Der Einsatz des österreichischen Bundes-heeres für den Frieden in der Welt: Wehr-dienst aus Gewissensgründen - unipub
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Der Einsatz des österreichischen Bundes- heeres für den Frieden in der Welt: Wehr- dienst aus Gewissensgründen Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie Eingereicht von Hannes Derler bei Univ.-Prof. Dr. Leopold Neuhold Institut für Ethik und Gesellschaftslehre an der Kath.-Theol. Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz Graz, Juni 2017
Erklärung Graz, Juni 2017 Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig verfasst habe. Es wurden nur die in der Arbeit ausdrücklich benannten Quellen und Hilfsmittel benutzt. Wörtlich oder sinngemäß übernommenes Gedankengut habe ich als solches kenntlich gemacht. Diese Arbeit wurde noch keiner anderen Prüfungsbehörde vorgelegt und noch nicht veröffentlicht. Die abgegebene elektronische Form stimmt mit der gedruckten Version über- ein. Hannes Derler
Danksagung Ich bedanke mich für all die Unterstützung und Liebe, die ich erfahren durfte, bei vier Generatio- nen der Familien Derler-Rosenauer: bei meinen Großeltern, Eltern, meinen Geschwistern, meiner Frau Elke und meinen Kindern Elisa Maria und Sophia Zäzilia. Weiters bedanke ich mich bei allen Personen, die mich auf meinem Lebensweg, im Kindergarten, in der Schule, am Arbeitsplatz, an der Universität, im Militär, im Sport und in der Pfarre Weiz begleitet, gebildet, gefordert und gefördert haben. Stellvertretend für alle und im Besonderen für die Unterstützung bei der Erstellung der Diplomarbeit sage ich Univ.-Prof. Dr. Leopold Neuhold ein herzliches „Vergelt`s Gott“.
„Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.“ (GS 79)
INHALTSVERZEICHNIS Erklärung..............................................................................................................................2 Danksagung ..........................................................................................................................3 1. Einleitung ......................................................................................................................5 1.1 Leitfragen der Arbeit ...............................................................................................6 1.2 Definitionen ............................................................................................................6 1.2.1 Frieden ................................................................................................................6 1.2.2 Wehrdienst ..........................................................................................................8 1.2.3 Gewissen .............................................................................................................9 1.2.4 Militär ............................................................................................................... 11 1.2.5 Ethik und Moral ................................................................................................ 11 1.3 Aktueller Bezug: Mehr Bundesheer für mehr Sicherheit? ...................................... 12 2. Gewissen und Militär .................................................................................................. 16 2.1 Friedensethik......................................................................................................... 17 2.2 Selig, die Frieden stiften ........................................................................................ 18 2.3 Waffendienst aus Gewissensgründen ..................................................................... 20 2.4 Militärethik ........................................................................................................... 24 2.4.1 Definition von Militärethik ................................................................................ 25 2.4.2 Ebene Gesellschaft / Staat ................................................................................. 28 2.4.3 Ebene Armee / Führung..................................................................................... 30 2.4.4 Ebene Soldat ..................................................................................................... 32 2.5 Soldat sein im 21. Jahrhundert............................................................................... 33 3. Friedensunterstützende Einsätze des ÖBH ................................................................ 37 3.1 Internationale Organisationen und der Beitrag des ÖBH........................................ 38 3.2 Exkurs: Utopie EU-Armee?................................................................................... 41 3.3 Geschichte der friedensunterstützenden Missionen im ÖBH ................................. 45
3.4 Übersicht über die Auslandseinsätze ÖBH ............................................................ 47 3.4.1 Aktuelle Zahlen und Fakten aller Missionen ...................................................... 49 3.4.2 Die Mission EUFOR ALTHEA ......................................................................... 52 3.4.3 Das LOT (Liason Observation Team) Konzept bei EUFOR............................... 55 3.5 Resümee ............................................................................................................... 57 4. Militärseelsorge im ÖBH ............................................................................................ 60 4.1 Geschichte und Einführung ................................................................................... 60 4.2 Gliederung der Katholischen Militärseelsorge in Österreich .................................. 61 4.3 Pastorale Leitlinien für das Militärordinariat ......................................................... 65 4.3.1 Einleitung .......................................................................................................... 65 4.3.2 Herausforderungen ............................................................................................ 66 4.3.3 Optionen für die Zukunft der Militärseelsorge ................................................... 68 4.4 Andere Religionsgemeinschaften in der Militärseelsorge....................................... 69 4.4.1 Evangelische Militärseelsorge ........................................................................... 69 4.4.2 Orthodoxe Militärseelsorge ............................................................................... 72 4.4.3 Islamische Militärseelsorge ............................................................................... 74 4.4.4 Alevitische Militärseelsorge .............................................................................. 75 4.5 Militärseelsorge im Auslandseinsatz...................................................................... 77 5. Schluss ......................................................................................................................... 81 6. Literaturverzeichnis ................................................................................................... 84 6.1 Bibliographien ...................................................................................................... 84 6.2 Öffentliche Vorträge und Gespräche ..................................................................... 89 6.3 Internetquellen ...................................................................................................... 90 6.4 Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... 90
5 1. Einleitung Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Österreichische Soldatinnen und Soldaten einen wertvollen Beitrag für den Frieden in der Welt leisten. Auch die Militärseelsorge leistet einen Beitrag für die Erfüllung der Aufträge im Einsatzraum, wo größere Kontingente ihren Dienst versehen. Bei der militärischen Ausbildung hat die Gewissensbildung einen eher geringen Stellenwert, in den lebenskundlichen Unterrichten der Militärseelsorge jedoch einen gewichtigen Platz. Ich erlaube mir, persönliche Erfahrungen meiner vier Auslandseinsätze und meiner in Summe siebenjährigen Militärdienstzeit immer wieder in die Arbeit einzubauen. Im Oktober 2000 bin ich als „Einjährig Freiwilliger“ zur Ausbildungskompanie nach Graz in die Gablenzkaserne eingerückt. Ende 2001 hatte ich als Gruppenkommandant meinen ersten von drei Inlandsein- sätzen im Assistenzeinsatz an der „Grünen (Staats-)Grenze“, um illegale Einwanderung zu verhindern. Der Aufgriff zweier junger Männer in Halbschuhen, ohne Jacken in einer kalten Novembernacht ist mir heute noch in Erinnerung. Es folgten vier Auslandseinsätze: April bis Oktober 2002 als Wirtschaftsunteroffizier (Logistik) im Kosovo – Camp Ca- sablanca, Suva Reka, Juli 2004 bis März 2005 als Gruppenkommandant Stellvertreter (Infanterie) in Bosni- en und Herzegowina (BiH) – Camp Butmir, Sarajevo, November 2008 bis August 2009 als Verbindungsoffizier/Gesprächsaufklärer LOT (Liason and Observation Team) in BiH - LOT Vlasenica und LOT Brcko und Februar bis Mai 2012 als Verbindungsoffizier/Gesprächsaufklärer LOT in BiH – LOT Tuzla. Die Mission EUFOR ALTHEA in Bosnien und Herzegowina, wo ich meine letzten beiden Einsätze in einem sogenannten LOT-Haus, unter anderem für „Religious Leader“ zuständig, eingesetzt war, bildet dabei das Schwergewicht.
