Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

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Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
ferdinandea
DIE ZEITUNG DES VEREINS TIROLER L ANDESMUSEUM FERDINANDEUM
FERDINANDEA NR. 56 · MAI – JULI 2021

Ab Albrecht
   21. Mai 2021
            Dürer,
                imAdam
                   Ferdinandeum
                        und Eva (Ausschnitt),
                                 zu sehen: Albrecht
                                              1504, Kupferstich,
                                                    Dürer, Nemesis
                                                                 251(Das
                                                                     x 193
                                                                         große
                                                                           mm,Glück)
                                                                               Dauerleihgabe
                                                                                     (Ausschnitt),
                                                                                             Stift um
                                                                                                   Stams
                                                                                                      1501, Dauerleihgabe Stift Stams
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
EDITORIAL DR.IN BARBARA PSENNER
                                                                Liebe Vereinsmitglieder, liebe Leser*innen,                     Sommerprogramms. Das Tiroler Landesmuseum ist sich sei-
                                                                die Museen sind nun glücklicherweise wieder offen, aber die     ner Leitlinie, Archiv und Speicher für die unterschiedlichsten
                                                                Pandemie lässt noch keine Rückkehr zur „Normalität“ zu. Sie     Künste zu sein, stets bewusst und sucht dabei die Auseinan-
                                                                zeigt hingegen – wie durch ein Brennglas – Schwächen, aber      dersetzung mit der Gegenwart. So wird unser Museum dem
                                                                auch Chancen des Museumsbetriebs auf. Die touristischen         Künstlerkollektiv Gelitin, der spektakulärsten Künstlergrup-
                                                                Gäste fehlen als Besucher*innen, viele Einheimische neh-        pe der internationalen Kunstszene, erlauben, seine Bestän-
                                                                men jedoch das museale Angebot dankbar an. So zeigt auch        de für eine große Ausstellung zu durchforsten und damit zu
                                                                die Besucherstatistik im Ferdinandeum eine überraschend         arbeiten. Für die Naturwissenschaftliche Sammlung hat sich
                                                                erfreuliche Bilanz. Große, mit internationalen Leihgaben be-    erfreulicherweise in der Weiherburg in Innsbruck ein Fenster
                                                                stückte Ausstellungen sind zurzeit nicht möglich, aber Mu-      aufgetan, wo in enger Kooperation mit dem Alpenzoo vielfäl-
                                                                seen wie die Albertina oder das Kunsthistorische Museum         tige Objekte aus den Sammlungen zu einem hochaktuellen
                                                                Wien entwickeln erfolgreiche Ausstellungen aus den haus-        Thema (Neobiota und ausgestorbene Arten) ansprechend
                                                                eigenen Sammlungen. Auch Schätze der bedeutenden, viel-         inszeniert werden. Sie sehen, Museen nutzen ihre Poten-
                                                                fältigen Sammlungen des Tiroler Landesmuseums werden            ziale, sie sind bereit, sich den Veränderungen anzupassen,
                                                                in beachtlichen Ausstellungen nun neu ins Licht gebracht.       aber sie zählen auf das Interesse und die Unterstützung der
                                                                So konnten die Besucher*innen über den noch nie gezeigten       Besucher*innen. Wir haben die Zeit genutzt, um die ferdinan-
                                                                Schatz von Zeichnungen eines der bedeutendsten Künstler         dea kritisch zu prüfen und Sie halten nun das neu gestaltete
                                                                Venedigs im 18. Jahrhundert, Giovanni Battista Piazzetta,       Format in den Händen mit klarerer Gliederung der Rubriken,
                                                                in einer Präsentation der Grafischen Sammlung staunen. Ein      mehr Platz für die Hauptausstellung und viel Feinjustierung
                                                                Zyklus von Druckgrafiken Albrecht Dürers zu seinem Reise-       für einen – wie wir finden – gut erfrischten Gesamteindruck.
                                                                tagebuch von einer entbehrungsreichen Reise 1520 in die         Und so hoffen wir, Ihnen damit immer viel Neues aus den
                                                                Niederlande – eine großzügige Dauerleihgabe des Stiftes         Museen einladend übermitteln zu können.
                                                                Stams an die Grafische Sammlung – wird ein Highlight des                                                 Ihre Barbara Psenner

