DIALOG CANNABIS SCHWERPUNKTTHEMA - AKTUELLES AKTIONSWOCHE ALKOHOL 2022 FORUT GESUNDHEITSSTATION IN BETRIEB - GUTTEMPLER-BILDUNGSWERK
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dialog Zeitschrift der Guttempler in Deutschland · Ausgabe 01/2022 SChwerpunktthema Cannabis Aktuelles Aktionswoche Alkohol 2022 Forut Gesundheitsstation in Betrieb Aus dem Landesverband Öffentlichkeitsarbeit mal anders
Inhalt 2 Impressum 3 Editorial Schwerpunktthema: Cannabis 4 Vom Joint für Hippies zum Koalitionsbeschluss: Freigabe von Cannabisprodukten geplant 7 Cannabis-Konsum: gesund oder ungesund? 11 Cannabis Kommerzialisierung führt zu neuen Problemen 14 Cannabis? Nein danke! 17 Ein Gespräch mit Jonas (21), Student Aus den Landesverbänden 18 Zum 70. Jubiläum von Lydia Meyer 18 Seit 40 Jahren Guttemplerin 19 Ehrungen bei den Bielefelder Guttemplern 20 Öffentlichkeitsarbeit mal anders 20 Danke Forut 21 Vision 2030 – Building Hope: Die Gesundheitsstation im Betrieb Aktuelles 24 Der orangefarbene Tampen 27 Ausbildungsrunde SoberGuides 2022 28 60. DHS Fachkonferenz SUCHT 28 Vorstellung: Neuer Geschäftsführer 29 Aktionswoche Alkohol 2022 29 MOVENDI international MOVENDI Weltkongress 2022 Gedenken und Jubiläen 30 Jubiläen 31 Abschied 32 Einrichtungen und Tochterorganisationen der Guttempler impressum DIALOG Zeitschrift der Guttempler in Deutschland Themenschwerpunkt der nächsten Ausgabe: Auflage: 5.000 Gesichter der Selbsthilfe Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: Herausgeber: 15. Juni 2022 Guttempler in Deutschland Adenauerallee 45 · 20097 Hamburg Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen möchten, Telefon: +49 40 28407699-0 würden wir uns über eine Spende freuen: Telefax: +49 40 28407699-99 Guttempler in Deutschland E-Mail: info@guttempler.de Hamburger Sparkasse www.guttempler.de IBAN DE 02 2005 0550 1026 2490 35 facebook.com/Guttempler twitter.com/guttempler Redaktion: Dorothea Kreuz · E-Mail: dialog@guttempler.de V.i.S.d.P.: Bundesvorstand der Guttempler Gestaltung und Illustrationen: Katinka ter Heide www.zwart-design.de Titelbild: Luther M. E. Bottrill on unsplash 2 Dialog · Ausgabe 1/2022
Editorial L iebe Leserinnen und Leser, Gefahren mit sich bringt? Die neue Bundesregierung hat im Koalitions- seit langer Zeit hören und vertrag verabredet, die kontrollierte lesen wir, wie viele Probleme Abgabe von Cannabis an Erwachsene und Gefahren es in Deutsch- zu Genusszwecken in lizenzierten Ge- land und auf der gesamt- schäften einzuführen. Wir beleuchten en Welt gibt. Und trotzdem die Hintergründe und Auswirkungen macht jeder für sich immer aus unterschiedlichen Blickwinkeln. weiter. Ich frage mich, was gibt uns immer wieder die Kraft und den Mut, jeden neuen Tag als Geschenk zu betrachten. Ein Es ist nicht immer einfach. Aber wenn ich die klei- neues Leben nen Dinge am Rande wahrnehme, z. B. die erwachende kann man nicht anfangen, Natur im Frühling, ein nettes Gespräch in meiner Gut- aber täglich templergemeinschaft, dann gibt mir das Zuversicht. einen neuen Tag. Dann verliere ich auch den Lebensmut nicht, ganz gleich, ob Krankheit oder der zeitweilige Verzicht auf Henry David Thoreau große Treffen und Unternehmungen meine Bewe- gungsfreiheit eingrenzen. Ich denke, das gilt auch für unsere Organisation. Wir Guttemplerinnen und Guttempler müssen auf unser großes Bundestreffen in diesem Jahr verzichten. Es Bilden Sie sich Ihre Meinung! wird nur auf eine Delegiertenversammlung im Juni 2022 in Bad Hersfeld hinauslaufen, obwohl sich alle auf Somit verbleibe ich bis zum nächsten Mal und grüße ein großes Wiedersehen gefreut haben. Naja, aufge- Sie ganz herzlich. schoben ist ja nicht aufgehoben. Wenn sich für 2024 ein Landesverband bereitfindet Ihre den Kongress auszurichten und die Gegebenheiten stimmen, dann werden wir nicht nein sagen. Im Schwerpunktthema dieser Ausgabe dreht sich al- les um Cannabis. Wieder etwas, das Probleme und Petra Krause · Bundesvorsitzende www.Guttempler.de 3
Schwerpunktthema Vom Joint für Hippies zum Koalitionsbeschluss: Freigabe von Cannabisprodukten geplant Wie alles begann Obwohl von kommerziellen Interessen der Veranstal- Zum Einstieg zitiere ich aus Wikipedia, um die Leser ter, Bandmanager und vieler Musiker geleitet, verkör- der 68er Generation zu erinnern und die jüngeren Le- perte Woodstock den Mythos eines friedliebenden, ser in das Thema einzuführen. So richtig begann es mit künstlerischen und „anderen“ Amerikas. Im Gegensatz einem Musikfestival in den USA. dazu befand sich ein gespaltenes Amerika im Vietnam- „Woodstock war ein Open-Air-Musikfestival. Es gilt krieg, war schockiert durch politische Morde an John als Höhe- und gleichzeitig Endpunkt der im Main- F. Kennedy, Malcolm X, Martin Luther King und Robert stream angekommenen Hippiebewegung in den USA. F. Kennedy und stand unter dem Eindruck der durch Das Festival fand planmäßig vom 15. bis 17. August die Gegenkultur thematisierten gesellschaftlichen 1969 statt, endete jedoch erst am Morgen des 18. Au- Konflikte. Woodstock in den USA: Das Synonym für die gust. Als Austragungsort dienten Weidefelder eines Befreiung von allen Zwängen.“ Milchbauern in White Lake nahe der Kleinstadt Bethel im US-Bundesstaat New York, etwa 70 Kilometer süd- Eine neue (Konsum-) Generation wächst heran westlich vom namensgebenden und ursprünglich an- Befreiung von allen Zwängen, sich aus der als trist gedachten Veranstaltungsort in Woodstock. empfundenen Realität – zumindest für eine gewisse Vor geschätzten 400.000 Besuchern traten 32 Bands Zeit – zu verabschieden, das war der immer deutlicher und Solokünstler der Musikrichtungen Folk, Rock, geäußerte Wunsch und eines der scheinbar unaufhalt- Psychedelic Rock, Blues und Country auf, darunter samen Motive für den Einzug neuer Lebensformen, vor Stars wie Jimi Hendrix, Janis Joplin und The Who. Die allen Dingen aber auch neuer Suchtmittel, vor allem in erwarteten Zuschauerzahlen wurden um mehr als die Jugendkultur. das Doppelte übertroffen. Unzählige potenzielle Zu- Die Folgen des neuartigen Suchtmittelkonsums schauer blieben zudem in Verkehrsstaus rund um das wurden auch in Deutschland sehr schnell deutlich: Festivalgelände stecken. Während der Veranstaltung Immer mehr Abhängige, die mit den traditionellen herrschten aufgrund schlechten Wetters und organi- Hilfeansätzen nicht erreicht werden konnten. Die tra- satorischer Missstände teils katastrophale Zustände. ditionellen, auf Alkohol fokussierten Einrichtungen waren mit ihrem Latein am Ende, und auch in den Psy- chiatrien sah man kaum eine Chance zu helfen. In einem „Ersten Aktionsprogramm zur Bekämpfung Obwohl von des Drogen- und Rauschmittelmissbrauchs“ wurden mögliche Hilfestellungen entwickelt. Schwerpunkte kommerziellen Interessen wurden auf die Bekämpfung des Drogenhandels geleitet, durch