Ferdinand Keller, Miriam Rassenhofer, Björn Nolting, Selma Koppmair & Renate Schepker

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Ferdinand Keller, Miriam Rassenhofer, Björn Nolting, Selma Koppmair & Renate Schepker
Effektivität der Kurzinterventionen in
Traumaambulanzen

Ferdinand Keller, Miriam Rassenhofer,
Björn Nolting, Selma Koppmair &
Renate Schepker

Psychotherapeut

ISSN 0935-6185
Volume 66
Number 1

Psychotherapeut (2021) 66:54-61
DOI 10.1007/s00278-020-00469-z

                                  1 23
Ferdinand Keller, Miriam Rassenhofer, Björn Nolting, Selma Koppmair & Renate Schepker
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1 23
Psychotherapeut
      Originalien

     Psychotherapeut 2021 · 66:54–61              Ferdinand Keller1 · Miriam Rassenhofer1 · Björn Nolting2 · Selma Koppmair1 ·
     https://doi.org/10.1007/s00278-020-00469-z   Renate Schepker3
     Angenommen: 5. Oktober 2020                   1
                                                     Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm, Ulm, Deutschland
     Online publiziert: 20. November 2020          2
     © Der/die Autor(en) 2020                        Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinikum Esslingen, Esslingen, Deutschland
                                                   3
                                                     ZfP Südwürttemberg, Ravensburg, Deutschland

                                                  Effektivität der
                                                  Kurzinterventionen in
                                                  Traumaambulanzen
                                                  Evaluation in Baden-Württemberg unter
                                                  Einbezug der Versorgungsbehörden

     Das Sozialgesetzbuch XIV führt Trau-         tes Angebot (in evidenzbasierten Ver-                 zogen. Einzig Franke et al. (2019) haben
     maambulanzen (TA) ab dem Jahr                fahren ausgebildete Psychotherapeuten                 Daten von Versorgungsbehörden anhand
     2021 flächendeckend ein. In Ko-               auch mit gutachterlicher Erfahrung, So-               von – allerdings bereits anerkannten –
     operation von Institutsambulanz              zialarbeiter) und die Bereitschaft zu auf-            OEG-Fällen nach Aktenlage untersucht.
     und Versorgungsbehörde sollen                suchenden Tätigkeiten (wie Begleitung                 Sie fanden als Prädiktoren für eine fort-
     TA mit schneller psychotraumato-             zur Gerichtsverhandlung, polizeilicher                währende Berufstätigkeit einen niedri-
     logischer Hilfe die Traumaverar-             Vernehmung sowie auch Hausbesuche)                    gen Grad der Schädigungsfolgen (GdS,
     beitung fördern und Grundlagen               vor.                                                  eine geringere Schädigung anzeigend).
     zur Bearbeitung des Opferentschä-               Das Stellen eines Antrags gemäß dem                Bei einem höheren GdS und einem hö-
     digungsantrags generieren, um                Opferentschädigungsgesetz (OEG) war                   heren Traumaschweregrad seien Anträ-
     den Gesundungsprozess ohne be-               Voraussetzung für die Teilnahme an der                ge später gestellt worden: Die gefunde-
     hördliche Retraumatisierung zu               Studie und das Erhalten der garantierten              ne durchschnittliche Dauer von 7 Jahren
     stützen.                                     Sitzungen. Die ersten 5 Sitzungen in der              zwischen Gewalttat und Antragstellung
                                                  TA dienten der Sachverhaltsaufklärung                 wurde als zu lang befunden. Die gefunde-
     Einführung                                   und waren u. a. Grundlage der Versor-                 ne Häufigkeit von 90 % psychischer Stö-
                                                  gungsämter für die Beurteilung der psy-               rungen spreche für das Etablieren spezi-
     Die in vielen Bundesländern etablierten      chischen Einschränkungen der Antrag-                  eller Therapieangebote.
     TA bewährten sich gemäß einer Prä-           steller. Bei Bedarf konnte die Behand-
     post-Evaluation in Nordrhein-Westfa-         lung über 10 zusätzliche Sitzungen fort-              Methoden
     len (Bollmann et al. 2012) und auch          geführt werden, auch um für die Umset-
     in einer bundesweiten Evaluation mit         zung der Hilfe bei weitergehendem Be-                 Die untersuchten TA Aalen, Esslingen,
     parallelisiertem Kontrollgruppendesign       handlungsbedarf zu sorgen. Traumaam-                  Offenburg, Reutlingen und Schwetzin-
     (Rassenhofer et al. 2016). Die „niedrig-     bulanzen sollten somit letztlich den Be-              gen hatten sich jeweils als Modellam-
     schwellige Intervention durch trauma-        hörden und den Betroffenen aufwendige                  bulanz beworben. Diese verfügen über
     tologisch spezialisierte Mitarbeiter einer   Begutachtungen ersparen. Ziel war, im                 traumatologisch ausgebildete Ärzte und
     Traumaambulanz . . . ist der Behand-         Rahmen des landesbezogenen Auftrags                   psychologische Psychotherapeuten – je-
     lung im Rahmen der Regelversorgung           unter Einbezug der Sicht der Betroffe-                 weils in traumafokussierter kognitiv-
     überlegen“ (Amtliche Begründung zum          nen und der Behörden die Effektivität der              behavioraler Therapie (TF-CBT), Eye
     Entwurf eines Gesetzes zur Regelung          Frühintervention hinsichtlich der Entak-              Movement Desensitization Reproces-
     des sozialen Entschädigungsrechts, BT-       tualisierung, des Symptomverlaufs, der                sing (EMDR) oder in psychodynamisch-
     Drucksache 19/13824, S. 185). Grund-         Zufriedenheit mit der Kooperation und                 imaginativer Traumatherapie (PITT).
     lage der Arbeit einer TA ist ein Vertrag     des Vermeidens weiterer Begutachtun-                  Oft liegen mehrere Methodenkompe-
     mit der Versorgungsbehörde. Die Ver-         gen zu evaluieren.                                    tenzen vor. Prospektiv wurden alle die
     träge sehen eine stetige Erreichbarkeit,        Dadurch wurde erstmalig die Sicht der              Ambulanz aufsuchenden Betroffenen
     schnelle Terminvergabe, ein qualifizier-      beteiligten Versorgungsbehörden einbe-                angesprochen, die eine Gewalttat ge-

