstler_innen? Wie kann Ich habe ein Bild dafür gefunden. Ich sich die Wirtschaft erholen, ohne dass un- sehe einen See, mitten im Wald, idyllisch, endlich viele Menschen in Armut stürzen, das Wetter ist schön, der Himmel strah- wie überstehen gestresste Familien das lend, es ist völlig ruhig bis auf die Vögel, Eingesperrtsein ohne Aggressionen, wie die unbeirrt zwitschern und den Frühling die Alten die Isolation? Fragen über Fragen. besingen. Egal auf welche ich mich zubewege, Was stimmt nicht? Der See ist trotz nach wenigen Schritten knackt das Eis, der frühlingshaften Temperaturen zuge- droht rissig zu werden. Aus Angst vor froren. Und ich, ich stehe in seiner Mitte, einem echten Einbruch in dunkle Tiefen allein auf weiter Fläche, kein Mensch bei verharre ich auf der Stelle. Keine Hilfe mir oder am Ufer zu sehen. Ich bin allein. vom rettenden Ufer … Meine Füße wer- Wenn ich mich in eine Richtung bewegen den kalt, ich friere und verharre. will, vielleicht zu Fragen wie: Können wir Ute Zeißler
aus der g emei nsc haft Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 au s d e r g e m e i n s c haf t Nun hatten wir das Glück, uns thema- tisch von Doris zu Fragen unserer Lebens- und Glaubensbiographie führen zu las- sen. Die Antworten, die wir fanden oder uns erarbeitet haben, zeigten tiefe Wur- zeln der jeweiligen „Lebensbäume, Le- bensträume“ und erlaubten Blicke in 24 spannende Leben unserer Geschwister 25 der Brüder- und Schwesternschaft. Und Ein wunderbares Dankschön für die alte Kon- ich fühlte mich sehr bereichert durch die viktälteste, eine echte Überraschung Offenheit und das große Vertrauen, das sich immer wieder in den Gesprächen Sucht Euch doch mal eine Bibelstelle und im Austausch offenbarte. aus und arbeitet heraus, warum Ihr gera- Somit gab es trotz der Abstandsregeln de diese gewählt habt und was euer Le- sehr viel Nähe, die wohltuend ist in die- ben damit zu tun hat. sen Zeiten! Und wenn Ihr hin- und herdenkt und Trotz allem verlieren wir nicht den Humor. Erkennt ihr uns? Und wie die Künstler bei den CD-Pro- euch vergegenwärtigt, was das mit eu- jekten zu Hesse und Rilke die wunder- rem Leben zu tun hat oder dann doch Wochenendkonvikt bare Texte mit Musik untermalen, haben wir in unserem selbstgestalteten Got- nicht (Ambivalenzen sind normal und gehören zum Leben), seid ihr auf der Spur tesdienst zu Hebräer Kapitel 11, Vers 1 die des Lebens und ihr findet die Quellen, die des Konvikts Niedersachsen, 19.–21. 6. 2020 Melodien gesummt und die Liedtexte euch nähren. wurden gesprochen. Das war eine schö- Wenn ihr einem Gegenüber die Aus- Darf Mensch sich in „Corona-Zeiten“ tref- ben besprechen und verteilen sowie un- ne Erfahrung, da unser Summen von dem wahl eures Bibelzitates erklärt, kann die- fen? Ja, Mensch darf: unter Einhaltung sere bisherige Konviktleitung, Doris Pa- wunderbaren Gitarrenspiel von Frank be- se, dieser kleine Notizen formulieren und der Abstände, mit Tragen von Mund- land, verabschieden. gleitet wurde. ihr findet darin eure Ressourcen. schutz und ohne herzliche warme Umar- Ebenso wählten wir eine neue Leitung: Ich kann die gesamten Denkanstöße Zum Weiterlesen: „ Zum Amen gehört mungen. Annegret Warnecke. oder Arbeitsschritte, die wir erarbeitet das Aber “ von dem Pastoralpsychologen Der Jugendhof Sachsenhain in Verden Zum Glück stellte sich unser Finanzex- haben, hier nicht wiedergeben, dennoch Michael Klessmann. hatte uns ein Tagungshaus zur alleinigen perte Günter Zimmermann weiterhin für ein kleiner Denkanstoß für alle: Christiane Rose Benutzung zur Verfügung gestellt. die Konviktkasse zur Verfügung. Das Mittagessen wurde im Schichtsys- Und wie sich auch für die Delegierten- tem angeboten und die vorgegebenen versammlung Bereitwillige fanden, gibt Hygienemaßnahmen ließen sich prob- es Mitwirkende für manche Aufgaben, lemlos einhalten. die ein Gelingen des Konviktlebens mög- Wir wollten organisatorische Aufga- lich machen. Darüber sind wir froh.
