Energie & Umwelt - Schweizerische Energie-Stiftung
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Energie & Umwelt Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES – 1/2018 Klimapolitik: Die Zeit drängt > «Null CO2» für den Klimaschutz > Finanzplatz Schweiz: Wenn Geld das Klima aufheizt > Bundesrat will den Strahlenschutz aufweichen : 18 20 n. g de un el ml nm am t a rs tz ve Je r e s ah -J S SE
INHALT Klimapolitik: Die Zeit drängt 4 «Null CO2» für den Klimaschutz Für die gesetzten Klimaziele gibt es langfristig keine Alternative zur vollständigen Dekarbonisierung. Die Schweiz könnte von einer Vorreiterrolle profitieren. Und es ist möglich, ja sogar günstiger, das Problem anzupacken statt abzuwarten. 8 Energie aktuell 10 Finanzplatz Schweiz: Wenn Geld das Klima aufheizt Der Schweizer Finanzplatz pumpt Milliarden in die Kohle-, Erdgas- und Erdölindus trie und verursacht 22 Mal so viele Treibhausgasemissionen wie die Schweiz direkt ausstösst. Es gilt, die Geldflüsse mit den Klimazielen in Einklang zu bringen. 12 «Blockchain» – der digitale Fussabdruck für graue Energie Graue Energie spielt beim Energieverbrauch eine bedeutende Rolle. Doch nach wie vor gibt es keine Deklarationspflicht. Die Blockchain-Technologie könnte eine einfache Lösung sein, graue Energie zu deklarieren und lückenlos festzuhalten. 14 Weltklimagipfel 2017: Don't nuke the climate! Warum Atomkraft nicht geeignet ist, die Klimakrise zu lösen, sondern die globale Erwärmung weiter verschärft. Ein Stimmungsbericht vom 23. Weltklimagipfel 2017 in Bonn aus der Sicht einer Anti-Atomkraft-Aktivistin. 16 Bundesrat will Strahlenrisiko um Faktor 100 erhöhen Die Strahlenschutzbestimmungen beim AKW Beznau stehen derzeit auf dem gerichtlichen Prüfstand. Nun will der Bundesrat noch vor dem Gerichtsurteil die Strahlenschutzbestimmungen anpassen. – Ein Skandal in zwei Akten. 18 SES aktuell 20 Energie-Geschichte (3): Die Atomtechnologie spaltet die Öffentlichkeit Wie kein anderes Thema polarisiert die Atomkraft die Schweizer Energiedebatte. Der Blick zurück zeigt, wie die anfängliche Euphorie kippte und der öffentliche Druck den Staat zwang, seine Haltung in der Atomfrage zu ändern. Schweizerische Energie-Stiftung SES 044 275 21 21, info@energiestiftung.ch, energiestiftung.ch Spenden-Konto 80-3230-3, IBAN CH69 0900 0000 8000 3230 3 2 Energie & Umwelt 1/2018
EDITORIAL Zurück zu den Wurzeln Liebe Leserinnen und Leser Es freut mich sehr, in unserem Magazin erstmals das CO2-Emissionen bei. Daher widmen wir den Schwer- Wort als Geschäftsleiterin der Schweizerischen Energie- punkt dieser Ausgabe der Diskrepanz zwischen Wissen Stiftung SES an Sie zu richten. Nachdem ich im letzten und Handeln in der Klimapolitik. Frühling diese Position in einem Teilzeitmandat antrat und gleichzeitig die Legislatur als Gemeinderätin in «Zurück zu den Wurzeln», so beschrieb ich meine neue Köniz zu Ende führte, bin ich nun vollends bei der Tätigkeit bei der SES, wenn ich – was zu meinem SES angekommen. Mandatsende in Köniz immer öfter geschah – gefragt wurde. «Zurück zu den Wurzeln» bezieht sich auf zwei Mein Einstieg verlief, wie ich ihn mir erhofft hatte: Aspekte: Zum einen lernte ich die SES anfangs der vielseitig und spannend. Ich erlebte die letzten Wochen 1990er-Jahre als Stiftungsrätin kennen. Der Stiftungs- der Kampagne zur Energiestrategie 2050 bis zur er rat war damals riesig, um die 70 Mitglieder gehörten folgreichen Abstimmung, führte erste Gespräche mit dazu. Von den Sitzungen habe ich Wortführer wie Allianzpartnern aus den Umweltorganisationen, mit Conrad U. Brunner oder Heini Glauser in Erinnerung. Bundesämtern und auch mit Bundesrätin Leuthard. Selber hätte ich damals nie gewagt, das Wort zu er greifen. Von Energie und Energiepolitik verstand ich Ins neue Jahr sind wir fulminant gestartet. Die geplante nicht viel. Die Diskussionen waren interessant, auch Lockerung der Sicherheitsbestimmungen in der Kern- kontrovers, und ich lernte viel dabei. energieverordnung ist gravierend und beschäftigt uns sehr stark. Anstatt sie zu verschärfen, will der Bundes- Der zweite Aspekt betrifft meine Zeit als Geschäfts rat die Strahlenschutzbestimmungen für die AKW leiterin des kantonalen VCS Bern. Knapp zehn Jahre abschwächen und setzt die Bevölkerung dadurch einer lang arbeitete ich dort, lernte die Verbandsarbeit von unnötigen Gefährdung aus. Lesen Sie mehr dazu in der Pike auf kennen und insbesondere umzusetzen. dieser Ausgabe (Seiten 16+17). Deshalb freut es mich besonders, wieder im NGO- Ganz oben auf unserer Agenda steht der Klimaschutz. Umfeld wirken zu können und mich als SES-Geschäfts- Während im Klimaabkommen von Paris hehre Ziele leiterin in den nächsten Jahren zusammen mit un definiert worden sind, lassen in Bundesbern griffige serem Team für eine menschen- und umweltgerechte Massnahmen auf sich warten. Die Revision des CO2- Energiepolitik engagieren zu dürfen. Ich danke Ihnen, Gesetzes, welche das Parlament dieses Jahr behandelt, wenn Sie uns treu bleiben und unsere Arbeit weiterhin klammert massgebliche Bereiche wie den Verkehr aus. unterstützen! Gerade die Schweiz trägt mit ihrem hohen Lebensstan- dard und ihrem Finanzplatz stark zu den weltweiten Rita Haudenschild, SES-Geschäftsleiterin Energie & Umwelt 1/2018 3
Foto: Greenpeace/Falk Heller Die Energiewende braucht den Klimaschutz – und umgekehrt «Null CO2» für den Klimaschutz Für die gesetzten Klimaziele gibt es langfristig keine Alternative zur voll ständigen Dekarbonisierung. Die Schweiz könnte von einer Vorreiterrolle profitieren, aber dafür braucht es mehr politischen Willen. Es ist möglich, ja sogar günstiger, das Problem anzupacken statt abzuwarten. Von Reto Knutti Hangstabilität oder extreme Wetterereignisse in Grindel- Prof. für Klimaphysik, ETH Zürich wald. Herausfinden müssen wir auch noch, wie wir uns am effektivsten mit Massnahmen anpassen und gegen die Auswirkungen des Klimawandels schützen. Die ersten Hinweise gehen zurück in die 1970er-Jahre und spätestens seit einem Jahrzehnt sind die Fakten Zur Vermeidung des Klimawandels ist völlig klar was glasklar: Der Klimawandel ist real, der grösste Teil der nötig ist: praktisch Null CO2-Emissionen bis etwa 2050 Erwärmung ist mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit für die Schweiz. Und auch die Gesellschaft weiss, dass durch den Menschen verursacht. Die Auswirkungen es den Klimawandel gibt: In einer Umfrage der SRG sind langfristig problematisch. Und es ist nicht nur letzten November war der Klimawandel die grösste Be- möglich, sondern sogar günstiger, das Problem anzu- sorgnis, vor Terrorismus, Wirtschaftskrisen oder Lücken packen statt abzuwarten und für die Schäden zu be in der Altersvorsorge. zahlen. Trotz des weltweiten Klima-Abkommens von Paris Ende 2015 passiert aber viel zu wenig. ...doch es wird nicht einheitlich angewendet Das Problem liegt anderswo: Das sogenannte «Defizit- Das Wissen ist vorhanden... modell» entspricht nicht der Realität. Laut diesem Mo- Das Problem ist nicht, dass wir zu wenig wissen. Natür- dell «giessen» ForscherInnen Daten und Fachwissen in lich gibt es in der Klimaforschung noch viele Details zu die Gehirne der Entscheidungsträger und beheben so klären, insbesondere wie sich der Klimawandel lokal deren Wissensdefizite, worauf diese die Probleme er- 4 auswirkt, zum Beispiel auf Landwirtschaft, Tourismus, kennen und faktenbasiert handeln. Die Realität sieht
