Die Zukunft Der vernetZten Gesellschaft - Neue Spielregeln, neue Spielmacher von Karin Frick, Bettina Höchli - Service public
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Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft Neue Spielregeln, neue Spielmacher von Karin Frick, Bettina Höchli
Impressum Autoren Karin Frick, Bettina Höchli Gastautoren Peter Glaser (Die Geschichte der Vernetzung), Marcus Hammerschmitt (Geschichten zur Zukunft der Vernetzung - Scenario Fiction) GDI Research Board David Bosshart, Alain Egli, Anna Handschuh, Mirjam Hauser, Martina Kühne, Marta Kwiatkowski, Daniela Tenger Projektleitung Swisscom AG Ralf Koschmann, Christoph Caviezel, Regula Brand Redaktion und inhaltliche Mitarbeit Detlef Gürtler Korrektorat Agentur Scribe, Biel-Bienne Grafik und Gestaltung Joppe Berlin, Illustration: Frances Franzke © GDI 2014 Herausgeber GDI Gottlieb Duttweiler Institute Langhaldenstrasse 21 CH-8803 Rüschlikon / Zürich Telefon +41 44 724 61 11 info@gdi.ch www.gdi.ch Im Auftrag von Swisscom AG Hauptsitz, 3050 Worblaufen www.swisscom.ch
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 1 Inhalt 2 Management Summary 4 Vorwort Urs Schaeppi, CEO Swisscom 5 Es braucht mehr Fantasie 7 Die Geschichte der Vernetzung 12 Technologie-Trends a. Stand und Nutzung der Technik: Facts and Figures b. Weg der Innovation: Die Entwicklung von Mensch und Technologie c. Zukunftsvisionen aus heutiger Sicht 21 Ökonomische und gesellschaftliche Konsequenzen a. Eine neue Wirtschaftsordnung b. Eine neue technische Weltordnung 46 Die Zukunft der Vernetzung a. Internet und andere Netze b. Das magische Netz c. Das Killer-Netz d. Das digitale Ökosystem 55Zukunftsszenarien der vernetzten Gesellschaft a. Übersicht Szenarien Digital 99 Percent Low Horizon Holistic Service Community Dynamic Freedom b. Geschichten zur Zukunft der Vernetzung – Scenario Fiction 69 Anhang
2 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft Management Summary Die Vernetzung hat unser Leben verändert. Aber Auch hier lassen sich zwei dauerhafte Konflikt- das ist erst der Anfang. Die Digitalisierung dringt felder identifizieren. im weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts in alle > Qualität der Netze: Wie stellen wir gut funktio- Segmente von Wirtschaft und Gesellschaft ein – nierende, schnelle und flächendeckende Netze und auch in unsere Körper. Menschen und Ma- sicher? schinen verschmelzen, das Internet wird zu unse- > Privatsphäre: Wie stellen wir sicher, dass die rer zweiten Natur, zur Digisphäre. Privatsphäre respektiert wird und der Daten- schutz gewährt ist? Wem vertrauen wir welche Technisch ist heute schon viel mehr möglich, als Daten warum an? wir uns vorstellen können. Science Fiction wird Programm: selbststeuernde Autos, Telepathie, Wir müssen heute die Weichen für die digitale Maschinen, die sich selbst reproduzieren, smarte Welt von übermorgen stellen. Aber wie stellt man Pillen, die im Notfall den Arzt alarmieren... Wir in einem Netz eine Weiche? Und wie kann man stehen am Anfang einer Entwicklung hin zu einer überhaupt eine Richtung festlegen, wenn alles und beinahe magisch vernetzten Welt, in der Maschi- alle vernetzt sind? Vier Szenarien sollen veran- nen selber denken und lernen. Eine Welt, in der schaulichen, in welche Richtungen sich die Gesell- die Netze autonom werden und sich ohne unser schaft dabei in einer fernen Zukunft entwickeln Zutun selbst steuern. Dabei werden wir uns vor kann - als Gedankenexperimente, nicht als Prog- allem mit zwei Konfliktfeldern auseinanderset- nosen. Die Definition der Szenarien orientiert sich zen müssen: an den Antworten auf zwei Leitfragen: > Sicherheit: Wie schützen wir uns und unsere Netze vor Cyberwar und Cybercrime? Wie of- > Wer hat die Kontrolle über unsere Daten? fen, wie geschlossen müssen die Netze sein, ins- > Wie entwickelt sich unser (nicht nur finanzi- besondere die für kritische Infrastrukturen? elle) Wohlstand? > Robotisierung: Roboter und sich selbst steu- ernde Systeme spielen eine immer wichtigere 1) Digital 99 Percent. Die Gesellschaft spaltet sich Rolle in unserem Leben. Wie organisieren wir in eine technokratische Elite und eine grosse Mas- das Zusammenspiel zwischen Roboter und se, die sich mit mehrheitlich unqualifizierten Jobs Mensch? Wie weit lassen wir zu, dass sie für über Wasser hält und mit billiger Unterhaltung ru- uns entscheiden? hig gestellt wird (ausgehend von niedrigem Wohl- stand und niedriger Selbstkontrolle der Daten). Wirtschaftlich und politisch führen die Grösse und die Allgegenwart des Internets zu Macht- 2) Low Horizon. Die Menschen lehnen neue verschiebungen und zunehmenden Konflikten. Technologien ab und koppeln sich so weit wie Daten lösen als wichtigster Rohstoff das Öl ab. möglich von den digitalen Informationsströmen Konzerne, Staaten und Nutzer kämpfen im und ab (ausgehend von niedrigem Wohlstand und ho- mit dem Internet um die Durchsetzung ihrer her Selbstkontrolle der Daten). Interessen. Das Internet wächst auseinander, unterschiedliche Netze entwickeln sich mit un- 3) Holistic Service Community. Die Menschen terschiedlichen Graden von Freiheit und Trans- vertrauen alle ihre Daten einer grossen Instituti- parenz sowie von Sicherheit und Kontrolle. on an, die dann als „Big Mother“ über sie wacht
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 3 und für sie sorgt. Das Leben ist total transparent und sicher – solange man nicht versucht, das Sys- tem zu verlassen (ausgehend von hohem Wohl- stand und niedriger Selbstkontrolle der Daten). 4) Dynamic Freedom. Das Internet wird neu er- funden, radikal dezentral ohne Server, offen, de- mokratisch, flexibel. Kreativität und Unterneh- mergeist blühen, Menschen und Maschinen kooperieren, die Technik reguliert sich selbst (ausgehend von hohem Wohlstand und hoher Selbstkontrolle der Daten). Die Vernetzung beschleunigt soziale Prozesse und verstärkt sowohl positive wie negative Ne- benwirkungen. Wir müssen darum heute disku- tieren, welche Rahmenbedingungen wir für die Vernetzung von morgen wollen. Wir bewegen uns dabei zwangsläufig auf unsicherem Boden: Wenn sich Märkte und Gesellschaftsbereiche schnell und dynamisch verändern, verändern sich auch die Parameter der Entscheidungen. Ge- rade weil es keine einfachen Antworten gibt, bie- tet sich die Orientierung an einfachen Fragen an.