54    Psychotherapeut 1 · 2021
mäß §1 des OEG erlitten hatten und           psychosozialen Funktionsfähigkeit auf        somit 122 Patienten, darunter 99 Frau-
die Einschlusskriterien (hinreichende        einer Skala von 0–100 darstellt. Zu-         en (81,1 %) und 23 Männer (18,9 %). Das
Deutschkenntnisse, OEG-Antrag ge-            dem erstellten die Therapeuten nach          Durchschnittsalter betrug 36,6 Jahre (SD
stellt, Einverständnis erteilt) erfüllten.   der fünften bzw. der letzten Sitzung         ± 13,6 Jahre, Altersbereich: 17 bis 94 Jah-
Die jeweiligen Therapeuten gingen, wie       einen standardisierten Kurzbericht an        re), im Median 33 Jahre (bei 5 [4,1 %]
jüngst empfohlen, individuumzentriert        die Versorgungsbehörde und die Stu-          fehlenden Altersangaben).
vor (Qi et al. 2016). Sie füllten mit        dienzentrale mit (Verdachts-)Diagnose,            Zum Zeitpunkt T2 (nach 5. oder letz-
Zustimmung der Teilnehmer nach der           Behandlungsverlauf und Ausblick.             ter Sitzung) standen Angaben von 90 Pa-
ersten Sitzung einen standardisierten            Die Katamnese 6 Monate nach Thera-       tienten (73,7 %) zur Verfügung. Die Ka-
Erhebungsbogen aus. Die Daten wur-           pieende wurde in der letzten Therapiesit-    tamnese konnte noch bei 32 Patienten
den der Versorgungsbehörde sowie mit         zung vereinbart und die Patienten zum        (26,2 %) erhoben werden, wobei aber zu
fortlaufender Chiffre anonymisiert der        entsprechenden Zeitpunkt alternativ te-      beiden Zeitpunkten keine vollständigen
Studienzentrale übermittelt.                 lefonisch oder schriftlich kontaktiert. Im   Angaben in der GAF und insbesonde-
    Methodisch handelt es sich um ein        Interview (n = 32) durch den behandeln-      re bei der PDS mehr vorhanden waren,
prospektives Prä-post-Design mit Ka-         den Therapeuten wurden Angaben zur           sodass der jeweils gültige Stichproben-
tamnese. Eine Kontrollgruppe war aus         Befindlichkeit und zur Lebenssituation        umfang bei den Auswertungen vermerkt
ethischen Gründen im Rahmen dieser           erhoben und frei dokumentiert sowie er-      ist.
Studie nicht angestrebt. Das Design lehnt    neut PDS und GAF vorgelegt. Die qua-              Um einen möglichen systematischen
sich an die Arbeit von Rassenhofer et al.    litativen Angaben wurden in der For-         Drop-out in der Stichprobe einschätzen
(2016) an; dort sind die verwendeten         schungsgruppe in einfacher Operationa-       zu können, wurden die 3 Teilnahmegrup-
Instrumente in ihrer Reliabilität und        lisierung hinsichtlich wichtiger Kriterien   pen (nur prä; prä und post; prä, post und
Validität beschrieben.                       wie weiterer Therapieverlauf, Berufstä-      Katamnese) hinsichtlich Geschlecht, Al-
    Zu Beginn der Intervention wurden        tigkeit, Stabilisierungs- und Belastungs-    ter, Zeitraum zwischen Tat und Vorstel-
durch den behandelnden Therapeuten           faktoren kategorisiert. Bei Nichtüberein-    lung, Art der Tat, Traumatyp und Schwe-
soziodemografische Daten, Traumaart           stimmung wurde konsensorientiert ent-        regrad (GAF zum ersten Zeitpunkt) ver-
(qualitativ analog zum Vorgehen der          schieden.                                    glichen. Bei keiner dieser Variablen zeigte
Versorgungsbehörden nach den Katego-             Die Versorgungsbehörden übermit-         sich ein signifikanter Unterschied, wes-
rien des Strafgesetzbuchs [StGB], ähnlich    telten in einem standardisierten Erhe-       halb von einer weitgehenden Vergleich-
Franke et al. 2019), Traumatyp (einmalig:    bungsbogen Angaben zu endgültigem            barkeit der 3 Gruppen ausgegangen wer-
Typ 1 oder sequenziell wiederholend:         Bescheid, anerkannten Schädigungen           den kann.
Typ 2 nach Terr 1991), Tatgeschehen          und GdS, Gutachtenaufträgen (medizi-
sowie Zeitpunkt und Dauer der Trau-          nisch oder psychiatrisch) und Zufrieden-     Traumavorgeschichte
maerfahrung erfasst.                         heit mit der Zusammenarbeit (z. B. „Die
    Die Teilnehmenden füllten in der         Informationen seitens der TA waren für       Von den Betroffenen benannten 36,1 %
ersten und der fünften Sitzung die Post-     meine Arbeit an diesem speziellen Fall       Körperverletzungen, 30,2 % Sexualdelik-
traumatic Diagnostic Scale (PDS) aus.        hilfreich“, zu bewerten mit 1 bis 6 im       te (21,0 % Vergewaltigungen), 13,4 % Ver-
Die von Foa et al. (1997) entwickelte PDS    Schulnotensystem).                           letzungen mit Waffen, 7,6 % Übergriffe
ist ein aus 49 Items bestehender Selbst-         Zur statistischen Auswertung wurden      auf Nahestehende (Schockschaden) und
einschätzungsfragebogen mit Ereignis-        mithilfe von IBM SPSS 23 deskriptive         12,6 % Bedrohungen (überwiegend mit
und Symptomteil. Die Symptombelas-           Statistiken, χ2-Tests bei kategorialen Va-   Waffen). Es gingen 69,3 % der Taten vom
tung wird auf einer 4-stufigen Likert-        riablen und Varianzanalysen mit Mess-        sozialen Nahfeld aus (38 % Familienan-
Skala erhoben und orientiert sich an         wiederholung bei quantitativen Varia-        gehörige, 32 % Bekannte). Nur 7 Patien-
den Kriterien des zu Studienbeginn gül-      blen berechnet; der α-Fehler wurde auf       tinnen (5,8 %) wiesen ein Typ-2-Trauma
tigen DSM-IV, dessen Kriterien einer         0,05 angesetzt.                              nach Terr (1991) durch wiederholte Er-
posttraumatischen Belastungsstörung                                                       eignisse über längere Zeit auf.
auch die Versorgungsbehörden zugrun-         Ergebnisse                                       Die TA hatten 25 % der Inanspruch-
de legen (BMAS 2008). Es wurde die                                                        nehmenden innerhalb der ersten 9 Tage
deutsche Übersetzung von Ehlers et al.       Stichprobe                                   nach dem traumatischen Geschehen
(1996) verwendet.                                                                         oder dessen Eröffnung (Anzeigeerstat-
    Zusätzlich bewerteten die Therapeu-      Es wurden 143 Erwachsene mit Hin-            tung oder Schockschaden) aufgesucht;
ten zu Beginn und Ende der Therapie          weis auf eine erlebte Gewalttat vorstel-     50 % (Median) nach 24 Tagen und 75 %
die „Global Assessment of Functio-           lig. Davon lehnten 17 die Studienteilnah-    des Gesamtkollektivs innerhalb von
ning“ (GAF) der Betroffenen. Bei der          me ab; drei gaben die Fragebogen nicht       78 Tagen. Bei 7 Personen betrug der
GAF handelt es sich um ein weltweit          zurück, bei einem Patienten waren die        angegebene Abstand mehr als ein Jahr.
eingeführtes Instrument, das mit gu-         Deutschkenntnisse nicht ausreichend. In          Zuweisungen erfolgten zu 36,2 %
ter Interrater-Reliabilität das Maß der      die Auswertung eingeschlossen wurden         durch den Weißen Ring, zu 31,0 % durch