Polizei, Bundesgrenzschutz, Zoll und Justiz ge- verkörpert Woodstock legt. Empfehlungen zur Aufklärung der Bevölkerung den Mythos eines wurden gegeben und auch vage Hinweise für thera- peutische Hilfen. friedliebenden, künstlerischen Bereits 1971 wurde ein „Großmodell des Bundes“ und „anderen“ Amerikas. aufgelegt. Dabei ging es um die planmäßige Förde- rung von Vereinen und Institutionen in Absprache mit den Ländern. Insgesamt 118 Einzelmaßnahmen für junge Drogenabhängige wurden entwickelt. Die- ses Modell wurde wissenschaftlich begleitet, dauerte Trotz dieser widrigen Umstände ist Woodstock für 7 Jahre und der Bund förderte es mit 32 Millionen DM. seine friedliche Stimmung bekannt geworden. Zahl- Ein weiterer Meilenstein war die Schaffung des reiche Musiker, Mitarbeiter und Besucher verbrachten Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) im Jahre 1972, die Festivaltage unter dem Einfluss von Drogen wie welches das Opiumgesetz von 1929 ablöste. Es war LSD, Meskalin, Haschisch und Marihuana. der Versuch, das aufgekommene Drogenproblem www.Guttempler.de 5
Schwerpunktthema juristisch zu lösen. Zusammenfassend kann man Menschen, die Hilfe suchten. Der Umgang mit Konsu- sagen, dass das nur in geringem Maße gelungen ist. mentinnen und Konsumenten von Opiaten war noch Im Gegenteil: Menschen wurden schon aufgrund des einmal eine andere Geschichte – die Gefährlichkeit des Besitzes relativ geringer Mengen kriminalisiert. Suchtmittels stand nicht zur Diskussion. Denn jetzt wurde immer deutlicher, dass der Be- griff „Rauschmittel“ zwar ein Gattungsbegriff war, un- Cannabis wird neu bewertet ter dem sich jeder etwas, meist Schlimmes, vorstellen Anders war es mit den Cannabisprodukten. Bereits in konnte. Doch Konsum, Missbrauch und Auswirkungen den 70er Jahren mehrten sich die Stimmen, hier einen waren je nach Sub- anderen Umgang zu finden. Das waren vor allem die- stanz sehr unter- jenigen Menschen, die in ihren Jugendjahren selbst Tabak, schiedlich, so dass Haschisch und Marihuana konsumiert hatten, und die Alkohol der Ruf nach unter- später damit aufhörten. Der Deutsche Hanfverband und schiedlichen Um- etablierte sich und war so etwas wie ein „Vertretungs- Cannabis – gangsweisen im- organ“ für Konsumenten, Händler und Produzenten. das war mer stärker wurde. Er forderte von Anfang an eine Freigabe von Canna- 1975 nahm der bisprodukten und negierte konsequent die damit ver- der Dreiklang Bundestag den bundenen Gefahren und Probleme. bei den „Bericht über die Aber es ging dann „Schlag auf Schlag“. Die Forde- Menschen, Lage der Psychiat- rungen nach Legalisierung nahmen Einzug in den die Hilfe rie in der Bundes- Politikbetrieb, unzählige Anhörungen im Parlament suchten. republik Deutsch- waren die Folge. Erst waren es die Grüne Jugend und die Jungen Liberalen; dann folgten Teile der jeweiligen Par- tei; die Linke forderte Anfang Bereits land“ zur Kenntnis. der 2000er Jahre die Freigabe, in den 70er Jahren mehrten sich Im Gegensatz zur in den Fraktionen der FDP, der aktuellen Situation die Stimmen, Grünen und der SPD wurde nahm das Arbeits- einen anderen Umgang über den richtigen Weg gestrit- feld „Sucht“ nur ei- mit CanNabisprodukten ten. Mehr und mehr Volksver- nen geringen Stel- zu finden. treter/innen entschieden sich lenwert ein, doch – gegen die zur Vorsicht mah- immerhin wurden nenden Stimmen z. B. aus den gravierende Män- Verbänden der Suchthilfe – für gel in der Suchtkrankenversorgung beschrieben und eine Freigabe zu votieren. zum ersten Mal ein umfassendes Versorgungssystem Das Ergebnis war die auch in diesem Heft vorge- für Suchtkranke skizziert. stellte Koalitionsvereinbarung der „Ampel-Koalition“, Mein persönlicher, professioneller Einstieg in die gesetzlich neue Wege zu gehen. Viele der dieser Ent- Arbeit war 1990 die Teilnahme an der Vorstellung des scheidung zugrunde liegenden Argumente sollten „Nationalen Rauschgiftbekämpfungsplans“ unter dem noch einmal sehr sorgfältig auf den Prüfstand ge- Vorsitz des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. stellt werden – wie das in dieser Ausgabe des DIALOG Sehr viel Repression durch den Staat, aber auch ein geschieht. weiterer Ausbau der Hilfeangebote. Entsprechend wurden die Hilfen für Abhängige immer weiter diffe- renziert, Prävention erhielt einen großen Stellenwert. Rolf Hüllinghorst Auf diesem Arbeitsfeld gab es von 1990 bis 1994 ein Bielefeld Modellprogramm des Bundes: „Mobile Drogenprä- vention“. Das erste Mal konnte ich hier als Projektlei- ter hautnah die Schilderungen der Fachleute aus der Suchtkrankenhilfe und den Präventionsfachstellen verfolgen, die immer wieder auf die am meisten kon- sumierte Droge Alkohol hinwiesen, danach aber schon auf den Konsum von Cannabisprodukten. Tabak, Alko- hol und Cannabis – das war jetzt der Dreiklang bei den 6 Dialog · Ausgabe 3/2021
Schwerpunktthema Cannabis-Konsum: gesund oder ungesund? Cannabis gilt weiterhin als Droge sumverhalten insbesondere bei Jugendlichen dras Medizinisch nicht kontrollierten Cannabiskonsum gibt tisch verändert. Die jungen Leute konsumieren heute es weltweit, obwohl bereits kurzfristig nach dem Kon- den Joint nicht mehr am Wochenende in einer stillen sum vielfältige pathologische Wirkungen einsetzen. Ecke einer Insider-Disco, sondern der Konsum fängt Der vorliegende Text wird die Konsumprävalenz*, die schon morgens an. Ein Krümelchen Hasch wird qua- Kurz- und Langzeitwirkungen des Konsums sowie die si zum Frühstück z. B. aus der Wasserpfeife geraucht Definition und Wirkungsweise von Cannabis veran- und dann hält man den Pegel den Tag über durch wie- schaulichen. derholten Konsum stetig aufrecht. Beides zusammen führt dazu, dass der Konsum von Cannabisprodukten Haschisch und Marihuana sind Drogen, die schon seit heute durchaus ein Problem darstellt. Es geht nicht Tausenden von Jahren benutzt werden, um Rausch- mehr primär darum, unter dem Einfluss der psychede- zustände zu erzeugen. In der Hippie-Generation der lischen Musik von Pink Floyd oder Guru Guru zeitlich 1960er Jahre wurde das Rauchen von Cannabis zu- begrenzte transzendentale Rauschzustände zu erle- nehmend populärer, es gab kaum einen Jugendlichen, ben, sondern man läuft ganz einfach „angedröhnt“ in der nicht wusste, wie man aus drei zusammenge- der Gegend herum, um sich den Tag netter zu machen. klebten Blättchen Zigarettenpapier kunstvoll einen Die Realität wird erträglicher. Joint drehte. Haschisch wurde als psychedelisch-wir- kende, bewusstseinserweiternde Droge gefeiert, die Weltweite Verbreitung in der Make-Love-not-War-Generation als harmloser Nach einer WHO-Studie (2016) ist Cannabis bei Men- und friedlicher galt im Vergleich zur Gewaltbereit- schen zwischen 15 und 64 Jahren heute die weltweit schaft bei Alkoholkonsum. Der am häufigsten konsumierte ille- „high“-Zustand