DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK

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DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK
dialog
                 Zeitschrift der Guttempler in Deutschland · Ausgabe 01/2022

                SChwerpunktthema

            Cannabis

Aktuelles
Aktionswoche
Alkohol 2022

Forut
Gesundheitsstation
in Betrieb

Aus dem
Landesverband
Öffentlichkeitsarbeit
mal anders
DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK
Inhalt

    2    Impressum
    3    Editorial

         Schwerpunktthema: Cannabis
 4       Vom Joint für Hippies zum Koalitionsbeschluss: Freigabe von Cannabisprodukten geplant
 7       Cannabis-Konsum: gesund oder ungesund?
11       Cannabis Kommerzialisierung führt zu neuen Problemen
14       Cannabis? Nein danke!
17       Ein Gespräch mit Jonas (21), Student

         Aus den Landesverbänden
18       Zum 70. Jubiläum von Lydia Meyer
18       Seit 40 Jahren Guttemplerin
19       Ehrungen bei den Bielefelder Guttemplern
20       Öffentlichkeitsarbeit mal anders
20       Danke

         Forut
21       Vision 2030 – Building Hope: Die Gesundheitsstation im Betrieb

         Aktuelles
24       Der orangefarbene Tampen
27       Ausbildungsrunde SoberGuides 2022
28       60. DHS Fachkonferenz SUCHT
28       Vorstellung: Neuer Geschäftsführer
29       Aktionswoche Alkohol 2022

29	MOVENDI international
    MOVENDI Weltkongress 2022

         Gedenken und Jubiläen
30       Jubiläen
31       Abschied

32       Einrichtungen und Tochterorganisationen der Guttempler

impressum
DIALOG
Zeitschrift der Guttempler in Deutschland                Themenschwerpunkt der nächsten Ausgabe:
Auflage: 5.000                                           Gesichter der Selbsthilfe
                                                         Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe:
Herausgeber:                                             15. Juni 2022
Guttempler in Deutschland
Adenauerallee 45 · 20097 Hamburg                         Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen möchten,
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Redaktion: Dorothea Kreuz · E-Mail: dialog@guttempler.de
V.i.S.d.P.: Bundesvorstand der Guttempler
Gestaltung und Illustrationen: Katinka ter Heide
                               www.zwart-design.de
Titelbild: Luther M. E. Bottrill on unsplash

2                                                                                      Dialog · Ausgabe 1/2022
DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK
Editorial

L     iebe Leserinnen
          und Leser,
                                                                            Gefahren mit sich bringt? Die neue
                                                                            Bundesregierung hat im Koalitions-
seit langer Zeit hören und                                                  vertrag verabredet, die kontrollierte
lesen wir, wie viele Probleme                                               Abgabe von Cannabis an Erwachsene
und Gefahren es in Deutsch-                                                 zu Genusszwecken in lizenzierten Ge-
land und auf der gesamt-                                                    schäften einzuführen. Wir beleuchten
en Welt gibt. Und trotzdem                                                  die Hintergründe und Auswirkungen
macht jeder für sich immer                                                  aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
weiter. Ich frage mich, was
gibt uns immer wieder die
Kraft und den Mut, jeden
neuen Tag als Geschenk zu
betrachten.                                                                     Ein
   Es ist nicht immer einfach. Aber wenn ich die klei-                      neues Leben
nen Dinge am Rande wahrnehme, z. B. die erwachende                   kann man nicht anfangen,
Natur im Frühling, ein nettes Gespräch in meiner Gut-
                                                                           aber täglich
templergemeinschaft, dann gibt mir das Zuversicht.
                                                                         einen neuen Tag.
Dann verliere ich auch den Lebensmut nicht, ganz
gleich, ob Krankheit oder der zeitweilige Verzicht auf
                                                                                           Henry David Thoreau
große Treffen und Unternehmungen meine Bewe-
gungsfreiheit eingrenzen.
   Ich denke, das gilt auch für unsere Organisation. Wir
Guttemplerinnen und Guttempler müssen auf unser
großes Bundestreffen in diesem Jahr verzichten. Es         Bilden Sie sich Ihre Meinung!
wird nur auf eine Delegiertenversammlung im Juni
2022 in Bad Hersfeld hinauslaufen, obwohl sich alle auf    Somit verbleibe ich bis zum nächsten Mal und grüße
ein großes Wiedersehen gefreut haben. Naja, aufge-         Sie ganz herzlich.
schoben ist ja nicht aufgehoben.
   Wenn sich für 2024 ein Landesverband bereitfindet                     Ihre
den Kongress auszurichten und die Gegebenheiten
stimmen, dann werden wir nicht nein sagen.

Im Schwerpunktthema dieser Ausgabe dreht sich al-
les um Cannabis. Wieder etwas, das Probleme und                                 Petra Krause · Bundesvorsitzende

www.Guttempler.de                                                                                                3
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Das Schwerpunktthema
                             Schwerpunktthema
© Marvin Meyer on unsplash

                             Bildunterschrift
DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK
Schwerpunktthema

Vom Joint für Hippies zum Koalitionsbeschluss:

Freigabe von Cannabisprodukten geplant
Wie alles begann                                         Obwohl von kommerziellen Interessen der Veranstal-
Zum Einstieg zitiere ich aus Wikipedia, um die Leser     ter, Bandmanager und vieler Musiker geleitet, verkör-
der 68er Generation zu erinnern und die jüngeren Le-     perte Woodstock den Mythos eines friedliebenden,
ser in das Thema einzuführen. So richtig begann es mit   künstlerischen und „anderen“ Amerikas. Im Gegensatz
einem Musikfestival in den USA.                          dazu befand sich ein gespaltenes Amerika im Vietnam-
   „Woodstock war ein Open-Air-Musikfestival. Es gilt    krieg, war schockiert durch politische Morde an John
als Höhe- und gleichzeitig Endpunkt der im Main-         F. Kennedy, Malcolm X, Martin Luther King und Robert
stream angekommenen Hippiebewegung in den USA.           F. Kennedy und stand unter dem Eindruck der durch
Das Festival fand planmäßig vom 15. bis 17. August       die Gegenkultur thematisierten gesellschaftlichen
1969 statt, endete jedoch erst am Morgen des 18. Au-     Konflikte. Woodstock in den USA: Das Synonym für die
gust. Als Austragungsort dienten Weidefelder eines       Befreiung von allen Zwängen.“
Milchbauern in White Lake nahe der Kleinstadt Bethel
im US-Bundesstaat New York, etwa 70 Kilometer süd-       Eine neue (Konsum-) Generation wächst heran
westlich vom namensgebenden und ursprünglich an-         Befreiung von allen Zwängen, sich aus der als trist
gedachten Veranstaltungsort in Woodstock.                empfundenen Realität – zumindest für eine gewisse
   Vor geschätzten 400.000 Besuchern traten 32 Bands     Zeit – zu verabschieden, das war der immer deutlicher
und Solokünstler der Musikrichtungen Folk, Rock,         geäußerte Wunsch und eines der scheinbar unaufhalt-
Psychedelic Rock, Blues und Country auf, darunter        samen Motive für den Einzug neuer Lebensformen, vor
Stars wie Jimi Hendrix, Janis Joplin und The Who. Die    allen Dingen aber auch neuer Suchtmittel, vor allem in
erwarteten Zuschauerzahlen wurden um mehr als            die Jugendkultur.
das Doppelte übertroffen. Unzählige potenzielle Zu-         Die Folgen des neuartigen Suchtmittelkonsums
schauer blieben zudem in Verkehrsstaus rund um das       wurden auch in Deutschland sehr schnell deutlich:
Festivalgelände stecken. Während der Veranstaltung       Immer mehr Abhängige, die mit den traditionellen
herrschten aufgrund schlechten Wetters und organi-       Hilfeansätzen nicht erreicht werden konnten. Die tra-
satorischer Missstände teils katastrophale Zustände.     ditionellen, auf Alkohol fokussierten Einrichtungen
                                                         waren mit ihrem Latein am Ende, und auch in den Psy-
                                                         chiatrien sah man kaum eine Chance zu helfen.
                                                            In einem „Ersten Aktionsprogramm zur Bekämpfung
             Obwohl von                                  des Drogen- und Rauschmittelmissbrauchs“ wurden
                                                         mögliche Hilfestellungen entwickelt. Schwerpunkte
      kommerziellen Interessen
                                                         wurden auf die Bekämpfung des Drogenhandels
                 geleitet,                               durch Polizei, Bundesgrenzschutz, Zoll und Justiz ge-
       verkörpert Woodstock                              legt. Empfehlungen zur Aufklärung der Bevölkerung
           den Mythos eines                              wurden gegeben und auch vage Hinweise für thera-
                                                         peutische Hilfen.
  friedliebenden, künstlerischen
                                                            Bereits 1971 wurde ein „Großmodell des Bundes“
      und „anderen“ Amerikas.                            aufgelegt. Dabei ging es um die planmäßige Förde-
                                                         rung von Vereinen und Institutionen in Absprache
                                                         mit den Ländern. Insgesamt 118 Einzelmaßnahmen
                                                         für junge Drogenabhängige wurden entwickelt. Die-
                                                         ses Modell wurde wissenschaftlich begleitet, dauerte
Trotz dieser widrigen Umstände ist Woodstock für         7 Jahre und der Bund förderte es mit 32 Millionen DM.
seine friedliche Stimmung bekannt geworden. Zahl-           Ein weiterer Meilenstein war die Schaffung des
reiche Musiker, Mitarbeiter und Besucher verbrachten     Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) im Jahre 1972,
die Festivaltage unter dem Einfluss von Drogen wie       welches das Opiumgesetz von 1929 ablöste. Es war
LSD, Meskalin, Haschisch und Marihuana.                  der Versuch, das aufgekommene Drogenproblem

