Der Bote - Das Rauhe Haus

 
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Der Bote
Geht in der Kraft,                                                                     Nr. 2 | Dezember 2020 | 109. Jahrgang
die euch gegeben ist,
geht einfach,
geht leicht, geht zart,
und haltet Ausschau nach der Liebe,   Berichte aus der Brüder- und Schwesternschaft
und Gottes Geist geleite euch!        des Rauhen Hauses

Iona-Liturgie

                                                  2020

                                         Brüder- und Schwesterntag: das große JA!
                                         Ältestenratswahl 2020 Seite 17
                                         Leben in der Warteschleife: Geflüchtete in Thessaloniki      Seite 26
Der Bote 2/2020                                                      au f e i n wo rt

titelb i ld
                                               Einfach so
Anders als sonst: Brüder- und Schwesterntag
2020. Im Wichern-Forum stehen die Stühle       Liebe Brüder und Schwestern!                   das auch aus. „He, euch ist
weit auseinander. Mit Abstand sich trotzdem
                                                                                              ein Kind geboren!“, schrie
in der Gemeinschaft nahe sein – das genießen
die Schwestern in ihrem Gespräch. Mehr zum
                                               Ein goldener Stern, aus festem Karton          sie, und es klang wie die
Treffen der Brüder und Schwestern unter        ausgestanzt. Nicht spektakulär, recht          beste Botschaft der Welt.
besonderen Bedingungen ist auch ab Seite 6     schlicht. In der Nordkirche tausende           Herrlich. Klartext. Voller
zu lesen.                                      Male verschickt, verteilt, verschenkt.         Energie.
                                                                                                                                          3
                                                  Im November, noch im alten Kirchen-            Einfach so.
                                               jahr, startete die Aktion. Die Initiato-          Ich erlaube mir, zwischen allen Nach-
                                               ren_innen sind über die große Nachfrage        richten und Einschränkungen das Hoff-
                                               überrascht. Sie freuen sich über die Kre-      nungsleuchten zu entdecken. Ein Stern,
                                               ativität, die Freude, den die Sterne mit       ein Lied, der Kindermund.
                                               dem Aufdruck #Hoffnungsleuchten ans               Einfach so.
                                               Licht bringen.                                    Was ist euer Hoffnungsleuchten? Ich
                                                  Einfach so.                                 bin sicher, dass erstaunliche Entdeckun-
                                                  Tragt in die Welt nun ein Licht, sagt al-   gen sich Raum nehmen.
                                               len: Fürchtet euch nicht! Gott hat euch           Einfach so.
                                               lieb, Groß und Klein. Seht auf des Lichtes        Mit Sternenleuchten grüße ich alle Le-
                                               Schein. Ein Kinderlied summt in meinem         ser und Leserinnen und wünsche geseg-
                                               Kopf. Dafür bin ich empfänglich. Lasse         nete Weihnachten und ein hoffnungs-
                                               mich berühren.                                 volles neues Jahr!
                                                  Einfach so.                                    Eure
                                                  Ich denke an Hedwig aus der Geschich-
                                               te „Hilfe, die Herdmanns kommen“: Da
                                               Hedwig die einzige war, die in dem Krip-
                                               penspiel etwas zu sagen hatte, nutzte sie      Claudia Rackwitz-Busse
i n halt                                                             Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                         i n halt

    Das bringt der neue Bote:
    DAS TH EM A                                                                            aus dem Rau h en Haus
      6 Brüder- und Schwesterntag 2020 am 12. September 2020 im Rauhen Haus                 32 Mit Musik geht vieles besser – Neue Seelsorgerin im Rauhen Haus
      7 Das große JA! Impulsvortrag, gehalten auf dem                                          von Freia Imsel
        Brüder- und Schwesterntag am 12. September 2020 im Rauhen Haus
        von Andreas Theurich                                                               AnstöSSe
4    14 Picknick auf grünem Gras – ein Zwischenruf                                          34 Das Licht der Welt – Andacht zum Anfang des Schuljahres Sommer 2020
                                                                                                                                                                              5
        von Jan-Peter Wilckens                                                                 von Günter Kutzke
     15 Eindrücke vom Einsegnungs- und Aufnahmegottesdienst
        Zwei in einem und Corona
     15 Freude von Nico Mahrt-Thomsen                                                      36 persön lic h es
     16 Innig von Pastorin Tatjana Pfendt                                                  36 Nachruf auf Oskar und Renate Wollner
     16 Widersprüchlich von Tilman Lutz                                                        von Reinhard Förtsch
     17 Zwei Gottesdienste von Guido Merten                                                37 Nachruf auf Waldemar Deckert
                                                                                               von Sabine Kühl, Susanne Bertels und Hildegard Scheele-Fuchs
    aus der gemei nsc haft                                                                 40 Nachruf auf Irmgard Noske
    18 Ältestenratswahl 2020 – Bericht des Nominierungs- und                                   von Ines Appel und Doris Paland
        Wahlausschusses für die Wahl zum Ältestenrat 2020                                  42 Nachruf auf Jürgen Berg
        von Runhild Jasper-Koch                                        2020                    von Jürgen Laage
    20 Ein Beispiel ist uns gegeben                                                          4 Nachruf auf Karl-Heinz Schottowski
        von Jan-Peter Wilckens                                                                 von Klaus-Rainer Martin
     21 Auf dünnem Eis                                                                     46 Nachruf auf Rolf Siebrecht
        Gedanken zu Corona im ersten Lockdown mit der Erfahrung des zweiten                    von Claudia Rackwitz-Busse
        von Ute Zeißler                                                                    48 Nachruf auf Erhard Schübel
    23 Klosterwochenende in Nütschau                                                           von Volker Krolzik
        von Manfred Niemann                                                                 51 Nachruf auf Herbert Heidrich
    24 Wochenendkonvikt des Konvikts Niedersachsen, 19.–21. 6. 2020                            von Hans-Jürgen Kaiser
        von Christiane Rose                                                                54 Te r mi n e
    26 Leben in einer Warteschleife                                                        56 EMPFEH LUNGEN
        Ein Erfahrungsbericht über die Situation von Geflüchteten in Griechenland          56 Wo wir am Ende sind, ist es eine große Erlaubnis: wieder anfangen zu dürfen
        von Julia Stoeckert                                                                    Ein Andachtsbuch im besten Sinn von Harald Ihmig
    29 Rauhhäusler Diakone auf Sansibar                                                        von Joachim Weber
        Wie kamen Rauhhäusler Diakone um 1890 nach Sansibar                                58 Blüte des Alters
        und was machten sie dort?                                                          59 Impr e ssum
        von Johannes Paehl
DAS TH EM A                                                           Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                            DAS TH E M A

    Brüder- und Schwesterntag 2020                                                          Das große JA!
    12. September 2020 im Rauhen Haus                                                       Impulsvortrag, gehalten auf dem Brüder- und
                                                                                            Schwesterntag am 12. September 2020 im Rauhen Haus
                                                                                            Liebe Schwestern und Brüder!
                                                                                               Ich freue mich sehr, an diesem Brüder-
6                                                                                           und Schwesterntag nicht nur teilzuneh-
                                                                                                                                                                                       7
                                                                                            men, sondern ihn auch mit verantworten
                                                                                            zu dürfen – in neuer Rolle. Viele von euch
                                                                                            kenne ich seit vielen Jahren ebenso wie
                                                                                            die Gemeinschaft, deren Mitglied ich nun
                                                                                            auch bin. Und doch ist es neu: die Rolle,
                                                                                            damit die Perspektive – und dann auch
                                                                                            noch diese besondere, durch Corona be-        In neuer Rolle: Bruder Andreas Theurich
                                                                                            dingte Situation. Ich bin sehr gespannt
                                                                                            auf diesen Tag und auch auf die besonde-      Machtergreifung 1933 sei und wir das
                                                                                            re Form der Einsegnung und Aufnahme           doch vielleicht im Zeitalter von facebook
                                                                                            morgen.                                       und anderen lassen sollten, zumal es ge-
                                                                                               In meinen Impuls will ich mit zwei klei-   rade auch unter unseren Jugendlichen
    Ein wunderbarer Tag! Rund 90 Brüder        und der Brüder- und Schwesternschaft.        nen Anekdoten einsteigen.                     durchaus rechte Tendenzen gibt. Es war
    und Schwestern trafen sich am 12. Sep-     Die Fragen nach der Zukunftsfähigkeit,          Als wir vor einigen Wochen über den        klar, dass wir uns mit einem NEIN posi-
    tember 2020 im Wichern-Forum im Rau-       den Qualitäten und Herausforderungen         Neubau der Alten Bäckerei hier auf dem        tionieren mussten zu dieser eigentlich
    hen Haus zum Brüder- und Schwestern-       für unsere Gemeinschaft regten zu Dis-       Gelände gesprochen haben, um über ei-         guten Idee.
    tag mit Mitgliederversammlung.             kussion an und motivierten für einem         nen Namen für das dort integrierte Café         Zweite Anekdote: Am Montag hatten
      Weitere 20 Brüder und Schwestern         Prozess dazu.                                zu beraten (es sollte nicht Amandas 2.0       wir die geniale Idee, in Corona-Zeiten ei-
    nahmen digital teil. Eine Premiere, die      Das Picknick bei Sonnenschein auf dem      heißen), waren wir nach einiger Zeit froh,    nen kleinen Videoclip zum 187. Stiftungs-
    rundum gelungen ist!                       Rasen mit den Kirchentagspapphockern         uns einigen zu können. Das Café sollte        geburtstag zu drehen, den wir wiederum
      In unserer Andacht zum Beginn ge-        wurde zum Höhepunkt, weil wir das Mot-       einfach 1833 heißen, verbunden mit einer      auf facebook veröffentlichen wollten. Die
    dachten wir der seit dem letzten Brü-      to „Mit Abstand sind wir uns nahe“ damit     kleinen Erläuterung dachten wir, das sei      Idee war, mit einer paar Worten zum Ge-
    der- und Schwesterntag Verstorbenen,       umsetzen konnten.                            ein netter Name mit Bezug zu unserer          burtstag drei Zahlen-Luftballons steigen
    für uns alle ein wichtiger Moment in der     Am Nachmittag fand die Mitglieder-         Stiftung. Bis uns am nächsten Tag einer       zu lassen, 1 – 8 – 7 eben, und dazu etwas
    Gemeinschaft.                              versammlung mit der Wahl zum Ältes-          der an der Beratung Beteiligten nach          zu sagen (die Luftballons seht ihr hier
      Am Vormittag hörten wir den Vortrag      tenrat statt. Der neue Ältestenrat wurde     durchgoogelter Nacht darauf aufmerk-          hinter mir).
    „Das große JA“ von Dr. Andreas Theurich,   in der Abendandacht zum Abschluss des        sam machte, dass 1 – 8 – 33 ein neonazis-       Am Abend vor dem Dreh habe ich mei-
    Vorsteher der Stiftung Das Rauhe Haus      Tages in sein Amt eingeführt.                tisches Symbol für Adolf Hitler und die       nem Sohn davon erzählt, der nur lächel-
DAS TH EM A                                                               Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                          DAS TH E M A