6 1.1 Leitfragen der Arbeit 1) Welchen Beitrag leistet das Österreichische Bundesheer (ÖBH) zum Frieden in der Welt? 2) Welchen Beitrag hat die Gewissensbildung bei den friedensunterstützenden Einsätzen im ÖBH? 3) Welchen Beitrag leistet die Militärseelsorge, im speziellen die katholische, bei der Auf- tragserfüllung im Auslandseinsatz und bei der Gewissensbildung? Kann die religiöse und so- ziokulturelle Expertise der Militärseelsorge besser und effizienter innerhalb des ÖBHs einge- setzt werden? Um nicht den Lesefluss durch eine ständige Nennung beider Geschlechter zu stören, wird meist eine geschlechtsneutrale Formulierung verwendet. Sollte nur eines der beiden Ge- schlechter angegeben werden, sind selbstverständlich beide Geschlechter gemeint. 1.2 Definitionen Am Beginn der Arbeit ist es sinnvoll, einige wichtige Begriffe zu klären: Frieden, Wehr- dienst, Gewissen, Militär, Ethik und Moral. In notwendiger Kürze wird versucht, die Begriffe so zu erläutern, wie sie in der Arbeit verstanden werden wollen. 1.2.1 Frieden Das Alte Testament (AT) meint mit Frieden das umfassende Heil-Sein, zu dem jegliches Übel im Gegensatz steht. Die Botschaft des Neuen Testaments (NT) ist das Evangelium des Frie- dens, den Jesus Christus vermittelt, dessen Urheber Gott ist, und bezeichnet damit den Inbe- griff des messianischen Heils. Zu diesem Heil, das für den Menschen Gabe und zugleich sitt- liche Aufgabe ist (2 Petr 3,14), gehört ebenso wie der Friede zwischen Gott und dem Men- schen (Röm 5,1; Kol 1,20) auch der Frieden der Menschen untereinander. „Trachtet nach Frieden mit allen und nach Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen kann“ (Hebr
7 12,14).1 Die Kirche ist sich bewusst, dass die Pflege des Friedens unter den Menschen eine ihrer wichtigsten Aufgaben darstellt. Augustinus und Thomas v. Aquin sehen im Frieden die allgemein erstrebte Ordnung des Zusammenlebens auf der Grundlage der Gerechtigkeit. Nach christlichem Verständnis besteht der wahre Frieden unter den Völkern nicht allein darin, dass nicht Krieg herrscht, sondern wenn er aus den sittlichen Haltungen der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe erwächst. Ein dauernder Friede kann nur auf einer Ordnung der Gerechtigkeit und der Liebe aufbauen, in der die Ursachen der Zwietracht beseitigt werden. In der Arbeit für eine solche Friedensordnung fällt den internationalen Einrichtungen eine wesentliche Aufga- be zu. Diese Friedensordnung baut auf der Friedensgesinnung der Menschen auf. Der Kirche geht es gerade um die Weckung der Friedensbereitschaft in den Herzen der Menschen. Von dieser kann und soll auch der Soldat beseelt sein: Seine Aufgaben ist geradezu ein solches Dienen, durch das er zu Sicherheit und Freiheit der Völker und zur Festigung der Friedens beiträgt (vgl. GS 79).2 Schon 1830 unterscheidet der Schweizer Rechtslehrer Sartorius zwischen „negativem Frie- den“, als der „Nicht-Krieg“, und dem „positiven Frieden“, als die „organische Harmonie des Völkerlebens“. Damit negativer Friede nicht als etwas Negatives missverstanden wird, er- gänzte der Norweger Galtung die Unterscheidung mit negativ und positiv „definierten“ Frie- den. 3 Negativ definierter Friede bedeutet die Abwesenheit von Krieg und Gewaltanwendung, von Kriegsursachen und Kriegsvorbereitung, und positiv definierter Friede wird verstanden als „die Ruhe einer gerechten und dynamischen Freiheitsordnung oder anders ausgedrückt, als die Existenzsicherung und Existenzentfaltung aller Menschen mit vorrangiger Beachtung der Verwirklichung der Menschenrechte“4. Dieses hohe Ziel muss in einer sündigen und unvollkommenen Welt stets neu anvisiert wer- den und als stets voranzutreibender Prozess verstanden werden. So ein Friede bezieht sich hauptsächlich auf die internationale Ebene, auf die in dieser Arbeit verstärkt eingegangen wird. Es wird gefragt, ob ein militärisches Eingreifen diesen Prozess positiv beeinflussen kann. Andere Existenzebenen, die individuelle, familiäre und nationale Existenzebene, sind als Betroffenheits- und Voraussetzungsebene mitgemeint. Zsifkovits definiert Friede zusam- 1 Vgl. Hörmann, Karl: Art. Frieden, in: derselbe (Hg.): Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck: Tyrolia 1976, S 502-509. 2 Vgl. ebd. 3 Vgl. Zsifkovits, Valentin: Art. Friede, in: Rotter, Hans / Virt, Günter (Hg.): Neues Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck-Wien: Tyrolia 1990, S 202-203. 4 Ebd., S 202.
8 menfassend „als Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender akzeptierter Gerechtigkeit und Freiheit“5. 1.2.2 Wehrdienst Nach katholischer Auffassung sind die Überwindung des Krieges und die Sicherung des Frie- dens mit allen Kräften zu bewerkstelligen. Es ist allerdings noch lange nicht gelungen, den Frieden unter allen Völkern herzustellen und so zu sichern, dass für kein Volk mehr die Ab- wehr schwersten Unrechts notwendig werden kann. Das Zweite Vatikanische Konzil (Gaudi- um et Spes) hat daher festgelegt, dass ein allgemeines Kriegsverbot von den Nationen erst dann beschlossen werden kann, wenn dieses von einer von allen anerkannten Weltautorität geschaffen und mit so viel Macht ausgerüstet wäre, dass diese Sicherheit, Wahrung der Ge- rechtigkeit und Ehrfurcht vor den Rechten für alle garantieren kann (GS 82). Sind alle Mög- lichkeiten einer friedlichen Regelung gescheitert, kann den Regierenden das Recht auf „sitt- lich erlaubte Verteidigung“ nicht abgesprochen werden.6 Die kirchlichen Friedensdokumente erlauben sowohl einen Wehrdienst aus Gewissensgrün- den wie auch eine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Beide Dienste sind nur als Friedensdienste gerechtfertigt und die subjektive Gewissensentscheidung ist verpflichtend zu respektieren.7 „Ein im Gewissen verantwortbarer Wehrdienst muss objektiv gesehen ein Beitrag zur wirksamen Aggressionsabhaltung, Friedenssicherung, Verteidigung sowie Ge- walt- und Übelminimierung sein und muss den strengen Anforderungen an eine gerechtfertig- te Verteidigung entsprechen.“8 (Vgl. Kapitel 2.3) Hoppe verweist im Artikel Wehrdienst im LThK auf die allgemeine Wehrpflicht.9 Um hier Missverständnisse vorzubeugen, ist die Wehrpflicht in der vorliegenden Arbeit nicht Thema, sondern der Wehrdienst, der als Dienst des Soldaten als Dienst am Menschen, in welcher Wehrform auch immer, zu verstehen ist. 5 Ebd., S 204. 6 Vgl. Hörmann, Karl: Art. Wehrdienst, in: Klose, Alfred u.a. (Hg.): Katholisches Soziallexikon, Graz: Styria 1980, S 3313. 7 Vgl. Zsifkovits, Valentin: Art. Friede, S 206. 8 Ebd. 9 Vgl. Hoppe, Thomas: Art. Wehrdienst, in: LThK 10. 31998, S 1000-1001.