kennzeichnete gale Droge mit 181,8 Millionen sich dadurch, dass man Gefühle Konsumenten. In Deutschland intensiver empfand, das vege- gaben im Jahr 2018 circa 3,7 Mil- Cannabis tative Nervensystem ließ Wellen lionen Menschen dieses Alters gewinnt im positiver Schwingungen durch an, mindestens einmal innerhalb den Körper rauschen und man medizinischen Sektor der letzten 12 Monate Canna- spürte die Musik, die man hörte, zunehmend bis konsumiert zu haben – wo- in seinem berauschten Körper. an Bedeutung. bei die Autoren eine wesentlich In philosophischen Gesprächen, höhere Dunkelziffer vermuten die unter dem Drogeneinfluss (Deutscher Hanfverband, 2021). geführt wurden, hatte man das Überwiegend wird Cannabis als Gefühl unendliche Weisheiten und mystische Wahr- so genannte „Freizeitdroge“ konsumiert, aber auch im heiten zu erkennen. Nach dem Motto „war echt cool medizinischen Sektor gewinnt es zunehmend an Be- und hat mir in der Jugend ja nicht geschadet“ setzte deutung, denn Forschungsergebnisse deuten darauf die 68er-Generation sich dann für die Legalisierung hin, dass eine entsprechende medizinische Verord- von Cannabis ein. nung bei anders nicht behandelbaren Formen von Ap- petitverlust, bei chronischem Schmerzsyndrom sowie Inzwischen sind zwei Dinge passiert: Zum einen bei zerebralen Krampfanfällen Behandlungserfolge haben die heutigen Cannabisprodukte einen deutlich erzielen kann. Bei einem medizinisch unkontrollierten höheren THC-Anteil als noch vor 50 Jahren. Anfang der – zumeist illegalen – Cannabiskonsum kann es hinge- 1970er Jahre war knapp 1 % THC im Haschisch, heute gen zu gravierenden gesundheitlichen sowie sozialen sind es weit über 17 %. Zum anderen hat sich das Kon- Folgen für den Konsumenten kommen. *Prävalenz bezeichnet die gesamte Anzahl der Krankheitsfälle im betrachteten Teil der Bevölkerung zu einem Zeitpunkt oder während eines bestimmten Zeitraums. www.Guttempler.de 7
Schwerpunktthema Die Wirkungsweise Gesundheitsaspekte Konsumiert wird Cannabis durch Rauchen der ge- Gerade junge Menschen sehen den Konsum von Can- trockneten Pflanzenbestandteile, über ihre Vaporisati- nabis als unbedenklich und gar gesundheitsfördernd on, über Lebensmittel, orale Einnahme oder als Extrakt an, obwohl pathologische Kurz- und Langzeitfolgen zum Trinken. Die psychoaktive Wirkung von Cannabis von Cannabiskonsum nachgewiesen sind. Kurzfristige wird durch die in der Pflanzenfamilie enthaltenen „Can- Auswirkungen des Cannabiskonsums treten hierbei nabinoide“ beim Konsum entfaltet. Diese bezeichnen in kurzem zeitlichen Abstand nach einem einmaligen eine Gruppe verschiedener chemischer Verbindungen, Konsum auf und umfassen Störungen des Bewusst- die auf eigene Cannabinoid-Rezeptoren derjenigen seins, der Kognition, der Wahrnehmung, des Affekts Körperzellen wirken, die die Freisetzung von Neuro- und des Verhaltens sowie anderer psychophysiolo- transmittern zur Kommunikation zwischen Nerven- gischer Funktionen und Reaktionen auf innere und äu- zellen im Gehirn modulieren. Die Zusammensetzung, ßere Reize. Das Ausmaß dieser Wirkungen hängt von Bioverfügbarkeit, Pharmakokinetik sowie Pharmako- der Dosishöhe, der Art der Verabreichung sowie des dynamik von Cannabis unterscheiden sich hierbei von Alters des Konsumenten ab. den Extrakten aus gereinigten, ein- Crean et al. (2011) berichteten, zelnen Cannabinoidarten (Russo, dass Aufmerksamkeit, Konzen- 2013a). Gewonnen werden Canna- tration, Entscheidungsfindung, binoide aus drei Quellen: Impulsivität, Inhibitionsvermö- 1. Phytocannabinoide zusammengefasst, gen, Reaktionszeit, Risikobereit- Cannabinoidverbindungen, die schaft, Eloquenz sowie das Ar- beeinträchtigt überwiegend von den Pflanzen beitsgedächtnis sofort nach dem Cannabiskonsum Cannabis sativa und Cannabis Konsum in Abhängigkeit der auf- indica produziert werden. mehrere Komponenten genommenen Dosis beeinträch- 2. Endocannabinoide der kongnitiven tigt werden. Zusammengefasst Neurotransmitter, die im Gehirn Funktion. beeinträchtigt Cannabiskonsum oder in peripheren Geweben somit mehrere Komponenten produziert werden und auf der kognitiven Funktion, wobei Cannabinoid-Rezeptoren wirken. die stärksten Auswirkungen auf 3. synthetische Cannabinoide das episodische Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis, auf Chemisch erzeugte Cannabinoide. Sie gleichen die Verhaltensplanung und Entscheidungsfindung strukturell den beiden anderen Arten und wirken sowie auf das Reaktionsvermögen festgestellt wur- durch ähnliche biologische Mechanismen. den. Durch die schweren, bereits kurzfristig nach dem Konsum einsetzenden Wirkungen ist für mindestens Hauptbestandteil THC 24 Stunden das Bedienen schwerer Maschinen und Den psychoaktiven Hauptbestandteil von Cannabi das Führen von Fahrzeugen nicht risikofrei möglich. noid stellt Tetrahydrocannabinol (THC) dar. Dieses Typischerweise ist sich ein Konsument (ähnlich wie bei wirkt auf die Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2, Alkohol) allerdings aufgrund der Cannabiswirkungen die wiederum mit dem Endocannabinoid-System in- häufig seiner eingetretenen kognitiven Beeinträchti- teragieren und mit den Nervenzellen assoziierte kog gungen nicht bewusst, was für den Betroffenen selbst nitive und neurologische Prozesse entsprechend be- sowie für seine Umwelt gravierende Folgen haben einflussen können. Sie stimulieren die Ausschüttung kann: So ergab beispielsweise die Studie von Asbridge der oben bereits erwähnten Neurotransmitter, die sich et al. (2012), dass sich das Risiko eines Autounfalls bei Anregung der entsprechenden Systeme im Ge- unter Cannabiseinfluss im Vergleich zu alkoholisiert hirn auf Kognition, Schlaf, Schmerzempfindung, das fahrenden Personen verdoppelt. Cannabiskonsum allgemeine Wohlbefinden, das Leistungsvermögen ist ferner mit gesteigertem Angst- sowie Psychose und generell die menschliche Gesundheit auswirken. erleben assoziiert: Häufig berichten erstmalig konsu- Teilweise kann die Wirkung auf das Endocannabinoid- mierende Personen von starken Ängsten bis hin zu System, wie oben im Text erwähnt, zwar medizinisch Panikattacken sowie von Halluzinationen, wobei diese zur Schmerzlinderung genutzt werden, allerdings Begleiterscheinungen oftmals als derart belastend er- führt dies auch zu einer kognitiven Beeinträchtigung lebt werden, sodass das Aufsuchen medizinischer Hilfe des Betroffenen und kann bei unkontrollierter Verwen- notwendig ist. Diese affektiven und wahrnehmungs- dung mit schwerwiegenden medizinischen und durch bezogenen Symptome können grundsätzlich auch die Verhaltens- und Erlebensveränderungen auch sozi- bei gewohnheitsmäßigem Cannabiskonsum auftre- alen Folgen verbunden sein. ten, etwa dann, wenn stärkere Cannabisprodukte als 8 Dialog · Ausgabe 1/2022