4 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser bestritten ist, dass der Technologiefortschritt un- sere gesellschaftlichen Strukturen, Werte, Ver- Noch vor 15 Jahren erwirtschaftete Swisscom ih- haltensweisen, Lebensstile und Bedürfnisse auch ren Umsatz zum überwiegenden Teil mit Sprachte- in Zukunft stark prägen wird. Die Bedeutung lefonie. Das Internet steckte in den Kinderschuhen von zuverlässigen, leistungsfähigen und sicheren und für die Internetverbindung musste man sich Netzen wird künftig noch stärker zunehmen. So noch mit einem roboterähnlichen Geräusch über investiert Swisscom allein jährlich über eine die Telefonleitung einwählen. Für Musik, Foto, E- Milliarde Franken in den Ausbau ihrer Netz Mails und Telefonie gab es noch je ein separates infrastruktur. Die Netze sind Garant für das Funk- Gerät und Beziehungen wurden noch kaum per tionieren der heutigen Gesellschaft sowie für den SMS beendet. Wirtschaftsstandort Schweiz. Sicherheit und Datenschutz rücken dabei in den Fokus der In kurzer Zeit haben sich die Telekom- und Infor- Diskussion. Für Swisscom ist es besonders wichtig, mationstechnologien rasant entwickelt. Sprach- in der globalen, digitalen Welt ihre Verantwortung kommunikation ist auf dem Smartphone heute zu übernehmen. Gerade dank ihrer lokalen Veran- nur einer von einer Vielzahl an Diensten, das In- kerung kann Swisscom für den bestmöglichen ternet hat die Welt vernetzt und die 24-Stunden Schutz für Personendaten und einen sorgfältigen Gesellschaft ist längstens Realität. Schon nur ein Umgang mit Daten sorgen. kurzer Ausfall des Internets hat tiefgreifende Auswirkungen auf unseren Alltag, die Gesell- Die digitale Revolution ist eine Frage, die Swiss- schaft und die Wirtschaft. Es existieren viele Un- com, aber auch Gesellschaft und Politik beschäf- ternehmen und Dienste nur dank dem Internet tigen muss. Nicht alles, was technisch machbar und unser Alltag ist «always on». ist, findet einen Markt oder gesellschaftliche Ak- zeptanz. Aus diesem Grund hat Swisscom das Vieles, was heute möglich und alltäglich ist, er- GDI beauftragt, die digitale Zukunft zu skizzie- lebten wir vor noch einem Jahrzehnt bestenfalls ren und somit eine Diskussionsgrundlage für Po- in einem Science-Fiction-Film. So geht es uns litik, Wirtschaft und Gesellschaft zu erarbeiten. auch heute, wenn wir an die Zukunft denken: Lassen Sie sich mitnehmen auf eine faszinierende, Stichworte Machine-to-Machine-Kommunikati- inspirierende aber auch herausfordernde Reise in on, vernetzte Körperimplantate, vernetzte Autos. die Zukunft. Vor allem aber: Starten wir die Dis- Wie entwickelt sich die digitale Welt weiter? Un- kussion über die Zukunft heute. Urs Schaeppi CEO Swisscom AG
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 5 Es braucht mehr Fantasie Wenn wir eine Zeitmaschine hätten, um ins Jahr und Nebenwirkungen nur indirekt und erst län- 2030 zu reisen und von dort zwei Jahrzehnte zu- gerfristig spürbar. Gerade weil die Informations- rück zu schauen, würden wir vermutlich fest- revolution so vielfältig und schwer fassbar ist, ent- stellen, dass viele Dinge, die für das Leben der scheidet die Vorstellung, die wir davon haben, wie Menschen dann normal sein werden, 2014 noch wir damit umgehen. Wer zum Beispiel glaubt, nicht erfunden waren. Die Menschen werden ih- dass Daten dabei helfen, die Gesundheit zu ver- re Hirnerweiterungen aktivieren, durch ihre Per- bessern, wird in entsprechende Technologie in- sonal-Reality-Kontaktlinsen schauen und die vestieren und seine Daten teilen. Wer dagegen Smartphones und Tablets bestaunen, mit denen fürchtet, dadurch seine Privatsphäre zu verlieren, man vor 20 Jahren kommunizierte und die dann wird versuchen sich den entsprechenden Techno- vermutlich ebenso überholt anmuten, wie heute logien zu entziehen und strenge Datenschutz die ersten Mobiltelefone. gesetze durchzusetzen. Bereits heute ist technisch sehr viel mehr möglich Das neue digitale Ökosystem ist ohne Visualisie- als wir uns vorstellen können – im Guten wie im rung kaum fassbar, die Bedeutung der Infrastruktur Schlechten. Für Justin Rattner, von 2005 bis 2013 und die Macht der Algorithmen bleiben abstrakt – CTO bei Intel, sind Forschung und Technik heute für die meisten Menschen eine Blackbox. Diese Stu- so weit fortgeschritten, dass wir damit eigentlich die will anhand von Szenarien und Geschichten alles bauen können, was wir wollen, und nur noch veranschaulichen, wie die digitale Revolution ge- durch unsere Vorstellungskraft beschränkt sind. sellschaftliche Strukturen, Prozesse, Einstellungen Uns fehlt wahrscheinlich einfach noch die Fanta- und Verhaltensweisen verändert und welche Folgen sie, um die vielfältigen Möglichkeiten zu erfassen, dies für das Leben des Einzelnen, die Gesellschaft die die digitale Revolution eröffnet. und die Wirtschaft hat. Diese Studie entwirft Bilder und Szenarien einer Die vorliegende Studie fokussiert auf unser Leben zukünftigen hochgradig vernetzten Welt. Zu- im Jahr 2030. Zu Beginn wurde ein Überblick kunftsszenarien sind keine Prognosen, sondern über die wichtigsten Entwicklungen vor dem Hin- Gedankenexperimente für neue Lebens-, Arbeits- tergrund der zunehmenden Vernetzung skizziert: und Organisationsformen. Sie dienen dazu, unsere Von der Entstehung der digitalen Revolution über Vorstellungskraft zu inspirieren und die Diskussi-aktuelle Trends und bereits heute erkennbare on über zukünftige Entwicklungen anzuregen. Strömungen bis hin zu den wichtigsten damit ver- Denn ohne ein Bild von der Zukunft kann man bundenen Disruptionen in Bezug auf unser Zu- sammenleben, auf die Wirtschaftsordnung sowie diese nicht gestalten. Nur wer sich eine Vorstellung von der Zukunft macht, Träume hat, die er reali- die Organisation und Regierung des Internets. Auf Basis der daraus eruierten relevantesten Ent- sieren will, oder Albträume, die er verhindern will, wird Neues schaffen, Alternativen entwickeln und wicklungen und Polaritäten wurden in einem in neue Technologien investieren. Workshop vier Szenarien für den Alltag in der Schweiz 2030 entwickelt. Die Szenarien sind ein Im Unterschied zu Hardware-Innovationen wie Stilmittel, um das Wesentliche aus dem Komplex Robotern und fliegenden Autos sind Software- von Aussagen in wirksamer Weise zur Geltung zu Innovationen nicht direkt sichtbar und die Folgen bringen.