INTERVIEW MIT ROSANNA DEMATTÉ DAS GESPRÄCH FÜHRTE DR.IN MARIA MAYRL
Transit, Transport, Mobilität prägen Geschichte und Gegen-      chen Arbeitsfeldern. Wir behandeln Fragen wie: Wie können       Landesmuseen widmen sich mit der Sonderausstellung „Al
wart der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino. 2021 werden      Museen für mehr Chancengleichheit sorgen? Wie zum nach-         lavoro! Über die Zuwanderung aus dem Trentino im 19. Jahr-
sie zu Leitthemen des ersten Euregio-Museumsjahres, das         haltigen Wohlstand einer Gemeinde beitragen? Aus der Ana-       hundert“ im Volkskunstmuseum einem vergessenen Teil der
unter dem Motto „Museum bewegt“ steht. Rosanna Dematté          lyse bestehender Erfolgsmodelle werden Wünsche für die          Geschichte Tirols und präsentieren im Innsbrucker Zeug-
ist eine der Koor­dinator*innen des Euregio-Museumsjahres       kommenden Jahre formuliert. Das Ergebnis dieser Zusam-          haus mit der Schau „Gehen – Fahren – Reisen“ einen Blick in
und auch von einer der vier Arbeitsgruppen, die ein Doku-       menarbeit ist ein Dokument, das Ende April 2021 erscheint.      die Geschichte der Mobilität in diesem Land.
ment für die Zukunft der Museen der Euregio in Anlehnung
an die UN-Agenda 2030 vorbereiten. Hier gibt sie Einblicke      Was umfasst das Euregio-Museumsjahr 2021?                       Worauf beziehen sich andere Initiativen?
in diese Initiativen.                                           2020 haben die Museen der Euregio als Antwort auf eine          Der Begriff Mobilität wird durch viele der Projekte auf Ideen
                                                                Förderausschreibung Vorschläge für Ausstellungsprojekte         des kulturellen Transfers erweitert, zum Beispiel über Spra-
Was kennzeichnet die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino?      zum Thema Mobilität gemacht. Besonders erwünscht war            che, Objekte oder Bräuche. Einige Ausstellungen analysie-
Wie alle anderen Euroregionen steht sie für eine grenz-         ein Aktualitätsbezug und die Zusammenarbeit zwischen            ren die wechselnde Bedeutung historischer Transportwege,
überschreitende Zusammenarbeit europäischer Regionen            Museen aus unterschiedlichen Landesteilen. Die Web-             beleuchten die Wandlung von Kriegsinfrastrukturen zu Ein-
von mindestens zwei EU-Mitgliedsstaaten. Im Rahmen der          plattform des Museumsjahres listet jetzt fast 40 Projekte,      richtungen für den Tourismus, untersuchen Bewegungen,
Ini­tiativen dieser Euregio kristallisieren sich gemeinsame     die bald an über 60 Standorten starten werden. Die Tiroler      die frei und unkontrolliert passieren, wie die Verbreitung der
Geschichten und Lebensweisen heraus, die für den alpinen                                                                        Dialekte, die Fortpflanzung einer spezifischen Flora entlang
Lebensraum spezifisch sind und die Bedeutung der nationa-                                                                       der Eisenbahnlinie oder die Ausbreitung der Pestepidemien.
len Grenzen relativieren. Gleichzeitig relativieren sie aber                                                                    Zu reflektieren, wie man in der Vergangenheit mit Epidemien
auch andere Grenzen wie Sprache oder kulturelle Zugehö-                                                                         umgegangen ist, wird in Covid-19-Zeiten besonders interes-
rigkeit. Für mich, die ich wie viele andere Bewohner*innen                                                                      sant. Eine Aufgabe des Museumsjahres 2021 ist es auch, zu
Europas in mehreren Staaten und Sprachen lebe, ist die Ar-                                                                      überlegen, wie unsere Sicht der Dinge und der Mobilitätsbe-
beit für eine Europaregion die Gelegenheit, unterschiedliche                                                                    griff per se von der Pandemie beeinflusst wird.
Identitäten in ihren positiven Auswirkungen zu erfahren. Ein
Beispiel dafür ist das Befürworten von Diversität, das ich in                                                                   Welche langfristigen Wirkungen versprechen die Projekte?
den kulturellen Institutionen dieser angeblich so traditions-                                                                   Die Museen könnten ihre Rolle im Diskurs über den nachhal-
orientierten Euregio mitbekomme.                                                                                                tigen Umgang mit der Welt und der Menschen miteinander
                                                                                                                                verstehen. Die Struktur der UN-Agenda 2030 zeigt uns, dass
Wie arbeiten die Museen in der Euregio zusammen?
Um die Vernetzung der Museen grenzüberschreitend zu för-
                                                                     „WIE KÖNNEN MUSEEN FÜR                                     ein effizienter Aktionsplan für eine bessere Zukunft Ver-
                                                                                                                                ständnis für Komplexität voraussetzt. Jedes Ziel steht mit
dern, finden seit 2010 jährlich Euregio-Museumstage statt.          MEHR CHANCENGLEICHHEIT                                      allen anderen Zielen in Verbindung. Jede Aktion hat Konse-
Die Idee eines Museumsjahres für 2021 kommt aus dieser                SORGEN? WIE ZUM NACH­                                     quenzen für andere Bereiche. Für die Museen bedeutet das
Erfahrung. 2021 passiert aber noch mehr: 2020 hat die Kul-                                                                      eine große Verantwortung aber auch eine große Chance. Sie
turabteilung in Trentino den Euregio-Museumstag aufgrund
                                                                    HALTIGEN WOHLSTAND EINER                                    eignen sich besser als viele andere Institutionen, um Visio-
der Corona-Beschränkungen als digitale Veranstaltung or-              GEMEINDE BEITRAGEN?“                                      nen für die Zukunft zu sammeln und vor allem, sie partizi-
ganisiert und erweitert. Die Mitarbeiter*innen der Museen                                                                       pativ zu entwickeln. Vernetzen sie sich stärker mit anderen
hatten die Möglichkeit, sich bei Arbeitsgruppen anzumel-         Rosanna Dematté, geb. 1980 in Trento, hat Kunstge­             Institutionen und Lebensbereichen, können sie für die Ent-
den, um via Zoom-Sitzungen über die Zukunft der Museen im        schichte in Innsbruck studiert. Sie ist Kuratorin, Kunsthis-   stehung einer gerechteren, inklusiven, friedlichen oder kli-
Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN-Agenda        torikerin, manchmal und sehr gerne auch Übersetzerin.          maneutralen Gesellschaft eine Hauptrolle spielen.
2030 nachzudenken. Die vier Gruppen, von denen ich eine          Sie hat seit 2005 Forschungs- und Ausstellungsprojekte
koordiniere, bestehen aus Kolleg*innen aus allen Landestei-      in Österreich, Italien und Deutschland realisiert. Seit 2013   https://2021.euregio.info/
len, aus kleineren und größeren Häusern und unterschiedli-       arbeitet sie in der Modernen Sammlung der TLM.                 http://www.europaregion.info