    te und meinte, das sollten wir mal lieber     dem großen NEIN zuerst, mit dem gro-          da, richten sich letztlich als Kritik gegen   eine positive Positionsbestimmung ent-
    lassen, wenn wir keinen running gag im        ßen JA danach und beides in Beziehung         die üblichen Verfahren von Entschei-          scheidend: Die Richtschnur des eigenen
    Internet produzieren wollen. „187-Stra-       setzen zueinander und dann zu uns als         dungsfindung, weil diese als nicht ausrei-    Lebens und Glaubens sollte unmittelbar
    ßenbande“ ist eine der bekanntesten           Gemeinschaft.                                 chend erscheinen. Protestbewegungen           die Heilige Schrift (und nicht die Lehre der
    Hamburger Gangsta-Rapper-Gruppen,                Wann sagen wir NEIN zu etwas? Ich          sind so etwas wie heimliche Vetospie-         Kirche) sein, das berühmte sola scriptura.
    deren Texte man lieber nicht hören            meine nicht NEIN so nebenbei, so als          ler unserer Gesellschaft. Ein Vetospieler     Protestantismus von daher und auch im
    möchte und die tatsächlich regelmäßig         wäre es eigentlich bedeutungslos: „Nein,      kann durch seine Kritik, seinen Protest       eigentlichen Wortsinn ist nicht gegen et-
    wegen irgendwelcher krimineller Akti-         da bin ich anderer Meinung“ oder „Nein,       etwas verhindern, weil er dazu berufen        was gerichtet, sondern es hat eine positi-
8   onen in BILD und MOPO, vor allem aber         das möchte ich lieber nicht“. Ich meine       ist und eine Grundlage dazu hat. So etwa      ve Konnotation: Es bedeutet Zeugnis ab-
                                                                                                                                                                                             9
    im Internet auftauchen. 187 ist die Num-      NEIN ziemlich laut, klar und deutlich und     wie das Bundesverfassungsgericht zum          legen, für etwas stehen, für eine Idee, ein
    mer des Paragraphen im kalifornischen         proaktiv, so dass es dahinter auch kein       Beispiel, das ja politische Entscheidun-      Ziel, eine Überzeugung. Erst diejenigen,
    Strafgesetzbuch, in dem Mord behandelt        Zurück mehr gibt. Ich meine nicht NEIN        gen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen        die das anders sehen, empfinden dieses
    wird. Jugend- und andere Gangs haben          als Antwort auf eine Frage, die mir je-       und gegebenenfalls die Exekutive be-          Zeugnis als Protest! Jedem Protest und
    die Zahl aufgegriffen und benutzen sie        mand stellt – und die ich dann eben mit       grenzen soll. Protestbewegungen wollen        jedem NEIN! liegt somit eigentlich ein JA!
    als Drohung. „187-Straßenbande, eh Alter,     nein beantworte, sondern ein NEIN als         das auch, so Nassehi, und sie tun deshalb     zugrunde. Der Anlass dieses JA zu sagen
    Vorsteher Rauhes Haus gehört jetzt auch       ungefragter Protest gegen etwas, was          auch so, als gäbe es keine Alternativen,      ist allerdings ein negativer: Indem ich JA
    dazu!“ – das wäre so das, was ich mir         geschieht oder geschehen soll, was ent-       sondern als ginge immer um die Wurst.         zu etwas sage, sage ich eben auch NEIN
    wünschen würde.                               schieden wurde.                               Protest ist aber kein offizieller Vetospie-   zu etwas anderem, das den Anlass gibt,
      Warum erzähle ich das?                         Das ist ungefähr der Ansatz, den ein       ler, sondern eher ein ungebetener Gast,       JA zu sagen. Das JA hat es deshalb auch
      Mit allem, was wir tun als Rauhes Haus,     sehr spannendes kleines Buch des Sozio-       der durch sein Erscheinen eben die nicht      viel schwerer. Das JA ist nämlich schein-
    mit allem was wir tun – oder eben auch        logen Armin Nassehi verfolgt, das er kurz     ausreichend besprochenen Themen auf           bar selbstverständlich und wird nicht so
    nicht tun als Diakoninnen und Diakone,        vor Corona Anfang des Jahres veröffent-       die Agenda bringt – wohl wissend, dass        oft angefragt. Das JA setzt voraus, dass
    als Brüder- und Schwesternschaft –, wer-      licht hat. „Das große Nein“ – so der Titel    seine alternativlosen Forderungen sich        wir uns einig sind, ich muss es nicht extra
    den wir sichtbar, heute vielleicht mehr als   des Buches. Nassehi bearbeitet darin die      nie in Gänze werden durchsetzen lassen.       betonen oder ansprechen.
    je zuvor. Und wie immer wir uns entschei-     Frage, wie in unserer Gesellschaft heute         Uns als Gemeinschaft von evange-             Nun ist die Frage: Haben wir aktuell als
    den auch bei den beiden Beispielen eben,      Protest entsteht, Protest als Ausdrucks-      lischen Diakoninnen und Diakonen              Gemeinschaft einen solchen Anlass, un-
    machen wir sichtbar, wozu wir uns wie         form von Kritik, von kritischer Positio-      müsste das ganz vertraut vorkommen.           ser JA zu betonen? Vorab natürlich: Was
    verhalten: ob wir NEIN sagen zu etwas         nierung gegen vor allem politische oder       Wir sind ja nun mal Protestanten, dia-        ist für uns wichtiger: Das große NEIN!
    oder JA oder WEDER NOCH. Indem wir            ökonomische       Entscheidungsprozesse.      konische Protestanten, oder?! Und als         Oder das große JA!? Also das, was uns
    von beiden Ideen abgerückt sind, haben        Die These des Buches lautet kurz gesagt,      Protestanten definieren wir uns ja auch       ausmacht, wofür wir stehen, was wir sind
    wir uns natürlich auch den eventuellen        dass Protest immer eine Form des Wider-       über den Protest und die Kritik gegen et-     und sein wollen in Kirche, Diakonie und
    Möglichkeiten einer medialen oder gar         standes ist, die sich gegen und jenseits      was, oder?! Protestantismus war aber ur-      Gesellschaft. Wenn Nassehi sagt, der An-
    politischen Ausschlachtung ergeben. Wir       der institutionellen Formen von Kritik        sprünglich eine Fremdzuschreibung der         lass, das JA zu betonen sei meist ein nega-
    haben nichts riskiert – und damit weder       und Opposition zu Wort meldet. Die mo-        Kirche beziehungsweise der Kurie, die die     tiver, ein kritischer also, welcher wäre das
    deutlich JA noch NEIN gesagt.                 dernen Protestbewegungen wie Fridays          kritisch Oppositionellen eben als Protes-     für uns als Gemeinschaft?
      Mit dem NEIN und dem JA möchte ich          for Future, die Occupy-Bewegung – aber        tanten bezeichnete. Im Selbstverständ-          Gemeinschaften im Diakonat sind heu-
    mich beschäftigen heute Vormittag. Mit        auch unsympathische Formen wie Pegi-          nis des Protestantismus war eigentlich        te kaum mehr Protestgemeinschaften.
DAS TH EM A                                                                 Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                        DAS TH E M A