Foto: Kantonspolizei Uri (Autobahn A2 vor dem Gotthard) anders aus: Wir entscheiden egoistisch, kurzfristig und Für die Welt kaum zu bewältigen wären oft irrational. Stärker als Fakten beeinflussen uns Er- weitere etwa 4 Grad Celsius – wie dies bei einem fahrungen und Meinungen von Menschen, die uns na- ungebremsten Klimawandel zu erwarten ist. hestehen. Nicht umsonst «glauben» die linken Parteien, dass der Klimawandel ein Problem ist, die rechten Par- teien hingegen «glauben» dies nicht – und das obwohl die Fakten für alle die gleichen sind. Nichtstun kommt nicht in Frage Verstärkt wird diese Situation durch soziale Medien Trotzdem, das ist keine Rechtfertigung zum Nichtstun. und Fake-News: Jede und jeder lebt in seiner Blase, ge- Die Zunahme von Hitzewellen und starken Niederschlä neriert sich seine alternativen Fakten und glaubt, selber gen, der ansteigende Meeresspiegel, das Abschmelzen alles besser zu wissen. Hinzu kommt die Diskrepanz von Gletschern, Eisschildern und Meereis und die Aus- zwischen Wissen und Handeln, die wir von den Neu- wirkungen auf Ökosysteme oder die Landwirtschaft jahrsvorsätzen kennen. Ich weiss, dass ich etwas tun sind schon für die beobachtete Erwärmung von 1 Grad sollte – und vielleicht will ich sogar –, aber tue es Celsius deutlich. trotzdem nicht, weil es unbequem ist, zu viel kostet oder anderes noch wichtiger scheint. Für die Welt kaum zu bewältigen wären weitere etwa 4 Grad Celsius – wie dies bei einem ungebremsten Klima Wir haben in der Vergangenheit viele Umweltproble- wandel zu erwarten ist – denn die Auswirkungen des me angepackt: Abfall, Wasser- und Luftqualität in der Klimawandels sind nicht linear. Hinzu kommen mög- Schweiz, und mit dem internationalen Montreal-Proto- liche Folgen, deren Eintreten noch unsicher ist. Ihre koll den Schutz der Ozonschicht. Geklappt hat das aus Auswirkungen wären aber potenziell riesig, wie zum verschiedenen Gründen: Es gab ein gemeinsames Ziel, Beispiel Migration oder die Ausbreitung von Krank was man erreichen will, ein Konsens wie man dieses er heiten, CO2-Emissionen durch das Auftauen von Perma reichen kann und die technischen Möglichkeiten dazu. frost oder abrupte Kipppunkte im Klimasystem. Zudem war der Nutzen rasch spürbar. Beim Klimawan- del ist es unvergleichlich schwieriger. Das Problem ist Die Schweiz hat zwar bessere finanzielle und techni- global und langfristig, die Prioritäten verschiedener sche Möglichkeiten als andere Länder, um sich teilweise Länder und Menschen sind sehr unterschiedlich und zu schützen, aber Anpassung im Inland reicht nicht Technologie allein reicht nicht aus. Das widerspricht aus. Wer glaubt, dass uns die Auswirkungen des Klima- unserem kurzfristigen und egoistischen Denken und im wandels im Ausland nicht betreffen, irrt sich. Der rechten Teil des politischen Spektrums dem Glauben an Schweizer Wohlstand basiert auf Technologien und totale Freiheit und unbeschränktes Wachstum. Dienstleistungen, die vom Wohlstand im Ausland ab- 5
Fotos: Greenpeace/Gesellschaft für ökologisch Forschung Der Triftgletscher bei Gadmen, Kanton Bern: Von links im Jahr 1948, 2002 und 2006. Die Gletscher schmelzen seit den 1990ern im Rekordtempo. Der Rückgang der Schweizer Gletscher ist wohl kaum mehr zu stoppen. Fakt ist, dass die Anstrengungen weltweit und in der selbst wenn wir nicht auf das Auto verzichten wollen. Schweiz nicht ausreichen, um das Ziel von einer Öffentlicher Verkehr und Elektromobilität sind noch Erwärmung von höchstens 2 Grad Celsius einzuhalten. bessere Möglichkeiten, allerdings muss die benötigte Elektrizität erneuerbar sein. Auch müssen wir uns die Frage stellen, ob wir für die Ferien jedes Mal um die halbe Welt fliegen wollen und wirklich dürfen. Weni- hängen. Wenn es dem Ausland schlecht geht, dann geht ger Fleisch zu essen, würde ebenfalls viel zur Vermei- es auch uns schlecht. Finanziell treffen uns die Folgen dung von CO2 beitragen. des Klimawandels im Ausland wahrscheinlich sogar stärker als diejenigen im Inland. Denn was an CO2 am Ende nicht vermieden wird oder werden kann, muss langfristig aus der Luft entfernt Eine globale Energie-Revolution ist nötig und im Boden eingelagert werden. Die Technologie Zur Vermeidung von CO2-Emissionen ist klar: Es braucht dazu wird entwickelt, ist aber im Moment zu teuer. Und eine globale Energie-Revolution, eine praktisch voll- zur CO2-Speicherung und deren gesellschaftlicher ständige, weltweite Dekarbonisierung der industriali- A kzeptanz gibt es noch viele Fragezeichen. sierten Welt innert der nächsten 30 Jahre. Klimaschutz-Massnahmen sind zu dürftig Einfach wäre dies bei den Gebäuden, die etwa ein Mit welcher Kombination von Massnahmen wir das Drittel des CO2-Ausstosses verursachen, durch bessere Problem anpacken, müssen wir als Gesellschaft ge- Isolation und das Ersetzen der Ölheizungen. Aber die meinsam entscheiden. Die Wissenschaft soll das nicht Renovationsraten sind mit rund 1 % pro Jahr viel zu vorschreiben. Sie kann Lösungen entwickeln, Kosten gering. Es braucht mehr Anreize. bestimmen, objektiv informieren und Vor- und Nach- teile verschiedener Szenarien aufzeigen. Und sie muss Der Verkehr, der ein weiteres Drittel verursacht, ist eine unmissverständlich darauf hinweisen, wenn die Politik heilige Kuh. Zwar werden die Motoren effizienter, ein Fakten verzerrt oder instrumentalisiert, ohne dabei Autos ist heute aber doppelt so schwer und es sitzen selber missionarisch zu werden oder politisch Partei halb so viele Personen drin als noch vor einigen Jahr- zu ergreifen. zehnten. Hinzu kommt, dass wir immer mehr Kilome- ter zurücklegen. Eine Änderung des Mobilitätsverhal- Fakt ist, dass die momentanen Anstrengungen weltweit tens ist also unausweichlich. Das Potenzial von kleinen, und in der Schweiz nicht ausreichen, um das in Paris 6 leichten Autos mit schwächeren Motoren ist riesig, beschlossene Ziel von einer Erwärmung von höchstens