9 1.2.3 Gewissen „Mit Gewissen bezeichnen wir moralphilosophisch verschiedene Aspekte der moralitätsfähi- gen und für ihr Tun verantwortlichen Person. Gewissen ist die grundlegende Voraussetzung, um selbst moralische Urteile bilden und begründen zu können.“10 Gewissen (lat. conscientia) als Mitwissen im Sinne eines Einverständnisses oder eines Sich- Bewusst-Seins beinhaltet eine Stellungnahme zu eigenen Handlungen. Das AT spricht in der griechischen Übersetzung vom menschlichen Herzen. Bei Paulus bewertet das Gewissen den eigenen Charakter und das eigene Handeln zweifelsfrei, entschieden und autonom. Er geht davon aus, dass auch den Heiden ein eigenes Gewissen zugesprochen werden kann. Thomas v. Aquin unterscheidet die Kontroll- und die Entscheidungsfunktion des Gewissens und stellt die autonome Dimension des Gewissens in den Vordergrund.11 Das Zweite Vatikanische Konzil definiert Gewissen in Gaudium et Spes (GS 16): „Das Ge- wissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist. Im Gewissen erkennt man in wun- derbarer Weise jenes Gesetz, das in der Liebe zu Gott und dem Nächsten seine Erfüllung hat. Durch die Treue zum Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen moralischen Probleme, die im Leben der Einzelnen wie im gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.“ Für Teichtweier ist Gewissen richtig verstanden, eine „unentbehrliche Voraussetzung für sitt- liches Handeln in Freiheit und Verantwortung und damit für menschenwürdige Selbstverwirk- lichung.“12 Nach der Auffassung einer ganzheitlichen Anthropologie und des christlichen Menschenverständnisses ist das Gewissen „eine mit dem Personsein des Menschen natürlich gegebene Anlage, die zum sittlichen Handeln, zum Urteil über gut und böse befähigt. Ein Gewissen haben heißt ein Mensch sein.“ 13 Ist die Gewissensüberlegung, die sehr lange dauern und von starker emotionaler Bewegung begleitet sein kann, abgeschlossen, kommt es zum Gewissensspruch und zu dessen Vollzug, was sich positiv als gutes Gewissen und negativ als 10 Forschner, Maximilian: Art. Gewissen, in: Höffe, Otfried (Hg): Lexikon der Ethik. München: Beck 62002, S 94-95. 11 Vgl. Irrgang, Bernhard: Art. Gewissen, in: Franz, Albert u.a. (Hg.): Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie, Freiburg: Herder ²2007, S 172-173. 12 Teichtweier, G.: Art. Gewissen, in: Klose, Alfred u.a. (Hg.): Katholisches Soziallexikon, Graz: Styria 1980, S 991. 13 Ebd., S 992.
10 schlechtes Gewissen äußert. Für Thomas v. Aquin ist nach Teichtweier „jede Entscheidung, die von der inneren Überzeugung abweicht, gleichviel ob diese richtig oder irrig ist, immer böse.“14 Das Gewissen ist somit die „subjektiv letztverbindliche Regel für das sittliche Ver- halten“15. Für diesen hohen Rang des Gewissens ist das „informierte Wertgewissen“ Voraus- setzung. Ein überzeugungsloser Gehorsam als einziges Motiv sittlichen Handelns ist mehr als fraglich. 16 Nach Splett bestimmt Kant das Gewissen als „das Bewusstsein eines inneren Ge- richtshofes im Menschen“17. Die Ausbildung und Entwicklung des Gewissens zum informierten Wertgewissen passiert nach den Erkenntnissen der Psychologie, so Teichtweier, in mehreren Stufen. Beim frühkind- lichen Gewöhnungsgewissen (erste Triebverzichte als Antwort auf die Liebeszuwendung der Mutter) „beginnt der Weg des Menschen vom Naturwesen zum Kulturwesen“18. Im „autoritä- ren Gewissen identifiziert sich das Kind (etwa 4.-10. Lebensjahr) mit dem Verhalten seiner Eltern“19. Im „reifenden Gewissen stellt der junge Mensch sein bisher von den Eltern über- nommenes Verhalten kritisch in Frage“ 20 und mündet, nach dem für die Erziehungsarbeit oft schwierigen Prozess, in die „Phase des personalen Gewissens. Hier handelt der Mensch in Freiheit und Bindung zugleich in Bejahung einer Wertordnung, in Würdigung der Situation und aus persönlicher Motivation. Leider erreichen viele diese Reifungsstufe nicht, sondern bleiben zeitlebens auf der Stufe des autoritären Gewissens stehen, werden unkritische Be- fehlsempfänger, verfallen Schlagworten und übernehmen breitwillig Trends der anonymen Gesellschaft.“21 Gerade für Soldaten in Kommandantenverantwortung ist es wichtig, in die Phase des personalen Gewissens zu gelangen, um nicht einen reinen „Kadaver-Gehorsam“ zu verfallen. 14 Ebd. S 994. 15 Ebd. 16 Vgl. ebd. 17 Splett Jörg: Gesetz der Freiheit. Die Pflichtethik Immanuel Kants, in: Nissing, Hans-Gregor / Müller, Jörn (Hg.): Grundpositionen philosophischer Ethik. Von Aristoteles bis Jürgen Habermas, Darmstadt: WBG 2009, S 96. 18 Teichtweier, Art. Gewissen, S 995. 19 Ebd. 20 Ebd. 21 Ebd.