     Jedenfalls sind sie mir bisher so nicht auf-      Erstens die Veränderung unserer Kirche      legen. Es wird aber natürlich nicht klar,   betrifft, für die wir arbeiten, und auch die
     gefallen, obwohl es immer mal wieder           hin zu einer zunehmend marginalisier-          welche Funktion, welche Bedeutung und       Mitarbeitenden sind zunehmend divers
     Protest gibt und gab – gern auch an Ent-       ten Minderheitenkirche, in der wir ein         welchen besonderen Wert unsere Arbeit       in jeder Hinsicht. Auf Ebene der Leiten-
     scheidungen der Vorsteher des Rauhen           öffentliches Amt als Diakoninnen und Di-       in einer kleiner werdenden Kirche haben     den sieht das aber leider noch ganz an-
     Hauses oder Veränderungen der Ausbil-          akone innehaben.                               kann.                                       ders aus. Ist das struktureller Rassismus?
     dung etwa. Es mag dennoch Negativan-              Ich finde, es ist nicht einfach, sich als     Das gilt nun in besonderer Weise si-      Auf alle Fälle sieht das aus wie ein „closed
     lässe von Entwicklungen oder Entschei-         Repräsentant einer solchen sich verän-         cher für unsere Landeskirche, in der ich    shop“.
     dungen geben, die uns den Anlass geben         dernden Institution zu verstehen. Zumal,       tatsächlich ein Programm, eine Strategie      Also heißt das JA: Diakonische Gemein-
10   können, das eigene JA noch einmal neu          wenn wir uns selbst in dieser Organi-          vermisse, wie sie in anderen Landeskir-     schaften sind kein closed shop, sondern
                                                                                                                                                                                              11
     zu denken und zu sagen: Das ist der An-        sation Kirche als Individuen oder auch         chen eher zu finden sind, wenn dort etwa    ein open house und eine open commu-
     satz und die Einladung für heute.              als Gemeinschaft nicht immer zu Hause          Gemeindeleitung in einem multiprofes-       nity. Und, ja, das heißt auch positiv anzu-
       Nun, gesellschaftlich muss man nicht         fühlen. Welche Rolle werden wir spielen        sionellen Mix neu gedacht wird. Diako-      nehmen, dass Mitgliedschaft zukünftig
     allzu weit ausholen, um viele Anlässe zu       in dieser sich verändernden Kirche? Die        nische Gemeinschaften sind an dieser        keine gesetzlich geregelte Verpflichtung,
     finden, zu denen sich diakonisch etwas         Veränderungen werden ja teils drama-           Stelle gefordert zu beschreiben, welche     sondern eine freiheitlich getroffene
     sagen lässt in dieser Verschränkung von        tisch sein. Die Mitglieder werden weni-        Kompetenzen sie in eine Minderheiten-       Selbstverpflichtung als Antwort auf eine
     NEIN und JA. Wenn wir JA sagen zu Men-         ger, der Nachwuchs wird fehlen, die Gel-       kirche wie einbringen können und wollen     Einladung ist. Es ist kein Mangel, dass
     schenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität,        der werden schwinden, damit verbunden          – und das ist richtig Arbeit. In unserem    morgen von den 14 Einzusegnenden nur
     zu Inklusion und Teilhabe, zu Vielfalt der     die öffentliche Relevanz. Teilweise ist das    Denkmodell von JA und Nein ist der Ne-      sieben in unsere Gemeinschaft eintreten
     Religionen und Kulturen, dann zeigt sich,      sicher auch selbstverschuldet, es gibt so      gativanlass das Schwinden der Finanzen,     werden. Und wir sollten auch zu diesen
     dass es viele Anlässe gibt, in denen Dia-      einen Trend zur Selbstsäkularisierung,         der bekannten Strukturen, der Nach-         JA sagen als Brüder und Schwestern! Das
     konie ihr JA mit dem NEIN des Protestes        wie schon Wolfgang Huber das vor vie-          wuchsmangel, die Kirchenaustritte und       JA lautet, wir sind eine Gemeinschaft, die
     gemeinsam mit anderen stark machen             len Jahren genannt hat, den wir im Lock-       die Säkularisierung unserer Gesellschaft.   sich ihrer selbst bewusst ist, und darum
     kann und stark macht. Ob und inwiefern         down der Coronazeit auch gespürt ha-           Da hinein müssen wir das JA formulieren,    auch nicht auf eine wie auch immer ge-
     sich daran auch Gemeinschaften oder Di-        ben. Es könnte ein Negativanlass sein,         das uns ausmacht.                           artete Anerkennung von außen angewie-
     akonische Träger und Unternehmen be-           dass Kirche in Größe und Bedeutung und           Und wir müssen es auch einlösen. Aus      sen ist. (Schon gar nicht durch ein Gesetz,
     teiligen, sei an dieser Stelle ausgeklam-      Handlungsspielräumen schwindet, um             meiner Sicht sind auch wir gefährdet,       das Gemeinschaft ja nicht für essenziell
     mert (sie folgen ja oft verschiedenen          das JA des Diakonischen auch als Reprä-        zunehmend einer Milieuverengung zu          hält.) Ich komme auf den Punkt noch zu-
     Logiken und sind durchaus heterogen).          sentanten und als Gemeinschaft neu zu          unterliegen, obwohl genau das nie der       rück.
       Interessanter finde ich für uns hier, wel-   bestimmen.                                     Kern diakonischer Arbeit war und sein         Zweitens: Professionalität!
     che kirchlichen Strömungen, Tendenzen,            Das neue Diakonen- und Gemeindepä-          darf. Dirk Ahrens sagt: „Das Problem be-      Durch die Gemischte Fachkommis-
     Entwicklungen uns als Gemeinschaft,            dagogendienstgesetz – DGpDG – macht            ginnt ja in der Kirche schon damit, dass    sion (GFK) der EKD wurde ein Prozess
     als professionelle Geschwisterschaft he-       es uns dabei nicht unbedingt leichter.         Mitgliedschaft und Mitarbeitende nicht      fortgesetzt, der schon vor vielen Jahren
     rausfordern könnten, unser JA neu und          Dort wird zwar das spezifische Zeugnis         ansatzweise die Vielfalt unserer Gesell-    mit der Erarbeitung der sogenannten
     deutlich herauszustellen.                      in der Kommunikation des Evangeliums           schaft abbilden. Wir leiden zunehmend       Kompetenzmatrix diakonischer Berufe
       Ich möchte nur drei Themen/Heraus-           beschrieben, das Diakon_innen in ihren         an unserer Milieu- und Kulturverengung      im Rahmen des VeDD begonnen hat. Es
     forderungen nennen, auf die bezogen wir        jeweiligen Handlungsfeldern verkün-            und werden demgemäß weniger. Das ist        geht in der GFK der EKD darum, die vie-
     das große JA hin denken könnten.               digend, unterstützend oder bildend ab-         in der Diakonie besser, was die Menschen    len unterschiedlichen Zugänge zur diako-
DAS TH EM A                                                                  Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                        DAS TH E M A

