Erziehungskunst spezial - 50 Jahre Freunde der Erziehungskunst
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07/08 | 2021 Juli/August | 3,90 € erziehungskunst 1 spezial Waldorfpädagogik heute 50 Jahre Freunde der Erziehungskunst 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 1 14.06.21 18:16
2 INHALT & IMPRESSUM ___________________________________ Grußwort von Henning Kullak-Ublick 3 Freundschaft von Nana Göbel 4 Impressionen von Vivian Piña, Ani Barsegyan, Irina Ogorodova, Victor Mwai Wahome, Clara Emilia Polifke und Jonathan Bartleweski 7 Pädagogik von Bernd Ruf 14 Patenschaft von Kathrin Albrecht 17 Gründer von Andreas Büttner, Justus Wittich und Nana Göbel 20 erziehungsKUNST spezial Waldorfpädagogik heute 85. Jahrgang, Heft 07/08 | Juli/August 2021, Auflage 66.000 Herausgeber: Bund der Freien Waldorfschulen e.V., Wagenburgstr. 6 | 70184 Stuttgart, Tel.: 07 11/2 10 42-0 Redaktion: Matthias Niedermann, Mathias Maurer, Lorenzo Ravagli Anschrift der Redaktion: Wagenburgstraße 6 | D-70184 Stuttgart, Tel.: 07 11/2 10 42-50 | Fax: 07 11/2 10 42-54 E-Mail: erziehungskunst@waldorfschule.de | www.erziehungskunst.de Manuskripte und Zusendungen nur an die Redaktion. Die Verantwortung für den Inhalt der Beiträge tragen die Verfasser. Herstellung & Gestaltung: Verlag Freies Geistesleben, Maria A. Kafitz & Franziska Viviane Zobel Verlag Freies Geistesleben, Postfach 13 11 22 | 70069 Stuttgart, Landhausstraße 82 | 70190 Stuttgart Tel.: 07 11/2 85 32-28 | Fax: 07 11/2 85 32-11 | abo@geistesleben.com | www. geistesleben.com Titelfoto: Aus dem Beitrag von Vivian Piña, S. 7 erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 2 15.06.21 14:20
GRUSSWORT 3 Liebe Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners, Schulen und Kindergärten für von Schulprogrammen treten, notfallpädagogischen Einsätzen alle sind kulturelle Errungen- die sich politischen, ökonomi- in vielen Katastrophengebieten. schaften der Neuzeit. Erst 1948 schen oder ideologischen Zie- Rudolf Steiner sehnte sich nach und 29 Jahre nach Gründung der len unterzuordnen hatten. Die einem »Weltschulverein«. Die ersten Waldorfschule wurde mit Freunde der Erziehungskunst »Freunde« tun das: praktisch, der Allgemeinen Erklärung der dienen beiden Zielen: Weltweit, solidarisch, uneigennützig und Menschenrechte das Recht eines unermüdlich und lebensprak- immer mit dem Ziel, Abhängig- jeden Kindes auf Schulbildung tisch setzen sie sich dafür ein, keiten zu verringern, statt sie zu zu einem weltweiten Grund- dass sich Kindergärten, Schulen, erzeugen. Viele Waldorfschulen recht erklärt. Die Waldorfschule heilpädagogische Einrichtungen und Einzelspender aus unserem war eine Antwort auf die Gräuel und Lehrerbildungstätten im reichen Land haben es durch ihre des Ersten Weltkrieges, die Men- Geiste dieser doppelten Freiheit Zuwendungen ermöglicht, dass schenrechtscharta auf die men- der persönlichen Entwicklung diese Arbeit getan werden konn- schenverachtende Vernichtungs- und der institutionellen Freiheit te. Zurück bringen die »Freun- maschinerie der Nazis. Beiden entwickeln und oft genug auch de« uns die konkrete Erfahrung, lag ein Menschenbild zugrunde, überleben können. dass dieser pädagogische Impuls das die Würde jedes einzelnen Das unbedingte Interesse an den »lebendig sich entwickelt«, wo Menschen als das konstituieren- Menschen, die jeweils vor Ort die immer Menschen eines guten de Grundelement einer freiheit- Verantwortung übernehmen, hat Willens sind! lichen und friedlichen Welt an- Nana Göbel über die Jahrzehnte erkennt, unabhängig von seiner zur besten Kennerin der welt- Mit tiefer Dankbarkeit, dass die sozio-ökonomischen, kulturellen, weiten Schulbewegung und der Kinder dieser Welt euch als ihre religiösen oder gar ethnischen Menschen, die sie tragen, werden Fürsprecher und »Fürhandler« Herkunft. lassen, immer unterstützt von haben. ◆ Während die Charta 1948 ein ihrem Berliner Team. globales Grundrecht konstitu- In Karlsruhe liegt das große Zen- ierte, war die Waldorfschulgrün- trum der Freiwilligendienste, dung 1919 das gemeinsame Kind durch deren Vermittlung zigtau- einer politischen Bewegung, die sende junger Menschen in wal- sich vehement für eine freiheit- dorfpädagogischen Einrichtun- lich-demokratisch-solidarische gen auf allen Kontinenten tätig Zivilgesellschaft stark machte geworden sind. Auch hier wurde und der anthropologisch-anthro- der weltumspannende Impuls posophischen Forschungen Ru- der Freunde hautnah und prak- dolf Steiners: Die Entwicklungs- tisch. Bernd Rufs Erfahrungen in bedingungen und die präzise der pädagogischen Traumaarbeit Wahrnehmung der Kinder und führten ihn und sein Team als Henning Kullak-Ublick für den Bund Jugendlichen sollte an die Stelle jüngstes Kind der »Freunde« zu der Freien Waldorfschulen 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 3 14.06.21 18:16
1 2 Initiativkreis für die 1. Internationale Tagung der Schüler und Ehemaligen, Frühjahr 1975, Academie voor Eurythmie, Den Haag 2 1 Gründung »Vereinigung der Waldorfschüler und Ehemaligen e.V.« Anfang Januar 1974 bei Familie Maurer in Oyten als zukünftiger Träger von forum international und Tagungsaktivitäten – Die Gründung wurde möglich, da ab 1.1.1974 das Alter der Voll- jährigkeit auf 18 Jahre gesenkt wurde. 4 3 3 »forum international« Nr. 4 4 Eindrücke von der Eröffnung der Tagung in Den Haag, Herbst 1975, De Vrije School, Den Haag. Titel mit Fotos von verschiedenen Etwa 350 Teilnehmer aus 12 Ländern (damals nur Westeuropa). Verabschiedung der Prinzipien Vorbereitungstreffen der Schüler- und Ehemaligenbewegung in der Eröffnungszusammenkunft. Die Stadt Den Haag ist durch den Wethouder (Bürgermeister) für Bildung vertreten. 6 Eindrücke von der 4. Inter- 6 5 nationalen Tagung, Berlin 14.-21.10.1978 – Aus der Tagungsdokumentation. 5 Hans Peter van Manen spricht für die niederländische Schulbewegung 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 4 14.06.21 18:17
