Die hallische Studierendenschaftszeitschrift - Nr. 40 Januar 2012 - Hastuzeit
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Liebe Leser, willkommen zur vierzigsten Ausgabe der Hastuzeit. Das man sich an neue Gegebenheiten anpassen. Zur Vereinfa- Inhaltsverzeichnis Interesse erste Exemplar erschien im Mai 2005. 2005! Merkel wurde chung kann man sich Lern- und Erinnerungsmethoden Bundeskanzlerin, Deutschland Papst, und Schnappi, das aneignen, zum Beispiel den berühmten Erinnerungsfaden Pause kleine Krokodil, war zehn Wochen auf Platz eins der deut- an den Daumen binden. Viele glauben auch, dass Sport 02 Editorial – Das Wort zum Heft schen Charts … Manchmal ist es gut, wie schnell die Zeit der beste Ausgleich zum mental anstrengenden Lernen ist. vergeht. Eine Redakteurin hat dazu skurrile Sportarten ausprobiert Uni uni Manche Themen sind auch nach fast sieben Jahren und sich für Euch, liebe Leser, herzlichst blamiert. Unsere noch oder schon wieder aktuell: Die hastuzeit-Redaktion gebündelten individuellen Erinnerungen ergeben ein sozi- von damals beschäftigte sich mit der Einführung von Stu- ales Gedächtnis, welches wiederum unsere Kultur formt. diengebühren und sprach sich gegen Kürzungen an der Der Zusammenhang zwischen Lernen, Erinnern und Ver- 04 So viel Zukunft, so wenig Zeit – Profildiskussion für den Wissenschaftsrat Uni aus. Dieses Thema hat sieben Jahre später nicht an Bri- gessen ist ein diffiziler Prozess. Eine Dysfunktion kann 06 Der virtuelle Kampf gegen die Angst – Computertherapie für psychische Erkrankungen sanz verloren: Die MLU möchte ihr Profil schärfen – ein zum Beispiel dazu führen, dass wir uns nur an eine be- netter Ausdruck für finanzielle Kürzungen. Außerdem hat stimmte Zeit erinnern können und unser Kurzzeitgedächt- sich ein Redakteur in die Tiefen der menschlichen Psyche nis eingeschränkt ist. gestürzt und sich in das hallische Angstlabor gewagt, wo 2005 hat sich die Redaktion mit dem Thema beschäf- man lernen kann, seine Höhenangst oder Klaustrophobie tigt, dass Halle erst auf den zweiten Blick eine schöne zu bekämpfen. Stadt sei. In der jetzigen Ausgabe sind wir der Frage nach- Wir haben für unsere letzte Ausgabe in diesem Semes- gegangen, ob aus dem ehemaligen Arbeiterviertel und ter ein Titelthema ausgesucht, das die meisten von Euch, jetzt »In«-Stadtteil das neue Paulusviertel werden könnte. gerade jetzt, direkt betreffen dürfte: Rund ums Lernen Wir hoffen, Ihr übersteht die Prüfungszeit gut, und ver- 09 Memories – »Als ich noch klein war« Interesse und Erinnern geht es in unserem Interesseteil. Wie funk- abschieden uns für dieses Semester von Euch. Die nächste 10 Dem Hirn beim Wachsen zuschauen – Was passiert beim Lernen im Kopf? tioniert eigentlich der Prozess des Lernens, und wie be- Ausgabe der hastuzeit erscheint im April. Wir wünschen Pause wusst nehmen wir Lernen wahr? Lernen verändert sich im Euch viel Spaß beim Lesen von Ausgabe 40. 11 Das Gedächtnis als Fotoalbum – Keiner kann sich alles merken … Laufe des Lebens: Je älter man wird, umso schwerer kann Tom & Yvette 12 Wer rastet, der rostet – Lebenslang und multimedial an der MLU lernen Uni uni 14 Königsdisziplinen des Studierens – Lernen, Erinnern und Vergessen im Überblick 16 Zum Lernen gemacht – Neurowissenschaften leicht verdaulich aufbereitet Impressum 18 Erinnerungskulturen – Über unser soziales und kulturelles Gedächtnis 20 Anterograde Amnesie – Ein Leben ohne Zukunft hastuzeit, die hallische Studierendenschaftszeitschrift, wird herausgegeben von der Studierendenschaft der Druck: Druckerei & DTP-Studio H. Berthold, 22 Fantasie als Lernmethode – Kreatives Auswendiglernen für Fortgeschrittene Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Äußere Hordorfer Straße 1, 06114 Halle (Saale) erscheint in der Regel dreimal im Semester während Der Umwelt zuliebe gedruckt auf Recyclingpapier. der Vorlesungszeit. Auflage: 4000 Stück Chefredaktion: Tom Leonhardt (V. i. S. d. P.), Yvette Hennig Redaktionsschluss: 20. Januar 2012 hastuzeit versteht sich als Mitmachmedium. Interesse Pause Redaktion: Konrad Dieterich, Katharina Deparade, Über Leserbriefe, Anregungen und Beiträge freuen wir 23 Halle und die Straßenbahn – Ein Besuch im Museum Julia Kloschkewitz, Sabine Paschke, Helena Werner uns sehr. Bei Leserbriefen behalten wir uns sinnwah- freie Mitarbeit: Caroline Bünning, Ronja rende Kürzungen vor. Anonyme Einsendungen werden 24 Vom Leerstand zum Wohlstand – Glaucha, ein Modephänomen? Uni uni Schlemme, Maria Weickardt nicht ernst genommen. Für unverlangt eingesandte Layout: Tom Leonhardt, Maria Weickardt Manuskripte übernimmt hastuzeit keine Haftung. 26 Offen für Neues – Kurioser Sport im Visier: Irish Dancing Titelbild: Susanne Wohlfahrt Neue Mitglieder sind der Redaktion herzlich 27 Stura aktuell – Neues und Wissenswertes aus Eurem Gremium Lektorat: Konrad Dieterich, Caroline Bünning willkommen. Sitzungen finden in der Regel Anschrift: hastuzeit, c/o Studierendenrat der MLU, mittwochs um 20.00 Uhr im Gebäude des Stura Universitätsplatz 7, 06108 Halle (Anschrift siehe oben) statt und sind öffentlich. E-Mail: redaktion@hastuzeit.de Während der vorlesungsfreien Zeit finden die Website: www.hastuzeit.de Sitzungen unregelmäßig statt. 2 hastuzeit 40 hastuzeit 40 3
Uni Uni Interesse Interesse So viel Zukunft, so wenig Zeit Für den Wissenschaftsrat gibt sich die Martin-Luther-Universität auf die Schnelle ein Profil. »Das Ganze eilt furchtbar. Wir bitten euch dringend und dem Personalrat der Universität. Besonders ärgerte es um eure Ideen und Mithilfe«, schrieben die studenti- sie, dass das Rektorat seine Antworten weitgehend intern, schen Senatoren und der Studierendenrat der MLU am teilweise noch mit den Dekanen der Fakultäten ausgear- 28. November in einer E-Mail an alle Studierenden. Etwas beitet und erst am 21. Dezember bei einer Sondersitzung entspannter liest sich eine neue Mail acht Wochen später, des Senats zur Diskussion gestellt hatte. Die Vertretun- in welcher der Stura interessierte Studierende dazu ein- gen der Studierenden und Beschäftigten fühlten sich aus- Ende 2003 kündigte das Kultusministerium unter lädt, ihre Ideen zu den Themen Hochschullehre, Beschäfti- geschlossen von der Mitarbeit an einem Dokument, in müssen. Ab 2015 erwartet das Rektorat, keine Fördermit- dem Titel »Hochschulstrukturentwurf« weitere Kürzun- gungsverhältnisse und Campus-Infrastruktur beizutragen. dem die Universität nicht nur ihren gegenwärtigen Stand tel mehr aus dem Hochschulpakt 2020 zu erhalten, mit de- gen an: Die Hochschulen sollten bis 2006 durchschnitt- Aber der Reihe nach: Ende 2010 hatten sich die