Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit - Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss - Berlin-Institut für Bevölkerung und ...

 
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Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit - Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss - Berlin-Institut für Bevölkerung und ...
Nahrung, Jobs
            und Nachhaltigkeit
             Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss

Chancen, große Herausforderungen +++ afrikanische Bauern wirtschaften wenig produktiv +++ aus Erfahrungen und Fehlentwicklungen in Europa lernen +++ nachh
+ Bauern an Märkte anschließen +++ Unternehmergeist fördern +++ Wertschöpfungsketten aufbauen +++ Arbeitsplätze für wachsende Bevölkerungen auf dem Lan
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Impressum
August 2018

© Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.
Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung bleibt vorbehalten.

Herausgegeben vom
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
Schillerstraße 59
10627 Berlin
Telefon: (030) 22 32 48 45
Telefax: (030) 22 32 48 46
E-Mail: info@berlin-institut.org
www.berlin-institut.org

Das Berlin-Institut finden Sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut).

Lektorat: Theresa Damm

Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de)
Layout und Grafiken: Christina Ohmann (www.christinaohmann.de)
Druck: Laserline Berlin

Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des Programms EasyMap
der Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH, Bonn, erstellt.

ISBN: 978-3-946332-98-5

Die Autoren

Sabine Sütterlin, 1956, Diplom in Naturwissenschaften an der ETH Zürich.
Freie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Alexandra Reinig, 1989, Masterstudium in Soziologie an der Universität Bielefeld.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität Hamburg.
Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

Das Berlin-Institut dankt der Bayer-Stiftung und dem Förderkreis für die Unterstützung
bei der Erstellung dieser Studie.
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INHALT
Vorwort: Afrika muss auf die Überholspur.......................................................................................... 2

Das Wichtigste in Kürze ......................................................................................................................... 4

1 | VIELE CHANCEN, GROSSE HERAUSFORDERUNGEN................................................................ 6

        1.1 Die Vision von der Transformation........................................................................................ 6

        1.2 Die Herausforderungen .......................................................................................................... 8

        1.3 Leapfrogging – ohne Umwege zum Ziel ............................................................................. 14

        1.4 Landwirtschaft im Vergleich................................................................................................ 15

2 | WANDEL IN EUROPA ..................................................................................................................... 19

        2.1 Viel Zeit für die Transformation ........................................................................................... 19

        2.2 Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten ................................................................................ 24

        2.3 Welcher Weg zu mehr Nachhaltigkeit?............................................................................... 26

3 | AUS ERFAHRUNG LERNEN ........................................................................................................... 28

        3.1 Großer Sprung in kleinen Schritten .................................................................................... 28

        3.2 Wie Afrikas Bauern produktiver werden ........................................................................... 29

        3.3 Der Rahmen muss stimmen ................................................................................................ 37

Quellen .................................................................................................................................................. 49

                                                                                                                                        Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit   1
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AFRIKA MUSS
AUF DIE ÜBERHOLSPUR
Die zahlreichen Probleme, mit denen die          In allen Ländern, die sich je entwickelt        Sinkende Kinderzahlen sind
meisten Länder Afrikas südlich der Sahara        haben, gibt es einen klaren Zusammenhang        ein Erfolg der Menschheit
seit vielen Jahren zu kämpfen haben, werden      zwischen der Verbesserung der Lebensbe-
durch einen Umstand weiter verschärft: das       dingungen und sinkenden Fertilitätsraten.       Erst mit einer gewissen Verzögerung, mit
hohe Bevölkerungswachstum. Dieses Wachs-         Dieser Prozess ist Teil des „demografischen     sich ausbreitendem Wohlstand und mehr
tum ist überall dort nicht nachhaltig, wo es     Übergangs“, der als bisher einzige Theorie      Bildung, beginnen die Menschen ihr Leben
nicht gelingt, die Infrastruktur entsprechend    den Entwicklungsweg sämtlicher Länder           individueller zu planen. Damit sinken dann
der Zahl der Menschen ausreichend schnell        beschreiben kann. Er setzt stets in der vor-    auch die Geburtenziffern. Nach einer Weile
auszubauen und deren Grundbedürfnisse            industriellen Phase ein, in der die Menschen    klingt das Bevölkerungswachstum aus. Der
zu befriedigen. Es fehlt an Schulen und          viele Kinder bekommen. Aufgrund unzurei-        demografische Wandel ist also ein Zeichen
Gesundheitsdiensten, Stromnetzen, Nahrung        chender Ernährung, mangelnder Hygiene           für den Erfolg des Homo sapiens, die Folge
und Transportmitteln. Vor allem gibt es nicht    und begrenzter wirtschaftlicher Möglich-        der Tatsache, dass es den Menschen immer
genug Arbeit für die rasch wachsenden,           keiten sterben aber auch viele Mitglieder       besser geht.
jungen Generationen.                             der Gesellschaft, vor allem in jungen Jahren,
                                                 weshalb die Bevölkerung kaum oder gar nicht     Wie ließe sich das Problem einer wachsenden
Damit stecken diese Länder in einer Art          wächst. Wenn irgendwann die Lebensbe-           Menschheit auf einem begrenzten Planeten
Entwicklungsfalle: Ohne wirtschaftliche          dingungen günstiger werden, mit Produk-         humaner und effizienter lösen als durch eine
Chancen, ohne bessere Bildung und Einkom-        tivitätsfortschritten in der Landwirtschaft,    Verbesserung der Lebensbedingungen?
mensmöglichkeiten dürften die Kinderzahlen       einer verbesserten Ernährung, hygienischen
noch lange auf hohem Niveau bleiben. Das         und medizinischen Errungenschaften, sinkt       Die Hoffnung, dass sich der demografische
wiederum bedeutet, dass die Lösung der           die Sterblichkeit. Weil die Kinderzahlen aber   Übergang in den am wenigsten entwickelten
Probleme nicht eben leichter wird und die        zunächst noch hoch bleiben, wächst die          Ländern 1:1 wiederholt, hat sich bisher nicht
Phase eines starken Bevölkerungswachs-           Bevölkerung mit einem Mal stark. Praktisch      erfüllt. Zwar ist die Sterblichkeit auch in
tums anhält. Frustration unter den jungen        alle Länder haben diese Phase des starken       den ärmsten afrikanischen Ländern bereits
Menschen, soziale Konflikte, Unzufriedenheit     Wachstums bereits hinter sich, einige, vor      deutlich gesunken, unter anderem durch hu-
mit den politisch Verantwortlichen, Unruhen      allem in Afrika, erleben sie heute noch.        manitäre Entwicklungs- und Hilfsprogramme,
bis hin zu Terror, Flucht und Vertreibung sind                                                   die für sauberes Trinkwasser, Impfkampag-
die Folgen. Sie häufen sich gerade dort, wo                                                      nen oder Lebensmittelhilfen gesorgt haben.
Bevölkerungswachstum und Entwicklungs-                                                           All dies geschah mit besten Absichten. Aber
perspektiven auseinanderlaufen.                                                                  diese Interventionen von außen hatten einen
                                                                                                 ungewollten Nebeneffekt: Sie haben zwar er-
                                                                                                 freulicherweise das Sterben vieler Menschen
                                                                                                 verhindert, aber nicht für jene sozioökonomi-
                                                                                                 sche Anschlussentwicklung gesorgt, welche
                                                                                                 die Lebensperspektiven weiter verbessert
                                                                                                 und dann auch die Geburtenziffern entspre-
                                                                                                 chend sinken lässt.