FREUNDSCHAFT 5 _______________________________ Freunde der Erziehungskunst – Seit 50 Jahren für die Zukunft Von Nana Göbel In den 1970er Jahren erwachte Waldorfschulen mitwirken, richte- Waldorfschulen nicht gerade sehr bei den bundesrepublikanischen ten Schülerräte ein und vernetzten erfolgreich. Wir wollten einen gro- Waldorfschülern – es gab 1975 ge- uns (ohne digitale Medien!) zu- ßen, weiten Horizont – auf allen rade einmal 40 Waldorfschulen in nächst mit den Waldorfschülern in Ebenen. Deutschland und davon nur 27 mit Deutschland, dann aber bald inter- Einige von uns wurden in der Anti- einer Oberstufe – das Bedürfnis, national. Wir richteten die Funk- AKW-Bewegung aktiv, einige bei an den großen Herausforderungen tion eines Schülervertreters in der den Anfängen der Grünen und der Zeit mitzuwirken. Die Klima- Lehrerkonferenz ein, organisierten der Umweltbewegung, und einige krise zeigte ihre ersten Vorboten, zunächst baden-württembergische, innerhalb der Waldorfbewegung. viel beunruhigender erschienen da- dann deutsche, dann internationa- Ich selbst war zutiefst dankbar für mals aber die Bewaffnung mit ato- le Schülertagungen, planten eige- den engagierten, weltverständnis- maren Sprengkörpern, die Ausein- ne Stunden zu den uns wichtigen eröffnenden Oberstufen-Untericht, andersetzungen um die Herrschaft Themen. Und uns sehr wichtige den wir genießen durften und in über das Öl, die Errichtung von Themen waren neben den oben dem jede Frage erlaubt war. Und Atomkraftwerken und vor allem die schon genannten Fragen die Frei- wir sprachen viel. Diese Art von Frage nach einem Gesellschafts- heit im Bildungswesen, die Selbst- Unterricht, bei dem die Prüfun- modell, mit dem die verkrustete bestimmung der am Erziehungs- gen wie selbstverständlich neben- Vergangenheit abgeschüttelt wer- prozess Beteiligten – natürlich her erledigt werden und nicht zum den konnte. Wir lebten zwar nicht inklusive der Schüler –, die Bil- wesentlichen Ziel des Unterrichts mehr in den bitterarmen Jahren dungsgerechtigkeit und internatio- gehörten, wollte ich für jedes Kind nach Kriegsende, auch nicht mehr nales Bewusstsein. haben. Dabei begeisterten wir uns in den 1960er Jahren mit ihren Noch in den 1970er Jahren war für die Idee eines Weltschulvereins, Straßenkämpfen, aber in Struktu- es durchaus nicht normal, dass wie ihn Rudolf Steiner Anfang der ren, die trotz oder gerade wegen jeder fließend Englisch spricht, 1920er Jahre angeregt hatte. Jedes des wirtschaftlichen Aufschwungs dass man eifrigst durch die Ge- Kind sollte in Freiheit lernen kön- unzureichend schienen. Nicht je- gend reist und überall auf der Welt nen, Schulen in freier Trägerschaft der sympathisierte gleich mit der Freunde hat. All das eroberten wir sollten genauso möglich sein, wie RAF, aber alle wollten mehr Mitbe- uns mit der Zeit und emanzipier- eigene Lehrpläne, Vielfalt sollte stimmung und vor allem das Recht ten uns aus den kleinbürgerlichen das Bildungswesen beherrschen zu gesellschaftlicher Mitgestaltung Verhältnissen der Städte, in denen und dafür sollte politische Unter- und Mitwirkung. wir aufwuchsen. So lernte ich lei- stützung organisiert werden. Mit Als Oberstufenschüler wollten wir der erst durch die Vorbereitung der solchen Ideen gewappnet, besuch- mitbestimmen, was wir lernen, Tagungen Englisch; damals war ten wir den Nestor der damaligen wollten an der Verwaltung der der Sprachunterricht an einigen Waldorfbewegung, Ernst Weißert. ▼ 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 5 14.06.21 18:17
6 FREUNDSCHAFT ________________________________ 2001: 30. Jubiläum in Dornach An diesem Gespräch im Juni 1975 Büttner übernahm die Geschäfts- Asien. Wir wollten im Sinne der ▼ in Stuttgart und auf der Mitglie- führung, 1977/78 sogar mit einem Ideale des Weltschulvereins welt- derversammlung der Freunde der vollen Deputat – dank einer Unter- weit ein freies Bildungswesen auf- Waldorfpädagogik am 29. Novem- brechung seines Studiums. Wir bauen, das allen gleichermaßen ber 1975 nahmen Andreas Büttner, anderen studierten und arbeiteten offensteht und als ersten Schritt Christa Geraets, Nana Göbel, Jean- ehrenamtlich mit. Wir begannen in diese Richtung insbesondere Claude Lin, Andreas Maurer und sozusagen bei null. 1975 betrugen wirtschaftlich benachteiligten Kin- Paul Vink teil. Wir fühlten uns von die jährlichen Spenden-Einnah- dern und Jugendlichen den Besuch Ernst Weißert verstanden (vermut- men gerade einmal 5.000 Euro. einer Waldorfschule ermöglichen. lich spürte er, dass wir uns sowieso 45 Jahre später – im Jahr 2020 Das ist aber nur ein Aspekt. Im nicht abhalten lassen würden) und – überschritten wir eine bedeu- Lauf der Jahrzehnte zeigte sich im- er schenkte uns die Hülle eines tende Grenze, denn wir hatten in mer deutlicher, dass Bildung und Vereins, den er 1971 gegründet, für der Zwischenzeit die weltweite Erziehung auf der Grundlage des den er aber nie Zeit gefunden hat- Waldorfbewegung mit 100 Millio- technischen und ökonomischen te. Andreas Büttner und ich wirk- nen Euro unterstützt. Dazwischen Menschenbildes des Mainstream ten ab Herbst 1976 aktiv an den lagen Jahre des Aufbaus, immer erstarren. Und wie soll aus Erstar- Sitzungen mit, wurden im Herbst ehrenamtlich, denn wir konnten rung Neues entstehen? 1978 in den Vorstand gewählt und immer nur einen Geschäftsführer Entweder durch Gewalt oder durch Andreas Büttner übernahm die Ge- finanzieren (auf Andreas Büttner Verwandlung. Wir wollten uns für schäftsführung. Gemeinsam mit folgte Justus Wittich, dann Chris- Verwandlung einsetzen und im- Manfred Leist, dem Justitiar des tian Schulz und Winfried Tauer). mer mehr Kindern und Jugend- Bundes der Freien Waldorfschu- Erst nach mehr als zwanzig Jahren lichen eine spirituell gegründete len und Vorstand der Freunde der ehrenamtlicher Aufbauarbeit fan- Erziehung ermöglichen. Weil nur Waldorfpädagogik, entwarfen wir den wir die Mittel, um mehr Men- auf diese Weise etwas Neues in die die ersten Flyer, organisierten die schen zu beschäftigen. Welt kommen kann. Und in allen ersten ausländischen Schulbesu- Die Freunde der Erziehungskunst Bereichen, in denen die Freunde che und suchten nach Menschen, wuchsen zusammen mit der Welt- der Erziehungskunst heute tätig die mit ihren Spenden dazu bereit schulbewegung. Immer wenn in sind, soll so gearbeitet werden, dass waren, Waldorfschulen im Ausland einem neuen Land eine Pionier- etwas Neues in die Welt kommt. ◆ zu fördern. Nun, ab Herbst 1976, schule eröffnet wurde, waren wir begann der Aufbau dessen, was zugegen und unterstützten. Erst -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- wir heute bei den Freunden der Er- waren es vor allem Waldorfschu- Zur Autorin: Nana Göbel ist Geschäfts- ziehungskunst »Internationale Zu- len in Lateinamerika, dann in Af- führender Vorstand der Freunde der sammenarbeit« nennen. Andreas rika und Osteuropa und zuletzt in Erziehungskunst seit 1996 erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 6 14.06.21 18:17
