Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit - Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss - Berlin-Institut für Bevölkerung und ...
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Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit Was Afrikas Landwirtschaft leisten muss Chancen, große Herausforderungen +++ afrikanische Bauern wirtschaften wenig produktiv +++ aus Erfahrungen und Fehlentwicklungen in Europa lernen +++ nachh + Bauern an Märkte anschließen +++ Unternehmergeist fördern +++ Wertschöpfungsketten aufbauen +++ Arbeitsplätze für wachsende Bevölkerungen auf dem Lan
Impressum August 2018 © Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Sämtliche, auch auszugsweise Verwertung bleibt vorbehalten. Herausgegeben vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Schillerstraße 59 10627 Berlin Telefon: (030) 22 32 48 45 Telefax: (030) 22 32 48 46 E-Mail: info@berlin-institut.org www.berlin-institut.org Das Berlin-Institut finden Sie auch bei Facebook und Twitter (@berlin_institut). Lektorat: Theresa Damm Design: Jörg Scholz (www.traktorimnetz.de) Layout und Grafiken: Christina Ohmann (www.christinaohmann.de) Druck: Laserline Berlin Einige thematische Landkarten wurden auf Grundlage des Programms EasyMap der Lutum+Tappert DV-Beratung GmbH, Bonn, erstellt. ISBN: 978-3-946332-98-5 Die Autoren Sabine Sütterlin, 1956, Diplom in Naturwissenschaften an der ETH Zürich. Freie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Alexandra Reinig, 1989, Masterstudium in Soziologie an der Universität Bielefeld. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Dr. Reiner Klingholz, 1953, Promotion im Fachbereich Chemie an der Universität Hamburg. Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Das Berlin-Institut dankt der Bayer-Stiftung und dem Förderkreis für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Studie.
INHALT Vorwort: Afrika muss auf die Überholspur.......................................................................................... 2 Das Wichtigste in Kürze ......................................................................................................................... 4 1 | VIELE CHANCEN, GROSSE HERAUSFORDERUNGEN................................................................ 6 1.1 Die Vision von der Transformation........................................................................................ 6 1.2 Die Herausforderungen .......................................................................................................... 8 1.3 Leapfrogging – ohne Umwege zum Ziel ............................................................................. 14 1.4 Landwirtschaft im Vergleich................................................................................................ 15 2 | WANDEL IN EUROPA ..................................................................................................................... 19 2.1 Viel Zeit für die Transformation ........................................................................................... 19 2.2 Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten ................................................................................ 24 2.3 Welcher Weg zu mehr Nachhaltigkeit?............................................................................... 26 3 | AUS ERFAHRUNG LERNEN ........................................................................................................... 28 3.1 Großer Sprung in kleinen Schritten .................................................................................... 28 3.2 Wie Afrikas Bauern produktiver werden ........................................................................... 29 3.3 Der Rahmen muss stimmen ................................................................................................ 37 Quellen .................................................................................................................................................. 49 Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit 1
AFRIKA MUSS AUF DIE ÜBERHOLSPUR Die zahlreichen Probleme, mit denen die In allen Ländern, die sich je entwickelt Sinkende Kinderzahlen sind meisten Länder Afrikas südlich der Sahara haben, gibt es einen klaren Zusammenhang ein Erfolg der Menschheit seit vielen Jahren zu kämpfen haben, werden zwischen der Verbesserung der Lebensbe- durch einen Umstand weiter verschärft: das dingungen und sinkenden Fertilitätsraten. Erst mit einer gewissen Verzögerung, mit hohe Bevölkerungswachstum. Dieses Wachs- Dieser Prozess ist Teil des „demografischen sich ausbreitendem Wohlstand und mehr tum ist überall dort nicht nachhaltig, wo es Übergangs“, der als bisher einzige Theorie Bildung, beginnen die Menschen ihr Leben nicht gelingt, die Infrastruktur entsprechend den Entwicklungsweg sämtlicher Länder individueller zu planen. Damit sinken dann der Zahl der Menschen ausreichend schnell beschreiben kann. Er setzt stets in der vor- auch die Geburtenziffern. Nach einer Weile auszubauen und deren Grundbedürfnisse industriellen Phase ein, in der die Menschen klingt das Bevölkerungswachstum aus. Der zu befriedigen. Es fehlt an Schulen und viele Kinder bekommen. Aufgrund unzurei- demografische Wandel ist also ein Zeichen Gesundheitsdiensten, Stromnetzen, Nahrung chender Ernährung, mangelnder Hygiene für den Erfolg des Homo sapiens, die Folge und Transportmitteln. Vor allem gibt es nicht und begrenzter wirtschaftlicher Möglich- der Tatsache, dass es den Menschen immer genug Arbeit für die rasch wachsenden, keiten sterben aber auch viele Mitglieder besser geht. jungen Generationen. der Gesellschaft, vor allem in jungen Jahren, weshalb die Bevölkerung kaum oder gar nicht Wie ließe sich das Problem einer wachsenden Damit stecken diese Länder in einer Art wächst. Wenn irgendwann die Lebensbe- Menschheit auf einem begrenzten Planeten Entwicklungsfalle: Ohne wirtschaftliche dingungen günstiger werden, mit Produk- humaner und effizienter lösen als durch eine Chancen, ohne bessere Bildung und Einkom- tivitätsfortschritten in der Landwirtschaft, Verbesserung der Lebensbedingungen? mensmöglichkeiten dürften die Kinderzahlen einer verbesserten Ernährung, hygienischen noch lange auf hohem Niveau bleiben. Das und medizinischen Errungenschaften, sinkt Die Hoffnung, dass sich der demografische wiederum bedeutet, dass die Lösung der die Sterblichkeit. Weil die Kinderzahlen aber Übergang in den am wenigsten entwickelten Probleme nicht eben leichter wird und die zunächst noch hoch bleiben, wächst die Ländern 1:1 wiederholt, hat sich bisher nicht Phase eines starken Bevölkerungswachs- Bevölkerung mit einem Mal stark. Praktisch