2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit ein- zuhalten. Noch unrealistischer ist das Erreichen des Studie zu den Kosten der Energiewende 1,5-Grad-Ziels, das von vielen Entwicklungsländern ge- fordert wird. Energiewende sorgt für wirksamen Klimaschutz fb/SES. Eine von econcept AG im Auftrag der SES jüngst erstellte Es gibt also ein gemeinsames Ziel, aber niemand ist Studie zeigt, dass Energiewende und Klimaschutz ein sinnvolles bereit, genug dafür zu tun. Und selbst bei den Zusagen, Paket bilden, welches langfristig günstiger ist als ein «Weiter- die die Schweiz gemacht hat, ist nicht überall klar, mit wie-bisher». welchen Massnahmen sie dies erreichen will. Besonders beim Verkehr sind weder das Parlament noch das Volk Die Studie stellt die Kosten der Energiewende einer Nicht-Energie- bereit, griffige Massnahmen umzusetzen. wende gegenüber. Sie kommt zum Schluss, dass eine konsequen- te Energiewende zur Erfüllung der internationalen Klimaschutz- Klimaschutz im Inland zahlt sich aus verpflichtungen günstiger ist, als eine Weiterführung der bisherigen Die Schweiz will bis 2030 im Inland 30 % der CO2-Emis- Energiepolitik mit Kompensationsmassnahmen. sionen reduzieren und zusätzlich 20 % im Ausland Die Studie rechnet beim Szenario «Energiewende» damit, dass kompensieren. Die wirtschaftliche Argumentation für sich die Treibhausgasemissionen von 40 Mio. Tonnen im Jahr 2000 die Kompensation ist klar: Eine Tonne CO2 im Ausland um 75% auf rund 10 Mio. Tonnen im Jahr 2050 reduzieren lassen. zu vermeiden, ist viel billiger als in der Schweiz. Und Neben dem weitgehenden Ersatz von Öl und Gas in der Wärmeer- dem Klima ist es letztlich egal, wo die Tonne CO2 ein- zeugung spielt dabei die Umstellung des Privatverkehrs auf Elekt gespart wird. rofahrzeuge eine entscheidende Rolle. Dank Effizienzmassnah- men und Strom aus erneuerbaren Energien kann, ohne dass dabei Kompensation ist besser als nichts, wenn sich Emis die Treibhausgasemissionen ansteigen, ab 2035 auf Atomstrom sionen nicht vermeiden lassen. Und selbstverständlich verzichtet werden. sollten wir andere Länder bei ihrer CO2-Reduktion unter stützen, sei es durch Technologietransfer oder finan Beim Szenario «Referenz» würden die Emissionen hingegen auf zielle Mittel. Trotzdem ist die Kompensation von Emis hohem Niveau verbleiben und müssten durch Kompensationspro- sionen in verschiedener Hinsicht problematisch und jekte im Ausland reduziert werden. Dabei entstünden bei aktuellen darf nicht davon ablenken, dass wir im eigenen Land Vermeidungskosten jährliche Mehrkosten von knapp 2 Milliarden viel zu tun haben (siehe Textbox nebenan). Franken, die langfristig vermutlich weiter ansteigen würden. Download der Studie «Kosten und weitere Auswirkungen energie- ■■ Es ist dies erstens eine kurzsichtige Lösung: Wenn alle politischer Szenarien» unter www.energiestiftung.ch/studien Länder in absehbarer Zeit bei Null Emissionen sein müssen, dann gibt es die billigen Möglichkeiten zur CO2-Reduktion im Ausland bald nicht mehr. ■■ Zweitens besteht die Gefahr, dass Massnahmen dop- pelt zählen oder dem Klimaschutz zugeschrieben Es gibt keinen zweiten Planeten und wir müssen werden, obwohl sie aus anderen Gründen umgesetzt ihn der nächsten Generation mindestens im gleich werden. guten Zustand übergeben. ■■ Drittens investieren wir Geld im Ausland, statt im eigenen Land Wertschöpfung zu generieren. ■■ Viertens investieren wir in der Schweiz in alte Tech- nologien, die wir sehr bald und teuer abschreiben achhaltigen Entwicklung, wie es in der Bundesverfas- n müssen, weil wir sie nicht mehr brauchen können. sung verankert ist. Es ist verantwortungslos, die Prob- ■■ Und fünftens: Wenn die Schweiz mit ihrer Intelli- leme und Herausforderungen einfach auf die nächsten genz, Technologie, ihren Finanzen und den stabilen Generationen abzuschieben. Strukturen argumentiert, dass sie sich Klimaschutz im Inland nicht leisten kann oder will, wie wollen Die Schweiz und wir als ihre BewohnerInnen haben die wir dann andere davon überzeugen, dies zu tun? einmalige Chance, eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Zwar kostet die Dekarbonisierung kurzfristig, aber der Es ist fünf nach zwölf Innovationsstandort Schweiz kann profitieren. Die Be- Wir alle tragen eine Verantwortung, die Zukunft der reiche Forschung und Bildung können einen starken Welt mitzugestalten. Als BewohnerInnen der Schweiz Beitrag zu einer zukunftsfähigen Schweiz leisten und leben wir zwar in einem kleinen Land, haben aber mit die Schweiz kann an Lebensqualität und Attraktivität unseren Möglichkeiten mehr Spielraum als andere. für Firmen gewinnen. Schon heute lohnen sich viele Trotzdem leben wir heute auf Kosten der Zukunft und Technologien, wenn man langfristig rechnet – und das nutzen (scheinbar) billige fossile Energie. In diesem Sin- unabhängig davon, was andere tun. Vor allem aber kön- ne ist es eher fünf nach zwölf als fünf vor zwölf. Es gibt nen wir die Zukunft mitgestalten, statt anderen hin keinen zweiten Planeten, wir haben nur einen, und wir terherzulaufen. Die Aufgaben sind nicht leicht. Wir müssen ihn der nächsten Generation mindestens im können aber sehr viel erreichen, wenn wir wirklich gleich guten Zustand übergeben. Das ist das Prinzip der wollen und ein gemeinsames Ziel haben. < 7 Abweichung 1960–1990 Quelle: MeteoSchweiz
Energie aktuell > Energieverbrauch sinkt – ausser beim Verkehr > Klimawandel: Bevölkerung fordert Taten Foto: zvg Quelle: Vimentis-Umfrage Volksmeinung 2018 fn. Am 8. Dezember 2017 hat der Bundesrat einen Be- vs. Gemäss einer zu Jahresbeginn von Vimentis publi- richt verabschiedet, der den Verbrauch von Strom und zierten, repräsentativen Umfrage sieht eine deutliche fossilen Energien in den letzten Jahrzehnten analysiert. Mehrheit der Schweizer Bevölkerung von 72 % politi- Die gute Nachricht zuerst: Der Stromverbrauch hat sich schen Handlungsbedarf aufgrund des Klimawandels. vom Wirtschaftswachstum (BIP) entkoppelt. Welche Massnahme ergriffen werden soll, ist allerdings Von 1950 bis Ende des Jahrhunderts ist er kontinuier- umstritten. Eine Lenkungsabgabe auf den CO2-Ausstoss, lich gestiegen, seit knapp 10 Jahren sinkt er leicht – deren Einnahmen an die Bevölkerung zurückverteilt energieeffizienten Technologien und politischen An- würden, wird sowohl von je 43 % der Befragten befür- reizen zur Effizienz sei Dank. Allerdings gibt es immer wortet wie auch abgelehnt. Diese Diskrepanz zwischen noch ein grosses Potenzial. Auch die Nachfrage nach Wollen und Handeln ist auch in der Schweizer Politik fossilen Energieträgern sinkt seit Mitte der 1990er- ersichtlich. Das Pariser Klimaabkommen definiert hehre Jahre, für das Klima jedoch viel zu langsam. Ausser Ziele. In der konkreten Botschaft zum CO2-Gesetz, die beim Verkehr: Hier nimmt die Nachfrage immer weiter nun im Parlament behandelt wird, ist jedoch keine CO2- zu. Dabei ist der internationale Flugverkehr noch gar Abgabe auf Treibstoffe vorgesehen. Dabei ist der Hand- nicht berücksichtigt. lungsbedarf im Verkehrsbereich klar erwiesen. > Blick nach Fukushima > Tschernobyl: Neustart nach der Katastrophe commons.wikimedia.org/By Digital Globe Foto: Fabian Biasio mb. Am 11. März ist es sieben Jahre her, seitdem ein fn. Am 26. April jährt sich die Atomkatastrophe in Erdbeben vor Japan das AKW Fukushima Daiichi und Tschernobyl zum 32. Mal. Die Gegend rund um die aufgrund der darauffolgenden Kernschmelze die Welt Atomruine ist für tausende von Jahren unbewohnbar. erschütterte. Die Atomkatastrophe führte zu einer gross Der milliardenteure neue Sarkophag, den auch die angelegten Evakuierungsaktion. Im Umkreis von 30 km Schweiz mitfinanzierte, soll die Radioaktivität aus verhindern bis heute Strahlungswerte von über 50 Mil- dem Explosionskrater für die nächsten 100 Jahre zu- lisievert pro Jahr die Rückkehr von mehr als 50'000 rückhalten (siehe E&U Nr. 2/2014). evakuierten Personen. Nun will die ukrainische Regierung das Gelände wieder Neue Aufnahmen von Robotern der AKW-Betreiberin für die Stromproduktion nutzen, dieses Mal jedoch TEPCO zeigen, wo der geschmolzene Brennstoff liegt. erneuerbar mit Photovoltaik. Bestehende Leitungen Darauf ist ein Brennstoffaggregat ersichtlich, das durch und Transformatoren lassen sich für den Transport des den Reaktordruckbehälter von Reaktor 2 geschmolzen Solarstroms zu Verbrauchszentren nutzen. Ein Pilot- ist. Dank dieser Information kann bald mit der Still projekt in der Grösse von zwei Fussballfeldern (1 Me- legung begonnen werden. Diese wird laut Schätzungen gawatt Leistung) wurde von einem ukrainisch-deut- mindestens 30 Jahre dauern. Wann und inwiefern die schen Firmenkonsortium bereits umgesetzt. Möglich verstrahlte Region wieder bewohnbar wird ist nach wie wären Anlagen auf mehreren Quadratkilometern mit vor unklar. tausenden Gigawatt Leistung. 8 Energie & Umwelt 1/2018
> Buchtipp: «Saubere Revolution 2030» > Deutschlands Regierung und die Energiewende Foto: deENet e.V Foto: fotolia.com fn. «Die Steinzeit ist nicht aus Mangel an Steinen zu fb. Nun ist klar, wohin die deutsche Regierung hin- Ende gegangen und das fossile Industriezeitalter wird sichtlich Energiewende und Klimaschutz steuert. Die nicht aus Mangel an Brennstoffen zu Ende gehen. Wer grosse Koalition führt den energiepolitischen Scherben verstehen will, wie Solarenergie, autonom fahrende haufen weiter. Weder gibt es eine Aussage zum notwen- Elektroautos und andere exponentiell wachsende Tech- digen Kohle-Ausstieg (die Nutzung von Erdgas wollen nologien in ein Zeitalter sauberer, dezentraler und par- sie sogar noch verstärken), noch gibt es eine klare Ver- tizipativer Energie und Mobilität führen, muss dieses stärkung der Klimaschutzziele, wie sie aus dem Pariser Buch lesen. Die Welt wird sich verändern. Radikal. Bis Vertrag abgeleitet werden müssten. Es findet sich kein 2030.» So der Klappentext des Buchs, das 2014 unter Ziel für 100 % erneuerbare Energien im Vertrag. Immer- dem Titel «Clean Disruption of Energy and Transporta- hin bleibt trotz geplanter Abschaffung die Flugticket- tion» erschienen ist. Silicon Valley-Unternehmer und Steuer unangetastet. Auch die Bahn soll als umwelt- Stanford-Dozent Tony Seba beschreibt die Macht disrup- freundliche Alternative gestärkt werden. Beim Auto tiver Technologien anschaulich. Lesenswert. verkehr bleibt indes alles wie gehabt, fossile Verbrennungsmotoren sollen weiterhin geschützt wer- » Bestellen auf www.metropolsolar.de den. Von Verkehrswende keine Spur. > USA: Nuklearer Dinosaurier schliesst > Das Dutzend ist voll Foto: Schölla Schwarz Foto: wikimedia.org Christoph Foto: Google Hurni Maps mb. Das AKW Oyster Creek – das älteste der USA – mb. Seit bald 3 Jahren steht das AKW Beznau I still. geht nach bald 50 Jahren Betrieb vom Netz. Der AKW- Neuster Stand: Die Betreiberin Axpo verschiebt die Dinosaurier mit Jahrgang 1969 ist unrentabel und geplante Wiederinbetriebnahme des Reaktorblocks 1 weist seit längerem technische Probleme auf. Bereits bereits zum zwölften Mal. Diesmal von Ende Februar 2010 stand fest, dass der Siedewasserreaktor nach zehn auf Ende März 2018. weiteren Jahren abgestellt werden soll. Der laut Amt für Umweltschutz erforderliche Bau von zwei Kühl Doch die Axpo sieht weiterhin von einer definitiven türmen hätte den finanziellen Rahmen gesprengt. Stilllegung ab. Die geschätzten Kosten von 1,5 Milli- Nun sieht sich die Besitzerin Exelon Generation auf- arden Franken für die Stilllegung sollen so möglichst grund der Unrentabilität gezwungen, das AKW ein weiter aufgeschoben und mit dem uns icheren Jahr früher als geplant ausser Betrieb zu nehmen. AKW weiterhin möglichst viel eingefahren werden. Nur: Die über 900 Materialfehler am Rea ktordruck In Anbetracht dessen stellt sich in der Schweiz wieder behälter werden nicht verschwinden. Der Entscheid einmal die Frage: Wie lange werden die Betreiber des des ENSI zum Sicherheitsnachweis steht an und wird 3 Monate älteren AKW Beznau noch bis zur Ausser die Frage Weiterbetrieb mit Fehlern oder sofortige betriebnahme warten? Auch hier sind sowohl Rentabi- Stilllegung bald beantworten – aber wohl kaum lität als auch Sicherheit längst zweifelhaft. zum letzten Mal. Energie & Umwelt 1/2018 9
Finanzplatz Schweiz und Klimaschutz Wenn Geld das Klima aufheizt Der Schweizer Finanzplatz pumpt Milliarden in die Kohle-, Erdgas- und Erdöl- industrie und verursacht 22 Mal so viele Treibhausgasemissionen wie die Schweiz direkt ausstösst. Es ist darum besonders relevant, die Geldflüsse der Finanzinstitute mit den Schweizer Klimazielen in Einklang zu bringen. Von Christian Lüthi BP, Total und Chevron. Namentlich für Pensionskassen Geschäftsleiter der Klima-Allianz mit der Aufgabe, Renten über mehrere Jahrzehnte zu sichern, sind Investitionen in klimaschädigende Indus- trien also geradezu selbstzerstörerisch. Für die Schweiz als kleines Land mit einem grossen Finanzplatz ist es besonders gefährlich, dass der finanz- Versicherte wehren sich politische Umgang mit Klimarisiken unklar und kaum Die Bank kann man wechseln, nicht aber die Pensions- geregelt ist. Obwohl das Bundesamt für Umwelt (BAFU) kasse. Doch es gibt eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen: vor K limarisiken warnt, setzt der Bund lediglich auf Arbeitnehmende und Arbeitgeber sind im Stiftungsrat Freiwilligkeit und riskiert, dass die Schweiz gegenüber jeder Pensionskasse paritätisch vertreten. Dieser be- der EU zurückfällt. stimmt die Anlagestrategie und kann damit auch den Abzug von Investitionen aus den dreckigsten Unterneh- ■■ Der Bundesrat macht im Gegensatz zur EU keine men beschliessen. Anstalten, den Pensionskassen per Gesetz deutlich zu Einige Schweizer Pensionskassen zeigen zum Teil seit machen, dass ihre treuhänderische Pflicht und Ver- Jahrzehnten, dass eine Anlagestrategie ohne Investitio antwortung auch und insbesondere für den Umgang nen in fossile