Der Kirchentag Das Magazin - kirchentag.de - cloudfront.net
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DAS FEST DES GL AU BENS D E U T S C H E R E VA N G E L I S C H E R K I R C H E N T A G DEKT/Monika Johna Kulturkirche St. Elisabeth, Berlin-Mitte, Villa Elisabeth, Installation Kirchentag in Berlin 2017. Liebe Leserinnen und Leser, zwischen viel Erreichtem und neuen Herausforderungen steht Dass jüdisches Leben auch durch den Magen geht, beweist die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen ein katholischer Bäcker in Dortmund, der seit über 20 Jahren Evangelischen Kirchentag. Seit über 50 Jahren steht die AG jüdische Gemeinden mit koscheren Backwaren beliefert. Und dafür, dass der christlich-jüdische Dialog ein zentrales Thema wir blicken nach Israel zu einem ganz besonderen Projekt, des Kirchentages ist. Ihre Geburtsstunde – der Kirchentag das Israelis und Palästinenser verbindet, die Kinder oder nahe 1961 in West-Berlin – fiel in eine Zeit, in der die Aufarbeitung Angehörige bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ihrer der Shoa noch ganz am Anfang stand. Völker verloren haben. Die AG setzte bedeutende Impulse für eine neue Verstän- Ausblicke auf die zukünftigen Kirchentage geben die Lie- digung zwischen Juden und Christen. Sie trieb die theologi- derwerkstatt, deren Mitglieder die Losung „Vertrauen wagen“ sche Aufarbeitung des Antisemitismus und Antijudaismus musikalisch vertonten, sowie die Einladung zur Mitwirkung. voran und brachte den christlich-jüdischen Dialog über den Viele Kreative und Engagierte werden für das christliche Kirchentag hinaus in den gesellschaftspolitischen Diskurs ein. Großereignis 2019 gesucht. Auch 2021 rückt näher, und wir Deutscher Evangelischer Kirchentag Deutscher Evangelischer Kirchentag – Wir haben dieses bedeutende Thema zum Schwerpunkt stellen die Präsidentin des Ökumenischen Kirchentages in Berlin – Wittenberg 2017 Wurzeln und Anfänge Dokumente Im Auftrag des Deutschen Evangelischen dieser Ausgabe gemacht und zwei Mitglieder der AG zu einem Frankfurt, Bettina Limperg, im Porträt vor. Im Auftrag des Deutschen Evangelischen Kirchentages hrsg. von Ellen Ueberschär generationenübergreifenden interreligiösen Gespräch eingela- Wir wünschen Ihnen viel Freude mit der Lektüre! Kirchentages herausgegeben von den. Wie gestaltet sich der christlich-jüdische Dialog heute? 304 Seiten / gebunden Stefanie Rentsch und Heide Stauff Das haben wir Micha Brumlik und Aline Seel gefragt. Herzlich, € 19,99 (D) / € 20,60 (A) / CHF* 26,90 unter Mitarbeit von Mario Zeißig * empf. Verkaufspreis Eine politisch-theologische Perspektive auf das christlich- ca. 704 Seiten und 32 Bildseiten ISBN 978-3-579-08209-7 jüdische Gespräch wirft Martin Stöhr, Mitbegründer der AG. mit CD-ROM / gebunden Auch als E-Book erhältlich Wie befremdlich und bereichernd der Besuch eines Kirchen- € 99,00 (D) / € 101,80 (A) / CHF* 125,00 Subskriptionspreis bis 30.04.2018: tages sein kann, beschreibt Frederek Musall, mit einem jüdi- € 89,00 (D) / € 91,50 (A) / CHF* 119,00 schen Blick auf die Zeit in Berlin 2017. Sirkka Jendis Britta Jagusch * empf. Verkaufspreis Gegründet wurde der Kirchentag im Jahr 1949. Wer aber hatte die Idee zu einem Chefredakteurin Redaktionsleiterin ISBN 978-3-579-08212-7 Erscheint Juli 2018 Kirchentag? Welche Herausforderungen standen am Anfang? Die Wurzeln liegen im Widerstand gegen den National- Der Dokumentarband versammelt sozialismus, im Widerspruch gegen die wichtigsten Bibelarbeiten, Vor- die deutsche Teilung, in der kirchlichen träge, Podiumsdiskussionen, Foren Erneuerung durch die internationale und liturgischen Veranstaltungen des Ökumene. Persönlichkeiten aus Kirche Kirchentages in Berlin und Wittenberg. und Gesellschaft, vor allem Reinold von Damit ist er eine unerlässliche Hilfe Thadden, brachten die Idee Kirchentag zur Nachbereitung dieses kirchlichen voran. Wer die Gründerpersönlichkeiten Großereignisses, das sich als Forum waren und was sie bewirkten, zeigt dieser für kritische Debatten zu den brennen- Band auf. Mit bisher unbekannten Quellen den Themen unserer Zeit versteht. werden die Anfänge des Deutschen Evangelischen Kirchentages freigelegt. Foto: Robert Gross www.gtvh.de
Inhalt 6 Den Menschen zugewandt Im Porträt: Bettina Limperg Stephan von Kolson 18 Plädoyer für Toleranz und Respekt! Wie gestaltet sich jüdisches Leben heute? Fünf Fragen an Zwi Rappoport 20 Neue Gesprächsräume gestalten Ein persönlicher Blick auf den Kirchentag in Berlin Frederek Musall 22 Koscheres aus dem Rührpott Foto: Robert Gross Ein katholischer Bäcker in Dortmund beliefert jüdische Gemeinden Stephan von Kolson 8 Klare Worte! Die Themen für den Kirchentag in Dortmund stehen fest Stephan von Kolson 9 Meldungen Katholikentag in Münster Martin Stöhr verabschiedet Einladung zur Mitwirkung 10 Dialog auf Augenhöhe Interview mit Aline Seel und Micha Brumlik Britta Jagusch 14 Gemeinsam in Verschiedenheit Eine politisch-theologische Perspektive auf das christlich-jüdische Gespräch 24 So klingt Vertrauen Martin Stöhr Eindrücke aus der Liederwerkstatt Jakob Haller 16 Versöhnung statt Rache Der Parents Circle verbindet Israelis und Palästinenser 25 Rezension Hanna Lehming „Ihr sollt den Fremden lieben“ Christa A. Thiel 26 Blickwechsel Wir sind auf dem Weg … Julia Helmke Foto: The Parents Circle Christlich-jüdischer Dialog generationenübergreifend: Aline Seel und Micha Brumlik im Gespräch (ab Seite 10). Foto: Christian Lietzmann Impressum Herausgegeben im Auftrag des Vereins zur Förderung des Deutschen Evangelischen Kirchentages e.V. Chefredaktion (verantwortlich): Sirkka Jendis. Projektleitung und Redaktion: Britta Jagusch. Art Direktion: Holger Schäfers, Kölledesign. Titel: Holger Schäfers Redaktionsbeirat: Dr. Christina Aus der Au, Dr. Julia Helmke, Dr. Stefanie Schardien, Dr. Beatrice von Weizsäcker. Druck: Hoehl, Bad Hersfeld. Klimaneutral gedruckt. Weitere Infos unter: http://cpol.climatepartner.com/11077-1310-1001 Erscheinungsweise: vierteljährlich. 4 5 Redaktionsanschrift: Deutscher Evangelischer Kirchentag, Magdeburger Str. 59, 36037 Fulda, Tel. 0661 96950-0, Fax 0661 96950-90, Nr. 1/18 E-Mail fulda@kirchentag.de. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. ISSN 1869-0181 Nr. 1/18