erfüllt. Zwar ist die Sterblichkeit auch in tums anhält. Frustration unter den jungen alle Länder haben diese Phase des starken den ärmsten afrikanischen Ländern bereits Menschen, soziale Konflikte, Unzufriedenheit Wachstums bereits hinter sich, einige, vor deutlich gesunken, unter anderem durch hu- mit den politisch Verantwortlichen, Unruhen allem in Afrika, erleben sie heute noch. manitäre Entwicklungs- und Hilfsprogramme, bis hin zu Terror, Flucht und Vertreibung sind die für sauberes Trinkwasser, Impfkampag- die Folgen. Sie häufen sich gerade dort, wo nen oder Lebensmittelhilfen gesorgt haben. Bevölkerungswachstum und Entwicklungs- All dies geschah mit besten Absichten. Aber perspektiven auseinanderlaufen. diese Interventionen von außen hatten einen ungewollten Nebeneffekt: Sie haben zwar er- freulicherweise das Sterben vieler Menschen verhindert, aber nicht für jene sozioökonomi- sche Anschlussentwicklung gesorgt, welche die Lebensperspektiven weiter verbessert und dann auch die Geburtenziffern entspre- chend sinken lässt. 2 Berlin-Institut
Deshalb eröffnet sich bisher für die wenigs- Subsahara-Afrika kann dabei von den Die vorliegende Studie zeigt an vielen Bei- ten afrikanischen Staaten die Hoffnung auf Erfolgen anderer Weltregionen lernen, etwa spielen, wie und wo Afrika südlich der Sahara eine „demografische Dividende“. Die lässt von Europa, wo es in den letzten 100 Jahren auf die Überholspur der Entwicklung gelan- sich erst einfahren, wenn die Kinderzahlen gelungen ist, die Landwirtschaft so auf gen könnte. Wir sind weit davon entfernt zu deutlich zurückgehen und die letzten gebur- Vordermann zu bringen, dass die Versorgung glauben, dass sich damit alle Probleme des tenstarken Jahrgänge ins Erwerbsalter hinein- der Bevölkerung mit hochwertigen Lebens- Kontinents werden lösen lassen. Aber wir wachsen. Wenn es gelingt, die große Zahl an mitteln mehr als gesichert ist. Afrika sollte sind sicher, dass sich die Produktivität der jungen Menschen ausreichend zu qualifizie- bei diesem Aufholprozess aber tunlichst jene Landwirtschaft mit geeigneten Innovationen ren und mit Beschäftigung zu versorgen, lässt Fehler vermeiden, die sich in Europa und schnell und nachhaltig verbessern lässt. sich eine sich selbst beschleunigende, wirt- anderswo während der Intensivierung der schaftliche Entwicklung nicht mehr aufhalten. Landwirtschaft eingeschlichen haben, von Dass Afrika dringend auch in anderen Rund ein Drittel des Wirtschaftswachstums der Gefährdung des Grundwassers durch Bereichen Verbesserungen erfahren muss, in den erfolgreichen asiatischen Tigerstaaten Einträge aus Düngemitteln und Pestiziden bis liegt auf der Hand. Gefordert sind dabei lässt sich allein auf die Nutzung der demogra- hin zum Artenschwund als Folge großflächi- nationale wie internationale Akteure: fischen Dividende zurückführen. ger Monokulturen. Afrikas Handelspartner müssen zulassen, dass sich Afrika vor billigen Agrarimporten Die Zeit drängt Die Zukunft erfordert große Sprünge schützen kann und die Importbedingungen für afrikanische Produkte verbessern. Die In Afrika muss es deshalb gelingen, die Afrika südlich der Sahara kann – und muss Entwicklungszusammenarbeit muss Projekte Entwicklung möglichst schnell auf den Weg – deshalb viele der Verfahren und techno- und Programme aufeinander abstimmen und einer demografischen Dividende zu leiten. logischen Entwicklungen, die Europa einst mit der Privatwirtschaft kooperieren, um die Dabei drängt die Zeit, denn das Bevölke- vorangebracht haben, überspringen, um nachhaltige Intensivierung sozial verträglich rungswachstum in Afrika hält bereits länger sofort zu einer produktiven und gleichzeitig zu gestalten. Vor allem aber müssen die Re- an und es ist deutlich höher, als es der schonenden Agrarwirtschaft zu gelangen. gierungen der subsaharischen Länder stärker wirtschaftliche Entwicklungsstand eigentlich Das Ziel lässt sich mit dem Begriff einer als bisher die Entwicklung ländlicher Räume erlaubt. Fortschritte sind vor allem in den „nachhaltigen Intensivierung“ umreißen. Der auf die Agenda nehmen, in landwirtschaft- ländlichen Gebieten nötig, denn dort sind die Kontinent muss den Nutzen aus den besten liche Forschung investieren und das Wissen Perspektiven der Menschen am schlechtesten heute verfügbaren Agrartechniken ziehen unter die Landwirte bringen. Sie müssen das und entsprechend die Kinderzahlen je Frau und alles, was sich anderswo als schädlich private Unternehmertum fördern und den am höchsten. herausgestellt hat, unterlassen. Bauern Landrechte garantieren. Die ökonomische Entwicklung hat in anderen Dieser Einsatz moderner Mittel unter Verzicht Afrika hat keine andere Wahl. Ländern in der Regel mit Fortschritten in auf veraltete Zwischenschritte, auch als der Agrarwirtschaft begonnen, mit einer „Leapfrogging“ bezeichnet, könnte Afrika Verbesserung der Produktionsverfahren, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern in Berlin, im Juni 2018 höheren Erträgen und der Möglichkeit, allen wirtschaftlichen und gesellschaftli- Feldfrüchte und Nutztiere gewinnbringend zu chen Bereichen helfen seinen erheblichen Reiner Klingholz handelstauglichen Lebensmitteln weiterzu- Entwicklungsrückstand aufzuholen. Das Direktor, Berlin-Institut für Bevölkerung und verarbeiten. klassische Beispiel, wie das gelingen kann, ist Entwicklung die Möglichkeit mobil zu telefonieren. Anstatt über Jahre und mit enormem Aufwand den ganzen Kontinent mit Kupferleitungen zu verkabeln, hat man dort direkt und schnell in mobile Netze investiert. In der Folge sind heute viele Regionen Afrikas besser vernetzt als mancher ländliche Raum in Deutschland. Mobiles Banking und bargeldloses Bezahlen sind weiter verbreitet als hierzulande. Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit 3