IMPRESSIONEN 7 ______________________________ Baum des Lebens und die Krone Von Vivian Piña In San Miguel de Allende, im Her- gründet, von dem aus wir eine gute zen Mexikos, gibt es eine Schul- Ernährung, einen verantwortungs- gemeinschaft, die wie der Traum vollen Konsum, den Schutz der vieler aussieht – Árbol de Vida, Umwelt und die Stärkung der Ge- eine »Waldorf«-Gemeinschaft. Wie sundheit sowie der Gemeinschaft für alle in der Welt brachte uns das fördern wollen. Und wir sind noch Jahr 2020 die »Krone« und auch auf viele andere Arten innovativ. die notwendige Rüstung, um einer Respekt, Ehrlichkeit und Solidari- unerwarteten und unbekannten tät halfen uns auf dem Weg und Zukunft entgegenzutreten. gaben uns das Selbstvertrauen, Sollen wir die Schule mit nach uns einzugestehen, dass wir Hil- Hause nehmen? Sollen wir digita- fe brauchten, und dass wir darum le Medien als das neue Lehr- und bitten mussten. Die Freunde der Lernmittel annehmen? Was tut uns Erziehungskunst hörten unseren in dieser Situation gut? Wie könn- Hilferuf, auch den von anderen ten wir einem Virus begegnen und Schulen in Mexiko. Mit Dankbar- aus der Konfrontation unbeschadet keit haben wir die Freundlichkeit und gestärkt hervorgehen? Hatten erhalten; sie hilft uns, die Angst zu wir bisher nicht angenommen, überwinden – nun sind wir alle in dass die Waldorfpädagogik Ge- Sicherheit. ◆ sundheit statt Krankheit, Vertrau- -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- en statt Angst, Partnerschaft statt Zur Autorin: Vivian Piña ist Geschäfts Segregation fördern sollte? Nun, führerin von Árbol de Vida es war an der Zeit, unsere eigenen Überzeugungen zu testen. Wir beschlossen, eine verantwor- tungsvolle »Präsenz-Alternative« anzubieten, die alle waldorpäda- gogischen Werkzeuge im Dienst der körperlichen, emotionalen und spirituellen Gesundheit nutzt und eine kollektive Praxis hervorbringt, die diese fördert. Wir haben einen biodynamischen Bauernhof ge- 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 7 14.06.21 18:17
8 IMPRESSIONEN ______________________________ Schlimmer als im Krieg Von Ani Barsegyan Der Kindergarten in Erewan hat die Teil unserer Mitarbeiter entlassen. können nicht zahlen, aber wir kön- Jahre 1992 bis 1995 überlebt. Diese Weil wir eine Gruppe treuer Eltern nen ihnen unsere Hilfe auch nicht waren für Armenien sehr schwer, haben, entschieden wir uns jedoch, verweigern. Langsam kehrt nun »dunkel und kalt«. Doch die Sack- in kleinen Gruppen weiterzuarbei- unser normaler Alltag wieder ein. gasse, in die wir letztes Jahr gerie- ten. Ein Waldorfkindergarten soll Die Ausflüge, die wir in den Kin- ten, war eine nie dagewesene Her- in jeder Situation arbeiten können. dergartenalltag integriert haben, ausforderung. Trotz des Krieges zu Das brauchen sowohl die Eltern als ließen ihn zu einem »wandernden Beginn der 1990er Jahre haben die auch die Kinder sehr. Kindergarten« werden. Die Kinder Eltern ihre Kinder in den Kinder- In den letzten acht Monaten wur- befinden sich jetzt mehr an der garten gebracht und versucht, uns de uns Mitarbeitern zweimal ein frischen Luft, haben die Möglich- zu helfen. Nun waren wir wegen staatlicher Zuschuss in Höhe des keit, sich mehr zu bewegen. So der COVID-19-Pandemie gezwun- Mindestgehalts AMD 68,000 (110 versuchen wir, sie für das weitere gen, den Kindergarten von Zeit USD) ausgezahlt. Da wir für unser Leben besser vorzubereiten. Trotz zu Zeit zu schließen. In diesem Gebäude Miete bezahlen, haben der Schwierigkeiten wird der Wal- schweren Jahr 2020 standen uns uns die Spenden sehr geholfen. dorfkindergarten Eriwan weiter ar- die Freunde der Erziehungskunst Obwohl die Vermieter uns ent- beiten und leben. Dieses Jahr – im bei. gegengekommen waren, mussten Juni 2021 – wird er 30 Jahre alt. ◆ Unser Kindergarten war nie ein wir auf jeden Fall eine Mindestmie- gewinnorientiertes Unternehmen, te zahlen. Mit dem Geld konnten und die Gebühren, die wir für Kin- wir auch die Instandhaltung des der nehmen, haben immer gerade Gebäudes, die Haushaltskosten die monatlichen Ausgaben ge- und die Gehälter von 15 Mitarbei- deckt. Aber letztes Jahr begannen tern bezahlen. Schwierigkeiten, die wohl kaum Am 27. September 2020 brach der jemand vorhersehen konnte. Krieg neu aus, doch die Unterstüt- Lange konnten wir wegen der zung gibt uns die Hoffnung, nicht COVID-Einschränkungen gar nicht allein auf der Welt zu sein. Viele arbeiten, danach durften wir zwar Eltern haben wegen der Unsicher- arbeiten, aber keine neuen Kinder heit ihre Kinder vom Kindergarten aufnehmen. Im Kindergarten durf- abgemeldet. Ein Teil konnte den ten nicht mehr als zwölf Kinder Beitrag nicht mehr bezahlen. Bis -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- sein, wodurch die Einnahmen die heute haben wir Kinder, die wegen Zur Autorin: Ani Barsegyan ist Gruppen- Ausgaben des Kindergartens nicht des Krieges einen Elternteil ver- leiterin im Kindergarten »Gelbe Lerche« deckten. Wir mussten auch einen loren haben. Die Überlebenden in Jerewan erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 8 14.06.21 18:17
IMPRESSIONEN 9 ______________________________ Dank aus Russland und Grußwort aus Kenia Von Irina Ogorodova und Victor Mwai Wahome Erfahrungen und Kenntnisse zu öffnet und so viele Leben geprägt, gewinnen und vor allem, die Kraft die sonst nicht die Möglichkeit ge- zu erhalten, diese in ihre Schulen habt hätten, Waldorfpädagogik zu zu tragen und zu pflegen. Wir sind erleben, indem sie jedem Kind, das dankbar für die Unterstützung des sie unterrichteten, die günstigs- »Periodischen Seminars« in guten ten Bedingungen boten. Auch ich und auch schwierigen Zeiten, für persönlich habe von dieser Art von die unerschütterliche Bereitschaft Spenden profitiert. Jedes Jahr ver- und Offenheit, die Besonderheiten anstaltet die Ostafrika-Assoziation der Verhältnisse in Russland ken- Konferenzen, die Lehrer aus bis zu nen und verstehen zu lernen, und sechs Ländern zusammenbringen. IO I Ich arbeite am »Periodischen für das tiefe Interesse an unserer Diese Konferenzen, die ohne die Seminar«, einem Ausbildungs- Arbeit. In diesem Sinne verkörpert Hilfe der »Freunde« nicht möglich programm für Waldorflehrer in die Verein wahrhaftig seinen Na- wären, sind entscheidend für die Russland, das 1992 seine Arbeit men »Freunde«. berufliche Entwicklung der Lehrer. aufgenommen hat. Unser Seminar An der Waldorfschule in Nairobi arbeitet mit den Freunden der Er- halfen die »Freunde« beim Bau ziehungskunst seit dem ersten Tag VM I Es ist oft gesagt worden, einer mobilen Bibliothek, die heu- der