Energieunternehmen möglich ist. Umso mit Klimarisiken gilt. mehr erstaunt es, dass die Pensionskassen der öffentli- chen Angestellten immer noch viel Geld in die Kohle-, ■■ Die EU übernimmt voraussichtlich die in Frankreich Erdöl- und Erdgasindustrie fliessen lassen. Darunter geltende Offenlegungspflicht von Klimarisiken. Aus auch die Kassen einiger grosser Schweizer Städte, die Sicht des Bundesrates ist eine solche Transparenz für sich Nachhaltigkeit zum Ziel gesetzt haben, dabei aber Pensionskassen lediglich optional. bislang ihre Pensionskassen und deren Investitionen nicht unter die Lupe genommen haben. ■■ Die EU diskutiert derzeit, wie die Finanzaufsicht Klimar isiken berücksichtigen soll. Will die Schweiz Erste Erfolge zeichnen sich ab also nicht zum Magneten für Klimarisiken werden, Für eine Änderung der Anlagestrategie einer Pensions- müssten die Mandate der Eidg. Finanzmarktaufsicht kasse braucht es aufgrund der paritätischen Vertretung FINMA und der Schweizerischen Nationalbank eben nicht nur die Regierung (als Arbeitgeberin), sondern falls entsprechend überarbeitet werden. auch die Zustimmung der Versicherten und der durch sie gewählten Stiftungsräte. Aktuell baut fossil-free.ch Wer in Fossile investiert, riskiert Verluste gemeinsam mit der Klima-Allianz mehrere lokale so- Genauso wie die Schwerkraft bleiben auch die physi genannte Divest-Gruppen für öffentliche Pensionskas- kalischen Eigenschaften von Treibhausgasen eine Kons sen auf: In Basel, St. Gallen, Luzern, Genf und Zürich tante. Es gibt somit kein Szenario, bei dem Investitionen beispielsweise setzen sich Versicherte bei ihrer Pensi- in Kohleminen, Erdölbohrungen und Erdgaspipelines onskasse dafür ein, dass ihr Geld in klimafreundliche ohne Folgen bleiben würden. Wird die globale fossile Anlagen fliesst. Infrastruktur künftig weiter genutzt, so sind solche Investitionen den Folgen gefährlicher Klimaextreme Besonders erfreulich ist die Situation im Kanton Zürich, ausgesetzt, dies mit entsprechenden finanziellen Ver- wo die BVK die Kantonsangestellten versichert. Dort kam lusten nach z.B. Hitzewellen, Dürren, Überschwem- es bereits zu ersten Treffen mit dem Stiftungsrat, mit mungen und anderen Klimakatastrophen. welchem das Anliegen, in klimafreundliche Anlagen zu investieren, diskutiert werden konnte. Und als letz- Bleiben Kohle, Erdöl und Erdgas hingegen im Boden tes Jahr der BKV-Stiftungsrat neu gewählt wurde, konn- – weil die Politik handelt oder weil Erneuerbare und te ein wichtiger Erfolg erzielt werden: Als Vertreter der Energiespeicher die fossilen Energieträger über den Arbeitnehmer wurden vier von neun Stiftungsräten Preis überflüssig machen – so verlieren Investitionen in gewählt, die den Abzug von Investitionen aus fossilen klimaschädliche Branchen an Wert, insbesondere in Energieunternehmen befürworten. Ein Schritt also in fossile Energieunternehmen wie Exxon Mobil, Shell, die richtige Richtung, der Hoffnung macht. < 10 Energie & Umwelt 1/2018
Foto: Klima-Allianz/Alfred Matthias Nachgefragt bei Dr. Jessica Kind, Präsidentin Fossil Free Switzerland Unsere Pensionskassen tragen zur Klimaerwärmung bei Wie die Klima-Allianz Schweiz fordert fossil-free.ch einen Stopp von Investitionen in fossile Energien. Jessica Kind erklärt, warum ein solcher Schritt nicht nur umwelt freundlicher, sondern auch ökonomisch sinnvoll für unsere Renten ist. E&U: Welche Risiken sehen Sie bei Investiti- lobale Mittel. Diese Erwärmung bedeutet für jüngere Ver g onen in fossile Energieunternehmen? sicherte ein Gesundheitsrisiko im Rentenalter. Es stellt sich Um die Klimaziele des Pariser Abkommens hier die Frage nach der treuhänderischen Verantwortung: zu erreichen, darf ein grosser Teil der Reser- Verletzen Stiftungsräte und Kassenkommissionen mit einer ven an Kohle, Erdöl und Erdgas nicht ver- Anlagestrategie, die im 2018 immer noch auf Kohle, Erdöl und brannt werden. Die Rechnung ist einfach: Erdgas setzt, die Interessen der Versicherten? Mehr als 80 % aller Kohle, die Hälfte des rdgases und ein Drittel des Erdöls müssen E E&U: Wie reagiert die Finanzbranche? im Boden verbleiben, um die Erwärmung auf Namhafte Finanzspezialisten und -institute und auch die 2°C zu limitieren. Das wird dazu führen, dass OECD warnen vor Investitionen in fossile Energieunterneh- die Bewertung von fossilen Brennstoffunter- men. Als kleines Land mit einem grossen Finanzplatz hat die nehmen sehr schlecht ausfallen wird. Für Schweiz ein grosses Interesse daran, die nächste Finanz den Finanzsektor hätte das Platzen der «Kohlenstoffblase» blase rechtzeitig zu erkennen. Nach dem Platzen der Immo schwerwiegende Folgen. bilienblase in den USA konnten wir unsere Finanzinstitute retten – doch wir haben keine Garantie, dass uns dies E&U: Sie sehen auch die Pensionskassen in der Verantwortung. auch beim Platzen der Kohlenstoffblase gelingen wird. Der Inwiefern? Finanzplatz Schweiz und unsere Pensionskassen müssen Stiftungsräte haften mit dem Privatvermögen für ein Unter- endlich umdenken und in erneuerbare und nachhaltige lassen ihrer Sorgfaltspflicht. Doch Investitionen in Fossile Energien und Technologien investieren. haben nicht nur finanzielle Folgen. Gemäss Bundesamt für Umwelt befördern Schweizer Pensionskassen durch ihre In- Auf renten-ohne-risiko.ch können Interessierte ihre vestitionen eine globale Klimaerwärmung von 4 – 6 Grad bis Pensionskasse kontaktieren. Wer bei einer Divest-Gruppe zum Ende dieses Jahrhunderts. Dabei ist zu beachten, dass mitmachen möchte, kann sich bei Sandro Leuenberger, die Schweiz sich etwa doppelt so stark erwärmt wie das sandro.leuenberger@klima-allianz.ch, melden. Energie & Umwelt 1/2018 11
Graue Energie «Blockchain» – der digitale Fussabdruck für graue Energie Graue Energie spielt beim Energieverbrauch eine bedeutende Rolle. Obwohl die Schweiz viele energieintensive Produkte importiert, gibt es nach wie vor keine Deklarationspflicht. Die Blockchain-Technologie könnte eine einfache Lösung sein, graue Energie zu deklarieren und lückenlos festzuhalten. Von Moritz Bandhauer duktionskette haben Laufschuhe einen relativ grossen Klimawissenschafter / SES-Praktikant ökologischen Fussabdruck. Noch viel mehr Einzelteile und heiklere Rohstoffe sind bekanntlich für den Bau eines Smartphones notwendig. Dass die Produktion Ein Apfel vom nächsten Bauernhof hat ein relativ sim- eines Smartphones weitaus mehr Energie verbraucht ples Leben: vom Samen zur Frucht, vom Baum in einen als der Gebrauch desselben, ist kaum sichtbar und oft- Behälter und hin zum/zur KonsumentIn. Der grösste mals unbekannt. Es ist dies graue Energie, die für Her- externe Energieaufwand ist der Transport vom Baum stellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung zum Verkaufsstand. Bei einem Sportschuh wird es be- eines Produktes benötigt wird. reits schwieriger: Er besteht aus bis zu 65 Einzelteilen, die in verschiedenen Ländern und in über 300 Entwick- Graue Energie in der Gesamtenergiebilanz lungsschritten zum Produkt gefertigt werden1. Auf- In der Schweiz fliesst nur der im Inland angefallene grund der geografisch und technisch komplexen Pro- Anteil der genutzten Energie in die Gesamtenergie bilanz mit ein. Nicht berücksichtigt werden dabei die 1 Cheah, L. et al. (2013): Manufacturing-focused emissions reductions in footwear Produktion und der Transport importierter Energie production. Journal of Cleaner Production, Volume 44, S. 18–29. träger und Güter, also die graue Energie. 