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE Viele Chancen, Allerdings gibt es dabei große praktische später in den Entwicklungs- und Schwellen- große Herausforderungen Herausforderungen zu meistern: Die Flächen- ländern stets die Verbesserung der Primär- und Arbeitsproduktivität der Landwirtschaft produktion am Anfang des sozioökonomi- Afrikas Landwirtschaft kann zurzeit die ist bislang gering. 80 Prozent der Landwirt- schen Entwicklungsprozesses gestanden eigene Bevölkerung nicht ernähren, hat aber schaftsbetriebe in Afrika südlich der Sahara hat. In vorindustrieller Zeit haben Bauern in das Potenzial, zum Entwicklungsmotor für sind kleinbäuerliche Familienbetriebe. Sie Europa auf ähnlichem Niveau gewirtschaftet den Kontinent zu werden. Das klingt nach wirtschaften im Allgemeinen wenig effizient, wie die Mehrheit der afrikanischen Kleinbau- einer steilen These, bilden die Länder südlich vor allem, weil es ihnen an Zugang zu Know- ern heute, was den Einsatz von Arbeitskraft der Sahara – nur um diese geht es in der how und zu Kapital sowie an gesicherten und Hilfsmitteln angeht, und ähnlich geringe vorliegenden Studie – doch die Weltregion Landrechten mangelt. Nur wenige setzen Erträge erzielt. mit dem niedrigsten Entwicklungsstand und moderne produktionssteigernde Mittel wie dem höchsten Bevölkerungswachstum. Mineraldünger, Bewässerung oder Maschinen Heute holen sie unter Einsatz von Energie ein. Teilweise schädigen sie sogar die emp- und Kapital, dafür mit weit geringerem Die Voraussetzungen wären jedoch theore- findlichen Böden durch schlecht angepasste Arbeitsaufwand viel mehr aus Ackerflä- tisch gegeben: Der Kontinent verfügt über Nutzungsmethoden. Dürren, Starkregen und chen und Vieh heraus als die meisten ihrer rund ein Viertel der Flächen weltweit, die andere Folgen des Klimawandels verschlech- Kollegen südlich der Sahara. Die zunehmende sich für Ackerbau und Viehhaltung eignen. tern die Sicherung der Ernährung noch. Intensivierung hat aber auch zu Belastungen Er bietet günstige klimatische Bedingungen Während viele Menschen an Mangel- oder für die Ökosysteme und für die Gesundheit für gute Ernten. Ein großes Reservoir an Fehlernährung leiden, wächst gleichzeitig der Menschen geführt. Und sie trägt massiv Arbeitskräften steht bereit. Und sowohl bei in den Ballungsräumen eine Mittelschicht zum menschengemachten Klimawandel bei. den Regierungen der 49 Staaten zwischen heran, die „westliche“ Ernährungsgewohn- Im Zuge dieser Entwicklungen ist die der Sahelzone und dem Kap der Guten heiten übernimmt und damit auch „Zivilisati- Landwirtschaft immer produktiver gewor- Hoffnung als auch bei der internationalen onskrankheiten“ wie Übergewicht und seine den. Somit vermochten die Bauern nicht Entwicklungszusammenarbeit hat sich die Folgeerscheinungen. nur wachsende Bevölkerungen zu ernähren, Erkenntnis durchgesetzt, dass der dringend sondern sie schufen auch Einkommen – und notwendige Entwicklungssprung beim Agrar- Allmählicher Wandel in Europa Arbeitskräfte wurden freigesetzt. Diese sektor ansetzen muss, dem lange keine große fanden Beschäftigung in den vor- und Aufmerksamkeit galt. Der Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass nachgelagerten Bereichen der Landwirt- sowohl in den früh industrialisierten als auch schaft, von Landmaschinenherstellern bis Anhaltendes Wachstum In den Ländern Afrikas südlich der Sahara bekommen Frauen durchschnittlich 5 Kinder – 3,4 mehr als Frauen in der EU-28 im Mittel. Die Bevölkerungen wachsen deshalb rasant. Nach Vorausschätzungen der Vereinten Nationen dürfte sich die Zahl der Menschen in vielen Ländern bis 2050 verdoppeln, in einigen sogar verdreifachen. Insgesamt dürfte Subsahara-Af- rika dann 2,2 Milliarden Häupter zählen, 1,2 Milliarden mehr als heute. Dieses Wachstum lässt sich kaum mehr abwenden, denn die meisten Eltern von morgen sind bereits geboren. unter 0 Es würde sich jedoch bremsen lassen, wenn mehr Menschen, insbesondere Mädchen, Zugang zu Bildung erhielten. Denn 0 bis unter 25 je länger junge Frauen eine Schule besuchen, desto weniger 25 bis unter 50 Kinder wünschen sie sich und desto besser vermögen sie 50 bis unter 75 diesen Wunsch auch umzusetzen. 75 bis unter 100 100 bis unter 125 Vorausgeschätztes Bevölkerungswachstum, weltweit, in Prozent, 2018 bis 2050 125 bis unter 150 (Datengrundlage: UNDESA1) 150 und mehr 4 Berlin-Institut
Die afrikanische Landwirtschaft muss produktiver werden Seit Anfang der 1960er Jahre hat sich die Versorgung mit Nahrung in allen Weltregionen verbessert, außer in Euro- pa und Ozeanien, wo sie durchgängig gleich gut war.2 In einigen Ländern Subsahara-Afrikas steht aber pro Kopf und Tag immer noch weniger als der durchschnittliche Mindest-Energiebedarf von 2.100 Kilokalorien zur Ver- unter 2.100 fügung. Die Landwirtschaft muss dort erst einmal für Er- 2.100 bis unter 2.300 nährungssicherheit sorgen. Wenn es dann gelingt, sie so 2.300 bis unter 2.500 zu entwickeln, dass sie mehr Menschen in Arbeit bringt 2.500 bis unter 2.700 und ihnen damit eine Zukunftsperspektive gibt, kann sie zum Entwicklungsmotor für den ganzen Kontinent 2.700 bis unter 2.900 werden – und letztlich dazu beitragen, das Bevölkerungs- 2.900 bis unter 3.100 wachstum langfristig zu bremsen. 3.100 bis unter 3.300 3.300 bis unter 3.500 VerfÜgbarkeit von Nahrungsmitteln im Durchschnitt, nach Ländern, in Kilokalorien pro Kopf und Tag, 2013 3.500 und mehr (Datengrundlage: FAO3) unzureichende Daten zu Verarbeitungsbetrieben wie Molkereien, müssen sie zunächst einmal Ernährungs- dest, welche vielversprechenden Ansätze es in der Industrie im Allgemeinen sowie im sicherheit schaffen. Dafür müssen sie sich gibt, aus den Erfahrungen im Guten wie im wachsenden Dienstleistungssektor. organisieren, um besser an Wissen und Schlechten zu lernen und Entwicklungsschrit- Ressourcen zu kommen und sich Märkte für te zu überspringen. Aus Erfahrung lernen: ihre Produkte zu erschließen. Die Menschen Leapfrogging für Afrika auf dem Land müssen unternehmerisch Aus Platzgründen ist die Auswahl beschränkt. aktiv werden, Rohprodukte verarbeiten und Wir haben darauf geachtet, dass möglichst Afrika bleibt im Vergleich zu Europa sehr veredeln, um die Abschöpfung des dabei unterschiedliche Länder mit Beispielen aus wenig Zeit, um die Landwirtschaft voran- entstehenden Mehrwerts nicht Unternehmen unterschiedlichen landwirtschaftlichen und zubringen und sie zum Entwicklungsmotor in anderen Erdteilen zu überlassen. So ent- Verarbeitungs-Bereichen zur Sprache kom- zu machen. Das Bevölkerungswachstum ist stehen attraktive Arbeitsplätze auf dem Land. men: In Senegal zum Beispiel baut ein Vete- gerade auf dem Land besonders ausgeprägt, Der Aufbau eines „Agrifood“-Komplexes wird rinärmediziner eine Wertschöpfungskette für während die Städte hauptsächlich infolge von schließlich zum Transmissionsriemen für die einheimische Milch auf. In der Elfenbeinküste Zuwanderung aus ländlichen Gebieten wach- allgemeine Entwicklung. veredelt eine Frauen-Kooperative Roh-Kakao sen. Solange jedoch hohe Geburtenziffern zu feinster Schokolade. In Nigeria entwickelt das Bevölkerungswachstum beschleunigen, Afrikas Bauern brauchen dabei Unterstüt- ein Unternehmen High-Tech-Hilfsmittel, die fallen die wirtschaftlichen Fortschritte, pro zung seitens der staatlichen wie auch der sich auch weniger kapitalstarke Bauern leis- Kopf gerechnet, immer bescheidener aus. nichtstaatlichen Entwicklungsorganisatio- ten können. In Sambia setzt ein Projekt auf nen. Vor allem aber benötigen Bauern wie Fischzucht und Soja-Anbau, um die Landwirt- Indessen hat Afrika den