     nischen oder gemeindepädagogischen             Dazu gehört nicht nur praktisches son-            Ich hatte es schon vorhin angedeu-        chen Zugänge zur Gemeinschaft und zur
     Beruflichkeit in ihrer Professionalität und    dern auch theoretisches Wissen.                 tet. Für uns als Gemeinschaft wird es       Gestaltung und Organisation von Ge-
     ihren Kompetenzen zu beschreiben, zu             Für mich ist der Zugang zunehmend             zunehmend wichtig sein, das JA zur Ge-      meinschaft für uns denkbar sind, wenn
     ordnen und sie verbindlich und vergleich-      der einer religions- und kultursensiblen        meinschaft aufzuschlüsseln in sehr be-      die Dinge sich verändern. Es gibt mittel-
     bar zu machen. Ich will über den Prozess,      Wahrnehmung und Eröffnung von Le-               wusst unterschiedlich gestaltete und        fristig mit Sicherheit kein „Weiter so“!
     an dem ich bis zu meinem Amtswechsel           bensmöglichkeiten geworden. Und das             angebotene Formen des Zugangs und              Ich hatte ja unvorsichtigerweise mei-
     mitgewirkt habe, gar nichts weiter sagen.      heißt auch ein JA viel stärker hin zum          der Mitgliedschaft. Im Ältestenrat haben    nen Impuls unter die Überschrift „Das
     Entscheidend für uns ist, dass wir auch        Religiösen ragen, zum Unbestimmten              wir bereits darüber nachgedacht – unter     große JA!“ gestellt. Und nun vermisst Ihr
12   als Gemeinschaft das Thema Professio-          oder Eröffnenden – eben weil es nichts          anderem auch aus Anlass der in einigen      sicher genau dieses JA als eine Positionie-
                                                                                                                                                                                              13
     nalität viel bewusster annehmen, als das       Bestimmtes mehr gibt. Diakonische Pro-          Bereichen großen Schwierigkeiten, die       rung des neuen Vorstehers. Deshalb noch
     vielleicht bisher der Fall war. Wir sind ein   fessionalität heißt nicht, eindeutige Ant-      vorhandenen Strukturen der Konvikte         einmal ganz knapp und in einer zur Dis-
     professionelles Netzwerk, und das müs-         worten zu geben. Professionalität heißt,        zu füllen und aufrechtzuerhalten. Ge-       kussion hin öffnenden Form:
     sen wir auch beschreiben und ernstneh-         damit umzugehen, dass aus der religiö-          meinschaft gestaltet sich zunehmend in         Ja zu einer offensiven Gemeinschaft!
     men. Deshalb ist die Verbindung zu einer       sen Bestimmtheit und Sicherheit längst          loseren Verbindungen, digitale Formen          Ja zu einer professionellen Gemein-
     Ausbildungsstätte wie der unseren hier         die Möglichkeit und Aufgabe geworden            der Kommunikation spielen eine größere      schaft!
     im Rauhen Haus so wichtig. Das JA zur          ist, das Unbestimmte, die Unsicherheit          Rolle, die sogenannte Intergenerativität,      Ja zu einer differenzierten Gemein-
     Professionalität heißt für mich immer          und die Widersprüche unserer Welt aus-          also der Austausch zwischen ganz unter-     schaft!
     noch ein JA zur Doppel- oder Mehrfach-         zuhalten.                                       schiedlich geprägten Generationen von          Ich bin sehr gespannt, wie wir diese und
     qualifikation in einem gestuften System          Für uns als Gemeinschaft wünsche ich          Schwestern und Brüdern, muss neu ge-        weitere Positionierungen als diakonische
     von Bachelor-, Master und Promotions-          mir für die Zukunft noch viel klarer, dass      dacht werden.                               Gemeinschaft miteinander in Richtung
     niveaus.                                       wir uns als Gemeinschaft von Profis ver-          Damit verbunden ist auch die Heraus-      Zukunft durchdiskutieren werden. Ich
       Dabei ist wichtig, die Integration oder,     stehen und dies auch verstärkt zeigen.          forderung, Gemeinschaft zu gestalten        freue mich, daran mitwirken zu können
     von mir aus, die Interdisziplinarität viel     Auch hier ist ein Negativanlass für das JA      und zu leiten, wenn finanzielle und mate-   – und vielleicht lassen wir am Ende den
     stärker hervorzubringen. Mir scheint           gegeben. Die Abschlüsse unserer Hoch-           rielle Ressourcen geringer werden. Auch     einen oder anderen Luftballon miteinan-
     es manchmal, als würden viele die Aus-         schule lassen teilweise zu wünschen üb-         dies ist ein Negativanlass, neu darüber     der steigen. Vielen Dank!
     bildung so sehen, als könne man das            rig. Das liegt sicher an vielen Faktoren. Als   nachzudenken, welche unterschiedli-                                   Andreas Theurich
     Diakonische lernen und das Sozialwis-          diakonische Gemeinschaft von Professio-
     senschaftliche so mitnehmen – oder um-         nellen sollten wir die Studierenden enger
     gedreht, als könne man das Diakonisch-         begleiten und sie eben darin stärken, dass
     Theologische lediglich auf das Herz am         die Doppelqualifikation unabdingbar ist
     rechten Fleck und die richtige Haltung         im Sinne des eben beschriebenen pro-
     reduzieren und dann würde das schon            fessionellen Handelns. Und das heißt, es
     reichen. Das JA zur Professionalität heißt     muss auch beides gleichermaßen ernst-
     aber JA zur Integration verschiedener Zu-      genommen werden – von den Lehrenden
     gänge zum Verstehen von Menschen in            ebenso wie von den Studierenden.
     ihren Lebenswelten, Bedürfnissen und             Drittens: neue Formen von Mitglied-
     diversen Vorstellungen und Prägungen.          schaft und Partizipation.
DAS TH EM A                                                                 Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                        DAS TH E M A

     Picknick auf grünem Gras –                                                                    Eindrücke vom Einsegnungs-
     ein Zwischenruf                                                                               und Aufnahmegottesdienst
     Eben haben wir uns vor der Mittagspause                                                       Zwei in einem und Corona
     gemeinsam auf unseren Atem konzent-
     riert. Die Hände lagen auf dem eigenen                                                        Es sollte ein Gottesdienst sein: Die Ein-     Die Musik bot einen Ausgleich für den
     Bauch und nahmen die wiegende Bewe-                                                           segnung der Diakone und Diakoninnen         fehlenden Gemeindegesang. Das Solo
14   gung des Atems auf: Gott gab uns Atem                                                         der Nordkirche und die Aufnahme in die      von Orgel und Trompete, der Gesang von
                                                                                                                                                                                             15
     … Vielleicht hat sich hier und da wäh-                                                        Brüder- und Schwesternschaft des Rau-       Bischöfin Fehrs und Bruder Axel Mangat
     renddessen auch der Magen gemeldet?                                                           hen Hauses. In diesem Jahr kam dazu         und sein Gitarrenspiel wurde zum echten
        Gebt ihr ihnen zu essen! Logistische                                                       die Herausforderung, den Gottesdienst       Höhepunkt des Gottesdienstes.
     Herausforderung bei diesem von Corona-                                                        mit dem nötigen Hygienekonzept zum            Für unsere Gemeinschaft war der Got-
     Auflagen geprägten Brüder- und Schwes-                                                        Schutz vor dem Covid-19-Virus zu planen.    tesdienst in vielerlei Hinsicht eine Pre-
     terntag. In den Evangelien gibt es dazu                                                         Im Diakonenbüro und bei der Konvikt-      miere. Das Selbstverständliche, dass Ein-
     unterschiedliche Erzählungen.                                                                 meisterin liefen die Fäden zusammen.        segnung und Aufnahmen auch liturgisch
        Als nun der Tag fast vorüber war, traten    alle werden satt. Ein vertiefter Blick auf     Die Bischofskanzlei von Bischöfin Kirsten   zusammengehören, wird zu zwei eigen-
     seine Jünger zu ihm und sprachen: Es ist       die Sättigungs-Bedürfnisse unserer Zeit.       Fehrs war gute Partnerin in der Planung     ständigen Teilen in der Liturgie. Diese Er-
     öde hier und der Tag ist fast vorüber; lass       Die Erzählung von Markus unterschei-        für den Gottesdienst. Das Landeskirchen-    fahrung haben wir dieses Jahr das erste
     sie gehen, damit sie in die Höfe und Dör-      det sich von den anderen durch einen           amt bearbeitete die vierzehn Anträge zur    Mal deutlich erlebt. Wie wurde der Got-
     fer ringsum gehen und sich Brot kaufen.        kleinen, überraschenden Hinweis: Und           Einsegnung, das Diakonenbüro die sie-       tesdienst also empfunden? Vier Teilneh-
        Er aber antwortete und sprach zu ih-        er gebot ihnen, dass sie sich alle lagerten,   ben Anträge zur Aufnahme.                   mende berichten von ihren Eindrücken.
     nen: Gebt ihr ihnen zu essen! … wie viel       tischweise, auf das grüne Gras. In der als
     Brote habt ihr? Geht hin und seht! … Und       öde beschriebenen Gegend sitzen Men-
     er gebot ihnen, dass sie sich alle lagerten,   schen in Gruppen plötzlich auf grünem          Freude                                      gen der derzeitigen Situation war es ein
     tischweise, auf das grüne Gras … Und er        Gras!                                          Die Glocken läuten, die angehenden Di-      Gottesdienst der besonderen Art. Nach
     dankte und brach die Brote und gab sie            Ja, der staubige Schulhof wurde unter       akoninnen und Diakone stehen in einem       einem Studium, in dem wir in den letzten
     den Jüngern, damit sie unter ihnen aus-        „Gottes Atem“ und Dank zur grünen Wie-         großen Kreis – mit Abstand – auf dem        drei Jahren durch kritische Auseinander-
     teilten, und die zwei Fische teilte er unter   se! Ich habe sie gesehen! Markus weiß          Vorplatz der Dreifaltigkeitskirche. Die     setzungen und produktive Gespräche
     sie alle. Und sie aßen alle und wurden         genau, was er ausdrücken möchte: Ein           strahlenden Gesichter werden von der        unsere diakonische Haltung und Iden-
     satt (Markus 6, 30–44).                        Bild für das große JA, wenn Öde zur Oas‘       Sonne begleitet an diesem späten Som-       tität ausgeprägt und entwickelt haben,
        Da sitzen wir nun in kleinen Gruppen        wird. Ein ermutigendes Bild für diakoni-       mertag und doch ist auch eine Aufregung     wurde mit viel Liebe und Anerkennung
     mit auferlegtem Abstand auf Pappho-            sche Gemeinschaft.                             und Spannung zu spüren, da mit diesem       unser Abschluss gewürdigt. Auch wenn
     ckern, eine gefüllte Picknick-Tüte in den         Solche Verwandlung war atmosphä-            Tag nun tatsächlich das Studium und         wir im Gottesdienst nicht singen durften,
     Händen und die Schar von Jünger_innen –        risch auch sonst zu spüren.                    die Ausbildung abgeschlossen werden.        wurden durch die gespielten Lieder und
     meist gar nicht sichtbar – organisiert. So                             Jan-Peter Wilckens     Mit dem Segen der Bischöfin ziehen wir      liebevollen Worte dennoch Erinnerungen
     bilden sich Oasen der Gemeinschaft. Und                                                       in die Kirche ein. Trotz oder gerade we-    an all die großartigen Erlebnisse und Er-
DAS TH EM A                                                                  Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                                 DAS TH E M A