6 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 7 Die Geschichte der Vernetzung Seit es Computer gibt, wird daran gearbeitet, sie würde, unabhängig von Hardware und Übertra- miteinander zu verbinden. So wie ein einzelnes gungstechnik über verschiedenste Netzwerke mit- Telefon verlangt auch ein Computer förmlich da- einander kommunizieren zu können. Ein grund- nach, mit Seinesgleichen zu kommunizieren. legend neues Modell wurde entwickelt, das Unterschiede zwischen Netzwerken durch die Die erste Phase des Internets begann mit dem Einführung einer Abstraktionsschicht namens technischen Aufbau von Netzwerken wie dem Internet Protocol (IP) ausglich. Mit dem Trans- ARPANET in den USA (1969), dem Mark-I-Net- mission Control Program TCP/IP begannen die work in England (1970) und dem französischen Netzwerke von Universitäten, Forschungszentren, Forschungsnetzwerk CYCLADES (1972). Neu an Firmen und militärischen Einrichtungen damit, diesen Netzen war die Idee des «Packet Swit- sich zu einem «Netz der Netze» zu verbinden. ching». Datenfolgen werden dabei in «Päckchen» zerlegt, die sich selbständig ihren Weg durch das Auf Diagrammen gab es ein spezielles Symbol für Netz suchen und am Ziel wieder zusammenge- dieses «Internet»: eine Wolke. In der Netzent- setzt werden. Ein solches dezentrales Netz war wicklung des 21. Jahrhunderts taucht sie wieder kostengünstig und robust. Seine Intelligenz war auf: die Cloud. nicht mehr auf einen Zentralrechner beschränkt, sondern auf alle Knoten eines Netzes verteilt. Fiel www ein Netzknoten aus, suchten sich die «Packets» au- Anfang der Neunzigerjahre erschien das Internet tomatisch einen anderen Weg. mit der Wucht eines Urknalls in der Öffentlich- keit. Der komplizierte Umgang mit vernetzten @ Computern war bis dahin Wissenschaftlern und «Es ist zu kurz gedacht, dass Netzwerke Computer Experten vorbehalten gewesen; nun aber kam die miteinander verbinden», so der Internet-Pionier einfache Zugänglichkeit der Personal Computer, David D. Clark. «Sie verbinden Menschen mit die sich mit Mausklicks steuern liessen, auch im einander, die Computer als Medium verwenden. Internet an. 1989 hatte Tim Berners-Lee am Der grosse Erfolg des Internets liegt nicht im CERN das World Wide Web gestartet. Als er im Technischen, sondern im Menschlichen begrün- Sommer 1991 die erste Webseite ins Netz stellte, det. Etwas wie E-Mail ist vielleicht kein besonders begann der Aufstieg des Internets zum Massen- grosser Fortschritt in der Informatik, aber es ist medium. ein neuer Weg für Menschen, die miteinander kommunizieren wollen.» Der entscheidende Moment aber war Anfang 1993 erreicht, als «Mosaic» erschien, der erste grafische 1972 hatte der ARPANET-Entwickler Ray Tomlin- Webbrowser. (Die Entwickler, die sich kurz darauf son die E-Mail erfunden (und, ohne es zu ahnen, als «Netscape» selbständig machten, lösten mit ih- mit dem @-Zeichen das Symbol des Internet-Zeit- rem Börsengang 1995 einen beispiellosen Techno- alters). Bereits ein Jahr später waren 75 Prozent des logie-Boom an den Aktienmärkten aus, dem erst gesamten Datenverkehrs im Netz E-Mails. (Heute im März 2000 die Luft ausging). Netscape machte werden pro Tag etwa 200 Milliarden E-Mails ver- es ganz einfach, sich durchs Internet zu bewegen. schickt, der grösste Teil davon Spam). Früh wurde Nun musste jeder eine Webseite haben. Das Netz klar, wie wichtig künftig die Möglichkeit sein verwandelte sich in die längste Schaufensterfront
8 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft der Welt. Das Weisse Haus ging online und man nen des Internetzeitalters. Welche Dimension die- konnte Pizza übers Internet bestellen. Portale wie ses neuartige, planetenweit operierende Unter- America Online, Yahoo oder Microsoft Network nehmertum hat, wurde sichtbar, als Google sich (MSN) konkurrierten darum, das Internet-Ein- Anfang 2010 den Zensurwünschen der chinesi- gangstor für die Massen zu sein. schen Regierung entgegenstellte. «Wir haben Hochachtung vor dem, was China als Land voll- Es zeigte sich, dass die digitale Atomisierung, die bringt», betonte Google-Geschäftsführer Eric mit dem «Packet Switching» begonnen hatte, Schmidt auf dem nachfolgenden Weltwirtschafts- noch weit tiefer gehende Folgen nach sich zog. forum in Davos. «Wir mögen bloss die Zensur Musik, Texte, Bilder, Filme, Software – in der nicht. Wir hoffen, dass Verhandlungen oder digitalen Welt befindet sich alles in einem Zu- Druck die Situation für die Menschen in China stand latenter Zerlegung. Althergebrachte kultu- verbessern.» Netz-Enthusiasten sahen Google be- relle Bündelungsformen werden aufgeknackt wie reits als eine Art Aussenministerium des Inter- Kohlenwasserstoff-Moleküle in einer Raffinerie. nets. Schmidt sah sich veranlasst hervorzuheben, Das Musikalbum, zuvor die Produktion einer dass Google keine Nation sei, keine Gesetze be- Schaffensperiode, ist nun atomisiert zu einzel- schliesse und über keine Sicherheitskräfte verfüge. nen Tracks. Zeitungen zerflattern zu Artikeln, Die Entwicklung des Internets wurde von der Ver- die in sozialen Netzen durchgereicht werden. Die heissung begleitet, die Netzarchitektur stelle si- Standardlänge von Filmen auf YouTube ist zwei cher, dass das Internet nicht zentral beherrscht Minuten. oder kontrolliert werden könne. Welche Art von Daten er überträgt, wird von jedem Nutzer selbst Und diese Kulturatome wollen sich unbedingt wie- bestimmt («Netzneutralität»). Im Netz habe jeder der zu neuen Molekülen verbinden. Am erfolg- eine Stimme, Demokratie stelle sich damit quasi reichsten hat das bisher die Firma Google begriffen. automatisch ein. Jede Trefferliste, mit der eine Suchanfrage beant- wortet wird, ist ein Momentmolekül, zu dem die Zwar unterstützt dezentrale Netzkommunikation von Google ausgesuchten Informationsatome zu- demokratische Organisationsformen, sie stellt aber sammengefügt werden. Es geht um nichts Geringe- keine demokratischen Verhältnisse sicher. In res als die Neuordnung der Welt, ihren Remix. Ländern wie Ägypten, dem Iran oder der Türkei 1998 wurde Google gegründet, und innerhalb eines lernten die Netzteilnehmer schnell, dass ihre Inter- Jahrzehnts hat sich das Suchen von einer nützli- net-Provider in staatlicher Hand waren. Während chen Nebentätigkeit zum zentralen Dreh- und An- des Arabischen Frühlings in Ägypten genügten ein gelpunkt im Netz verwandelt. paar Anrufe, um Dienste wie T witter, YouTube oder sämtliche Internet-Verbindungen ausser Lan- $ des abzuklemmen. Vor 30 Jahren war die Softwareindustrie als neuer Player auf den Plan getreten und hatte Microsoft 24/7 gross gemacht – nun sind Google, Facebook, Twit- Früher hat sich einmal pro Abend mit den Haupt- ter und Konsorten an der Reihe; ihre Eigentümer nachrichten das Medienfenster in die Welt geöff- und Manager gehören gemeinsam mit denen von net. Heute fliessen Meldungen, Informationen Apple, Amazon und eBay zu den Industriebaro- und Unterhaltungen unausgesetzt und vielarmig
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 9 in den digitalen Stream. Sonderbare Dinge wie «Testbild» oder «Sendeschluss» kennen junge Me- diennutzer nicht mehr. Früher gab es einen Zu- stand, dann kam eine Veränderung, dann ein neuer Zustand. Jetzt ist Veränderung der Zustand. Früher hat der Grosse den Kleinen gefressen, dann der Schnelle den Langsamen. Jetzt wird das Manchmal vom Immer verschluckt. Always on ist die Grundlage der neuen Lebensweise, die «On- line-Sein» heisst.