Vorteil, dass es die auch heimische und ausländische Investoren schaft zu diversifizieren und attraktiver für teilweise langen Umwege der Entwicklung Regierungen, die den Bekenntnissen, mehr junge Menschen zu machen. In Malawi lernen überspringen und direkt auf dem neuesten für die Entwicklung der Landwirtschaft zu Maisbauern die Vorteile des Rotationsfeld- wissenschaftlichen Erkenntnisstand und den tun, auch Taten folgen lassen. baus wieder zu schätzen. Ein Auswahlkriteri- modernsten Technologien aufsetzen kann. um war auch, möglichst unterschiedliche In- Dieses „Leapfrogging“, also das Übersprin- Beispiele für gute Praxis itiativen zu erfassen, die den beschriebenen gen technologischer Entwicklungsstufen, die Projekten und Unternehmungen zugrunde sich als obsolet erwiesen haben, kann der Der hintere und umfangreichste Teil der liegen: Der Anstoß zur Veränderung ging mal Landwirtschaft auf die Beine helfen. Aus den vorliegenden Studie enthält neun Fallbei- von risikofreudigen Start-up-Gründern aus, europäischen Erfahrungen zu lernen heißt spiele, die zeigen, wie sich das Ziel erreichen mal von wissenschaftlichen Einrichtungen, daher: Afrikas Bauern müssen intensivieren, lässt, nachhaltig zu intensivieren, Wertschöp- mal von internationalen Organisationen. aber auf nachhaltige Weise und ohne dabei fungsketten aufzubauen und den Wandel aus die Fehler Europas zu wiederholen. Dabei eigener Kraft voranzutreiben – oder zumin- Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit 5
1 VIELE CHANCEN, GROSSE HERAUSFORDERUNGEN 1.1 Die Vision von drängt eine Vielzahl junger Menschen vor allem in den ausufernden Ballungsräumen in Hohe Ziele, aber noch kaum Erfolge der Transformation einen bereits überfüllten Arbeitsmarkt, der Das wachsende Bewusstsein dafür, dass die kaum neue Jobs zu schaffen vermag. Transformation bei der Landwirtschaft anset- These: Afrikas Landwirtschaft kann zurzeit zen muss, zeigt sich an dem „Comprehensive die eigene Bevölkerung nicht ernähren, hat Afrika braucht eine wirtschaftliche Transfor- Africa Agriculture Development Programme“ aber das Potenzial, zum Entwicklungsmo- mation, einen grundlegenden Wandel. Der (CAADP), das die Afrikanische Union schon tor für den Kontinent zu werden. Denkfabrik „African Center for Economic 2003 in der mosambikanischen Hauptstadt Transformation“ (ACET) zufolge müssen Maputo verabschiedet hat. Das „Programm Entwicklung muss sein die Länder dafür in fünf Handlungsfeldern zur umfassenden Entwicklung der Landwirt- vorankommen: Sie müssen diversifizieren, schaft Afrikas“ setzt den Rahmen für eine Afrika südlich der Sahara ist die Weltregion international wettbewerbsfähiger werden, Reform der Agrarpolitik in den Mitgliedstaa- mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen die Produktivität steigern, Technologien ten. Ziel ist erstens, mindestens zehn Prozent und dem höchsten Bevölkerungswachstum. verbessern und dafür sorgen, dass die Wohl- der nationalen Budgets in die Landwirtschaft Dieser kurze Satz bündelt die heutigen standsgewinne möglichst breiten Bevölke- zu investieren, und zweitens, die Produkti- Probleme und die Herausforderungen von rungsschichten zugutekommen. vität des Agrarsektors so zu steigern, dass morgen. Denn nur durch wirtschaftliche das landwirtschaftliche BIP jährlich sechs Entwicklung und neue Perspektiven für Der Landwirtschaft kommt dabei eine zen- Prozent zulegt. Die Regierungen sollen die re- die Menschen kann der Kontinent der Falle trale Rolle zu. ACET hat die Vision entwickelt, gionalen und nationalen Agrarmärkte stärken entkommen, in der ihn Armut und hohe „innerhalb einer Generation einen moder- und dafür sorgen, dass mehr landwirtschaftli- Kinderzahlen gefangen halten. Das Bruttoin- nen, wettbewerbsfähigen und ökologisch che Erzeugnisse exportiert werden. Sie sollen landsprodukt (BIP) Subsahara-Afrikas dürfte nachhaltigen Agrarsektor zu schaffen, der Forschung und Entwicklung im Agrarbereich Prognosen zufolge zwar 2018 um 3,4 und die Ernährung der Bevölkerung sichert, auf Weltniveau heben, sich für eine effektive 2019 um 3,5 Prozent steigen. Das reicht aber einer wachsenden Zahl von Bauern zu einer Landnutzung einsetzen und die Armut auf bei weitem nicht aus. mittelständischen Lebensweise verhilft und dem Lande reduzieren.7 die wirtschaftliche Transformation Afrikas Erstens liegt dieses Wachstum unter dem antreibt“.2 Auch die Entwicklungspolitik der Industrie- prognostizierten weltweiten Anstieg von länder, die der Landwirtschaft in den wenig jeweils 3,9 Prozent für die beiden Jahre.1 Mit dieser Vorstellung sind die ACET-Wissen- entwickelten Ländern kaum Beachtung Gerade arme Regionen müssen jedoch schaftler nicht allein. Auch die Vereinten Na- schenkte, bevor die zunehmende Verteue- überdurchschnittlich zulegen, um aufzuholen, tionen3, die Welternährungs- und Landwirt- rung vieler Grundnahrungsmittel 2007 in umso mehr, als die Zuwächse von einem sehr schaftsorganisation (FAO)4, die Weltbank5, einer globalen Ernährungskrise gipfelte, niedrigen Ausgangsniveau ausgehen. Sonst die „Alliance for a Green Revolution in Africa“ kümmert sich inzwischen intensiv um öffnet sich die Schere zwischen Arm und (AGRA)6 und nicht zuletzt die Regierungen Verbesserungen. Um die vielen Programme Reich immer weiter. vieler afrikanischer Länder selbst setzen und Projekte zur Armutsbekämpfung auf dem auf das Potenzial der Landwirtschaft, nicht Land und zur Produktivitätssteigerung der Zweitens wachsen die Bevölkerungen so nur die eigene Bevölkerung mit ausreichend Landwirtschaft umzusetzen, fehlt es teilweise stark, dass die Pro-Kopf-Wachstumsgewinne Nahrungsmitteln zu versorgen, sondern auch an Experten, sodass die Mittel nicht so vielerorts bescheiden ausfallen oder ganz zum Motor für die Entwicklung der Region schnell abfließen können, wie sie bereitge- ausbleiben. Das erschwert es, die erreichten zwischen den Ausläufern der Sahara und stellt werden. Fortschritte zu verstetigen. Schon heute dem Kap der Guten Hoffnung zu werden. 6 Berlin-Institut