Lan- beschreibt, sondern auch bereits ihre Vorstellungen zur nen bisher zusätzliche Plätze für Studienanfänger finan- lich 10 Prozent ihres Haushalts einsparen, die Uni Halle desregierung und die Hochschulen Sachsen-Anhalts auf zukünftigen Struktur und Entwicklung erläutert. ziert werden. sogar 12 Prozent. Daraufhin brachen die Neuimmatriku- Zielvereinbarungen für die nachfolgenden drei Jahre geei- Doch besonders die ersten Fragen des Wissenschafts- Und so überschatten finanzielle Erwägungen, die offi- lationen an der MLU tatsächlich vorübergehend ein, aber nigt. Laut Rahmenvereinbarung erarbeiten die Hochschu- rates zum Leitbild und Profil der Hochschule hatten es ziell (noch) nicht zur Debatte stehen, die Profildiskussion nur, weil die Universität flächendeckende Zugangsbe- len in dieser Zeit Struktur- und Entwicklungspläne nach in sich, denn ein Leitbild hatte sich die Universität bisher nun doch. Insbesondere Professoren und Mitarbeiter klei- schränkungen eingeführt hatte. Außerdem strukturierte Vorgaben des Landes. Zur Vorbereitung solle »hochran- nicht gegeben, und ihr Profil hielt sie für nicht besonders nerer Fächer oder solcher, die sich in den offiziell benann- sie 2006 die Fakultäten neu und schloss den Fachbereich gige externe Expertise, z. B. der Wissenschaftsrat, um die vorzeigbar: es bestand hauptsächlich aus dem Lehramts- ten Forschungsschwerpunkten nicht wiederfinden, fürch- Ingenieurwissenschaften. Erarbeitung einer Begutachtung gebeten werden [...]« studium sowie den vier Forschungsschwerpunkten, zu de- ten bereits um den Fortbestand ihrer Bereiche. Rektor Aktuell sind nur noch 1855 Mitarbeiterstellen an der Der Wissenschaftsrat ist ein deutschlandweites Beratungs- nen sie sich 2004 unter dem Druck der damaligen finan- Sträter versuchte die Wogen zu glätten, indem er betonte, Uni Halle vorgesehen, von denen laut Marquardt 100 nicht gremium für Bund und Länder, das überwiegend aus Pro- ziellen Kürzungen bekannt hatte und die vom Land unter dass zu einer Universität nicht nur Forschungsschwer- besetzt sind. Zugleich hat die Universität im Wintersemes- fessoren und Bildungspolitikern besteht. Auch Wissen- dem Schlagwort »Exzellenzinitiative« bevorzugt geför- punkte gehörten. Und überhaupt: »Die Antworten an den ter 2011/12 erstmals die Schwelle von 20 000 Studierenden schaftsministerin Wolff und ihr Staatssekretär Tullner sind dert werden. Wissenschaftsrat sind das eine. Unsere Profildiskussion überschritten. Ganz so dramatisch ist das Missverhältnis Mitglied in der Verwaltungskommission des Rats. Dieses Mal sollte die Profildiskussion grundsätzlich werden wir auch danach fortsetzen.« in der Praxis nicht: Wo reguläre Beschäftigte fehlen, helfen So konnte es grundsätzlich nicht überraschen, dass und unabhängig von möglichen Einsparungen geführt die Fakultäten zunehmend mit (schlecht bezahlten und sich der Wissenschaftsrat bei der Martin-Luther-Univer- werden, erklärten Ministerin Wolff gegenüber der Mittel- Tendenz fallend kurzfristigen) Lehraufträgen aus – diese sind nicht so ein- sität für einen Besuch ankündigte. Für Unruhe sorgte je- deutschen Zeitung und Rektor Sträter in der Onlineaus- Dass Schlagwörter wie »Umstrukturierung«, »Entwick- fach zu beziffern, weil sie nicht aus Personal-, sondern aus doch der umfangreiche, immerhin 55 Punkte umfassende gabe des hauseigenen Magazins »Scientia Halensis«. lung« und »Profilbildung« letztlich für Kürzungen und Sachmitteln finanziert werden und weil deren Verträge un- Fragenkatalog, den die Universität im Oktober des vergan- Zugleich bemühten sich beide erst gar nicht, das Offen- Stellenstreichungen stehen, damit hat die Martin-Luther- terschiedlich lange laufen. Vereinzelt kommen auch Mit- genen Jahres erhielt und deren Antworten sie bis 13. Januar sichtliche abzustreiten: dass demnächst wieder Kürzun- Universität seit der Wende reichlich Erfahrung gesammelt. arbeiter aus Drittmittelprojekten in der Lehre zum Ein- einreichen sollte; die Frist wurde dann noch einmal um gen in unbestimmter Höhe zu erwarten sind – schließlich Bertolt Marquardt vom Personalrat der Uni rechnet vor, satz. Mit diesen Notlösungen sind jedoch Personalrat wie zwölf Tage verlängert. sind die demographische Entwicklung und die Finanzsitu- dass von 1989 bis heute 75 Prozent der Stellen weggefallen auch Studierendenrat nicht zufrieden. Zwar bekennt sich ation des Landes zwei wesentliche Gründe, aus denen die seien: Wenn man die Beschäftigten mitzähle, die damals die Universität in ihrer Antwort an den Wissenschaftsrat Diskussion nicht beendet Strukturdiskussion überhaupt geführt werden soll. Uni- an der TH Merseburg und der PH Halle-Köthen angestellt zur Einheit von Forschung und Lehre, aber die Rolle der Der knappe Zeitrahmen stieß auf Kritik, unter anderem Kanzler Hecht geht davon aus, dass bis zum Jahr 2014 von waren und deren Bereiche 1993 in die Martin-Luther-Uni- Mitarbeiter kommt gegenüber derjenigen der Professoren bei den studentischen Senatoren, dem Studierendenrat den 1855 Mitarbeiterstellen der MLU 100 abgebaut werden versität integriert wurden, waren es seinerzeit 7001 Stellen kaum zur Sprache. »Der Wissenschaftsrat wird nun ein- (ohne den Bereich Medizin), die bis zum Jahr 2001 schritt- mal von Professoren dominiert«, meint Marquardt – und weise auf 2455 Stellen reduziert werden sollten. im Senat der Universität haben ebenfalls Professoren die Nach der Neuordnung der Hochschullandschaft kam Mehrheit. die nächste große Kürzung im Jahr 2000 auf die Universi- In den kommenden Monaten wird eine Kommission tät zu, als die Landesregierung beschloss, die Zahl der lan- des Wissenschaftsrates die Hochschulen des Landes vor desweiten Studienplätze bis 2004 auf 80 Prozent zu kür- Ort besuchen. Als letztes wird am 2. und 3. Mai die Martin- zen. Laut demographischer Prognosen benötige das Land Luther-Universität in Augenschein genommen. Unterdes- nämlich weniger Kapazitäten an den Hochschulen; statt sen nimmt der Studierendenrat Rektor Sträter beim Wort bisher 14 100 Studienplätzen sollte die MLU mit nur noch und will die Profildiskussion weiterführen. Studentische 11 050 Studienplätzen planen, entsprechend sank auch die Interessen sollen dabei stärker zum Tragen kommen. Anzahl der Beschäftigten weiter. Allein die Zahl der Stu- Text: Konrad Dieterich dierenden stieg unbeirrt. Illustration: Susanne Wohlfahrt 4 hastuzeit 40 hastuzeit 40 5