10 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft Evolution des Internets: Von der Rauchwolke bis zur Cloud 1975 1976 1957 1976 Sputnik Erfolg der Schock Heimcomputer und Entstehen 0 des PC Marktes Botenpost, 1835 römisches Morse Code Kommuni 1920 1684 kationsnetz kommerzielles Semaphor Radio 1969 ARPANET 1000 BC 1983 Brieftauben Einführung in Ägypten des "Internet Protocol"und 1927 dem "Transi Fernsehen tion Control Program", TCP/IP 1973 2700 BC Mobiltelefon Erster Brief 1450 auf Papyrus Erfindung des 1958 in Ägypten Buchdrucks Mikrochip 1792 1946 1989 Erster 1876 Erstes Entwicklung Telegraph Telefon Mobilfunk des World gespräch Wide Web 8000 BC www Rauch zeichen, Signalfeuer, Fahnen, 1971 Email 1979 Trommeln, Entwicklungs Hörner 1947 500 BC 1500 schritte für RFID Kurier von Postnetze Transistor Marathon in Europa Landwirtschaftliche Revolution Industrielle Revolution 8000 BC 0 1500 1700 1800 1900 10 ' 0 0 0 J a h r e 200 Jahre
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 11 Konkurrenzumfeld der Swisscom 1998 2004 2014 Gründung Swisscom AG Auf Seite Infrastruktur Kabel Trend: Digitalisierung/Verlagerung (davor Staatsmonopol netzbetreiber: Cablecom, auf Dienste ins Internet. Entkoppelung der PTT) Seite Telekommunikationsan Infrastruktur und Dienste. Auf Seite bieter: Tele2, Sunrise, Orange Infrastruktur: Kabelnetzbetreiber. Auf Seite Dienste: Skype, Viber, What's App, Google (Youtube), Apple Tv 1995 2003 1998 2006 2001 1994 1999 2011 2004 2005 2000 2030 Big Data / Smart Data, Mobile Health Monitoring, Machine to Machine Communication Services, Gamification 2014+ Cloud 2002 Computing, Erstmals werden 2004 Internet der mehr Infos Internetzugriff Dinge digital als analog mittels Mobil gespeichert. telefon, Handys werden allgegen Wearable User wärtig Interface, Ubiquitous 2005 Computing, 3D-Druck, 2003 iTunes Music Social Media/ Store Social Compu 2030+ ting erreicht Brain Computer Mainstream Interface, 1994 Neurobusiness, Digitales Fernsehen Bioaccoustic Sensing, Human 2.0 2010 Splinternet Industrie 4.0, Physical Web, VoIP Internet Smart Advisors, 2000 Telefonie 2007 iPhone iPad Prescriptive Analytics, 1991 Dotcom Blase Biocensor Chips, erste Affective Computing, Website Smarte Roboter, Web 2.0: 3D-Bioprinting Systeme, Internet wird Smart Home / interaktiver Smart Workspace, 1993 2001 und kollabora iPod Virtueller Personal Mosaic, erster tiver A ssistant, Autonome 2009 grafikfähiger Web Fahrzeuge Deep Space browser Network der NASA Digitale Revolution 2000 2030 25 Jahre
Technologie-Trends a) Stand und Nutzung der Technik: Facts and Figures W e lt b e v ö l k e r u n g ( i n M r d) Anzahl Internetnutzer 4 Mrd 7,2 8,3 1 Mrd 2 Mrd 2010 3 Mrd 2014 2018 2014 2030 2005 Quelle: Global Internet Society (2014), Quelle: Roland Berger International Telecommunication Union (2014), Cisco (2014) I n t e r n e t-Z u g a n g ( i n P r o z e n t d e r B e v ö l k e r u n g) 0 97 Quelle: Weltbank (Stand 2013) World Telecommunication/ICT Indicators Database. Online: www.itu.int/ Mobile auf dem Vormarsch Wac h s t u m g l ob a l e s Dat en vo lumen Pro 100 Einwohner Globale Werte Exabytes 100 95,5 Mobiltelefon- 45000 en/ITU-D/Statistics/Pages/publications/wtid.aspx Abos 25000 50 40,4 Internetnutzer 32,0 Mobile Breitband anschlüsse 5000 9,8 Festnetz-Breit 0 band Anschlüsse -5000 2005 2010 2014* 2005 2010 2015* 2020* *Schätzung, Quelle: GDI (2014), basierend auf Daten der *2014–2020 Schätzung, Quelle: GDI (2014), basierend auf Daten International International Telecommunication Union1 Data Corporation (2014), emc.com 1
D i e m e i s t b e s u c h t e n W e b s e i t e n d e r W e lt Google Twitter Youtube Facebook Baidu Amazon Yahoo Wikipedia Quelle: alexa.com, internetlivestats.com 2 0 0 Mil l i a r den M a il s täg l ic h ANTEIL VI D EOS A M INTERNET TRAFFIC 66% 79% 22 % gelesen 84 % Spam 2013 2018 Quelle: Jeffries (2014)2 Quelle: Cisco (2014) Nut zung von Facebook 1,3 Milliarden 50 % loggen sich 23 % prüfen Account 20 Minuten 83 000 000 Nutzer monatlich 1x pro Tag ein 5x am Tag täglich Fake-Accounts Quelle: iacpsocialmedia.org, jeffbullas.com Business2Community (17.02.2014). Social Media in a Nutshell. Online: www.busi- Meeker, M. & Wu, L. (2013). Internet Trends – D11 Conference. Kleiner, Per- kins, Caufield, Byers. Online: www.kpcb.com/insights/2013-internet-trends M obil e G er ät e H au p t m o t i vat io nen hin t er ness2community.com/infographics/social-media-nutshell-0781415 Cyber-Angriffen 3% 50 % Cyberkrieg 7% Social Media wird bereits von Hacktivismus Cyber-Spionage 71% der Nutzer über mobile Geräte genutzt. Pro Tag entriegeln wir 150 Mal unser Handy. 40 % Internetkriminalität Quelle: Cisco (2014), Meeker & Wu (2013) 3 Quelle: metrics.torproject.org/users.html, go-gulf.com/blog/cyber-crime/ 3 2
14 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft Schnelle Technik – langsamer Mensch Wandel technischer Fortschritt Realitätslücke (Present Shock) Realität, Alltag kulturelle Trägheit Zeit Quelle: GDI (2014), nach Rushkoff (2014) und Booty (2011) 4 b) Weg der Innovation: Die Entwicklung von Mensch und Technologie Während Computer immer leistungsfähiger wer- den, besser, schneller und billiger, verändern Menschen ihr Verhalten und ihre Einstellungen nur langsam. Sie können zwar ihre Hirn- und Denkfähigkeiten trainieren, stossen aber an die Grenzen der Biologie. Das unterschiedliche Ent- wicklungstempo von Mensch und Maschine erzeugt einen «Reality Gap», die technischen Möglichkeiten wachsen über das Menschenmög- 4 Booty, E. (2011). Majority report: looking through the digital hype. Originalveröffentlichung in Viewpoint 2011. Online: bbh- labs.com/tag/ed-booty/