     fahrungen wach, die mich in dieser Aus-       fünf anderen dem Einsingen von Kirsten
     bildung begleitet haben. Gern erinnere        Fehrs und Axel Mangat lauschen, das die
     ich mich an die gemeinsame Israelreise,       fast leere Kirche gefüllt und erfüllt hat.
     die Kirchentage und die vielen besonde-       Im Gottesdienst dann noch einmal. Die
     ren Momente bei uns im Rauhen Haus.           coronabedingten Lücken auf den Bänken
     Waren wir vor drei Jahren noch Kommi-         waren nicht überraschend, aber doch ei-
     litonen und Kommilitoninnen, sind wir         genartig: einsam sitzen in Gemeinschaft.
     im Laufe der Zeit Freunde und Freundin-         Wirklich widersprüchlich war dann die
16   nen geworden und nun sogar Brüder und         Trennung von Einsegnung und Aufnahme.
                                                                                                                                                                                                       17
     Schwestern. Dafür bin ich dankbar und         Die Freude, dass so viele sich einsegnen
     freue mich über die Würdigung, die wir        lassen, die ich in ihrem Studium erleben
     an diesem Tag durch die Evangelische          und begleiten durfte, stand im Kontrast zu
     Hochschule, die Landeskirche und die          der sichtbaren Trennung in Eingesegnete
     Brüder- und Schwesternschaft erfahren         und Aufgenommene. Zwei Kreise, zwei Ri-
     haben.             Nico Mahrt-Thomsen        tuale. Das provoziert ungewollt Bilder von
                                                   unterschiedlichen Sorten von Geschwis-
     Innig                                         tern, obwohl sie das nicht sind!                 Gruppenbild mit neuen Brüdern und Schwestern: Kirsten Fehrs, Andreas Theurich, Martin Leim-
     Der Einsegnungsgottesdienst der Dia-            Die Konsequenzen des Diakonengeset-            bach, Dirk Drewelow, Maria-Katharina Schulz, Friederike Stöver, Nico Mahrt-Thomsen, Luise
     koninnen und Diakone hatte für mich           zes wurden sehr spürbar und sehr sichtbar.       Westecker, Brigitte Wever, Claudia Rackwitz-Busse (von links, es fehlt Marie-Josephine Gomolzig)
     eine ausgesprochene Tiefe – gerade in         Das hat Fragen zurückgelassen, mit denen
     Anbetracht der pandemiebedingten be-          ich aus dem Gottesdienst gegangen bin            Zwei Gottesdienste                                schaft noch mit der Einsegnung zu tun?
     sonderen Situation war die Stimmung           und die mich weiter bewegen. Wer hatte           Am liebsten hätte ich im Rückblick einen          Diese ist aus meiner Sicht jetzt aus-
     sehr dicht, die Gemeinschaft sehr innig.      welche Rolle in diesem Gottesdienst und          eigenen Gottesdienst nur zur Aufnah-              schließlich eine Veranstaltung der Lan-
     Es war spürbar: Jeder und jede ist zutiefst   wie sieht das künftig aus – Hochschule,          me in die Brüder- und Schwesternschaft            deskirche.
     dankbar, diesen Gottesdienst jetzt feiern     Nordkirche, Brüder- und Schwestern-              gefeiert, mit den dann schon irgendwo               Und schon sind wir mitten im Thema,
     zu können, in der Gemeinschaft mit den        schaft? Kann dies ein Festgottesdienst           anders (Michel?) eingesegneten neuen              welchen Platz die Diakonie in der verfass-
     Schwestern und Brüdern, und mit Gott in       und Höhepunkt der Brüder- und Schwes-            Schwestern und Brüdern. Von ganzem                ten Kirche hat. Und dass wir uns bis heute
     ihrer Mitte. Ein sehr berührender Gottes-     terntage bleiben (das war es für mich bis-       Herzen!                                           nicht gut und vernünftig geordnet haben.
     dienst!           Pastorin Tatjana Pfendt,   lang immer)? Und weiter gedacht: Welche            Die ganze Zeit dachte ich beim Feiern,          Ich sehe hier eine ungeklärte Verzahnung
           Persönliche Referentin der Bischöfin   Rolle hat unsere Gemeinschaft für das            ob die Geschwister, die ( jetzt noch) nicht       von Aufträgen in der Nachfolge Jesu. Die
                                                   Diakonat und die Kirche? Diese Frage ist         aufgenommen werden wollten, über-                 Entscheidung, die Gemeinschaftsbin-
     Widersprüchlich                               nicht neu, nach dem Gottesdienst aber            haupt mit der Beteiligung der Brüder-             dung aus dem Gesetz zu streichen, war
     Sehr widersprüchlich und eigenartig im        lebendiger und drängender. Dass die Pre-         und Schwesternschaft an „ihrer“ Einseg-           vielleicht der Anfang einer notwendigen
     Wortsinne habe ich den diesjährigen Ein-      digt selbst kraftvoll, politisch und klar war,   nung einverstanden waren?                         Reformation unserer Kirche, die wehtun
     segnungs- und Aufnahmegottesdienst            hat die Widersprüchlichkeit nicht aufge-           Im besten Fall waren sie es. Was aber,          könnte und die uns mit alten Traditionen
     erlebt. Ein wunderbarer Beginn. Bevor der     löst, mit der ich nach Hause gefahren bin,       wenn beim nächsten Mal jemand das                 brechen lässt. Aber wovor sollten wir uns
     Gottesdienst losging, konnte ich mit etwa     eher im Gegenteil.               Tilman Lutz    nicht möchte? Was hat unsere Gemein-              fürchten?                  Guido Merten
aus der g emei nsc haft                                                             Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                  au s d e r g e m e i n s c haf t

     Ältestenratswahl 2020                                                                                                                                                                        Helen Joachim,
                                                                                                                                                                                                  Nicola Ahrens-

                                                                                          2020                                                                                                    Tilsner, Clau-
     Bericht des Nominierungs- und Wahlaus-                                                                                                                                                       dia Rackwitz-
                                                                                                                                                                                                  Busse, Andreas
     schusses für die Wahl zum Ältestenrat 2020                                                                                                                                                   Theurich, Dag-
                                                                                                                                                                                                  mar Krok, Fried
     Mit großer Freude hatten wir, Marco                  Im Mai 2020 haben wir aus den einge-                                                                                                    Germer, Niclas
                                                                                                                                                                                                  Rabe und Ste-
     Schramm, Brigit Dethlefs und Runhild                 reichten Vorschlägen den Wahlaufsatz
18   Jasper-Koch, die Arbeit als Wahl- und                erstellt.
                                                                                                                                                                                                  fan Harms (von     19
                                                                                                                                                                                                  links; nicht mit
     Nominierungsausschuss übernommen.                      Unser Dank geht an alle Kandidatinnen                                                                                                 auf dem Bild:
     Wir haben in guter Weise zusammenge-                 und Kandidaten, die sich zur Wahl ge-                                                                                                   Alexandra Koch)
     arbeitet. Die Mitglieder wurden im März              stellt haben.
     2020 über das Wahlverfahren informiert.                Von der Möglichkeit der Briefwahl
                                                          haben coronabedingt viele Brüder und
                                                                                                            R ü c ksc h au B e i e i n e m g ute n Tropfe n       Dazu gehörte auch das Treffen des Ältestenrates
      Hallo, das si n d wi r !                            Schwestern Gebrauch gemacht. Unsere
                                                                                                            Grazie! Der spätsommerliche Abend am Hambur-          mit Landespastor Dirk Ahrens und Katharina von
      Der neue Ältestenrat trifft sich knapp drei         Aufgaben endeten mit der Durchführung             ger Hafen verlieh dem Dankeschön an den alten         Fintel aus der Kirchenleitung.
      Wochen nach seiner Wahl – coronagerecht mit
                                                          der Wahl zum Ältestenrat in der Mitglie-          Ältestenrat ein italienisches Flair. Mit Genuss und   Im Sommer 2019 gestaltete der Ältestenrat die
      Abstand, aber mit sehr viel Elan – im Rauhen
      Haus. Keine Anreise ist zu weit, ob von München     derversammlung am 12. September 2020.             etwas Wehmut schauten alle auf die vier Jahre         Segensandacht und die Verabschiedung der
                                                          Aus den 138 gültigen Stimmzetteln der             gemeinsamer Arbeit im Ältestentrat zurück.            Brüder- und Schwesternschaft von Bruder
      oder Kiel. Das klappt schon gleich sehr gut. Alle
                                                                                                            Dem Ältestenrat gehörte bis Februar 2019 auch         Friedemann Green, der als Vorsteher der Stiftung
      freuen sich auf die Zusammenarbeit und die
                                                                                                            Runhild Jasper-Koch als gewählte Vertreterin der      Das Rauhe Haus in den Ruhestand ging.
      Aufgaben für die Amtszeit von 2020–2024.
                                                                                                            Delegiertenversammlung an, die von Alexandra          Pastor Dr. Andreas Theurich übernahm das Amt
      Auf gutes Gelingen!
                                                                                                            Koch in der Legislaturperiode abgelöst wurde. Die     des Vorstehers ab Oktober 2019.
                                                                                                            Amtszeit von 2016 bis 2020 wurde nie langweilig.      Auf einer Klausur wurden miteinander Schwer-
                                                                                                            In sechzehn Sitzungsterminen im Rauhen Haus           punkte für einen Zukunftsprozess gesetzt.
                                                                                                            und bei zwei Klausurtagungen in Eisenach und          Die Themen wurden an den neu gewählten
                                                                                                            Hephata wurden vielfältigste Themen bewegt            Ältestenrat weitergegeben. Die Zusammenarbeit
                                                                                                            und beraten. Zwei Brüder- und Schwesterntage          der Brüder und Schwestern war immer kollegial
                                                                                                            und die Mitgliederversammlungen hat der Ältes-        und professionell. Es war allen eine Herzensan-
                                                                                                            tenrat verantwortet. Das Diakonendienstgesetz         gelegenheit, die Leitung der Gemeinschaft hoch
                                                                                                            (DGpDG) bestimmte bis zu seinem Beschluss in          engagiert und motiviert umzusetzen.
                                                                                                            der Landessynode die kirchenpolitische Arbeit.        Herzlichen Dank dafür an alle!