Uni Uni Interesse Interesse Der virtuelle Kampf gegen die Angst Computersimulation als Therapie? An der MLU wollen Psychiater deshalb wird eine Angstreaktion ausgelöst. Daraus resul- stehe: »Eine Schilddrüsenüberfunktion kann typischer- Angstpatienten mithilfe von »virtual reality« therapieren. tiert dann häufig das Vermeidungsverhalten, zum Beispiel weise auch mit verschiedenen Symptomen wie vermehr- eben nicht mehr auf hohe Türme zu gehen. Dazu kommt tem Schwitzen, Unruhe und erhöhtem Puls einherge- häufig eine Erwartungsangst, also die Angst vor der Angst, hen.« – und als Angststörung fehlgedeutet werden. Wenn wenn man sich in die vermeintlich gefährliche Situation man die organische Störung behandelt, kann es passie- begibt. Wie es zu diesen falschen Verknüpfungen kommt, ren, dass »sich dadurch auch die Symptome bessern oder ist nicht komplett geklärt – die eine Ursache für Angst gibt sogar völlig weggehen.« Wenn eine körperliche Ursache es nicht. Es existieren verschiedene lerntheoretische, psy- ausgeschlossen werden kann, beginnt man mit einer The- »Ich bin selbst sehr gespannt, wie die Patienten darauf im Alltag aber kein ausschließlich negatives Gefühl, häu- chodynamische, neurobiologische und neurochemische rapie. Die Behandlung von Phobien kann durch Medi- reagieren«, sagt die Psychiaterin Julia Friedemann, als fig spielen wir sogar mit der Angst: in Horrorfilmen, bei Ansätze: »Man geht von einem multifaktoriellen Modell kamente, zum Beispiel Antidepressiva, unterstützt wer- sie das virtuelle Angstlabor der Psychiatrischen Univer- der Achterbahnfahrt oder im Extremsport. In all diesen aus.« Mögliche Einflüsse können in Lernerfahrungen oder den. »Der größere Komplex ist die Psychotherapie.« Am sitätsklinik vorstellt. Bald sollen hier die ersten Angstpa- Fällen sprechen Psychiater von »physiologischer Angst«, in der Erziehung liegen: »Wie wurde mir beigebracht, mit Anfang einer Therapie steht die »Psychoedukation«, das tienten mithilfe von »virtual reality« therapiert werden. also von einem normalen Gefühl wie jedem anderen auch. Ängsten oder mit solchen Situationen umzugehen?« Aber heißt die Aufklärung des Patienten über seine Krankheit. Vorher muss aber noch ein TÜV-Zertifikat her. »Nicht auch genetische Faktoren können eine Rolle spielen. »Es Zusätzlich werden dem Patienten Werkzeuge zur Entspan- nur wegen der elektrischen Geräte, die wir hier benut- Wenn Angst krank macht ist oft so, dass psychische Erkrankungen gehäuft in der nung gegeben, wie autogenes Training oder Progressive zen«, erklärt der Informatiker Frank Demel, der beim Allerdings kann Angst auch zur Krankheit werden, The- Familie auftreten.« Das Klischee-Bild, dass ein traumati- Muskelrelaxation, die er auch nach der Therapie weiterhin Projekt für die technische Umsetzung und Programmie- rapeuten sprechen hier von pathologischer Angst. Die sches Ereignis häufig der Auslöser einer speziellen Phobie anwenden kann. Ein wesentlicher Bestandteil der Behand- rung zuständig ist. Auch ein inhaltliches Gutachten muss Angstsymptome treten dann auch in Situationen oder bei ist, kann die Psychiaterin aus der eigenen klinischen Erfah- lung ist die Reizkonfrontation. »Dabei gibt es zum einen ausgestellt werden. Schließlich könne man nicht einfach Gegenständen auf, die für uns keine unmittelbare Gefahr rung nicht bestätigen. die so genannte In-sensu-Konfrontation.« Der Therapeut machen, was man denkt, und das dann am Patienten aus- darstellen müssen: Bei Hunden oder Spinnen, in Kauf- leitet den Patienten dazu an, sich in seiner Vorstellung dem probieren. Eine Standardlösung für die virtuelle Thera- häusern, Tunneln oder Straßenbahnen. Patienten mit Angst auf allen Ebenen bekämpfen angstauslösenden Reiz auszusetzen. »Der zweite große pie gibt es bisher noch nicht. Deshalb musste das Team der klinisch häufigen »Agoraphobie«, also der Angst Psychische Symptome können auch Ausdruck einer orga- Weg ist die In-vivo-Exposition, das heißt, dass der Patient unter Leitung von Klinikdirektor Prof. Andreas Marneros, vor beispielsweise Menschenmengen oder weiten Plät- nischen Erkrankung sein. Deshalb sei es, so Friedemann, real in der Umwelt übt und sich mit der angstauslösenden das neben der Psychiaterin und dem Informatiker noch zen, beschreiben häufig Angst vor einem Kontrollverlust: sehr wichtig, dass an erster Stelle eine gründliche Pati- Situation auseinandersetzt.« Patienten mit Höhenangst aus zwei Hilfskräften besteht, alles von Anfang an selbst Wenn sie in eine volle Straßenbahn einsteigen wollen, ver- entenuntersuchung mit umfassender Organdiagnostik gehen also zum Beispiel auf einen Turm. entwickeln. »Wir haben hier richtige Pionierarbeit geleis- spüren sie Panik, und es schießen ihnen Gedanken in den tet.« Technikfreaks wären allerdings beim ersten Anblick Kopf – sie könnten jetzt in diesem Moment einen Herzin- hastuzeit-Autor Tom im virtuellen Angstlabor: Im Hintergrund läuft die Simulation für Höhenangst. des »virtuellen Angstlabors« wahrscheinlich ein wenig farkt erleiden oder umfallen, und keiner würde ihnen hel- enttäuscht: Statt einer futuristischen Einrichtung erwartet fen. Die Angstsymptome werden von den Patienten oft den Besucher ein kleines Zimmer im Keller. Hinten in der nicht richtig erkannt: Sie glauben, sie hätten Herzprob- linken Ecke steht ein PC mit großem Bildschirm. Auf dem leme, weil ihr Herz so schnell schlägt. So kann es vorkom- Schreibtisch liegen Kopfhörer, Tastatur, Maus und – end- men, dass eine Angsterkrankung über mehrere Monate lich – eine futuristisch aussehende Brille. Die Brille setzen bis Jahre unerkannt bleibt. Während dieser Zeit kommt sich die künftigen Patienten während der Therapie auf und es zu immer stärkeren Einschränkungen: Die Betroffenen schauen so in eine virtuelle Welt, in der sie mit ihren Ängs- vermeiden zunehmend alle Situationen, in denen sie das ten konfrontiert werden sollen. Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren. Statt durch einen Tunnel zu gehen, würden sie lieber einen kilometerweiten Angst ist unser Freund Umweg auf sich nehmen. Häufig wird eine Angststörung »Angst ist an sich ein Gefühl, das angeboren ist«, erklärt von weiteren psychischen Erkrankungen, wie beispiels- Friedemann, »jeder Mensch hat Angst, jeder Mensch weise einer Depression, begleitet. kennt Angst.« Und das ist auch gut so. Hätten sich Urmenschen nicht vor Raubtieren gefürchtet, wären sie Im Kopf falsch verschaltet mit Sicherheit ausgestorben, und wir würden heute wahr- Pathologische Ängste entstehen, wenn unser Gehirn scheinlich gar nicht leben. Angst signalisiert uns Gefahr. »falsch programmiert« ist: »Man nennt das dysfunktio- Dabei schüttet unser Körper Adrenalin aus und bewirkt nale Kognition. Das heißt, es gibt da eine Verknüpfung, typische körperliche Veränderungen: Unser Herz schlägt die eine Situation in irgendeiner Form als Gefahr bewer- schneller, unsere Muskeln sind angespannt, der Blutdruck tet.« Im Kopf von Patienten mit Höhenangst gibt es zum steigt, und häufig fangen wir an zu schwitzen. Angst ist Beispiel die Verknüpfung »Höhe bedeutet Gefahr«, und 6 hastuzeit 40 hastuzeit 40 7