www.Guttempler.de                                                                                            5
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Schwerpunktthema

juristisch zu lösen. Zusammenfassend kann man            Menschen, die Hilfe suchten. Der Umgang mit Konsu-
sagen, dass das nur in geringem Maße gelungen ist.       mentinnen und Konsumenten von Opiaten war noch
Im Gegenteil: Menschen wurden schon aufgrund des         einmal eine andere Geschichte – die Gefährlichkeit des
Besitzes relativ geringer Mengen kriminalisiert.         Suchtmittels stand nicht zur Diskussion.
   Denn jetzt wurde immer deutlicher, dass der Be-
griff „Rauschmittel“ zwar ein Gattungsbegriff war, un-  Cannabis wird neu bewertet
ter dem sich jeder etwas, meist Schlimmes, vorstellen   Anders war es mit den Cannabisprodukten. Bereits in
konnte. Doch Konsum, Missbrauch und Auswirkungen        den 70er Jahren mehrten sich die Stimmen, hier einen
                                   waren je nach Sub-   anderen Umgang zu finden. Das waren vor allem die-
                                   stanz sehr unter-    jenigen Menschen, die in ihren Jugendjahren selbst
             Tabak,                schiedlich, so dass  Haschisch und Marihuana konsumiert hatten, und die
           Alkohol                 der Ruf nach unter-  später damit aufhörten. Der Deutsche Hanfverband
              und                  schiedlichen Um-     etablierte sich und war so etwas wie ein „Vertretungs-
          Cannabis –               gangsweisen im-      organ“ für Konsumenten, Händler und Produzenten.
            das war                mer stärker wurde.   Er forderte von Anfang an eine Freigabe von Canna-
                                      1975 nahm der     bisprodukten und negierte konsequent die damit ver-
        der Dreiklang
                                   Bundestag      den   bundenen Gefahren und Probleme.
            bei den                „Bericht über die       Aber es ging dann „Schlag auf Schlag“. Die Forde-
          Menschen,                Lage der Psychiat-   rungen nach Legalisierung nahmen Einzug in den
           die Hilfe               rie in der Bundes-   Politikbetrieb, unzählige Anhörungen im Parlament
           suchten.                republik Deutsch-    waren die Folge. Erst waren es die Grüne Jugend und
                                                                                die Jungen Liberalen; dann
                                                                                folgten Teile der jeweiligen Par-
                                                                                tei; die Linke forderte Anfang
                                             Bereits
land“ zur Kenntnis.                                                             der 2000er Jahre die Freigabe,
                              in den 70er Jahren mehrten sich
Im Gegensatz zur                                                                in den Fraktionen der FDP, der
aktuellen Situation                       die Stimmen,                          Grünen und der SPD wurde
nahm das Arbeits-                  einen  anderen     Umgang                    über den richtigen Weg gestrit-
feld „Sucht“ nur ei-               mit CanNabisprodukten                        ten. Mehr und mehr Volksver-
nen geringen Stel-                         zu finden.                           treter/innen entschieden sich
lenwert ein, doch                                                               – gegen die zur Vorsicht mah-
immerhin wurden                                                                 nenden Stimmen z. B. aus den
gravierende Män-                                                                Verbänden der Suchthilfe – für
gel in der Suchtkrankenversorgung beschrieben und eine Freigabe zu votieren.
zum ersten Mal ein umfassendes Versorgungssystem           Das Ergebnis war die auch in diesem Heft vorge-
für Suchtkranke skizziert.                              stellte Koalitionsvereinbarung der „Ampel-Koalition“,
   Mein persönlicher, professioneller Einstieg in die gesetzlich neue Wege zu gehen. Viele der dieser Ent-
Arbeit war 1990 die Teilnahme an der Vorstellung des scheidung zugrunde liegenden Argumente sollten
„Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans“ unter dem noch einmal sehr sorgfältig auf den Prüfstand ge-
Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. stellt werden – wie das in dieser Ausgabe des DIALOG
Sehr viel Repression durch den Staat, aber auch ein geschieht.
weiterer Ausbau der Hilfeangebote. Entsprechend
wurden die Hilfen für Abhängige immer weiter diffe-
renziert, Prävention erhielt einen großen Stellenwert.    Rolf Hüllinghorst
Auf diesem Arbeitsfeld gab es von 1990 bis 1994 ein                     Bielefeld
Modellprogramm des Bundes: „Mobile Drogenprä-
vention“. Das erste Mal konnte ich hier als Projektlei-
ter hautnah die Schilderungen der Fachleute aus der
Suchtkrankenhilfe und den Präventionsfachstellen
verfolgen, die immer wieder auf die am meisten kon-
sumierte Droge Alkohol hinwiesen, danach aber schon
auf den Konsum von Cannabisprodukten. Tabak, Alko-
hol und Cannabis – das war jetzt der Dreiklang bei den

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DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK
Schwerpunktthema

                Cannabis-Konsum:
                gesund oder ungesund?
Cannabis gilt weiterhin als Droge                            sumverhalten insbesondere bei Jugendlichen dras­
Medizinisch nicht kontrollierten Cannabiskonsum gibt         tisch verändert. Die jungen Leute konsumieren heute
es weltweit, obwohl bereits kurzfristig nach dem Kon-        den Joint nicht mehr am Wochenende in einer stillen
sum vielfältige pathologische Wirkungen einsetzen.           Ecke einer Insider-Disco, sondern der Konsum fängt
Der vorliegende Text wird die Konsumprävalenz*, die          schon morgens an. Ein Krümelchen Hasch wird qua-
Kurz- und Langzeitwirkungen des Konsums sowie die            si zum Frühstück z. B. aus der Wasserpfeife geraucht
Definition und Wirkungsweise von Cannabis veran-             und dann hält man den Pegel den Tag über durch wie-
schaulichen.                                                 derholten Konsum stetig aufrecht. Beides zusammen
                                                             führt dazu, dass der Konsum von Cannabisprodukten
Haschisch und Marihuana sind Drogen, die schon seit          heute durchaus ein Problem darstellt. Es geht nicht
Tausenden von Jahren benutzt werden, um Rausch-              mehr primär darum, unter dem Einfluss der psychede-
zustände zu erzeugen. In der Hippie-Generation der           lischen Musik von Pink Floyd oder Guru Guru zeitlich
1960er Jahre wurde das Rauchen von Cannabis zu-              begrenzte transzendentale Rauschzustände zu erle-
nehmend populärer, es gab kaum einen Jugendlichen,           ben, sondern man läuft ganz einfach „angedröhnt“ in
der nicht wusste, wie man aus drei zusammenge-               der Gegend herum, um sich den Tag netter zu machen.
klebten Blättchen Zigarettenpapier kunstvoll einen           Die Realität wird erträglicher.
Joint drehte. Haschisch wurde als psychedelisch-wir-
kende, bewusstseinserweiternde Droge gefeiert, die Weltweite Verbreitung
in der Make-Love-not-War-Generation als harmloser Nach einer WHO-Studie (2016) ist Cannabis bei Men-
und friedlicher galt im Vergleich zur Gewaltbereit- schen zwischen 15 und 64 Jahren heute die weltweit
schaft bei Alkoholkonsum. Der                                               am häufigsten konsumierte ille-
„high“-Zustand kennzeichnete                                                gale Droge mit 181,8 Millionen
sich dadurch, dass man Gefühle                                              Konsumenten. In Deutschland
intensiver empfand, das vege-                                               gaben im Jahr 2018 circa 3,7 Mil-
                                                 Cannabis
tative Nervensystem ließ Wellen                                             lionen Menschen dieses Alters
                                                gewinnt im
positiver Schwingungen durch                                                an, mindestens einmal innerhalb
den Körper rauschen und man              medizinischen Sektor               der letzten 12 Monate Canna-
spürte die Musik, die man hörte,               zunehmend                    bis konsumiert zu haben – wo-
in seinem berauschten Körper.                an Bedeutung.                  bei die Autoren eine wesentlich
In philosophischen Gesprächen,                                              höhere Dunkelziffer vermuten
die unter dem Drogeneinfluss                                                (Deutscher Hanfverband, 2021).
geführt wurden, hatte man das                                               Überwiegend wird Cannabis als
Gefühl unendliche Weisheiten und mystische Wahr- so genannte „Freizeitdroge“ konsumiert, aber auch im
heiten zu erkennen. Nach dem Motto „war echt cool medizinischen Sektor gewinnt es zunehmend an Be-
und hat mir in der Jugend ja nicht geschadet“ setzte deutung, denn Forschungsergebnisse deuten darauf
die 68er-Generation sich dann für die Legalisierung hin, dass eine entsprechende medizinische Verord-
von Cannabis ein.                                     nung bei anders nicht behandelbaren Formen von Ap-
                                                      petitverlust, bei chronischem Schmerzsyndrom sowie
Inzwischen sind zwei Dinge passiert: Zum einen bei zerebralen Krampfanfällen Behandlungserfolge
haben die heutigen Cannabisprodukte einen deutlich erzielen kann. Bei einem medizinisch unkontrollierten
höheren THC-Anteil als noch vor 50 Jahren. Anfang der – zumeist illegalen – Cannabiskonsum kann es hinge-
1970er Jahre war knapp 1 % THC im Haschisch, heute gen zu gravierenden gesundheitlichen sowie sozialen
sind es weit über 17 %. Zum anderen hat sich das Kon- Folgen für den Konsumenten kommen.