Seminargründung zusammen. dass wir unseren Lebensunterhalt te vielen Familien zur Verfügung Auch in den schwierigsten Momen- durch das verdienen, was wir be- steht oder bei der Bereitstellung ten der Entwicklung des Seminars kommen. Aber wir schaffen Leben von Mahlzeiten für Kinder, die waren die »Freunde« bereit, Hilfe durch das, was wir geben. Während sonst keine gesunde, ausgewogene zu leisten und unterstützten unse- meiner 13-jährigen Tätigkeit als Ernährung erhalten würden. ◆ re Bemühungen, Stiftungen anzu- Vorsitzender der Ostafrika-Asso- sprechen. Dadurch konnten wir ziation der Waldorf/Steinerschulen immer wieder Verbindungen zu habe ich immer wieder erlebt, wie ausländischen Dozenten pflegen, sich durch die Spenden der Freun- vor allem aber hat die Unterstüt- de der Erziehungskunst das Leben zung es vielen russischen Lehrern verändert hat. Der größte Teil der ermöglicht, die weiten geographi- Lehrer in der Region Ostafrika schen Entfernungen Russlands konnte sich durch die Übernahme zu überwinden, an den Sitzungen der Ausbildungsgebühren zu Wal- des Seminars teilzunehmen, um dorflehrern ausbilden lassen. Die- die Impulse der Waldorfpädago- se Lehrer haben die Herzen vieler gik aufzunehmen, notwendige Kinder berührt, ihren Verstand ge- 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 9 14.06.21 18:17
10 IMPRESSIONEN ______________________________ Wenn Fremdes vertraut wird Von Clara Emilia Polifke Sri Lanka: Anfangs ein fremdes, ebenso sang und las ich ihnen vor. und ließ mich an ihrem Leben teil- neues Land. Doch wenn ich nun Ich sorgte für die körperliche Pfle- haben. Durch die Menschen, die an die dort verbrachte Zeit zurück ge und kümmerte mich darum, ich kennen lernen durfte und die denke, ist dieses »fremde« und dass ihre Grundbedürfnisse erfüllt Erlebnisse, die diese mitbrachten, »neue« Land für mich ein Ort ge- wurden. Außerdem half ich einem lernte ich Sri Lanka und die Men- worden, an dem ich mich wohl- halbseitig gelähmten Jugendlichen schen vor Ort noch besser kennen. fühlen konnte und ein Gefühl von bei der Rehabilitation seiner Mus- Ich habe Menschen getroffen, die »Zuhause-Sein« tief in mir gespürt keln und wir übten durch Spiele streng nach ihrem Glauben leben habe. Ich durfte vieles erleben, er- und Training seine Feinmotorik. und fest mit singhalesischen Tradi- fahren und lernen. Für mich wurden die Mitfreiwilli- tionen verbunden sind. Meine Tätigkeit in Sri Lanka be- gen ein wichtiger Teil meines Aus- Eine Englischschülerin lud mich stand darin, Englischunterricht in landjahres. zu einem Tempelfest sowie zu zwei verschiedenen Kindergärten, Zusammen mit ihnen konnte ich einer sogenannten »Big Girl Par- einer Nachmittagsgruppe für Kin- Ich sein, von meinem Tag erzäh- ty« ein. Bei diesem Fest wird die der aus der Umgebung und für len, berichten, wie meine Unter- erste Periode eines Mädchens ge- zwei 18 Jahre alte Mädchen zu ge- richtseinheiten für mich waren, feiert. Durch die gute Beziehung ben. Im Kindergarten sang, spielte was mich eventuell überforderte, zu unserer Vermieterin durften und tanzte ich mit den Kindern. mir Sorge bereitete, mich zum meine Mitfreiwilligen und ich bei Ebenso brachte ich ihnen das engli- Lachen brachte oder wie glück- einer Geistervertreibung in ihrem sche Alphabet bei und zeigte ihnen lich und dankbar ich für diese Zeit Haus teilnehmen. Ebenso wurden leichte Wörter, die in unseren Ge- vor Ort war. Meine Mitfreiwilligen wir zu einer singhalesischen Hoch- dichten und Liedern auftauchen. schenkten mir ihre Zeit und hör- zeit eingeladen. Wir trugen schöne Neben dem Englischunterricht un- ten mir zu und ebenso öffneten sie Saris und wurden von einer Visa- terrichtete ich eine 26-jährige Frau sich auch mir gegenüber. gistin geschminkt und gestylt wie in Deutsch und unterstützte sie bei Wenn ich zurück an Sri Lanka den- Einheimische. der Vorbereitung auf ihre A2-Prü- ke, sehe ich viele Gesichter vor mir. Durch den coronabedingten ver- fung im Goethe Institut Colombo. Menschen, die mir heute noch im- frühten Abschied hatte ich das Ge- Auch in der Rainbow Foundation mer ein Lächeln ins Gesicht zau- fühl, Vieles verpasst zu haben. Ich Baddegama habe ich meine Arbeit bern. wäre gerne mehr auf Reisen gegan- gefunden. Unsere Vermieterin lernte ich über gen, um das Land nochmals anders In der Einrichtung betreute ich das Jahr immer besser kennen. kennenzulernen. Ebenso erlebte Kinder und Jugendliche mit beson- Ich besuchte sie ab und zu, um ich, dass wir Freiwilligen erst nach deren Bedürfnissen. Ich bastelte mit ihr zu reden und zusammen einem halben Jahr wirklich in un- mit ihnen, wir spielten zusammen einen Tee zu trinken. Sie erzählte sere jeweiligen Aufgaben hinein- Gitarre und andere Instrumente, mir von ihrem verstorbenen Sohn fanden. Wir entwickelten kurz vor erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 10 14.06.21 18:17
unserer Heimfahrt einen Arbeitsplan und verschiedene Therapiemethoden sowie »Wenn ich zurück Hilfsangebote für unsere zu betreuenden Kindern und Jugendlichen. Erst dadurch entstand für mich eine Ordnung und ein System in unserer Arbeit. an Sri Lanka Durch den Kontrast zwischen »Schauen, was der Tag so bringt« und einem struk- denke, sehe ich turierten Arbeitstag habe ich gemerkt, wie gut es mir getan hat, den Arbeitsplan als Orientierung zu entwickeln und ihm zu folgen. Denn davor waren wir oft gefühlt viele Gesichter vor zu viele Freiwillige in der Einrichtung und ich bekam den Eindruck, nichts wirklich mir. Menschen, Wichtiges zu tun zu haben. die mir heute Heute würde ich mir schneller bewusst machen, was mich stört und was ich ändern will. Dies würde ich frühzeitig mit meinem Team und vor allem mit dem Leiter der noch immer ein Einrichtung besprechen. Lächeln ins Für mich fühlte sich jedoch das Jahr wie ein langes und großes Hoch an. In Sri Lan- ka lernte ich viel über mich und über die Beziehungen, die ich führe. Ich wertschät- Gesicht zaubern.