Hinter die Dinge schauen Zwischen dem Ehrenamt und ihrer hauptberuflichen Beruflich – aber auch mit den Menschen, die mich um- Tätigkeit sieht sie viel Verbindendes: „Die Justiz – das geben.“ Dass sie an der Spitze des Bundesgerichtshofes Grundgesetz – das Christentum. Im Kern geht es da um einmal Chefin von 400 Menschen sein würde, war nie das ähnliche Themen. Was ist Gerechtigkeit? Was ist Unge- Ziel. „Ich mochte es als Richterin sehr, einen Fall buch- rechtigkeit, welche Antworten gibt es auf Fragen nach stäblich in Augenschein zu nehmen. Und wenn es dann Verantwortung und Schuld?“ Das müsse auch auf rechts- bei einem Nachbarschaftsstreit um die fast sprichwört- staatlicher Basis durchdacht werden: Darf der Böhmer- liche Hecke ging – dann wollte ich vor Ort sein und mann das? Sind Raser Mörder? Darf man einem Gefange- herausbekommen, um was es wirklich geht. Bevor ein nen Folter androhen, wenn man ein Kind retten möchte? Richter entscheidet, muss er zuhören. Viele Richter sind Als Juristin müsse sie sich häufig fragen: „Was steckt sehr gerne nicht nur als Letztentscheider unterwegs, son- hinter den Dingen? Und das passt für mich alles auch dern definieren sich auch dadurch, konsensuale Lösun- zum christlichen Glauben.“ Auch der Glaube daran, dass gen mit den Streitparteien zu finden.“ Ihr berufliches alle Menschen die gleichen Rechte haben. Dass es da ein Erfolgsgeheimnis? „Ich finde Menschen einfach immer inter- Regelwerk gibt, das Struktur und Sicherheit vermittelt. essant!“ Und auszugleichen liegt ihr. „Ich war schon unter Und: „Die Unabhängigkeit der Dritten Gewalt, der Recht- uns Kindern immer für die Vermittlung zuständig.“ Foto: picture alliance/dpa sprechung, ist ein Geschenk des Rechtsstaats.“ Engagement für junge Täter Glaube an das Gute Auf ihrem Schreibtisch steht ein halber Meter Aktenstapel. Sie selbst wird erst mit 34 Jahren getauft. Aufgewachsen ist Das Tagewerk? „Nur ein kleiner Teil davon“, sagt Limperg. sie evangelisch-freikirchlich. Doch sie fremdelt mit Kirche. Das hohe Arbeitspensum, die langen Tage, stören sie nicht. Gerechtigkeit, Verantwortung, Schuld sind Themen, die Bettina Limperg nicht nur am Bundesgerichtshof beschäftigen. „Mit 16 habe ich schon gezweifelt. Das kam mir alles so eng Im Gegenteil: „Ich bin sehr robust. Kann mehrere Dinge vor in unserer Gemeinde.“ 1979 macht sie Abitur. Die Zent- parallel tun und mich gut konzentrieren.“ Fast nebenbei Den Menschen zugewandt rale Vergabestelle für Studienplätze entsendet sie nach Frei- engagiert sie sich in dem Verein „Projekt Chance“ für burg. „Mir war damals alles recht – Hauptsache weit weg freiere Formen des Strafvollzugs – gerade bei jungen von Wuppertal.“ Im Studium gab es keinen Kontakt mehr in Tätern. „Strafvollzug lässt sich bisweilen nicht vermeiden. Zuhören, vermitteln, sich selbst ein Bild machen – an der Spitze des höchsten Richteramtes eine Gemeinde. Das änderte sich erst, als ihr erstes Kind Es darf dabei aber nicht einfach um ein Wegsperren ist Bettina Limperg bodenständig geblieben. Ausdauernd tritt die Präsidentin des nächsten geboren wird. „Ich fragte mich: Was möchte ich vermitteln? gehen. Es muss Eigenverantwortlichkeit geschult werden. Ökumenischen Kirchentages für Gerechtigkeit ein. Stephan von Kolson Da ist mir dann wieder viel eingefallen. Mein Kinderglaube Auch Frust auszuhalten und Toleranz zu entwickeln.“ natürlich. Der Glaube an das Gute. Das hatte ich mitge- nommen aus der intensiven Zeit in der Gemeinde meiner Es ist ein weiter Weg von Wuppertal-Elberfeld nach Karls- Bibelarbeit mit Friedensverheißung Jugend.“ Und die Feststellung: „Dieser Kinderglaube hat ruhe. Ein weiter Weg von der Lehrertochter an die Spitze So auch die Anfrage des Kirchentages, ob sie sich vor- mir doch ein Grundvertrauen gegeben, das mich auch in des Bundesgerichtshofs. Als erste Frau in diesem Spitzenamt. stellen könnte, eine Bibelarbeit während des Kirchen- meiner kirchlich nicht aktiven Zeit getragen hat.“ Mal wieder. Denn zuvor war Bettina Limperg als Ministerial- tages in Berlin zu halten. Jakob und Esau. Erste Reaktion: direktorin auch schon die „Da fällt mir im Leben nichts ein. Ich fühlte mich geehrt, Ökumenische Taufe Foto: DEKT/Kathrin Erbe/ Zum Autor: Stephan von Kolson ist erste Amtschefin des Jus- fragte mich aber ernsthaft: Kann ich das?“ Dann nimmt Inzwischen lebte sie mit ihrer Familie in Fellbach. „Wir Abteilungsleiter Presse des Deutschen tizministeriums Baden- sie sich des Themas aber doch an – und so verbringt die hatten dort einen tollen Pfarrer. Einen intellektuellen und Evangelischen Kirchentages in Dortmund. Württemberg. Und es höchste Richterin im Land in der Folge viele Wochenen- zugleich auch praktisch klugen Menschen. Und da haben ist auch ein weiter Weg den mit Textarbeit. Alles geht gut. Es gelingt ihr, in dieser wir beschlossen, dass unser Sohn getauft wird. Und von der freikirchlich aufgewachsenen Jugendlichen, die störrischen Bibelstelle eine Friedensverheißung heraus- zugleich wuchs die Frage, ob ich diesen Schritt dann nicht während ihres Studiums Kirche komplett aus dem Blick zuarbeiten. auch tun sollte.“ Zuerst hat sie Zweifel. Warum soll ich Im Gespräch auf dem Kirchentag 2017 in Berlin. verloren hatte, in das Ehrenamt der Präsidentin des das jetzt machen? „Es war dann aber sehr schön und dritten Ökumenischen Kirchentages 2021 in Frankfurt. Gelebte Ökumene belebt mich bis heute.“ Als dann die Tochter geboren Mit ihrer Geburtsstadt Wuppertal hat sich Bettina Limperg Später wird sie von Andreas Barner, Präsident des Kirchen- wurde, bekam auch eine katholische Freundin fast zeit- versöhnt: „Wenn ich jetzt dort spazieren gehe, bergen alle Zugewandte Bescheidenheit tages in Stuttgart – und Mitglied des Präsidiumsvorstands gleich ein Kind. „Da haben wir uns überlegt, dass es doch Wege Erinnerungen.“ Auch an ihre geliebte Großmutter, Wenn die 58-Jährige Fragen dazu in ihrem Büro im Erb- des Kirchentages –, gefragt, ob sie es sich vorstellen könne, wunderbar wäre, wenn wir eine ökumenische Taufe in deren Haus an der Hardt, einem der ältesten Stadt- großherzoglichen Palais, dem Sitz des Bundesgerichtshofes Präsidentin des dritten Ökumenischen Kirchentages zu erleben könnten. Das hat auch geklappt – und die ganze parks in Deutschland, sie in den ersten sechs Jahren mit in Karlsruhe, beantwortet, relativieren sich die Entfernun- werden. „Das war eine schwierige Entscheidung. Denn Gemeinde hat die offene Atmosphäre inspiriert.“ vielen Cousinen und Cousins aufgewachsen ist. Aber auch gen. Und das liegt nicht nur daran, dass die zierliche mir war von Anfang an klar: Wenn wir das 2021 machen die Landschaft im Bergischen gefällt der passionierten Juristin Läuferin ist – und in guten Zeiten zweimal in – dann muss dabei auch ein Ergebnis herauskommen. Lösungen finden Wanderin. Die gigantischen Rhododendren. Weite Wege. der Woche zehn Kilometer läuft. Es ist diese ruhige, sehr Andererseits: Probleme und Schwierigkeiten in der Welt Schon während ihres Studiums ist der parteilosen Juristin Bettina Limperg geht sie gerne. konzentrierte, sehr zugewandte Haltung. Und diese können wir nur gemeinsam lösen. Und gelebte Ökumene klar, dass sie Richterin werden möchte. Am Amtsgericht Bescheidenheit, die ihre Art ist, Menschen und Themen ist in den meisten Gemeinden doch schon ganz selbstver- – vielleicht sogar am Landgericht. Eine Karriereplanung mit Respekt ernst zu nehmen. ständlicher Alltag.“ hatte sie nie. „Ich hatte aber immer sehr viel Glück. 6 Nr. 1/18 Porträt Porträt Nr. 1/18 7