üblich konsumiert werden oder Cannabis über eine der kognitiven Leistung führt, die möglicherweise ungewohnte Einnahmemethode (z. B. Aufnahme über nicht vollständig reversibel ist. präparierte Nahrungsmittel anstatt über Rauchen) konsumiert wird. Ferner ist zumindest das vorüberge- Schwangerschaft und Stillzeit hende Auftreten von Psychosen eine häufige Begleit- In den Fokus der Forschung rückten zuletzt auch erscheinung des Cannabiskonsums – vor allem dann, die Auswirkung von Cannabiskonsum während der wenn eine genetische Prädisposition besteht oder be- Schwangerschaft. Gemäß Young-Wolff et al. (2017) reits zuvor konsumassoziiert psychotische Symptome konsumieren beispielsweise bis zu 7 % der Frauen in entwickelt worden sind. Nordamerika während der Schwangerschaft sowie 5 % in der Stillzeit – ohne über die pathologischen Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System Folgen für das Neugeborene informiert zu sein und in Darüber hinaus wird ein erhöhter Cannabiskonsum der Annahme, Cannabiskonsum würde unangenehme mit zahlreichen kardiovaskulären Symptomen in Ver- Schwangerschaftssymptome lindern. Dinieri and Hurd bindung gebracht: So besteht die Gefahr erhöhten (2012) konnten im Rahmen von Tierversuchen zeigen, Blutdrucks sowie gesteigerter Herzfrequenz und in dass die pränatale Exposition mit THC eine Disposition einigen Fällen einer orthostatischen Hypotonie. Ferner des sogenannten „Belohnungssystems“ des Gehirns kann massiver Konsum akute Koronarsyndrome s owie Neugeborener für die Wirkung anderer Drogen schafft. Schlaganfälle zur Folge haben. Bei regelmäßigem Als Belohnungssystem gilt ein Netzwerk verschiedener Cannabiskonsum lässt sich eine körperliche Toleranz- zerebraler Zentren und Kommunikationsbahnen, die entwicklung feststellen, die eine stetige Erhöhung der den Belohnungswert von Reizen der Umwelt darstel- für eine Wirkung notwendigen THC-Dosis zur Folge len und Hinwendungsverhalten steuern. Somit kann hat. Wird der dann erhöhte THC-Spiegel bei ausblei- bereits früh eine besonders erstrebenswert erlebte ra- bendem oder zu geringem sche Konsumwirkung bei Konsum nicht erreicht und den derartig exponieren sinkt unter einen individu- Lebewesen forciert wer- ellen, durch die Toleranz den. In einer weiteren Stu- entstandenen Wert, stellen Im Gegensatz die zeigten Dinieri et al. sich Entzugssymptome wie zu der Meinung (2011), dass die pränatale Angstzustände, Schlaflo- Cannabis-Exposition die der 68er-Generation, sigkeit, Appetitstörungen Botenstoff-RNA-Expressi- sowie depressive Verstim- dass Haschisch und Marihuana on des Dopaminrezeptors mungen ein. Auch dies hat niemandem schade, D2 (DRD2) in einer wich- – wie bereits die Konsum- gibt es eine Fülle tigen Belohnungsregion wirkungen per se – eine von Forschungsergebnissen, im Gehirn bei den Neu- starke Beeinträchtigung in die nachweisen, geborenen verringerte. den Alltagskompetenzen Diese Befunde deuten dass THC-Konsum eben doch zur Folge. darauf hin, dass der prä- zu einer Sucht Die Studien von Crane natale Cannabiskonsum et al. (2013) sowie Solowij führen kann. die Entwicklungsregulati- et al. (2011) zeigten, dass on von mesolimbischem regelmäßiger Cannabis- D(2)R bei den Nachkom- konsum in Abhängigkeit men durch epigenetische zur Dauer und Häufigkeit des Cannabiskonsums, Mechanismen verändert und dass die daraus resul- zum Einstiegsalter und der geschätzten kumulativen tierende Reduktion von D(2)R zur Suchtvulnerabilität THC-Dosis, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsdefizi- im späteren Leben beitragen könnte. Ferner ergab die te sowie beeinträchtigtes verbales Lernvermögen zur Studie von Tortoriello et al. (2014), dass Kinder, die prä- Folge hat. Unklar ist hierbei bislang, ob die kognitiven natal Cannabis ausgesetzt wurden, eine höhere Wahr- Funktionen nach Beendigung des Cannabiskonsums scheinlichkeit im Vergleich zu anderen Kindern haben, wieder vollständig regenerieren und welche Zeiträu- nach der Geburt an neurologischen sowie kognitiven me notwendig sind. Hierzu liefert die gegenwärtige Beeinträchtigungen zu leiden. Dies ist möglicherwei- Forschungslandschaft widersprüchliche Befunde. Eine se auf eine beeinträchtigte Vernetzung von Verbin- Längsschnittstudie von Meier et al. (2012) legt nahe, dungen zwischen Neuronen des Gehirns während dass anhaltender starker Cannabiskonsum über meh- der fetalen Entwicklung zurückzuführen. Allerdings rere Jahrzehnte zu einer erheblichen Verschlechterung können die negativen Auswirkungen einer pränatalen www.Guttempler.de 9
Schwerpunktthema THC-Exposition möglicherweise erst später in der kind- verglichen hatten. 1971 widersprach Goode diesen lichen Entwicklung auftreten, sodass sie schwieriger Ergebnissen, in seiner Arbeit an 560 Studenten hatten auf eine Exposition im Mutterleib zurückführbar sein ausgerechnet diejenigen, die gelegentlich THC kon- könnten bzw. Heilversuche unter der Annahme einer sumierten die besten Ergebnisse in den Prüfungen. non-pathologischen regelrechten kindlichen Entwick- Neuere Studien mit Hilfe von funktioneller Magnet lung könnten unterlassen bleiben. resonanztomographie weisen inzwischen aber doch Im Gegensatz zu der Meinung der guten alten 68er- darauf hin, dass durch Dauergebrauch von Cannabis Generation, dass Haschisch und Marihuana nieman- bestimmte Zentren des mesolimbischen Belohnungs- dem schaden, gibt es also eine Fülle von Forschungs- systems bei den Kiffern in einer engen Dosis-Wirkungs- ergebnissen, die nachweisen, dass sich insbesondere Beziehung immer schwächer anschlagen. Es ergibt sich durch häufigen Konsum Per- eine allmähliche Abstumpfung, sönlichkeitsveränderungen, ähnlich wie bei anderen Dro- Gedächtnis- und Konzentra- gen. Zu einer abschließenden tionsmängel entstehen und Meinung kamen die Forscher Man vermutet, dass THC-Konsum eben doch hier aber nicht, da unter den zu einer Sucht führen kann. dass gerade Menschen, stark THC-konsumierenden Teil- die ohnehin zu nehmenden deutlich mehr mit Vor mir sitzt ein junges Mäd- Depressionen neigen, psychischen Problemen waren, chen, sie ist mit ihren lan- vermehrt zu Drogen insbesondere Depressionen. gen blonden Haaren, groß- wie THC greifen. Man vermutet daher, dass ge- en blau-grünen Augen und rade Menschen, die ohnehin zu schlankem Körperbau ausge- Depressivität neigen, dann ver- sprochen attraktiv, mit ihren mehrt zu Drogen wie THC grei- 23 Jahren geht sie noch zur Schule und versucht ge- fen und beides zusammen dann die Motivation immer rade zum x-ten Mal einen Schulabschluss zu erreichen. weiter absenkt bis hin zu regelrechten Handlungs Sie ist nicht motiviert genug, um für die Prüfungen zu blockaden. lernen, fällt immer wieder durch, macht monatelang Auch die ständigen Streitigkeiten, die die oben gar nichts, beginnt dann – meist auf Druck der Eltern – beschriebene Patientin