« ze die Zeit vor Ort und mache mir immer wieder bewusst, was für ein Privileg ich hatte, in diesem schönen Land in einer interessanten und spannenden Einrichtung zu sein, umgeben von Menschen, bei denen ich mich wohl fühlte. In Deutschland angekommen, vermisste ich vieles und erlebte Deutschland, meine »Heimat«, als fremd. Erst jetzt sehe ich, wie mich die sieben Monate verändert haben. Ich habe mich mit vielen neuen Themen beschäftigt und durch neue Bekanntschaften neue Perspek- tiven erlangt. Themen wie »Privilegien«, »Rassismus», die »Macht der Sprache«, Buddhismus sowie »Vorurteile« und »Klischees« sind für mich wichtig geworden. Wie erzähle ich über mein Gastland? Was erzähle ich? Welches Bild vermittle ich? ------------------------------------------------------------------------------------ In meinem Zimmer stehen nun viele Kokosnussschalen, gefüllt mit Ketten, Arm- Zur Autorin: bändern, Ohrringen sowie indischen Fußketten und Zehenringen. Morgens trinke Clara Emilia Polifke absol- ich gerne einen Chai und meine Gewürzschublade ist mit farbenfrohen und lecke- vierte ihren Freiwilligendienst 2019/20 in der Rainbow ren Gewürzen ausgestattet, sodass ich singhalesisch und indisch kochen kann. Ich Foundation Raddegama/Sri kenne Lieder, die mich an die Zeit zurückdenken lassen und Gerüche, die mich an Lanka und macht eine Aus- Sri Lanka oder Indien erinnern. Mit meinen Mitfreiwilligen, mit meinen Begleitern bildung zur Heilerziehungs- dieser Zeit, stehe ich immer noch in Kontakt. ◆ pflegerin. 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 11 14.06.21 18:17
12 IMPRESSIONEN ______________________________ Freiwilligendienst – die Erfahrung des Andersseins Im Gespräch mit Jonathan Bartleweski Jonathan Bartlewski, Jahrgang 1992, ihren Grundlagen erhebt, berech- nierend, zu erleben, wie manche war von 2011 bis 2012 als Freiwilli- tigt ist und wollte das untersuchen. Jugendlichen eine innere Kraft ent- gendienstler in Peru. Nach einem wickelten, zu lernen, zu arbeiten Studium der Sozialen Arbeit in Leip- EK | Was war damals Ihr Ziel und und weiterzukommen, um sich zig studiert er heute Waldorfpäda- wo wollten Sie hin? aus ihrer schwierigen Lebenssitua- gogik im Masterstudiengang an der JB | Mein Ziel war es, möglichst tion zu befreien. Davon und daran Freien Hochschule für Waldorfpäd- weit weg von Schule, Elternhaus habe ich viel gelernt, auch für mein agogik in Stuttgart. Von ihm wollten und Altem zu kommen. Ich wollte späteres Leben. wir wissen, wie sich der Freiwilligen- unbedingt nach Südamerika. Letzt- dienst auf seine biographische Ent- lich ist es dann Peru geworden EK | Gab es Ereignisse, die Sie be- wicklung auswirkte. – lustigerweise das Land, in dem rührt und nachhaltig geprägt ha- mein Vater für einige Jahre gelebt ben? Erziehungskunst | Wie kam es, hatte; allerdings vor meiner Zeit. JB | Ja, viele. Viel wichtiger war dass Sie mit den Freunden der Er- jedoch die Erfahrung des Anders- ziehungskunst einen Freiwilligen- EK | Was haben Sie in Ihrem Frei- seins, die ich das ganze Jahr hin- dienst gemacht haben? willigendienst gemacht? Was ha- durch machen konnte. Und zwar Jonathan Bartlewski | Ich kannte ben Sie gelernt? im positivsten Sinne: Dass man einige ehemalige Freiwillige, die JB | Ich habe für eine kleine Orga- Leben so anders leben kann; dass ihren Freiwilligendienst (FWD) nisation gearbeitet, die ein Begleit- menschliches Leben – im Kleinen, mit den Freunden der Erziehungs- programm für junge Erwachsene wie im Großen – so divers, vielfäl- kunst gemacht haben. Das, was entwickelt hat, um sie auf ihrem tig und plural ist, das habe ich ge- sie erzählten, sprach mich an und Weg in einen selbst verantworteten lernt, und ich behaupte, dass dies nach einem Orientierungsseminar Alltag zu unterstützen. Die meis- eine der wichtigsten Lektionen für war mir klar: Das ist es, was du ten kamen aus Heimen, die sie aus mich war und bis heute noch ist. suchst. Altersgründen verlassen mussten. Ich wollte wissen, wie »Waldorf» Ich habe mit ihnen gekocht, Work- EK | In »Freiwilligendienst« ste- und die Waldorf-Bewegung in der shops zur Persönlichkeitsbildung cken die Worte »freiwillig« und Welt lebt. Das wollte ich selber er- gemacht, Bewerbungen geschrie- »dienen«. Wie passt das zusam- fahren. Vor allem wollte ich wis- ben, Ausbildungsplätze für sie ge- men? sen, wie das, was ich persönlich sucht und die Freizeit mit ihnen JB | Wie schon gesagt: Ich wollte erlebt und geschätzt habe, in an- verbracht – eine schöne und viel- nur weg! Eigentlich war ich haupt- deren Kulturen lebt und umgesetzt fältige Tätigkeit. sächlich getrieben! Zum Glück wird. Ich fragte mich, ob der An- Gelernt habe ich unter anderem, gibt es die Möglichkeit der Frei- spruch der Allgemein-Menschlich- den Willen eines Menschen zu willigendienste – hab’ ich mir da- keit, den die Waldorfpädagogik in erahnen. Es war für mich faszi- mals gedacht! Und das denke ich erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 12 14.06.21 18:17
IMPRESSIONEN ______________________________ 13 auch heute noch. Und zwar im lernen, ein Stückchen besser ver- JB | Äußerlich betrachtet sind es die doppelten Sinn: Ohne die Freunde stehen zu wollen; das alles durch Freundschaften, die bis heute an- der Erziehungskunst, wäre es mir Begegnungen, die mir von außen dauern; Studiengangentscheidung; nicht so ohne Weiteres möglich ge- zukamen. Andererseits hoffte ich, Ehemaligenarbeit für die Freunde wesen, das Weg-Sein mit dem Die- dadurch dass ich alles Alte hinter der Erziehungskunst, wodurch ich nen, mit dem Dienst am Anderen mir lasse, einen unbefangeneren viel lernte und mich persönlich und für andere zu vereinen. Dass Zugang zu mir selbst finden zu weiterentwickelte. ich dabei noch etwas über Freiheit können. Aber selbstverständlich auch in lernen durfte, dafür kann ich nur Eine Begegnung mit mir selbst, meiner seelischen Entwicklung. dankbar sein. Und wenn man das mit meinem »wahren Selbst«; ich Neben den schon geschilderten Er- Wort »Freiwilligendienst« noch dachte, dass das mir nun erschei- fahrungen des Andersseins in der weiter differenziert, kommt man nen würde, da ich mich ja radikal Fremde und der Gastfreundschaft, neben der »Freiheit« und dem von allem mich Formenden gelöst sind es die existenziellen Fragen – »Dienen« noch auf den »Willen«. hatte. So einfach war es dann na- die Welt und das Selbst betreffend Damit kommt man wieder zum türlich nicht; und offen gestanden –, die u.a. auch auf den wunder- Ganzen, denn: Der freie Wille ist auch eine gute Erkenntnis. Bei- baren Seminaren vor, nach und ein dienender. Oder anders gefasst: des ist mir nur in einem geringen während dem Freiwilligendienst Der aus der Freiheit geschöpfte Maße begegnet. Ich habe sowohl gestellt wurden, die mich weiterge- Wille ist ein Wille, der die dienende Erfahrungen an der Welt als auch bracht haben. Tat erschafft. an meinem Selbst gemacht. Das Ohne den Freiwilligendienst– und In-der-Fremde-Sein – so schmerz- das ist sentimental und rational EK | Im Rückblick: Was haben Sie haft und einsam es sein kann –, gesprochen – wäre ich heute nicht damals gesucht und was ist Ihnen birgt auf der anderen Seite die Er- der, der ich bin. Und dafür bin ich wirklich begegnet? fahrung der Gastfreundschaft. Und sehr dankbar. Herzlichste Glück- JB | Das ist eine sehr schwierige beide Seiten zu kennen, zu erfah- wünsche, liebe Freunde der Erzie- Frage! Ehrlich gesagt war es – auch ren und zu leben, das macht uns hungskunst und auf weitere fünf- wenn es etwas groß klingt – meine zu ganzen Menschen. zig mal fünfzig Jahre! ◆ Suche nach Selbsterkenntnis und Welterkenntnis. Einerseits war ich EK | Welche Wirkung hatte diese -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- völlig absorbiert von dem Gedan- Erfahrung auf den Verlauf Ihrer Das Interview führte ken, die Welt erfahren, kennen- Biographie? Matthias Niedermann 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 13 14.06.21 18:17