Suche Frieden Katholikentag lädt vom 9. bis 13. Mai nach Münster ein Unter dem Leitwort „Suche Frieden“ veranstalten das Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) und das Bistum Münster als gastgebende Foto: DEKT/Jenna Dallwitz Diözese vom 9. bis 13. Mai 2018 den 101. Deutschen Katholiken- tag in Münster. Mehr als 1000 Veranstaltungen wird es geben: Höhepunkte sind Großkonzerte, unter anderem mit Götz Alsmann und den „Alten Bekannten“ – die viele noch als Wise Guys kennen. Aber auch zu den großen Gottesdiensten an Christi Himmelfahrt und zum Abschluss werden Zehntausende in Münster erwartet. Teilnehmende können sich außerdem auf eine Nacht der Lichter von Taizé und auf Podiumsdiskussionen, beispielsweise mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, Klare Worte in Dortmund! freuen. Und auch der kolumbianische Präsident und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos wird erwartet. Eckart von Hirschhausen tritt bei verschiedenen Veranstaltungen auf, mehr als 4000 Sängerinnen und Sänger werden bei einem Konzert auf der Bühne stehen. Workshops, Beratungsangebote, Ausstellungen und ein Kabarettprogramm runden das Programm ab. katholikentag.de Die Themen für den Kirchentag 2019 stehen fest Ein Kirchentag entsteht: Präsidialversammlung und Präsidium des Kirchentages haben Anfang März in Schwerte rund 50 Projekte und Themen um die Losung „Was für ein Vertrauen“ (2. Könige 18,19) verabschiedet. Ab Sommer 2018 werden ehrenamtliche Programmgremien die voraussichtlich etwa 2000 Veranstaltungen planen. Und damit gibt es schon jetzt einen Vorgeschmack auf einige der großen thematischen Schwerpunkte des 37. Deutschen Martin Stöhr verabschiedet Evangelischen Kirchentages in Dortmund: Digitalisierung, Arbeit, soziale Teilhabe und Europa. Mit großem Dank hat die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deut- Vertrauensverlust und gute Nachrichten schen Evangelischen Kirchentag auf ihrer Jahrestagung Gründungsmitglied Kirchentagspräsident Hans Leyendecker erwartet in Dortmund einen Kirchentag der klaren Worte, der „nicht in Martin Stöhr verabschiedet. Der emeritierte Professor für Systematische Theologie Harmonie ertrinkt“ und der auch dort hinsieht, wo „es wehtut“, um Ängste und Verunsicherungen zu hören und an der Universität-Gesamthochschule Siegen und Ehrenpräsident des Inter- ernst zu nehmen: „Dortmund ist der ideale Ort, um wesentliche Inhalte gegen die manchmal schon modische nationalen Rats der Christen und Juden (ICCJ) ist einer der profiliertesten und oft auch hysterische Untergangsstimmung zu setzen, und es wird deshalb auch den Kirchentag der guten Vertreter der ökumenischen Theologie und des christlich-jüdischen Dialogs in Nachrichten geben.“ Deutschland. Der ehemalige Direktor der Evangelischen Akademie Arnoldshain Foto: von Gehren/EKHN Generalsekretärin Julia Helmke führt aus: „Es geht um eine gesellschaftliche Mitte, die erodiert. Wir sehen Angst war langjähriger Vorsitzende der Martin-Niemöller-Stiftung und erhielt für seine vor Armut, Zukunftsunsicherheit und Sprachverlust im Umgang miteinander. Das Vertrauen in die großen gesell- Verdienste um das christlich-jüdische Gespräch 1983 die theologische Ehren- schaftlichen Institutionen ist erschüttert. Wie gehen wir damit um, was können wir entgegensetzen? Was bedeutet doktorwürde der Universität Heidelberg. 1984 ehrte ihn die Stadt Gießen mit der hierbei Gottvertrauen?“ Hedwig-Burgheim-Medaille. 2016 erhielt Stöhr die Martin-Niemöller-Medaille der hessen-nassauischen Kirche. ag-juden-christen.de Roter Faden: Migration und Integration Die Themenfelder Migration, Integration und gesellschaftliche Partizipation werden sich wie ein roter Faden durch den Kirchentag und seine Vorbereitung ziehen. Die großen internationalen Herausforderungen der Friedens- und Entwicklungspolitik werden unter anderem in einem International Peace Centre behandelt – ein Mitwirkungsan- Einladung zur Mitwirkung gebot gerade für nichteuropäische Gäste des Kirchentages. Die Kreativen, die Musikerinnen, die Aussteller und Sport als neues Themenfeld Künstlerinnen sind ab Mitte April eingeladen, sich Foto: DEKT/Nadine Malzkorn Und in einer Stadt wie Dortmund darf natürlich auch das Thema Sport nicht fehlen: Wie religiös ist Fankultur auf- beim Kirchentag als Mitwirkende zu bewerben. Für geladen? Welche ethischen Herausforderungen ergeben sich aus dem Leistungsprinzip und finanziellen Aspekten die Bereiche „Gottesdienste“, „Markt der Möglichkei- rund um den Sport? Zu den genannten Schwerpunkten kommen zahlreiche weitere Zentren, Programmtage und ten“, „Messe im Markt“, „Kinder und Jugend“ sowie Themen, mit denen sich Kirchentage seit vielen Jahren auseinandersetzen. Dazu gehören Bibel und Gottesdienst, „Kultur“ werden wieder viele engagierte Menschen Barrierefreiheit und Geschlechterfragen, Stadt und Umwelt sowie der interreligiöse Dialog. gesucht. Über die Zulassung entscheiden ab Herbst ehrenamtliche Projektleitungen. Bewerbungsschluss Ausblick auf den ÖKT ist der 30. September 2018, für die Messe im Markt der 30. November 2018. Die Anmeldung für Bläser- und Sängerchöre Eine wichtige Rolle – gerade auch im Hinblick auf den dritten Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt am Main ist bis zum 15. Januar 2019 möglich. Alle weiteren Informationen sowie Bewerbungsformulare für die aktive Beteiligung 2021 – werden die Themen Ökumene und Abendmahl spielen. am nächsten Kirchentag in Dortmund sind im Internet abrufbar. kirchentag.de/mitwirken 8 Nr. 1/18 Kirchentag Meldungen Nr. 1/18 9