2 Energeia, Nr. 5/17, S. 14: Energie effizienter nutzen. Bundesamts für Energie (BFE). Das Beispiel Smartphone – zwei Drittel des Energie- 3 Jungbluth N. et al. (2007): Graue Treibhausgas-Emissionen der Schweiz 1990–2004. verbrauchs fallen bei der Herstellung an, ein Drittel bei Erweiterte und aktualisierte Bilanz, in: Umwelt-Wissen Nr. UW–0711, Bundesamt für der Benutzung durch die KonsumentInnen – zeigt, Umwelt, Bern. dass graue Energie oft mehr ausmacht, als man denkt.2 4 SIA – Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (2010): Merkblatt SIA 2032 «Graue Energie von Gebäuden». Das Wissen um die graue Energie und deren Deklara- 5 www.businesswire.com > News, 21.11.2016: Siemens and U.S. startup LO3 Energy tion ist deshalb für die Transparenz und die Kosten- collaborate on blockchain microgrids. wahrheit von grosser Wichtigkeit. 12 Energie & Umwelt 1/2018
Foto: https://commons.wikimedia.org (Kelly Hofer) Untätige Schweiz eine direktere Kontrolle über den eigenen Energiever- Die aktuellste Studie zu grauer Energie in der Schweiz brauch ermöglicht5. Genau so wird es dank der Kette datiert von 2007. Gemäss dieser BAFU-Studie erhöhen von Informationspaketen viel einfacher, die graue sich das Gesamtemissionen aufgrund grauer Emissio- Energie bei jedem Schritt im Lebenszyklus eines Pro- nen um markante 78 %. Die Studie kommt denn auch dukts umgehend und lückenlos zu ermitteln. Damit zum klaren Schluss, dass eine Ökobilanz «alle im Aus- garantiert die Blockchain-Technologie den Konsumen- land stattfindenden Prozesse der Wertschöpfungskette tInnen mehr Transparenz. Und vielleicht verhilft «Block mit einschliessen» sollte.3 Doch bis heute beschränken chain» zukünftig sogar, der Kostenwahrheit ein biss- sich die Bemühungen der Schweiz, hinsichtlich der chen näher zu kommen. grauen Energie mehr Transparenz zu schaffen, ledig- lich auf den Gebäudebereich4. In keinem anderen Be- Die Schweiz müsste vorangehen reich wurden bis heute Richtlinien zur Berechnung und Die komplexe Berechnung der grauen Energie und der Deklaration von grauer Energie umgesetzt. damit verbundene Aufwand werden von den wirt- schaftlichen Akteuren gemieden. Folglich wird die «Blockchain» für Transparenz bei grauer Energie Deklaration der grauen Energie in der Schweiz bis heute Das wohl meistgenannte Argument gegen eine Dekla- tunlichst verhindert. Nebst den bisherigen Life-Cycle- rationspflicht der grauen Energie und damit gegen Assessments (LCA), bei welchen durch (zeit-)intensive eine wahrheitsgetreue Darstellung des schweizerischen Recherchen ganze Wertschöpfungsketten offengelegt Energieverbrauchs ist die zu komplexe Berechnung. Um wurden, könnte die Blockchain-Technologie der ein die graue Energie eines Produkts genau zu ermitteln, fachen und fairen Berechnung der grauen Energie völ- müsste jeder einzelne Schritt der Wertschöpfungskette lig neue Möglichkeiten eröffnen. mit in die Energiebilanz einbezogen werden. «Blockchain», eine Technologie, die zuletzt dank der Doch der Bundesrat warnt vor finanziellen Einbussen Kryptowährungen – allen voran Bitcoin – in aller für die Schweiz: Er befürchtet, dass die Deklaration der Munde ist, könnte genau dies mit wenig Aufwand grauen Energie ein technisches Handelshemmnis dar- ermöglichen. Wie der Name sagt, entspricht die Block- stellen und eine verminderte Attraktivität des Wirt- chain-Technologie einem Datensatz beziehungsweise schaftsstandorts Schweiz zur Folge haben könnte. Um einer Kette von Informationspaketen. Im Falle der Kryp- jeden Preis soll vermieden werden, dass globale Unter- towährungen wird jede Transaktion auf dem Rechner nehmen ihre wirtschaftlichen Leistungen ins Ausland aller beteiligten Personen in einem Code gespeichert. verlagern. Doch die Schweiz fungiert als Drehscheibe Jede Transaktion hinterlässt so einen «Fingerabdruck», so mancher Produktionsketten und Dienstleistungen. der nicht manipulierbar ist und genau zurückverfolgt Es ist also höchst fraglich, ob die Deklaration von grau- werden kann. Das macht die Blockchain-Technologie er Energie auf die Bedeutung der Schweiz als zentrales sehr sicher. Bindeglied im Welthandel wirklich einen negativen Einfluss hätte. Viel eher könnte die wirtschaftsstarke Mittlerweile wird diese Technologie bereits für ver- Schweiz zum innovativen Vorreiter im Bereich der schiedene Verkaufssysteme (wie Bitcoin) oder auch für Energietransparenz und Nachhaltigkeit werden – und die dezentrale Energieversorgung verwendet, was z.B. von diesem Wissen in Zukunft profitieren. < Energie & Umwelt 1/2018 13
23. Weltklimagipfel 2017 Don't nuke the climate! Warum Atomkraft nicht geeignet ist, die Klimakrise zu lösen, sondern die globale Erwärmung weiter verschärft. Ein Stimmungsbericht vom 23. Weltklimagipfel 2017 aus der Sicht einer Anti-Atomkraft-Aktivistin, die am Weltklimagipfel vor Ort dabei war. Von Kerstin Rudek gung der Klimakrise verhindert. Die Fakten und Grün- Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg de, die gegen die Atomkraft sprechen, sind eigentlich mehr als klar: Im November 2017 fand der 23. Weltklimagipfel in ■■ Atomkraft ist alles andere als umwelt- und klima Bonn statt. Unter Vorsitz von Fidschi trafen sich Dele- gerecht: Atomkraft gründet auf zahlreichen Men- gierte aus 196 Ländern, um das Klimaschutzabkommen schenrechtsverletzungen und Umweltrassismus. von Paris aus 2015 weiter zu verhandeln. Parallel zu Indigene Völker und Gesellschaften mit niedrigem den offiziellen Verhandlungen, die in der «Bula-Zone»1 Einkommen sind Ziel des Uranabbaus und radio stattfanden, traf sich die Zivilgesellschaft in der «Bonn- aktivem Müll ausgesetzt. Es ist erwiesen, dass die Zone» zu zahlreichen Side-Events. Unsere Kampagne Strahlung Frauen und Mädchen doppelt so häufig mit dem Namen «Don't nuke the climate» hatte sich für schädigt wie deren männliche Pendants. Radio beide Zonen akkreditieren lassen. Wir wollten infor- aktive Verseuchung schädigt zukünftige Generatio- mieren, diskutieren, Kontakte knüpfen und pflegen, nen und vergiftet die Umwelt für hunderttausende aber mit unserer Expertise auch direkt auf die Verhand- von Jahren. lungen