14 PÄDAGOGIK ____________________________ Heilende Pädagogik Wie Waldorfpädagogik Kindern und Jugendlichen in Not hilft Von Bernd Ruf Wenn nichts mehr ist, wie es schaftlichen Folgen einer »verlo- einem Zeitpunkt an, wo es sich vorher war renen Generation«. Immer wieder entscheidet, ob das Trauma bewäl- Wenn die Erde infolge eines Be- müssen Kinder und Jugendliche tigt werden kann oder ob es zu Fol- bens heftig erschüttert wird, wer- auch jenseits der Corona-Krise gestörungen kommt. Es geht dabei den meist viele Gebäude beschä- Unfassbares erfahren. Nicht nur nicht um Traumatherapie im klas- digt. Wände bekommen Sprünge, durch Naturkatastrophen und Krie- sischen Sinn. Traumapädagogik Decken brechen herab, ganze Eta- ge sind weltweit Millionen von Kin- versteht sich als tertiäre Präventi- gen stürzen ein. Oft werden die dern und Jugendlichen betroffen. onsmaßnahme, in der die Heilung Häuser unbewohnbar. Im Jahre 2015 flüchteten hundert- und Nachsorge im Vordergrund Dem äußeren Erdbeben folgt meist tausende Kinder und Jugendliche steht, um der Phase der posttrau- ein Seelenbeben der betroffenen nach Deutschland. matischen Belastungsstörung, die Menschen. Die aktuelle Corona- Auch hierzulande werden Kinder etwa sechs Monate nach dem trau- Krise ist ein solches Seelenbeben. zu Opfern. Sie verwahrlosen, wer- matischen Ereignis auftritt, durch Auch hier entstehen Sprünge und den vernachlässigt, missbraucht pädagogische Methoden zu begeg- stürzen Welten ein. Viele fühlen und misshandelt. nen, die auch institutionelle Struk- sich von den umwälzenden Ver- Was kann Waldorfpädagogik als turen (Raum- und Umweltgestal- änderungen existenziell bedroht. heilende Pädagogik zur Verarbei- tung, Zeitgestaltung, verlässliche Sie fürchten um ihre Gesundheit, tung von traumatisierenden Erfah- Beziehungen) einbeziehen. ihre ökonomische Existenz und rungen beitragen? Die Selbstheilungskräfte des be- ihre Freiheit. Die mit der Krise ein- lasteten Kindes oder Jugendlichen hergehenden Ängste zeigen bereits Waldorfpädagogik – Notfallpäd- sollen mittels pädagogischer Inter- massive gesundheitliche Auswir- agogik – Traumapädagogik ventionen stabilisiert und gestärkt kungen. Psychologen, Ärzte und Während das Ereignis, das eine werden. Notfallpädagogische Inter- Therapeuten sprechen von einer Traumatisierung auslöst, selbst ventionen können traumatisierte kollektiven Traumatisierung. nicht mehr veränderbar ist, sind Kinder stabilisieren. Sie können Besonders betroffen von der Coro- die Individual- und Umweltfakto- helfen, die traumatische Erfahrung na-Krise und den Maßnahmen zu ren beeinflussbar und bilden den im Sinne sekundärer Prävention ihrer Eindämmung sind Kinder Ansatz für pädagogisch-therapeuti- zu verarbeiten und in die eigene und Jugendliche – vor allem aus sche Interventionen. Waldorfpäda- Biografie zu integrieren. sozial benachteiligten Gruppen. gogik versteht sich in diesem Sinn Experten warnen vor den nach- als Präventionspädagogik. haltigen individuellen und gesell- Notfallpädagogik setzt dagegen zu erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 14 14.06.21 18:17
15 Hilfreiche Methoden Welche notfallpädagogischen Methoden sind hilfreich? Traumatische Erlebnisse Erlebnispädagogische verschlagen den Opfern die Sprache. Sie können über ihre Erlebnisse meist nicht Übungen können das sprechen und dürfen dazu auch nicht gezwungen werden. Künstlerische Aktivitäten traumabedingt verloren- wie Malen, Zeichnen, Modellieren, Tanzen, Singen oder Musizieren können helfen, gegangene Selbstver- dem eigentlich Unbeschreiblichen, verbal nicht Mitteilbaren kreativen Ausdruck zu verleihen und es so einer Bearbeitung zuzuführen. Durch gezielte Rhythmuspfle- trauen wieder aufbauen ge kann der traumatisierte kindliche Organismus wieder harmonisiert und seine und den Verlust sozialer Selbstheilungskräfte aktiviert werden. Dabei geht es u.a. um rhythmisierte Tagesab- Kompetenzen spielerisch läufe, geregelte Essens- und Schlafzeiten. Rituale wie Tischsprüche, Morgen- und ausgleichen. Einschlafzeremonien geben Sicherheit, Halt und neue Orientierung. Bewegungs- therapeutische Ansätze der Eurythmie und Bothmergymnastik sowie Massagen und rhythmische Einreibungen können dazu beitragen, traumabedingte Verkrampfun- gen zu lösen. Erlebnispädagogische Übungen können das traumabedingt verloren- gegangene Selbstvertrauen wieder aufbauen und den Verlust sozialer Kompetenzen spielerisch ausgleichen. Die nach einem extremen Stresserlebnis beeinträchtigte Konzentrationsfähigkeit kann z.B. durch Fadenspiele, Memory, Mikado oder Acht- samkeitsübungen überwunden werden. Auch das altersgemäße Erzählen »heilen- der Bilder« sowie Puppenspiele können helfen. Heilung durch Pädagogik Die erste Waldorfschule, die 1919 in Stuttgart nach einem Weltkrieg inmitten re- volutionärer Gesellschaftsumbrüche eröffnet wurde, war eine Schule für traumati- sierte Kinder in einer traumatisierten Gesellschaft. Inhalte, Methoden, Strukturen, Angebote und die anthropologisch-entwicklungspsychologischen Hintergründe ▼ 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 15 14.06.21 18:17