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 15 Stufenmodell der Technologie unknown unknowns Jenseits unseres Wissens und Verstehens Fiktion Menschheitsträume, die bisher technisch noch nicht realisiert werden können. Zum Beispiel: Singularität (Maschinen die sich selbst verbessern und weiter- entwickeln), Telepathie Visionen Zukunftsideen, an denen zurzeit geforscht wird. Zum Beispiel: Quantum Computing, programmierbare Materie Op e r a t i o n a l Funktionsfähige Prototypen existieren. Zum Beispiel: smarte Kontaktlinsen AN G EWAN D T Auf dem Markt verfügbar und erschwinglich. Zum Beispiel: Google Glass, 3D-Drucker E ta bl ier t Teil des Alltags. Zum Beispiel: Smartphone, GPS-Navigation V ita l Man kann nicht mehr leben ohne. Zum Beispiel: Internet Unsichtbar Wird nicht mehr als Technologie wahrgenommen, Teil unserer Kultur. Zum Beispiel: Alphabet, Uhr N at ur a l i sier t Wird zum Teil unserer Natur. Zum Beispiel: Kleider, Kochen Quelle: GDI (2014), nach Mensvoort (2014) liche hinaus und überfordern uns. Der Sozialbio- läuft und die wir so wenig beachten wie Ölraffine- loge Eduard O. Wilson hat diese Diskrepanz der rien, Elektrizitätswerke, Container-Schiffe oder sozialen und technischen Entwicklung sehr schön Herzschrittmacher. Der US-Computerwissen- auf den Punkt gebracht: «We have created a Star schaftler Mark Weiser hat diese Entwicklung Wars civilization, with Stone Age emotions, me- schon 1991 beschrieben: «The most profound dieval institutions, and a godlike technology.» technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until Wenn das technisch Mögliche die Anpassungsfä- they are indistinguishable from it.»5 higkeit der Menschen übersteigt, hängt der tech- nische Fortschritt immer mehr vom Menschen ab. Die obige Darstellung gibt einen Überblick über Davon, ob er die neue Technik versteht, begehrt die Stufen, die eine Technologie durchläuft von der und nutzt. ersten Idee, Vision über Forschung und Entwick- lung bis sie auf den Markt kommt, selbstverständ- Dieser Anpassungsprozess geht manchmal sehr lich und alltäglich wird. schnell, doch meistens dauert es Jahrzehnte, bis eine bahnbrechende Idee den Alltag der breiten Bevölkerung erfasst und verändert. Im Zuge die- ses Prozesses wird die Digitaltechnologie aus un- serem Leben zurücktreten als Basisinfrastruktur, 5 Weiser, M. (1991). The Computer for the 21st century. Online: die im Hintergrund (oder in unserem Körper) www.ubiq.com/hypertext/weiser/SciAmDraft3.html
16 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft In Richtung einer dematerialisier ten Welt gestern Heute Montag 28 Quelle: GDI (2014) c) Zukunftsvisionen aus Schlüssel, Portemonnaie, Fotoapparat, ein Shop, ein Navigationsgerät, Fiebermesser... Die Vielfalt heutiger Sicht der Funktionen, Apps und Dienste, die auf Smartphones oder Tablets genutzt werden, ver- Menschen und Maschinen verschmelzen anschaulichen die vitale Bedeutung, die diese Die Digitalisierung steht in den meisten Bran- Geräte bereits heute für unser Leben haben. chen heute noch ganz am Anfang und dringt im- mer tiefer in immer mehr Lebensbereiche vor. Mit der Digitalisierung des Menschen, die sowohl Bereits heute ist das Smartphone für über vier die Forschung wie auch die ICT-Branche in den Millionen Schweizer viel mehr als ein Kommu- nächsten Jahren anstreben, erreicht die digitale nikationsmittel, es ist ein Arbeits-, Lehr- und Revolution eine neue Stufe. Unterhaltungsmittel, es ist auch eine ID, ein
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 17 Beispiel: Mit dem Moonshot-Projekt6 «Baseline» netzten kollektiven Geistes der Menschheit, der steigt Google auch in die Genforschung ein. sich wie eine «denkende Hülle», wie ein grosses, Google will das Erbgut von 175 Probanden vom gemeinsames Bewusstsein um den Globus legt. ersten bis zum letzten Basenpaar analysieren. Zusammen mit der Krankheitsgeschichte der Dieses Szenario wirkt heute noch sehr fremd – Eltern, soll bis hinunter zur molekularen Ebene klingt geradezu nach Science-Fiction. Die Devices das genaueste Gesundheitsbild von Menschen zur Vernetzung des Körpers, wie Google-Brillen, entstehen, das je gemacht wurde. Schrittmesser, Implantate, die heute vermehrt auf den Markt kommen, werden erst von einer sehr In Zukunft werden Menschen und Maschinen kleinen Gruppe von Geeks tatsächlich genutzt. noch enger zusammenwachsen, wir werden Doch entsprechend dem Stufenmodell der techno- mehr Technik im und direkt am Körper tragen, logischen Entwicklung bedeutet das vor allem, so dass sie uns quasi zur zweiten Natur wird. Die dass in den kommenden Jahrzehnten noch ver- Verschmelzung hat bereits begonnen. Google schiedene Stadien durchlaufen werden, bis solche experimentiert beispielsweise mit smarten Kon- Geräte schliesslich normal und alltäglich werden. taktlinsen. Damit können Diabetiker vorerst ih- Wir werden in Zukunft die Computer und Senso- ren Blutzuckerwert messen. In Zukunft wird ren so selbstverständlich tragen wie Kleider (in die man damit aber viel mehr können: zum Beispiel sie eingewoben sind), sie werden quasi zur zweiten durch Wände schauen, Menschen und Dinge se- Natur, so dass wir uns ohne unsere technischen hen, die sich im nächsten Raum befinden, im Erweiterungen nackt, blind und taub fühlen. Dunkeln Gegenstände und Gesichter erkennen oder die Welt wie durch ein Mikroskop oder Fern- Datendoppelgänger glas betrachten. Und das ist nur ein einziges, noch Heute haben wir uns bereits daran gewöhnt, dass nicht einmal in den Körper eindringendes Gerät. Internetdienste persönliche Profile von uns erstel- len. Wir überlegen, warum uns Google eine be- Die Vernetzung des Körpers zielt auf die Erweite- stimmte Werbung zeigt und sind verunsichert, rung der menschlichen Fähigkeiten und Sinne, wenn wir ein scheinbar unsinniges Angebot er- eine Verbesserung der Intelligenz, des Empfin- halten: Ist der Algorithmus einfach dumm oder dungsvermögens wie auch des menschlichen Ver- weiss Google etwas über mich, was ich nicht weiss? haltens – und schliesslich auf die Transformation Doch je mehr Daten wir produzieren, umso besser in eine neue posthumane Spezies. werden auch die digitalen Modelle von Menschen und umso ähnlicher werden uns unsere Avatare Nicht nur dem Körper, auch dem Geist kann eine (Daten-Ichs). Der Schritt vom abstrakten Daten- solche Transformation bevorstehen. Wenn nicht profil zum persönlichen Avatar wird ähnliche Fol- nur Artefakte und Körperteile, sondern auch die gen haben, wie der Schritt vom Arpanet zum Köpfe der Menschen vernetzt sind, werden wir al- www. Jeder wird einfach seine Daten analysieren so sowohl im eigenen als auch in einem anderen Hirn nach Informationen googeln können. Am Ende steht die positive Utopie der Noosphäre – ursprünglich ein religiöser Begriff, den Teilhard 6 Moonshot nennt Google «Projekte mit hohem Risiko, aber po- de Chardin geprägt hat –, die Vision eines ver- tenziell noch höherem Gewinn».