2   Berlin-Institut
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Deshalb eröffnet sich bisher für die wenigs-     Subsahara-Afrika kann dabei von den               Die vorliegende Studie zeigt an vielen Bei-
ten afrikanischen Staaten die Hoffnung auf       Erfolgen anderer Weltregionen lernen, etwa        spielen, wie und wo Afrika südlich der Sahara
eine „demografische Dividende“. Die lässt        von Europa, wo es in den letzten 100 Jahren       auf die Überholspur der Entwicklung gelan-
sich erst einfahren, wenn die Kinderzahlen       gelungen ist, die Landwirtschaft so auf           gen könnte. Wir sind weit davon entfernt zu
deutlich zurückgehen und die letzten gebur-      Vordermann zu bringen, dass die Versorgung        glauben, dass sich damit alle Probleme des
tenstarken Jahrgänge ins Erwerbsalter hinein-    der Bevölkerung mit hochwertigen Lebens-          Kontinents werden lösen lassen. Aber wir
wachsen. Wenn es gelingt, die große Zahl an      mitteln mehr als gesichert ist. Afrika sollte     sind sicher, dass sich die Produktivität der
jungen Menschen ausreichend zu qualifizie-       bei diesem Aufholprozess aber tunlichst jene      Landwirtschaft mit geeigneten Innovationen
ren und mit Beschäftigung zu versorgen, lässt    Fehler vermeiden, die sich in Europa und          schnell und nachhaltig verbessern lässt.
sich eine sich selbst beschleunigende, wirt-     anderswo während der Intensivierung der
schaftliche Entwicklung nicht mehr aufhalten.    Landwirtschaft eingeschlichen haben, von          Dass Afrika dringend auch in anderen
Rund ein Drittel des Wirtschaftswachstums        der Gefährdung des Grundwassers durch             Bereichen Verbesserungen erfahren muss,
in den erfolgreichen asiatischen Tigerstaaten    Einträge aus Düngemitteln und Pestiziden bis      liegt auf der Hand. Gefordert sind dabei
lässt sich allein auf die Nutzung der demogra-   hin zum Artenschwund als Folge großflächi-        nationale wie internationale Akteure:
fischen Dividende zurückführen.                  ger Monokulturen.                                 Afrikas Handelspartner müssen zulassen,
                                                                                                   dass sich Afrika vor billigen Agrarimporten
Die Zeit drängt                                  Die Zukunft erfordert große Sprünge               schützen kann und die Importbedingungen
                                                                                                   für afrikanische Produkte verbessern. Die
In Afrika muss es deshalb gelingen, die          Afrika südlich der Sahara kann – und muss         Entwicklungszusammenarbeit muss Projekte
Entwicklung möglichst schnell auf den Weg        – deshalb viele der Verfahren und techno-         und Programme aufeinander abstimmen und
einer demografischen Dividende zu leiten.        logischen Entwicklungen, die Europa einst         mit der Privatwirtschaft kooperieren, um die
Dabei drängt die Zeit, denn das Bevölke-         vorangebracht haben, überspringen, um             nachhaltige Intensivierung sozial verträglich
rungswachstum in Afrika hält bereits länger      sofort zu einer produktiven und gleichzeitig      zu gestalten. Vor allem aber müssen die Re-
an und es ist deutlich höher, als es der         schonenden Agrarwirtschaft zu gelangen.           gierungen der subsaharischen Länder stärker
wirtschaftliche Entwicklungsstand eigentlich     Das Ziel lässt sich mit dem Begriff einer         als bisher die Entwicklung ländlicher Räume
erlaubt. Fortschritte sind vor allem in den      „nachhaltigen Intensivierung“ umreißen. Der       auf die Agenda nehmen, in landwirtschaft-
ländlichen Gebieten nötig, denn dort sind die    Kontinent muss den Nutzen aus den besten          liche Forschung investieren und das Wissen
Perspektiven der Menschen am schlechtesten       heute verfügbaren Agrartechniken ziehen           unter die Landwirte bringen. Sie müssen das
und entsprechend die Kinderzahlen je Frau        und alles, was sich anderswo als schädlich        private Unternehmertum fördern und den
am höchsten.                                     herausgestellt hat, unterlassen.                  Bauern Landrechte garantieren.

Die ökonomische Entwicklung hat in anderen       Dieser Einsatz moderner Mittel unter Verzicht     Afrika hat keine andere Wahl.
Ländern in der Regel mit Fortschritten in        auf veraltete Zwischenschritte, auch als
der Agrarwirtschaft begonnen, mit einer          „Leapfrogging“ bezeichnet, könnte Afrika
Verbesserung der Produktionsverfahren,           nicht nur in der Landwirtschaft, sondern in       Berlin, im Juni 2018
höheren Erträgen und der Möglichkeit,            allen wirtschaftlichen und gesellschaftli-
Feldfrüchte und Nutztiere gewinnbringend zu      chen Bereichen helfen seinen erheblichen          Reiner Klingholz
handelstauglichen Lebensmitteln weiterzu-        Entwicklungsrückstand aufzuholen. Das             Direktor, Berlin-Institut für Bevölkerung und
verarbeiten.                                     klassische Beispiel, wie das gelingen kann, ist   Entwicklung
                                                 die Möglichkeit mobil zu telefonieren. Anstatt
                                                 über Jahre und mit enormem Aufwand den
                                                 ganzen Kontinent mit Kupferleitungen zu
                                                 verkabeln, hat man dort direkt und schnell
                                                 in mobile Netze investiert. In der Folge sind
                                                 heute viele Regionen Afrikas besser vernetzt
                                                 als mancher ländliche Raum in Deutschland.
                                                 Mobiles Banking und bargeldloses Bezahlen
                                                 sind weiter verbreitet als hierzulande.

                                                                                                                Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit   3
Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit - Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss - Berlin-Institut für Bevölkerung und ...
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
Viele Chancen,                                          Allerdings gibt es dabei große praktische        später in den Entwicklungs- und Schwellen-
große Herausforderungen                                 Herausforderungen zu meistern: Die Flächen-      ländern stets die Verbesserung der Primär-
                                                        und Arbeitsproduktivität der Landwirtschaft      produktion am Anfang des sozioökonomi-
Afrikas Landwirtschaft kann zurzeit die                 ist bislang gering. 80 Prozent der Landwirt-     schen Entwicklungsprozesses gestanden
eigene Bevölkerung nicht ernähren, hat aber             schaftsbetriebe in Afrika südlich der Sahara     hat. In vorindustrieller Zeit haben Bauern in
das Potenzial, zum Entwicklungsmotor für                sind kleinbäuerliche Familienbetriebe. Sie       Europa auf ähnlichem Niveau gewirtschaftet
den Kontinent zu werden. Das klingt nach                wirtschaften im Allgemeinen wenig effizient,     wie die Mehrheit der afrikanischen Kleinbau-
einer steilen These, bilden die Länder südlich          vor allem, weil es ihnen an Zugang zu Know-      ern heute, was den Einsatz von Arbeitskraft
der Sahara – nur um diese geht es in der                how und zu Kapital sowie an gesicherten          und Hilfsmitteln angeht, und ähnlich geringe
vorliegenden Studie – doch die Weltregion               Landrechten mangelt. Nur wenige setzen           Erträge erzielt.
mit dem niedrigsten Entwicklungsstand und               moderne produktionssteigernde Mittel wie
dem höchsten Bevölkerungswachstum.                      Mineraldünger, Bewässerung oder Maschinen        Heute holen sie unter Einsatz von Energie
                                                        ein. Teilweise schädigen sie sogar die emp-      und Kapital, dafür mit weit geringerem
Die Voraussetzungen wären jedoch theore-                findlichen Böden durch schlecht angepasste       Arbeitsaufwand viel mehr aus Ackerflä-
tisch gegeben: Der Kontinent verfügt über               Nutzungsmethoden. Dürren, Starkregen und         chen und Vieh heraus als die meisten ihrer
rund ein Viertel der Flächen weltweit, die              andere Folgen des Klimawandels verschlech-       Kollegen südlich der Sahara. Die zunehmende
sich für Ackerbau und Viehhaltung eignen.               tern die Sicherung der Ernährung noch.           Intensivierung hat aber auch zu Belastungen
Er bietet günstige klimatische Bedingungen              Während viele Menschen an Mangel- oder           für die Ökosysteme und für die Gesundheit
für gute Ernten. Ein großes Reservoir an                Fehlernährung leiden, wächst gleichzeitig        der Menschen geführt. Und sie trägt massiv
Arbeitskräften steht bereit. Und sowohl bei             in den Ballungsräumen eine Mittelschicht         zum menschengemachten Klimawandel bei.
den Regierungen der 49 Staaten zwischen                 heran, die „westliche“ Ernährungsgewohn-         Im Zuge dieser Entwicklungen ist die
der Sahelzone und dem Kap der Guten                     heiten übernimmt und damit auch „Zivilisati-     Landwirtschaft immer produktiver gewor-
Hoffnung als auch bei der internationalen               onskrankheiten“ wie Übergewicht und seine        den. Somit vermochten die Bauern nicht
Entwicklungszusammenarbeit hat sich die                 Folgeerscheinungen.                              nur wachsende Bevölkerungen zu ernähren,
Erkenntnis durchgesetzt, dass der dringend                                                               sondern sie schufen auch Einkommen – und
notwendige Entwicklungssprung beim Agrar-               Allmählicher Wandel in Europa                    Arbeitskräfte wurden freigesetzt. Diese
sektor ansetzen muss, dem lange keine große                                                              fanden Beschäftigung in den vor- und
Aufmerksamkeit galt.                                    Der Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass   nachgelagerten Bereichen der Landwirt-
                                                        sowohl in den früh industrialisierten als auch   schaft, von Landmaschinenherstellern bis