Einfluss nehmen. Neben unseren Aktivitäten unter dem Dach der «Conference of the Parties», so die ■■ Atomkraft ist zu schmutzig: Atomreaktoren und offizielle Bezeichnung des Weltklimagipfels, organi- die nukleare Brennstoffkette produzieren riesige sierten wir zahlreiche Aktionen, Veranstaltungen und Mengen an Atommüll und verursachen weitaus mehr Demos in und um Bonn (siehe nebenan). Kohlenstoffemissionen als die Produktion erneuer- barer Energien. Die Lagerung von Atommüll ist welt- Atomlobby hofft auf Fördergeld für Klimaschutz weit nach wie vor ungelöst. Unsere Kampagne hat sich zwei Jahre zuvor zur COP 21 in Paris erstmalig zusammengefunden, als die Atom ■■ Atomkraft belastet die Umwelt: Alle Reaktoren pro- lobby sich anschickte, Atomkraft zum Klimaretter zu duzieren im Normalbetrieb Strahlung und Atom- stilisieren. In Wirklichkeit fürchtet die Atomlobby um müll. Wissenschaftler stimmen darin überein, dass ihre Profite. Subventionen fliessen nicht mehr so ein- es keinen Grenzwert für Strahlenbelastung gibt, der fach und zahlreich wie in den vergangenen Jahrzehn- als unbedenklich gelten könnte.2 ten und so versuchen die Atombefürworter mit der Falschbehauptung, Atomkraft diene dem Klimaschutz, ■■ Atomkraft ist zu gefährlich: Die weitere Nutzung an die neu geschaffenen Fördertöpfe für Klimaschutz zu von Atomkraft führt unausweichlich zu weiteren gelangen, wie beispielsweise den «Green Climate Fund». Atomkatastrophen wie Fukushima, Church Rock und Dieser wird ab 2020 mit 100 Milliarden US-Dollar jähr- Tschernobyl. Die zur Produktion von Atomenergie lich ausgestattet. Die Gelder sollen sowohl Treibhaus verwendeten Technologien und Materialien können gasemissionen mindern, als auch armen Ländern, die für Atomwaffenprogramme genutzt werden. am wenigsten zur Erderwärmung beitragen, aber am meisten unter der Klimakrise leiden, einen Ausgleich für ■■ Atomkraft ist zu teuer: Atomkraft ist die teuerste Anpassungen an den Klimawandel ermöglichen. Art, Kohlenstoff- und Methanemissionen zu verrin- gern. Ihre Nutzung zieht Investitionen in saubere Atomkraft kann das Klima nicht retten Energiequellen ab. Warum haben wir uns als Kampagne «Don't nuke the climate» mit Organisationen und Klimaschutz-Aktiven ■■ Atomkraft ist zu langsam: Die Nutzung von Atom- aus verschiedenen Ländern und Kontinenten in Bonn kraft zur Reduzierung der Emissionen durch fossile beim Weltklimagipfel engagiert? Weil uns dieselbe Brennstoffe würde ein noch nie dagewesenes Pro- Sorge vereint, dass mit der Atomkraft als vermeint gramm zum Bau von Atomreaktoren erfordern, weit lichem Klimaretter eine falsche Lösung gewählt wird. ausserhalb der Kapazitäten der Hersteller weltweit Es werden sogar die notwendigen Schritte zur Bewälti- innerhalb eines akzeptablen Zeitrahmens. 14 Energie & Umwelt 1/2018
Foto: commons.wikimedia.org/Tavyland Atomkraft ist kein Klimaretter. Im Bild die Tavarua-Insel der Republik Fidschi. Die herzförmige Insel im Südpazifik ist aufgrund der Klimaerwärmung vom Untergang bedroht. Erneuerbare Energie, Solarenergie, Windenergie, Geo- thermische Energie, Energieeffizienz, dezentraler Pro- Aktionen am Weltklimagipfel duktion, Speicherung von Elektrizität und andere fort- schrittliche Technologien hingegen können den Welt- energiebedarf ohne Kohlenstoff- und Methanemissio- nen, Atommüll und andere Schadstoffe decken. Die Nebelkerzen der Atomlobby Sich selbst als «grasroots» bezeichnende, angeblich aus der Basis der Bevölkerung entstandene Lobbyorganisa- tionen wie «Nuclear for climate», «Generation atomic» oder die Schweizer «Energy for Humanity» versetzten uns bei Begegnungen immer wieder in Staunen. Diese Weitere Eindrücke und Dokumentationen zu «Don’t Nuke the Lobbyorganisationen, die alles andere als aus der Bevöl- Climate» am 23. Weltklimagipfel in Bonn finden Sie unter: kerung hervor gegangen sind, haben so einige Tricks auf Lager, um Atomkraft in einem besseren Licht er- n www.dont-nuke-the-climate.org/de scheinen zu lassen: Atomunfälle werden konsequent n www.bi-luechow-dannenberg.de/?page_id=19430 ausgeblendet oder es fallen Statements, wie beispiels- n www.facebook.com/dontnukeclimate/ weise Fukushima habe keine Toten zu beklagen. Die CO2-Bilanz wird einfach schöngerechnet, indem ledig- lich der Reaktorbetrieb betrachtet wird und die sonsti- Diese Nebelkerzen können nicht darüber hinwegtäu- ge nukleare Brennstoffkette weggeblendet wird, sprich schen, dass das Atomzeitalter zu Ende geht. Weltweit ist die Urangewinnung, die Urananreicherung, die Pro- die Zahl der Atomkraftwerke rückläufig, insbesondere duktion von Brennelementen, die Transporte in Zwi- aus wirtschaftlichen Gründen. Atomkraft war noch nie schenlager, ganz zu schweigen von der nicht gelösten rentabel. Es ist deshalb dringend notwendig, dass jegli- und vielleicht nie lösbaren «Endlagerung». che Subventionen komplett gestrichen werden. Lassen wir nicht zu, dass sich die Atomlobby als Klimaretter Atomkraft ist keine Lösung verkauft! Wenn es gelingt, die Nuklearfirmen aus den «Yoga hilft gegen Strahlung», ist im indischen Pavillon Fördergeldern wie dem «Green Climate Fund» herauszu- zu hören. Im russischen Pavillon kann die geneigte halten, dann erleben wir vielleicht das Ende des Atom- Weltöffentlichkeit vernehmen, Südafrika habe sich zeitalters ohne weitere Atomkatastrophen. < längst für Atomkraft entschieden. Dass die korrupten Machthaber Verträge schliessen, während die Zivilbe- völkerung protestiert und demonstriert, wird geflis- 1 Der Konferenzbereich wurde in die «Bula-Zone» und die «Bonn-Zone» unterteilt. Das Wort «Bula» stammt von den Fidschis und ist eine Grussformel und ein Segenswunsch sentlich verschwiegen. Und immer wieder fallen Be- für Gesundheit und Glück. In der «Bula-Zone» fanden die offiziellen Verhandlungen griffe wie «sauber», «grün», «erneuerbar». Im spani- statt. Die «Bonn-Zone» stand Regierungen, aber auch Nichtregierungsorganisationen schen Salamanca soll jetzt sogar eine «Fairtrade als Aktionsbereich zur Verfügung. Uranmine» mit «nachhaltigem Uranabbau» entstehen! 2 www.bfs.de/DE/themen/ion/strahlenschutz/grenzwerte/grenzwerte.html Energie & Umwelt 1/2018 15