                                                                                                            Psychotherapeut 1 · 2021    55
Zusammenfassung · Abstract

       Psychotherapeut 2021 · 66:54–61      https://doi.org/10.1007/s00278-020-00469-z
       © Der/die Autor(en) 2020

       F. Keller · M. Rassenhofer · B. Nolting · S. Koppmair · R. Schepker

       Effektivität der Kurzinterventionen in Traumaambulanzen. Evaluation in Baden-Württemberg unter
       Einbezug der Versorgungsbehörden
       Zusammenfassung
       Hintergrund. Baden-Württemberg hat ab               Sitzungen umfassenden Frühinterventionen          Schlussfolgerung. Der Zustand der
       2014 fünf Modelltraumaambulanzen in                 hinsichtlich der Reduktion posttraumatischer      Teilnehmer hatte sich nach der Kurzin-
       Kooperation mit den Versorgungsbehörden             Symptomatik und einer Verbesserung                tervention zwar überwiegend gebessert,
       prospektiv evaluieren lassen.                       des psychosozialen Funktionsniveaus der           die Teilnehmer waren aber noch nicht
       Ziel. Sowohl die Effektivität der Kurzinter-         Patienten. Im Katamnesezeitraum traten bei        gesundet. Eine enge Zusammenarbeit mit der
       ventionen als auch die Zufriedenheit der            allerdings geringer Ausschöpfung nur geringe      Versorgungsbehörde ist unter Überwindung
       Versorgungsämter mit der Kooperation sollten        Verschlechterungen ein. Als problematisch         von Datenschutzproblemen zu empfehlen.
       untersucht werden.                                  wurden Wartezeiten auf Anschlusstherapien,        Das neue Opferentschädigungsrecht wird
       Methode. Innerhalb des Erhebungszeitraums           ausstehende Verhandlungen und unabge-             helfen, erkannte Probleme der aktuellen
       von 2014 bis 2017 konnten insgesamt 122 Pa-         schlossene Opferentschädigungsgesetz(OEG)-        Situation (z. B. Anerkennung als Gewalttat) zu
       tienten eingeschlossen und zu 2 weiteren            Verfahren benannt; eine berufliche Inte-           verbessern.
       Messzeitpunkten (post: n = 90; Katamnese:           gration verhalf subjektiv zur Besserung.
       n = 32) psychometrisch untersucht werden.           Die Versorgungsbehörden waren bis auf             Schlüsselwörter
       Zur Katamnese fand auch eine qualitative            die nichteingetretene Beschleunigung              Verbrechensopfer · Frühintervention ·
       Erhebung der Befindlichkeit der Teilnehmer           der Bearbeitung mit der Kooperation sehr          Opferentschädigungsgesetz · Versorgungsbe-
       statt.                                              zufrieden. Auch wurden psychiatrische             hörden · Kontinuität der Patientenversorgung
       Ergebnisse. Es zeigte sich eine gute                Gutachten weiterhin in Auftrag gegeben.
       Effektivität der im Durchschnitt etwa 5

       Effectiveness of short interventions in trauma outpatient centers. An evaluation in Baden-
       Württemberg including the victim compensation offices
       Abstract
       Background. From 2014 onwards Baden-                Results. The early trauma-specific intervention    Conclusion. A brief intervention can help to
       Württemberg commissioned the prospective            showed positive effects after an average of        stabilize trauma patients but cannot achieve
       evaluation of five model trauma outpatient           five sessions in terms of reduction of posttrau-   complete recovery in five sessions. Ongoing
       services in cooperation with the victim             matic symptoms and improved psychosocial          psychological attendance should be provided
       compensation offices.                                 functioning. At follow-up (limited by a high      in a continuity of care without long waiting
       Objective. The focus of this study was on the       drop-out rate) we found only minor declines       periods. We recommend close cooperation
       effectiveness of a brief intervention and the        in posttraumatic symptoms. Participants           with the victim compensation offices while
       satisfaction of the healthcare authorities with     primarily reported long waiting periods for       overcoming data protection issues. Some of
       the cooperation.                                    the next psychotherapy as well as pending         the problems mentioned by patients, such as
       Methods. During the study period 2014–2017          court hearings and not finalized procedures        the recognition of the traumatic situation as
       a total of 122 patients could be included and       under the Victim Compensation Act (OEG) as        a violent crime, will be overcome by the new
       were psychometrically assessed at 2 further         major problems. The victim compensation           OEG.
       measurement points (post n = 90, follow-up          offices rated the cooperation as highly
       n = 32). During the follow-up a qualitative         satisfactory, except for procedures taking too    Keywords
       evaluation of the mental state and everyday         long. Additionally, a psychiatric expertise was   Crime victims · Early interventions · Victim
       life of the participants was carried out.           often still necessary.                            Compensation Act · Victim compensation
                                                                                                             offices · Continuity of patient care