Wo Nahrungsmittel knapp sind Bis in die 1960er Jahre konnte die afrikanische Landwirtschaft die Bevölkerung aus eigener Kraft ernähren.8 Heute ist Afrika südlich der Sahara weltweit am stärksten von Unterernährung betroffen. Insgesamt hat mehr als ein Fünftel der Menschen weniger Nahrung zur Verfügung als nötig wäre, um mindestens leichte körperliche Arbeiten zu verrichten und gesund zu bleiben.9 Ein Grund dafür ist die gerin- ge Produktivität des Landwirtschaftssektors. Verschlechtert wird die Sicherung der Ernährung durch Ernteausfälle infolge von Dürren und anderen Auswirkungen des Klimawandels. Besonders gravie- Nordafrika rend sind Hunger und Unterernährung dort, wo die 0 bis unter 5 Bauern aufgrund von Konflikten und Vertreibungen 5 bis unter 15 das Land nicht bestellen können und auch keine humanitäre Hilfe zu den Bedürftigen gelangen kann. 15 bis unter 25 25 bis unter 35 Anteil der unterernährten Menschen an der Bevölke- 35 bis unter 50 rung der Länder Subsahara-Afrikas, in Prozent, im 50 und mehr Durchschnitt der Jahre 2014 bis 2016 (Datengrundlage: FAO10) unzureichende Daten drohende Hungersnot (2017) An mangelnder Einsicht bei den Geldgebern Reichtum an Ressourcen entfernt ist, desto länger. In den Gebieten dürfte die Transformation nicht scheitern. Die ganz im Süden und im Norden Afrikas Weltbank hat bereits 2008 ihren jährlichen Rohstoffe wie Öl, Diamanten und Erze dürf- herrscht subtropisches oder warmgemäßig- Welt-Entwicklungsreport dem Thema „Land- ten zwar auch in Zukunft einen wesentlichen tes Klima mit heißen Sommern und mäßig wirtschaft für Entwicklung“ gewidmet. Mit Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt vieler kalten Wintern, wobei sich die Niederschläge der griffig formulierten Forderung „access to Länder südlich der Sahara leisten. Doch entlang des Mittelmeers auf den Winter, assets“ forderte sie darin Zugang zu Kapital wenn plötzlich fallende Weltmarktpreise die weiter südlich auf den Sommer konzentrie- für die afrikanischen Kleinbauern.11 Dass die Einnahmequelle versiegen lassen, verliert die ren. Die Vegetationsperiode ist länger als in Afrikanische Entwicklungsbank die Vision Politik Handlungsspielraum. Der Anteil der den gemäßigten Breiten, also etwa in Mittel- von der Transformation mit Nachdruck Rohstoffgewinnung am gesamtafrikanischen und Nordeuropa. Nur die Wüstengebiete der fördern will, ist kein Zufall: Ihr Präsident, der BIP ist denn auch im Sinken.14 Die Entwick- Sahara oder der Kalahari bleiben praktisch Nigerianer Akinwumi Adesina, ist in einer lung des Agrarsektors verspricht nachhaltige- ganzjährig trocken. Abhängig von den Nie- Bauernfamilie aufgewachsen, hat Agraröko- re Wirkungen. Die wichtigste Ressource dafür derschlagsmengen und von der Verfügbarkeit nomie studiert und als Landwirtschaftsmi- besitzt Afrika bereits: Obgleich der Kontinent von Wasser in den Trockenzeiten sind in den nister den Agrarsektor seines Heimatlandes derzeit nur rund ein Siebtel der Weltbevölke- übrigen Gebieten im Prinzip überall mehrere grundlegend reformiert.12 rung beherbergt, verfügt er über ein Viertel Ernten pro Jahr möglich. der globalen Landwirtschaftsflächen.15 Mit der flächendeckenden Realisierung der Allerdings fällt die Produktivität der Land- Vision vom Wandel hapert es allerdings noch. Auch die klimatischen Bedingungen bieten wirtschaft deutlich schlechter aus, als es die Zwar haben sich 44 der 54 Mitgliedstaaten gute Voraussetzungen. In den immerfeuchten Klima- und Umweltbedingungen zulassen der Afrikanischen Union verpflichtet, das Tropen entlang des Äquators sind Boden- und würden, und ist im internationalen Vergleich CAADP umzusetzen. Bis Ende 2015, also Luftfeuchtigkeit durchgängig hoch. In den extrem niedrig.16 Sowohl bei den Flächen- als zwölf Jahre nach den guten Vorsätzen von angrenzenden wechselfeuchten tropischen auch bei den Arbeitserträgen liegt Subsaha- Maputo, hatten gerade einmal fünf Staaten Zonen lösen sich Regen- mit Trockenzeiten ra-Afrika weit hinter den übrigen Weltregio- das Zehn-Prozent-Ziel erreicht.13 ab. Letztere dauern zwischen drei und sieben nen zurück.17 Monaten, je weiter das Gebiet vom Äquator Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit 7
Einige Berichte und Studien suggerieren, Afrika biete noch nahezu unerschöpfliche 1.2 Die Herausforderungen zendecke entfernt wird, um Felder anzulegen, wie dies beim Wanderfeldbau in den Tropen Möglichkeiten, weiteres Landwirtschaftsland Empfindliche Böden traditionell geschehen ist und unter dem zu erschließen: Schätzungen zufolge befindet und Klimawandel Druck des Bevölkerungswachstums immer sich auf dem Kontinent mehr als die Hälfte noch geschieht, haben die Nutzpflanzen der ungenutzten potenziellen Ackerflä- Warum ist die Produktivität der Landwirt- die Nährstoffe bald aufgezehrt. Lassen die chen weltweit.18 Bei näherer Betrachtung schaft so niedrig? Einer der vielen Gründe Bauern diese Flächen dann brachliegen, kann beschränken sich die möglichen zusätzlichen liegt im Boden. Für die Landwirtschaft ist die es Jahrzehnte dauern, bis sie sich regeneriert Flächen aber hauptsächlich auf Grasland Fruchtbarkeit des Bodens ein entscheidender haben. Wahrscheinlicher ist aber, dass Regen oder Wälder, die zum Anbau genutzt werden Faktor. Umgekehrt spielen Böden und die Art die letzten Nährstoffe auswäscht, Wärme die könnten, oder auf Ackerflächen, die aus und Weise der Bewirtschaftung eine wichtige Zersetzung der organischen Substanz be- unterschiedlichen Gründen brachliegen.19 Rolle für den Schutz von Wasser, Luft, Klima schleunigt und Wind die verbliebene Krume Indes ist es gar nicht notwendig, zusätzliche und Artenvielfalt.21 Die natürliche Beschaf- wegträgt. Zurück bleibt eine quasi versiegelte Gebiete zu erschließen. Würden die afrikani- fenheit der afrikanischen Böden begrenzt die oder erodierte Oberfläche. Solchermaßen schen Bauern nur die bestehenden Landwirt- landwirtschaftliche Nutzung – und eine we- „degradierte“ Böden sind, wenn überhaupt, schaftsflächen intensiver bewirtschaften, nig nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung nur mit großem Aufwand wieder landwirt- könnten sie die Produktion jedes Jahr um 100 kann den Boden bis zur Unbrauchbarkeit schaftlich nutzbar zu machen. Auch Über- Millionen Tonnen Getreide oder die entspre- verschlechtern. weidung oder schlecht angepasste Bewirt- chende Menge Feldfrüchte aufstocken und schaftungsmethoden in trockeneren Gebieten Afrika zum Netto-Exporteur von Agrarerzeug- Geologisch betrachtet sind die Böden Afrikas bewirken, dass Böden degradieren. nissen machen. Damit würden sie – ohne überwiegend aus der Verwitterung sehr mehr Landfläche in Anspruch zu nehmen harter Gesteine entstanden. Das bedeutet, Landdegradierung ist weltweit ein Problem. – der globalen Nahrungsmittelversorgung sie sind eher grobkörnig, sie enthalten kaum Am stärksten sind die wenig entwickelten einen weiteren „Corn Belt“ hinzufügen, also feine Lehmpartikel und Humus, die Feuchtig- Länder betroffen und dort am meisten arme das Äquivalent jener Region, welche die keit im Boden zurückhalten, und sie sind arm Bewohner entlegener ländlicher Regionen. Hälfte der gesamten US-Maisernte erzeugt.20 an Nährstoffen. Wenn die natürliche Pflan- Neue Berechnungen auf Grundlage von Dieses Potenzial gilt es zu erschließen. Fernerkundungsdaten haben ergeben, dass Wo die Böden schlechter werden Nach einer Untersuchung internationaler Agrarexperten sind bis zu 65 Prozent des Ackerlands in Subsahara-Afrika auf die eine oder andere Art degradiert. Das heißt: Feldfrüchte gedei- hen auf diesen Böden schlechter als nötig wäre, um genug Nah- rung für die Bevölkerung zu produzieren. Klimawandel, Armut, Bevölkerungsdruck und schlecht angepasste Bewirtschaftungs- methoden bewirken die kontinuierliche Verschlechterung der Bodengesundheit. Gerade die Kleinbauern leiden am stärksten darunter, weil sie dem wenig entgegenzusetzen haben.22 Vorherrschende Arten von Landdegradierung in Subsahara- Afrika (Quelle: Montpellier Panel23) Nährstoffverlust Verdichtung Wassererosion Staunässe Winderosion stabil natürlich Kontaminierung stabil landwirtschaftlich genutzt Versalzung nicht klassifiziert 8 Berlin-Institut