                                                                                                           Briefwahl und 62 gültigen, direkt abge-                Sie bilden zusammen mit den über die De-
                                                                                                           gebenen Stimmzetteln folgt das Wahler-                 legiertenversammlung gewählten Mit-
                                                                                                           gebnis:                                                gliedern Martin Leimbach und Brigitte
                                                                                                             In den Ältestenrat wurden Ute Zeißler,               Wever den Ältestenrat für die Legislatur-
     Martin Leimbach, Ute Zeißler, Reinhard Förtsch, Brigitte Wever, Nicola Ahrens-Tilsner, Niclas Rabe,   Dagmar Krok, Reinhard Förtsch, Niclas                  periode 2020–2024. Herzlichen Glück-
     Dagmar Krok, Andreas Theurich und Claudia Rackwitz-Busse (von links)                                  Rabe und Nicola Ahrens Tilsner gewählt.                wunsch!            Runhild Jasper-Koch
aus der g emei nsc haft                                                   Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                      au s d e r g e m e i n s c haf t

     Ein Beispiel ist uns gegeben                                                                  Nach dieser erneuerten maßgebli-
                                                                                                 chen Erfahrung bin ich beim Brüder- und
                                                                                                                                              ten Engel erkannt werden!
                                                                                                                                                Ich kann nur jedem empfehlen, als
                                                                                                 Schwesterntag unter dem Thema „Das           gerngesehener Gast an verschiedenen
     Im griechischen Lager sitzen tausende          Ich entdecke das Geschenk, das mir           große Ja“ von der Frage berührt, wie die     Angeboten dieser Gemeinschaft hin und
     Geflüchtete auf der Straße, aus bren-        diese Gemeinschaft an der Basis macht.         Kirche in Zukunft aussehen wird. Wie ein     wieder teilzunehmen, um dem Selbst-
     nendem Lager einmal mehr geflüchtet.         Mein Besuch in dieser von solcher Selbst-      Gasthaus, zitiere ich den verstorbenen       verständlichen Raum im Bewusstsein zu
     Betroffenheit auf der einen und Impulse,     verständlichkeit geprägten Lebens-             Theologen Jörg Zink. Er hatte immer den      geben und ermutigt zu gestalten und zu
     diese Menschen nicht allein zu lassen,       gemeinschaft bringt mich ins Gleich-           Blick der Verwandlung, die im genannten      handeln.
20   auf der anderen Seite, treffen auf admi-     gewicht. Als Gast partizipiere ich und         Brief an die Hebräer bildhaft Sprache fin-     Ein Beispiel ist uns gegeben!
                                                                                                                                                                                            21
     nistratives Gerangel auf politischer Ebe-    entdecke die Wohltat eines Beispiels: Ein      det. Welch eine Perspektive, wenn in Gäs-                             Jan-Peter Wilckens
     ne. Unerträglichkeit und eigene Hilflosig-   Beispiel habe ich euch gegeben, wird als
     keit machen sprachlos.                       Äußerung von Jesus überliefert; weniger
       So bin ich auf dem Weg zum Brüder-
     und Schwesterntag und machte Stati-
                                                  als Mahnung mit erhobenem Zeigefin-
                                                  ger, sondern als Ermutigung!
                                                                                                 Auf dünnem Eis
     on bei BROT UND ROSEN. Ich bin zum             Ich erinnere mich, als ich mit Jugendli-
     Frühstück eingeladen und sitze am Tisch      chen vor über 50 Jahren zum ersten Mal         Gedanken zu Corona im ersten Lockdown
     der Diakonischen Basisgemeinschaft in        nach Taizé kam, an eine gewisse Beschä-        mit der Erfahrung des zweiten
     Hamburg. Unsere Schwester Birke Klein-       mung. Die Art und Weise, wie wir unser
     wächter lebt seit fast 30 Jahren in dieser   Leben gestalteten, geriet angesichts der       Diesen Text habe ich für einen Oster-          Eigentlich geht es mir doch ganz gut.
     Lebensgemeinschaft und bietet mit wei-       auch dort präsenten Not und der selbst-        nachtsgottesdienst geschrieben, den ich      Kein Grund zum Klagen: Ich bin nicht
     teren Gastfreundschaft für obdachlose        verständlichen Lebensart von Einfachheit       mit zwei Kolleginnen, alle ohne Erfah-       allein; bin mit Mann, Tochter und Enkel
     Flüchtlinge.                                 und Gastfreundschaft in Konfrontation.         rung mit dem Medium, per Zoom gestal-        unter einem Dach. Wir kochen uns je-
       Wenn ich mich in Hamburg aufhal-           Der uns damals begleitende Bruder der          tet habe. Mittlerweile haben wir einen       den Tag etwas Schönes und entdecken
     te, bin ich hier gern Gast. Da geschieht     Gemeinschaft von Taizé, dem ich heute          relativ entspannten Sommer hinter uns        Hamburg per Rad ganz neu, Sonnenun-
     etwas Besonderes. Ich fühle mich in der      noch freundschaftlich verbunden bin, gab       und befinden uns, nicht ganz unerwar-        tergänge hoch über der Elbe. Ich habe
     oben beschriebenen Sprachlosigkeit wie       uns dieses auf den Weg: „Freut euch über       tet, im zweiten Lockdown. Der trifft uns     Kontakt zu vielen Menschen, telefoniere
     aufgehoben: Die eigene Hilflosigkeit er-     diesen Ort von Gemeinschaft und Enga-          einerseits mit mehr Routine, anderer-        häufig mit meiner Mutter. Wir treffen
     kennen und gleichzeitig die fast selbst-     gement und entdeckt eure Möglichkeiten         seits mit schwindender Kondition und         uns mit Abstand als Nachbarschaft im
     verständlichen Schritte zu einem gewis-      dort, wo ihr seid.“ So wurde Taizé für mich    schwächerem Nervenkostüm. Insgeheim          Hof. Technisch bin ich gut ausgestattet
     sen Maß von Erträglichkeit wagen.            bis heute ein Ort der Orientierung.            hatten wir wider besseren Wissens alle       und das Homeoffice funktioniert, ich
       „Oft ist es zum Heulen“, schreibt ein        Diese diakonische Basisgemeinschaft          gehofft, wir wären noch einmal davon-        genieße sogar das Fehlen der vielen Ter-
     Bundesfreiwilliger im Rundbrief der          in Hamburg ist ein Ort der Freude und          gekommen. Und auf die Kraft des nahen-       mine. Und das Wichtigste: Wir sind alle
     Gemeinschaft. Er hat hier für sich einen     der Orientierung. Sie ist Ort der Vision,      den Frühlings und Sommers können wir         gesund. Mittlerweile sitze ich in Quaran-
     Ankerplatz entdeckt. „Ich suchte nach        die sich im Hebräer-Brief so anhört: „Ver-     gerade auch nicht hoffen. Stattdessen        täne, mein Mann macht eine milde Co-
     einem Ort, wo ich beten und arbeiten         gesst die Gastfreundschaft nicht, durch        düstere Aussichten fürs Weihnachtsfest.      ronainfektion durch und ich hoffe, dass
     kann“, höre ich ihn seinen Einsatz be-       sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel        Ich lese den Text und merke, ich fühle     ich verschont bleibe (der Test ist negativ
     schreiben.                                   beherbergt.“ (Hebräer 13, 2)                   immer noch das Gleiche.                      ausgefallen).
aus der g emei nsc haft                                                     Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                      au s d e r g e m e i n s c haf t