Aline Seel: Die historische Nähe der Verbrechen des oder konservativ. In Deutschland ist das ein Randthema Nationalsozialismus war in den Jahren nach 1945 deutli- oder nur in speziellen historischen Kursen zu finden. cher spürbar. Die existentielle Bedrohung des Judentums war viel präsenter und das Verschweigen der Mehrheits- Wie gewinnt man junge Menschen für das Thema? gesellschaft war massiv. Hier hat sich vieles geändert. Doch Aline Seel » es bleiben Kernthemen: Wie gehen wir um mit gewalt- belasteter Vergangenheit? Wie können wir als Christen- … menschen eine lernende und dialogische Beziehung zum Unser Ziel ist es, mehr Judentum gewinnen? Darüber hinaus ist wichtig, dass die Begegnungsräume zwischen jüdische Gemeinschaft in Deutschland heute sehr plural ist. Viele Jüdinnen und Juden haben Lebensgeschichten, den Generationen und die sich von den direkten Nachkommen der Überlebenden Religionen zu schaffen. stark unterscheiden, das verändert auch das Gespräch. … Wo steht der christlich-jüdische Dialog heute? « Micha Brumlik: Wir sind auf einem guten Wege der Wir hatten zum Beispiel Stipendiatinnen und Stipendi- versöhnten Verschiedenheit. Ich glaube, es ist nicht aten des jüdischen Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks Alle Fotos: Christian Lietzmann möglich, sie letztlich zu überwinden, aber wenn man beim Kirchentag dabei. Die Neugier aufeinander war sich wechselseitig in Respekt und Akzeptanz wahr- groß, gleichzeitig gab es auch viel Vorsicht und Abwehr nimmt, ist das schon viel. Das passiert nicht nur in gegenüber Zuschreibungen. Junge Jüdinnen und Juden unserer Arbeitsgemeinschaft, sondern auch weltweit. wollen nicht als Repräsentanten des Judentums auf der Bühne stehen, sondern als Mitglieder einer vielfältigen Aline Seel: In Deutschland wurde viel von den Lan- Gemeinschaft. Gleiches gilt ja auch für Christinnen und deskirchen angestoßen und es gibt viele Menschen, die Christen! Wir sind hier auf einem spannenden Weg und Dialog auf Augenhöhe sich für eine gute und bleibende Verbindung zum wichtig ist mir, den hiermit verbundenen Problemlagen Judentum einsetzen. Doch klar ist auch, in Wissenschaft nicht auszuweichen. und Gemeinde gibt es noch viel zu tun. Wie kann eine 1961 gründete sich die AG Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. nicht-antijüdische Schriftauslegung aussehen? Wie kön- Micha Brumlik: Ich erlebe allerdings, dass der Zeit- nen wir Gottesdienste so feiern, dass sie das Judentum geist ein anderer ist. Jüdinnen und Juden interessieren Über Entwicklungen und Herausforderungen für den christlich-jüdischen Dialog sprechen als Geschwisterreligion wahr- und ernstnehmen? sich viel stärker für den Islam als das Christentum. Das der ehemalige jüdische Vorsitzende der AG, Micha Brumlik, und Pfarrerin Aline Seel, Mitglied hängt natürlich auch viel mit dem Israel-Palästina- im Vorstand. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen? Konflikt zusammen – da übt der Islam bei theologisch Aline Seel: Es stellt sich die Frage, welche Rolle Reli- interessierten jungen Jüdinnen und Juden eine größere Der Kirchentag – Das Magazin: Sie gehören unterschied- Micha Brumlik: Ich möchte das Stichwort „Geschwis- gionen in einer säkularisierten Gesellschaft spielen? Faszination aus. lichen Generationen und Religionen an und beschäftigen sich terreligion“ aufgreifen. Früher hat man noch von Mutter- Jüdische und christliche Gemeinden stehen vor ähnli- beide intensiv mit dem jüdisch-christlichen Dialog – welche religion Judentum und Tochterreligion Christentum chen Fragen: Wie gestalten wir Gemeindeentwicklung? Motivation treibt Sie an? gesprochen, mittlerweile wissen wir, dass das religions- Wie gewinnen wir Nachwuchs? Wie können wir uns Micha Brumlik: Eines meiner ersten Motive, mich mit historisch – nicht unbedingt theologisch - falsch ist. Es gemeinsam für eine Gesellschaft einsetzen, in der Men- dem Christentum und dem christlich-jüdischen Dialog zu sind beides Religionen, die in der späten Antike entstan- schen ohne Angst verschieden sein können. beschäftigen, war der Umstand, dass der christliche Anti- den sind und sich auf die hebräische Bibel beziehen. judaismus eine verheerende Rolle in der Geschichte des Für mich war der christlich-jüdische Dialog wichtig, Micha Brumlik: Darüber hinaus habe ich den Ein- Abendlandes gespielt hat, mit gleitenden Übergängen in weil ich über ihn gelernt habe, die Evangelien und die druck, dass das Interesse von Christen am Judentum den modernen Antisemitismus. Ich habe mich mit dem Schriften des Neuen Testaments als Zeugnisse jüdischer größer ist als umgekehrt. Ich kenne, abgesehen von Christentum beschäftigt, um es gleichsam zu entgiften Glaubensgeschichte kennenzulernen. ein paar Spezialistinnen und Spezialisten, nicht viele von den antijüdischen, antisemitischen und antijudaisti- Jüdinnen und Juden, die sich in besonderer Weise für schen Vorurteilen. Wenn Sie an die Anfänge denken – wie hat sich der christlich- das Christentum interessieren. Und auch in der Rabbiner- Aline Seel: Ich habe einen Freiwilligendienst mit Akti- jüdische Dialog entwickelt? ausbildung ist das kein Thema – ob orthodox, liberal on Sühnezeichen Friedensdienste gemacht und mit Holo- Micha Brumlik: Mein Eindruck ist, dass die Gesell- caust-Überlebenden gearbeitet. Als ich begann, Theologie schaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Zur Person: zu studieren, war ich erschrocken über die fehlende theo- Wesentlichen – und das ist nicht abfällig gemeint – Aline Seel ist Pfarrerin in Entsendung am Institut Kirche logische Bearbeitung der Shoah. Das Christentum hatte Honoratiorenveranstaltungen waren, in denen der gute und Judentum sowie in der Evangelischen Luisen-Kirchen- versagt gegenüber dem Judentum als seiner Geschwister- Wille bekundet wurde. Das war wichtig, und wir sind gemeinde in Berlin Charlottenburg. Sie war langjährige Mit- religion. Für mich wurde die Frage zentral, wie sich das dankbar dafür. Im Laufe der Zeit hat sich die Beziehung arbeiterin bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V. Christentum ohne Gewalt und Abwertung auf das Juden- zwischen Juden und Christen religionshistorisch und und ist Mitinitiatorin des Netzwerks antisemitismus- und tum beziehen kann. theologisch jedoch vertieft. Heute ist der Dialog auch rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie. ein Aufruf zu Toleranz und Akzeptanz. 10 Nr. 1/18 Interview Interview Nr. 1/18 11
Zur Person: Prof. Dr. Micha Brumlik war Professor am Institut für Allge- Wäre eine Erweiterung des Dialogs – also jüdisch-christlich- jüdisch-christliche Lehrinhalte analysiert. Da gibt es meine Erziehungswissenschaft der Goethe-Universität muslimisch – vorstellbar? großen Nachholbedarf. Frankfurt und ist seit Oktober 2013 Senior Advisor am Zent- Micha Brumlik: Ich bin absolut dafür, wobei man rum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg. Von 2000 bis darauf achten muss, dass das eine das andere nicht Welche Themen stehen an – auch im Hinblick auf den Kirchen- 2005 leitete er das Fritz-Bauer-Institut Frankfurt am Main, ersetzt. Und das scheint mir gegenwärtig so ein biss- tag in Dortmund? das Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte chen der Trend zu sein. Ich bin sehr für eine trialogi- Aline Seel: Auf unserer Agenda steht die Identitäts- und Wirkung des Holocaust. Als Publizist und Autor veröf- sche Beziehung, aber diese kann den Dialog zwischen frage. Was heißt das eigentlich, wenn wir denn fentlichte er Sachbücher, Essays und Artikel zur Geschichte Judentum und Christentum