18 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft Niemand muss mehr Geräte mit sich herumtragen. Was früher ein Bildschirmbild war, kann auf die Handfläche, einen Tisch, eine Wasseroberfläche projiziert werden. können und feststellen, wie sich sein Profil (und ob Anwaltskanzlei, Finanzdienstleister, Schule, damit er selbst) verändert hat. Wir können uns in Zahnarzt oder Autowerkstatt, die Verarbeitung unseren Daten spiegeln und in Echtzeit beobach- von Daten und das Management von Informatio- ten, wie sich unsere physischen und psychischen nen werde zum Kern jedes Geschäfts. Zustände verändern. Das gilt sogar für so handfeste und undigitale Sobald die Daten, die wir selbst oder andere über Branchen wie die Müllabfuhr und die Landwirt- uns sammeln, in Form eines Daten-Doppelgän- schaft. Selbststeuernde Müllabfuhrfahrzeuge gers konkret Gestalt annehmen, können wir sie könnten mit smarten Müllcontainern kommuni- auch besser kontrollieren. Wenn unser Datendop- zieren und autonom ihre Route optimieren, um pelgänger Dinge tut, die uns seltsam erscheinen, die vollen Container zu leeren, den Müll automa- können wir ihn von einem unabhängigen Daten- tisch sortieren und den entsprechenden Recy Doktor überprüfen lassen. Wenn die Daten über clinganlagen zuführen. Und Monsanto hat im mich meine Gestalt annehmen, werde ich auch die Jahr 2013 die Firma Climate Corporation gekauft, Kontrolle darüber weniger leichtfertig aufgeben die am Thema «Precision Agriculture» arbeitet wollen. Vermutlich wird es für die digitalen Dop- und die Landwirtschaft zur reinen Datenanalyse pelgänger auch eine Art ID-Karte geben müssen, macht. Es gibt über 40 Parameter, die optimiert um sie vor illegalen Kopien (Identitätsdiebstahl) werden, wie Daten der Bodenqualität – Typus, zu schützen. Nitrogen-Gehalt und den damit notwendigen Düngemitteleinsatz – kombiniert mit dem Pflan- Das Prinzip, das dahinter steht, ist das gleiche, das zenwachstum, Sonneneinstrahlung, Wettervorher- hinter der Google-Suchmaschine steht: atomi sage usw. Die Felder werden von selbststeuernden sierte Informationsmoleküle werden wieder zu Maschinen bewirtschaftet, die Ernte von Robotern einem ganzen Bild zusammenfügt. Der Daten verarbeitet. Am Ende dieser Entwicklung steht die doppelgänger verbindet die atomisierten Daten vollautomatisierte Lebensmittelproduktion. über unser Leben und ermöglicht so neue Perspek- tiven auf uns selbst und die Welt. Das Internet der Dinge und nach den Dingen Das «Internet der Dinge» wird uns den nächsten Software frisst die Welt grossen Vernetzungsschritt bringen. Gemäss ei- «Software is eating the world» sagte Marc An- ner Analyse des US-Unternehmens Cisco werden dreessen (einst Mitbegründer von Netscape, heu- bis 2020 über 50 Milliarden Geräte vernetzt sein. te Venture-Capitalist) 2011 in einem inzwischen Das verändert unser Verhältnis zu den Dingen: legendär gewordenen Beitrag für das Wall Street Wenn wir alle Dinge mit einer Suchmaschine so Journal.7 Die Digitalisierung werde alle Branchen einfach suchen und finden können wie heute Infor- transformieren und die Gesellschaft mindestens mationen, wird auch die Einstellung zu materiellen so massiv verändern, wie die Industrialisierung vor 200 Jahren. So wie der Buchhandel, die Rei- sebranche und Musikindustrie in den letzten Jahrzehnten umgewälzt wurden, werde sich auch 7 The Wall Street Journal (20.08.2011). Why Software is Eating the jede andere Branche vom Agribusiness über die World. Online: online.wsj.com/news/articles/SB1000142405311 Bildung bis zur Medizin radikal verändern. Egal 1903480904576512250915629460
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 19 Dingen sich ähnlich wandeln wie die zu immateri- kommene digitale Leichtigkeit erleben. Niemand ellen Informationen: Der Statuswert des reinen muss mehr Geräte mit sich herumtragen. Was Besitzes verringert sich, das Teilen und die ge- früher ein Bildschirmbild war, kann auf die Hand- meinschaftliche Nutzung wird einfacher und zu- fläche, einen Tisch, eine Wasseroberfläche proji- gleich aufgewertet. ziert werden. Diesen Zustand könnte man das «Internet nach den Dingen» nennen. Mit seinen Aber es verändert auch das Verhältnis der Dinge eigenen Chancen, aber auch eigenen Risiken. untereinander. Im Internet der Dinge wird prak- Denn natürlich verschwinden die Dinge nur tisch jeder Gegenstand ein Computer, der pro- scheinbar, in Wirklichkeit jedoch treten sie in ei- grammiert werden kann und mit anderen s marten nen Schatten, den wir weder durchschauen noch Dingen interagiert: Autos beispielsweise, die un- kontrollieren können, sondern nur noch befolgen. tereinander die Vorfahrt absprechen. Bereits in den Achtzigerjahren verkündete der damalige Leiter des Media Labs am MIT, Nicholas Negro- Digitalisierung, Miniaturisierung und Vernet- ponte, die Mission: «Things That Think». Im Jahr zung führen zu völlig neuen Qualitäten im Ver- 2014 wurde erstmals eine solche künstliche Intel- hältnis zwischen Menschen und Maschinen sowie ligenz in eine Geschäftsleitung berufen – in die zwischen Maschinen untereinander. Die frühere der Venture Capital Firma Deep Knowledge in Entscheidungshoheit des Menschen wird durch Hongkong.8 effizientere Methoden herausgefordert. Kurzfris- tig stösst dabei jede neue Technologie auf eine Negroponte schwärmte von kommunizierenden vergleichsweise geringe Anpassungsgeschwindig- Manschettenknöpfen und Computern, die so keit der Menschen (Reality Gap). Mittelfristig klein sind, dass man sie essen kann. Wir nähern wird die Digitaltechnologie jedoch – wie andere uns dem an. Ein iMac aus dem Jahr 2000 war Durchbruchsinnovationen vor ihr – immer mehr knapp 16 Kilo schwer und fast 50 Zentimeter tief. als Selbstverständlichkeit wahrgenommen und Heute wiegt ein iPad 140 Gramm, ist 9,3 Millime- in den Alltag integriert (Naturalisierung von ter dünn und um Klassen leistungsfähiger. Die Technologie). Miniaturisierung der Hardware stösst nicht mehr an technische, sondern an biologische Grenzen. Manche Geräte liessen sich, würde man sie weiter verkleinern, nicht mehr bedienen. Ab einem be- stimmten Punkt kann die Miniaturisierung nicht mehr schrittweise fortgeführt werden. Wir sind nicht mehr weit entfernt von dem Moment, in dem die Hardware auf einen Schlag komplett liquidiert wird. Wenn so die Hardware verschwindet (oder in den 8 The Huffington Post UK (15.05.2014). Venture Capital Firm Hintergrund tritt) und nur noch die Funktionen Hires Artificial Intelligence To Its Board of Directors. Online: bleiben, die sich aus einer umfassenden techni- www.huffingtonpost.co.uk/2014/05/15/artificial-intelligence- schen Infrastruktur speisen, können wir die voll- board-directors_n_5329370.html