allein die am schwersten betroffenen Flächen Von den Folgen dürften demnach Mittel- und Asiens und Lateinamerikas dramatisch stei- mehr als ein Viertel der gesamten Landfläche Südamerika, Subsahara-Afrika und Asien am gen ließ, ist an Subsahara-Afrika praktisch Subsahara-Afrikas ausmachen. 65 Prozent stärksten betroffen sein.30 spurlos vorbeigegangen. der Anbauflächen und 30 Prozent der Graslandflächen weisen eine verschlechterte Extensive Landnutzung Die Grüne Revolution hatte ihren Ursprung Bodenqualität auf.24 Schätzungen zufolge in der Befürchtung, die landwirtschaftliche sind davon 180 Millionen Menschen in Landwirtschaftsfläche ist definiert als die Produktion in den wenig entwickelten Län- Subsahara-Afrika betroffen und entstehen Summe aus genutzten und weniger als fünf dern könne mit dem rasanten Bevölkerungs- jährlich wirtschaftliche Einbußen in Höhe von Jahre brachliegenden Ackerflächen, Dauer- wachstum bald nicht mehr Schritt halten und 68 Milliarden US-Dollar.25, 26 kulturen – zu denen unter anderem Plantagen Hungerkatastrophen drohten. Gefördert von zählen –, sowie Grasland.31 Der Anteil der der amerikanischen Rockefeller-Stiftung, Zwei Faktoren verschärfen das Problem: Landwirtschaftsfläche an der gesamten machten sich Wissenschaftler daran, Saatgut Bevölkerungswachstum und Klimawandel. Landfläche ist in Afrika ähnlich hoch wie für die wichtigsten Nahrungspflanzen auf Die Zahl der Landbewohner, die auf und von in Europa, nämlich knapp die Hälfte. Im höhere Erträge und Widerstandsfähigkeit degradierendem Land leben, ist von 2000 Gegensatz zu Europa nimmt jedoch in gegen Krankheiten hin zu züchten. Durch bis 2010 in Afrika südlich der Sahara um 38 Subsahara-Afrika Grasland mit 77 Prozent klassische Kreuzung einer kleinwüchsigen Prozent gewachsen, während die Landbevöl- den Löwenanteil an der gesamten Landwirt- Reissorte mit einer langhalmigen, aber kerung insgesamt um 28 Prozent zugenom- schaftsfläche ein, nur 20 Prozent entfallen besonders ertragreichen Variante schufen men hat. Zum Vergleich: Im Durchschnitt der auf Ackerflächen und gerade mal 2 Prozent sie etwa eine neue Sorte, die sich dank wenig entwickelten Länder weltweit stieg die auf Dauerkulturen.32, 33 Diese Verteilung ihres kürzeren Halms unter dem Gewicht Zahl der Landbewohner auf degradierendem ist auch eine Anpassung an die natürliche vieler reifer Körner besser aufrecht hielt. Land über diesen Zeitraum lediglich um rund Bodenbeschaffenheit. Mit diesem „Wunderreis“ konnten Bauern in 13 Prozent und lag damit etwa gleichauf Asien die Ausbeute pro Hektar von einer bis mit dem Zuwachs bei der Landbevölkerung Es sind häufig sesshafte oder nomadische zwei Tonnen auf bis zu zehn Tonnen steigern insgesamt.27 Hirten, die das Grasland nutzen, um ihre teil- – bei intensiver Bewirtschaftung.35 Das heißt, weise riesigen Viehherden weiden zu lassen, neben verbessertem Saatgut für Reis, Mais Subsahara-Afrika ist besonders anfällig und mit ihren Tieren weiterziehen, wenn und Weizen verdankt sich der Erfolg der für die Auswirkungen des Klimawandels.28 das Grün in einem Gebiet abgefressen ist. Grünen Revolution einem ganzen Paket von Gerade die vielen Kleinbauern auf dem Land Über den eigenen und lokalen Bedarf hinaus damit verbundenen Maßnahmen: Düngung haben kaum Möglichkeiten, sich darauf unternehmen sie jedoch wenig, um Milch mit den drei für das Pflanzenwachstum einzustellen oder anzupassen. Die Erhöhung und Fleisch zu vermarkten – auch, weil es an unerlässlichen Nährstoffen Stickstoff, Phos- der Jahres-Durchschnittstemperaturen macht Infrastruktur für Schlachtung, Kühlung, Trans- phor und Kalium, Bewässerung der Felder, sich bereits bemerkbar und dürfte bis 2100 port und Verarbeitung fehlt. Ohnehin liefern chemischer Pflanzenschutz, Mechanisierung mehr als zwei Grad über jenen von 2000 die in Afrika üblichen Rinderrassen nur und Weiterbildung der Bauern in effizienten liegen. Mit der Hitze steigt der Wasserstress geringe Erträge. So stehen zwar insgesamt Bewirtschaftungsmethoden auf der Grundla- in ohnehin trockenen Gebieten. Schädlinge, viele Tiere auf ausgedehnten Flächen, diese ge wissenschaftlicher Forschung. Pflanzen- und Tierkrankheiten breiten sich Nutzung bringt aber wenig hervor. Erschwe- verstärkt aus. Auch das Muster der Nie- rend kommt hinzu, dass rund ein Drittel der Das hat auch zu Fehlentwicklungen geführt. derschläge verändert sich bereits spürbar: potenziellen Weideflächen degradiert sind Übermäßiger Dünger- und Pestizidein- Trockenzeiten dauern länger an, Regen und zunehmende Trockenheit dazu führt, satz gefährdet Ökosysteme, tierische und bleibt aus oder kommt in solchen Mengen, dass das Futter spärlicher wächst.34 menschliche Gesundheit. Durch die Zunahme dass Überschwemmungen Felder und Höfe bewässerter Flächen verbraucht die Land- zerstören.29 Nach dem neuesten Bericht des Doch auch die Landnutzung der Ackerflächen wirtschaft Schätzungen zufolge inzwischen Weltbiodiversitätsrates (IPBES) könnte die geschieht eher extensiv, das heißt, es kom- 70 Prozent der weltweiten Süßwasserre- Kombination von Landdegradierung und men kaum produktivitätssteigernde Mittel serven, was gerade in Gebieten mit einge- Klimawandel die weltweiten Ernteerträge um wie Dünger oder Bewässerung zum Einsatz. schränktem Zugang zu sauberem Trinkwasser durchschnittlich zehn Prozent, in einigen Re- Die Grüne Revolution, die von den 1960er zum Problem werden kann.36 In Regionen gionen aber um bis zu 50 Prozent reduzieren. Jahren an die Flächen- und Arbeitsproduk- mit hoher Verdunstungsrate hat Bewässe- tivität der Landwirtschaft in weiten Teilen Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit 9