*Prävalenz bezeichnet die gesamte Anzahl der Krankheitsfälle im betrachteten Teil
der Bevölkerung zu einem Zeitpunkt oder während eines bestimmten Zeitraums.

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Schwerpunktthema

Die Wirkungsweise                                       Gesundheitsaspekte
Konsumiert wird Cannabis durch Rauchen der ge- Gerade junge Menschen sehen den Konsum von Can-
trockneten Pflanzenbestandteile, über ihre Vaporisati- nabis als unbedenklich und gar gesundheitsfördernd
on, über Lebensmittel, orale Einnahme oder als Extrakt an, obwohl pathologische Kurz- und Langzeitfolgen
zum Trinken. Die psychoaktive Wirkung von Cannabis von Cannabiskonsum nachgewiesen sind. Kurzfristige
wird durch die in der Pflanzenfamilie enthaltenen „Can- Auswirkungen des Cannabiskonsums treten hierbei
nabinoide“ beim Konsum entfaltet. Diese bezeichnen in kurzem zeitlichen Abstand nach einem einmaligen
eine Gruppe verschiedener chemischer Verbindungen, Konsum auf und umfassen Störungen des Bewusst-
die auf eigene Cannabinoid-Rezeptoren derjenigen seins, der Kognition, der Wahrnehmung, des Affekts
Körperzellen wirken, die die Freisetzung von Neuro- und des Verhaltens sowie anderer psychophysiolo-
transmittern zur Kommunikation zwischen Nerven- gischer Funktionen und Reaktionen auf innere und äu-
zellen im Gehirn modulieren. Die Zusammensetzung, ßere Reize. Das Ausmaß dieser Wirkungen hängt von
Bioverfügbarkeit, Pharmakokinetik sowie Pharmako- der Dosishöhe, der Art der Verabreichung sowie des
dynamik von Cannabis unterscheiden sich hierbei von Alters des Konsumenten ab.
den Extrakten aus gereinigten, ein-                                            Crean et al. (2011) berichteten,
zelnen Cannabinoidarten (Russo,                                             dass Aufmerksamkeit, Konzen-
2013a). Gewonnen werden Canna-                                              tration, Entscheidungsfindung,
binoide aus drei Quellen:                                                   Impulsivität, Inhibitionsvermö-
1. Phytocannabinoide                          zusammengefasst,              gen, Reaktionszeit, Risikobereit-
Cannabinoidverbindungen, die                                                schaft, Eloquenz sowie das Ar-
                                                beeinträchtigt
überwiegend von den Pflanzen                                                beitsgedächtnis sofort nach dem
                                               Cannabiskonsum
Cannabis sativa und Cannabis                                                Konsum in Abhängigkeit der auf-
indica produziert werden.                  mehrere Komponenten              genommenen Dosis beeinträch-
2. Endocannabinoide                            der  kongnitiven             tigt werden. Zusammengefasst
Neurotransmitter, die im Gehirn                    Funktion.                beeinträchtigt Cannabiskonsum
oder in peripheren Geweben                                                  somit mehrere Komponenten
produziert werden und auf                                                   der kognitiven Funktion, wobei
Cannabinoid-Rezeptoren wirken.                                              die stärksten Auswirkungen auf
3. synthetische Cannabinoide                            das episodische Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, auf
Chemisch erzeugte Cannabinoide. Sie gleichen            die Verhaltensplanung und Entscheidungsfindung
strukturell den beiden anderen Arten und wirken         sowie auf das Reaktionsvermögen festgestellt wur-
durch ähnliche biologische Mechanismen.                 den. Durch die schweren, bereits kurzfristig nach dem
                                                        Konsum einsetzenden Wirkungen ist für mindestens
Hauptbestandteil THC                                    24 Stunden das Bedienen schwerer Maschinen und
Den psychoaktiven Hauptbestandteil von Cannabi­ das Führen von Fahrzeugen nicht risikofrei möglich.
noid stellt Tetrahydrocannabinol (THC) dar. Dieses Typischerweise ist sich ein Konsument (ähnlich wie bei
wirkt auf die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2, Alkohol) allerdings aufgrund der Cannabiswirkungen
die wiederum mit dem Endocannabinoid-System in- häufig seiner eingetretenen kognitiven Beeinträchti-
teragieren und mit den Nervenzellen assoziierte kog­ gungen nicht bewusst, was für den Betroffenen selbst
nitive und neurologische Prozesse entsprechend be- sowie für seine Umwelt gravierende Folgen haben
einflussen können. Sie stimulieren die Ausschüttung kann: So er­gab beispielsweise die Studie von Asbridge
der oben bereits erwähnten Neurotransmitter, die sich et al. (2012), dass sich das Risiko eines Autounfalls
bei Anregung der entsprechenden Systeme im Ge- unter Cannabiseinfluss im Vergleich zu alkoholisiert
hirn auf Kognition, Schlaf, Schmerzempfindung, das fahrenden Personen verdoppelt. Cannabiskonsum
allgemeine Wohlbefinden, das Leistungsvermögen ist ferner mit gesteigertem Angst- sowie Psychose­
und generell die menschliche Gesundheit auswirken. erleben assoziiert: Häufig berichten erstmalig konsu-
Teilweise kann die Wirkung auf das Endocannabinoid- mierende Personen von starken Ängsten bis hin zu
System, wie oben im Text erwähnt, zwar medizinisch Panikattacken sowie von Halluzinationen, wobei diese
zur Schmerzlinderung genutzt werden, allerdings Begleiterscheinungen oftmals als derart belastend er-
führt dies auch zu einer kognitiven Beeinträchtigung lebt werden, sodass das Aufsuchen medizinischer Hilfe
des Betroffenen und kann bei unkontrollierter Verwen- notwendig ist. Diese affektiven und wahrnehmungs-
dung mit schwerwiegenden medizinischen und durch bezogenen Symptome können grundsätzlich auch
die Verhaltens- und Erlebensveränderungen auch sozi- bei gewohnheitsmäßigem Cannabiskonsum auftre-
alen Folgen verbunden sein.                             ten, etwa dann, wenn stärkere Cannabisprodukte als