     medizinische Professionelle (Hausarzt,              5 Sitzungen (. Tab. 1); bei 31,8 % der Pa-              Eine Verlaufsanalyse der GAF zu Be-
     Therapeut, Klinik), zu 19,8 % durch die             tienten wurden weniger als 5 Sitzungen              ginn und am Ende der probatorischen
     Polizei, zu 4,3 % durch ein Frauenhaus              durchgeführt und bei 9 Patienten weitere            Sitzungen (n = 68, 76 % der Ausgangs-
     oder pro familia und zu 2,6 % durch                 Sitzungen. Der Mittelwert betrug insge-             stichprobe) ergab eine Verbesserung
     Rechtsanwälte; sieben Patienten (6,0 %)             samt 5,2 Sitzungen. Es wurden 23 Pati-              von M = 47,3 (SD ± 10,4) auf M = 60,5
     waren Selbstmelder.                                 enten (25,6 %) am Ende der Sitzungen                (SD ± 14,7). Der Anstieg ist signifikant
                                                         als stabil eingeschätzt. Eine weitere, län-         (F(1, 67) = 71,1, p < 0,001; eta2 = 0,51).
     Therapie und Prä-post-Verlauf                       gerfristige ambulante Behandlung wur-               Analog zeigte sich für den Verlauf der
                                                         de 22 Patienten (24,4 %) empfohlen und              posttraumatischen Symptomatik in der
     Über die Hälfte der Patienten (57,6 %)              5 eine intensivere teilstationäre Therapie.         PDS (n = 31, 34 % der Ausgangsstich-
     erhielten genau die primär genehmigten                                                                  probe) eine signifikante Verbesserung

56    Psychotherapeut 1 · 2021
Tab. 1 Häufigkeiten für die genutzte Zahl        Analog zeigt . Abb. 2 für die PDS die     ohne Inhaltsangaben und Zwang“, „sehr
 der Sitzungen (n = 85, 5 fehlende Angaben)   zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen         geholfenhatdie wertneutrale Haltung der
 Anzahl der      Inanspruchnehmende           Daten. Auch hier ergibt sich nach Ver-       Therapeuten“. Zwei Patienten beklagten
 Sitzungen       Anzahl (n)      Anteil (%)   besserung von prä nach post eine etwa        zu wenige Sitzungen. Nur eine Patientin
 1              2              2,4            gleiche Symptomatik zum Katamnese-           empfand den Besuch der TA als nicht-
 2              7              8,2            zeitpunkt, die breiter streut.               hilfreich.
 3              12             14,1
 4              6              7,1
                                              Qualitative Angaben zum                      Sicht der Versorgungsbehörden
 5              49             57,6
                                              Katamnesezeitpunkt
                                                                                           Zu 62 Patienten (87 % Frauen) lag,
 10             2              2,4            Die 32 Patienten (26,2 % der Untersu-        teils aufgrund der langen Bearbeitungs-
 12             1              1,2            chungsgruppe) machten folgende qua-          zeiträume verspätet nach Studienende
 15             6              7,1            litative Angaben zu ihrem Befinden:           eingegangen, eine Rückmeldung durch
                                              Die nach Selbsteinschätzung stabilen         die Versorgungsämter vor. Die Zeiträume
                                              Patienten (8) benannten als unterstüt-       zwischen dem Stellen des OEG-Antrags
von M = 33,9 (SD ± 7,7) auf M = 24,7          zend Ausbildungs-/Arbeitssituation (7),      und dem Bescheid durch die Versor-
(SD ± 13,2) im Prä-post-Vergleich (F(1,       Umzug (4), stabile Partnerschaft (4)         gungsbehörde (basierend auf n = 54)
30) = 29,5, p < 0,001; eta2 = 0,50).          oder gutes soziales Umfeld oder Helfer-      lagen für 25 % innerhalb der ersten
                                              system (4) sowie den abgeschlossenen         188 Tage, für insgesamt 50 % innerhalb
Verlaufsanalysen über alle drei               Gerichtsprozess (2). Die weiter in Be-       von 343 Tagen und für 75 % innerhalb
Zeitpunkte                                    handlung befindlichen Patienten (9)           von 509 Tagen.
                                              gaben an, sie seien in beruflicher Wie-           Ein OEG-Antrag wurde 43-mal ab-
Die Katamnesegruppe umfasst 32 Perso-         dereingliederung (3), im langsamen Wie-      gelehnt, davon bei 31 Patienten, weil ei-
nen (26,2 % der Gesamtstichprobe). Wei-       deranschluss an das soziale Umfeld (2),      ne Gewalttat nach §1 OEG nicht nach-
tere 10 Personen waren unbekannt ver-         in einer neuen stabilen Partnerschaft (4)    weisbar gewesen sei (50 %), bei 2 Pati-
zogen, 14 lehnten ab, 2 befanden sich         oder umgezogen (2), hätten neue Belas-       enten wegen nachträglich festgestellter
noch in Behandlung der TA. Zu 52 %            tungsfaktoren (2) oder seien belastet im     Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft
der Gesamtgruppe liegen somit Daten           Kontext des Gerichtsverfahrens zu den        (BG)/Unfallversicherung und bei 6 Pati-
bzw. Angaben zum Grund des Ausschei-          auslösenden Ereignissen (5). Patienten       entenaufgrund mangelnderKooperation
dens aus der Studie vor, die übrigen 48 %     mit empfohlener, aber keiner aktuellen       bei der Sachverhaltsaufklärung; in 4 Fäl-
konnten seitens der TA nicht kontaktiert      Therapie (10) waren reduziert arbeitend      len sei eine vorübergehende Schädigung
werden.                                       oder in Umschulung (5), arbeitsunfä-         mittlerweile abgeheilt. Vier Patienten zo-
   Für alle 3 Zeitpunkte (prä, post, Ka-      hig (4), erlebten Symptomverschlechte-       gen den Antrag von sich aus zurück.
tamnese) lagen von 24 Personen GAF-           rung (5) – einmal nach einer nichttrau-          Ein GdS wurde in 12 Fällen anerkannt,
Werte vor (75 % der Katamnesegruppe           maspezifischen Behandlung. Sie litten an      bei 6 Betroffenen (17 % von den 35 ent-
bzw. 20 % der Ausgangsstichprobe). Sie        zusätzlichen Belastungen (2) und Verbit-     schiedenen Fällen) mit einem rentenbe-
wiesen zu prä und post analoge Mittel-        terung (2) infolge des Wartens auf einen     rechtigendenGdS von30 oderhöher. Psy-
werte zur jeweiligen Gesamtgruppe auf         Therapieplatz (2) oder des noch nicht        chiatrische Gutachtenaufträge wurden in
(M = 49,2 bzw. M = 63,2), und zum Ka-         abgeschlossenen Gerichtsverfahrens (2).      7 Fällen trotz Besuchs der TA erteilt,
tamnesezeitpunkt ergab sich ein Mittel-       Nur 4 Patienten benannten stabilisie-        d. h. bei den verbleibenden Fällen mit
wert von 66,4. Die Varianzanalyse ergab       rende soziale Faktoren. Ein weiteres         positiv vorliegendem Eingangskriterium
ebenso vergleichbare Signifikanzaussa-         Leiden unter anhaltenden posttrauma-         noch bei 19 %.
gen, sodass insgesamt auf eine deutliche      tischen Symptomen gaben 10 Patienten             Die Versorgungsbehörde bewertete
Verbesserung derpsychosozialenFunkti-         (31 %) an. Die soziale Rehabilitation        59-mal die Zusammenarbeit mit der TA.
onsfähigkeit von prä nach post geschlos-      war für 4 zufriedenstellend, teils unter     Im Schulnotensystem erhielten die TA
sen werden kann, die zum Katamnese-           Aufgabe des früheren sozialen Umfelds,       allgemein durchschnittlich ein „Sehr gut
zeitpunkt stabil geblieben ist. Vollständi-   wenngleich bei einigen mit weiterbeste-      bis Gut“ mit 1,66. Die schlechteste Be-
ge Längsschnittdaten der PDS lagen nur        hender Symptomatik. Insgesamt 19 %           wertung erhielt das Item eines „schneller
von 6 Personen vor und werden hier nicht      fühlten sich durch eine noch anstehende      als herkömmlichen Fallabschlusses“ mit
berichtet.                                    Gerichtsverhandlung belastet.                2,4; die beste die Schnelligkeit einer The-
   Zur GAF zeigt . Abb. 1 die zum je-             Kommentare zur TA besagten: „Die         rapie für das Opfer mit 1,3. Insgesamt
weiligen Zeitpunkt vorhandenen Daten.         TA war lebensrettend“ oder „überlebens-      wurde bis auf 4 „Ausreißer“, davon 2 Fäl-
Nach dem Anstieg von prä nach post zeigt      notwendig“ (3) – oder „sehr hilfreich“ (4)   le auch mit somatischen Folgeschäden,
sich ein etwa gleicher Median zum Ka-         „vor allem das Erlernen von Selbstberu-      die Zusammenarbeit als qualitativ gut,
tamnesezeitpunkt, bei aber zunehmen-          higung“ (3), „unmittelbar nach der Tat       hilfreich in der Fallführung und sinnvoll
der Streuung.                                 hat sie mir sehr geholfen, trauern dürfen    bewertet.