uni Uni Interesse Pause Nervenkitzel statt Höhenangst: Manche Fotografen suchen in schwindelerregenden Höhen nach einzigartigen Motiven. Therapie am Computer Immersion statt Perfektion Die virtuelle Therapie soll einen Mittelweg der beiden Der Erfolg der virtuellen Therapie, so Friedemann, hängt anderen Verfahren darstellen. Anstelle der Vorstellung natürlich davon ab, wie gut sich der Patient in die Situation oder Realität tritt die virtuelle Welt. »Ein Vorteil ist die hineinversetzen kann. »Wenn sich der Patient die ganze geringere Hemmschwelle für die Patienten.« So könne Zeit nur vorstellt: Ich sitze hier an einen Computer, und ein Angstpatient, der sich noch nicht traut, auf die Haus- das ist alles nicht real, und hier ist überhaupt keine Spinne manns-Türme auf dem Markt zu steigen, erst mal am – dann wird das nicht funktionieren.« Wenn der Patient Computer üben und sich langsam an die Realität heran- sich auf die Situation einlässt, wird er auch in der virtuellen tasten. Dafür gibt es bereits ein fertiges virtuelles Szena- Welt Angstsymptome erleben. Dafür muss die Grafik nicht rio. Die Simulation beginnt vor dem Hochhaus, damit einmal perfekt sein. Es kommt viel mehr auf die spezifi- der Patient sich selbst dafür entscheiden muss, hinaufzu- schen Reize an, die die Angst auslösen: »Wenn in einem gehen. Das Gebäude hat einen Fahrstuhl mit durchsichti- spannenden Film mit aufregender Musik der Mörder um gem Boden. Je höher man fährt, desto tiefer wird der Blick die Ecke kommt, zuckt jeder zusammen. Und der Mör- nach unten. Auf zwei Etagen kann der Patient dann aus- der ist auch nicht real. Aber trotzdem passiert da was.« steigen und sich der Höhe stellen. Die erste Etage ist unge- Außerdem ist es häufig schwierig oder teuer, immer nur fähr in der Mitte des Gebäudes. Die zweite Etage führt aufs real zu üben: Für Patienten mit Flugangst könnten meh- Dach. Hier kann man nicht nur frei herumlaufen und tief rere In-vivo-Sitzungen ziemlich kostspielig werden. Ein nach unten schauen, sondern auch in einen Bereich gehen, weiterer Vorteil der virtuellen Therapie ist, dass man the- der nicht durch ein Geländer beschränkt ist – herunter- oretisch so viele Szenarien entwickeln kann, wie man will. fallen kann man aber nicht. Auf dem Dach liegen aber Und das Szenario ist besser kontrollierbar als das Üben in einige Gegenstände, die man vom Haus herunterwerfen der Realität. Dadurch erhoffen sich die Therapeuten, dass kann. Außerdem gibt es noch ein kleines Treppenelement, mehr Patienten schneller und besser wieder ins normale mit dem man noch höher gehen kann. Um die Wirkung Leben zurückkommen. Wichtig seien am Ende aber natür- noch zu verstärken, bekommt der Patient eine Datenbrille lich der Schritt in die Wirklichkeit und das weiterführende aufgesetzt, mit der das Bild direkt vor die Augen proji- selbständige Üben auch nach Abschluss der Therapie. ziert wird. Die Brille reagiert dann auf die Kopfbewegun- gen des Patienten, er kann sich also wirklich in der Welt Text: Tom Leonhardt »umschauen«. Durch realistische Töne soll der Eindruck Fotos: Maria Preußmann zusätzlich verstärkt werden. epSos.de (via Creative Commons) 8 hastuzeit 40
Interesse Interesse Dem Hirn beim Wachsen zuschauen Das Gedächtnis als Fotoalbum In Jena untersuchen Neurowissenschaftler die Struktur des Gehirns. Einmal klicken und die Erinnerung ist festgehalten. So funktioniert das beim Christian Gaser ist einer von ihnen und sprach mit hastuzeit darüber, Fotografieren. Inzwischen sogar digital, mit nahezu unbegrenztem Speicher was beim Lernen im Kopf passiert. – und was die Technik kann, kann der Mensch doch auch. wegen hat man lange Zeit nach Alternativen gesucht, um Als Dr. Sven Blankenberger in seiner Vorlesung zur Allge- shevsky, eine lange sinnlose mathematische Zeichenkette auch am Menschen nicht-invasiv messen zu können. Eine meinen Psychologie I nach dem fotografischen Gedächt- auswendig zu lernen. Dieser brauchte dafür nur wenige Technik, die das Ganze revolutioniert hat, ist die Magnetre- nis gefragt wurde, war seine Antwort eindeutig. »Mum- Minuten, und auch nach 15 Jahren noch konnte er die Zei- sonanztomographie, die auch im klinischen Alltag zum Ein- pitz« nannte er das Phänomen und zweifelte die Existenz chenkette fehlerfrei wiedergeben. satz kommt. Sie erlaubt es unter anderem, Funktionen des stark an. Zwar gebe es enorme Gedächtnisleistungen, aber Zu jeder Zahl und jedem Zeichen sah Shereshevsky ein Gehirns zu untersuchen, indem der veränderte Sauerstoff- kein Mensch könne seine Umgebung tatsächlich abfoto- Bild. Ein Wurzelzeichen wurde die Wurzel eines Baumes, gehalt, die Blutoxygenierung, gemessen wird. Damit lassen grafieren, sagte er noch, und damit war das Thema dann ein Minuszeichen eine Gehhilfe, die auf etwas zeigte. Er sich Bereiche im Gehirn nachweisen, die bei Lernprozes- auch beendet. stellte die Bilder in einer Straße auf, die er »abgehen« sen aktiv sind. Außerdem kann man mit der Magnetreso- Dennoch gibt es Gegenbeispiele, wie den russischen konnte. Was uns als relativ umständlich erscheint, kostete nanztomographie die Hirnstruktur, also die Anatomie des Journalisten und Gedächtniskünstler Solomon Sheres- Shereshevsky überhaupt keine Mühe und nahm nur wenig Gehirns, untersuchen. Damit kann man zum Beispiel nach- hevsky. Sein Chefredakteur entdeckte als erster dessen un- Zeit in Anspruch. Zudem war der Gedächtniskünstler Syn- weisen, welche Hirnregionen durch das Lernen an Größe gewöhnliche Gedächtnisleistung. In der morgendlichen ästhetiker, er sah zu jedem Ton eine Art Farbschleier. gewinnen. Redaktionsbesprechung nannte er seinen Mitarbeitern Diese Eindrücke konnten seine Erinnerungsleistungen Mein Kopf hat aber nur ein gewisses Volumen … Wächst das eine lange Liste von Namen, Adressen und Aufträgen. Als noch verbessern. Gehirn wirklich? er bemerkte, dass Shereshevsky sich überhaupt keine No- Die Entdeckung von Shereshevskys fantastischer Ge- Das Gehirn lässt sich mit einem Muskel vergleichen: Es tizen machte, forderte er ihn auf, alle Instruktionen zu wie- dächtnisleistung fand in den 20er Jahren statt, und perfekt lässt sich genauso trainieren und reagiert auch so. Häufig derholen. Die Überraschung war groß, als der Journalist war sie auch nicht. So konnte er sich beispielsweise verwendete