Anhaltendes Wachstum
In den Ländern Afrikas südlich der Sahara bekommen Frauen
durchschnittlich 5 Kinder – 3,4 mehr als Frauen in der EU-28
im Mittel. Die Bevölkerungen wachsen deshalb rasant. Nach
Vorausschätzungen der Vereinten Nationen dürfte sich die
Zahl der Menschen in vielen Ländern bis 2050 verdoppeln, in
einigen sogar verdreifachen. Insgesamt dürfte Subsahara-Af-
rika dann 2,2 Milliarden Häupter zählen, 1,2 Milliarden mehr
als heute. Dieses Wachstum lässt sich kaum mehr abwenden,
denn die meisten Eltern von morgen sind bereits geboren.
                                                                unter 0
Es würde sich jedoch bremsen lassen, wenn mehr Menschen,
insbesondere Mädchen, Zugang zu Bildung erhielten. Denn         0 bis unter 25
je länger junge Frauen eine Schule besuchen, desto weniger      25 bis unter 50
Kinder wünschen sie sich und desto besser vermögen sie          50 bis unter 75
diesen Wunsch auch umzusetzen.                                  75 bis unter 100
                                                                100 bis unter 125
Vorausgeschätztes Bevölkerungswachstum, weltweit,
in Prozent, 2018 bis 2050                                       125 bis unter 150
(Datengrundlage: UNDESA1)                                       150 und mehr

4   Berlin-Institut
Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit - Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss - Berlin-Institut für Bevölkerung und ...
Die afrikanische Landwirtschaft
muss produktiver werden

Seit Anfang der 1960er Jahre hat sich die Versorgung mit
Nahrung in allen Weltregionen verbessert, außer in Euro-
pa und Ozeanien, wo sie durchgängig gleich gut war.2 In
einigen Ländern Subsahara-Afrikas steht aber pro Kopf
und Tag immer noch weniger als der durchschnittliche
Mindest-Energiebedarf von 2.100 Kilokalorien zur Ver-            unter 2.100
fügung. Die Landwirtschaft muss dort erst einmal für Er-         2.100 bis unter 2.300
nährungssicherheit sorgen. Wenn es dann gelingt, sie so          2.300 bis unter 2.500
zu entwickeln, dass sie mehr Menschen in Arbeit bringt
                                                                 2.500 bis unter 2.700
und ihnen damit eine Zukunftsperspektive gibt, kann
sie zum Entwicklungsmotor für den ganzen Kontinent               2.700 bis unter 2.900
werden – und letztlich dazu beitragen, das Bevölkerungs-         2.900 bis unter 3.100
wachstum langfristig zu bremsen.                                 3.100 bis unter 3.300
                                                                 3.300 bis unter 3.500
VerfÜgbarkeit von Nahrungsmitteln im Durchschnitt,
nach Ländern, in Kilokalorien pro Kopf und Tag, 2013             3.500 und mehr
(Datengrundlage: FAO3)                                           unzureichende Daten

zu Verarbeitungsbetrieben wie Molkereien,                  müssen sie zunächst einmal Ernährungs-            dest, welche vielversprechenden Ansätze es
in der Industrie im Allgemeinen sowie im                   sicherheit schaffen. Dafür müssen sie sich        gibt, aus den Erfahrungen im Guten wie im
wachsenden Dienstleistungssektor.                          organisieren, um besser an Wissen und             Schlechten zu lernen und Entwicklungsschrit-
                                                           Ressourcen zu kommen und sich Märkte für          te zu überspringen.
Aus Erfahrung lernen:                                      ihre Produkte zu erschließen. Die Menschen
Leapfrogging für Afrika                                    auf dem Land müssen unternehmerisch               Aus Platzgründen ist die Auswahl beschränkt.
                                                           aktiv werden, Rohprodukte verarbeiten und         Wir haben darauf geachtet, dass möglichst
Afrika bleibt im Vergleich zu Europa sehr                  veredeln, um die Abschöpfung des dabei            unterschiedliche Länder mit Beispielen aus
wenig Zeit, um die Landwirtschaft voran-                   entstehenden Mehrwerts nicht Unternehmen          unterschiedlichen landwirtschaftlichen und
zubringen und sie zum Entwicklungsmotor                    in anderen Erdteilen zu überlassen. So ent-       Verarbeitungs-Bereichen zur Sprache kom-
zu machen. Das Bevölkerungswachstum ist                    stehen attraktive Arbeitsplätze auf dem Land.     men: In Senegal zum Beispiel baut ein Vete-
gerade auf dem Land besonders ausgeprägt,                  Der Aufbau eines „Agrifood“-Komplexes wird        rinärmediziner eine Wertschöpfungskette für
während die Städte hauptsächlich infolge von               schließlich zum Transmissionsriemen für die       einheimische Milch auf. In der Elfenbeinküste
Zuwanderung aus ländlichen Gebieten wach-                  allgemeine Entwicklung.                           veredelt eine Frauen-Kooperative Roh-Kakao
sen. Solange jedoch hohe Geburtenziffern                                                                     zu feinster Schokolade. In Nigeria entwickelt
das Bevölkerungswachstum beschleunigen,                    Afrikas Bauern brauchen dabei Unterstüt-          ein Unternehmen High-Tech-Hilfsmittel, die
fallen die wirtschaftlichen Fortschritte, pro              zung seitens der staatlichen wie auch der         sich auch weniger kapitalstarke Bauern leis-
Kopf gerechnet, immer bescheidener aus.                    nichtstaatlichen Entwicklungsorganisatio-         ten können. In Sambia setzt ein Projekt auf
                                                           nen. Vor allem aber benötigen Bauern wie          Fischzucht und Soja-Anbau, um die Landwirt-
Indessen hat Afrika den Vorteil, dass es die               auch heimische und ausländische Investoren        schaft zu diversifizieren und attraktiver für
teilweise langen Umwege der Entwicklung                    Regierungen, die den Bekenntnissen, mehr          junge Menschen zu machen. In Malawi lernen
überspringen und direkt auf dem neuesten                   für die Entwicklung der Landwirtschaft zu         Maisbauern die Vorteile des Rotationsfeld-
wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den                 tun, auch Taten folgen lassen.                    baus wieder zu schätzen. Ein Auswahlkriteri-
modernsten Technologien aufsetzen kann.                                                                      um war auch, möglichst unterschiedliche In-
Dieses „Leapfrogging“, also das Übersprin-                 Beispiele für gute Praxis                         itiativen zu erfassen, die den beschriebenen
gen technologischer Entwicklungsstufen, die                                                                  Projekten und Unternehmungen zugrunde
sich als obsolet erwiesen haben, kann der                  Der hintere und umfangreichste Teil der           liegen: Der Anstoß zur Veränderung ging mal
Landwirtschaft auf die Beine helfen. Aus den               vorliegenden Studie enthält neun Fallbei-         von risikofreudigen Start-up-Gründern aus,
europäischen Erfahrungen zu lernen heißt                   spiele, die zeigen, wie sich das Ziel erreichen   mal von wissenschaftlichen Einrichtungen,
daher: Afrikas Bauern müssen intensivieren,                lässt, nachhaltig zu intensivieren, Wertschöp-    mal von internationalen Organisationen.
aber auf nachhaltige Weise und ohne dabei                  fungsketten aufzubauen und den Wandel aus
die Fehler Europas zu wiederholen. Dabei                   eigener Kraft voranzutreiben – oder zumin-