                                                                                                             Psychotherapeut 1 · 2021    57
Originalien

     Abb. 1 8 VerteilungderWerte derGlobal Assessment ofFunctioning(GAF)zu Therapiebeginn(prä,n = 108),zu Therapieende
     (post, n = 73) und zum Katamnesezeitpunkt (n =31) als Box- und Whisker-Plots (die Boxen zeigen 25 %- und 75 %-Grenzen,
     die „whiskers“ 10 % bzw. 90 %)

     Diskussion                                        nach regelhaft gewährtem Antrag weiter-            gestellten Stichprobe zu 50 % innerhalb
                                                       behandelt werden. Die katamnestischen              von 24 Tagen. Anhand der eigenen Da-
     Interpretation der Studienergeb-                  Angaben belegen, dass sich ein knappes             ten kann keine Aussage dazu getroffen
     nisse und Literaturvergleich                      Drittel der Katamnesegruppe trotz The-             werden, innerhalb welches Zeitabstands
                                                       rapieempfehlung nicht in Behandlung                zu Trauma oder Eröffnung eine schnelle
     Die vorliegende Untersuchung hatte die            befand. Insgesamt gaben 31 % der Ka-               Hilfe bessere Effekte zeigt, und auch
     Evaluation der Modell-TA in Baden-                tamnesegruppe trotz Frühintervention               Qi et al. (2016) zeigen sich in ihrer
     Württemberg zum Ziel. Vor der Dis-                anhaltende posttraumatische Sympto-                Übersicht hinsichtlich der Frühzeitig-
     kussion der Ergebnisse ist zu erwähnen,           me an, und 19 % fühlten sich durch                 keit skeptisch. Nach Qi et al. (2016) kann
     dass, wie häufig in naturalistischen Stu-          eine anstehende Gerichtsverhandlung                vor allem CBT, vorzugsweise nach se-
     dien, ein Datenverlust auftrat, der zwi-          besonders belastet. Hier wäre sinnvoll,            xuellen Übergriffen, die Symptomdauer
     schen Beginn und vorläufigem Abschluss             die Konsequenz einer niederschwellig               für Monate und Jahre reduzieren, sollte
     der Behandlung vertretbar (Drop-out:              möglichen Fortsetzung der Kontakte,                aber erst im zweiten Schritt und nur
     26,3 %), aber zur Katamnese erheblich             die Vorbereitung und Begleitung der                bei symptomatischen Patienten einge-
     ausfiel (Drop-out: 73,8 %).                        Verhandlung über eine Erweiterung der              setzt werden – wobei sie sich auf einen
        Es konnte die Effektivität der trau-            Zahl der TA neu zu evaluieren, die ab              Zeitraum von einen bis 5 Monaten nach
     matherapeutischen Frühinterventionen              2021 flächendeckend vorgesehen sind.                dem traumatischen Ereignis beziehen.
     durch eine signifikante Reduktion der                 Während im vorliegenden Setting                    Erneut, wie bei vorherigen Evalua-
     posttraumatischen Stresssymptomatik               das Stellen des OEG-Antrags ungefähr               tionen von TA (Bollmann et al. 2012;
     und die Verbesserung des psychosozia-             dem Zeitpunkt des Erstkontakts zur TA              Rassenhofer et al. 2016), stellten sich
     len Funktionsniveaus gezeigt werden.              gleichkam, waren die von Franke et al.             Betroffene im Langzeitverlauf zwar als
     Das bedeutet allerdings nicht, dass die           (2019) untersuchten Betroffenen bereits             durchschnittlich gebessert hinsichtlich
     Patienten die TA mehrheitlich gesund              anerkannt und hatten keine anstehen-               des psychosozialen Funktionsniveaus, je-
     verlassen konnten. Nur 26 % wurden als            den Verfahren mehr. Bei ihnen setzte               doch überwiegend nicht als symptomfrei
     stabil entlassen, lediglich 10,7 % konnten        die gesetzlich vorgesehene Hilfe zu 50 %           dar. Schwere Verläufe und rentenberech-
     aus Kapazitätsgründen innerhalb der TA            innerhalb eines Jahres ein, in der vor-