Verbindungen werden gestärkt, und dadurch schlecht Gesichter oder Stimmen einprägen. Außerdem Was verstehen Sie unter Lernen? kommt es zu einer Vergrößerung in bestimmten Regio- fotografierte er die Formeln oder Gedichte, die er lernen Lernen ist der Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten nen. Was man nicht vergessen darf: Es geht nicht um gro- sollte, ja nicht ab, sondern stellte sie sich stattdessen bild- und Fertigkeiten. Das können geistige Fähigkeiten sein, ße Prozesse, sondern um wenige Millimeter, die das Gehirn lich vor. aber auch körperliche und soziale. Lernen hat auch immer wächst. Diese Veränderungen sind sehr gering, aber trotz- Wenn sich Gedächtnisleistungen beobachten lassen, etwas damit zu tun, dass man Spuren hinterlässt. Das pas- dem schon innerhalb weniger Stunden nachweisbar. die einem fotografischen Gedächtnis nahekommen, dann siert auch im Gehirn: Lernen als Prozess bildet und ver- Was passiert bei diesen Veränderungen genau? meist bei Kindern oder Autisten. Wissenschaftler spre- stärkt neuronale Verknüpfungen, die Synapsen. Wir als Das Wichtigste beim Lernen ist, dass die Synapsen ge- chen dann lieber von einem eidetischen Gedächtnis. Dip- Neurowissenschaftler interessieren uns insbesondere für stärkt werden. Man kann sich das wie einen Trampelpfad lom-Psychologe Andreas Melzer, Dozent für Allgemeine die neuronale Plastizität. Das ist die Fähigkeit des Gehirns, vorstellen. Häufig begangene Wege werden besser ausge- Psychologie an der MLU, berichtet von einer Möglichkeit, durch Erfahrungen und die Umwelt beeinflusst zu werden, baut und lassen sich leichter benutzen. Andere, die im Prin- ein tatsächlich fotografisches Gedächtnis zu beweisen: das heißt zu lernen. Eine ganz wesentliche Regel, die beim zip nie benutzt werden, verkümmern und sind damit schwe- Nacheinander werden zwei Punktmuster gezeigt, die über- Lernen immer wieder auftritt, ist die sogenannte Hebbsche rer benutzbar. Und genau das passiert im Gehirn, das heißt einandergelegt ein Wort ergeben. Schafft man es, die Lernregel. Je häufiger ein Neuron gleichzeitig mit anderen auf Neuronenebene oder auf Ebene der Synapsen, die auch Punktmuster mental übereinanderzulegen und das Wort Neuronen aktiv ist, desto besser werden die beiden Neu- dazu führen können, dass ganze Hirnareale größer werden. zu erkennen, dann kann man sich zu einem fotografi- ronen aufeinander reagieren. Hebb hat das im Englischen Wovon hängt die Leistungsfähigkeit eines Gehirns ab? genau dies tat. Aber auch schen Gedächtnis gratulieren lassen. Allerdings kann ein ganz schön ausgedrückt: »Cells that fire together, wire Die Leistungsfähigkeit hängt interessanterweise nicht Shereshevsky war sehr erstaunt – großes Erinnerungsvermögen auch negative Seiten mit together.« von der Größe des Gehirns oder der Neuronenanzahl ab. über die Verwunderung der anderen. Er hatte sich bringen. Shereshevskys Erinnerungen belasteten ihn Der Lernprozess hinterlässt im Gehirn Spuren. Wie kann man das Viel wichtiger für die Leistungsfähigkeit des Gehirns sind angenommen, sein Gedächtnis sei wie jedes andere auch. nach einigen Jahren so sehr, dass er sich beibringen nachweisen? die Synapsen. Hier kommt es aber auch nicht auf die Anzahl So aber ließ er es von dem Neuropsychologen Alexander musste, wieder zu vergessen. Das mag kurios klingen, aber Man kann den Prozess auf verschiedenen Ebenen be- an. Zum Beispiel haben Säuglinge einen regelrechten Sy- Lurija untersuchen. Dieser überprüfte ihn in vielen Sit- wer will schon 15 Jahre lang eine sinnlose Zeichenkette mit obachten. Auf Zellebene untersucht man die Aktivität von napsenüberschuss, der im Laufe des Lebens eben durch zungen und stellte eine überdurchschnittlich gute Ge- sich rumschleppen? Nervenzellen, indem man sogenannte Zellableitungen Lernen abgebaut wird. Das Wichtige ist die Art der Verbin- dächtnisleistung fest. Der Psychologe begleitete Shere- misst. Dazu wird eine Elektrode ins Gehirn eingeführt und dungen, also wie das Hirn vernetzt, verschaltet ist. shevsky 30 Jahre lang und schrieb die Ergebnisse seiner die elektrische Aktivität der Zelle gemessen. Das ist invasiv Interview: Tom Leonhardt Untersuchungen in dem Aufsatz »Kleines Porträt eines Text: Ronja Schlemme und deshalb zumeist auf Tierexperimente beschränkt. Des- Foto: privat großen Gedächtnisses« nieder. Einmal bat er Shere- Illustration: Susanne Wohlfahrt 10 hastuzeit 40 hastuzeit 40 11
Interesse Interesse Wer rastet, der rostet Wir können nicht aufhören zu lernen, aber wir können anders lernen. Einen Versuch startet das Lehr-Lern-Zentrum. Eingeschult mit sechs, lernen bis zum Schulabschluss und rung, viele möchten aber auch soziale Kontakte pflegen«, aller Institute und Fakultäten bereitstellen soll. Das Pro- dann noch studieren. Aber dann, dann ist es mit dem Ler- so Organisatorin Dr. Gisela Heinzelmann. Professor Lukas jekt wurde bereits vom Bund bewilligt und ist für die kom- nen wirklich vorbei. Nie wieder nicht enden wollende bestätigt, dass die Teilnehmer des Seniorenkollegs zu sei- menden fünf Jahre mit 6,5 Millionen Euro ausgestattet. Nächte in der Bibliothek verbringen. Nie wieder der Nur- nen aktivsten Mithörern gehören. »Die Senioren haben Gegliedert in drei Bereiche wird die Serviceabteilung den Noch-Eine-Stunde-Kaffee. Endlich arbeiten, endlich fer- viel mehr Lebenserfahrung, sie gehören zu den besonders größten Part ausmachen. Fünf Arbeitsgruppen kümmern tig sein, wenn man nach Hause kommt. Die Couch ruft, anspruchsvollen Studierenden meiner Vorlesung.« sich um je ein Fachgebiet und unterstützen die Lehrenden Bier statt Kaffee. Lange Zeit wurde Lernen nur als Prozess in allen Fakultäten bei der Umsetzung neuer Programme. für Kinder ab einem bestimmten Alter verstanden, doch Wie wollen wir leben? Sie zeigen den Dozenten, wie E-Learning möglich ist, dieser weitet sich aus. Dies geschieht sowohl nach vorn, Es ist also kaum möglich, nicht zu lernen. Ob automatisch, zeichnen beispielsweise Vorlesungen auf und bereiten was man in der Einrichtung vieler Vorschulen erkennen für sich selbst oder für andere. Denn auch im Berufsleben diese technisch auf. Daneben soll ein Forschungsbereich kann, als auch nach hinten. Auch als Berufstätiger ist man ist man ständigen Anpassungsmechanismen ausgesetzt. einschließlich einer Professur für pädagogische Psycho- auf Weiter- und Fortbildungen angewiesen. Seit 2007 för- Weil sich Anforderungsprofile ändern und bestimmte logie eingerichtet werden, die den Schwerpunkt multi- dert das EU-Bildungsprogramm für lebenslanges Lernen Qualifikationsmerkmale gebraucht werden, ist die Gesell- mediale