                                                                                                                          Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit   5
Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit - Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss - Berlin-Institut für Bevölkerung und ...
1                     VIELE CHANCEN, GROSSE
                      HERAUSFORDERUNGEN
1.1 Die Vision von                             drängt eine Vielzahl junger Menschen vor
                                               allem in den ausufernden Ballungsräumen in
                                                                                                 Hohe Ziele, aber noch kaum Erfolge
der Transformation                             einen bereits überfüllten Arbeitsmarkt, der       Das wachsende Bewusstsein dafür, dass die
                                               kaum neue Jobs zu schaffen vermag.                Transformation bei der Landwirtschaft anset-
These: Afrikas Landwirtschaft kann zurzeit                                                       zen muss, zeigt sich an dem „Comprehensive
die eigene Bevölkerung nicht ernähren, hat     Afrika braucht eine wirtschaftliche Transfor-     Africa Agriculture Development Programme“
aber das Potenzial, zum Entwicklungsmo-        mation, einen grundlegenden Wandel. Der           (CAADP), das die Afrikanische Union schon
tor für den Kontinent zu werden.               Denkfabrik „African Center for Economic           2003 in der mosambikanischen Hauptstadt
                                               Transformation“ (ACET) zufolge müssen             Maputo verabschiedet hat. Das „Programm
Entwicklung muss sein                          die Länder dafür in fünf Handlungsfeldern         zur umfassenden Entwicklung der Landwirt-
                                               vorankommen: Sie müssen diversifizieren,          schaft Afrikas“ setzt den Rahmen für eine
Afrika südlich der Sahara ist die Weltregion   international wettbewerbsfähiger werden,          Reform der Agrarpolitik in den Mitgliedstaa-
mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen         die Produktivität steigern, Technologien          ten. Ziel ist erstens, mindestens zehn Prozent
und dem höchsten Bevölkerungswachstum.         verbessern und dafür sorgen, dass die Wohl-       der nationalen Budgets in die Landwirtschaft
Dieser kurze Satz bündelt die heutigen         standsgewinne möglichst breiten Bevölke-          zu investieren, und zweitens, die Produkti-
Probleme und die Herausforderungen von         rungsschichten zugutekommen.                      vität des Agrarsektors so zu steigern, dass
morgen. Denn nur durch wirtschaftliche                                                           das landwirtschaftliche BIP jährlich sechs
Entwicklung und neue Perspektiven für          Der Landwirtschaft kommt dabei eine zen-          Prozent zulegt. Die Regierungen sollen die re-
die Menschen kann der Kontinent der Falle      trale Rolle zu. ACET hat die Vision entwickelt,   gionalen und nationalen Agrarmärkte stärken
entkommen, in der ihn Armut und hohe           „innerhalb einer Generation einen moder-          und dafür sorgen, dass mehr landwirtschaftli-
Kinderzahlen gefangen halten. Das Bruttoin-    nen, wettbewerbsfähigen und ökologisch            che Erzeugnisse exportiert werden. Sie sollen
landsprodukt (BIP) Subsahara-Afrikas dürfte    nachhaltigen Agrarsektor zu schaffen, der         Forschung und Entwicklung im Agrarbereich
Prognosen zufolge zwar 2018 um 3,4 und         die Ernährung der Bevölkerung sichert,            auf Weltniveau heben, sich für eine effektive
2019 um 3,5 Prozent steigen. Das reicht aber   einer wachsenden Zahl von Bauern zu einer         Landnutzung einsetzen und die Armut auf
bei weitem nicht aus.                          mittelständischen Lebensweise verhilft und        dem Lande reduzieren.7
                                               die wirtschaftliche Transformation Afrikas
Erstens liegt dieses Wachstum unter dem        antreibt“.2                                       Auch die Entwicklungspolitik der Industrie-
prognostizierten weltweiten Anstieg von                                                          länder, die der Landwirtschaft in den wenig
jeweils 3,9 Prozent für die beiden Jahre.1     Mit dieser Vorstellung sind die ACET-Wissen-      entwickelten Ländern kaum Beachtung
Gerade arme Regionen müssen jedoch             schaftler nicht allein. Auch die Vereinten Na-    schenkte, bevor die zunehmende Verteue-
überdurchschnittlich zulegen, um aufzuholen,   tionen3, die Welternährungs- und Landwirt-        rung vieler Grundnahrungsmittel 2007 in
umso mehr, als die Zuwächse von einem sehr     schaftsorganisation (FAO)4, die Weltbank5,        einer globalen Ernährungskrise gipfelte,
niedrigen Ausgangsniveau ausgehen. Sonst       die „Alliance for a Green Revolution in Africa“   kümmert sich inzwischen intensiv um
öffnet sich die Schere zwischen Arm und        (AGRA)6 und nicht zuletzt die Regierungen         Verbesserungen. Um die vielen Programme
Reich immer weiter.                            vieler afrikanischer Länder selbst setzen         und Projekte zur Armutsbekämpfung auf dem
                                               auf das Potenzial der Landwirtschaft, nicht       Land und zur Produktivitätssteigerung der
Zweitens wachsen die Bevölkerungen so          nur die eigene Bevölkerung mit ausreichend        Landwirtschaft umzusetzen, fehlt es teilweise
stark, dass die Pro-Kopf-Wachstumsgewinne      Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern auch        an Experten, sodass die Mittel nicht so
vielerorts bescheiden ausfallen oder ganz      zum Motor für die Entwicklung der Region          schnell abfließen können, wie sie bereitge-
ausbleiben. Das erschwert es, die erreichten   zwischen den Ausläufern der Sahara und            stellt werden.
Fortschritte zu verstetigen. Schon heute       dem Kap der Guten Hoffnung zu werden.

6   Berlin-Institut
Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit - Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss - Berlin-Institut für Bevölkerung und ...
Wo Nahrungsmittel knapp sind
Bis in die 1960er Jahre konnte die afrikanische
Landwirtschaft die Bevölkerung aus eigener Kraft
ernähren.8 Heute ist Afrika südlich der Sahara
weltweit am stärksten von Unterernährung betroffen.
Insgesamt hat mehr als ein Fünftel der Menschen
weniger Nahrung zur Verfügung als nötig wäre, um
mindestens leichte körperliche Arbeiten zu verrichten
und gesund zu bleiben.9 Ein Grund dafür ist die gerin-
ge Produktivität des Landwirtschaftssektors.

Verschlechtert wird die Sicherung der Ernährung
durch Ernteausfälle infolge von Dürren und anderen
Auswirkungen des Klimawandels. Besonders gravie-                   Nordafrika
rend sind Hunger und Unterernährung dort, wo die                   0 bis unter 5
Bauern aufgrund von Konflikten und Vertreibungen
                                                                   5 bis unter 15
das Land nicht bestellen können und auch keine
humanitäre Hilfe zu den Bedürftigen gelangen kann.                 15 bis unter 25
                                                                   25 bis unter 35
Anteil der unterernährten Menschen an der Bevölke-                 35 bis unter 50
rung der Länder Subsahara-Afrikas, in Prozent, im
                                                                   50 und mehr
Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2016
(Datengrundlage: FAO10)                                            unzureichende Daten
                                                                   drohende Hungersnot (2017)