nicht ablösen. Geschwister sind? Also wie jüdisch ist christlich und des Judentums und zeitgenössischen jüdischen Themen. wie christlich ist jüdisch? Gibt es da eine produktive Aline Seel: Das sehe ich ähnlich. Denn es gibt so viel Identitätskonfusion der Religionen? Das ist im Hin- in unserem Gespräch, das noch nicht abgearbeitet ist blick auf die Nationalisierung Europas ein gesamtge- dings muss das sorgfältig vorbereitet und nachbereitet und noch zu entdecken gilt. Der schon erwähnte Para- sellschaftliches Thema. Nationale Identitätskonstruk- werden. Und man sollte nicht den Eindruck entstehen digmenwechsel von Mutter- zu Geschwisterreligion. tionen werden durch den Rechtspopulismus befördert. lassen, dass das ein Dauerthema ist – lieber einmal Außerdem: wie kann eine Christologie aussehen, die Dazu haben wir jüdisch-christlich etwas zu sagen. Das intensiv und gründlich. Auch der Kontakt zu Zeitzeu- Jesus als Juden wirklich wahr- und ernstnimmt? Als gilt auch für Fragen der Migrationsgesellschaft. Ich gen ist wichtig. Es muss jedenfalls effektiv verdeutlicht Religionen stehen wir bleibend nah am Abgrund einer glaube, das interreligiöse Gespräch hat eine gesell- werden, dass im Holocaust das höchste Prinzip unserer gewaltbelasteten Vergangenheit. Damit sensibel und schaftliche Verantwortung, sich gegen hermetische Verfassung, die Würde des Menschen, in einer bis theologisch verantwortlich umzugehen, das bleibt eine Identitätskonstruktionen von Volk, Kultur, Nation und sogar weniger erschrocken, weil sie diese Tendenz kennen dahin nicht vorstellbaren Weise verletzt worden ist. Aufgabe. Das sind Themen, die unsere Arbeit in der Religion zu wehren und Alternativen zu leben. und wissen, dass es sie gibt. Auch schon lange vor 1945. Arbeitsgemeinschaft prägen. Eine neue Entwicklung ist, dass antisemitische Äußerungen Aline Seel: Ich glaube auch, dass frühkindliche inter- Micha Brumlik: Mich interessiert der Grundsatz wieder salonfähig werden. Ich finde das sehr erschreckend. religiöse Bildung enorm wichtig ist. Schon früh müssen Woran arbeitet die AG zurzeit? unserer Verfassung, das Grundgesetz, die Würde des Stereotypen durchbrochen werden. Aline Seel: Uns geht es um einen Dialog auf Augen- Menschen. Es gibt christliche Konservative, die darin Micha Brumlik: Für mich ist das Internet eine Art höhe. Wir entwickeln kreative Formate, die neue Blick- das zentrale Thema des Christentums sehen, der Gottes- generalisierter und verbreiteter Stammtisch. Und da Ein Blick in die Zukunft: Was wünschen Sie sich für das christ- winkel auf Themen ermöglichen. In Berlin haben wir ebenbildlichkeit. Aber das ist so nicht ganz richtig. gibt es Hetze, auch gegen andere Gruppen. Gegen lich-jüdische Gespräch und die AG? eine Veranstaltung gehabt mit dem Titel: „Juden fragen Die Gottesebenbildlichkeit wurzelt in der hebräischen Frauen, gegen Homosexuelle, gegen Muslime, das ist Micha Brumlik: Für die AG wünsche ich mir, dass es Christen“. Da wurden die Rollen getauscht und Chris- Bibel. Das rabbinische Judentum ist schon sehr früh zu unglaublich, was man da lesen kann. Und das meist uns gelingt, dass Einführungen in das Judentum ein tinnen und Christen mussten Rede und Antwort stehen entsprechenden Formulierungen bezüglich der Würde anonym. Das hat sehr wesentlich etwas mit dem Medi- verpflichtendes und prüfungsrelevantes Thema für zu Fragen an ihre Religion und Glaubenspraxis. Verän- des einzelnen Menschen als eines Abbildes Gottes um zu tun. Die interessante Frage ist, ob dieses Medium künftige Pfarrerinnen und Pfarrer werden. Und dass wir dert hat sich auch unsere Öffentlichkeitsarbeit, wir sind gekommen. Das ist ein Thema, dem wir uns auch in dazu verleitet, sich noch stärker in diese Richtung zu noch mehr jüngere Mitglieder für unsere AG gewinnen offensiver geworden, haben eine neue Internetseite, politischer Hinsicht nähern müssen. Da hat das Juden- äußern, oder ob diese Vorbehalte, Vorurteile und können. Allgemein bin ich gespannt, ob und wie sich gehen nach außen und versuchen, das Gespräch aus tum viel einzubringen. Ressentiments ohnehin bereits vorhanden waren und Judentum, Christentum und Islam als europäische Reli- seiner Nische rauszuholen. Der Dialog braucht zwar jetzt nur eine Plattform finden. gionen verstehen werden. nach wie vor einen großen Schutzraum, aber wir möch- Aline Seel: Ein zentrales Thema ist auch der Antise- ten den christlich-jüdischen Dialog weiter öffnen. mitismus, der immer enthemmter spürbar ist. Was kann der christlich-jüdische Dialog bewirken? Aline Seel: Als Christin wünsche ich mir, dass wir Micha Brumlik: In den Institutionen, zu denen wir mehr Geschwisterlichkeit leben, in dem Sinne: Wenn das » Micha Brumlik: Wie erleben Sie den Antisemitismus in Deutschland? Zugang haben, christliche Gemeinden, die Lehramts- Judentum verletzt wird, werde auch ich verletzt. Über- Micha Brumlik: Der öffentlich geäußerte Antisemi- ausbildung, Schulklassen, kann er vielleicht etwas haupt sollten wir berührter werden, insgesamt, die Kirche … tismus tritt oft als sogenannter israelbezogener Anti- bewirken. Aber an Stammtische ranzukommen, da bin und der Kirchentag. Wir verstehen uns als semitismus, in der Kritik am Staat Israel, zutage. Aber ich eher pessimistisch. Lobbygruppe. Daher ist schaut man ein Stockwerk tiefer oder direkt ins Inter- net, dann hat man jede Menge alten rassistischen, ver- Aline Seel: Wir haben auf dem Kirchentag Antisemi- Jüdisch-christlicher Thinktank es uns ein Anliegen, dass der schwörungstheoretischen Antisemitismus, der den tismus-Workshops angeboten. Ich glaube, Bildung ist 1961 gegründet, hat sich die AG Juden und Christen beim jüdisch-christliche Dialog Staat Israel nicht braucht. Ich glaube zwar nicht, dass überhaupt das Wichtigste. Das gilt gerade für die Religi- Deutschen Evangelischen Kirchentag zu einem Thinktank in die Grundausbildung der Antisemitismus quantitativ in Deutschland zuge- onspädagogik, wo das Thema Antisemitismus leider für jüdisch-christliche Gespräche in Deutschland entwickelt. evangelischer Theologinnen nommen hat. Aber wie und unter welchen Umständen kaum eine Rolle spielt. Wir dürfen nicht dabei stehen- Sie setzt Impulse über den Kirchentag hinaus für eine neue dieser dann in Gewalt mündet, das ist eine andere Frage. bleiben, ein möglichst positives Bild über das Judentum Verständigung zwischen Juden und Christen. Auf den Kirchen- und Theologen aufgenommen Ich nehme wahr, dass nicht wenige, vor allem junge zu vermitteln. So werden Stereotype reproduziert. tagen gestaltet sie maßgeblich das Zentrum „Juden und wird. muslimische Männer sich entsprechend äußern und Christen“ mit verschiedensten Veranstaltungen, Vorträgen, … keineswegs nur israelbezogen. Darüber darf man aber Wie kann das aussehen? Podiumsdiskussionen, Lesungen und Ausstellungen. nie vergessen, dass der gemessene Antisemitismus in Micha Brumlik: Ich glaube, es ist wichtig, dass jüngere ag-juden-christen.de « der deutschen Bevölkerung insgesamt keineswegs Kinder in Kindertagesstätten und Grundschulen gemein- geringer ist. sam die wichtigen Feste begehen. Jugendliche ab 14 Jahren Da drängen wir sehr stark drauf. In einem Projekt der sollten sich mit der Geschichte des Holocaust auseinan- Interviewerin: Britta Jagusch ist Redakteurin des Magazins AG wurden dazu Curricula des Theologiestudiums für Aline Seel: Ich glaube, die Menschen, die sich schon dersetzen und auch Konzentrationslagergedenkstätten „Der Kirchentag“ und arbeitet als Journalistin in Frankfurt Pfarramt und Lehramt in Bezug auf jüdische und/oder länger mit Antisemitismus beschäftigen, die sind vielleicht oder Vernichtungslagergedenkstätten besuchen. Aller- am Main. 12 Nr. 1/18 Interview Interview Nr. 1/18 13