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DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK
üblich konsumiert werden oder Cannabis über eine         der kognitiven Leistung führt, die möglicherweise
ungewohnte Einnahmemethode (z. B. Aufnahme über          nicht vollständig reversibel ist.
präparierte Nahrungsmittel anstatt über Rauchen)
konsumiert wird. Ferner ist zumindest das vorüberge-      Schwangerschaft und Stillzeit
hende Auftreten von Psychosen eine häufige Begleit-       In den Fokus der Forschung rückten zuletzt auch
erscheinung des Cannabiskonsums – vor allem dann,         die Auswirkung von Cannabiskonsum während der
wenn eine genetische Prädisposition besteht oder be-      Schwangerschaft. Gemäß Young-Wolff et al. (2017)
reits zuvor konsumassoziiert psychotische Symptome        konsumieren beispielsweise bis zu 7 % der Frauen in
entwickelt worden sind.                                   Nordamerika während der Schwangerschaft sowie
                                                          5 % in der Stillzeit – ohne über die pathologischen
Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System                Folgen für das Neugeborene informiert zu sein und in
Darüber hinaus wird ein erhöhter Cannabiskonsum der Annahme, Cannabiskonsum würde unangenehme
mit zahlreichen kardiovaskulären Symptomen in Ver- Schwangerschaftssymptome lindern. Dinieri and Hurd
bindung gebracht: So besteht die Gefahr erhöhten (2012) konnten im Rahmen von Tierversuchen zeigen,
Blutdrucks sowie gesteigerter Herzfrequenz und in dass die pränatale Exposition mit THC eine Disposition
einigen Fällen einer orthostatischen Hypotonie. Ferner des sogenannten „Belohnungssystems“ des Gehirns
kann massiver Konsum akute Koronarsyndrome s­ owie Neugeborener für die Wirkung anderer Drogen schafft.
Schlaganfälle zur Folge haben. Bei regelmäßigem Als Belohnungssystem gilt ein Netzwerk verschiedener
Cannabiskonsum lässt sich eine körperliche Toleranz- zerebraler Zentren und Kommunikationsbahnen, die
entwicklung feststellen, die eine stetige Erhöhung der den Belohnungswert von Reizen der Umwelt darstel-
für eine Wirkung notwendigen THC-Dosis zur Folge len und Hinwendungsverhalten steuern. Somit kann
hat. Wird der dann erhöhte THC-Spiegel bei ausblei- bereits früh eine besonders erstrebenswert erlebte ra-
bendem oder zu geringem                                                              sche Konsumwirkung bei
Konsum nicht erreicht und                                                            den derartig exponieren
sinkt unter einen individu-                                                          Lebewesen forciert wer-
ellen, durch die Toleranz                                                            den. In einer weiteren Stu-
entstandenen Wert, stellen                        Im Gegensatz                       die zeigten Dinieri et al.
sich Entzugssymptome wie                        zu der Meinung                       (2011), dass die pränatale
Angstzustände, Schlaflo-                                                             Cannabis-Exposition die
                                             der 68er-Generation,
sigkeit, Appetitstörungen                                                            Botenstoff-RNA-Expressi-
sowie depressive Verstim-              dass Haschisch und Marihuana                  on des Dopaminrezeptors
mungen ein. Auch dies hat                     niemandem     schade,                  D2 (DRD2) in einer wich-
– wie bereits die Konsum-                       gibt es eine Fülle                   tigen Belohnungsregion
wirkungen per se – eine                 von Forschungsergebnissen,                   im Gehirn bei den Neu-
starke Beeinträchtigung in                      die nachweisen,                      geborenen verringerte.
den Alltagskompetenzen                                                               Diese Befunde deuten
                                        dass THC-Konsum eben doch
zur Folge.                                                                           darauf hin, dass der prä-
                                                 zu einer Sucht
   Die Studien von Crane                                                             natale Cannabiskonsum
et al. (2013) sowie Solowij                       führen kann.                       die Entwicklungsregulati-
et al. (2011) zeigten, dass                                                          on von mesolimbischem
regelmäßiger Cannabis-                                                               D(2)R bei den Nachkom-
konsum in Abhängigkeit                                                               men durch epigenetische
zur Dauer und Häufigkeit des Cannabiskonsums, Mechanismen verändert und dass die daraus resul-
zum Einstiegsalter und der geschätzten kumulativen tierende Reduktion von D(2)R zur Suchtvulnerabilität
THC-Dosis, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsdefizi- im späteren Leben beitragen könnte. Ferner ergab die
te sowie beeinträchtigtes verbales Lernvermögen zur Studie von Tortoriello et al. (2014), dass Kinder, die prä-
Folge hat. Unklar ist hierbei bislang, ob die kognitiven natal Cannabis ausgesetzt wurden, eine höhere Wahr-
Funktionen nach Beendigung des Cannabiskonsums scheinlichkeit im Vergleich zu anderen Kindern haben,
wieder vollständig regenerieren und welche Zeiträu- nach der Geburt an neurologischen sowie kognitiven
me notwendig sind. Hierzu liefert die gegenwärtige Beeinträchtigungen zu leiden. Dies ist möglicherwei-
Forschungslandschaft widersprüchliche Befunde. Eine se auf eine beeinträchtigte Vernetzung von Verbin-
Längsschnittstudie von Meier et al. (2012) legt nahe, dungen zwischen Neuronen des Gehirns während
dass anhaltender starker Cannabiskonsum über meh- der fetalen Entwicklung zurückzuführen. Allerdings
rere Jahrzehnte zu einer erheblichen Verschlechterung können die negativen Auswirkungen einer pränatalen

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Schwerpunktthema

THC-Exposition möglicherweise erst später in der kind- verglichen hatten. 1971 widersprach Goode diesen
lichen Entwicklung auftreten, sodass sie schwieriger Ergebnissen, in seiner Arbeit an 560 Studenten hatten
auf eine Exposition im Mutterleib zurückführbar sein ausgerechnet diejenigen, die gelegentlich THC kon-
könnten bzw. Heilversuche unter der Annahme einer sumierten die besten Ergebnisse in den Prüfungen.
non-pathologischen regelrechten kindlichen Entwick- Neuere Studien mit Hilfe von funktioneller Magnet­
lung könnten unterlassen bleiben.                          resonanztomographie weisen inzwischen aber doch
   Im Gegensatz zu der Meinung der guten alten 68er- darauf hin, dass durch Dauergebrauch von Cannabis
Generation, dass Haschisch und Marihuana nieman- bestimmte Zentren des mesolimbischen Belohnungs-
dem schaden, gibt es also eine Fülle von Forschungs- systems bei den Kiffern in einer engen Dosis-Wirkungs-
ergebnissen, die nachweisen, dass sich insbesondere Beziehung immer schwächer anschlagen. Es ergibt sich
durch häufigen Konsum Per-                                                         eine allmähliche Abstumpfung,
sönlichkeitsveränderungen,                                                         ähnlich wie bei anderen Dro-
Gedächtnis- und Konzentra-                                                         gen. Zu einer abschließenden
tionsmängel entstehen und                                                          Meinung kamen die Forscher
                                                 Man vermutet,
dass THC-Konsum eben doch                                                          hier aber nicht, da unter den
zu einer Sucht führen kann.               dass   gerade   Menschen,                stark THC-konsumierenden Teil-
                                                die ohnehin zu                     nehmenden deutlich mehr mit
Vor mir sitzt ein junges Mäd-               Depressionen neigen,                   psychischen Problemen waren,
chen, sie ist mit ihren lan-                vermehrt zu Drogen                     insbesondere       Depressionen.
gen blonden Haaren, groß-                       wie THC greifen.                   Man vermutet daher, dass ge-
en blau-grünen Augen und                                                           rade Menschen, die ohnehin zu
schlankem Körperbau ausge-                                                         Depressivität neigen, dann ver-
sprochen attraktiv, mit ihren                                                      mehrt zu Drogen wie THC grei-
23 Jahren geht sie noch zur Schule und versucht ge- fen und beides zusammen dann die Motivation immer
rade zum x-ten Mal einen Schulabschluss zu erreichen. weiter absenkt bis hin zu regelrechten Handlungs­
Sie ist nicht motiviert genug, um für die Prüfungen zu blockaden.
lernen, fällt immer wieder durch, macht monatelang             Auch die ständigen Streitigkeiten, die die oben
gar nichts, beginnt dann – meist auf Druck der Eltern – beschriebene Patientin ständig mit ihrem Freund hat,
einen erneuten Anlauf für eine Schul- oder Berufsaus- könnten eine Folge des THC-Konsums sein. Mit der
bildung, den sie halbherzig einige Monate durchhält, von der Hippie-Generation postulierten Friedfertigkeit
bis sie keinen Bock mehr darauf hat, sich morgens zur durch Haschisch scheint es nicht so weit her zu sein.
Schule zu quälen. Auf Nachfrage gibt sie zu, dass sie Eine 2017 veröffentlichte Studie von Dugré aus Mon-
mit ihrem Freund zusammen stetig THC konsumiert treal an 1.136 Teilnehmern fand eine deutlich höhere
und eigentlich nur noch „high“ ist. Sex hat sie mit ihrem Aggressivität unter den Cannabis-Konsumierenden.
Partner schon lange nicht mehr, eigentlich streiten sich       Fasst man die aktuelle Datenlage zusammen, zeigt
beide den lieben langen Tag nur noch ausgiebig, sie der Konsum von THC-Produkten doch sehr viel mehr
bleibt aber bei ihm, da sie kein Geld verdient und er Risiken als man in der Flower-Power-Zeit vor 50 Jah-
die Droge heranschafft. Sie kommt dreimal zu den The- ren noch angenommen hatte. Sich die Sicht der Welt
rapiestunden, dann lässt sie die Termine ausfallen und durch Drogen zu verschönern, dürfte aber wohl immer
meldet sich auch auf Nachfrage nicht mehr. Einsicht, ein Irrweg sein. Das Leben ist auch ohne THC (und an-
dass das Hasch ihr Leben kaputt macht, kann ihr nicht deren Drogen) wundervoll. Wenn es nicht wundervoll
vermittelt werden.                                         ist, sollte man sein Leben ändern.
   Man spricht hier vom
amotivationalen Syn-                                                                       Prof. Dr. Erich Kasten
drom, einem Phäno-                                                                           Jill Julia Johannsen
men, das schon 1968                                                                         Medical School Hamburg
von MacGlothlin und
West beklagt wurde,                                                                                      Anmerkung:
die kiffende Studieren-                                                                        Die Quellennachweise
de mit nicht-kiffenden                                                                      liegen der Redaktion vor.