16 PÄDAGOGIK ____________________________ Die Selbstheilungs- der Waldorfschule bieten alle erforderlichen Elemente zur psychosozialen Stabili- ▼ kräfte des belasteten sierung psychotraumatisierter Kinder und Jugendlicher sowie für die Aktivierung von Selbstheilungskräften zur Traumaverarbeitung. Anthroposophische Notfall- Kindes oder Jugend- und Traumapädagogik basiert auf diesen Grundlagen. Sie ist inzwischen Bestand- lichen sollen mittels teil pädagogischer Ausbildungen, findet Eingang in die Studiengänge zahlreicher pädagogischer Inter- Hochschulen und über tausend Studierende nehmen an zertifizierten Modulfort- ventionen stabilisiert bildungen weltweit teil. Waldorfpädagogik, die per se als Inkarnations- und Entwick- und gestärkt werden. lungshilfe verstanden werden kann, ist in besonderer Weise geeignet, den Heilungs- prozess traumatischer Verletzungen anzuregen, zu fördern und zu begleiten. ◆ ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Zum Autor: Bernd Ruf ist Geschäftsführender Vorstand der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners e.V., Mitbegründer und Leiter des Parzival-Schulzentrums Karlsruhe mit Kompetenz- zentrum für notfallpädagogische Krisenintervention. Leitung notfallpädagogischer Einsätze in Kriegs- und Katastrophengebieten weltweit. Literatur: B. Ruf: Trümmer und Traumata. Anthroposophische Grundlagen notfallpädagogischer Einsätze, Arlesheim 2012; ders.: »Das Corona-Trauma und die therapeutischen Möglichkeiten der Notfallpädagogik«. In: M. Glöckler (Hrsg.) u.a.: Corona und das Rätsel der Immunität, Stuttgart 2021; ders.: Krieg-Flucht-Notfallpädagogik. Wie Pädagogik minderjährigen Flüchtlingen helfen kann, traumatische Erlebnisse zu überwinden, Arlesheim 2019; ders.: »Traumapädagogik im Kontext von Flüchtlingsarbeit. Konzepte und Erfahrungen im Umgang mit traumatisierten jugendlichen Flüchtlingen«. In: C. Adam, A. Schmelzer: Interkulturalität und Waldorfpädagogik, Weinheim-Basel 2019; ders.: »Erste Hilfe für die Seele. Wie Kinder durch Notfallpädagogik schwere Traumata überwinden lernen«. In: A. Neider (Hrsg.): Krisenbewältigung, Widerstandskräf- te, Soziale Bedingungen im Kinder- und Jugendalter, Stuttgart 2011. erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 16 14.06.21 18:17
PATENSCHAFT 17 ______________________________ Bericht aus der Zenzeleni-Welt Von Kathrin Albrecht Wir schreiben Freitag, den 13. März Schlaf und am nächsten Vormit- gewährte. Inmitten des sandigen 2020. Es ist der Tag, an dem mein tag wurden wir in der Zenzeleni Dünenhinterlandes von Khayelitsha Mann Meldt und ich die Zenzeleni School erwartet. Also ab ins Bett reihen sich mehrere kleine, solide School in Khayelitsha vor den Toren und das Duschen auf den nächsten gebaute Satteldachgebäude in zwei Kapstadts besuchen dürfen. Am Morgen vertagt. Ein Fehler, denn: Halbkreisen um eine grüne Gras- Vortag beim Einchecken am Han- T.I.A. Statt heißem Kaffee und fläche. noveraner Flughafen fragten wir einer warmen Dusche erlebten Bevor wir in die Klassenräume uns noch, ob wir diesen Kurztrip wir den ersten von vielen Strom- unserer Patenklassen eingeladen überhaupt wagen sollten. Aber da ausfällen. Kapstadt hat nicht nur wurden, zeigte uns Genevieve das es in Südafrika zu diesem Zeit- ein Wasserproblem, sondern muss Areal. punkt erst einen bestätigten Coro- auch mit seiner Energie haushal- Besonders berührt haben mich na-Fall gab, ermutigte man uns, an ten, so dass reihum Stadtteile zu der Gemüsegarten, in dem die unseren Reiseplänen festzuhalten. festgelegten Zeiten vom Stromnetz Schlacht gegen die Dürre trotz Doch schon am Flughafen Pa- getrennt werden. allen Einfallreichtums jüngst ver- ris-Charles-de-Gaulle bot sich ein Genevieve Langenhoven, die »Com loren ging, und ein Überseecontai- anderes Bild: Etwa die Hälfte der munication & Development«-Mit- ner, in dem von dem ehemaligen Menschen trug bereits eine Maske. arbeiterin des Centre for Creative Zenzeleni-Schüler und heutigen Entsprechend stieg die Nervosität Education, traf uns bei unserer Lehrer Khanya Fusa ein Atelier ein- während des Weiterflugs nach Kap- Unterkunft, damit wir ihr im Kon- gerichtet worden ist. stadt. Würden wir vier Tage später voi nach Khayelitsha vor den Toren Ähnlich wie wir es hier in Deutsch- so einfach wieder nach Europa ein- Kapstadts folgen konnten. In Rich- land kennen, werden Schüler bei reisen dürfen? Was, wenn nicht? tung Garden Route schmiegten Bedarf während der Schulzeit aus Nachts in Kapstadt angekommen, sich die Wellblechhütten bis an den dem Unterricht genommen und stellte sich nach einer Fiebermes- Zaun der Autobahn; die Fahrbahn dürfen in einer Eins-zu-Eins-Be- sung über eine Distanz von 1,5 teilten wir uns mit manchem Nutz- treuung künstlerisch mit ihren Metern heraus, dass der gesam- tier. An den Seitenstraßen reihten Hürden oder Blockaden ringen. te Flieger erstaunlich gesund war. sich Feuertonnen und Grillstände Während wir das Gelände erkun- T.I.A. – This is Africa. aneinander, darüber ein wildes Ge- den, fragt mich Genevieve nach der In der Unterkunft prasselten die flecht aus Stromkabeln und Licht- Motivation für meine Bildungspa- ersten Hiobsbotschaften aus Deut masten. tenschaft. Ganz einfach: Ich habe schland auf uns ein. Die Schulen Und dann war da plötzlich eine im Februar 2020 ein auf Architek- würden ab Montag geschlossen gesicherte und teilweise gemau- tur- und Nachhaltigkeitskommu- sein; mindestens bis zu den Oster- erte Grundstücksbegrenzung mit nikation spezialisiertes Büro ge- ferien, hieß es damals noch. einem elektrischen Rolltor, das gründet. Nachhaltigkeit hört nicht Aber es war spät, wir brauchten uns Zugang in eine Parallelwelt auf bei der Wahl recyclefähiger und ▼ 2021 | Juli/August erziehungsKUNST spezial 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 17 14.06.21 18:17
18 PATENSCHAFT ______________________________ ressourcenschonender Baustoffe; gebe, der regelmäßig aufgesagt ten sind sowohl die Klasse unse- ▼ vielmehr ist sie eine ganzheitliche werde (Ja!), interessierten sich die rer Tochter als auch ich im re- Betrachtungsweise unter ökonomi- Zenzeleni-Schüler vor allem für gelmäßigen Austausch mit der schen, ökologischen und sozialen vermeintlich gefährliche Tiere in Zenzeleni-Welt. Genevieve lehrte Aspekten. Entsprechend war es Deutschland. mich in einer ihrer Mails das Zu- mir wichtig, mit dem Start mei- Während wir all dies erlebten, lu-Wort »Ubuntu« und übersetzte nes Unternehmens einem weniger schloss Frankreich seine Grenzen es mit »Ich bin, wer ich bin, weil privilegierten Kind eine etwas an- und das Bangen um unsere Rück- wir sind«. Es benennt Solidarität, dere Zukunftsperspektive zu er- reise wurde stündlich größer. Am Überleben, Mitgefühl und Respekt möglichen. Sonntagabend schafften wir den mit nur einem Begriff. Zeitgleich Heute gibt es BAUKUNST.PLUS Sprung nach Johannesburg, um spiegelt es das Verständnis wider, seit knapp einem Jahr, während von dort um 23:55 Uhr über Ams- dass jeder Mensch