rung ohne ausreichende Entwässerung der der Anbau überwiegend in den Händen klein- Land angeeignet hatten – in Kenia und im Felder zur Folge, dass die Böden versalzen. bäuerlicher Familienbetriebe. Die meisten südlichen Teil des Kontinents, in Südafrika, Da der Schwerpunkt der Grünen Revolution Kleinbauern sind arm und ihre Produktion Sambia und Simbabwe.41 auf der Ertragssteigerung von Reis, Weizen dient hauptsächlich der Subsistenz, also der und Mais lag, ist überdies die Vielfalt der eigenen Versorgung. Sie haben kaum Zugang An der Produktion von Cash Crops für den landwirtschaftlich angebauten Pflanzen und zu Kapital, um in Verbesserungen investieren Export, beispielsweise Kaffee oder Zucker- Sorten zurückgegangen. Damit sind auch zu können, und zu jenen Mitteln und Metho- rohr, sind große wie kleine Landwirtschafts- die Ernährungsmuster unausgewogener den, mit denen sie ihre Produktivität steigern betriebe beteiligt. So arbeiten manche geworden, Mangelernährung hat deutlich und sich Absatzmärkte erschließen könnten. Kleinbauern als Vertragsproduzenten für zugenommen.37 In vielen entlegenen Regionen mangelt es große Unternehmen oder als Mitglieder von nach wie vor an Verkehrswegen, auf denen Erzeugergenossenschaften. Hauptsächlich Arm und abgehängt die Bauern, so sie denn über den eigenen bauen die Kleinbauern aber afrikanische Bedarf hinaus produzieren, Erzeugnisse auf Grundnahrungsmittel wie Maniok (Kassave), In Subsahara-Afrika sind weder die Erfolge den Markt im nächsten größeren Ort bringen Yamswurzeln, Sorghum und andere Hirsear- noch die Fehlentwicklungen der Grünen und sich dort mit Dünger und anderen Hilfs- ten, Mais, Reis und Weizen an. Die Mehrheit Revolution angekommen. Warum? Die mitteln eindecken könnten. der Landwirtschaftsbetriebe versorgt somit Einführung neuer Technologien sei an der sich selbst und die nähere Umgebung. Dass Vielfalt der Anbausysteme und am Wasser- 80 Prozent der Landwirtschaftsbetriebe in ihre Produktion nicht ausreicht, die gesam- mangel gescheitert, an einem „ungeeigneten Afrika südlich der Sahara sind kleinbäuerli- ten Bevölkerungen zu versorgen, liegt nicht agrarpolitischen Umfeld und fehlgeleiteten che Familienbetriebe. Praktisch alle Haushal- daran, dass die Kleinbauern nur über kleine philanthropischen Interventionen“, so die te, die Ackerbau betreiben, bewirtschaften Betriebsflächen verfügen, sondern dass sie Erklärungsversuche.39 Fest steht, dass sich weniger als fünf Hektar Land, drei Fünftel wenig effizient wirtschaften und überdies an der historisch gewachsenen Struktur der von ihnen sogar weniger als einen Hektar.40 aus Mangel an Wissen und Kapital oft ihre Landwirtschaft südlich der Sahara bis heute Größere Betriebe finden sich bis heute vor eigene Lebensgrundlage zerstören. wenig geändert hat: Damals wie heute liegt allem dort, wo sich einst Siedler aus Europa Wo die Grüne Revolution Tonnen pro Hektar ausgeblieben ist 5 Die Bauern auf dem afrikanischen Konti- nent haben ihre Erträge seit dem Beginn Südamerika der Grünen Revolution in den 1960er Europa Jahren im internationalen Vergleich nur 4 Asien wenig steigern können. Einzig im südlichen Afrika reichen die Fortschritte an jene in Südamerika, Europa oder Asien heran. südliches Besonders Südafrika mit seiner Vielzahl Afrika größerer Betriebe tat sich leichter darin, 3 das Rezept der Grünen Revolution zu über- nehmen. Dennoch kam es im südlichen Afrika durch Dürren zeitweilig zu starken nördliches Einbrüchen. Afrika 2 östliches Zusammengefasste Flächenerträge für Afrika Weizen, Mais, Reis und andere Getreide in verschiedenen Weltregionen, in Tonnen westliches Afrika pro Hektar, 1961 bis 2016 (Datengrundlage: FAO38) 1 Zentralafrika 0 1961 1966 1971 1976 1981 1986 1991 1996 2001 2006 2011 2016 10 Berlin-Institut
Wirtschaften mit einfachsten Mitteln Wie „typische“ Kleinbauern in Afrika Die Bedingungen in den verschiedenen südlich der Sahara leben und arbeiten Ländern sind unterschiedlich, im Allge- meinen arbeiten die kleinen afrikanischen Tingoli, Botingli und Kpalung sind drei oder bringen bei finanziellen Engpäs- Familienbetriebe jedoch überwiegend mit Dörfer in der Northern Region Ghanas, sen auf dem Markt im zehn Kilometer einfachsten Mitteln, viel Handarbeit und die von Savannen mit lockeren Baumbe- entfernten Nyankpala ein paar Cedi ein. bestenfalls mit Ochsen als Zugtieren für ständen geprägt ist. Rund 80 Kleinbauern- Besser gestellte Bauern halten Ziegen, Pflüge. Neben Acker- und Gartenbau halten haushalte gibt es in den drei Orten. Neben Schafe oder Rinder, die sie teilweise die Familienbetriebe vielleicht noch ein paar dem Haushaltsvorstand – typischerweise auf dem Markt verkaufen, sowie Bullen Hühner, Schweine oder Rinder, um ab und männlich – zählen diese durchschnittlich als Zugtiere. Indessen sind die meisten zu Fleisch essen, Milch trinken sowie Dung 14 Häupter, im Höchstfall sind es über 30 Haushalte auf zusätzliches Einkommen für die Felder gewinnen zu können. Saatgut Familienangehörige und nahe Verwandte. aus nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten behalten die Kleinbauern von der letzten Sie leben auf einer Art Hof mit Wohnge- angewiesen, um ihren Lebensunterhalt Ernte ein oder tauschen es untereinander bäuden. Die dazugehörigen Felder sind bestreiten, das heißt, Schulgeld für die Kin- aus. Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbe- kreisförmig um diesen „compound“ herum der, Medikamente, Kosmetika, Treibstoff fall können zu Ernteeinbußen von bis zu 30 angeordnet. Ein Haushalt bewirtschaftet für das Motorrad oder Mobiltelefonkosten Prozent führen.42 Und selbst bei einer guten im Mittel knapp vier Hektar, ist aber oft bezahlen oder Nahrungsmittel zukaufen Ernte kommt es oft noch zu Verlusten durch keine ökonomische Einheit. Junge Männer zu können: Öl, Fisch, Tomatenmark, Zucker Feuchtigkeit, Schimmel oder Rattenfraß. Es und Frauen haben in der Regel ihre und Gemüse. fehlt an Lager- und Kühlmöglichkeiten. Bei eigenen Felder, helfen aber auch auf den Obst werden die Nachernteverluste auf bis Feldern des Haushaltsvorstands. Bewässerung gibt es nicht. Die Kleinbau- zu 56 Prozent geschätzt.43 Auch drohenden ern in den drei Dörfern düngen mit Dung Ertragseinbußen durch Dürren oder Über- Das „tägliche Brot“ besteht hier aus Mais, der Rinder, die auf den Ernterückständen schwemmungen können die afrikanischen Maniok (Kassave) und Yams. Mais wächst weiden. Wenn in der Regensaison das Nass Kleinbauern wenig entgegensetzen. 