20 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 21 Ökonomische und gesellschaftliche Konsequenzen a) Eine neue genz, die herkömmliche Routinearbeiten ersetzen, 3D-Drucker, die sich selbst reproduzieren können Wirtschaftsordnung und das Internet der Dinge, weil es das Konsum- verhalten ändert. Teilen wird normal und Kaufen Digitalisierung und Vernetzung führen nicht nur immer mehr zur Ausnahme (wenn man nieman- dazu, dass wir die Produktion von vielen Waren den findet, der mit einem teilt). Wer zum Beispiel und Dienstleistungen automatisieren und damit Campingferien plant, kann in den Schränken und massiv günstiger machen können; sie führen Kellern der Nachbarschaft nach ungenutzten Zel- auch dazu, dass wir uns neu und anders organi- ten, Schlafsäcken und Camping-Kochern googeln sieren, zusammenarbeiten, Besitz und Wissen oder zum örtlichen Verleihshop gehen – oder teilen können. Und manchmal auch müssen. einfach losfahren, weil am Ziel bereits alles Notwen dige auf ihn wartet. Der Berliner Leihladen-Betrei- Dabei wird früher oder später jeder Bereich in ber Nikolai Wolfert zieht den Vergleich mit der Wirtschaft und Gesellschaft erfasst werden. Im Stromproduktion: Was für die «alltägliche Grund- Folgenden sind die wichtigsten Disruptionen in last» benötigt wird, sollte man weiter besitzen, für Wirtschaft, Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, die «Spitzenlast» gebe es die Sharing-Economy. Mobilität aufgeführt. Ein Beispiel für deren grosses Potenzial ist der Er- Wirtschaft folg von Airbnb, der Vermittlungsbörse für Privat- Der Einsatz von Robotern und 3D-Druckern sowie unterkünfte.9 Die Firma verbindet rund 600’000 die Sharing-Economy werden die Produktionskos- Wohnungsinhaber in 160 Ländern mit Millionen ten massiv senken. So massiv, dass das gute Leben von Reisenden, die Unterkünfte suchen. Mit bis zu keine Kostenfrage mehr sein wird, verheisst Jeremy 250'000 Gästen in einer einzigen Nacht (Spitzen- Rifkin in seinem neuesten Buch «Die Null-Grenz- wert im Jahr 2013) und einem geschätzten Markt- kosten-Gesellschaft». Er entwirft darin die beste wert von zehn Milliarden Dollar ist Airbnb damit aller möglichen Welten, die sich auf der Basis der bereits auf Augenhöhe mit den grossen globalen neuen Technologien bauen lässt: Smarte Technik Hotelketten. Airbnb verdankt seinen schnellen wird es möglich machen, dass einzelne Haushalte Aufstieg zwei Vernetzungs-Phänomenen. Zum ei- ihren Bedarf fast völlig selbst produzieren können. nen sind die Marginalkosten nahe Null: Airbnb Durch das Ende der Knappheit werden die Men- kann sein Raum-Angebot praktisch ohne Zusatz- schen materiell anspruchsloser, ihr Lebensstil nach- kosten erweitern, indem es seinen Mitgliedern er- haltiger. Rifkins Gesellschaftsentwurf ist radikal möglicht, ungenutzte Räume anzubieten. Und optimistisch, doch nicht unrealistisch. Er basiert auf zum anderen werden ungenutzte Kapazitäten einem positiven Menschenbild, dem mitfühlenden, sichtbar: Die Räume, die bei Airbnb angeboten kooperativen Homo Empathicus der den egoisti- werden, waren in aller Regel auch vorher schon da, schen Homo Oeconomicus ersetzen wird, smarter, wurden nur eben nicht genutzt. Wenn hingegen umweltschonender Technologie und kollaborativen ein herkömmliches Hotel weitere R äume anbieten Produktions- und Konsumformen. Die (technische) Basis für die nächste Überfluss gesellschaft bilden: Roboter und künstliche Intelli- 9 airbnb.com
22 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft möchte, müssen diese zuerst gebaut oder erwor- ssen, weitere Roboter anstellen oder auch Men- ben werden. schen. Die autonomen Computer-Corporations würden als künstliche Sonderintelligenzen im 3D-Drucker sind ein weiterer Faktor, der zur radi- Internet «leben», verteilt im Netzwerk der Stake- kalen Senkung der Produktionskosten beiträgt. holder, die die DACs hosten (ähnlich wie Bit- Die meisten Produkte, die 3D-Drucker (für den coin11, das als Prototyp gilt für eine Decentralised Hausgebrauch) heute produzieren, sind qualitativ Autonomous Corporation). noch nicht sehr überzeugend. Wenn man jedoch davon ausgeht, dass der 3D-Druck heute dort Die mächtigen neuen Werkzeuge, die schon heute steht, wo die Digital-Fotografie vor 20 Jahren und in Zukunft noch viel mehr jedem zur Verfü- stand, wird das disruptive Potenzial dieser Tech- gung stehen, setzen viel kreative Energie frei und nologie deutlich. Wir werden uns in Zukunft fast wecken den Unternehmergeist. Noch nie war es so alles, was wir uns wünschen, einfach ausdrucken einfach und günstig, eine Idee in ein neues können. Produkte aus komplexen Verbundstoffen, Geschäft zu verwandeln. Auch jemand mit sehr ebenso schwer zu drucken wie zu entsorgen, bü- wenig Eigenkapital kann Dank dem einfachen ssen entsprechend an Beliebtheit ein. Da 3D- Zugriff auf riesige Rechenkapazitäten (Cloud-Ser- Drucker einer zukünftigen Generation sich selbst ver), Produktionsanlagen (3D-Drucker für Spezial replizieren, also neue 3D-Drucker herstellen anforderungen), Experten- und Vertriebsnetze ein können, werden diese Maschinen auch nicht teuer Start-up aufbauen, Prototypen entwickeln und so und für jeden erschwinglich sein. neue Produkte auf den Markt bringen. Das nötige Kapital wird mit Crowd funding beschafft. Die Die Maschinen werden sich in Zukunft nicht nur Maker-Bewegung gilt als ein Vorreiter dieser Ent- selbst reproduzieren können, sie werden sich auch wicklung. Sie verhilft Tüftlern und Heimwerkern selbst steuern, managen und mit anderen Maschi- dazu, ohne viel Geld und eigene Fabriken neue nen zusammenschliessen können. Selbststeuernde Produkte herzustellen und zu verkaufen und Fahrzeuge sind der Anfang einer Entwicklung hin «langsam das Gesicht der Industrie zu verändern», zur reinen Computer-Company, die nur noch aus so der ehemalige Wired-Chefredakteur Chris An- intelligenten Maschinen besteht und bei Bedarf derson in seinem Buch «Makers: Das Internet der Menschen anstellt. Oder brauchen die Roboter, die Dinge und die nächste industrielle Revolution». eines Tages unsere Abwasserkanäle selbständig warten werden, dafür unbedingt einen menschli- Aber auch um Do-it-yourself-Vertriebszentren wie chen Geschäftsführer? Etsy12 oder Dawanda13 sowie um Finanzierungs- Unternehmen, die ohne Menschen operieren («Decentralised Autonomous Corporations» oder «DACs»)10, sind so programmiert, dass sie selbst- 10 The Economist (28.01.2014). Computer corporations - DAC ständig am Markt agieren, Güter produzieren, attack. Online: www.economist.com/blogs/babbage/2014/01/ verkaufen, Profit machen und sich weiterentwi- computer-corporations ckeln können. Voraussetzung dafür ist, dass intel- 11 bitcoin.org ligente Maschinen eigene Rechte erhalten, dann 12 etsy.com können sie Kapital besitzen, Verträge abschlie- 13 dawanda.com