aus der g emei nsc haft Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 au s d e r g e m e i n s c haf t Leben in einer Warteschleife parallel). Wie ich inzwischen erfahren habe, hat er nach 1,5 Jahren eine Steuer- nummer und arbeitet immer wieder in Ein Erfahrungsbericht über schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs. die Situation von Geflüchteten in Griechenland Im Frühjahr 2019 hat sich die Versor- gungslage für anerkannte Geflüchtete Im Rahmen eines Stipendiums des Zen- Wir waren da, haben mit Tee, Wasser und deutlich verschlechtert. Im Asylverfahren trum für Mission und Ökumene war ich, Musik für gute Stimmung gesorgt, an- bekommen die Menschen über UNHCR 26 Julia Stoeckert, nach meiner Einsegnung sonsten war es ein Ort des Austausches, und IOM eine Unterkunft und eine Cash 27 in die Brüder und Schwesternschaft von der Gemeinschaft, des Arbeitens für sich Card mit monatlich 150 Euro pro Erwach- November 2018 bis Ende Juli 2019 in Thes- oder Freunde, der Gespräche und der senen und 75 Euro pro Kind (für maximal saloniki. In dieser Zeit bekam ich einen Ruhe. fünf Kinder). Dieser Betrag ist zu gering, kleinen Einblick in die Situation von Ge- Ich habe in der Zeit viele interessante da die Lebensmittelpreise in den Super- flüchteten in Griechenland. Menschen kennengelernt, mit denen ich märkten höher sind als in Deutschland. Mein Einsatzort war die Nähwerkstatt über das Nähen ins Gespräch gekommen Für Menschen mit einer Anerkennung des Projektes NAOMI. Dort habe ich mit bin. Zu einigen hat sich ein freundschaft- gilt das griechische Recht, das heißt, die einer zweiten Stipendiatin Produktio- liches Verhältnis entwickelt. In diesen Menschen müssen aus ihren geförderten Pragmatisch unterwegs – Julia Stoeckert nen für externe Auftraggeber organisiert Gesprächen wurde mir viel von ihrer Le- Wohnungen ausziehen und bekommen und geleitet. Unter anderem haben wir benssituation berichtet. Zum Beispiel: keine Cash Card mehr. Dies wird seit 2019 sorgt in Deutschland. Doch ich sehe die 600 T-Shirts sowie 1.000 Stoffbeutel und Eine fünfköpfige Familie aus Nigeria war- ohne Ausnahme umgesetzt. Für Griech_ Menschen konkret vor mir, mit denen Rucksäcke nähen lassen. Außerdem ha- tete seit 15 Jahren auf eine Entscheidung innen gibt es nur eine eingeschränkte ich gearbeitet, gelacht, manchmal ge- ben wir aus den Decken, die in Idomeni in ihrem Asylverfahren, mit eher schlech- Sozialversorgung (Arbeitslosengeld für weint oder auch gebetet habe. Ich ken- vom UNHCR verteilt wurden und nach ter Perspektive, obwohl die drei Kinder ein Jahr und Krankenversicherung nur in ne sie und zum Teil ihre Geschichten. Ich der Räumung des Lagers 2015 auf der in Griechenland geboren sind und in die Kombination mit einem Arbeitsvertrag), habe ihnen in die Augen geschaut. Das Wiese liegen geblieben und von NAOMI Schule gingen. Da sie vor 2015 Griechen- das bedeutet, dass diesen Menschen mit füllt diese Situation mit Leben und zwar gereinigt worden sind, kleine Taschen land erreicht haben, bekamen sie trotz Anerkennung ohne festen Wohnsitz kei- dramatisch, denn es geht um Menschen. (Federtaschen, Geldbeutel ...) entwickelt, fehlender Anerkennung keine Wohnung ne Krankenversicherung und keine finan- Meist junge, die ihr Leben vor sich haben, Schnittmuster erstellt und ein kleines und Cash Card. ziellen Mittel zur Verfügung stehen! die dieselben Wünsche ans Leben haben Team angeleitet, das diese Taschen auch Ein junger Mann ohne Familie hielt sich In einigen Stadtteilen Thessalonikis wie wir: In Sicherheit selbstbestimmt ihr nach unserem Einsatz alleine weiterpro- inoffiziell bei Freunden in einem Contai- wohnen viele Menschen in baufälligen Leben gestalten zu können. Arbeit und duziert. Die Menschen können sich über ner im Lager auf. Er hätte gern gearbeitet, oder leerstehenden Häusern. Aber auch Familie sind ein Teil davon. Gesundheits- diese Produktion ein kleines Taschengeld was ihm zunächst nicht gestattet war, da mitten in der Stadt sah ich viele Men- versorgung eine notwendige Bedingung. dazuverdienen. er keine Steuernummer hatte. Trotz Geld- schen, die auf den Plätzen oder in Parks Viele kommen mit großer Energie, Hoff- Darüber hinaus haben wir an zwei Ta- sorgen und einer absolut ungewissen geschlafen haben. nung und Tatendrang nach Griechenland, gen in der Woche ein Open House veran- Perspektive war er immer unglaublich Während ich dies schreibe, finde ich, haben einen Plan – doch dann heißt es staltet, an dem die Werkstatt für jeden freundlich, positiv und motiviert (er lern- dass es sehr nüchtern klingt. Eine Be- erstmal warten! Warten auf einen Platz offen stand, der oder die nähen wollte. te erfolgreich Englisch und Griechisch standsaufnahme aus der Ferne, gut ver- in einem Lager. Warten auf einen Termin