durch Medien, Fakultäten und gesellschaftliche Gruppen Vielfalt christlicher Konfessionen aufgearbeitet? Jetzt gehe es vorrangig um den Islam! Am Anfang der christlichen Lehrentwicklung stehen viele Noch immer ist eine unhaltbare Geschichtsideologie Christologien, nicht eine. Die Vielfalt der christlichen zur Religions- und Kirchengeschichte aufzuarbeiten. Konfessionen verdankt sich nicht den Abspaltungen von Nach ihr hat die Kirche als das „neue“ oder „wahre“ Israel einem einst einheitlichen Urbekenntnis als vielmehr den das jüdische Volk als Gottes Zeuge abgelöst, weil das unterschiedlichen Akzentsetzungen der neutestament- jüdische Volk Jesus als Messias abgelehnt habe. Deshalb lichen Autoren sowie den Einflüssen unterschiedlicher sei es enterbt und die „Tochter“ Kirche an die Stelle der sozialer, kultureller oder staatlicher Kontexte und Epo- „Mutter“ Israel getreten. Beide jedoch sind Geschwister chen. Paulus schreibt zwei Generationen vor dem Zeit- auf Augenhöhe, weil sie auf dem Grund der gemeinsa- diagnostiker und Apokalyptiker Johannes oder dem Ethi- men, wenn auch unterschiedlich gelesenen Hebräischen ker Jakobus. Die Evangelien sind nicht jeweils aus einem Bibel leben. Guss geschrieben, sondern Materialsammlungen, die auf „Augenzeugen und Diener des Wortes“ (Luk 1,4) zurück- Foto: DEKT/Jens Schulze Jesus bleibt Jude gehen. Werden die Worte der Bibel als „Dogmen“ fixiert, Der Jude Jesus hatte wie die Urchristenheit keine andere sind sie gleichsam „zerreißfeste Weltanschauungen“ Heilige Schrift. Er ist mit seinem Sterben und Leben und (Robert Musil) oder Erlasse irgendeiner „Hauptverwal- mit seiner Botschaft keineswegs im Gegensatz zum tung ewiger Wahrheiten“ (Robert Havemann), leblos, Judentum zu definieren. Er verließ seine jüdische aber lebensgefährlich. Eine Herzensangelegenheit! Zur Gala „50 Jahre christlich-jüdischer Dialog” hatte das Zentrum Juden und Christen auf dem Kirchentag in Dresden 2011 eingeladen – Gemeinde nie, rang in ihr und mit ihr um das rechte im Gespräch: Avi Primor, ehemaliger israelischer Botschafter (2. v. l.) und Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (2. v. r.). Verständnis der Bibel. Das „Ich aber sage euch …“ in der Im lebendigen Gespräch bleiben Bergpredigt ist keine Antithese zum Alten Testament, Die Texte der Bibel stammen aus tausend Jahren, sondern seine Auslegung. Wird das vergessen, werden entfalten sich, enthalten Widersprüche, setzen in neuen Gemeinsam in Verschiedenheit die jüdische Bibel, also auch der größte Teil der christli- chen Bibel, wie das Judentum zu bloßen Vorgeschichten Situationen und anderen Zeiten neue Schwerpunkte. Kirche und Israel sind in einem lebendigen Gespräch mit Eine politisch-theologische Perspektive auf das christlich-jüdische Gespräch. Martin Stöhr des Christusgeschehens. Dabei steht für Israel wie für die und über Gott und die Welt unterwegs. Wie – darüber Kirche die Vollendung des Gottesreiches, für die Christen geht in der rabbinischen Literatur wie bei den Kirchen- Nach dem Stand der christlich-jüdischen Gespräche zu Nie wieder … die Wiederkehr des Christus aus. Der christliche Glaube vätern eine lebendige Diskussion. Wege zu Gottes Wahr- fragen heißt an die Ausgangspunkte zu erinnern, die poli- Anfangs stellte sich pädagogisch und politisch die Frage, an Jesus als den Messias unterscheidet Juden und Chris- heit verfügen nicht über sie, aber sie ist als „Stückwerk“ tisch und theologisch zu bedenken sind: den Versuch, ob und was aus den Verbrechen der Vergangenheit zu ten, schafft aber weder eine christliche Überlegenheit (so Paulus 1 Kor 13) zu erkennen. Erst ein Staatskirchen- das europäische Judentum zu vernichten, den Beitrag des lernen ist. Der Satz „Nie wieder“ sagt heutigen Generatio- noch ein jüdisches Defizit. tum nach Konstantin verlangt im Imperium Romanum theologischen Antijudaismus zum Judenhass sowie – nen nach Shoah und Krieg wenig bis nichts. Politisches eine einheitliche Lehre. positiv – die Existenz des Staates Israel. und gesellschaftliches Engagement, Einüben von Kritik und Selbstkritik gehören dazu, gerade wenn Antisemitis- Positive Wende Zwischen Vergessen und Aufklärung mus, Islamophobie und Antiziganismus wachsen. Es wird Am 10.9.2000 spricht in der „New York Times“ ein Auf- Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-P060361 / CC-BY-SA 3.0 In Berlin 1961 arbeiten Juden mit Christen erstmals gefragt, wie ethische Verantwortung in und von großen ruf vieler jüdischer Wissenschaftler und Rabbiner von gleichberechtigt in einem interreligiösen, öffentlichen und kleinen Organisationen wahrzunehmen ist. Und einer dramatischen und positiven Wende in den christ- Diskurs auf dem Kirchentag. Er ist asymmetrisch. Die das in einer Welt, die immer stärker vernetzt ist, deren lich-jüdischen Beziehungen – nach „2000 Jahren, in Minderheit der überlebenden Juden reist aus ihrem Exil Wissen sich rasant vermehrt, während das Gewissen Ein- denen das Judentum als Vorläufer-Religion des Chris- an und kommt in eine Mehrheitsgesellschaft, in der lieber zelner und von Institutionen sowie eine Ethik zu Gerech- tentums“ nur wahrgenommen wurde. Vielleicht be- vergessen als tigkeit und Verantwortung, Freiheit und Frieden leicht ins schreibt das einige Schritte auf dem Weg, den der russi- Zum Autor: Prof. em. Martin Stöhr lehrte Theologie aufgeklärt Hintertreffen geraten. sche Religionsphilosoph Wladimir Solovjov um 1900 in an der Universität Siegen und war zuvor Leiter wird. Es gab seiner „Erzählung vom Antichrist“ für das Ende der Tage der Evangelischen Akademie Arnoldshain. Er ist wenige Wider- Aufarbeitung notwendig visionär sieht (nach Micha 4,1-5): Die Völker der Welt ehrenamtlich engagiert in Gremien des