11 1.2.4 Militär Militär gilt als Sammelbegriff für bewaffnete Streitkräfte, die im Dienst eines Staates (in Ös- terreich das „Bundesheer“) bzw. eines Staatenbundes (z. B. österreichisches Kontingent im Libanon bei UNIFIL als „UN-Blauhelme“) stehen. Diese Streitkräfte sind uniformiert und in der Regel kaserniert und zeichnen sich durch eine strenge hierarchische Gliederung mit dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aus. Von der Militärkultur eines Landes ist das Verhältnis zur Zivilbevölkerung abhängig. Das Militär kann entweder eher als eigenständiger Bereich gesehen werden, wo militärische Effizienz und Professionalität betont werden, oder es kann eine möglichst weitgehende Integration des Soldaten ins zivile, soziale und politische Umfeld angestrebt werden, was als „Staatsbürger in Uniform“ zusammengefasst werden kann. Auf diese Weise soll sowohl die Herausbildung eines die demokratische Ordnung gefährdenden „Staates im Staat“, wie auch einer Militarisierung des Zivillebens verhindert werden. Miss- brauchsmöglichkeiten und Instrumentalisierbarkeit zu Zwecken innenpolitischer Repression (Diktatur) soll entgegengewirkt werden. 22 Der Verfasser geht vom Standpunkt des Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ aus. 1.2.5 Ethik und Moral In der Praxis, gerade auch im militärischen Umfeld, wird der Begriff Ethik und der Begriff Moral meist synonym verwendet. In dieser Arbeit wird mit Anlehnung an Zsifkovits unter „Ethik die Theorie der Sittlichkeit“ und „mit Moral die Praxis der Sittlichkeit“23 verstanden. Ethik versteht Zsifkovits als „ein System begründeter, von der Idee eines sinnvollen mensch- lichen Lebens geleiteter Aussagen über das richtige Verhalten bzw. Handeln unter Beachtung der entsprechenden Gesinnung und mit Ausrichtung auf entsprechende Institutionen und Strukturen, Moral als das solchen Aussagen gemäße tatsächliche Verhalten und Handeln oder, kürzer ausgedrückt, als gelebte Ethik.“24 Im Folgenden handelt es sich um eine Gesinnung und Ausrichtung auf eine christliche Ethik mit katholischer Prägung. 22 Vgl. Hoppe, Thomas: Art. Militär, in: LThK 7. 31998, S 254. 23 Zsifkovits, Valentin: Ethisch richtig denken und handeln, Wien: LIT Verlag 2005 (=Ethik aktuell 3), S 34. 24 Ebd., S 35.
12 1.3 Aktueller Bezug: Mehr Bundesheer für mehr Sicherheit? „Nichts ist mehr wie es war, Stabilität scheint zunehmend die Ausnahme zu sein, Undenkba- res wird plötzlich denkbar, moralisch Verwerfliches salonfähig – die internationale Ordnung und mit ihr die menschliche Gesellschaft befinden sich offensichtlich in einer denkwürdigen Phase des Umbruchs und angesichts ihrer Zerrissenheit auf der Suche nach einer neuen Ord- nung.“25 Wir befinden uns momentan in (sicherheits-)politisch instabilen Zeiten. Europas stürmische Umgebung wird zu einer langfristigen Herausforderung, wohl die größte politische Heraus- forderung seit der Gründung der EU. Wollen wir mehr Europa oder zerfällt das größte Frie- densprojekt der Geschichte? Die sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor allem der IS, sind nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu lösen. Der Krieg sollte dabei die Aus- nahme, nicht der zentrale Hebel aller Aktivitäten einer internationalen Terrorismusbekämp- fung sein. 26 Der NATO-Einsatz, unter US-Führung, der seit 2001 für ein „sicheres Umfeld“ in Afghanistan sorgen soll, ist ein prominentes Beispiel dafür. Die Terroranschläge seit dem offiziellen Beginn des „war on terror“ haben um ein Vielfaches zugenommen. 27 Durch viele neue Konfliktherde, allen voran Syrien, die zunehmend instabile Lage im arabi- schen Raum und in Nordafrika sowie die daraus resultierenden Flüchtlingsbewegungen stel- len Europa und die ganze Welt vor neue Herausforderungen. Ob Mauern gegen Flüchtlinge oder gar eine „militärische Flüchtlingsabwehr“ in der Wertegemeinschaft der EU einen Platz haben, ist mehr als fraglich. (Gemeinsame) Kampftruppen dürfen mangelnde Außenpolitik nicht kompensieren. 28 Viele führende Militärs, auch der Generalstabschef und somit höchster Militär des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) General Commenda, haben mehrfach be- tont, dass die Flüchtlingsproblematik mit militärischen Mitteln nicht zu lösen sei. Genau diese Flüchtlingsbewegungen mit den Migrationsströmen nach Österreich und vor al- lem durch Österreich Richtung Deutschland brachten eine gesellschaftliche, politische und 25 Lacher, Norbert: Geopolitische Fortbildung für Offiziere an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt am 14.12.2016. 26 Vgl. Kneissl, Karin: Die zersplitterte Welt. Was von der Globalisierung bleibt, Wien: Braumüller 2013, S 196. 27 Vgl. Ebd. 28 Vgl. Roithner Thomas: Warum Europa heute eine globale Friedensordnung für das Jahr 2050 skizzieren muss, in: Roithner, Thomas / Gamauf-Eberhardt, Ursula (Hg.): Am Anfang war die Vision vom Frieden. Wegweiser in eine Zukunft jenseits von Gewalt und Krieg. Festschrift zum 90, Geburtstag von Gerald Mader, Wien: Kremayr & Scheriau 2016, S 190-191.
13 vor allem die längst überfällige budgetäre Neubetrachtung des ÖBH. Leider brauchte es dazu eine Flüchtlingskrise in und rund um Österreich. Noch im September 2014 titelte Theureths- bacher im Kurier über den Zustand des ÖBH: „ Beim Heer geht gar nichts mehr – Budgetkri- se. Der Katastrophenschutz bricht weg, die Flieger bleiben am Boden, die Ausbildung steht.“29 Die Stimmung unter den Soldaten war nach jahrelanger Verschlechterung am Boden, die Hoffnung auf budgetäre Verbesserungen durch das klare Votum für die Wehrpflicht am 20.1.2013 währte nur kurz. Hätte man 2014 behauptet, dass in einigen Jahren neue präsente Verbände aufgestellt werden, wäre man für verrückt erklärt worden. Mit den dramatischen Ereignissen an den Grenzen Österreichs, als Höhepunkt die chaotischen Zuständen am Grenzübergang Spielfeld im Oktober 2015, ist das sicherheitspolitische Denken in Österreich und der gesamten EU „ver-rückt“. Die Eckpunkte der Reorganisation und der neuen Strukturen im ÖBH sind:30 Drei neue Jägerbataillone werden aufgestellt. Die Zuordnung von Truppen stärkt die Militärkommanden. Die Brigaden werden spezialisiert (mechanisiert, schnell, leicht, alpin). Erstmals seit 1978 wird das ÖBH vergrößert, drei Bataillone (je ca. 500 Soldaten) werden komplett neu aufgestellt. Die noch 2013 von der Abschaffung diskutierten Militärkommanden werden gestärkt und jedes Militärkommando bzw. Bundesland wird künftig über ein Jägerba- taillon verfügen. Das Militärkommando Steiermark befehligt nun das Jägerbataillon 18 (St. Michael). Diese Bataillone sind Träger der Milizausbildung. 31 Die Ausrichtung und die Aufträge der Brigaden sind sehr auslandseinsatzlastig, was sich auch in den Konzeptpapieren, der „Österreichischen Sicherheitsstrategie 2013“, der „Teilstrategie 2014“ und dem „Militärstrategischen Konzept 2015“, herauslesen lässt. Auch bei der Miliz schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung. Nach Aussetzung der Truppenübungen noch unter Verteidigungsminister Platter und Auflösung vieler Miliz- 29 Theurethsbacher, Wilhelm: Beim Heer geht gar nichts mehr, in: Kurier (8.9.2014), S 3. 30 Vgl. ÖBH, in: http://www.bundesheer.at/archiv/a2016/neustrukturierung/pdf/factsheet_oebh.pdf [abgerufen am 4.5.2017]. 31 Vgl. ebd.