                                                                                                   Klosterwochenende in Nütschau

                                                                                                         Ein Fingerzeig?
                                                                                                         Auf einer Bank verweilen
                                                                                                         Entschleunigen
                                                                                                         Zur Ruhe kommen
22                                                                                                       Zu sich kommen
                                                                                                                                                                           23
                                                                                                         Mit sich ins Gespräch kommen
                                                                                                         In Gott sein

                                                                                                         Den Atem spüren
                                                                                                         Ihm nachgehen
                                                                                                         Im Gehen
                                                                                                         Und wieder
                                                                                                         Stehenbleiben
                                                                                                         Und
                                                                                                         Auf einer Bank verweilen
                                                                                                                    Manfred Niemann
       Was ist dann los mit mir? Wo ist mei-        es schaffen, gesund zu bleiben?, fängt
     ne Phantasie, wo meine Energie geblie-         das Eis bedrohlich an zu knacken, ich sehe
     ben, Neues anzupacken, die Zeit für die        das schwarze Wasser unter mir und ziehe
     Planung zukünftiger Projekte zu nutzen?        meinen Fuß zurück …
     Warum bin ich so verhalten, wie ausge-           Was wird mit der Kultur und all den frei-
     bremst?                                        schaffenden Künstler_innen? Wie kann
       Ich habe ein Bild dafür gefunden. Ich        sich die Wirtschaft erholen, ohne dass un-
     sehe einen See, mitten im Wald, idyllisch,     endlich viele Menschen in Armut stürzen,
     das Wetter ist schön, der Himmel strah-        wie überstehen gestresste Familien das
     lend, es ist völlig ruhig bis auf die Vögel,   Eingesperrtsein ohne Aggressionen, wie
     die unbeirrt zwitschern und den Frühling       die Alten die Isolation? Fragen über Fragen.
     besingen.                                        Egal auf welche ich mich zubewege,
       Was stimmt nicht? Der See ist trotz          nach wenigen Schritten knackt das Eis,
     der frühlingshaften Temperaturen zuge-         droht rissig zu werden. Aus Angst vor
     froren. Und ich, ich stehe in seiner Mitte,    einem echten Einbruch in dunkle Tiefen
     allein auf weiter Fläche, kein Mensch bei      verharre ich auf der Stelle. Keine Hilfe
     mir oder am Ufer zu sehen. Ich bin allein.     vom rettenden Ufer … Meine Füße wer-
     Wenn ich mich in eine Richtung bewegen         den kalt, ich friere und verharre.
     will, vielleicht zu Fragen wie: Können wir                                      Ute Zeißler
aus der g emei nsc haft                                                       Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                        au s d e r g e m e i n s c haf t

                                                                                                        Nun hatten wir das Glück, uns thema-
                                                                                                     tisch von Doris zu Fragen unserer Lebens-
                                                                                                     und Glaubensbiographie führen zu las-
                                                                                                     sen.
                                                                                                        Die Antworten, die wir fanden oder
                                                                                                     uns erarbeitet haben, zeigten tiefe Wur-
                                                                                                     zeln der jeweiligen „Lebensbäume, Le-
                                                                                                     bensträume“ und erlaubten Blicke in
24                                                                                                   spannende Leben unserer Geschwister
                                                                                                                                                                                                 25
                                                                                                     der Brüder- und Schwesternschaft. Und         Ein wunderbares Dankschön für die alte Kon-
                                                                                                     ich fühlte mich sehr bereichert durch die     viktälteste, eine echte Überraschung
                                                                                                     Offenheit und das große Vertrauen, das
                                                                                                     sich immer wieder in den Gesprächen             Sucht Euch doch mal eine Bibelstelle
                                                                                                     und im Austausch offenbarte.                  aus und arbeitet heraus, warum Ihr gera-
                                                                                                        Somit gab es trotz der Abstandsregeln      de diese gewählt habt und was euer Le-
                                                                                                     sehr viel Nähe, die wohltuend ist in die-     ben damit zu tun hat.
                                                                                                     sen Zeiten!                                     Und wenn Ihr hin- und herdenkt und
     Trotz allem verlieren wir nicht den Humor. Erkennt ihr uns?                                        Und wie die Künstler bei den CD-Pro-       euch vergegenwärtigt, was das mit eu-
                                                                                                     jekten zu Hesse und Rilke die wunder-         rem Leben zu tun hat oder dann doch

     Wochenendkonvikt                                                                                bare Texte mit Musik untermalen, haben
                                                                                                     wir in unserem selbstgestalteten Got-
                                                                                                                                                   nicht (Ambivalenzen sind normal und
                                                                                                                                                   gehören zum Leben), seid ihr auf der Spur
                                                                                                     tesdienst zu Hebräer Kapitel 11, Vers 1 die   des Lebens und ihr findet die Quellen, die
     des Konvikts Niedersachsen, 19.–21. 6. 2020                                                     Melodien gesummt und die Liedtexte            euch nähren.
                                                                                                     wurden gesprochen. Das war eine schö-           Wenn ihr einem Gegenüber die Aus-
     Darf Mensch sich in „Corona-Zeiten“ tref-          ben besprechen und verteilen sowie un-       ne Erfahrung, da unser Summen von dem         wahl eures Bibelzitates erklärt, kann die-
     fen? Ja, Mensch darf: unter Einhaltung             sere bisherige Konviktleitung, Doris Pa-     wunderbaren Gitarrenspiel von Frank be-       se, dieser kleine Notizen formulieren und
     der Abstände, mit Tragen von Mund-                 land, verabschieden.                         gleitet wurde.                                ihr findet darin eure Ressourcen.
     schutz und ohne herzliche warme Umar-                 Ebenso wählten wir eine neue Leitung:        Ich kann die gesamten Denkanstöße            Zum Weiterlesen: „ Zum Amen gehört
     mungen.                                            Annegret Warnecke.                           oder Arbeitsschritte, die wir erarbeitet      das Aber “ von dem Pastoralpsychologen
       Der Jugendhof Sachsenhain in Verden                 Zum Glück stellte sich unser Finanzex-    haben, hier nicht wiedergeben, dennoch        Michael Klessmann.
     hatte uns ein Tagungshaus zur alleinigen           perte Günter Zimmermann weiterhin für        ein kleiner Denkanstoß für alle:                                         Christiane Rose
     Benutzung zur Verfügung gestellt.                  die Konviktkasse zur Verfügung.
       Das Mittagessen wurde im Schichtsys-                Und wie sich auch für die Delegierten-
     tem angeboten und die vorgegebenen                 versammlung Bereitwillige fanden, gibt
     Hygienemaßnahmen ließen sich prob-                 es Mitwirkende für manche Aufgaben,
     lemlos einhalten.                                  die ein Gelingen des Konviktlebens mög-
       Wir wollten organisatorische Aufga-              lich machen. Darüber sind wir froh.
aus der g emei nsc haft                                                   Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                       au s d e r g e m e i n s c haf t