AKW-Sicherheit Bundesrat will Strahlenrisiko um Faktor 100 erhöhen Die Strahlenschutzbestimmungen beim AKW Beznau stehen derzeit auf dem gerichtlichen Prüfstand. Erhalten die Beschwerdeführenden Recht, müsste das AKW vom Netz. Nun will der Bundesrat noch vor dem Gerichtsurteil die Strahlenschutzbestimmungen anpassen. – Ein Skandal in zwei Akten. Von Valentin Schmidt in dem eben diese Strahlenschutzbestimmungen auf SES-Leiter Politik & Kommunikation dem Prüfstand stehen. Skandal, 1. Akt – «Beznau Verfahren» «Für uns ist die Sicherheit massgebend», sagte Doris Nach der Atomkatastrophe von Fukushima 2011 ordne Leuthard 2016 im Nationalrat.1 Die Bundesrätin mach- te das ENSI eine Prüfung aller Atomkraftwerke hin- te sich damals stark dafür, dass die AKW am Netz blei- sichtlich Erdbebensicherheit an. Dabei zeigte sich: Man- ben dürfen, solange sie die Sicherheitsvorgaben erfül- che Anlageteile des AKW Beznau würden versagen und len. Mit diesem Argument sollten festgelegte Ausser hohe Mengen Radioaktivität freisetzen. Obwohl die ge- betriebnahmedaten abgewendet werden, wie sie die setzlichen Strahlenschutzbestimmungen in diesem Fall Atomausstiegsinitiative forderte. Mit Erfolg: Die Initia- eine vorläufige Ausserbetriebnahme und Nachrüstun- tive scheiterte mit 46 % Ja-Stimmen an der Urne. Der gen vorsehen, lässt die Atomaufsichtsbehörde ENSI den Atomausstieg wurde dann im Mai 2017 mit der An Weiterbetrieb von Beznau zu. Unterstützt von Green- nahme des neuen Energiegesetzes eingeläutet. Damit peace Schweiz, dem Trinationalen Atomschutzverband ist erstmals ein Neubauverbot für Atomkraftwerke im TRAS und der Schweizerischen Energie-Stiftung SES G esetz verankert. Für die bestehenden AKW gilt bis leiteten AnwohnerInnen von Beznau 2015 rechtliche zu ihrer Ausserbetriebnahme weiterhin das Prinzip Schritte ein. Ihr Standpunkt: Das ENSI wendet die «betreiben, solange sicher». Strahlenschutzbestimmungen falsch an. Die Beschwer- deführenden verlangen, dass das ENSI seinen Entscheid Knapp ein Jahr später scheinen Leuthards Worte bereits als widerrechtlich korrigiert. Das würde zur zumindest Makulatur zu werden. Am 10. Januar 2018 hat der vorläufigen Abschaltung von Beznau führen. Bundesrat eine Vernehmlassung zu einer Verordnungs- revision eröffnet, die für die nukleare Sicherheit mass- Zurzeit ist das Beznau Verfahren beim Bundesverwal- gebend ist. Damit sollen die Strahlenschutzbestimmun- tungsgericht hängig. Treten die Verordnungen wie vom gen aufgeweicht werden. Gleichzeitig unterläuft diese Bundesrat vorgeschlagen in Kraft, dürfte das AKW am Verordnungsrevision ein laufendes Gerichtsverfahren, Netz bleiben, egal wie das Gerichtsverfahren ausgeht. Das ist ein Skandal und stösst Nils Epprecht, Projektlei- ter Strom & Atom bei der SES, sauer auf: «Der Bundesrat übernimmt einfach den Standpunkt des ENSI und der 100 Millisievert sind klar zu viel! Betreiberin Axpo. Doch diese sind im Verfahren Partei. In einem Rechtsstaat soll das Gericht und nicht der Bun- Gemäss Erläuterungen von Dr. André Herrmann2, dem ehemaligen desrat beurteilen, ob das Gesetz gemäss seinem Sinn Präsidenten der eidgenössischen Kommission für Strahlenschutz und Zweck angewendet wurde.» (2005–2012), darf eine Strahlendosis von 100 mSv während einem Jahr nicht bagatellisiert werden. Die natürliche Strahlendosis liegt bei rund Skandal, 2. Akt – Die Lex Beznau 3 mSv pro Jahr (Medianwert3). Ansonsten werden Strahlendosen im Die zu Jahresbeginn 2018 vom Bundesrat eröffnete Ver- mSv-Bereich nur für beruflich exponierte Personen (20 mSv pro Jahr) ordnungsrevision ist aus Sicht der Beschwerdeführen- und in der Medizin (10 mSv) in Kauf genommen. den irreführend aufgezogen. Während die Behörden Mit der Festlegung eines Dosisgrenzwerts von 100 mSv als potenzielle behaupten, mit der Revision werde einfach der Wort- Exposition bei Störfällen besteht die Gefahr, dass die Bevölkerung in der Umgebung entsprechend verstrahlt wird. 5 ‰ der exponierten Per- 1 Votum Bundesrätin Doris Leuthard, AB 2016 N 106. sonen (1000 bis 2000 Personen in weniger als 20 km rund um die AKW) 2 HERRMANN Consultant: Dosisgrenzwert. Basel 2018. müssen befürchten, dass sie Gesundheitsschäden erleiden bzw. vor 3 Eidg. Kommission für Strahlenschutz (KSR): Analyse der Beiträge zur Strahlenexposition der Schweizer Bevölkerung in zeitig sterben werden. Die Lebensqualität der betroffenen Bevölkerung 2004. Radon trägt für 2,4 mSv (neuer Faktor ICRP 2010) zum wird massiv beeinträchtigt, insbesondere diejenige von Familien mit Medianwert von 3 mSv bei. Kleinkindern oder diejenige von schwangeren Frauen (Fehlbildung ab 4 Deutsches Bundesamt für Strahlenschutz (BfS): Broschüre 50 mSv in den ersten Wochen der Schwangerschaft4). «Informationen für Schwangere», 2016. 16 Energie & Umwelt 1/2018
laut einer Bestimmung in seinen «beabsichtigen Sinn» die Verordnungsanpassung zu einer «Lex Beznau». Der gebracht, sieht Martin Pestalozzi, Kernenergierechtsex- Bundesrat lässt sich als Wasserträger für das ENSI ein- perte und Anwalt der Beschwerdeführenden, darin spannen, das im vorliegenden Fall offenbar die Interes- eine «massive Abschwächung der heutigen Sicherheits- sen der AKW-Betreiberin Axpo vertritt. vorschriften». Denn bis anhin müssen die AKW-Betrei- ber nachweisen, dass ihre Anlage bei einem schweren Die Forderungen von Greenpeace, SES und TRAS sind Erdbeben, wie es maximal alle 10'000 Jahre erwartet klar: Der Bundesrat muss auf die Verordnungsrevisio- wird, robust genug ist, um die Bestrahlung der Bevöl- nen verzichten oder zumindest den Gerichtsentscheid kerung auf höchstens 1 Millisievert zu begrenzen. Kön- abwarten. Die Sicherheitsvorschriften für AKW dürfen nen sie das nicht, müssen sie ihre Anlage vorläufig keinesfalls abgeschwächt werden. Denn für die Bevöl- abschalten und nachrüsten. kerung ist die Sicherheit massgebend. < Dem wollen das ENSI und der Bundesrat nun durch die Hintertüre vorbeugen: Mit neuem Wortlaut in der Ver- ordnung soll die erlaubte Strahlendosis um den Faktor Jetzt wehren! 100! auf 100 Millisievert erhöht werden. Der Atom-Ex- perte Markus Kühni, der für das Verfahren beigezogen wurde, gibt zu bedenken: «Sicherheitstechnisch wür- den wir in die 1960er-Jahren zurückgeworfen. Selbst bei festgestellten Defiziten wie in Fukushima würde fortan die Rechtsgrundlage fehlen, ein AKW ausser Be- trieb zu nehmen.» Damit nicht genug: Auch für viel häufigere Erdbeben, wie sie alle 10 Jahre zu erwarten sind, soll neuerdings erst ab einer Dosis von 100 Millisievert pro Jahr der Betrieb eingestellt werden. Zur Einordnung: In den im- mer noch evakuierten Ortschaften um Fukushima wurde die Belastung für das erste Jahr auf zirka 30 Mil- Auch Sie können ein Zeichen gegen die Aufweichung der Sicher- lisievert geschätzt. Das ist «lediglich» ein Drittel der mit heitsbestimmungen setzen. Nehmen Sie sich eine Minute Zeit und der geplanten Revision zulässigen Dosis. Der aktuelle schicken Sie auf www.energiestiftung.ch Ihre Stellungnahme zur Grenzwert von 1 Millisievert ist keine Anforderung jen- Vernehmlassung ans Bundesamt für Energie. seits des Möglichen, hat doch der andere Druckwasser- Je mehr kritische Stellungnahmen bis am 17. April 2018 eingehen, reaktor in Gösgen beim Erdbebennachweis diese Limi- desto mehr Gewicht erhalten unsere Forderungen. Vielen Dank! te klar eingehalten. Vor diesem Hintergrund verkommt Energie & Umwelt 1/2018 17
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