      Prof. Dr. Erich Kasten                                                              Jill Julia Johannsen

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Julia Teichmann / Pixabay
         Cannabis Kommerzialisierung
           führt zu neuen Problemen
     – ohne die gegenwärtigen zu lösen –
Die Abstinenzbewegung war keine amerikanische zialisierung, die auch in Deutschland von der neuen
Ausnahmeerscheinung. Es war eine weltumspan- Bundesregierung geplant wird. Heute sind alle drei
nende Bewegung von Aktivisten und Politikern, die Suchtmittelindustrien eng verbandelt – was ihren
sich gegen wirtschaftliche Ausbeutung durch die politischen und gesellschaftlichen Einfluss verstärkt
Alkoholindustrie einsetzten.                                            und was ihnen ermöglicht,
So beschreibt Professor Mark                                            ihre Produkte zu verbreiten
Lawrence Schrad in seinem                                               und zu glorifizieren.
neuen, bahnbrechenden Buch              DAs  Bewusstsein                   Alkohol ist heute so leicht
„The Truth About Prohibition“       für Gesundheitsrisiken              zugänglich, so weit verbreitet,
unter anderem die Grundidee                schwindet                    und so in den Gesellschaften
der Guttempler.                         und Der Glaube                  verwurzelt, dass die Alkohol-
   Die Alkoholindustrie profi-     an Effekte von Cannabis,             norm großen Druck auf uns
tiert seit ungefähr 200 Jahren                                          alle ausübt. Es gehört anschei-
                                     um bestimmte Aspkte
von Produkten, die Sucht und                                            nend dazu, Alkoholprodukte
                                    des Alltags zu meistern,
viele andere Schäden verur-                                             zu mögen, zu konsumieren
sachen. Sie generiert ihre un-                steigt.                   und überall zu erwarten. In
geheuren Gewinne vor allem                                                          fast allen sozialen und kultu-
und besonders bei benachtei-                                                        rellen Milieus spielt Alkohol
ligten Mitmenschen, demografischen Gruppen und              eine zentrale Rolle. Das schränkt die Freiheit all jener
Gesellschaften. Zum Beispiel hat die Alkoholindustrie       ein, die nicht immer und überall Alkohol konsumieren
2016 in den USA rund 15 Milliarden Euro am Alkohol-         oder sehen wollen. Und es schadet der Gesellschaft,
konsum durch Minderjährige verdient. Alkoholkon-            befeuert Alkoholschäden und führt zu enormen
sum von Kindern und Jugendlichen sollte es eigentlich       gesellschaftlichen Ausgaben.
gar nicht geben, doch für „Big Alcohol“ ist er eine spru-      Bei Cannabis und anderen Drogen sieht es aber –
delnde Einnahmequelle.                                      noch – etwas anders aus. Die Zugangsmöglichkeiten
   Unsere globale Bewegung, verankert in den Grund-         zu Cannabis und der gesellschaftliche Druck zum
werten von Solidarität, Gleichberechtigung und              Cannabiskonsum sind weitaus geringer. Doch in den
Demokratie, hat sich seit jeher gegen diese Formen          Ländern, in denen Cannabis kommerzialisiert wurde,
der Ausbeutung durch die Alkoholindustrie eingesetzt        sehen wir besorgniserregende Entwicklungen.
– und für den Schutz von Kindern, Frauen, Familien
und sich entwickelnden Ländern in aller Welt.               Cannabis Kommerzialisierung – einige Beispiele
                                                            Im November berichtete die BBC beispielsweise über
Drei Suchtmittelindustrien                                  den „Cannamoms-Trend“ in den USA und Kanada.
sind heute eng verbandelt                                   Dort konsumiert eine wachsende Zahl von Müttern
Zur Alkoholindustrie kam im 20. Jahrhundert, dann           Cannabis, um ihre elterlichen Pflichten besser erfüllen
die Tabakindustrie und im 21. Jahrhundert tritt die         zu können.
Cannabisindustrie immer aggressiver auf den Plan –            Kanada und einige Bundestaaten in den USA haben
beflügelt von der fortschreitenden Cannabiskommer-          Cannabis legalisiert und kommerzialisiert. Dort ist die

www.Guttempler.de                                                                                                11
Schwerpunktthema

Cannabiszugänglichkeit enorm erleichtert. Mit dieser re von Notaufnahmebesuchen von Kindern seit der
Entwicklung entstehen dort auch Phänomene wie Kommerzialisierung von Cannabis dramatisch ange-
Online-Communities der „Cannamoms“. Suchtexper- stiegen. Essbare Cannabisprodukte sind ein Schlüssel-
ten wissen, dass sich das Suchtrisiko erhöht, wenn Al- faktor, der diese Entwicklung antreibt. Kanadas Gesetz
kohol und andere Drogen konsumiert werden, um mit zur Kommerzialisierung von Cannabis beinhaltet eini-
alltäglichen Aufgaben klarzukommen. Aber es gibt ein ge Regulierungsmaßnahmen, um unbeabsichtigten
weiteres Problem, dass das „Cannamoms“-Phänomen Cannabiskonsum zu reduzieren. Essbare Cannabispro-
illustriert: Die gesellschaftliche Norm um Cannabis ver- dukte dürfen keine attraktive Verpackung haben, müs-
ändert sich rasant.                                      sen Warnsymbole tragen, und müssen kindersicher
    Das Bewusstsein für Gesundheitsrisiken und ande- sein. Kanada hat auch den THC-Gehalt von Cannabis-
re Schäden verschwindet und der Glauben an Effekte produkten begrenzt, Werberestriktionen eingeführt
von Cannabis, um bestimmte Aspekte des Alltags zu und begonnen, Informationskampagnen über Canna-
meistern, steigt. Das heißt,
mit dem Anstieg der phy-
sischen       Zugänglichkeit
                                            Eine Studie zeigt,
(wo ist Cannabis erhältlich,
                                          dass mit jedem Dollar
wie wird es vermarktet)
steigt auch die psycholo-                 an Steuereinnahmen
gische Zugänglichkeit (das            von  kommerziellem Cannabis
Empfinden, Cannabis zu                      mehr als 4 Dollar
brauchen) und die soziale             ausgegeben werden müssen,
Zugänglichkeit (Normali-                      um die Kosten
sierung und Romantisie-
                                          der Cannabisschäden
rung eines Suchtmittels in
mehr und mehr sozialen                         zu mindern.
Bereichen). Bei Alkohol
gibt es das weitverbreite-
te Phänomen der „Wine