2014 auf etwa der Hälfte aller Ackerflächen, der ausbleibt, fallen die Ernten noch bescheide- waren nur 650.000 Bauern in Afrika gegen Rest ist eine Mischung aus Feldfrüchten, ner aus als in normalen Zeiten. Mineraldün- landwirtschaftliche Risiken versichert, im Garten- und Dauerkulturen wie Kochbana- ger, verbessertes Saatgut und Pflanzen- Vergleich zu 33,2 Millionen allein in Indien. nenstauden und Mangobäumen. Bei der schutzmittel wären eigentlich verfügbar. Die ärmsten Kleinbauernhaushalte können Vorbereitung der Felder lassen die Bauern Ghana hat den Markt für diese produkti- auch nicht auf Erspartes oder auf Einkommen zwei natürliche Baumarten wegen ihrer onssteigernden Mittel liberalisiert und es von Familienmitgliedern, die in anderen Nutzungsmöglichkeiten hochwachsen: gibt genügend Dorfläden, die sie anbieten. Sektoren beschäftigt sind, zurückgreifen, um Shea- und Nérébäume. Diese stehen daher Den meisten Kleinbauernhaushalten fehlt Verluste abzufedern. Sie sind von Nahrungs- auf allen Ackerflächen. Kleinbauern, die es jedoch an Erspartem oder an Zugang zu mittelhilfen abhängig.44 Hinzu kommt, dass über weniger als zwei Hektar verfügen, Krediten, um sie kaufen zu können. es häufig an Informationen dazu mangelt, versorgen überwiegend sich selbst. welche Marktpreise sich mit unterschiedli- Wenn sie einmal Überschüsse erzeugen, Ein Problem ist die Abwanderung. Junge chen landwirtschaftlichen Produkten sowie verkaufen sie diese an reisende Aufkäufer. Erwachsene verlassen die Dörfer nicht saison- und jahresabhängig erzielen lassen. Haushalte mit größeren Flächen bauen nur, um in die Städte zu gehen oder in zusätzlich Cash Crops wie Reis, Erdnuss, den Goldminen des Landes zu arbeiten, Hohe Risiken hemmen Investitionen Soja- und Augenbohne an. Mit dem sondern auch weil sie oft keinen Zugang Verkauf erzielen manche über 80 Prozent zu Land bekommen. Sie fehlen vor allem Die Kleinbauern tragen somit das volle Risiko ihres Haushaltseinkommens. in Zeiten, in denen viel Arbeit anfällt, beim von Ernteausfällen und Marktpreisschwan- Pflügen oder Ernten. In den drei Dörfern kungen. Folglich sind sie vorrangig darum Praktisch jeder Haushalt verfügt über ein in der Nordregion helfen sich Bauern und bemüht, kurzfristig ihr Überleben zu sichern, paar Hühner. Diese kommen zu beson- Nachbarn gegenseitig aus. Einige wenige als kommerziell zu denken und langfristig be- deren Gelegenheiten in den Kochtopf können bezahlte Kräfte oder Lohnunter- triebswirtschaftliche Gewinne einzufahren. nehmen beschäftigen.45 Danach richten sie ihre Entscheidungen aus: Nahrung, Jobs und Nachhaltigkeit 11
Unterschiedlicher Einsatz verbessertes Uganda produktionssteigernder Mittel Saatgut* Tansania Einer Befragungsstudie bei 22.000 bäuerlichen Nigeria Haushalten in sechs afrikanischen Ländern zufolge Niger setzt weniger als ein Zehntel davon künstliche Bewässerung Malawi Bewässerung ein. Dünger, verbessertes Saatgut und Äthiopien (2010) Pflanzenschutzmittel nutzen die Haushalte in sehr unterschiedlichem Ausmaß und häufig einzeln anstatt als Gesamtpaket. Haushalte in Äthiopien düngen insgesamt mehr als jene in Uganda oder Malawi. organischer Äthiopien weist denn auch mit 2,5 Tonnen je Hektar Dünger höhere Getreideerträge auf als Uganda und Malawi mit 1,9 respektive 1,4 Tonnen je Hektar.46 Anteil der landwirtschaftlich tätigen Haushalte, die Mineraldünger moderne Anbaumethoden nutzen, in sechs afrikani- schen Ländern, in Prozent, 2011 (Datengrundlage: World Bank LSMS-ISA47) Pflanzen- schutzmittel * Daten nur für zwei Länder in Prozent 0 20 40 60 80 100 welche Pflanzen sie anbauen oder ob es sich um Überschüsse zu produzieren. Zugleich steht. Wenn die Vorräte zur Neige gehen, lohnt, ihre knappen Geldmittel in verbesser- können sie auch das ihnen zugewiesene Land bevor die nächste Ernte reif ist, müssen tes Saatgut oder Dünger zu investieren. In nicht verpachten oder verkaufen. Denn das die Kleinbauern aber Grundnahrungsmittel einigen Ländern leisten Frauen ein Viertel bis traditionelle System lässt offen, wer letztlich zukaufen – zu höheren Preisen.52 Wenn sie über die Hälfte der Arbeit, entscheidungsbe- über Gemeinschaftsbesitz und dessen Wasser aus Sammelbecken, Brunnen oder fugt sind allerdings meist die Männer.48 Nutzung entscheiden darf. Da in jüngster Zeit Gewässern auf ihre Felder leiten würden, die Nachfrage nach Land und damit auch die könnten sie mehrmals jährlich ernten und Hemmend auf die Investitionsfreudigkeit der Preise gestiegen sind, kommt es häufiger bessere Erträge erzielen. Aber in Subsahara- Kleinbauern wirkt überdies, dass ihnen das zu Streitigkeiten. In Äthiopien dreht sich Afrika stehen nur etwa vier bis fünf Prozent Land, das sie bewirtschaften, nur selten ge- mindestens ein Drittel der Zivilprozesse um der Anbauflächen unter künstlicher Bewäs- hört. In einigen Ländern, darunter Äthiopien, Landrechte, in Ghana ist es die Hälfte.50 Gro- serung, meist von größeren Betrieben.53 gehört das Land dem Staat, der den Bauern ße Investoren der kommerziellen Landwirt- Zum Vergleich: In den Schwellen- und wenig (und auch ausländischen Investoren) Nut- schaft haben in der Vergangenheit zu Konflik- entwickelten Ländern Südasiens werden 39 zungsrechte nur verleiht.49 In vielen Teilen ten beigetragen – weil lokale Gemeinschaften Prozent der Anbauflächen bewässert, im Afrikas ist Land historisch Gemeinschafts- bei der Landvergabe an Investoren nicht Nahen Osten und Nordafrika 33 Prozent.54 besitz, wobei nahezu jeder Haushalt eines einbezogen wurden, weil die vorgesehenen Bauern in Malawi bewässern nur drei Prozent Dorfes das Recht hat, eine bestimmte Fläche Entschädigungen unzureichend waren oder ihrer Flächen. Dabei beheimatet das Land landwirtschaftlich zu nutzen. Vor allem in nicht bei den Menschen ankamen, die zuvor mit dem Malawisee Afrikas drittgrößten West- und Zentralafrika bestimmen diese an- auf dem Land gewirtschaftet hatten.51 Frischwassersee.55 Schätzungen zufolge gestammten Rechte über geschätzte 90 bis nutzt Subsahara-Afrika ohne Südafrika nur 95 Prozent des Ackerlands, das sich überwie- Ohne Wasser und Nährstoffe 10 Prozent des vorhandenen Potenzials zur gend in Gemeinschaftsbesitz befindet. Das wächst nichts Bewässerung, während Nordafrika 80 Pro- traditionelle System, das den Landbewoh- zent der verfügbaren Reserven erschlossen nern südlich der Sahara als Lebensgrundlage Die afrikanischen Kleinbauern verlassen hat – teilweise jedoch bereits begonnen hat, dient, birgt jedoch große Nachteile: Einmal sich überwiegend auf den Regen, um den Grundwasservorräte anzuzapfen.56, 57 nimmt es den Kleinbauern die Möglichkeit, an Wasserbedarf ihrer Kulturen zu decken. In bankübliche Kredite zu kommen, da sie keine der Trockenzeit lassen sie die Felder häufig Ein Grund für die geringe Nutzung liegt Sicherheiten bieten können. Sie können keine brachliegen. Das heißt, dass zur Erntezeit darin, dass Bewässerungssysteme meist zusätzlichen Flächen pachten oder kaufen, zwar ausreichend Nahrung zur Verfügung kapitalintensiv sind. Insgesamt nutzen 12 Berlin-Institut
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