An mangelnder Einsicht bei den Geldgebern                Reichtum an Ressourcen                           entfernt ist, desto länger. In den Gebieten
dürfte die Transformation nicht scheitern. Die                                                            ganz im Süden und im Norden Afrikas
Weltbank hat bereits 2008 ihren jährlichen               Rohstoffe wie Öl, Diamanten und Erze dürf-       herrscht subtropisches oder warmgemäßig-
Welt-Entwicklungsreport dem Thema „Land-                 ten zwar auch in Zukunft einen wesentlichen      tes Klima mit heißen Sommern und mäßig
wirtschaft für Entwicklung“ gewidmet. Mit                Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt vieler          kalten Wintern, wobei sich die Niederschläge
der griffig formulierten Forderung „access to            Länder südlich der Sahara leisten. Doch          entlang des Mittelmeers auf den Winter,
assets“ forderte sie darin Zugang zu Kapital             wenn plötzlich fallende Weltmarktpreise die      weiter südlich auf den Sommer konzentrie-
für die afrikanischen Kleinbauern.11 Dass die            Einnahmequelle versiegen lassen, verliert die    ren. Die Vegetationsperiode ist länger als in
Afrikanische Entwicklungsbank die Vision                 Politik Handlungsspielraum. Der Anteil der       den gemäßigten Breiten, also etwa in Mittel-
von der Transformation mit Nachdruck                     Rohstoffgewinnung am gesamtafrikanischen         und Nordeuropa. Nur die Wüstengebiete der
fördern will, ist kein Zufall: Ihr Präsident, der        BIP ist denn auch im Sinken.14 Die Entwick-      Sahara oder der Kalahari bleiben praktisch
Nigerianer Akinwumi Adesina, ist in einer                lung des Agrarsektors verspricht nachhaltige-    ganzjährig trocken. Abhängig von den Nie-
Bauernfamilie aufgewachsen, hat Agraröko-                re Wirkungen. Die wichtigste Ressource dafür     derschlagsmengen und von der Verfügbarkeit
nomie studiert und als Landwirtschaftsmi-                besitzt Afrika bereits: Obgleich der Kontinent   von Wasser in den Trockenzeiten sind in den
nister den Agrarsektor seines Heimatlandes               derzeit nur rund ein Siebtel der Weltbevölke-    übrigen Gebieten im Prinzip überall mehrere
grundlegend reformiert.12                                rung beherbergt, verfügt er über ein Viertel     Ernten pro Jahr möglich.
                                                         der globalen Landwirtschaftsflächen.15
Mit der flächendeckenden Realisierung der                                                                 Allerdings fällt die Produktivität der Land-
Vision vom Wandel hapert es allerdings noch.             Auch die klimatischen Bedingungen bieten         wirtschaft deutlich schlechter aus, als es die
Zwar haben sich 44 der 54 Mitgliedstaaten                gute Voraussetzungen. In den immerfeuchten       Klima- und Umweltbedingungen zulassen
der Afrikanischen Union verpflichtet, das                Tropen entlang des Äquators sind Boden- und      würden, und ist im internationalen Vergleich
CAADP umzusetzen. Bis Ende 2015, also                    Luftfeuchtigkeit durchgängig hoch. In den        extrem niedrig.16 Sowohl bei den Flächen- als
zwölf Jahre nach den guten Vorsätzen von                 angrenzenden wechselfeuchten tropischen          auch bei den Arbeitserträgen liegt Subsaha-
Maputo, hatten gerade einmal fünf Staaten                Zonen lösen sich Regen- mit Trockenzeiten        ra-Afrika weit hinter den übrigen Weltregio-
das Zehn-Prozent-Ziel erreicht.13                        ab. Letztere dauern zwischen drei und sieben     nen zurück.17
                                                         Monaten, je weiter das Gebiet vom Äquator

                                                                                                                       Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit   7
Einige Berichte und Studien suggerieren,
Afrika biete noch nahezu unerschöpfliche
                                                        1.2 Die Herausforderungen                        zendecke entfernt wird, um Felder anzulegen,
                                                                                                         wie dies beim Wanderfeldbau in den Tropen
Möglichkeiten, weiteres Landwirtschaftsland             Empfindliche Böden                               traditionell geschehen ist und unter dem
zu erschließen: Schätzungen zufolge befindet            und Klimawandel                                  Druck des Bevölkerungswachstums immer
sich auf dem Kontinent mehr als die Hälfte                                                               noch geschieht, haben die Nutzpflanzen
der ungenutzten potenziellen Ackerflä-                  Warum ist die Produktivität der Landwirt-        die Nährstoffe bald aufgezehrt. Lassen die
chen weltweit.18 Bei näherer Betrachtung                schaft so niedrig? Einer der vielen Gründe       Bauern diese Flächen dann brachliegen, kann
beschränken sich die möglichen zusätzlichen             liegt im Boden. Für die Landwirtschaft ist die   es Jahrzehnte dauern, bis sie sich regeneriert
Flächen aber hauptsächlich auf Grasland                 Fruchtbarkeit des Bodens ein entscheidender      haben. Wahrscheinlicher ist aber, dass Regen
oder Wälder, die zum Anbau genutzt werden               Faktor. Umgekehrt spielen Böden und die Art      die letzten Nährstoffe auswäscht, Wärme die
könnten, oder auf Ackerflächen, die aus                 und Weise der Bewirtschaftung eine wichtige      Zersetzung der organischen Substanz be-
unterschiedlichen Gründen brachliegen.19                Rolle für den Schutz von Wasser, Luft, Klima     schleunigt und Wind die verbliebene Krume
Indes ist es gar nicht notwendig, zusätzliche           und Artenvielfalt.21 Die natürliche Beschaf-     wegträgt. Zurück bleibt eine quasi versiegelte
Gebiete zu erschließen. Würden die afrikani-            fenheit der afrikanischen Böden begrenzt die     oder erodierte Oberfläche. Solchermaßen
schen Bauern nur die bestehenden Landwirt-              landwirtschaftliche Nutzung – und eine we-       „degradierte“ Böden sind, wenn überhaupt,
schaftsflächen intensiver bewirtschaften,               nig nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung      nur mit großem Aufwand wieder landwirt-
könnten sie die Produktion jedes Jahr um 100            kann den Boden bis zur Unbrauchbarkeit           schaftlich nutzbar zu machen. Auch Über-
Millionen Tonnen Getreide oder die entspre-             verschlechtern.                                  weidung oder schlecht angepasste Bewirt-
chende Menge Feldfrüchte aufstocken und                                                                  schaftungsmethoden in trockeneren Gebieten
Afrika zum Netto-Exporteur von Agrarerzeug-             Geologisch betrachtet sind die Böden Afrikas     bewirken, dass Böden degradieren.
nissen machen. Damit würden sie – ohne                  überwiegend aus der Verwitterung sehr
mehr Landfläche in Anspruch zu nehmen                   harter Gesteine entstanden. Das bedeutet,        Landdegradierung ist weltweit ein Problem.
– der globalen Nahrungsmittelversorgung                 sie sind eher grobkörnig, sie enthalten kaum     Am stärksten sind die wenig entwickelten
einen weiteren „Corn Belt“ hinzufügen, also             feine Lehmpartikel und Humus, die Feuchtig-      Länder betroffen und dort am meisten arme
das Äquivalent jener Region, welche die                 keit im Boden zurückhalten, und sie sind arm     Bewohner entlegener ländlicher Regionen.
Hälfte der gesamten US-Maisernte erzeugt.20             an Nährstoffen. Wenn die natürliche Pflan-       Neue Berechnungen auf Grundlage von
Dieses Potenzial gilt es zu erschließen.                                                                 Fernerkundungsdaten haben ergeben, dass

Wo die Böden schlechter werden
Nach einer Untersuchung internationaler Agrarexperten sind
bis zu 65 Prozent des Ackerlands in Subsahara-Afrika auf die
eine oder andere Art degradiert. Das heißt: Feldfrüchte gedei-
hen auf diesen Böden schlechter als nötig wäre, um genug Nah-
rung für die Bevölkerung zu produzieren. Klimawandel, Armut,
Bevölkerungsdruck und schlecht angepasste Bewirtschaftungs-
methoden bewirken die kontinuierliche Verschlechterung der
Bodengesundheit. Gerade die Kleinbauern leiden am stärksten
darunter, weil sie dem wenig entgegenzusetzen haben.22

Vorherrschende Arten von Landdegradierung in Subsahara-
Afrika
(Quelle: Montpellier Panel23)

    Nährstoffverlust       Verdichtung
    Wassererosion          Staunässe
    Winderosion            stabil natürlich
    Kontaminierung         stabil landwirtschaftlich genutzt
    Versalzung             nicht klassifiziert