               Kommerzielle                             bissicherheit durchzuführen. Und dennoch kommen
               Suchtmittel                              Kinder in immer größerem Ausmaß zu Schaden. Und
                  sind ein                              die Cannabisindustrie arbeitet mit aggressivem Lob-
           gesellschaftliches
                                                        bying daran, selbst diese Regeln abzuschaffen.
                                                            Die meisten Bundesstaaten der USA, die Cannabis
            Verlustgeschäft.
                                                        kommerzialisiert haben, haben nicht mal diese unzu-
                  Wir alle                              reichenden Regulierungen eingeführt. Cannabislega-
             subventionieren                            lisierung im Bundesstaat Oregon sollte dazu führen,
              die Profite der                           dass der Schwarzmarkt für Cannabis verschwindet.
                Tabak- und                              Das hat nicht funktioniert. Das Politik-Magazin Politi-
           Alkoholindustrien.                           co hat Anfang des Jahres eine beeindruckende Repor-
                                                        tage veröffentlicht. Darin wird von illegalem Anbau,
                                                        von Waffengewalt, und sogar Umweltverschmutzung
                                                        berichtet. Auch in Kalifornien ist der Cannabisschwarz-
                                                        markt keineswegs verschwunden, genauso wenig wie
Moms“ – und damit einhergehend rapide steigende         in Kanada. In Oregon sind die illegalen Cannabisumsät-
Alkoholprobleme unter Müttern – mit den hieraus re-     ze doppelt so groß wie die legalen. Bundesstaaten mit
sultierenden negativen Konsequenzen für die Kinder.     einigen der größten legalen Märkte haben es gleich-
   Eine neue Studie verdeutlicht, dass die Legalisie-   zeitig mit zügelloser illegaler Cannabisproduktion zu
rung zu enormen Schäden führt: in der kanadischen       tun – und das Problem verstärkt sich. In Oklahoma sind
Provinz Ontario sind die Häufigkeit und die Schwe-      Lizenzen zum Anbau von medizinischem Cannabis am

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einfachsten zu bekommenden. Dort sind seit letztem        gesellschaftlichen Normen verändern sich rapide und
April mehr als fünf Dutzend Razzien wegen illegalen       führen zu leichterer Zugänglichkeit, Normalisierung
Anbaus durchgeführt worden. In Kalifornien kauft der      und sinkendem Bewusstsein für die Gefahren und
größte Teil des Bundesstaates weiterhin Cannabis aus      Risiken von Suchtmitteln. All das war zu erwarten,
nicht lizensierten Quellen. Das führt dazu, dass die      denn bei Tabak und Alkohol ist das schon seit langem
Cannabisindustrie aggressive Lobbyarbeit betreibt,        der Fall. Und jetzt sehen wir in Ländern mit kommerzi-
um die Regulierungen zu verwässern: Steuersenkung,        alisierten Cannabismärkten dieselbe Problematik.
mehr Werbung, etc. sind die Forderungen, um Canna-           Ein Unterschied ist aber nach wie vor enorm: Die Prä-
biskonsum zu fördern.                                     valenz von Cannabis und anderen Drogen im Vergleich
Bundesstaaten in den USA mit legalen Cannabis-            zu Alkohol ist sehr, sehr niedrig. Der Pro-Kopf-Konsum
Märkten (Kalifornien, Colorado, Nevada, Oregon und        und die physische, soziale, finanzielle, und psycholo-
Washington) haben zusammen ein Haushaltsdefizit           gische Zugänglichkeit von Cannabis sind (noch) ge-
von 71 Milliarden Dollar angehäuft. Einnahmen von         ring. Viele Menschen sehen und verstehen den Nutzen
der kommerzialisierten Cannabisindustrie gleichen die     und die Wichtigkeit eines Verbots. Beispielsweise zeigt
wirtschaftlichen Defizite nicht mal ansatzweise aus.      eine neue schwedische Umfrage unter jungen Erwach-
Kein Bundesstaat mit kommerzialisierter Cannabis-         senen, die nie Cannabis konsumiert haben, dass das
industrie hat seine ursprünglichen Prognosen zu den       Cannabisverbot der stärkste Schutzfaktor ist, nicht mit
Steuereinahmen erfüllt.                                   dem Cannabiskonsum zu beginnen. Auch unter jun-
   Eine Studie in Colorado zeigt, dass mit jedem Dol-     gen Erwachsenen, die Cannabis konsumiert haben, ist
lar an Steuereinnahmen von kommerziellem Cannabis         das Cannabisverbot ein starker Grund, den Cannabis-
mehr als 4 Dollar ausgegeben werden müssen, um die        konsum zu verringern oder wieder zu beenden.
Kosten der Cannabisschäden zu mindern. Der frühere
Gouverneur von Colorado, John Hickenlooper, der           Cannabis zu legalisieren bedeutet, kommerzielle
Cannabis legalisiert hatte, gab kürzlich zu: „Cannabis-   Kräfte bei einem weiteren Suchtmittel zu entfesseln
Steuereinnahmen sind ein Tropfen auf den heißen           Das verursacht neue, größere Probleme und trägt zu
Stein – sie werden weder die frühkindliche Bildung        noch stärkerer Ausbeutung von Menschen und Grup-
finanzieren noch große soziale Probleme lösen …“          pen bei, die bereits marginalisiert und besonders
   Die Cannabisindustrie betreibt aggressive Lobby­       verletzlich sind, allen voran Kinder und Jugendliche,
arbeit, um die Cannabissteuern zu senken, genau wie       ärmere Mitmenschen und Menschen, die Minder-
                                                          ­
die Alkoholindustrie alles tut, um Steuererhöhungen       heiten angehören.
und Werbeverbote zu verhindern. Im Bereich Alkohol-
politik übersteigen die gesellschaftlichen Kosten durch   Unsere Bewegung setzt sich auch in Deutschland seit
Alkoholschäden die Steuereinnahmen vom Alkohol-           über 170 Jahren für den Schutz vor Ausbeutung durch
verkauf in allen Ländern, die diese Daten erheben.        Suchtmittelindustrien ein. Wir sehen, dass unsere Wer-
   Die Entwicklungen verdeutlichen, dass viele der        te der Solidarität und Gerechtigkeit für alle Menschen
Argumente für „Cannabiskontrolle“ oder „kontrollierte     weiterhin hoch aktuell sind. Unsere Bemühungen,
Legalisierung“ Luftschlösser sind, die implodieren, so-   Entwicklung und Demokratie durch Prävention von
bald Kommerzialisierung eines Suchtmittels auf das        Alkohol und anderen Drogen zu unterstützen, sind
Profitinteresse von Produzenten trifft.                   wichtiger denn je. Wir werden nicht aufhören, unsere
   Kommerzialisierte Suchtmittel sind                                              Erfahrungen einzubringen,
ein gesellschaftliches Verlustgeschäft.                                            um Menschen vor kommerzi-
Wir alle subventionieren die Profite                                               ellen, ausbeuterischen Sucht-
der Tabak- und Alkoholindustrien.                                                  mittelindustrien zu schützen.
Dasselbe gilt in den Ländern, die Can-
nabis kommerzialisiert haben.                                                      Maik Dünnbier
   Der Schwarzmarkt ist nicht ver-                                                 MOVENDI International
schwunden, die Steuereinnahmen
sprudeln nicht und entsprechen über-
haupt nicht den Versprechungen, die
Cannabisindustrie mischt sich in die
Gesundheitspolitik ein, um die existie-
renden Gesetze abzuschwächen und
Verbesserungen zu verhindern. Die

www.Guttempler.de                                                                                              13
Schwerpunktthema

                                                                        Cannabis?
                                                                       Nein danke!
                                                                                          Ein Kommentar
                                                                                          „Die Ampel steht auf Grasgrün“, so war es im Spiegel
                                                                                          in der Ausgabe 42/2021 zu lesen. Müssen wir uns in
                                                                                          unseren Vorstellungen und Erwartungen auf ein Kiffer-
                                                                                          land einlassen? Werden sich in den Raucherbereichen
                                                                                          der Bahnhöfe Cannabis-Konsumenten und Tabakrau-
                                                                                          cher vertragen und sich friedlich nebeneinander über
                                                                                          die Vorzüge und die Art des Kicks der einen und der
                                                                                          anderen Droge austauschen? Oder wird die eine Kon-
                                                                                          sumentengruppe Wert darauflegen, von der anderen
                                                                                          nicht „belästigt“ zu werden? Werden wir uns schon
                                                                                          bald bei unseren Radtouren und Spaziergängen an
© Matteo Paganelli on unsplash