14 verbände soll die Miliz wieder gestärkt werden. Miliz-Soldaten sind Soldaten, die nicht stän- dig im Präsenzstand des Bundesheeres sind, und somit auch eine budgetär günstige Lösung für den Staatshaushalt. Die Milizsoldaten haben nach ihrem Grundwehrdienst noch einige Tage „abzudienen“, bzw. können sie sich freiwillig für Ausbildungen, Übungen und Einsätze im In- und Ausland melden. Auf freiwilliger Basis kann der Milizsoldat durch Kurse auch höhere Dienstgrade und damit verantwortungsvollere Aufgaben erhalten. Aktuell gehört etwa die Hälfte aller Soldaten im Einsatz der Miliz an. Ohne Miliz wären Aus- landseinsätze in der jetzigen Größe mit 1.100 Soldaten nicht möglich. Ein weiterer Vorteil für die Armee ist die Expertise, die Milizsoldaten aus ihren zivilen Berufen mitbringen, die das ÖBH nutzen kann, aber die Erfahrungen und Ausbildungen, die Milizsoldaten beim Bundes- heer erwerben, können auch umgekehrt im zivilen Umfeld gut gebraucht werden. Als Beispie- le sind etwa Führerscheine, Sprachausbildungen, persönlichkeitsbildende Seminare oder auch Ethische Fortbildungen zu nennen bzw. können Eigenschaften wie Durchhaltevermögen oder Teamgeist für das private und berufliche Leben von Nutzen sein. Die Zahl der Miliz-Kompanien (je Kompanie ca. 100-130 Soldaten) wird vergrößert und ihre Ausrüstung schrittweise modernisiert. Die Einheiten der Miliz bekommen einen starken Re- gionalbezug und klare Aufgaben. Dazu gehören der Schutz kritischer Infrastruktur (Schutz von Räumen und Objekten wie Umspannwerke oder Tanklager), der sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsatz einschließlich Grenzraumüberwachung und die Katastrophenhilfe. Geplant ist die Aufstellung von 40 neuen Jägerkompanien bis 2026 (davon 12 bis 2018) und die Auf- stockung der Milizsoldaten von derzeit 25.400 auf 32.000 bis 2026.32 Der Milizsoldat als „Bürger in Uniform“ und seine Verankerung in der Gesellschaft leisten einen wichtigen Bei- trag zur Verankerung der Armee in der Gesellschaft. Das ÖBH benötigt für diese Planungen mehr Personal, als es momentan vom Arbeitsmarkt bekommt. Auch bei den internationalen Einsätzen des ÖBH sind einige Planstellen nicht be- setzt. Sowohl Berufs- wie auch Milizsoldaten werden in hoher Zahl aufgenommen. Bis 2020 wären 9.800 Personen33 anzustellen, was ein sehr ambitioniertes Ziel ist. Etwa 3.800 Berufs- soldaten werden neue Planstellen einnehmen, der Rest wird die jährlichen 1.200 bis 1.400 Pensionsabgänge abdecken. Jährlich werden zehn Piloten und mindestens zwanzig Ärztinnen und Ärzte aufgenommen. Der Arbeitgeber ÖBH wirbt u. a. auch mit einem „sicheren Arbeits- 32 ÖBH, in: http://www.bundesheer.at/cms/artikel.php?ID=8946 [abgerufen am 7.6.2017]. 33 Vgl. BMLVS/Kommunikation: Interne Information 2016/Nr.27 (14.9.2016).
15 platz und einer lebenslangen Anstellung“34. In zwanzig bis dreißig Jahren wird dies zu einem ähnlichen Problem, wie wir es heute in der Armee schon haben, führen: Zu einer Überalte- rung des Berufskaders und zu keiner sinnvollen Verwendungsmöglichkeit für alle innerhalb des Systems Bundesheer. Leider hat Österreich aus den Fehlern der Beamtenarmee der letzten Jahrzehnte nichts gelernt. Eine zeitliche Befristung, mit Option auf lebenslange Anstellung bei guter Leistung, dafür eine höhere Bezahlung von Beginn an, wäre eine sinnvolle und lang- fristig auch günstigere Lösung für das ÖBH. 34 Ebd.
16 2. Gewissen und Militär Der dänischen Film „Krigen“, in Österreich 2016 unter „A War“ im Kino, widmet sich einer dänischen Kompanie im Afghanistan Einsatz. Nicht actionreiche Kampfhandlungen, sondern komplexe Problematiken menschlicher, moralischer und juristischer Natur werden aufgezeigt. Im Mittelpunkt steht dabei der Kompaniekommandant Pedersen. Gleich zu Beginn fällt eine schwere Last auf sein Gewissen: Bei einer Patrouille steigt einer seiner Soldaten auf eine Mi- ne und verblutet. Schuldgefühle, Trauer, Wut und Angst belasten die Truppe. Es handelt sich nicht um Kampfmaschinen, sondern um zerbrechliche Seelen. Periodisch wechselt der Film nach Dänemark, wo Pedersens Frau Maria sich alleine um Haushalt und Kinder kümmert. Als die Kompanie in einen Hinterhalt gerät, fordert Pedersen im Eifer des Gefechts einen Luftan- griff an, ohne den genauen Standort der feindlichen Schützen zu lokalisieren. Im Bombenha- gel sterben Zivilisten, auch Frauen und Kinder. Pedersen muss in Dänemark vor das Kriegs- gericht. Der Film wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet. Im Grunde ist er eine einzige Fragestellung ans Publikum: Wie geht man mit Schuld im Ausnahmezustand um? Pedersen müsste lügen, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen – wenn er ehrlich ist, kann er die Haft seiner Familie zumuten?35 Dieses Dilemma zwischen privater und gesellschaftlicher Verantwortung, aber auch das Ur- teilen über Recht und Moral lässt keine einfache Lösung zu. Dänemark ist im Vergleich zu Österreich zwar in der NATO, aber von der militärischen Stärke, Stellung der Armee in der Bevölkerung und mit der Wirtschaftsleistung Österreichs durchaus vergleichbar. Wie wäre die Diskussion in Österreich bei einem ähnlichen Vorfall? Wie würde ein österreichischer Kommandant in einem vergleichbaren Szenario von Gesellschaft, Armee und Politik behan- delt werden? Wie würde ich als Soldat / Kommandant / Kamerad in solch einer Situation handeln? Bei Übungen sind ÖBH-Soldaten „schon tausend Tode gestorben“. Dann kommt der Befehl zur Neugliederung, der Kommandant wird möglicherweise gewechselt und der Angriff be- ginnt von neuem. Im Ernstfall sterben Kameraden, sterben Zivilisten. Wie schnell es im Aus- landseinsatz gehen kann, zeigte der Golan-Einsatz. Von einer „Sunshine-Mission“ zur gefähr- lichsten Mission des ÖBH in nur wenigen Wochen, wie im Jahr 2013, als der blutige Bürger- krieg in Syrien begann. Den Ausspruch „es geht um nichts“, konnte man am Golan öfters hö- ren. Und plötzlich geht es um Menschenleben. 35 Vgl. Arnold, Andrey: Schuldig werden in Afghanistan, in: Die Presse (22.4.2016), S 27.