ständig mit ihrem Freund hat, einen erneuten Anlauf für eine Schul- oder Berufsaus- könnten eine Folge des THC-Konsums sein. Mit der bildung, den sie halbherzig einige Monate durchhält, von der Hippie-Generation postulierten Friedfertigkeit bis sie keinen Bock mehr darauf hat, sich morgens zur durch Haschisch scheint es nicht so weit her zu sein. Schule zu quälen. Auf Nachfrage gibt sie zu, dass sie Eine 2017 veröffentlichte Studie von Dugré aus Mon- mit ihrem Freund zusammen stetig THC konsumiert treal an 1.136 Teilnehmern fand eine deutlich höhere und eigentlich nur noch „high“ ist. Sex hat sie mit ihrem Aggressivität unter den Cannabis-Konsumierenden. Partner schon lange nicht mehr, eigentlich streiten sich Fasst man die aktuelle Datenlage zusammen, zeigt beide den lieben langen Tag nur noch ausgiebig, sie der Konsum von THC-Produkten doch sehr viel mehr bleibt aber bei ihm, da sie kein Geld verdient und er Risiken als man in der Flower-Power-Zeit vor 50 Jah- die Droge heranschafft. Sie kommt dreimal zu den The- ren noch angenommen hatte. Sich die Sicht der Welt rapiestunden, dann lässt sie die Termine ausfallen und durch Drogen zu verschönern, dürfte aber wohl immer meldet sich auch auf Nachfrage nicht mehr. Einsicht, ein Irrweg sein. Das Leben ist auch ohne THC (und an- dass das Hasch ihr Leben kaputt macht, kann ihr nicht deren Drogen) wundervoll. Wenn es nicht wundervoll vermittelt werden. ist, sollte man sein Leben ändern. Man spricht hier vom amotivationalen Syn- Prof. Dr. Erich Kasten drom, einem Phäno- Jill Julia Johannsen men, das schon 1968 Medical School Hamburg von MacGlothlin und West beklagt wurde, Anmerkung: die kiffende Studieren- Die Quellennachweise de mit nicht-kiffenden liegen der Redaktion vor. Prof. Dr. Erich Kasten Jill Julia Johannsen 10 Dialog · Ausgabe 1/2022
Julia Teichmann / Pixabay Cannabis Kommerzialisierung führt zu neuen Problemen – ohne die gegenwärtigen zu lösen – Die Abstinenzbewegung war keine amerikanische zialisierung, die auch in Deutschland von der neuen Ausnahmeerscheinung. Es war eine weltumspan- Bundesregierung geplant wird. Heute sind alle drei nende Bewegung von Aktivisten und Politikern, die Suchtmittelindustrien eng verbandelt – was ihren sich gegen wirtschaftliche Ausbeutung durch die politischen und gesellschaftlichen Einfluss verstärkt Alkoholindustrie einsetzten. und was ihnen ermöglicht, So beschreibt Professor Mark ihre Produkte zu verbreiten Lawrence Schrad in seinem und zu glorifizieren. neuen, bahnbrechenden Buch DAs Bewusstsein Alkohol ist heute so leicht „The Truth About Prohibition“ für Gesundheitsrisiken zugänglich, so weit verbreitet, unter anderem die Grundidee schwindet und so in den Gesellschaften der Guttempler. und Der Glaube verwurzelt, dass die Alkohol- Die Alkoholindustrie profi- an Effekte von Cannabis, norm großen Druck auf uns tiert seit ungefähr 200 Jahren alle ausübt. Es gehört anschei- um bestimmte Aspkte von Produkten, die Sucht und nend dazu, Alkoholprodukte des Alltags zu meistern, viele andere Schäden verur- zu mögen, zu konsumieren sachen. Sie generiert ihre un- steigt. und überall zu erwarten. In geheuren Gewinne vor allem fast allen sozialen und kultu- und besonders bei benachtei- rellen Milieus spielt Alkohol ligten Mitmenschen, demografischen Gruppen und eine zentrale Rolle. Das schränkt die Freiheit all jener Gesellschaften. Zum Beispiel hat die Alkoholindustrie ein, die nicht immer und überall Alkohol konsumieren 2016 in den USA rund 15 Milliarden Euro am Alkohol- oder sehen wollen. Und es schadet der Gesellschaft, konsum durch Minderjährige verdient. Alkoholkon- befeuert Alkoholschäden und führt zu enormen sum von Kindern und Jugendlichen sollte es eigentlich gesellschaftlichen Ausgaben. gar nicht geben, doch für „Big Alcohol“ ist er eine spru- Bei Cannabis und anderen Drogen sieht es aber – delnde Einnahmequelle. noch – etwas anders aus. Die Zugangsmöglichkeiten Unsere globale Bewegung, verankert in den Grund- zu Cannabis und der gesellschaftliche Druck zum werten von Solidarität, Gleichberechtigung und Cannabiskonsum sind weitaus geringer. Doch in den Demokratie, hat sich seit jeher gegen diese Formen Ländern, in denen Cannabis kommerzialisiert wurde, der Ausbeutung durch die Alkoholindustrie eingesetzt sehen wir besorgniserregende Entwicklungen. – und für den Schutz von Kindern, Frauen, Familien und sich entwickelnden Ländern in aller Welt. Cannabis Kommerzialisierung – einige Beispiele Im November berichtete die BBC beispielsweise über Drei Suchtmittelindustrien den „Cannamoms-Trend“ in den USA und Kanada. sind heute eng verbandelt Dort konsumiert eine wachsende Zahl von Müttern Zur Alkoholindustrie kam im 20. Jahrhundert, dann Cannabis, um ihre elterlichen Pflichten besser erfüllen die Tabakindustrie und im 21. Jahrhundert tritt die zu können. Cannabisindustrie immer aggressiver auf den Plan – Kanada und einige Bundestaaten in den USA haben beflügelt von der fortschreitenden Cannabiskommer- Cannabis legalisiert und kommerzialisiert. Dort ist die www.Guttempler.de 11
Schwerpunktthema Cannabiszugänglichkeit enorm erleichtert. Mit dieser re von Notaufnahmebesuchen von Kindern seit der Entwicklung entstehen dort auch Phänomene wie Kommerzialisierung von Cannabis dramatisch ange- Online-Communities der „Cannamoms“. Suchtexper- stiegen. Essbare Cannabisprodukte sind ein Schlüssel- ten wissen, dass sich das Suchtrisiko erhöht, wenn Al- faktor, der diese Entwicklung antreibt. Kanadas Gesetz kohol und andere Drogen konsumiert werden, um mit zur Kommerzialisierung von Cannabis beinhaltet eini- alltäglichen Aufgaben klarzukommen. Aber es gibt ein ge Regulierungsmaßnahmen, um unbeabsichtigten weiteres Problem, dass das „Cannamoms“-Phänomen Cannabiskonsum zu reduzieren. Essbare Cannabispro- illustriert: Die gesellschaftliche Norm um Cannabis ver- dukte dürfen keine attraktive Verpackung haben, müs- ändert sich rasant. sen Warnsymbole tragen, und müssen kindersicher Das Bewusstsein für Gesundheitsrisiken und ande- sein. Kanada hat auch den THC-Gehalt von Cannabis- re Schäden verschwindet und der Glauben an Effekte produkten begrenzt, Werberestriktionen eingeführt von Cannabis, um bestimmte Aspekte des Alltags zu und begonnen, Informationskampagnen über Canna- meistern, steigt. Das heißt, mit dem Anstieg der phy- sischen Zugänglichkeit Eine Studie zeigt, (wo ist Cannabis erhältlich, dass mit jedem Dollar wie wird es vermarktet) steigt auch die psycholo- an Steuereinnahmen gische Zugänglichkeit (das von kommerziellem Cannabis Empfinden, Cannabis zu mehr als 4 Dollar brauchen) und die soziale ausgegeben werden müssen, Zugänglichkeit (Normali- um die Kosten sierung und Romantisie- der Cannabisschäden rung eines Suchtmittels in mehr und mehr sozialen zu mindern. Bereichen). Bei Alkohol gibt es