                                                                                          der Schönheit großzügiger Cannabis-Anbauflächen
                                                                                          erfreuen können?
                                                                                             Aber langsam – schauen wir uns die Absichtserklä-
                                                                                          rungen in den maßgeblichen Passagen des Koalitions-
                                                                                          vertrages doch einfach mal genau an:
                                                                                             Das Gesetz (das es ja noch gar nicht gibt) evaluieren
                                                                                          wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswir-
                                 Demnächst gängiges Landschaftsbild? Cannabis-Anbaufläche kungen. (Dabei sind wir gerne behilflich.)
                                                                                                                  Modelle zum Drugchecking
                                                                                                              und Maßnahmen der Schadens-
                                     Der Koalitionsvertrag trägt den übergeordneten Titel „Mehr               minderung … (von Schäden, die es
                                     Fortschritt wagen“ und beschreibt im Abschnitt „Pflege und               zu mindern gilt, geht man also von
                                     Gesundheit“ die Vereinbarungen zur                                       vornherein aus?)
                                                                                                                  Bei der Alkohol‐ und Nikotin-
                                                            Drogenpolitik                                     prävention setzen wir auf verstärk­
                                                                                                              te Aufklärung mit besonderem
                                     Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachse-            Fokus auf Kinder, Jugendliche und
                                     ne zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch              schwangere Frauen. (Aufklärung ist
                                     wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter            die nachgewiesen wirkungsloseste
                                     Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet.                Maßnahme, um eine Konsumredu-
                                     Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche         zierung sowohl bei den genannten
                                     Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen                     Zielgruppen als auch generell zu er-
                                     der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus.                     reichen – hier nützt auch eine „Ver-
                                        Bei der Alkohol‐ und Nikotinprävention setzen wir auf ver-            stärkung“ wenig. Stattdessen müssen
                                     stärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugend-              die von der WHO empfohlenen „Best
                                     liche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen              buys“ angewandt werden:
                                     für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Canna-                 1. Steuererhöhungen und
                                     bis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissen-                         Preisregulierungen
                                     schaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen                       2. Verbot von Werbung
                                     zum Gesundheitsschutz aus.                                                       und Sponsoring
                                                                                                                  3. Einschränkung der
                                                                                                                      physikalischen Verfügbarkeit

                                 14                                                                                        Dialog · Ausgabe 1/2022
Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an              Was bedeutet das eigentlich
Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Ge-                  alles für uns Guttempler?
schäften ein. Und: Wir verschärfen die Regelungen                   Orientierung gibt uns da zunächst einmal die Sat-
für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin                zung, die in aller Deutlichkeit und unmissverständlich
und Cannabis. Hervorragend! (Gleich drei Begriffe, die in-       klarstellt, dass die Guttempler den medizinisch nicht
haltlich noch auszufüllen, zu definieren sind. „Kontrollierte    begründeten Gebrauch von Rauschmitteln ablehnen.
Abgabe“ dürfte Mengenbegrenzung meinen, aber auch                Das ist für uns alle viel mehr als nur ein persönliches
Wirkstoffhöchstgrenzen. Wir sind gespannt! Der Begriff           Bekenntnis. Das ist Ausdruck einer inneren Haltung,
„Erwachsene“ ist wohl bewusst gewählt – hier steht ja nicht      einer Überzeugung, einer bewussten Lebensentschei-
„Volljährige“. Aus medizinischer Sicht ist ein Alter von nicht   dung. Hieran ändert sich rein gar nichts. Das Menete-
unter 25 Jahren empfehlenswert, damit wenigstens das             kel, dass in den Raucherpausen bei guttemplerischen
Gehirn voll ausgereift ist. Wir sind abermals gespannt! Bei      Zusammenkünften, auf einmal noch ganz andere Ge-
den „lizenzierten Geschäften“ sind zurzeit Apotheken, aber       rüche wahrgenommen werden könnten, wird es auch
auch „echte“ Spezialgeschäfte in der Diskussion. Mit den         in Zukunft nicht geben. (Macht das Bild weg!).
Apotheken hätte man schon ein vorhandenes Vertriebsnetz,            Alle Menschen, die weniger oder gar keinen Alko-
Spezialgeschäfte für Alkohol, Nikotin und Cannabis dage-         hol, weniger oder gar keine Medikamente, weniger
gen wären ein Riesenfortschritt hinsichtlich Marketings,         oder gar keine persönlichkeitsverändernden Drogen,
Sponsoring kontrollierter Abgabe und Jugendschutz. Und:          weniger oder gar keine Rauschmittel benutzen wollen,
Wer Jugendschutz will, kann das einfacher haben.)                sind bei uns willkommen. Sie sind nach wie vor an der
                                                                 richtigen Adresse und sind bei uns gut aufgehoben.
Eins steht fest: Es geht ums Geld                                Auch hieran ändert sich rein gar nichts.
Ob alles, was der Koalitionsvertrag an dieser Stelle                Die Diskussion und das ganze Hin und Her um die
vorsieht, so buchstabengenau auch tatsächlich umge-              Freigabe eines weiteren Suchtmittels fühlt sich manch-
setzt wird, vermag heute noch niemand zu sagen. Aber             mal ein wenig an wie der Kampf David gegen Goliath,
eines steht mit Sicherheit fest: Es gibt jede Menge Geld         und das ist wohl auch ein Stück weit so. Aber immer-
zu verdienen! Niemandem soll etwas Böses unterstellt             hin: David gegen Goliath hat es angeblich schon mal
werden, aber könnte es nicht sein, dass dies in Wirk-            gegeben – und wir wissen, wie es ausgegangen ist. Wir
lichkeit der bislang unausgesprochene Hauptgrund für             sind auch, aber eben nicht nur, der Reparaturbetrieb
die ganzen Planungen ist? Die Pharmaindustrie wittert            für das, was es durch zögerliche Politik insgesamt an
ein gutes Geschäft. Medizinalcannabis (die Blüten der            Ergebnissen zu betrachten gibt. Das sind keine Pea-
Pflanzen und das daraus gewonnene Öl), das vor allem             nuts – und wir haben die Dimension der Herausforde-
bei Schmerzpatienten eingesetzt wird und bei dem die             rung sehr wohl verstanden. Vieles, was ich da immer
Krankenkassen, zumindest teilweise, inzwischen auch              wieder höre, z. B. die Mär vom „verantwortungsvollen
die Behandlungskosten übernehmen, wird zumeist                   Konsum“ bereitet mir dann doch zuweilen sowas wie
im Ausland angebaut. Eine staatliche Importerlaubnis             intellektuelles Sodbrennen.
haben jetzt schon knapp 90 Firmen. Die diesbezüg-
lichen Marktchancen werden auf mehr als 190 Tonnen
geschätzt. Beim zurzeit noch illegalen Markt sehen die                Satzung der Guttempler in Deutschland,
Zahlen (aus Sicht der Pharmaindustrie) noch erfolgver-                § 3 Abs. 2 (Auszug):
sprechender aus: Der Deutsche Hanfverband schätzt                     Die Guttempler wirken den Alkohol- und
die konsumierte Menge auf 200 bis 400 Tonnen, was                     anderen Suchtgefahren entgegen, indem
einem Marktwert von ungefähr 1,2 bis 2,5 Milliarden                   sie sich … für eine einheitliche Gesetzge-
Euro entspricht. Goldgräberstimmung!                                  bung für Suchtmittel einsetzen.
   Zusätzlich sollen Steuereinnahmen generiert wer-
den. Der Hanfverband, der als Interessenvertretung                    Satzung der Guttempler in Deutschland,
für die Legalisierung von Cannabis auftritt, hat Modell-              § 3:
rechnungen aufgestellt. Er malt ein Bild von blühenden                Die Guttempler lehnen den … medizinisch
Landschaften, in denen neue Arbeitsplätze im Anbau,                   nicht begründeten Gebrauch abhängig
Handel und Vertrieb entstehen, in denen Polizei und                   machender oder persönlichkeitsverän-
Justiz entlastet werden und sich neuen Aufgaben zu-                   dernder Drogen und von Rauschmitteln ab.
wenden können und errechnet, alles zusammenge-
nommen, mit Mehreinnahmen von 4,7 Milliarden Euro
pro Jahr in den Steuerkassen.

www.Guttempler.de                                                                                                    15
Schwerpunktthema