8   Berlin-Institut
allein die am schwersten betroffenen Flächen    Von den Folgen dürften demnach Mittel- und       Asiens und Lateinamerikas dramatisch stei-
mehr als ein Viertel der gesamten Landfläche    Südamerika, Subsahara-Afrika und Asien am        gen ließ, ist an Subsahara-Afrika praktisch
Subsahara-Afrikas ausmachen. 65 Prozent         stärksten betroffen sein.30                      spurlos vorbeigegangen.
der Anbauflächen und 30 Prozent der
Graslandflächen weisen eine verschlechterte     Extensive Landnutzung                            Die Grüne Revolution hatte ihren Ursprung
Bodenqualität auf.24 Schätzungen zufolge                                                         in der Befürchtung, die landwirtschaftliche
sind davon 180 Millionen Menschen in            Landwirtschaftsfläche ist definiert als die      Produktion in den wenig entwickelten Län-
Subsahara-Afrika betroffen und entstehen        Summe aus genutzten und weniger als fünf         dern könne mit dem rasanten Bevölkerungs-
jährlich wirtschaftliche Einbußen in Höhe von   Jahre brachliegenden Ackerflächen, Dauer-        wachstum bald nicht mehr Schritt halten und
68 Milliarden US-Dollar.25, 26                  kulturen – zu denen unter anderem Plantagen      Hungerkatastrophen drohten. Gefördert von
                                                zählen –, sowie Grasland.31 Der Anteil der       der amerikanischen Rockefeller-Stiftung,
Zwei Faktoren verschärfen das Problem:          Landwirtschaftsfläche an der gesamten            machten sich Wissenschaftler daran, Saatgut
Bevölkerungswachstum und Klimawandel.           Landfläche ist in Afrika ähnlich hoch wie        für die wichtigsten Nahrungspflanzen auf
Die Zahl der Landbewohner, die auf und von      in Europa, nämlich knapp die Hälfte. Im          höhere Erträge und Widerstandsfähigkeit
degradierendem Land leben, ist von 2000         Gegensatz zu Europa nimmt jedoch in              gegen Krankheiten hin zu züchten. Durch
bis 2010 in Afrika südlich der Sahara um 38     Subsahara-Afrika Grasland mit 77 Prozent         klassische Kreuzung einer kleinwüchsigen
Prozent gewachsen, während die Landbevöl-       den Löwenanteil an der gesamten Landwirt-        Reissorte mit einer langhalmigen, aber
kerung insgesamt um 28 Prozent zugenom-         schaftsfläche ein, nur 20 Prozent entfallen      besonders ertragreichen Variante schufen
men hat. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der     auf Ackerflächen und gerade mal 2 Prozent        sie etwa eine neue Sorte, die sich dank
wenig entwickelten Länder weltweit stieg die    auf Dauerkulturen.32, 33 Diese Verteilung        ihres kürzeren Halms unter dem Gewicht
Zahl der Landbewohner auf degradierendem        ist auch eine Anpassung an die natürliche        vieler reifer Körner besser aufrecht hielt.
Land über diesen Zeitraum lediglich um rund     Bodenbeschaffenheit.                             Mit diesem „Wunderreis“ konnten Bauern in
13 Prozent und lag damit etwa gleichauf                                                          Asien die Ausbeute pro Hektar von einer bis
mit dem Zuwachs bei der Landbevölkerung         Es sind häufig sesshafte oder nomadische         zwei Tonnen auf bis zu zehn Tonnen steigern
insgesamt.27                                    Hirten, die das Grasland nutzen, um ihre teil-   – bei intensiver Bewirtschaftung.35 Das heißt,
                                                weise riesigen Viehherden weiden zu lassen,      neben verbessertem Saatgut für Reis, Mais
Subsahara-Afrika ist besonders anfällig         und mit ihren Tieren weiterziehen, wenn          und Weizen verdankt sich der Erfolg der
für die Auswirkungen des Klimawandels.28        das Grün in einem Gebiet abgefressen ist.        Grünen Revolution einem ganzen Paket von
Gerade die vielen Kleinbauern auf dem Land      Über den eigenen und lokalen Bedarf hinaus       damit verbundenen Maßnahmen: Düngung
haben kaum Möglichkeiten, sich darauf           unternehmen sie jedoch wenig, um Milch           mit den drei für das Pflanzenwachstum
einzustellen oder anzupassen. Die Erhöhung      und Fleisch zu vermarkten – auch, weil es an     unerlässlichen Nährstoffen Stickstoff, Phos-
der Jahres-Durchschnittstemperaturen macht      Infrastruktur für Schlachtung, Kühlung, Trans-   phor und Kalium, Bewässerung der Felder,
sich bereits bemerkbar und dürfte bis 2100      port und Verarbeitung fehlt. Ohnehin liefern     chemischer Pflanzenschutz, Mechanisierung
mehr als zwei Grad über jenen von 2000          die in Afrika üblichen Rinderrassen nur          und Weiterbildung der Bauern in effizienten
liegen. Mit der Hitze steigt der Wasserstress   geringe Erträge. So stehen zwar insgesamt        Bewirtschaftungsmethoden auf der Grundla-
in ohnehin trockenen Gebieten. Schädlinge,      viele Tiere auf ausgedehnten Flächen, diese      ge wissenschaftlicher Forschung.
Pflanzen- und Tierkrankheiten breiten sich      Nutzung bringt aber wenig hervor. Erschwe-
verstärkt aus. Auch das Muster der Nie-         rend kommt hinzu, dass rund ein Drittel der      Das hat auch zu Fehlentwicklungen geführt.
derschläge verändert sich bereits spürbar:      potenziellen Weideflächen degradiert sind        Übermäßiger Dünger- und Pestizidein-
Trockenzeiten dauern länger an, Regen           und zunehmende Trockenheit dazu führt,           satz gefährdet Ökosysteme, tierische und
bleibt aus oder kommt in solchen Mengen,        dass das Futter spärlicher wächst.34             menschliche Gesundheit. Durch die Zunahme
dass Überschwemmungen Felder und Höfe                                                            bewässerter Flächen verbraucht die Land-
zerstören.29 Nach dem neuesten Bericht des      Doch auch die Landnutzung der Ackerflächen       wirtschaft Schätzungen zufolge inzwischen
Weltbiodiversitätsrates (IPBES) könnte die      geschieht eher extensiv, das heißt, es kom-      70 Prozent der weltweiten Süßwasserre-
Kombination von Landdegradierung und            men kaum produktivitätssteigernde Mittel         serven, was gerade in Gebieten mit einge-
Klimawandel die weltweiten Ernteerträge um      wie Dünger oder Bewässerung zum Einsatz.         schränktem Zugang zu sauberem Trinkwasser
durchschnittlich zehn Prozent, in einigen Re-   Die Grüne Revolution, die von den 1960er         zum Problem werden kann.36 In Regionen
gionen aber um bis zu 50 Prozent reduzieren.    Jahren an die Flächen- und Arbeitsproduk-        mit hoher Verdunstungsrate hat Bewässe-
                                                tivität der Landwirtschaft in weiten Teilen