17 2.1 Friedensethik Es gibt kaum jemanden, der sich nicht zum Frieden bekennt. Die Sehnsucht nach Frieden sitzt dem Menschen tief im Herzen. „Nie wieder Krieg“ oder die Idee des „ewigen Friedens“ bei Kant und anderen Denkern zeugen davon. 36 Der Friede sei ein „allgemein anerkannter Wert“ wie auch der Krieg im Bewusstsein als ein „furchtbares Übel“ verankert ist, was in der Ge- schichte nicht immer eine solche Selbstverständlichkeit hatte wie heute. Zsifkovits führt die- sen Wandel in der Kriegsbeurteilung vor allem auf drei Faktoren zurück: Erstens die Erfah- rung der beiden Weltkriege mit den Millionen von toten Menschen, Soldaten wie auch vielen Opfern in der Zivilbevölkerung, zweitens die „Fürchterlichkeit der modernen Massenvernich- tungswaffen“ und drittens, dass der Wert und die Würde des menschlichen Lebens mittlerwei- le tief im Bewusstsein der Menschen verankert sind.37 Wie in Kapitel 1.2.1 beschrieben, kann Friede als „Ruhe einer gerechten und dynamischen Freiheitsordnung“ verstanden werden.38 Als Prozess gedacht, formulierte es Czempiel als „Prozessmuster des internationalen Systems, das gekennzeichnet ist durch abnehmende Ge- walt und zunehmende Verteilungsgerechtigkeit“39. Friede soll somit nicht als Zustand, son- dern als ständiger Prozess verstanden werden. In dieser Prozesshaftigkeit muss man auch Grade des Friedens bzw. der Gewalt sehen.40 Es gibt nicht den Frieden, sondern mehr oder weniger Frieden. Dies zu bedenken ist gerade im Kontext des Einsatzes des Militärs wichtig. In der Geschichte der christlichen Friedensethik begegnen uns vor allem zwei Friedensbegrif- fe: „Friede als Werk der Gerechtigkeit“41 und „Friede als Ruhe der Ordnung“ 42. Seit Augusti- nus hat der Friede als Ruhe und Ordnung ein besonderes Gewicht. Der Frieden bedarf eine institutionelle Absicherung, eine entsprechende Ordnung, dass das friedliche Zusammenleben der Menschen regelt und ihre Konflikte ohne Gewalt löst. Damit diese Ruhe der Ordnung nicht mit einer Art Friedhofsrufe, die auf tyrannischer Gewalt fußt, die Augustinus nicht ge- 36 Zsifkovits, Valentin: Der Friede als Wert. Zur Wertproblematik der Friedensforschung, Wien: Olzog 1973, S 41. 37 Vgl. Zsifkovits, Valentin: Ethik des Friedens, Linz/Passau: Veritas 1987 (=Soziale Perspektiven 1), S 23. 38 Vgl. ebd. 39 Czempiel, Ernst-Otto: Friedensstrategien. Systemwandel durch Internationale Organisationen, Demokratisie- rung u. Wirtschaft, Paderborn u.a.: Schöningh 1986, S 47. 40 Vgl. Zsifkovits, Ethik des Friedens, S 30. 41 Zsifkovits, Art. Friede, S 203. 42 Ebd.
18 meint haben kann, missverstanden wird, muss Friede als „Ruhe einer gerechten und dynami- schen Freiheitsordnung“43 definiert werden. Das Jesaja-Wort „Das Werk der Gerechtigkeit wir der Friede sein, der Ertrag der Gerechtigkeit sind Ruhe und Sicherheit für immer“ (Jes, 32,17) ist die biblische Grundlage für „Friede als Werk der Gerechtigkeit“. Dieser Friedens- begriff findet sich in der Tradition u. a. bei Thomas v. Aquin oder Pius XII. und wurde vor allem vom Zweiten Vatikanischen Konzil aufgenommen. 44 In der katholischen Soziallehre ist der Friede definiert in Beziehung zum Gemeinwohl und zu den Menschenrechten: Friede sei „jener Grundwert des nationalen, insbesonders des interna- tionalen Gemeinwohls, der sich in weiteren Teilwerten, vornehmlich in Gewaltlosigkeit, Ge- rechtigkeit und Freiheit konkretisiert. Und mit Bezug auf die Menschenrechte kann man Frie- den einfach bestimmen als die Verwirklichung der Menschenrechte“45. 2.2 Selig, die Frieden stiften „Selig, die Frieden stiften“, das war die Überschrift der Botschaft von Papst Benedikt XVI. zur Feier des Weltfriedenstages am 1. Jänner 2013: „Unsere Zeit, die durch weiter andauernde blutige Konflikte und drohende Kriege gekennzeichnet ist, erfordert in der Tat einen erneuten und einhelligen Einsatz in dem Bemühen um das Gemeinwohl, wie um die Entwicklung aller Menschen und des ganzen Menschen. Der Mensch ist geschaffen für den Frieden, der ein Ge- schenk Gottes ist.“46 An anderer Stelle der Botschaft heißt es: „Die Verwirklichung des Friedens hängt vor allem davon ab, anzuerkennen, dass in Gott alle eine einzige Menschheitsfamilie bilden. […] Der Friede ist eine Ordnung, die belebt und ergänzt wird von der Liebe, so dass man die Nöte und Erfordernisse der anderen wie eigene empfindet, die anderen teilhaben lässt an den eigenen Gütern und die Gemeinschaft der geistigen Werte in der Welt eine immer weitere Verbreitung findet. […] Jesus ist nämlich unser Friede, unsere Gerechtigkeit, unsere Versöhnung (vgl. Eph 2,14; 2 Kor 5,18). Friedensstifter im Sinne der Seligpreisung Jesu ist derjenige, der das Wohl 43 Ebd. 44 Vgl. ebd. 45 Zsifkovits, Ethik des Friedens, S 28. 46 Benedikt XVI: Weltfriedensbotschaft 2013, in: http://w2.vatican.va/content/benedict- xvi/de/messages/peace/documents/hf_ben-xvi_mes_20121208_xlvi-world-day-peace.html [abgerufen am 24.5.2017], Nr. 1.