das weitverbreite- te Phänomen der „Wine Kommerzielle bissicherheit durchzuführen. Und dennoch kommen Suchtmittel Kinder in immer größerem Ausmaß zu Schaden. Und sind ein die Cannabisindustrie arbeitet mit aggressivem Lob- gesellschaftliches bying daran, selbst diese Regeln abzuschaffen. Die meisten Bundesstaaten der USA, die Cannabis Verlustgeschäft. kommerzialisiert haben, haben nicht mal diese unzu- Wir alle reichenden Regulierungen eingeführt. Cannabislega- subventionieren lisierung im Bundesstaat Oregon sollte dazu führen, die Profite der dass der Schwarzmarkt für Cannabis verschwindet. Tabak- und Das hat nicht funktioniert. Das Politik-Magazin Politi- Alkoholindustrien. co hat Anfang des Jahres eine beeindruckende Repor- tage veröffentlicht. Darin wird von illegalem Anbau, von Waffengewalt, und sogar Umweltverschmutzung berichtet. Auch in Kalifornien ist der Cannabisschwarz- markt keineswegs verschwunden, genauso wenig wie Moms“ – und damit einhergehend rapide steigende in Kanada. In Oregon sind die illegalen Cannabisumsät- Alkoholprobleme unter Müttern – mit den hieraus re- ze doppelt so groß wie die legalen. Bundesstaaten mit sultierenden negativen Konsequenzen für die Kinder. einigen der größten legalen Märkte haben es gleich- Eine neue Studie verdeutlicht, dass die Legalisie- zeitig mit zügelloser illegaler Cannabisproduktion zu rung zu enormen Schäden führt: in der kanadischen tun – und das Problem verstärkt sich. In Oklahoma sind Provinz Ontario sind die Häufigkeit und die Schwe- Lizenzen zum Anbau von medizinischem Cannabis am 12 Dialog · Ausgabe 1/2022
einfachsten zu bekommenden. Dort sind seit letztem gesellschaftlichen Normen verändern sich rapide und April mehr als fünf Dutzend Razzien wegen illegalen führen zu leichterer Zugänglichkeit, Normalisierung Anbaus durchgeführt worden. In Kalifornien kauft der und sinkendem Bewusstsein für die Gefahren und größte Teil des Bundesstaates weiterhin Cannabis aus Risiken von Suchtmitteln. All das war zu erwarten, nicht lizensierten Quellen. Das führt dazu, dass die denn bei Tabak und Alkohol ist das schon seit langem Cannabisindustrie aggressive Lobbyarbeit betreibt, der Fall. Und jetzt sehen wir in Ländern mit kommerzi- um die Regulierungen zu verwässern: Steuersenkung, alisierten Cannabismärkten dieselbe Problematik. mehr Werbung, etc. sind die Forderungen, um Canna- Ein Unterschied ist aber nach wie vor enorm: Die Prä- biskonsum zu fördern. valenz von Cannabis und anderen Drogen im Vergleich Bundesstaaten in den USA mit legalen Cannabis- zu Alkohol ist sehr, sehr niedrig. Der Pro-Kopf-Konsum Märkten (Kalifornien, Colorado, Nevada, Oregon und und die physische, soziale, finanzielle, und psycholo- Washington) haben zusammen ein Haushaltsdefizit gische Zugänglichkeit von Cannabis sind (noch) ge- von 71 Milliarden Dollar angehäuft. Einnahmen von ring. Viele Menschen sehen und verstehen den Nutzen der kommerzialisierten Cannabisindustrie gleichen die und die Wichtigkeit eines Verbots. Beispielsweise zeigt wirtschaftlichen Defizite nicht mal ansatzweise aus. eine neue schwedische Umfrage unter jungen Erwach- Kein Bundesstaat mit kommerzialisierter Cannabis- senen, die nie Cannabis konsumiert haben, dass das industrie hat seine ursprünglichen Prognosen zu den Cannabisverbot der stärkste Schutzfaktor ist, nicht mit Steuereinahmen erfüllt. dem Cannabiskonsum zu beginnen. Auch unter jun- Eine Studie in Colorado zeigt, dass mit jedem Dol- gen Erwachsenen, die Cannabis konsumiert haben, ist lar an Steuereinnahmen von kommerziellem Cannabis das Cannabisverbot ein starker Grund, den Cannabis- mehr als 4 Dollar ausgegeben werden müssen, um die konsum zu verringern oder wieder zu beenden. Kosten der Cannabisschäden zu mindern. Der frühere Gouverneur von Colorado, John Hickenlooper, der Cannabis zu legalisieren bedeutet, kommerzielle Cannabis legalisiert hatte, gab kürzlich zu: „Cannabis- Kräfte bei einem weiteren Suchtmittel zu entfesseln Steuereinnahmen sind ein Tropfen auf den heißen Das verursacht neue, größere Probleme und trägt zu Stein – sie werden weder die frühkindliche Bildung noch stärkerer Ausbeutung von Menschen und Grup- finanzieren noch große soziale Probleme lösen …“ pen bei, die bereits marginalisiert und besonders Die Cannabisindustrie betreibt aggressive Lobby verletzlich sind, allen voran Kinder und Jugendliche, arbeit, um die Cannabissteuern zu senken, genau wie ärmere Mitmenschen und Menschen, die Minder- die Alkoholindustrie alles tut, um Steuererhöhungen heiten angehören. und Werbeverbote zu verhindern. Im Bereich Alkohol- politik übersteigen die gesellschaftlichen Kosten durch Unsere Bewegung setzt sich auch in Deutschland seit Alkoholschäden die Steuereinnahmen vom Alkohol- über 170 Jahren für den Schutz vor Ausbeutung durch verkauf in allen Ländern, die diese Daten erheben. Suchtmittelindustrien ein. Wir sehen, dass unsere Wer- Die Entwicklungen verdeutlichen, dass viele der te der Solidarität und Gerechtigkeit für alle Menschen Argumente für „Cannabiskontrolle“ oder „kontrollierte weiterhin hoch aktuell sind. Unsere Bemühungen, Legalisierung“ Luftschlösser sind, die implodieren, so- Entwicklung und Demokratie durch Prävention von bald Kommerzialisierung eines Suchtmittels auf das Alkohol und anderen Drogen zu unterstützen, sind Profitinteresse von Produzenten trifft. wichtiger denn je. Wir werden nicht aufhören, unsere Kommerzialisierte Suchtmittel sind Erfahrungen einzubringen, ein gesellschaftliches Verlustgeschäft. um Menschen vor kommerzi- Wir alle subventionieren die Profite ellen, ausbeuterischen Sucht- der Tabak- und Alkoholindustrien. mittelindustrien zu schützen. Dasselbe gilt in den Ländern, die Can- nabis kommerzialisiert haben. Maik Dünnbier Der Schwarzmarkt ist nicht ver- MOVENDI International schwunden, die Steuereinnahmen sprudeln nicht und entsprechen über- haupt nicht den Versprechungen, die Cannabisindustrie mischt sich in die Gesundheitspolitik ein, um die existie- renden Gesetze abzuschwächen und Verbesserungen zu verhindern. Die www.Guttempler.de 13