jüdisch- ständige. Was Das allzu leicht gebrauchte Wort vom „gemeinsamen ziehen gemeinsam, aber in Konfessionen unterschieden christlichen Dialogs und der Ökumene. trieb sie an? Es jüdisch-christlichen Erbe“ beschwört etwas, was es hier- nach Jerusalem, dem Zentrum des jüdischen Volkes. wird wissen- zulande kaum gab. Und es darf nicht als Bollwerk gegen Geburtsstunde der AG Juden und Christen – der Kirchentag in West-Berlin 1961. Sie werden jeweils angeführt von einem Patriarchen schaftlich und mit Zeitzeugen gefragt, wie und warum Islam und Säkularismus in Stellung gebracht werden. Zu Johannes, einem Papst Petrus und einem Professor Pauli. die Kirchen mit allen gesellschaftlichen Organisationen den Schwierigkeiten des heutigen Dialogs gehört, dass Messianisch hoffen beide. Der Ruf zur Umkehr im Alltag Solovjov sieht orthodoxe Theologie und Kirche reprä- sowie die meisten Christen und Nichtchristen abseits unsere Gesellschaft und viele ihrer Institutionen gespal- durch Johannes den Täufer und durch Jesus angesichts sentiert durch „Johannes“, das heißt die neutestament- standen, als die jüdischen Gemeinden und ihre Gottes- ten sind. Blockiert die Bildung von einem „Pro-Israel- des nahen Gottesreiches ist ein biblisch-prophetischer lichen Schriften, die seinen Namen tragen. Petrus, als häuser zerstört wurden. Die demokratische Verfassung Lager“ und einem „Pro-Palästina-Lager“ die notwendige Ruf „heute, so ihr seine Stimme hört“ (Ps 95,7; Hebr erster Inhaber des römischen Bischofssitzes, vertritt die der Weimarer Republik mit Menschenrechten, Gerechtig- öffentliche Debatte? Stimmt die Meinung, in der histori- 3,7.15). Eine Kernfrage muss beantwortet werden: Wie römischen Katholiken. Für die Protestanten steht der keit und Freiheit fand wenig Verteidiger, während Antise- schen, theologischen und pädagogischen Arbeit der können Christen sich zu Jesus, dem Messias, dem Chris- Apostel Paulus, dessen Theologie die Reformation und mitismus und Nationalismus mit Befürwortern und sie letzten Jahrzehnte seien die Fehlentwicklungen in den tus mit guten biblischen Gründen bekennen, ohne den ihre Wirkungsgeschichte weitgehend prägen. verstärkenden Gleichgültigen rechnen konnten. deutsch-jüdischen und christlich-jüdischen Beziehungen jüdischen Glauben als defizitär abzuwerten? 14 Nr. 1/18 Leitartikel Leitartikel Nr. 1/18 15
Trauer verbindet Die Israelis und Palästinenser, die sich an diesem Morgen Palästinenser getroffen“, schrieb die Schülerin Mira in Jerusalem treffen, verbindet die Grundüberzeugung: anschließend an den Parents Circle, „aber dieses Treffen „Wir müssen miteinander reden!“ Und sie verbindet noch hat mir die Augen geöffnet: Wir müssen auch ihre Pers- etwas: ein großer Schmerz. Sie alle haben Kinder oder pektive kennenlernen und nicht immer nur unsere nahe Angehörige durch den Konflikt zwischen ihren Völ- sehen.“ Von einem „crack in my mind“ – einem „Durch- kern verloren. Sie sind Teil des Parents Circle – Families bruch im Bewusstsein“ – sprach ein anderer Schüler. Forum, in dem sich rund 600 israelische und palästinen- In der gegenwärtigen politischen Realität treffen sich sische Familienangehörige mit ähnlichen Schicksalen Israelis und Palästinenser fast nicht mehr. Vor allem die Versöhnung zusammengeschlossen haben. Statt weiteres Blutvergie- jungen Leute beider Völker lernen sich nicht mehr ken- ßen wollen sie sensibilisieren, dass es auch in den ver- nen. Um noch mehr junge Menschen zu erreichen, als statt Rache feindeten Lagern Menschen mit Trauer und Ängsten aber über die Schulbesuche möglich ist, hat der Parents Circle auch Versöhnungsbereitschaft gibt. Gemeinsam setzen ein Online-Projekt initiiert. Auf einer Facebook-Seite sie sich in Israel und in den palästinensischen Gebieten namens „Crack in the Wall“ können Interessierte in ihrer aktiv für Gewaltlosigkeit und den Dialog ein. eigenen Sprache zu Wort kommen, für die andere Seite Ahmed fuhr eines Abends mit seiner Familie durch werden die Zeilen übersetzt. Zur Community gehören Bethlehem, als ein Scharfschütze des israelischen Militärs bereits 34.000 Nutzerinnen und Nutzer. auf sein Auto zielte. Seine achtjährige Tochter Najla war sofort tot. Der Attentäter, auf den der Scharfschütze Friedensbotschaft gegen Verzweiflung gewartet hatte, fuhr dieselbe Automarke wie Ahmed. „In unseren beiden Gesellschaften erfahren Menschen, Ahmeds Leben brach zusammen. Dann erhielt er einen die Angehörige verloren haben, großen Respekt“, schreibt Anruf: „Darf ich Sie besuchen?“, fragte der Anrufer aus Benny im Jahresbericht des Parents Circle. „Diese Wert- Israel auf Englisch. „Ich habe auch eine Tochter verloren.“ schätzung und unsere toten Kinder verpflichten uns, für Ahmed sprach mit seiner Frau und dachte lange nach. die Zukunft unserer Völker zu arbeiten.“ Immer wieder „Ich hatte Angst“, sagte er. „Wie kann ich einen Israeli in betonen die Mitglieder der Organisation: „Wenn wir mit- Alle Fotos: The Parents Circle meinem Haus empfangen? Ein Israeli hat meine Tochter einander reden können, die wir das Schlimmste erlebt erschossen.“ Und dann sagte er dennoch zu. haben, dann kann es jeder.“ Sie ziehen daraus vor allem den Schluss, mit ihrer Botschaft an die Öffentlichkeit zu Erste Schritte gehen, es nicht zuzulassen, dass die Menschen in ihren So fing alles an, und es begann mit einer großen Erschüt- Gesellschaften sich mit dieser Situation arrangieren, terung. Ahmed und seine Frau hatten beim ersten Treffen verzweifeln und verrohen. leise angefangen, von der Tötung ihrer Tochter zu erzäh- Während des letzten Krieges im Gazastreifen hatte Der Parents Circle verbindet Israelis und Palästinenser, die Kinder oder nahe Angehörige len. „Plötzlich sah ich Tränen in Bennys Augen, ich spürte der Parents Circle im Sommer 2014 über viele Wochen bei gewaltsamen Auseinandersetzungen ihrer Völker verloren haben. Hanna Lehming seinen Schmerz – er weinte um seine Tochter und um ein „Friedenszelt“ in Tel Aviv aufgebaut. Mitglieder – meine“, erzählt Ahmed. „Das hat mich erschüttert.“ Der Palästinenser und Israelis – diskutierten dort jeden Tag Tod wartete auf Shira, Bennys Tochter, als sie in der Stadt mit Passanten. Die Stimmung im Land war aufgeheizt, Es ist Freitagmorgen in Jerusalem. Benny ist einer von an den Checkpoints gerade aussieht, die Israel von Buntstifte einkaufen wollte. Zufällig kam sie mit ihren und manche Gespräche wären eine echte Herausforde- neun jüdischen Israelis, die in einem Seminarraum des Palästina trennen. Heute hat das Warten „nur“ eine Freundinnen in dem Moment an einem Café vorbei, als rung. Aber die Mitglieder sind überzeugt: „Wir haben Holocaust-Museums Yad Vashem auf ihre palästinensi- Stunde gedauert. Dann rollt der Kleinbus aus der sich dort ein palästinensischer Attentäter in die Luft keine Wahl. Die Gewalt wird nur aufhören, wenn wir schen Freundinnen und Freunde warten. Sie wollen Westbank um die Ecke. sprengte. Shira war sofort tot. Najla und Shira wurden nur miteinander reden!