aus der g emei nsc haft Der Bote 2/2020 Der Bote 2/2020 au s d e r g e m e i n s c haf t bei einer der Beratungsstellen. Warten Fäkalien stinkt und in dem Menschen ge- bei der Ausländerbehörde. Warten, war- zwungen werden, zu warten! Und nichts ten, warten. Und immer wieder werden anderes zu tun. Zu warten, bis ein Contai- sie unverrichteter Dinge weggeschickt. ner frei wird, zu warten, bis die Ärzte und Es ist kräftezehrend und ermüdend. Ich Sozialarbeiter_innen der NGOs wieder ar- mit meiner deutschen Sozialisation bin beiten dürfen, zu warten, bis die griechi- daran immer wieder verzweifelt, obwohl schen Behörden ihre Anträge aufnehmen ich nur Beobachterin war. und darüber entscheiden, zu warten, bis 28 Während meines Aufenthalts war ich sich die EU über eine Migrations- und 29 zweimal auf Lesbos. Ich dachte mir, wenn Asylpolitik einigt. ich schon mit Fragen an den Umgang Heute, ein paar Wochen nach dem mit Geflüchteten an den EU-Außengren- Brand im Lager Moria, sieht es nicht bes- zen nach Griechenland gekommen bin, ser aus. Die Arbeit von NGOs auf Lesbos dann muss ich auch dahin gehen, wo es wird schon seit Anfang des Jahres mas- für mich möglicherweise schmerzhaft siv von Behörden und Bürgern behindert wird. Schon die Fährfahrt hat mich tief und bedroht. Die Geflüchteten im neu- erschüttert. Auf der großen Fähre war ich en Lager „Moria 2.0“ sind dem Wetter sicher, hatte alles dabei, was ich für eine und Meer mehr denn je ausgeliefert, das Woche zu brauchen meinte. Doch was wäre, wenn wir zwischen Lesbos und der Lager liegt direkt am Wasser, die Aus- stattung ist noch schlechter. Es werden Rauhhäusler Diakone auf Sansibar türkischen Küste Schlauchboote in See- immer wieder Menschen aufs Festland, not kreuzen? Nehmen wir sie auf? Es war auch nach Thessaloniki, verlegt. Dort sind Wie kamen Rauhhäusler Diakone um 1890 stürmisch und kalt, kein gutes Wetter um die Lager schon lange überfüllt. Die Ver- nach Sansibar und was machten sie dort? in einem Schlauchboot zu sein – die Fähre sorgungslage ist insgesamt schlecht. hat kein Schlauchboot gekreuzt. Im Oktober konnten Frontex und der Diese Frage stellte sich mir, als ich kürzlich in der Biografie des „Pionier-Missionars“ Lesbos hat mich tief berührt. Ich wur- griechischen Polizei Pushbacks nachge- Ernst Johanssen las und auf die Zeilen weiter unten stieß*. Vor kurzem, auf einem Tref- de mir meiner Privilegien besonders wiesen werden. Von Pushbacks wurde fen von Tansania-Freunden, sprach ich darüber auch mit den Rauhhäusler Geschwis- bewusst. Mir war es sehr unangenehm, mir aus der Region Evros, Bulgarien und tern Karen Bossow und Ehepartner Wolfram Gauhl. Er sagte, ich möge das doch für nach meiner Herkunft gefragt zu werden. Serbien immer wieder berichtet. Dies al- den Boten aufschreiben und gab so den Anstoß zu diesem Text. Ich muss zum Ver- Es kam mir unangemessen vor, dass mir les dient der Abschreckung, doch die Zahl ständnis etwas ausholen. die Geflüchteten sagen, wie gut sie Ange- der Ankommenden ist zwar geringer als la Merkel finden, während wir vor Moria 2015, aber dennoch konstant hoch. Der historische Kontext Ostafrika. Sansibar war vom Interessen- stehen. Vor einem abgeschotteten Lager Wer mehr über meine Erfahrungen und Mit der Berliner Konferenz 1884/85 wur- konflikt zwischen Franzosen, Engländern im Olivenhain in den Bergen mitten auf Erlebnisse wissen möchte oder fragen an de Deutschland Kolonialmacht. Schon und Deutschen überzogen. Die Deut- Lesbos, dennoch gut versteckt. Ein La- Unterstützungsmöglichkeiten hat, darf vorher gab es, vor allem in Afrika, brutale schen gingen davon aus, dass Sansibar ger, durch das die Regenfälle der letzten sich gern bei mir melden: juliastoeckert@ Unterwerfungs-Expeditionen, so auch in ihnen in Zukunft gehören würde. Durch Tage rauschen, in dem es nach Müll und web.de Julia Stoeckert * Ernst Johanssen: Führung und Erfahrung in 40-jährigem Missionsdienst, Bd. I, Seite 46 ff.
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