GDI Gottlieb Duttweiler Institute 23 Selbststeuernde Fahrzeuge sind der Anfang einer Entwicklung hin zur reinen Computer-Company, die nur noch aus intelligenten Maschinen besteht und bei Bedarf Menschen anstellt. Plattformen wie Kickstarter14 oder Indiegogo15 ent- Augenblicklich und auf absehbare Zeit ist das Ver- stehen Gründer-Szenen – jenseits der traditio- hältnis eher umgekehrt. Der Netzausbau kann mit nellen Industriestrukturen, aber auch abseits der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten – der herkömmlichen Start-up-Kultur. So entste- die Diskussion um «Netzneutralität», also die hen neue dynamische Wirtschaftszweige mit technische Gleichbehandlung aller Datentrans- vielen unabhängigen Kleinbetrieben, die die fers, ist ein (noch vergleichsweise sachtes) Signal herkömmliche Wirtschaftsweise ergänzen und für zunehmende Kapazitätsengpässe, Zugangs- nach und nach ersetzen werden. und Verteilungskonflikte. Diese werden nicht zu- letzt dadurch verstärkt, dass nach langen Jahren Infrastruktur des Überangebots nur langsam das Verständnis Die technische Vernetzung hat einen Grad er- für die Notwendigkeit des Kapazitätsausbaus reicht, an dem man bereits über den Endpunkt wächst. Die «Kostenlosmentalität», mit der sich nachdenken kann: wenn alle Menschen online viele Content-Anbieter im Netz herumschlagen sein werden (und nicht nur jeder zweite wie heu- müssen, macht auch vor der Netz-Infrastruktur te), und alle Dinge noch dazu, und das zumindest nicht halt. potenziell rund um die Uhr – jenen Zustand also, wenn das Netz omnipräsent ist und alle Dienste Die Lösung für dieses Problem muss nicht in Mega- ohne Zeitverlust funktionieren. Projekten und zentraler Investitionslenkung liegen. Anders als bei allen Netzausbau-Phasen zuvor sind Das ist nicht nur ein gewaltiges soziales und gesell- diesmal auch dezentrale Lösungen vorstellbar, ins- schaftliches Experiment, sondern auch eine gewaltige besondere Sharing-Systeme, lokale Netze oder Herausforderung für die gesamte Netz-Infrastruk- Crowdinvesting-Projekte. Sie können zudem die tur. Denn wenn die Digitalisierung jede Industrie Nutzung bereits bestehender Kapazitäten optimie- erfasst und jeden Lebensbereich durchdringt, be- ren. Angesichts einer fortschreitenden Diversifizie- deutet dies umgekehrt ebenfalls, dass wie bei einem rung von einem zentralen Netz zu einer Vielzahl Stromausfall auch bei einem Internetausfall die gan- von Netzen (siehe Kapitel 6a) werden sektorale und/ ze Wirtschaft und das Leben stillstehen werden. Und oder regionale Investitionen eher durchsetzbar und das bedeutet: Die Netz-Infrastruktur muss massiv refinanzierbar sein. und vorausschauend ausgebaut werden. Je umfassender das Netz unser Leben bestimmt, Die letzte grosse, der Zeit und der Nachfrage voraus desto wichtiger wird die Aufgabe, für alle Beteilig- gelaufene Netz-Infrastruktur-Anstrengung datiert ten Spielregeln festzulegen und deren Einhaltung aus den Jahren um die Jahrtausendwende: der 3G- zu gewährleisten. Je dezentraler jedoch die Inves- Ausbau der Mobilfunknetze, der die technische Ba- titionen und die Infrastrukturen werden, desto sis für das mobile Internet darstellte. Er führte zu anspruchsvoller wird diese Aufgabe. Und je dyna- einem drastischen Überangebot an Daten-Kapazi- mischer sich der Datenverkehr und die Netz- tät, für die es kaum Verwendung gab. Erst das iPho- Infrastrukturen verändern, desto weniger sind die ne schaffte es ab dem Jahr 2007, das mobile Internet zu einem Massenmarkt zu machen – die Rendite für den Netzausbau kassierten nicht die ursprünglichen kickstarter.com 14 Investoren, sondern Apple. indiegogo.com 15
24 Die Zukunft der vernetzten Gesellschaft bisher weltweit üblichen Regulierungs-Institu nology. This is far more effective than relying on tionen, die sich aus den Post- und Fernmeldebehör- external regulatory and legal systems that are of- den heraus entwickelt haben, in der Lage, darauf ten clueless about the technology and unable to angemessen zu reagieren. keep pace with change.»18 Eine dafür geeignete Methode seien nutzerorientierte «Smart Con- Daten, die nicht zirkulieren, verlieren schnell an tracts» mit eingebauten Algorithmen, die dem Wert, darum hilft es wenig, Daten in sicheren Ser- Nutzer eine bessere Kontrolle über seine digitalen vern zu bunkern. «Information wants to be free».16 Werte ermöglichen als Gerichte oder Behörden. Im Zeitalter der Mobilkommunikation müssen Daten frei fliessen und in Echtzeit analysiert wer- Technik, so stellt sich heraus, kann besser durch den können. Das mobile Netz ist dynamisch und Technik reguliert werden als durch Menschen- braucht darum auch Sicherheitsregeln, die dyna- hand. In einem System von sich selbststeuernden misch sind – wie beim Dynamic Pricing (dynami- Fahrzeugen werden die menschlichen Fahrer zum sches Preismanagement) das heute in vielen Bran- grössten Unsicherheitsfaktor. Zurzeit entstehen chen wie der Hotellerie, bei Fluganbietern sowie verschiedene Ansätze und Services für den ver- im Online-Einzelhandel gängige Praxis ist. schlüsselten, nutzerzentrierten Datentransfer nach dem Vorbild der neuen Krypto-Währungen. Um die Datensicherheit zu gewährleisten, braucht So wie Bitcoins anonyme Online-Zahlungen er- es neben Grundregeln, die von einem Staat auch möglichen, sollen in Zukunft ähnliche Krypto- durchgesetzt werden können, vor allem Vertrauen. Mechanismen einen Datenverkehr ermöglichen, Es braucht Vertrauen in ein System, das keiner total der sich quasi selbst steuert (self-encrypted-data) kontrollieren und durchschauen kann. Je komple- und nicht manipuliert werden kann. Open Mus- xer und abstrakter ein System, umso mehr sind wir tard Seed19 und Maidsafe20 sind Beispiele für zu- auf Vertrauen angewiesen. In einer komplexen Ge- verlässige und gesicherte dezentrale Netzwerke, sellschaft wächst der Bedarf an Vertrauen ständig.17 die jedermann nutzen kann. Vertrauen ist nicht plötzlich da, sondern muss Weiteres Beispiel: Der ETH-Physiker Dirk Hel- aufgebaut, verstärkt, gefestigt und abgesichert bing, Vater des ambitionierten Future ICT Pro- werden – insofern ist eine Netzarchitektur, die die jekts21, hat mit seinem Team eine neue Methode Interaktion zwischen den verschiedenen Nutzern zur Selbststeuerung von Lichtsignalen entwickelt. und dadurch Gemeinschaft und Demokratie för- dert, ebenfalls eine wichtige Bedingung für die Sicherheit. Daten löschen, vermeiden, einsperren macht in 16 Brand, S. (1985). Whole Earth Review. No. 46, Mai 1985. 17 Vgl. Luhmann (1968) einer mobilen Welt wenig Sinn, es braucht neue dy- 18 Clippinger, J. (2013). Let the Data Flow…then Audit. Data Science namische und smarte Lösungen, um den sicheren Summit 2013. Online: idcubed.org/home_page_feature/ let-the- Datenaustausch zu regeln. Der MIT-Computer- data-flow-then-audit/ wissenschaftler John Clippinger schlägt darum 19 idcubed.org vor, Technik zu nutzen, um die Technik zu steu- 20 maidsafe.net ern: «Use technology-based rules to manage tech- 21 futurict.eu
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