                                                                                                              Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit   9
rung ohne ausreichende Entwässerung der              der Anbau überwiegend in den Händen klein-             Land angeeignet hatten – in Kenia und im
Felder zur Folge, dass die Böden versalzen.          bäuerlicher Familienbetriebe. Die meisten              südlichen Teil des Kontinents, in Südafrika,
Da der Schwerpunkt der Grünen Revolution             Kleinbauern sind arm und ihre Produktion               Sambia und Simbabwe.41
auf der Ertragssteigerung von Reis, Weizen           dient hauptsächlich der Subsistenz, also der
und Mais lag, ist überdies die Vielfalt der          eigenen Versorgung. Sie haben kaum Zugang              An der Produktion von Cash Crops für den
landwirtschaftlich angebauten Pflanzen und           zu Kapital, um in Verbesserungen investieren           Export, beispielsweise Kaffee oder Zucker-
Sorten zurückgegangen. Damit sind auch               zu können, und zu jenen Mitteln und Metho-             rohr, sind große wie kleine Landwirtschafts-
die Ernährungsmuster unausgewogener                  den, mit denen sie ihre Produktivität steigern         betriebe beteiligt. So arbeiten manche
geworden, Mangelernährung hat deutlich               und sich Absatzmärkte erschließen könnten.             Kleinbauern als Vertragsproduzenten für
zugenommen.37                                        In vielen entlegenen Regionen mangelt es               große Unternehmen oder als Mitglieder von
                                                     nach wie vor an Verkehrswegen, auf denen               Erzeugergenossenschaften. Hauptsächlich
Arm und abgehängt                                    die Bauern, so sie denn über den eigenen               bauen die Kleinbauern aber afrikanische
                                                     Bedarf hinaus produzieren, Erzeugnisse auf             Grundnahrungsmittel wie Maniok (Kassave),
In Subsahara-Afrika sind weder die Erfolge           den Markt im nächsten größeren Ort bringen             Yamswurzeln, Sorghum und andere Hirsear-
noch die Fehlentwicklungen der Grünen                und sich dort mit Dünger und anderen Hilfs-            ten, Mais, Reis und Weizen an. Die Mehrheit
Revolution angekommen. Warum? Die                    mitteln eindecken könnten.                             der Landwirtschaftsbetriebe versorgt somit
Einführung neuer Technologien sei an der                                                                    sich selbst und die nähere Umgebung. Dass
Vielfalt der Anbausysteme und am Wasser-             80 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in              ihre Produktion nicht ausreicht, die gesam-
mangel gescheitert, an einem „ungeeigneten           Afrika südlich der Sahara sind kleinbäuerli-           ten Bevölkerungen zu versorgen, liegt nicht
agrarpolitischen Umfeld und fehlgeleiteten           che Familienbetriebe. Praktisch alle Haushal-          daran, dass die Kleinbauern nur über kleine
philanthropischen Interventionen“, so die            te, die Ackerbau betreiben, bewirtschaften             Betriebsflächen verfügen, sondern dass sie
Erklärungsversuche.39 Fest steht, dass sich          weniger als fünf Hektar Land, drei Fünftel             wenig effizient wirtschaften und überdies
an der historisch gewachsenen Struktur der           von ihnen sogar weniger als einen Hektar.40            aus Mangel an Wissen und Kapital oft ihre
Landwirtschaft südlich der Sahara bis heute          Größere Betriebe finden sich bis heute vor             eigene Lebensgrundlage zerstören.
wenig geändert hat: Damals wie heute liegt           allem dort, wo sich einst Siedler aus Europa

Wo die Grüne Revolution                      Tonnen pro Hektar
ausgeblieben ist                             5

Die Bauern auf dem afrikanischen Konti-
nent haben ihre Erträge seit dem Beginn                                                                                              Südamerika
der Grünen Revolution in den 1960er                                                                                                  Europa
Jahren im internationalen Vergleich nur      4                                                                                       Asien
wenig steigern können. Einzig im südlichen
Afrika reichen die Fortschritte an jene in
Südamerika, Europa oder Asien heran.                                                                                                 südliches
Besonders Südafrika mit seiner Vielzahl                                                                                              Afrika
größerer Betriebe tat sich leichter darin,   3
das Rezept der Grünen Revolution zu über-
nehmen. Dennoch kam es im südlichen
Afrika durch Dürren zeitweilig zu starken
                                                                                                                                     nördliches
Einbrüchen.                                                                                                                          Afrika
                                             2
                                                                                                                                     östliches
Zusammengefasste Flächenerträge für                                                                                                  Afrika
Weizen, Mais, Reis und andere Getreide
in verschiedenen Weltregionen, in Tonnen                                                                                             westliches
                                                                                                                                     Afrika
pro Hektar, 1961 bis 2016
(Datengrundlage: FAO38)                      1                                                                                       Zentralafrika

                                             0
                                                 1961   1966     1971   1976   1981   1986   1991   1996   2001   2006 2011   2016

10 Berlin-Institut
Wirtschaften mit einfachsten Mitteln
                                                Wie „typische“ Kleinbauern in Afrika
Die Bedingungen in den verschiedenen            südlich der Sahara leben und arbeiten
Ländern sind unterschiedlich, im Allge-
meinen arbeiten die kleinen afrikanischen       Tingoli, Botingli und Kpalung sind drei       oder bringen bei finanziellen Engpäs-
Familienbetriebe jedoch überwiegend mit         Dörfer in der Northern Region Ghanas,         sen auf dem Markt im zehn Kilometer
einfachsten Mitteln, viel Handarbeit und        die von Savannen mit lockeren Baumbe-         entfernten Nyankpala ein paar Cedi ein.
bestenfalls mit Ochsen als Zugtieren für        ständen geprägt ist. Rund 80 Kleinbauern-     Besser gestellte Bauern halten Ziegen,
Pflüge. Neben Acker- und Gartenbau halten       haushalte gibt es in den drei Orten. Neben    Schafe oder Rinder, die sie teilweise
die Familienbetriebe vielleicht noch ein paar   dem Haushaltsvorstand – typischerweise        auf dem Markt verkaufen, sowie Bullen
Hühner, Schweine oder Rinder, um ab und         männlich – zählen diese durchschnittlich      als Zugtiere. Indessen sind die meisten
zu Fleisch essen, Milch trinken sowie Dung      14 Häupter, im Höchstfall sind es über 30     Haushalte auf zusätzliches Einkommen
für die Felder gewinnen zu können. Saatgut      Familienangehörige und nahe Verwandte.        aus nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten
behalten die Kleinbauern von der letzten        Sie leben auf einer Art Hof mit Wohnge-       angewiesen, um ihren Lebensunterhalt
Ernte ein oder tauschen es untereinander        bäuden. Die dazugehörigen Felder sind         bestreiten, das heißt, Schulgeld für die Kin-
aus. Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbe-      kreisförmig um diesen „compound“ herum        der, Medikamente, Kosmetika, Treibstoff
fall können zu Ernteeinbußen von bis zu 30      angeordnet. Ein Haushalt bewirtschaftet       für das Motorrad oder Mobiltelefonkosten
Prozent führen.42 Und selbst bei einer guten    im Mittel knapp vier Hektar, ist aber oft     bezahlen oder Nahrungsmittel zukaufen
Ernte kommt es oft noch zu Verlusten durch      keine ökonomische Einheit. Junge Männer       zu können: Öl, Fisch, Tomatenmark, Zucker
Feuchtigkeit, Schimmel oder Rattenfraß. Es      und Frauen haben in der Regel ihre            und Gemüse.
fehlt an Lager- und Kühlmöglichkeiten. Bei      eigenen Felder, helfen aber auch auf den
Obst werden die Nachernteverluste auf bis       Feldern des Haushaltsvorstands.               Bewässerung gibt es nicht. Die Kleinbau-
zu 56 Prozent geschätzt.43 Auch drohenden                                                     ern in den drei Dörfern düngen mit Dung
Ertragseinbußen durch Dürren oder Über-         Das „tägliche Brot“ besteht hier aus Mais,    der Rinder, die auf den Ernterückständen
schwemmungen können die afrikanischen           Maniok (Kassave) und Yams. Mais wächst        weiden. Wenn in der Regensaison das Nass
Kleinbauern wenig entgegensetzen. 2014          auf etwa der Hälfte aller Ackerflächen, der   ausbleibt, fallen die Ernten noch bescheide-
waren nur 650.000 Bauern in Afrika gegen        Rest ist eine Mischung aus Feldfrüchten,      ner aus als in normalen Zeiten. Mineraldün-
landwirtschaftliche Risiken versichert, im      Garten- und Dauerkulturen wie Kochbana-       ger, verbessertes Saatgut und Pflanzen-
Vergleich zu 33,2 Millionen allein in Indien.   nenstauden und Mangobäumen. Bei der           schutzmittel wären eigentlich verfügbar.
Die ärmsten Kleinbauernhaushalte können         Vorbereitung der Felder lassen die Bauern     Ghana hat den Markt für diese produkti-
auch nicht auf Erspartes oder auf Einkommen     zwei natürliche Baumarten wegen ihrer         onssteigernden Mittel liberalisiert und es
von Familienmitgliedern, die in anderen         Nutzungsmöglichkeiten hochwachsen:            gibt genügend Dorfläden, die sie anbieten.
Sektoren beschäftigt sind, zurückgreifen, um    Shea- und Nérébäume. Diese stehen daher       Den meisten Kleinbauernhaushalten fehlt
Verluste abzufedern. Sie sind von Nahrungs-     auf allen Ackerflächen. Kleinbauern, die      es jedoch an Erspartem oder an Zugang zu
mittelhilfen abhängig.44 Hinzu kommt, dass      über weniger als zwei Hektar verfügen,        Krediten, um sie kaufen zu können.
es häufig an Informationen dazu mangelt,        versorgen überwiegend sich selbst.
welche Marktpreise sich mit unterschiedli-      Wenn sie einmal Überschüsse erzeugen,         Ein Problem ist die Abwanderung. Junge
chen landwirtschaftlichen Produkten sowie       verkaufen sie diese an reisende Aufkäufer.    Erwachsene verlassen die Dörfer nicht
saison- und jahresabhängig erzielen lassen.     Haushalte mit größeren Flächen bauen          nur, um in die Städte zu gehen oder in
                                                zusätzlich Cash Crops wie Reis, Erdnuss,      den Goldminen des Landes zu arbeiten,
Hohe Risiken hemmen Investitionen               Soja- und Augenbohne an. Mit dem              sondern auch weil sie oft keinen Zugang
                                                Verkauf erzielen manche über 80 Prozent       zu Land bekommen. Sie fehlen vor allem
Die Kleinbauern tragen somit das volle Risiko   ihres Haushaltseinkommens.                    in Zeiten, in denen viel Arbeit anfällt, beim
von Ernteausfällen und Marktpreisschwan-                                                      Pflügen oder Ernten. In den drei Dörfern
kungen. Folglich sind sie vorrangig darum       Praktisch jeder Haushalt verfügt über ein     in der Nordregion helfen sich Bauern und
bemüht, kurzfristig ihr Überleben zu sichern,   paar Hühner. Diese kommen zu beson-           Nachbarn gegenseitig aus. Einige wenige
als kommerziell zu denken und langfristig be-   deren Gelegenheiten in den Kochtopf           können bezahlte Kräfte oder Lohnunter-
triebswirtschaftliche Gewinne einzufahren.                                                    nehmen beschäftigen.45
Danach richten sie ihre Entscheidungen aus:

                                                                                                            Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit 11
Unterschiedlicher Einsatz
                                                         verbessertes                                                               Uganda
produktionssteigernder Mittel                            Saatgut*                                                                   Tansania
Einer Befragungsstudie bei 22.000 bäuerlichen                                                                                       Nigeria
Haushalten in sechs afrikanischen Ländern zufolge                                                                                   Niger
setzt weniger als ein Zehntel davon künstliche           Bewässerung                                                                Malawi
Bewässerung ein. Dünger, verbessertes Saatgut und
                                                                                                                                    Äthiopien (2010)
Pflanzenschutzmittel nutzen die Haushalte in sehr
unterschiedlichem Ausmaß und häufig einzeln anstatt
als Gesamtpaket. Haushalte in Äthiopien düngen
insgesamt mehr als jene in Uganda oder Malawi.           organischer
Äthiopien weist denn auch mit 2,5 Tonnen je Hektar       Dünger
höhere Getreideerträge auf als Uganda und Malawi
mit 1,9 respektive 1,4 Tonnen je Hektar.46

Anteil der landwirtschaftlich tätigen Haushalte, die     Mineraldünger
moderne Anbaumethoden nutzen, in sechs afrikani-
schen Ländern, in Prozent, 2011
(Datengrundlage: World Bank LSMS-ISA47)
                                                         Pflanzen-
                                                         schutzmittel
*
    Daten nur für zwei Länder
                                                                                                                                             in Prozent
                                                                         0           20               40            60             80              100

welche Pflanzen sie anbauen oder ob es sich            um Überschüsse zu produzieren. Zugleich             steht. Wenn die Vorräte zur Neige gehen,
lohnt, ihre knappen Geldmittel in verbesser-           können sie auch das ihnen zugewiesene Land          bevor die nächste Ernte reif ist, müssen
tes Saatgut oder Dünger zu investieren. In             nicht verpachten oder verkaufen. Denn das           die Kleinbauern aber Grundnahrungsmittel
einigen Ländern leisten Frauen ein Viertel bis         traditionelle System lässt offen, wer letztlich     zukaufen – zu höheren Preisen.52 Wenn sie
über die Hälfte der Arbeit, entscheidungsbe-           über Gemeinschaftsbesitz und dessen                 Wasser aus Sammelbecken, Brunnen oder
fugt sind allerdings meist die Männer.48               Nutzung entscheiden darf. Da in jüngster Zeit       Gewässern auf ihre Felder leiten würden,
                                                       die Nachfrage nach Land und damit auch die          könnten sie mehrmals jährlich ernten und
Hemmend auf die Investitionsfreudigkeit der            Preise gestiegen sind, kommt es häufiger            bessere Erträge erzielen. Aber in Subsahara-
Kleinbauern wirkt überdies, dass ihnen das             zu Streitigkeiten. In Äthiopien dreht sich          Afrika stehen nur etwa vier bis fünf Prozent
Land, das sie bewirtschaften, nur selten ge-           mindestens ein Drittel der Zivilprozesse um         der Anbauflächen unter künstlicher Bewäs-
hört. In einigen Ländern, darunter Äthiopien,          Landrechte, in Ghana ist es die Hälfte.50 Gro-      serung, meist von größeren Betrieben.53
gehört das Land dem Staat, der den Bauern              ße Investoren der kommerziellen Landwirt-           Zum Vergleich: In den Schwellen- und wenig
(und auch ausländischen Investoren) Nut-               schaft haben in der Vergangenheit zu Konflik-       entwickelten Ländern Südasiens werden 39
zungsrechte nur verleiht.49 In vielen Teilen           ten beigetragen – weil lokale Gemeinschaften        Prozent der Anbauflächen bewässert, im
Afrikas ist Land historisch Gemeinschafts-             bei der Landvergabe an Investoren nicht             Nahen Osten und Nordafrika 33 Prozent.54
besitz, wobei nahezu jeder Haushalt eines              einbezogen wurden, weil die vorgesehenen            Bauern in Malawi bewässern nur drei Prozent
Dorfes das Recht hat, eine bestimmte Fläche            Entschädigungen unzureichend waren oder             ihrer Flächen. Dabei beheimatet das Land
landwirtschaftlich zu nutzen. Vor allem in             nicht bei den Menschen ankamen, die zuvor           mit dem Malawisee Afrikas drittgrößten
West- und Zentralafrika bestimmen diese an-            auf dem Land gewirtschaftet hatten.51               Frischwassersee.55 Schätzungen zufolge
gestammten Rechte über geschätzte 90 bis                                                                   nutzt Subsahara-Afrika ohne Südafrika nur
95 Prozent des Ackerlands, das sich überwie-           Ohne Wasser und Nährstoffe                          10 Prozent des vorhandenen Potenzials zur
gend in Gemeinschaftsbesitz befindet. Das              wächst nichts                                       Bewässerung, während Nordafrika 80 Pro-
traditionelle System, das den Landbewoh-                                                                   zent der verfügbaren Reserven erschlossen
nern südlich der Sahara als Lebensgrundlage            Die afrikanischen Kleinbauern verlassen             hat – teilweise jedoch bereits begonnen hat,
dient, birgt jedoch große Nachteile: Einmal            sich überwiegend auf den Regen, um den              Grundwasservorräte anzuzapfen.56, 57
nimmt es den Kleinbauern die Möglichkeit, an           Wasserbedarf ihrer Kulturen zu decken. In
bankübliche Kredite zu kommen, da sie keine            der Trockenzeit lassen sie die Felder häufig        Ein Grund für die geringe Nutzung liegt
Sicherheiten bieten können. Sie können keine           brachliegen. Das heißt, dass zur Erntezeit          darin, dass Bewässerungssysteme meist
zusätzlichen Flächen pachten oder kaufen,              zwar ausreichend Nahrung zur Verfügung              kapitalintensiv sind. Insgesamt nutzen

12 Berlin-Institut
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