in Südafrika mein Bildungspatenkind schon die terdam nach Hannover zurück die Pflicht habe, anderen in der 2. Klasse besucht. zu fliegen. Am Montag verhängte Gemeinschaft zu helfen. Entspre- Meine Begeisterung für das Paten- Südafrika ein Ein- und Ausreise- chend wurden »wohlhabendere« konzept hat die Lehrerin und El- verbot. Vororte mit »armen« Gemeinden ternschaft der Klasse unserer Toch- Nur vier Tage waren wir weg von gepaart und lindern so den Hun- ter angesteckt, so dass die heutige daheim und die Welt stand Kopf. ger mit Suppenküchen. Solange 4b der Waldorfschule Hannover- Es folgten überall die leider nur die Arbeitslosenquote noch nicht Maschsee parallel eine Patenschaft allzu gut bekannten einschneiden- bei 50 Prozent läge (aktuell beträgt mit der 4. Klasse der Zenzeleni den Auswirkungen der Pandemie, sie knapp 30 Prozent), würde die School eingegangen ist. In unserer auch in Südafrika. Dort musste südafrikanische Bevölkerung an Funktion als »Briefträger« eines die Zenzeleni Waldorf School, wie einem Strang ziehen, so meine An- Pakets selbstgebastelter Steckbrie- alle anderen Schulen, am 18. März sprechpartnerin. fe nebst Klassenfoto durften wir 2020 schließen. Ab dem 26. März Mit einer deutschen Arbeitslosen- die afrikanischen Schüler kennen- galt die erste landesweite Ausgang- quote von sechs Prozent im April lernen. sperre. Die Schulgemeinschaft un- 2021 und unseren diversen Siche- Sie haben uns Lieder vorgesungen, serer Patenschule traf es besonders rungsnetzen stehen wir so viel ge- die wir in Teilen aus dem Englisch- hart, da die meisten Familien im sünder da und sollten uns Ubuntu unterricht unserer Kinder kann- Township leben und die Eltern zu Eigen machen. Also lasst uns ten. Selbst ein deutsches »Bruder kein gesichertes Einkommen ha- dem Aufruf der Freunde der Er- Jakob« füllte den Klassenraum. ben. Neben den fehlenden Schul- ziehungskunst Rudolf Steiners Obwohl die meisten Kinder dieser gebühren musste die Schule noch e.V. folgen und Schüler in Waldorf- Schule zuhause Xhosa sprechen, einen weiteren herben Schlag hin- schulen Afrikas und Asiens, aber haben wir uns gut auf Englisch nehmen: Aufgrund der strikten auch in Mittel- und Osteuropa so- unterhalten können. Während Ausgangssperre war der Eltern- wie in Lateinamerika mit Bildungs- die Hannoveraner Kinder wissen schaft der Zenzeleni-Schule die patenschaften unterstützen. ◆ wollten, ob in Südafrika an den tägliche Nachtwache zum Schutz -------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Waldorfschulen eine Schuluni- gegen Einbrüche nicht mehr er- Zur Autorin: Kathrin Albrecht ist Unter- form getragen werde (Nein!) und laubt. Es kam zu Plünderungen. nehmerin und Schülermutter an der Freien ob es auch eine Art Zeugnisspruch Seit Beginn unserer Patenschaf- Waldorfschule Hannover-Maschsee erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 18 14.06.21 18:17
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20 GRÜNDER __________________________ Das Gründungsmotiv der Freunde Im Gespräch mit Andreas Büttner Andreas Büttner ist Priester der Menschen um Ernst Weißert vom der deutschen Waldorfschulen und Christengemeinschaft und war der Vorstand des Bundes der Waldorf- bei weiteren Gelegenheiten immer erste Geschäftsführer der Freunde schulen in Anknüpfung an Rudolf wieder. Im März 1974 konnte ich der Erziehungskunst. Heute ist er Steiners Impuls eines »Weltschul- in Den Haag an einer Konferenz Mitbetreiber der »Werkstatt Zu- vereins« den Verein Freunde der zum Thema »Weltschulverein« kunft«. Von ihm wollten wir wissen, Waldorfpädagogik gegründet. Da- mit europäischen Vertretern der wie es zur Gründung kam. von wussten wir zu diesem Zeit- Waldorfschulen teilnehmen, an der punkt aber noch nichts. auch eine Reihe junger Holländer Erziehungskunst | Was war für Sie aus der Dreigliederungsbewegung das zentrale Gründungsmotiv der EK | Wie fanden die Gründungs- teilnahm – der Funke sprang über! Freunde der Erziehungskunst? mitglieder zusammen? Von 1975 an organisierten wir eine Andreas Büttner | Die Waldorfschu- AB | Aus meiner Sicht gab es eine Reihe von Schüler- und Jugend- le in Kassel bot uns Oberstufen- Reihe von Gründungsmomenten, tagungen. schülern vielfältige Möglichkeiten die wir so zu einem Netzwerk zu- Die Not der Waldorfschulen in der Mitgestaltung eines lebendigen sammenführen konnten, dass im vielen Ländern der Welt führte in Schullebens mit neuen pädagogi- Zusammenwirken aller Generatio- unserem Kreis zu dem Impuls, ei- schen Impulsen wie der Integra- nen etwas wirklich Neues entstand. nen »Internationalen Hilfsfonds« tion beruflicher Bildung. Wo nötig, Zunächst trafen sich bei uns in zu gründen und den internatio- forderten wir den Raum zur Mit- Kassel im Jahr 1973 etwa 60 Schü- nalen Schüleraustausch stärker gestaltung ein, gründeten einen lerinnen und Schüler aus verschie- als bislang zu fördern. Zu Beginn Oberstufenrat und eine Schülerzei- denen Schulen in Deutschland, die des Schuljahres 1977/78 unter- tung, die monatlich erschien und die Gründung von forum interna- brach ich meine Ausbildung, um eher Schul- als Schülerzeitung war. tional als überregionaler Schüler- die Geschäftsführung der Freun- Über andere Schülerzeitungen zeitung beschlossen. de der Erziehungskunst zu über- kam auch die Vernetzung mit an- Die erste Nummer erschien paral- nehmen, in deren Vorstand Nana deren Waldorfschülern zustande, lel in deutscher, englischer und nie- Göbel und ich seit 1976 mitarbei- die wir von Anfang an internatio- derländischer Sprache. Das große teten. So konnte ich mich voll nal dachten. Thema der ersten Ausgabe war ein dem Aufbau des Internationalen Unser Impuls reichte über unsere Interview mit Joseph Beuys zum Hilfsfonds widmen, durch die eigene Schulzeit hinaus. Ein frei- Thema »Freiheit im Geistesleben«, damals etwa 30 deutschen Wal- es Schulwesen, wie wir es selber in dem wir aber auch die Themen dorfschulen reisen, von der inter- positiv erlebt hatten, sollte welt- Gleichheit im Rechtsleben und nationalen Schulbewegung und weit nicht nur einer privilegier- Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben ihren Nöten berichten und unsere ten Schicht offenstehen. Gleich- behandelten. Gleichzeitig trafen Netzwerke, zu denen auch die an- zeitig hatte eine Gruppe älterer wir uns bei den Jahrestagungen throposophische Jugendarbeit ge erziehungsKUNST spezial Juli/August | 2021 43-66_EK_07+08_2021_Spez_final.indd 20 14.06.21 18:17
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