Hochschullehre haben wird. »So stellt sich etwa ebendiesen Prozess und unterstützt mit einem Budget von schaft darauf angewiesen, dass sich Menschen weiterquali- die Frage, wie sich E-Learning auf den Lernprozess aus- circa sieben Milliarden Euro zum Beispiel das Erasmus- fizieren. Es ist gut, nicht stehen zu bleiben, aber man setzt wirkt«, erklärt Lukas, der als Kommissionsmitglied an der programm. »Dadurch wird der Lernprozess gesellschaft- sich auch einem ständigen Wettbewerb aus. Auch Lukas Ausarbeitung des Antrags beteiligt war. Den dritten Part lich begleitet«, erklärt Psychologieprofessor Josef Lukas sieht darin ein Problem, welches nur von der Gesellschaft stellt der Evaluationsbereich bzw. das Qualitätsmanage- und empfindet diese Entwicklung als sehr sinnvoll. Ler- gelöst werden kann. »Das ist eine politisch-soziologi- ment dar. Etwa 16 Mitarbeiter wird das virtuelle Zentrum nen findet aber meistens automatisch statt. Denn was sche Frage. Nämlich: Wie wollen wir leben?« Als Gesell- umfassen. Lukas erklärt, dass bei der Antragstellung des auch immer wir tun: Wir machen ständig Erfahrungen, die schaft wollen wir einerseits einen gewissen Wohlstand hal- Projektes eine Stärke-Schwächen-Analyse verlangt wurde. unser Verhalten verändern und damit die Anpassung an ten, andererseits aber auch einen persönlichen Ausgleich »In diesem Zusammenhang haben wir Umfragen unter die Umwelt verbessern. Dessen ist man sich im Allgemei- finden. In der öffentlichen Diskussion herrscht eine hohe den Studierenden ausgewertet, aus denen hervorging, nen nicht bewusst. Die grundlegende Lernfähigkeit ändert Sensibilität für diese Problematik. Glücksforscher sind der dass viele Studenten die Bereitstellung von Online-Lern- sich auch im Alter nicht. »Aber es gibt viele physiologi- Meinung, dass der höchste Grad an Wohlbefinden dann angeboten vermissen. Ebenso ließ sich erkennen, dass die- sche Veränderungen. Die Flexibilität der eintritt, wenn die Leis- jenigen, die ein solches Angebot bereits nutzen können, Prof. Dr. Josef Lukas Gehirnstrukturen nimmt allmählich ab, »Ich glaube, die Deutschen sind ein tungsanforderungen am hochgradig zufrieden sind.« Es entbindet Studierende, zu und viele mentale Prozesse werden lang- besten zu unseren Fähig- einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort samer«, erklärt Lukas. Dass es Kindern glückliches Volk.« (Josef Lukas) keiten passen, also die sein zu müssen. »Die Studierendenschaft ist eine äußerst la »Bildung für alle«. Jeder könnte online zeit- und kos- leichter fällt, eine Sprache zu lernen, gestellte Aufgabe gerade heterogene Gruppe geworden, dem muss man Rechnung tengünstig studieren. »Ob die Inhalte über die Univer- liegt vor allem an ihrem besseren Gehör. Sie können die gut zu schaffen ist. tragen.« Für ausländische Studierende ist zum Beispiel sität hinaus kostenfrei zur Verfügung stehen sollen, wird Unterschiede in den Sprachlauten besser als ein Erwach- eine Vorlesung in deutscher Sprache häufig schwer ver- von den Instituten und den Dozenten abhängen, die die sener aufnehmen, der auch mit Anstrengung kaum noch Auch die Uni lernt nicht aus ständlich. Wer nebenbei arbeitet oder ein Kind betreut, Lehrprogramme entwickeln. Das Lehr-Lern-Zentrum akzentfrei eine Fremdsprache erlernen wird. Dass sich die Seit vielen Jahren gibt es Initiativen und Projekte, neue kann oft an einer Lehrveranstaltung nicht teilnehmen. In soll nicht selbst akademische Lehre anbieten, sondern vor Anstrengungen des Lernens auch im Alter lohnen, beweist Medien und Kommunikationsformen in der universitären solchen Fällen ist es hilfreich, wenn man eine Lehrveran- allem deren Entwicklung fördern und unterstützen«, so indes das Seniorenkolleg. In diesem Semester haben sich Lehre an der MLU zu nutzen. Vor etwa einem Jahr wurde staltung noch einmal nachvollziehen kann. Lukas glaubt, Lukas. Dieser Wunsch ist vielleicht auch noch Zukunfts- 560 ältere Menschen für Kurse, Projekte und wissenschaft- eine Rektoratskommission zum Thema »multimediales dass diese neue Art des Lernens aber auch den Spaßfaktor musik, denn erst einmal gilt es, das Zentrum einzurichten. liche Vortragsreihen an der Uni Halle eingetragen. Die Lernen« eingerichtet, die sich zum Ziel gesetzt hat, diese erhöhen kann. »Die Studierenden gehen mit den neuen Projektbeginn ist der 1. April dieses Jahres, im kommenden Teilnehmer kommen aus den unterschiedlichsten Sozial- Initiativen zu unterstützen und neue Medien in den »ver- Medien viel lockerer um als etwa mit Büchern, die nicht so Jahr könne man die Angebote weitflächig nutzen. und Bildungsschichten. »Vor allem Menschen, die von staubten« Universitätsbetrieb großflächig einzuführen. lustbetont wie audiovisuelles Material sind.« Die Aufbe- vornherein sehr aktiv und wissbegierig sind, suchen in den Ergebnis dieser Bemühungen ist ein Lehr-Lern-Zentrum, reitung der Lerninhalte bietet aber auch die Chance, eine Text: Yvette Hennig Angeboten des Seniorenkollegs eine geistige Herausforde- das Technik und Know-how für E-Learning-Angebote größere Gruppe an Lernwilligen ansprechen zu können à Foto: Maria Weickardt 12 hastuzeit 40 hastuzeit 40 13
Uni Uni Interesse Interesse Pause Pause Königsdisziplinen des Studierens »Warum können wir uns an die kleinste Einzelheit eines Vor jedem Semesterende ist es dasselbe Spiel: Es wird viel gelernt, kurz geprüft und dann schnell wieder vergessen. Das Gedächtnis läuft Erlebnisses erinnern, aber nicht daran, wie oft wir es ein und auf Hochtouren, aber wie funktioniert es eigentlich? derselben Person erzählt haben?« (Prince de Marcillac) Beim Lernen unterscheidet man zwischen assoziativem dreas Melzer, Dozent für Allgemeine Psycho- der University of Washington in Se- vermutlich dadurch, dass eine Erinnerung überschrieben und nicht-assoziativem Lernen. Unter das assoziative Ler- logie an der MLU. attle, führte dazu einige Experi- wird. Diese Überschreibungen oder Interferenzen können nen fallen instrumentelle und klassische Konditionierung. mente durch. Sie zeigte zum sowohl retroaktiv als auch proaktiv sein. Ein Beispiel für Das bekannteste Beispiel für die klassische Konditionie- Erinnern Beispiel Probanden Fotos, in proaktive Interferenz begegnet uns beim Vokabellernen. rung ist Pavlovs Hund, der bei dem Klingeln einer Glocke Obwohl Wissenschaftler von denen sie sich als Kinder in ei- Je mehr Listen wir schon auswendig gelernt haben, desto schon anfing zu sabbern. Doch die klassische Konditionie- einem unendlichen Speicher- nem Heißluftballon sahen. Die geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns an die rung