58    Psychotherapeut 1 · 2021
Abb. 2 8 VerteilungderPosttraumatic-Diagnostic-Scale(PDS)-Selbsteinschätzungenzu Therapiebeginn(prä,n =79),zu The-
rapieende (post, n = 34) und zum Katamnesezeitpunkt (n = 15) als Box- und Whisker-Plots (die Boxen zeigen 25 %- und 75 %-
Grenzen, die „whiskers“ 10 % bzw. 90 %); gestrichelte Linie „Cut-off“-Wert für klinisch bedeutsame Symptomatik

tigende GdS-Bescheide können mithilfe              guten bis sehr guten fallbezogenen Be-              nen Anträgen unabhängig von Zustän-
der TA nicht gänzlich vermieden werden.            wertungen fielen deutlich positiver aus              digkeit und juristisch parallel zur Ar-
    Anders als bei Bollmann et al. (2012)          als erwartet, trotz des für die Studie nö-          beit der TA geprüftem Vorliegen einer
waren nur in wenigen nachträglich neu              tigen Eigenbeitrags der teilnehmenden               Straftat nach §1 OEG aus. Die Ableh-
zugeordneten Ausnahmen die Unfallver-              Behörden. Eine Verkürzung der Bearbei-              nungsquote betrug 2017 in Baden-Würt-
sicherungen oder BG zuständig, d. h., es           tungsdauer konnte, anders als beabsich-             temberg nur 39 % (Weißer Ring 2020).
entstand kein Selektionsbias hinsichtlich          tigt, jedoch nicht objektiviert werden. Die         Möglicherweise ist diese Diskrepanz da-
erfolgter Traumatisierungen mit relativ            festgestellten Bearbeitungszeiträume der            durch bedingt, dass sich viele Betroffene
guten Risiken. Typ-2-Traumatisierungen             OEG-Anträge sind sehr lang. Laut den                an die TA wendeten, ohne dass vorher
(sequenziell und lang dauernd) mit wie-            Versorgungsbehörden liegt ein Grund in              eine polizeiliche Anzeige erfolgte. Zwar
derum schlechterer Prognose fanden sich            noch nicht abgeschlossenen Gerichtsver-             ist die Anzeige keine Grundvorausset-
in deutlicher Minderzahl im vorliegen-             fahren und dem damit zusammenhän-                   zung für die Bewilligung von Leistungen
den Ausgangskollektiv.                             genden längeren Zeitraum der Sachver-               nach dem OEG, allerdings ist es für die
    Die von Franke et al. (2019) vermerk-          haltsklärung. Dies ist durch die Arbeit             Versorgungsbehörden ohne Anzeige sehr
te positive Prädiktorwirkung des (niedri-          der TA nicht zu beeinflussen. Einen ge-              schwierig zu überprüfen, ob tatsächlich
gen) GdS auf die Berufstätigkeit lässt sich        wissen Einfluss hat auch die Zeit einer              eine Gewalttat im Sinne des OEG er-
an den Katamnesen nachvollziehen: Von              Gutachtenerstellung. Andererseits konn-             folgt ist. Die Ablehnungsquote für Opfer
denjenigen, die sich als stabil bezeichne-         ten teilweise sehr schnelle Bearbeitungs-           von bisher nicht vom OEG §1 erfass-
ten, waren deutlich mehr beruflich inte-            zeiten verzeichnet werden (14 % der Ent-            ten Straftaten, wie Stalking, wird nach
griert als von denjenigen, die von andau-          scheidungen erfolgten innerhalb von 3               dem neuen SGB XIV künftig geringer
ernden Beeinträchtigungen/Belastungen              Monaten).                                           werden. Rentenberechtigende Bescheide
berichteten.                                           Interessant ist die mit 78 % Ablehnun-          (GdS >30) lagen bei 17 % der infrage
    Erstmals untersucht wurde die Ko-              gen aus den rückgemeldeten Fällen ho-               kommenden Fälle mit Zuständigkeit der
operation aus Sicht der Versorgungsbe-             he Ablehnungsquote der OEG-Anträge                  Versorgungsbehörde und erfülltem Ein-
hörden. Für diese war die Zusammen-                im vorliegenden Kollektiv, geht man von             gangskriterium nach §1 OEG vor. Das
arbeit mit TA neu. Die durchschnittlich            allen gestellten und nichtzurückgezoge-             neue SGB XIV mit stufenweisem Inkraft-