“ gemeinsam die Aus- acht Jahre alt. Ihre Väter verbindet heute mehr mitein- Zur Autorin: Hanna Lehming ist Pastorin stellung über den Es gibt keine Normalität ander als mit manchen ihrer israelischen oder palästinen- www.theparentscircle.com im Nahost-Referat des Zentrums für Mission Völkermord an den Es gibt keine Normalität im Leben von Palästinensern. sischen Freunde. und Ökumene – Nordkirche-Weltweit. europäischen Juden Und es gibt keine Normalität in der Begegnung von Israelis besuchen. Zuletzt und Palästinensern. Angesichts des andauernden Kon- Begegnungen ermöglichen waren sie gemeinsam in Lifta, einem im 1948er-Krieg flikts und der Allgegenwart der Besatzung verweigert „It will not stop until we talk!“ – „Die Gewalt wird nicht zerstörten arabischen Dorf. Dort setzten sie sich mit dem mittlerweile die große Mehrheit der Palästinenser jeden aufhören, bis wir anfangen, miteinander zu reden!“, lautet palästinensischen Trauma der Vertreibung auseinander. Dialog mit Israelis. Kontakte mit Israelis, so die Begrün- das Motto des Parents Circle – Families Forum, der sich Spendenkonto: Doch wenn Israelis mit Palästinensern aus den dung, gaukelten eine Normalität vor, die in der Wirklich- besonders in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert. Zentrum Mission und Ökumene besetzten palästinensischen Gebieten zusammenkom- keit nicht existiere. Wer sie trotzdem für wichtig und Mit jeweils zwei Mitgliedern – immer einem palästinen- IBAN: DE77 5206 0410 0000 1113 33 men wollen, ist Geduld gefragt. Fast nie geht es glatt. Für sinnvoll hält, muss damit rechnen, als Verräter angesehen sischen und einem israelischen – geht die Organisation BIC: GENODEF1EK1 (Evangelische Bank) jedes Treffen in Israel brauchen die Palästinenser eine zu werden. Auch in Israel verschärft sich der Ton. Wer für in Schulen. Benny und Ahmed sind eins der Teams, die Stichwort: „Projekt 4009, Parents Circle“ Ausreisegenehmigung. Die Beantragung dauert, und Dialog und Gerechtigkeit eintritt, muss mit offenen regelmäßig mit Schülerinnen und Schülern der (Stichwort bitte unbedingt angeben) auch wenn sie da ist, weiß man nicht, wie die Situation Anfeindungen rechnen. Abschlussklassen reden. „Ich habe vorher noch nie einen 16 Nr. 1/18 Parents Circle Parents Circle Nr. 1/18 17
Zur Person: Zwi Rappoport ist stellvertreten- der Vorsitzender des Landesver- bandes der Jüdischen Gemein- den von Westfalen-Lippe und Vorstandsmitglied der jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund. Foto: privat Zwi Rappoport und seine Ehefrau bei der Channukah-Feier im Dezember 2017 in der jüdischen Gemeinde Dortmund. Plädoyer für Toleranz und Respekt! Ein zunehmender Antisemitismus ist nicht nur bundesweit, sondern auch konkret in Dortmund spürbar – was muss getan werden? Wie gestaltet sich jüdisches Leben in Deutschland heute? Fünf Fragen an Zwi Rappoport, Es trifft leider zu, dass auch Mitglieder der jüdischen Gemeinde, sei es in der Schule, sei es im Berufsleben, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe. vermehrt Erfahrungen von Hass und Bedrohung erleben. Unsere Gemeinde wird rund um die Uhr von der Polizei und einem eigenen Sicherheitsdienst überwacht. Ich mache mir Sorgen um die Kinder und Jugendlichen, die in einer solchen nicht normalen Situation aufwachsen müssen. Der Grad des Antisemitismus sagt viel über den demokratischen Zustand einer Gesellschaft aus. Es ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller demokratischen Kräfte, gegen jede Art von Judenhass die Stimme zu Wie erleben Sie im Landesverband die aktuellen Entwicklungen erheben und die Werte der jüdisch-christlichen Zivilisation durchzusetzen. innerhalb der jüdischen Gemeinden? Unsere Mitglieder beobachten die aktuellen politischen Entwicklungen mit großer Sorge. Insbesondere die Erfolge der Populisten in ganz Europa, aber auch die Bedrohung durch die islamistische Gewalt empfinden sie als eine Gefahr Brauchen wir eine andere Erinnerungskultur? für unsere Demokratie. Ohne Toleranz und Respekt vor dem Anderen ist ein friedliches Zusammenleben nicht zu verwirklichen. Die Frage nach einer zeitgemäßen Erinnerungskultur ist heute wichtiger denn je. Offensichtlich haben die bis- herigen ritualisierten Formen des Gedenkens nicht ausgereicht, um Antisemitismus, Rassismus und Fremden- feindlichkeit entscheidend zu schwächen. Ich bin ziemlich ratlos, wenn ich sehe, wie sich eine Schlussstrichmenta- Die jüdische Gemeinde in Dortmund ist die sechstgrößte in Deutschland. lität in der Mitte der Gesellschaft breitmacht. Vielleicht brauchen wir eine bessere Ausbildung der Multiplikatoren, Wie gestaltet sich das jüdische Leben in der Ruhrmetropole? insbesondere der Lehrer, vielleicht helfen gut vorbereitete Besuche in Gedenkstätten, um Empathie zu wecken. Die jüdische Gemeinde Dortmund ist heute eine lebendige, aktive Gemeinde. Im Jahre 1989 hatte sie gerade noch 300 Mitglieder und war vom Aussterben bedroht. Durch die Entscheidung der damaligen Bundesregierung, Juden aus der ehemaligen Sowjetunion als sogenannte Kontingentflüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen, wuchs die 2019 kommt der Kirchentag nach Dortmund, was wünschen Sie sich Mitgliederzahl der Gemeinde innerhalb kürzester Zeit auf fast 4000 Mitglieder an. vom Kirchentag? Dies bedeutete für die Gemeinde eine große Herausforderung, denn es mussten Strukturen geschaffen werden, um die Neuankömmlinge hier heimisch werden zu lassen. Auf diese von der Öffentlichkeit kaum beachtete Integrations- Vom Kirchentag wünsche ich mir: mehr Empathie für den Staat Israel. Israel ist nicht irgendein Staat im Nahen leistung sind wir und alle anderen jüdischen Gemeinden in Deutschland sehr stolz. Osten. Es ist die Heimat der Überlebenden des Holocausts und ihrer Nachfahren. Und die meisten Juden in Leider ist die Zahl unserer Mitglieder inzwischen unter 3000 gesunken. Ursache der geringeren Mitgliederzahl ist der Diaspora sehen in Israel, unabhängig davon, wie sie zu der jeweiligen Regierungspolitik stehen, eine zweite einerseits der Umstand, dass die Möglichkeit der Zuwanderung seit 2005 drastisch begrenzt worden ist, und anderer- Heimat oder mindestens eine Zufluchtsstätte. Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir, auch von manchen seits, dass die Gemeinde einen hohen Altersdurchschnitt hat. evangelischen Kreisen, mehr Sensibilität und Verständnis. 18 Nr. 1/18 Fünf Fragen Fünf Fragen Nr. 1/18 19
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