funktioniert nicht nur bei Tieren. In einem Experi- platz im Langzeitgedächtnis meisten Probanden konnten neue Liste korrekt erinnern. Die retroaktive Interferenz ment von Rachman und Hodgson von 1968 wurden sieben ausgehen, fällt es uns manch- sich daraufhin an eine aufre- funktioniert genau andersherum, hier überschreiben neue Männern Dias von nackten Frauen vorgeführt (unkondi- mal schwer, Erinnerungen gende Ballonfahrt erinnern, Lerninhalte alte Erinnerungen. tionierter Reiz) und vor jedem der Nacktbilder wurde abzurufen. »Man kann sich obwohl sie in die Bilder ledig- Doch nicht alle Menschen vergessen. Die Amerikane- ihnen ein Bild von schwarzen Stiefeln gezeigt (zunächst das so vorstellen: Die Infor- lich hineinmontiert worden rin Jill Price schreibt in ihrem autobiografischen Buch The neutraler Reiz). Die nackten Frauen riefen die unkondi- mation ist hinter einer ver- waren und in Wirklichkeit Woman Who Can‘t Forget darüber, wie es ist, wenn man tionierte Reaktion einer Erektion hervor und nach eini- schlossenen Tür, und es fehlt nie eine Ballonfahrt stattge- nicht mehr vergisst. Sie kann sich seit ihrem elften Lebens- gen Durchgängen Schuhe–Nacktbild–Erektion wurden uns nur der richtige Schlüssel, funden hatte. Wenn die Erin- jahr an jeden Tag detailliert erinnern. Das heißt, sie durch- fünf der sieben Männer schon von dem Bild der Schuhe um sie hervorzuholen.« so Mel- nerungen schwammig sind, lebt in jedem Moment der Gegenwart ihre komplette Ver- erregt. Die Assoziationen lassen sich auch wieder löschen: zer. Diese Schlüssel werden auch erfindet das Gedächtnis De- gangenheit. Sie kann sich an jeden Streit, an jeden Fehler Indem der konditionierte Reiz immer wieder alleine auf- Abruf-Cues genannt. Verschiedene tails. Dabei greift es auf Ge- und jeden traurigen Moment erinnern. Ihre Erinnerungen tritt, schwächt sich auch die konditionierte Reaktion ab, Hinweise können Erinnerungen her- wohnheiten und Schemata sind klar und deutlich und vor allem allgegenwärtig. Für bis die Auftrittswahrscheinlichkeit für das konditionierte vorrufen, so zum Beispiel Umgebungs- zurück, so dass die Erinne- sie ist ihr überdurchschnittlich gutes Gedächtnis eine Last. Verhalten gegen null geht. Das instrumentelle Konditio- kontexte, Stimmungskontexte oder phy- rung echt scheint. Erinne- Vergessen ist also nicht nur ein Fluch, sondern zu einem nieren funktioniert ähnlich, nur wird hier die Wahrschein- siologische Kontexte. So heißt es, dass rungen lassen sich leicht mani- gewissen Grad wichtig. »Vergessen ist eine Arbeitserleich- lichkeit für ein bestimmtes Verhalten durch Belohnung unter dem Einfluss von Alkohol gelernte Fak- pulieren, schon die Wortwahl terung. Einerseits werden unschöne Dinge vergessen oder oder Bestrafung verstärkt. Es gibt primäre und sekundäre ten oder Verhaltensweisen auch unter dem- kann sie beeinflussen. In einem an- in ihrer Präsenz abgeschwächt, andererseits passiert so Verstärker. Als primäre Verstärker wird das Stillen physio- selben Einfluss am besten abgerufen werden deren Experiment von Loftus zeigte eine Vereinfachung. Es werden nur Kernpunkte gespei- logischer Bedürfnisse bezeichnet, wie zum Beispiel Hun- können. Das Lernen bei lauter Musik ist auch sie Probanden Videos von Autos und chert«, erklärt Melzer. Es werden Informationen gefiltert ger und elementare Bedürfnisse nach Geborgenheit oder deswegen ein Problem, weil das Gelernte in der fragte anschließend, wie schnell die Autos oder unangenehme Erinnerungen verdrängt. Motiviertes Zuneigung. Sekundäre Verstärker müssen erst erlernt wer- Prüfungssituation in einem sehr stillen Raum abge- gefahren seien. Dabei benutzte sie in der Frage Vergessen dagegen bezeichnet die unbewusste Verdrän- den. So kann Geld nur als Belohnung empfunden wer- rufen werden muss. Dieser Umstand wird als Enkodier- verschiedene Formulierungen: Wie schnell waren gung traumatischer Erfahrungen. »Bewusst kann man den, wenn gelernt wurde, dass damit primäre Bedürfnisse spezifität bezeichnet: Erinnerungen aus dem episodischen die Autos, als sie zusammencrashten? Oder: Wie nicht verdrängen, denn wenn ich mich dafür entscheide, gestillt werden können. Wir lernen aber nicht nur durch Gedächtnis können dann am besten abgerufen wer- schnell waren die Autos, als sie sich berührten? Die an etwas nicht mehr zu denken, rufe ich es mir dabei auto- Konditionierung, sondern auch nicht-assoziativ durch den, wenn die Umstände des Abrufs denen des Erwerbs Wortwahl wirkte sich stark auf die Einschätzung der Ge- matisch in Erinnerung.« Wir können uns also nicht im- implizites Lernen. Darunter versteht man die »unbeab- ähneln. Erinnerungen können beim Speichern durch die schwindigkeit aus. Erinnerungen können also durch Sug- mer auf unser Gedächtnis verlassen. Manchmal lässt es sichtigte Bildung eines Gedächtnisinhaltes. Wenn zum Umgebung gestört werden. Hier kommt wieder die laute gestivfragen manipuliert werden. Das kann drastische sich manipulieren oder füllt Lücken mit falschen Erinne- Beispiel häufig das gleiche Lied im Radio gehört wird, pas- Musik zum Tragen. Die Musik kann die Speicherung der Auswirkungen bei Zeugenbefragungen haben. rungen. Aber meistens leistet es gute Arbeit, auf die wir siert dabei ein automatischer Übergang ins Gedächtnis, neuen Lerninhalte stören, indem sie jene überschreibt nicht nur in der Prüfungszeit angewiesen sind. und plötzlich können wir das Lied mitsingen, ohne den oder blockiert. Vergessen Text je gezielt auswendig gelernt zu haben,« erklärt An- Außerdem gibt es verzerrte oder »erfundene« Erinne- Vergessen wird unterteilt in zufälliges und motiviertes Text: Ronja Schlemme rungen: Elizabeth Loftus, Professorin für Psychologie an Vergessen. Zufälliges oder inzidentelles Vergessen passiert Illustration: Susanne Wohlfahrt 14 hastuzeit 40 hastuzeit 40 15