     Leben in einer Warteschleife                                                                parallel). Wie ich inzwischen erfahren
                                                                                                 habe, hat er nach 1,5 Jahren eine Steuer-
                                                                                                 nummer und arbeitet immer wieder in
     Ein Erfahrungsbericht über                                                                  schlecht bezahlten Gelegenheitsjobs.
     die Situation von Geflüchteten in Griechenland                                                Im Frühjahr 2019 hat sich die Versor-
                                                                                                 gungslage für anerkannte Geflüchtete
     Im Rahmen eines Stipendiums des Zen-         Wir waren da, haben mit Tee, Wasser und        deutlich verschlechtert. Im Asylverfahren
     trum für Mission und Ökumene war ich,        Musik für gute Stimmung gesorgt, an-           bekommen die Menschen über UNHCR
26   Julia Stoeckert, nach meiner Einsegnung      sonsten war es ein Ort des Austausches,        und IOM eine Unterkunft und eine Cash
                                                                                                                                                                                           27
     in die Brüder und Schwesternschaft von       der Gemeinschaft, des Arbeitens für sich       Card mit monatlich 150 Euro pro Erwach-
     November 2018 bis Ende Juli 2019 in Thes-    oder Freunde, der Gespräche und der            senen und 75 Euro pro Kind (für maximal
     saloniki. In dieser Zeit bekam ich einen     Ruhe.                                          fünf Kinder). Dieser Betrag ist zu gering,
     kleinen Einblick in die Situation von Ge-       Ich habe in der Zeit viele interessante     da die Lebensmittelpreise in den Super-
     flüchteten in Griechenland.                  Menschen kennengelernt, mit denen ich          märkten höher sind als in Deutschland.
       Mein Einsatzort war die Nähwerkstatt       über das Nähen ins Gespräch gekommen             Für Menschen mit einer Anerkennung
     des Projektes NAOMI. Dort habe ich mit       bin. Zu einigen hat sich ein freundschaft-     gilt das griechische Recht, das heißt, die
     einer zweiten Stipendiatin Produktio-        liches Verhältnis entwickelt. In diesen        Menschen müssen aus ihren geförderten        Pragmatisch unterwegs – Julia Stoeckert
     nen für externe Auftraggeber organisiert     Gesprächen wurde mir viel von ihrer Le-        Wohnungen ausziehen und bekommen
     und geleitet. Unter anderem haben wir        benssituation berichtet. Zum Beispiel:         keine Cash Card mehr. Dies wird seit 2019    sorgt in Deutschland. Doch ich sehe die
     600 T-Shirts sowie 1.000 Stoffbeutel und     Eine fünfköpfige Familie aus Nigeria war-      ohne Ausnahme umgesetzt. Für Griech_         Menschen konkret vor mir, mit denen
     Rucksäcke nähen lassen. Außerdem ha-         tete seit 15 Jahren auf eine Entscheidung      innen gibt es nur eine eingeschränkte        ich gearbeitet, gelacht, manchmal ge-
     ben wir aus den Decken, die in Idomeni       in ihrem Asylverfahren, mit eher schlech-      Sozialversorgung (Arbeitslosengeld für       weint oder auch gebetet habe. Ich ken-
     vom UNHCR verteilt wurden und nach           ter Perspektive, obwohl die drei Kinder        ein Jahr und Krankenversicherung nur in      ne sie und zum Teil ihre Geschichten. Ich
     der Räumung des Lagers 2015 auf der          in Griechenland geboren sind und in die        Kombination mit einem Arbeitsvertrag),       habe ihnen in die Augen geschaut. Das
     Wiese liegen geblieben und von NAOMI         Schule gingen. Da sie vor 2015 Griechen-       das bedeutet, dass diesen Menschen mit       füllt diese Situation mit Leben und zwar
     gereinigt worden sind, kleine Taschen        land erreicht haben, bekamen sie trotz         Anerkennung ohne festen Wohnsitz kei-        dramatisch, denn es geht um Menschen.
     (Federtaschen, Geldbeutel ...) entwickelt,   fehlender Anerkennung keine Wohnung            ne Krankenversicherung und keine finan-      Meist junge, die ihr Leben vor sich haben,
     Schnittmuster erstellt und ein kleines       und Cash Card.                                 ziellen Mittel zur Verfügung stehen!         die dieselben Wünsche ans Leben haben
     Team angeleitet, das diese Taschen auch         Ein junger Mann ohne Familie hielt sich       In einigen Stadtteilen Thessalonikis       wie wir: In Sicherheit selbstbestimmt ihr
     nach unserem Einsatz alleine weiterpro-      inoffiziell bei Freunden in einem Contai-      wohnen viele Menschen in baufälligen         Leben gestalten zu können. Arbeit und
     duziert. Die Menschen können sich über       ner im Lager auf. Er hätte gern gearbeitet,    oder leerstehenden Häusern. Aber auch        Familie sind ein Teil davon. Gesundheits-
     diese Produktion ein kleines Taschengeld     was ihm zunächst nicht gestattet war, da       mitten in der Stadt sah ich viele Men-       versorgung eine notwendige Bedingung.
     dazuverdienen.                               er keine Steuernummer hatte. Trotz Geld-       schen, die auf den Plätzen oder in Parks     Viele kommen mit großer Energie, Hoff-
       Darüber hinaus haben wir an zwei Ta-       sorgen und einer absolut ungewissen            geschlafen haben.                            nung und Tatendrang nach Griechenland,
     gen in der Woche ein Open House veran-       Perspektive war er immer unglaublich             Während ich dies schreibe, finde ich,      haben einen Plan – doch dann heißt es
     staltet, an dem die Werkstatt für jeden      freundlich, positiv und motiviert (er lern-    dass es sehr nüchtern klingt. Eine Be-       erstmal warten! Warten auf einen Platz
     offen stand, der oder die nähen wollte.      te erfolgreich Englisch und Griechisch         standsaufnahme aus der Ferne, gut ver-       in einem Lager. Warten auf einen Termin
aus der g emei nsc haft                                                    Der Bote 2/2020   Der Bote 2/2020                                                   au s d e r g e m e i n s c haf t

     bei einer der Beratungsstellen. Warten        Fäkalien stinkt und in dem Menschen ge-
     bei der Ausländerbehörde. Warten, war-        zwungen werden, zu warten! Und nichts
     ten, warten. Und immer wieder werden          anderes zu tun. Zu warten, bis ein Contai-
     sie unverrichteter Dinge weggeschickt.        ner frei wird, zu warten, bis die Ärzte und
     Es ist kräftezehrend und ermüdend. Ich        Sozialarbeiter_innen der NGOs wieder ar-
     mit meiner deutschen Sozialisation bin        beiten dürfen, zu warten, bis die griechi-
     daran immer wieder verzweifelt, obwohl        schen Behörden ihre Anträge aufnehmen
     ich nur Beobachterin war.                     und darüber entscheiden, zu warten, bis
28     Während meines Aufenthalts war ich          sich die EU über eine Migrations- und
                                                                                                                                                                                                       29
     zweimal auf Lesbos. Ich dachte mir, wenn      Asylpolitik einigt.
     ich schon mit Fragen an den Umgang              Heute, ein paar Wochen nach dem
     mit Geflüchteten an den EU-Außengren-         Brand im Lager Moria, sieht es nicht bes-
     zen nach Griechenland gekommen bin,           ser aus. Die Arbeit von NGOs auf Lesbos
     dann muss ich auch dahin gehen, wo es         wird schon seit Anfang des Jahres mas-
     für mich möglicherweise schmerzhaft           siv von Behörden und Bürgern behindert
     wird. Schon die Fährfahrt hat mich tief       und bedroht. Die Geflüchteten im neu-
     erschüttert. Auf der großen Fähre war ich     en Lager „Moria 2.0“ sind dem Wetter
     sicher, hatte alles dabei, was ich für eine   und Meer mehr denn je ausgeliefert, das
     Woche zu brauchen meinte. Doch was
     wäre, wenn wir zwischen Lesbos und der
                                                   Lager liegt direkt am Wasser, die Aus-
                                                   stattung ist noch schlechter. Es werden
                                                                                                  Rauhhäusler Diakone auf Sansibar
     türkischen Küste Schlauchboote in See-        immer wieder Menschen aufs Festland,
     not kreuzen? Nehmen wir sie auf? Es war       auch nach Thessaloniki, verlegt. Dort sind     Wie kamen Rauhhäusler Diakone um 1890
     stürmisch und kalt, kein gutes Wetter um      die Lager schon lange überfüllt. Die Ver-      nach Sansibar und was machten sie dort?
     in einem Schlauchboot zu sein – die Fähre     sorgungslage ist insgesamt schlecht.
     hat kein Schlauchboot gekreuzt.                 Im Oktober konnten Frontex und der           Diese Frage stellte sich mir, als ich kürzlich in der Biografie des „Pionier-Missionars“
       Lesbos hat mich tief berührt. Ich wur-      griechischen Polizei Pushbacks nachge-         Ernst Johanssen las und auf die Zeilen weiter unten stieß*. Vor kurzem, auf einem Tref-
     de mir meiner Privilegien besonders           wiesen werden. Von Pushbacks wurde             fen von Tansania-Freunden, sprach ich darüber auch mit den Rauhhäusler Geschwis-
     bewusst. Mir war es sehr unangenehm,          mir aus der Region Evros, Bulgarien und        tern Karen Bossow und Ehepartner Wolfram Gauhl. Er sagte, ich möge das doch für
     nach meiner Herkunft gefragt zu werden.       Serbien immer wieder berichtet. Dies al-       den Boten aufschreiben und gab so den Anstoß zu diesem Text. Ich muss zum Ver-
     Es kam mir unangemessen vor, dass mir         les dient der Abschreckung, doch die Zahl      ständnis etwas ausholen.
     die Geflüchteten sagen, wie gut sie Ange-     der Ankommenden ist zwar geringer als
     la Merkel finden, während wir vor Moria       2015, aber dennoch konstant hoch.              Der historische Kontext                                 Ostafrika. Sansibar war vom Interessen-
     stehen. Vor einem abgeschotteten Lager          Wer mehr über meine Erfahrungen und          Mit der Berliner Konferenz 1884/85 wur-                 konflikt zwischen Franzosen, Engländern
     im Olivenhain in den Bergen mitten auf        Erlebnisse wissen möchte oder fragen an        de Deutschland Kolonialmacht. Schon                     und Deutschen überzogen. Die Deut-
     Lesbos, dennoch gut versteckt. Ein La-        Unterstützungsmöglichkeiten hat, darf          vorher gab es, vor allem in Afrika, brutale             schen gingen davon aus, dass Sansibar
     ger, durch das die Regenfälle der letzten     sich gern bei mir melden: juliastoeckert@      Unterwerfungs-Expeditionen, so auch in                  ihnen in Zukunft gehören würde. Durch
     Tage rauschen, in dem es nach Müll und        web.de                      Julia Stoeckert   * Ernst Johanssen: Führung und Erfahrung in 40-jährigem Missionsdienst, Bd. I, Seite 46 ff.
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