                                                                                                                            Psychotherapeut 1 · 2021   59
Originalien

     treten bis 2024 sieht für Gewaltopfer mit        stichprobe erreicht). Ein systematischer        bei, führen aber nicht zur völligen
     psychischer Störung eine niederschwelli-         patientenbedingter Ausfall erscheint            Gesundung der Patienten.
     gere Anerkennung vor. Die enge Zusam-            dennoch nicht gegeben, da 75 % der Ka-        4 Eine engere Zusammenarbeit mit
     menarbeit der TA mit dem zuständigen             tamnesegruppe aus einer TA stammten.            der Versorgungsbehörde empfiehlt
     Versorgungsamt hat sich im vorgestellten         Dies könnte die Repräsentativität der           sich, resultiert aber weder in einer
     Projekt bewährt und sollte künftig nicht         Katamnesedaten zwar einschränken; es            Verkürzung der – die Betroffenen
     durch Datenschutzfragen beeinträchtigt           sind aber eher organisatorische Gründe          belastenden – Bearbeitungsdauern
     werden, sodass mit Schweigepflichtent-            als Patientenvariablen als ursächlich für       noch in weniger psychiatrischen
     bindung in beide Richtungen den Ambu-            den hohen Drop-out zu vermuten, da              Begutachtungen.
     lanzen künftig Feedback zur getroffenen           in 4 der insgesamt 5 TA nur sporadisch
     Entscheidung gegeben werden könnte.              Katamnesen erhoben werden konnten.
                                                                                                    Korrespondenzadresse
         Einige Teilnehmer gaben katamnes-                Zusätzlich ist limitierend, dass die
     tisch fortbestehende Belastungen durch           Einschätzungen der GAF von den be-            Prof. Dr. Ferdinand Keller, Dipl.-Psych.
     anstehende Verhandlungen oder durch              handelnden Therapeuten vorgenommen            Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/
                                                                                                    Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm
     noch laufende OEG-Anerkennungsver-               wurden, was eine mögliche Verzerrung
                                                                                                    Steinhövelstr. 5, 89075 Ulm, Deutschland
     fahren an. Diese Teilnehmer haben mög-           – allerdings in beide Richtungen – ge-        ferdinand.keller@uniklinik-ulm.de
     licherweise Bedarf an weiterer Behand-           nerieren kann.
     lung, und eine Veränderung des Vorge-                Die an die Versorgungsämter über-         Funding. Open Access funding enabled and organi-
     hens der TA hin zu einer Begleitung bis          mittelten Diagnosen zum Zeitpunkt             zed by Projekt DEAL.
     nach der Verhandlung, ggf. mit einer Pau-        des Therapieendes wurden nicht ausge-
     se nach der 5. Sitzung, wäre zu disku-           wertet. Einerseits waren es noch über-
     tieren. In einigen Fällen wurden weitere         wiegend versorgungsmedizinische Ver-          Einhaltung ethischer Richtlinien
     Sitzungen für diese Zwecke anberaumt.            dachtsdiagnosen, da jede Diagnose zur
         Der weiterhin hohe Anteil an beauf-          Rentenberechtigung eine 6-monatige            Interessenkonflikt. F. Keller, M. Rassenhofer, B. Nol-
     tragten psychiatrischen Gutachten mit            Symptomdauer aufweisen muss. Ande-            ting, S. Koppmair und R. Schepker geben an, dass kein
     17 % liegt auf dem Niveau der bekannten          rerseits ist eine akute Belastungsreaktion,   Interessenkonflikt besteht. Diese Veröffentlichung
                                                                                                    beruht auf Vorarbeiten im Rahmen eines durch das
     Daten aus der Region. So teilen 2 große          die sehr häufig vorlag, auf eine 4-wö-         Land Baden-Württemberg geförderten Evaluations-
     Versorgungsbehörden, die an der Studie           chige Dauer begrenzt. Vergleiche mit          berichts.
     beteiligt waren, je nach Jahrgang eine           versorgungsmedizinisch anerkannten
                                                                                                    Für die vorliegende Studie liegt eine positive Einschät-
     Rate an neurologisch-psychiatrischen             Diagnosen (Franke et al. 2019) können         zung der Ethikkommission der Universität Ulm vor.
     Gutachten zwischen 9 und 17 % der                daher nicht gezogen werden.
     Erstanträge mit12. Diese könnte viel-                                                          Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative
                                                                                                    Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz
     leicht durch aussagefähigere Berichte als        Ausblick                                      veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung,
     den hier vorgegebenen „Kurzstandard“                                                           Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jegli-
     reduziert werden. Ob sich die Wider-             Mögliche Vorteile der TA sind wissen-         chem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die
                                                                                                    ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsge-
     spruchsquote der Betroffenen gegen den            schaftlich noch nicht systematisch er-        mäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz
     Bescheid analog der Studie in NRW                fasst worden. So könnte der Prädiktor-        beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenom-
     (Schürmann 2010) halbiert hat (dort              wert einer frühen, hier unmittelbar er-       men wurden.
     7,3 %ige vs. 16,8 %ige Widerspruchsquo-          folgenden Erfassung der Schwere der pe-       Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges
     te gegen die Erstbescheide), wurde nicht         ritraumatischen Dissoziation prospektiv       Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten
     untersucht.                                      für gezielte, intensivere Interventionen      Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil-
                                                                                                    dungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das be-
                                                      zur Traumaverarbeitung und Verhinde-          treffende Material nicht unter der genannten Creative
     Limitationen der Studie                          rung von Traumafolgestörungen oder so-        Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung
                                                      gar eine Täter-Opfer-Umkehr (Tschöke          nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für
                                                                                                    die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Ma-
     Einschränkungen der vorgelegten Daten            et al. 2019) genutzt werden. Es könnten       terials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers
     bestehen im eingangs der Diskussi-               der Einfluss der Nähe zu Tätern noch sys-      einzuholen.
     on erwähnten Datenverlust bezüglich              tematischer untersucht sowie Reaktionen
                                                                                                    Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der
     der Katamnese (26,2 % der Ausgangs-              der Umgebung gezielter in hilfreiche und      Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/
                                                      weniger hilfreiche eingeordnet und ka-        licenses/by/4.0/deed.de.
                                                      nalisiert werden.
     1
       Metz D (2019) Persönliche Mitteilung über
     OEG-Fälle und Begutachtungen im Versor-
     gungsamt Aalen. E-Mail vom 18.02.2019.           Fazit für die Praxis                          Literatur
     2
       Stritt B (2019) Persönliche Mitteilung über                                                  BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Soziales)
                                                      4 Fünf Sitzungen in einer Traumaam-
     neurologisch-psychiatrische Gutachten und                                                          (2008) Rundschreiben vom 2.12.2008, Az 65-
     Erstanträge im Versorgungsamt Rottweil. E-Mail      bulanz tragen zur Stabilisierung               50122-2/38: Ärztlicher Sachverständigenbeirat
     vom 17.01.2019.                                                                                    Versorgungsmedizin beim BMAS. Beschluss zu