19 des anderen sucht, das umfassende Wohl von Seele und Leib, heute und morgen.“ 47 Die Seligpreisungen sind eine ganz zentrale Stelle im Evangelium und können durchaus als Fundament christlicher Ethik verstanden werden. „Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ (Mt 5,9) Jesus fordert die Tat zugunsten des Friedens. Die dritte Seligpreisung (Mt 5,5: Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben) fordert einen Gewaltverzicht, während „Frieden schaffen“ oder wörtlich „Friedensma- cher“ einen Spielraum für verschiedene Mittel zum Erreichen des Friedens enthält. 48 Im Psalm 34,15 wird der Beter nicht nur aufgefordert, den Frieden zu suchen, sondern ihm nach- zujagen: „[…] suche Frieden, und jage ihm nach!“ Es soll nicht einfach aus dem „Friedensmacher“ oder „Friedensjäger“ zum Peacemaking Ein- satz nach UN Kapitel VII übergeleitet werden, wohl aber gilt es zu betonen, dass es im Leben Jesu Situationen gegeben haben muss, wo ein Minimum an Gewaltaufbringung als notwendig erachtet wurde, wie beispielsweise bei der Vertreibung der Händler mit einer Strickgeißel aus dem Tempel (Joh 2,13). Wenn aber Jesus die Tat zugunsten des Friedens fordert, meint er Zuwendung statt Abwendung, Güte statt Hass, Demut statt Gewalt, bis hin zur Feindesliebe in Mt 5,44-48. Frieden geht auch Hand in Hand mit Verzeihen, Versöhnen und Verzichten: Geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder“ (Mt 5,24) und „schließ ohne zu zögern Frieden mit deinem Gegner“ in Mt 5,25. Ähnliches verlangt Mt 5,38-42, wenn statt logischer Vergel- tung das Hinhalten der anderen Wange gefordert wird. 49 In der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes werden im fünften Kapitel die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft behandelt. Auch dort wird in der Ein- führung auf Mt 5,9 verwiesen und Friedensstifter werden seliggepriesen (GS 77). Die Haupt- aussage für Soldatinnen und Soldaten befindet sich in GS 79: „Wer als Soldat im Dienst des Vaterlandes steht, betrachte sich als Diener der Sicherheit und Freiheit der Völker. Indem er diese Aufgabe recht erfüllt, trägt er wahrhaft zur Festigung des Friedens bei.“ Die Konzilstheologen Rahner und Vorgrimler kritisieren, dass mit dieser Aussage die Würde des Soldatenberufs im Abstrakten stehen bliebe. 50 Es wurde nicht auf die konkrete Situation des Militärs eingegangen, die, nach Rahner und Vorgrimler, nirgendwo dem gesetzten Ideal 47 Ebd., Nr. 3. 48 Vgl. Zenger, Erich (Hg.): Stuttgarter Neues Testament. Einheitsübersetzung mit Kommentar und Erklärung, Stuttgart: Katholische Bibelanstalt 42008, S 19. 49 Vgl. Zeilinger, Franz: Zwischen Himmel und Erde. Ein Kommentar zur „Bergpredigt“ Matthäus 5-7, Stuttgart: Kohlhammer 2002, S 45-47. 50 Vgl. Rahner, Karl / Vorgrimler, Herbert: Kleines Konzilskompendium, Freiburg: Herder 2008, S 443-444.
20 entsprechen. Das fünfte Kapitel spricht den Fall an, dass, wenn alle Möglichkeiten einer fried- lichen Regelung erschöpft sind, es das Recht, nicht aber die Pflicht, einer sittlich erlaubten Verteidigung gibt. Bereits 1965 wiesen die Konzilsväter auf die Kompliziertheit der Weltsitu- ation und auf neue barbarische und terroristische Möglichkeiten der Kriegsführung hin. Aus- drücklich wird die unmenschliche militaristische Ausrede „Befehl ist Befehl“ als unent- schuldbar abgewiesen. Es wird auch die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ge- billigt, wenn die Bereitschaft zu einer anderen Form des Dienstes an der Gemeinschaft vor- liegt.51 2.3 Waffendienst aus Gewissensgründen Die grundsätzliche Verurteilung des Krieges in der Kirche und im christlichen Glauben gilt als Selbstverständlichkeit. Aussagen von Päpsten oder Kirchendokumenten sind hier überflüs- sig. Anders ist es bei der Frage, ob jeder Krieg ausnahmslos zu verurteilen ist oder ob es ge- wisse Situationen gibt, bei denen Krieg gerechtfertigt sein kann, etwa weil er als geringeres Übel in Kauf zu nehmen ist. „Solange die Gefahr von Krieg besteht und solange es noch kei- ne zuständige internationale Autorität gibt, die mit entsprechenden Mitteln ausgestattet ist, […] wenn alle Möglichkeiten einer friedlichen Regelung erschöpft sind, kann einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht abgesprochen werden.“ (GS 79) Statt der „Lehre vom gerechten Krieg“ (bellum iustum) soll, wie im Hirtenbrief der Deutschen Bischö- fe zum Frieden (1983) mit dem Titel: „Gerechtigkeit schafft Friede“, besser von „gerechter Verteidigung“ gesprochen werden.52 Wann ist nun nach der traditionellen Katholischen Lehre ein Krieg bzw. gerechte Verteidi- gung erlaubt? Ein Krieg bzw. ein Verteidigung ist erlaubt (nach der Darstellung von Zsifkovits):53 Wenn er von der zuständigen Autorität geführt wird. Wenn ein gerechter Grund vorhanden ist, der nur in der Abwehr einer entsprechend großen, wirklichen und sicheren Gefahr gegeben ist, d. h. um unschuldiges Leben zu schützen, um die für ein menschenwürdiges Dasein notwendigen Bedingungen zu be- 51 Ebd. 52 Vgl. Zsifkovits, Ethik des Friedens, S 47-55. 53 Vgl. ebd., S 55-56.
21 wahren und um menschliche Grundrechte zu sichern. Wenn er den Grundsatz der komparativen Gerechtigkeit entspricht, welche absolute Ansprüche zu relativieren und die Anwendung von Gewalt selbst in einer „gerechten“ Auseinandersetzung einzudämmen gestattet. Wenn er in der rechten Absicht, das Gute zu fördern und das Böse zu verhindern und unter Beachtung der sittlichen und rechtlichen Regeln geführt wird. Dazu gehört auch, dass man auf Frieden und Versöhnung aus ist und dass man unnötige Zerstörungen vermeidet und keine unzumutbaren Bedingungen stellt (z. B. bedingungslose Kapitu- lation). Wenn er als ultima ratio (letztes Mittel) nach Versagen aller milderen Mitteln in Er- wägung gezogen wird. Wenn Aussicht auf Erfolg besteht. Wenn sich insgesamt dadurch das Übel nicht vergrößert, was vor allem bedeutet, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden kann, so dass der Schaden und die Kosten eines Krieges in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gut stehen, das man zu erreichen hofft, wenn man zu den Waffen greift. Zsifkovits merkt noch einige wichtige Ergänzungen zu diesen sieben Punkten an. Die Frage der Verhältnismäßigkeit ist dabei stets neu zu überprüfen. Nicht-militärische Ziele dürfen ebenso wenig angegriffen werden wie Nicht-Kombattanten. Eine klare Unterscheidung zwi- schen Kämpfenden und Nicht-Kämpfenden wäre wichtig, ist aber in Konflikten, besonders unter den heutigen Bedingungen, nicht immer möglich. Die Rede vom „gerechten Krieg“ ist generell nicht glücklich. Gerechtigkeit ist ein Attribut, das Personen und nicht Sachen zu- oder abgesprochen wird. Somit kann es keinen gerechten, oder gar heiligen Krieg geben, nur gerechte, oder heilige Menschen.54 Die Frage ist, was der Mensch angesichts des Krieges tun muss bzw. darf, um gerecht zu bleiben. Das „Gerecht-Bleiben“ bzw. das „Gerecht-Sein“ des Menschen und nicht des Krieges steht im Mittelpunkt. Papst Pius XII. stellte zum Thema „bellum iustum“ klar, dass es sich dabei niemals um einen Angriffskrieg handeln darf. Im Dokument der Päpstlichen Kommissi- on „Iustitia et Pax“ mit dem Titel „Der Heilige Stuhl und die Abrüstung“ aus dem Jahr 1976 heißt es: „Wenn der verursachte Schaden in keinem Verhältnis mehr steht zu den Werten, die 54 Vgl. Zsifkovits, Ethik des Friedens, S 56-57.