                            Jugendlichen den Weg ins Erwachsenwerden nicht zu und wird mit neuen, attraktiveren, billigeren Angebo-
                            verbauen, weil sie mal mit ein paar Gramm erwischt ten reagieren.
                            worden sind? Da gehen wir gerne mit – das ist ok. Der         Die Arbeitsgruppe »Alkoholpolitik« der Guttempler
                            ganze Rest ist aber nicht zu Ende diskutiert. Und hier in Deutschland hat sich auf den Weg gemacht. Sie ist
                            liegt unsere Aufgabe und eine große Herausforde- dabei, sich zu verstärken und ihr Profil zu schärfen.
                            rung. Betäubungsmittel sind aus gutem Grund illegal           Die Seite www.alkoholpolitik.de ist eine bemer-
                            und sollten es auch bleiben. Das Ziel aller Maßnahmen kenswert umfangreiche Faktensammlung – es gibt
                            sollte nicht „Legalisierung“ oder „Freigabe“ heißen, son- nichts Vergleichbares. Die Seite lässt Wissenschaftler,
                            dern „Konsumreduzierung“.                                                              Fachleute und Betroffene
                            Die Entkriminalisierung bei                                                            zu Wort kommen. Sie hat
                            den Endverbraucherinnen                                                                sich zu einem umfassenden
                                                                              Wir halten es
                            und Endverbrauchern ist                                                                Nachschlagewerk für alko-
                            richtig und findet de facto                    für unabdingbar,                        holpolitische Fragen entwi-
                            seit vielen Jahren statt. Der                die sozialen Normen                       ckelt.
                            Schwarzmarkt wird nicht                               für eine                            Die Arbeitsgruppe bringt
                            „ausgetrocknet“,       sondern             gesundheitsorientierte                      sich ein in den gesellschaft-
                            wächst sogar, er wird sich                         Lebensweise                         lichen Diskurs. Sie strebt mit
                            sein Geschäft nicht verder-                                                            ihren Aktivitäten im Wesent-
                                                                               zu stärken
                            ben lassen, hat keine ein-                                                             lichen die Veränderungen
                            geschränkten        „Öffnungs-                 und    dazu  gehört                     von suchtfördernden gesell-
                            zeiten“, ist ständig verfügbar             die Konsumreduzierung                       schaftlichen Bedingungen,
                                                                          von Rauschmitteln.                       von Sichtweisen und Struk-
                                                                                                                   turen an. Es handelt sich
                                                                                                                   also um einen Ansatz, der in
© Elizeu Dias on unsplash

                                                                                                                   Form legislativer und regu-
                                                                                                                   lativer Politikstrategien eine
                                                                                                                   breite Wirkung in der Gesell-
                                                                                       schaft insgesamt erzielen soll. So steht es in unserem
                                                                                       Programm: Wir setzen uns für gesellschaftliche Rah-
                                                                                       menbedingungen ein, in denen sich Menschen ohne
                                                                                       Beeinträchtigung durch Alkohol und andere Drogen
                                                                                       entwickeln und in Selbstbestimmung, Eigenverant-
                                                                                       wortung und Gesundheit leben können – das ist so
                                                                                       und das bleibt so.
                                                                                          In der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V.
                                                                                       (DHS) sind die in der Suchthilfe und Suchtprävention
                                                                                       bundesweit tätigen Verbände und gemeinnützigen
                                                                                       Vereine zusammengeschlossen – und somit auch wir.
                                                                                       Im Paritätischen, unserem Spitzenverband der Freien
                                                                                       Wohlfahrtpflege, sind Mitgliedsorganisationen ver-
                                                                                       treten, die sich für die Belange der sozial Benachteili-
                                                                                       gten und der von Ungleichheit und Ausgrenzung Be-
                                                                                       troffenen und Bedrohten einsetzen – wir sind dabei.
                                                                                       In MOVENDI International, unserem internationalen
                                                                                       Dachverband, sind 135 Organisationen aus 54 Län-
                                                                                       dern vertreten. Wir gehören dazu – mit Guttemplern
                                                                                       aus Deutschland im Vorstand.
                                                                                          Wir halten es für unabdingbar, die sozialen Normen
                                                                                       für eine gesundheitsorientierte Lebensweise zu stärken
                                                                                       – und dazu gehört nun mal die Konsumreduzierung

                                                                                        Rauschmittelfrei in Selbstbestimmung, Eigenverantwortung
                                                                                        und Gesundheit leben: dafür setzen wir uns ein.

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von Rauschmitteln insgesamt. Die Arbeitsgrup-
pe Alkoholpolitik bezieht sich in ihrer Arbeit auf
die bisher vorgelegten Schriften, Empfehlungen
und Positionspapiere sowohl der Guttempler in
                                                           Ein Gespräch
                                                           mit Jonas (21),
Deutschland als auch der DHS, der Europäischen
Union und der Weltgesundheitsorganisation. Die
Situationsbeschreibungen sind nach wie vor rich-
tig und die daraus resultierenden Forderungen an
die Politik werden immer drängender.                          Student
Die Guttempler setzen sich                             Bist Du für die Freigabe von Cannabis?
für ein Suchtmittelgesetz ein                          Ja, ich bin für die Freigabe, wegen der Entkrimina-
Wir setzen wir uns für die Schaffung eines Sucht-      lisierung. Es hängt aber auch davon ab, wie es um-
mittelgesetzes mit wirksamen Rahmenbedin-              gesetzt wird. Keiner wird in die Apotheke gehen,
gungen ein. Wir wissen, dass das Thema komplex         um sich etwas Gras zu kaufen.
ist und viele sumpfige Stellen hat. Aber dennoch:
Der Zug muss losfahren, auch wenn einige nicht         Wie viel kostet heute eine Portion?
mitwollen.                                             Ein Gramm kostet heute circa 10 Euro. Ich gehe
   Es genügt nicht, ständig zu warnen. Es genügt       ­davon aus, dass, wenn es frei verkäuflich sein wird,
auch nicht, drastisch zu warnen. Es genügt auch         der „offizielle Preis“ zu hoch sein wird und der
nicht, umfassend zu informieren. Wir müssen ent-        „Straßenpreis“ gedrückt wird. Also, wo werden die
schlossen ran an diese vermeintlichen Normen,           Leute kaufen?
diese Glaubenssätze, diese gesellschaftlich kon-
struierte Übereinkunft, dieses Bild, das wir in uns    Wie sieht es mit der Reinheit von Cannabis im
tragen, wonach berauschende Mittel immer und           Straßenverkauf aus? Man sagt immer, da wird
überall dazugehören und positiv dargestellt wer-       viel rein gemischt, um es zu strecken.
den. Wir müssen deutlich machen, dass hierdurch        Die meisten Leute haben einen festen Zugang.
Menschen unterdrückt werden, die, aus welchen          Da ist Vertrauen aufgebaut, weil der Verkäufer es
Gründen auch immer, rauschmittelfrei leben wol-        selbst konsumiert. Darum wird kein Gemisch ver-
len.                                                   kauft. Es ist nicht schwer an Cannabis ranzukom-
   Wenn man das allerdings nicht mal probiert,         men. Schon in der neunten Klasse haben interes-
kann es auch nicht gelingen. Nicht allein, sondern     sierte Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten
vernetzt. Alkohol- und Drogenpolitik in den Diens­     gefunden, Cannabis zu erwerben.
ten der Gesundheit – dafür setzen wir uns ein. Bei
allem, was wir uns persönlich, als Gemeinschaft, als   Ist Rauchen von Cannabis für Dich eine Vorstufe
Landes- oder Bundesverband hierbei einfallen las-      zu einer Drogenabhängigkeit?
sen, halten wir uns aber dennoch an eine wichtige      Nein. Die Entscheidung Drogen zu konsumieren,
Grundbotschaft: Mach es einfach!                       wird vorher getroffen. Der Erstkontakt mit Dro-
                                                       gen sind meistens Alkohol und Nikotin und dann
Besuchen Sie unsere Seite www.alkoholpolitik.de        kommt eventuell Gras. Bei Alkohol zum Beispiel
                                                       ist mir am nächsten Tag noch übel, nach Cannabis
                                                       nicht.
    Fredric Schulz                                        Dadurch, dass man Kontakte zu Leuten hat, die
     Stellvertretender                                 mit Drogen handeln, wird einem auch mal eine
   Bundesvorsitzender                                  andere Droge angeboten. Die Aufklärung über Al-
                                                       kohol und Cannabis fehlt. Alkohol wird verharm-
                                                       lost und wer sich für Cannabis entscheidet, tut es
                                                       bewusst.
                                                          Verbotspolitik ist der falsche Weg, Jugendliche
                                                       wollen ausprobieren.
                                                          Das Stigma, das Leute erleben, die Drogen neh-
                                                       men, muss weg. Die sozialen Probleme machen es
                                                       heute aber noch schwieriger.
                                                                                            Petra Krause

www.Guttempler.de                                                                                        17
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