60    Psychotherapeut 1 · 2021
Fachnachrichten

      posttraumatischer Belastungsstörung – Klinik          Was der Psyche im Lockdown helfen könnte
      und Begutachtung, 6.–7. November 2008
Bollmann K, Schürmann I, Nolting B et al (2012)             Die Covid-19-Pandemie wirkt sich auf die psychische Gesundheit aus. Doch was
      Evaluation der Traumaambulanzen nach dem              genau belastet die Menschen und was hilft ihnen, einen Lockdown zu überstehen?
      Opferentschädigungsgesetz in Nordrhein-
      Westfalen. Z Psychosom Med Psychother                 Eine neue Studie unter der Leitung von Forschenden der Universität Basel ging
      58:42–54                                              dieser Frage anhand von Daten aus 78 Ländern nach.
Ehlers A, Steil R, Robins LN et al (1996) Deutsche
      Übersetzung der Posttraumatic Stress Diag-            Zu Beginn der Covid-19-Pandemie war wenig       hingegen berichteten signifikant weniger
      nostic Scale (PDS). Department of Psychiatry,         bekannt, wie sich ein staatlich angeordneter    negative Emotionen (negativer Affekt) als im
      University of Oxford, Oxford
Foa EB, Cashman L, Jaycox L et al (1997) The validation
                                                            Lockdown auf die Bevölkerung auswirken          Durchschnitt der Länder.
      of a self-report measure of posttraumatic stress      würde. Was man wusste, stammte aus frühe-       Diese Unterschiede zwischen den Ländern
      disorder: the posttraumatic diagnostic scale.         ren Beobachtungen im Rahmen von Quaran-         gehen wahrscheinlich auf eine Mischung aus
      Psychol Assess 9:445–451
                                                            tänen kleiner Personengruppen. «Einerseits      Zufall, länderspezifische Reaktionen auf die
Franke S, Kalweit C, Frey A et al (2019) Opfer von
      Gewalttaten im Verfahren nach dem Opferent-           können sich solche drastischen Veränderun-      Pandemie, kulturelle Eigenheiten sowie die
      schädigungsgesetz. PsychotherPsychosomMed             gen im Tagesablauf negativ auf die psychi-      politische Situation zurück. Darüber hinaus
      Psychol 69:105–113
                                                            sche Gesundheit auswirken», erklärt Prof. Dr.   kommen auch Faktoren zum Tragen, die die
Qi W, Gevonden M, Shalev A (2016) Prevention of post-
      traumatic stress disorder after trauma: current       Andrew Gloster von der Universität Basel, Co-   Forschenden als zentral für die psychische
      evidence and future directions. Curr Psychiatry       Leiter der jetzt in «PLOS One» veröffentlich-    Gesundheit in der Pandemie identifizierten.
      Rep 18:20
                                                            ten Studie. «Da aber bei einem Lockdown         So waren der Verlust von finanziellem Ein-
Rassenhofer M, Laßhof A, Felix S et al (2016) Effektivität
      der Frühintervention in Traumaambulanzen.             die gesamte Bevölkerung mehr oder weniger       kommen im Vergleich zu dem Niveau vor
      Ergebnisse des Modellprojekts zur Evaluation          gleichmässig betroffen war, blieb unklar, ob     dem Lockdown sowie ein fehlender Zugang
      von Ambulanzen nach dem Opferentschädi-
                                                            dieser Effekt hierbei genauso eintritt.»         zur Grundversorgung mit einem schlechteren
      gungsgesetz. Psychotherapeut 61:197–207
Schürmann I (2010) Projektbericht Evaluation der                                                            psychischen Zustand verbunden. Faktoren,
      Traumaambulanzen in NRW. https://www.lwl.             Welche negativen Auswirkungen hat               die den psychischen Zustand durchweg ver-
      org/lwl-versorgungsamt-download/Antraege_
                                                            der Lockdown auf die Psyche?                    besserten, waren soziale Unterstützung, ein
      und_downloads/Projektbericht-MAGS.pdf. Zu-
      gegriffen: 8. Febr. 2020                               Um diese Frage zu klären, führten Gloster und   höheres Bildungsniveau und die Fähigkeit,
Terr L (1991) Childhood traumas: an outline and             seine internationalen Kolleginnen und Kol-      flexibel auf die Situation zu reagieren und
      overview. Am J Psychiatry 27:96–104
Tschöke S, Steinert T, Bichescu-Burian D (2019) Causal
                                                            legen eine Online-Umfrage in 18 Sprachen        sich anzupassen.
      connection between dissociation and ongoing           durch. Fast 10.000 Menschen aus 78 Ländern
      interpersonal violence. Neurosci Biobehav Rev         nahmen daran teil und gaben Auskunft über       Akzeptanz- und Commitment
      107:424–437
Weißer Ring (2020) Staatliche Opferentschädigung in
                                                            ihre psychische Gesundheit sowie ihre all-      -Therapie in Fokus
      Deutschland im Jahr 2017. https://weisser-ring.       gemeine Situation während des Covid-19-         »Initiativen im Bereich der öffentlichen Ge-
      de/media-news/publikationen/statistiken-zur-          bedingten Lockdowns.                            sundheit sollten sich vor allem an Menschen
      staatlichen-opferentschaedigung. Zugegriffen:
      8. Febr. 2020
                                                            Einer von zehn Befragten gab einen schlech-     ohne soziale Unterstützung richten sowie an
                                                            ten Zustand der eigenen psychischen Ge-         diejenigen, deren finanzielle Situation sich
                                                            sundheit an – einschließlich negativen Wohl-    durch den Lockdown verschlechtert. Basie-
                                                            befindens, Stress, depressivem Verhalten und     rend auf diesen Ergebnissen sind Maßnah-
                                                            pessimistischer Sicht auf die Gesellschaft.     men wie die Akzeptanz- und Commitment-
                                                            Weitere 50 Prozent sahen ihre psychische Ge-    Therapie vielversprechend, die psychologi-
                                                            sundheit zwar nur mäßig beeinträchtigt, dies    sche Flexibilität fördern, um die Auswirkun-
                                                            hat sich aber in anderen Studien bereits als    gen der Pandemie und eines Lockdowns zu
                                                            Risiko für weitere Komplikationen erwiesen.     mildern», so Gloster.

                                                            Unterschiedliche Wohlbefinden                   Originalpublikation: Andrew T. Gloster et
                                                            Insgesamt war die Tendenz der Antworten         al: Impact of COVID-19 pandemic on mental
                                                            in den untersuchten Ländern weitgehend          health: An international study;
                                                            ähnlich. Obwohl sich kein Land über alle Er-    PLOS One (2021), doi: 10.1371/jour-
                                                            gebnisse hinweg als durchweg besser oder        nal.pone.0244809
                                                            schlechter herausstellte, zeigten sich doch
                                                            einige Unterschiede. Teilnehmende in Hong-
                                                            kong und der Türkei hatten mehr Stress als                                   Quelle:
                                                            diejenigen aus anderen Ländern; die USA           www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-
                                                            berichteten mehr depressive Symptome;                   Research/Was-der-Psyche-im-
                                                            und das Wohlbefinden war in Hongkong                   Lockdown-helfen-koennte.html
                                                            und Italien am niedrigsten. Teilnehmende                               [07.01.2021])
                                                            in Österreich, Deutschland und der Schweiz

                                                                                                                                Psychotherapeut 1 · 2021   61
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