Schwerpunktthema Cannabis? Nein danke! Ein Kommentar „Die Ampel steht auf Grasgrün“, so war es im Spiegel in der Ausgabe 42/2021 zu lesen. Müssen wir uns in unseren Vorstellungen und Erwartungen auf ein Kiffer- land einlassen? Werden sich in den Raucherbereichen der Bahnhöfe Cannabis-Konsumenten und Tabakrau- cher vertragen und sich friedlich nebeneinander über die Vorzüge und die Art des Kicks der einen und der anderen Droge austauschen? Oder wird die eine Kon- sumentengruppe Wert darauflegen, von der anderen nicht „belästigt“ zu werden? Werden wir uns schon bald bei unseren Radtouren und Spaziergängen an © Matteo Paganelli on unsplash der Schönheit großzügiger Cannabis-Anbauflächen erfreuen können? Aber langsam – schauen wir uns die Absichtserklä- rungen in den maßgeblichen Passagen des Koalitions- vertrages doch einfach mal genau an: Das Gesetz (das es ja noch gar nicht gibt) evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswir- Demnächst gängiges Landschaftsbild? Cannabis-Anbaufläche kungen. (Dabei sind wir gerne behilflich.) Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadens- Der Koalitionsvertrag trägt den übergeordneten Titel „Mehr minderung … (von Schäden, die es Fortschritt wagen“ und beschreibt im Abschnitt „Pflege und zu mindern gilt, geht man also von Gesundheit“ die Vereinbarungen zur vornherein aus?) Bei der Alkohol‐ und Nikotin- Drogenpolitik prävention setzen wir auf verstärk te Aufklärung mit besonderem Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachse- Fokus auf Kinder, Jugendliche und ne zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein. Dadurch schwangere Frauen. (Aufklärung ist wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter die nachgewiesen wirkungsloseste Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Maßnahme, um eine Konsumredu- Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche zierung sowohl bei den genannten Auswirkungen. Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen Zielgruppen als auch generell zu er- der Schadensminderung ermöglichen und bauen wir aus. reichen – hier nützt auch eine „Ver- Bei der Alkohol‐ und Nikotinprävention setzen wir auf ver- stärkung“ wenig. Stattdessen müssen stärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugend- die von der WHO empfohlenen „Best liche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen buys“ angewandt werden: für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Canna- 1. Steuererhöhungen und bis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissen- Preisregulierungen schaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen 2. Verbot von Werbung zum Gesundheitsschutz aus. und Sponsoring 3. Einschränkung der physikalischen Verfügbarkeit 14 Dialog · Ausgabe 1/2022
Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Was bedeutet das eigentlich Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Ge- alles für uns Guttempler? schäften ein. Und: Wir verschärfen die Regelungen Orientierung gibt uns da zunächst einmal die Sat- für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin zung, die in aller Deutlichkeit und unmissverständlich und Cannabis. Hervorragend! (Gleich drei Begriffe, die in- klarstellt, dass die Guttempler den medizinisch nicht haltlich noch auszufüllen, zu definieren sind. „Kontrollierte begründeten Gebrauch von Rauschmitteln ablehnen. Abgabe“ dürfte Mengenbegrenzung meinen, aber auch Das ist für uns alle viel mehr als nur ein persönliches Wirkstoffhöchstgrenzen. Wir sind gespannt! Der Begriff Bekenntnis. Das ist Ausdruck einer inneren Haltung, „Erwachsene“ ist wohl bewusst gewählt – hier steht ja nicht einer Überzeugung, einer bewussten Lebensentschei- „Volljährige“. Aus medizinischer Sicht ist ein Alter von nicht dung. Hieran ändert sich rein gar nichts. Das Menete- unter 25 Jahren empfehlenswert, damit wenigstens das kel, dass in den Raucherpausen bei guttemplerischen Gehirn voll ausgereift ist. Wir sind abermals gespannt! Bei Zusammenkünften, auf einmal noch ganz andere Ge- den „lizenzierten Geschäften“ sind zurzeit Apotheken, aber rüche wahrgenommen werden könnten, wird es auch auch „echte“ Spezialgeschäfte in der Diskussion. Mit den in Zukunft nicht geben. (Macht das Bild weg!). Apotheken hätte man schon ein vorhandenes Vertriebsnetz, Alle Menschen, die weniger oder gar keinen Alko- Spezialgeschäfte für Alkohol, Nikotin und Cannabis dage- hol, weniger oder gar keine Medikamente, weniger gen wären ein Riesenfortschritt hinsichtlich Marketings, oder gar keine persönlichkeitsverändernden Drogen, Sponsoring kontrollierter Abgabe und Jugendschutz. Und: weniger oder gar keine Rauschmittel benutzen wollen, Wer Jugendschutz will, kann das einfacher haben.) sind bei uns willkommen. Sie sind nach wie vor an der richtigen Adresse und sind bei uns gut aufgehoben. Eins steht fest: Es geht ums Geld Auch hieran ändert sich rein gar nichts. Ob alles, was der Koalitionsvertrag an dieser Stelle Die Diskussion und das ganze Hin und Her um die vorsieht, so buchstabengenau auch tatsächlich umge- Freigabe eines weiteren Suchtmittels fühlt sich manch- setzt wird, vermag heute noch niemand zu sagen. Aber mal ein wenig an wie der Kampf David gegen Goliath, eines steht mit Sicherheit fest: Es gibt jede Menge Geld und das ist wohl auch ein Stück weit so. Aber immer- zu verdienen! Niemandem soll etwas Böses unterstellt hin: David gegen Goliath hat es angeblich schon mal werden, aber könnte es nicht sein, dass dies in Wirk- gegeben – und wir wissen, wie es ausgegangen ist. Wir lichkeit der bislang unausgesprochene Hauptgrund für sind auch, aber eben nicht nur, der Reparaturbetrieb die ganzen Planungen ist? Die Pharmaindustrie wittert für das, was es durch zögerliche Politik insgesamt an ein gutes Geschäft. Medizinalcannabis (die Blüten der Ergebnissen zu betrachten gibt. Das sind keine Pea- Pflanzen und das daraus gewonnene Öl), das vor allem nuts – und wir haben die Dimension der Herausforde- bei Schmerzpatienten eingesetzt wird und bei dem die rung sehr wohl verstanden. Vieles, was ich da immer Krankenkassen, zumindest teilweise, inzwischen auch wieder höre, z. B. die Mär vom „verantwortungsvollen die Behandlungskosten übernehmen, wird zumeist Konsum“ bereitet mir dann doch zuweilen sowas wie im Ausland angebaut. Eine staatliche Importerlaubnis intellektuelles Sodbrennen. haben jetzt schon knapp 90 Firmen. Die diesbezüg- lichen Marktchancen werden auf mehr als 190 Tonnen geschätzt. Beim zurzeit noch illegalen Markt sehen die Satzung der Guttempler in Deutschland, Zahlen (aus Sicht der Pharmaindustrie) noch erfolgver- § 3 Abs. 2 (Auszug): sprechender aus: Der Deutsche Hanfverband schätzt Die Guttempler wirken den Alkohol- und die konsumierte Menge auf 200 bis 400 Tonnen, was anderen Suchtgefahren entgegen, indem einem Marktwert von ungefähr 1,2 bis 2,5 Milliarden sie sich … für eine einheitliche Gesetzge- Euro entspricht. Goldgräberstimmung! bung für Suchtmittel einsetzen. Zusätzlich sollen Steuereinnahmen generiert wer- den. Der Hanfverband, der als Interessenvertretung Satzung der Guttempler in Deutschland, für die Legalisierung von Cannabis auftritt, hat Modell- § 3: rechnungen aufgestellt. Er malt ein Bild von blühenden Die Guttempler lehnen den … medizinisch Landschaften, in denen neue Arbeitsplätze im Anbau, nicht begründeten Gebrauch abhängig Handel und Vertrieb entstehen, in denen Polizei und machender oder persönlichkeitsverän- Justiz entlastet werden und sich neuen Aufgaben zu- dernder Drogen und von Rauschmitteln ab. wenden können und errechnet, alles zusammenge- nommen, mit Mehreinnahmen von 4,7 Milliarden Euro pro Jahr in den Steuerkassen. www.Guttempler.de 15