22 man zu wahren sucht, ist es besser, Unrecht zu leiden, anstatt sich zu verteidigen.“ 55 Zu bedenken sind auch die Kosten des Auf- und Wettrüstens. In Anbetracht dessen, dass Geld und Energie auch dringend für die Überwindung von Hunger, Krankheit, Elend und Not in der Welt benötigt würde, formuliert das Zweite Vatikanische Konzil: „Der Rüstungswettlauf ist eine der schrecklichsten Wunden der Menschheit, er schädigt unerträglich die Armen.“ (GS 81) Dorothee Sölle schlägt in dieselbe Kerbe und titelt ihr Buch mit: „Aufrüstung tötet auch ohne Krieg.“56 Bei der Bedingung ultima ratio der Gewalt zur Verteidigung ist wiederum der weniger starken Form der Gewalt gegenüber der stärkeren Form der Gewalt der Vorzug zu geben. Ob für oder gegen eine gerechtfertigte Gewaltanwendung zur Verteidigung argumentiert wird, hängt auch damit zusammen, ob man deontologisch oder teleologisch und ob man gesinnungsethisch oder verantwortungsethisch vorgeht. Bei der deontologischen Sichtweise, also etwa eines ab- soluten Pazifisten, ist die Gewaltanwendung unabhängig von den Folgen in sich schlecht und daher verboten. Der Ausgang der Dinge spielt dabei keine Rolle. Umgekehrt nimmt die teleo- logische Sicht ausschließlich die Folgen der Handlung in den Blick. In einer möglichst umfas- senden Wert- bzw. Übelbilanz wird jene Strategie ausgewählt, die ein Maximum an Werten und ein Minimum an Übeln bewirkt. Dieses relative Optimum wird dann Gewaltanwendung in Kauf nehmen, um ein größeres Übel zu verhindern bzw. zu überwinden. Man kann als Christ deontologisch oder teleologisch, gesinnungsethisch oder verantwortungsethisch vorge- hen und dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, obwohl jeder dabei die gleiche Gewissenhaftigkeit haben kann. 57 Gaudium et Spes formuliert dies in Art. 43: „Oftmals wird gerade eine christliche Schau der Dinge ihnen eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewis- senhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen.“ (GS 43) Das Versagen der UN beim Versuch der Verhinderung des Völkermordes in Ruanda 1994 sowie zu einem guten Teil 1999 im Kosovo führte zur Entwicklung des Konzepts der Schutz- verantwortung (Responsibility to Protect). 2005 stimmten die Mitgliedsstaaten der UN dem Konzept zu, welches als letztes Mittel das militärische Eingreifen von außen vorsieht, um 55 Zsifkovits, Ethik des Friedens, S 57-58. 56 Vgl. ebd., S 58. 57 Ebd., S 59.
23 schwerste Menschenrechtsverletzungen zu verhindern bzw. zu beendigen. „Selbst Papst Fran- ziskus wurde als – vorsichtiger – Befürworter eines militärischen Eingreifens unter UN- Mandat zitiert.“58 Das Konzept der Schutzverantwortung führt über das Konzept der humani- tären Intervention hinaus. Wenn jemand die Menschenrechte brutal verletzt, soll er damit rechnen müssen, dass die Staatengemeinschaft ihrer Schutzverantwortung gerecht wird. „Auch wenn es in gewissen Umständen moralisch richtig sein kann, mit Diktaturen zu koope- rieren, es kann nicht richtig sein, dass sich Diktaturen darauf verlassen können, dass mit ihnen kooperiert wird.“59 Bei der Weltkonferenz über den Schutz der Menschenrechte in Wien 1993 wurde ein wesent- licher Schritt in der Entwicklung zum Prinzip der „Responsibility to Protect“ gesetzt. In der Abschlussresolution wurde betont, dass „die Sorge um die Menschenrechte in anderen Staaten keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten darstellt“60. Dem gegenüber stehen die Diskussionen um aktuelle Krisenherde der Welt, wo man einen gegenteiligen Eindruck ge- winnen könnte: „Lasst mich mit diesen Menschenrechten in Frieden, es ist eine innere Ange- legenheit und geht euch nichts an.“61 Allerdings gab es bei der erwähnten Weltkonferenz in Wien ein „klares Bekenntnis dazu, dass es nicht mehr die interne Angelegenheit der Staaten ist, ob Menschenrechte im eigenen Staat eingehalten werden oder nicht“ 62. „Responsibitlity to Protect“ kann als Gewissen einer Staatengemeinschaft verstanden werden. Neben der moralischen und politischen Verpflichtung gibt es allerdings keine rechtliche Ver- pflichtung. Wer sollte hier wen rechtlich verpflichten? Im Hinblick auf die Verantwortung der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ist die Anwendung des Vetos aus egoistischen oder nationalen Gründen unethisch und unmoralisch. Winkler hofft, dass dieses Verhalten in nicht allzu ferner Zukunft völkerrechtlich verpönt sein wird. 63 Neuhold stellt die Frage, ob „humanitäre Intervention“ Solidaritätspflicht oder ein neuer Na- me für Krieg ist. Irak oder Afghanistan haben gezeigt, dass es schwierig ist, als Anwender 58 Bünker, Michael: Kirche und Krieg, in: Roithner, Thomas / Gamauf-Eberhardt, Ursula (Hg.): Am Anfang war die Vision vom Frieden. Wegweiser in eine Zukunft jenseits von Gewalt und Krieg. Festschrift zum 90, Geburts- tag von Gerald Mader, Wien: Kremayr & Scheriau 2016, S 109. 59 Neuhold, Leopold: Humanitäre Intervention – ein neuer Name für Krieg oder Solidatitätspflicht?, in: Ders. (Hg.): Frieden, Frieden, aber es gibt keinen Frieden, Innsbruck: Tyrolia 2014 (= ThkD24) S 173. 60 Winkler, Hans: R2P – ein völkerrechtlicher Freibrief für die Anwendung militärischer Gewalt?, in: Wagnson- ner, Christian u. a. (Hg.): Sind wir verpflichtet, andere zu schützen? Rechtliche und ethische Fragen der „Responsibility to protect“, Wien: BMLV (=Ethica 2013) 2014, S 34. 61 Ebd., S 35. 62 Ebd., S 35. 63 Vgl. ebd., S 40.
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