Uni Uni Interesse Interesse Pause Pause Literaturrecherche auf dem Laufband Zum Lernen gemacht Sportplatz oder Schreibtisch – dazwischen gab es früher eigentlich nichts. Manfred Spitzer, Professor für Psychiatrie an der Universität Ulm, Dies hat sich mittlerweile geändert. gibt einen umfangreichen Einblick rund um das Thema Lernen. Lernen wird von den meisten als etwas Unangenehmes gessen wird. Im Widerspruch dazu muss das Lernen aber empfunden. Fakten lernen für eine Klausur oder münd- auch schnell erfolgen, damit sich der Organismus einer positiven Grundeinstellung lernt es sich also besser liche Prüfung sowie das Zuhören und Mitschreiben in schnellstmöglich an seine Umwelt anpassen kann, das und effektiver. Seminaren und Vorlesungen werden häufig als notwendige heißt, lebensnotwendige Dinge erlernt, wie die Reaktion Verschiedene Sportarten trainieren unterschiedliche Übel und Verringerung unserer Freizeit gesehen. auf lebensgefährliche Situationen. Spitzer verdeutlicht, Gehirnareale. »Mannschaftssportarten mit ihren spezifi- Manfred Spitzer erklärt in seinem Buch »Lernen. Ge- dass sich unser Gehirn an diese Situation anpasst: Je besser schen Taktiken beispielsweise schulen Problemlösefähig- hirnforschung und die Schule des Lebens«, dass die Ein- wir unsere Umwelt und die Vorgänge in ihr kennen, umso keiten«, erläutert Stoll. Das Verstehen dieser Taktiken er- teilung in die unliebsame Zeit zum Lernen und die freie langsamer lernen wir. Da wir im Kindesalter unsere Um- fordert ebenso wie das Verstehen wissenschaftlicher Zeit hinfällig ist. Das menschliche Gehirn sei geradezu welt noch nicht so gut kennen und kaum Erfahrungen in Theorien »analytisches Denken. Der Transfereffekt ist zum Lernen gemacht und verarbeite zu jeder Zeit alle äu- ihr gemacht haben, lernen wir sehr rasch. Wird unser Er- zwar fraglich, aber plausibel.« ßeren Einflüsse, kurz: Unser Hirn lernt immer. Unter den fahrungswert größer, lernen wir gemäß dem Anpassungs- Einen Sportler in der Wettkampfvorbereitung treibt Begriff Lernen fasst Spitzer nicht nur das bewusste Aus- prozess langsamer. sein Ziel an, eine bestimmte Platzierung zu erreichen. Ei- wendiglernen von Sachverhalten, sondern auch die Ver- Manfred Spitzer gelingt es, wissenschaftliche Erkennt- nen Prüfling treibt das Ziel an, eine bestimmte Note zu be- wertung von Erfahrungen aus alltäglichen Situationen wie nisse über das Lernen in einer sehr lesenswerten Art und kommen. »Motivation ist in jedem Fall ein ganz wichtiger dem Besuch eines Einkaufszentrums oder des Weise aufzubereiten. Dabei hält das Buch trotz der Ein- Punkt«, so Stoll. Vor allem im Jugendalter seien Leis- Fitnessstudios. fachheit der Sprache ein wissenschaftliches Niveau und tungssport und schulisches Lernen ohne Frage eine Dop- Als zentrales Objekt, um etwas über das Lernen zu ler- verzichtet außerdem auf Pseudo-Geheimrezepte zum Ler- pelbelastung, aber viele der Jugendlichen fänden dann ir- nen, sieht Spitzer den Hippocampus, was übersetzt See- nen. Es werden lediglich die Vorgänge deutlicher gemacht, Wer ab und an ins Uni-Fitnessstudio geht, wird – vor allem gendwann ein Thema oder Fachgebiet außerhalb des pferdchen bedeutet. Mit Hilfe von Experimenten, zu de- die während der Lernprozesse ablaufen. jetzt, kurz vor und in der Prüfungsphase – auf den Cross- Sports, das sie besonders interessiert. In diesem zeigten sie nen es mehrere Abbildungen gibt, erklärt der Autor leicht Text: Sabine Paschke trainern und Laufbändern häufig Kommilitonen mit Lern- dann auch besonders gute Leistungen. Als Beispiel hob verständlich, was der Hippocampus ist und wofür er ge- unterlagen antreffen. Jeder Mensch hat sein bevorzug- Stoll die erfolgreiche Wasserspringerin Katja Dieckow braucht wird. Er ist verantwortlich für das Lernen und Ver- tes Lernumfeld. So können manche besonders gut beim hervor, die im vergangenen Jahr ihr Studium an der MLU ankern neuer Sachverhalte. Spitzer führt als Beispiel das Sport lernen, andere direkt danach, wieder andere haben als Diplom-Biologin abschloss. Zudem holte sie 2011 eine Kennenlernen unbekannter Orte und das Zurechtfinden in den Lern- und Prüfungsphasen überhaupt keine Zeit für Bronzemedaille bei den Europameisterschaften. Im Januar in diesen an. Sport. Aber gibt es eine Verbindung zwischen Sport und belegte sie bei den Deutschen Wintermeisterschaften den Auf über 500 Seiten beschäftigt sich das Buch mit um- Lernen? ersten Platz vom Einmeterbrett. Bei solchen Erfolgsge- fangreichen Fragen zum Thema Lernen. Wie hängen In jedem Fall keine pauschal gültige. Welche Auswir- schichten spielt neben dem durch Sport geförderten Schlaf und Lernen miteinander zusammen? Welche Rolle kungen Sport auf das Lernvermögen hat, ist bis heute Durchhaltevermögen auch Motivation eine entschei- spielen Emotionen beim Lernen? Was genau hat es mit der nicht gänzlich geklärt. Eine weit verbreitete Theorie geht dende Rolle: Wer im Sport die Erfahrung gemacht hat, PISA-Studie auf sich? In seinen Ausführungen greift der davon aus, dass Sport die Sauerstoffversorgung und damit dass sich Training lohnt, wird auch eher bereit sein, Zeit in Autor immer wieder auf vorangegangene Beispiele zurück, Stoffwechselvorgänge im Gehirn sowie im gesamten Kör- das Lernen und Verstehen von Theorien und Co zu um anhand ihrer weitere Sachverhalte zu erläutern. So ent- per verbessert und das Gehirn so leistungsfähiger macht. investieren. steht ein roter Faden im Buch, der das Lesen und Verste- »Auch das ist bislang nur Spekulation«, so Prof. Dr. Oliver Eine weitere wichtige Parallele zwischen dem Lernen hen sehr einfach und dennoch interessant gestaltet. Spit- Stoll, Leiter des Arbeitsbereichs Sportpsychologie, Sport- theoretischer Sachverhalte und sportlichem Training sei zer beschäftigt sich außerdem mit der abnehmenden pädagogik und Sportsoziologie an der MLU. Belegt sei bis- der Übungseffekt, betont Stoll. Sowohl im sportartspezifi- Lerngeschwindigkeit im Alter. Er erklärt diese als Anpas- lang nur, dass Sport, insbesondere Ausdauersport, das schen Training als auch in der Vorbereitung auf mündliche sungsprozess des Gehirns. Selbstwertgefühl stärke und die Einstellung zum eigenen oder schriftliche Prüfungen wird vor allem wiederholt: Immer dann, wenn gelernt wird, nimmt die Stärke der Körper verbessere. Diesen Effekt kann man sich besonders Ein Sportler übt und wiederholt bestimmte Bewegungsab- Verbindung zwischen Neuronen zu. Neurobiologisch be- beim Aneignen koordinativer Fähigkeiten zunutze ma- läufe, bis er sie aus dem Effeff beherrscht; ebenso wieder- trachtet bedeutet das, dass sich die Stärke der synapti- chen. Wer durch Sport mehr Vertrauen in seinen Körper holt ein Prüfling den zu lernenden Stoff, bis er ihn verin- schen Übertragung dabei verändert. Die Veränderung er- hat, transportiert dieses Vertrauen auch in andere Situatio- nerlicht hat. folgt dabei stets nur ein kleines Stück weit und sehr Manfred Spitzer: Lernen. Gehirnforschung und die nen. Zu diesen zählt auch die Vorbereitung auf Prüfungen, Text: Caroline Bünning langsam, da nur so sichergestellt werden kann, dass Altes Schule des Lebens. 512 Seiten, Spektrum Akademischer in denen theoretische Sachverhalte abgefragt werden. Mit Illustration: Falko Gerlinghoff beim Erlernen neuer Sachverhalte nicht gleich wieder ver- Verlag, 20 Euro. 16 hastuzeit 40 hastuzeit 40 17
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