Schwerpunktthema Jugendlichen den Weg ins Erwachsenwerden nicht zu und wird mit neuen, attraktiveren, billigeren Angebo- verbauen, weil sie mal mit ein paar Gramm erwischt ten reagieren. worden sind? Da gehen wir gerne mit – das ist ok. Der Die Arbeitsgruppe »Alkoholpolitik« der Guttempler ganze Rest ist aber nicht zu Ende diskutiert. Und hier in Deutschland hat sich auf den Weg gemacht. Sie ist liegt unsere Aufgabe und eine große Herausforde- dabei, sich zu verstärken und ihr Profil zu schärfen. rung. Betäubungsmittel sind aus gutem Grund illegal Die Seite www.alkoholpolitik.de ist eine bemer- und sollten es auch bleiben. Das Ziel aller Maßnahmen kenswert umfangreiche Faktensammlung – es gibt sollte nicht „Legalisierung“ oder „Freigabe“ heißen, son- nichts Vergleichbares. Die Seite lässt Wissenschaftler, dern „Konsumreduzierung“. Fachleute und Betroffene Die Entkriminalisierung bei zu Wort kommen. Sie hat den Endverbraucherinnen sich zu einem umfassenden Wir halten es und Endverbrauchern ist Nachschlagewerk für alko- richtig und findet de facto für unabdingbar, holpolitische Fragen entwi- seit vielen Jahren statt. Der die sozialen Normen ckelt. Schwarzmarkt wird nicht für eine Die Arbeitsgruppe bringt „ausgetrocknet“, sondern gesundheitsorientierte sich ein in den gesellschaft- wächst sogar, er wird sich Lebensweise lichen Diskurs. Sie strebt mit sein Geschäft nicht verder- ihren Aktivitäten im Wesent- zu stärken ben lassen, hat keine ein- lichen die Veränderungen geschränkten „Öffnungs- und dazu gehört von suchtfördernden gesell- zeiten“, ist ständig verfügbar die Konsumreduzierung schaftlichen Bedingungen, von Rauschmitteln. von Sichtweisen und Struk- turen an. Es handelt sich also um einen Ansatz, der in © Elizeu Dias on unsplash Form legislativer und regu- lativer Politikstrategien eine breite Wirkung in der Gesell- schaft insgesamt erzielen soll. So steht es in unserem Programm: Wir setzen uns für gesellschaftliche Rah- menbedingungen ein, in denen sich Menschen ohne Beeinträchtigung durch Alkohol und andere Drogen entwickeln und in Selbstbestimmung, Eigenverant- wortung und Gesundheit leben können – das ist so und das bleibt so. In der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) sind die in der Suchthilfe und Suchtprävention bundesweit tätigen Verbände und gemeinnützigen Vereine zusammengeschlossen – und somit auch wir. Im Paritätischen, unserem Spitzenverband der Freien Wohlfahrtpflege, sind Mitgliedsorganisationen ver- treten, die sich für die Belange der sozial Benachteili- gten und der von Ungleichheit und Ausgrenzung Be- troffenen und Bedrohten einsetzen – wir sind dabei. In MOVENDI International, unserem internationalen Dachverband, sind 135 Organisationen aus 54 Län- dern vertreten. Wir gehören dazu – mit Guttemplern aus Deutschland im Vorstand. Wir halten es für unabdingbar, die sozialen Normen für eine gesundheitsorientierte Lebensweise zu stärken – und dazu gehört nun mal die Konsumreduzierung Rauschmittelfrei in Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Gesundheit leben: dafür setzen wir uns ein. 16 Dialog · Ausgabe 1/2022
von Rauschmitteln insgesamt. Die Arbeitsgrup- pe Alkoholpolitik bezieht sich in ihrer Arbeit auf die bisher vorgelegten Schriften, Empfehlungen und Positionspapiere sowohl der Guttempler in Ein Gespräch mit Jonas (21), Deutschland als auch der DHS, der Europäischen Union und der Weltgesundheitsorganisation. Die Situationsbeschreibungen sind nach wie vor rich- tig und die daraus resultierenden Forderungen an die Politik werden immer drängender. Student Die Guttempler setzen sich Bist Du für die Freigabe von Cannabis? für ein Suchtmittelgesetz ein Ja, ich bin für die Freigabe, wegen der Entkrimina- Wir setzen wir uns für die Schaffung eines Sucht- lisierung. Es hängt aber auch davon ab, wie es um- mittelgesetzes mit wirksamen Rahmenbedin- gesetzt wird. Keiner wird in die Apotheke gehen, gungen ein. Wir wissen, dass das Thema komplex um sich etwas Gras zu kaufen. ist und viele sumpfige Stellen hat. Aber dennoch: Der Zug muss losfahren, auch wenn einige nicht Wie viel kostet heute eine Portion? mitwollen. Ein Gramm kostet heute circa 10 Euro. Ich gehe Es genügt nicht, ständig zu warnen. Es genügt davon aus, dass, wenn es frei verkäuflich sein wird, auch nicht, drastisch zu warnen. Es genügt auch der „offizielle Preis“ zu hoch sein wird und der nicht, umfassend zu informieren. Wir müssen ent- „Straßenpreis“ gedrückt wird. Also, wo werden die schlossen ran an diese vermeintlichen Normen, Leute kaufen? diese Glaubenssätze, diese gesellschaftlich kon- struierte Übereinkunft, dieses Bild, das wir in uns Wie sieht es mit der Reinheit von Cannabis im tragen, wonach berauschende Mittel immer und Straßenverkauf aus? Man sagt immer, da wird überall dazugehören und positiv dargestellt wer- viel rein gemischt, um es zu strecken. den. Wir müssen deutlich machen, dass hierdurch Die meisten Leute haben einen festen Zugang. Menschen unterdrückt werden, die, aus welchen Da ist Vertrauen aufgebaut, weil der Verkäufer es Gründen auch immer, rauschmittelfrei leben wol- selbst konsumiert. Darum wird kein Gemisch ver- len. kauft. Es ist nicht schwer an Cannabis ranzukom- Wenn man das allerdings nicht mal probiert, men. Schon in der neunten Klasse haben interes- kann es auch nicht gelingen. Nicht allein, sondern sierte Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten vernetzt. Alkohol- und Drogenpolitik in den Diens gefunden, Cannabis zu erwerben. ten der Gesundheit – dafür setzen wir uns ein. Bei allem, was wir uns persönlich, als Gemeinschaft, als Ist Rauchen von Cannabis für Dich eine Vorstufe Landes- oder Bundesverband hierbei einfallen las- zu einer Drogenabhängigkeit? sen, halten wir uns aber dennoch an eine wichtige Nein. Die Entscheidung Drogen zu konsumieren, Grundbotschaft: Mach es einfach! wird vorher getroffen. Der Erstkontakt mit Dro- gen sind meistens Alkohol und Nikotin und dann Besuchen Sie unsere Seite www.alkoholpolitik.de kommt eventuell Gras. Bei Alkohol zum Beispiel ist mir am nächsten Tag noch übel, nach Cannabis nicht. Fredric Schulz Dadurch, dass man Kontakte zu Leuten hat, die Stellvertretender mit Drogen handeln, wird einem auch mal eine Bundesvorsitzender andere Droge angeboten. Die Aufklärung über Al- kohol und Cannabis fehlt. Alkohol wird verharm- lost und wer sich für Cannabis entscheidet, tut es bewusst. Verbotspolitik ist der falsche Weg, Jugendliche wollen ausprobieren. Das Stigma, das Leute erleben, die Drogen neh- men, muss weg. Die sozialen Probleme machen es heute aber noch schwieriger. Petra Krause www.Guttempler.de 17
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