2    EDITORIAL · INTERVIE W                                                                                                                                      FERDINANDE A NR. 56
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
BERND OPPL
   RAUMWECHSEL
   Ferdinandeum, Studio 1 und 2
   28. Mai bis 15. August 2021

   Für ihre zweite Sammlungspräsentation im Jahr 2021
   zeigt die Moderne Sammlung Arbeiten von Bernd Oppl.
   Der österreichische Künstler spürt in seiner Arbeit den
   Wechselwirkungen von Räumen und deren Abbildungen
   nach.

   Bernd Oppl, Diffusion, 2016, aus der Serie „Ephemeral
   Places“

„In einer zunehmend digitalisierten Welt werden die Gren-      rekonstruierten Räume nebulöse Fremdkörper einführt.           hinter dem Zweiwegspiegel wird erst sichtbar, wenn im
zen zwischen realen und virtuellen Räumen fließender.          Bei „Diffusion“ (2016) wird man in eine Wartehalle versetzt.   Inneren des Kubus das Licht langsam angeht und die Spie-
Welche Räume schaffen wir für Raumabbildungen zum              Durch ihre milchigen Fenster zeigt sie Ähnlichkeiten mit       gelung verschwindet. Damit verschwindet auch die unend-
Beispiel in Form von Filmkulissen? Wie werden Raumbilder       dem hinteren Stiegenhaus des Ferdinandeums, einem tem-         liche Passage und die (sich) betrachtenden Menschen in
bewohnt? Wir bewohnen Räume nicht nur physisch mit un-         porären Raum schlechthin, denn es wird in den kommen-          ihr. Die Besucher*innen entdecken sich in einem grenzen-
seren Körpern, sondern auch mit unseren Vorstellungen in       den Jahren im Rahmen des Neubaus verändert. Ähnlich der        losen Vorstellungsraum, der mit ihnen erscheint und wie-
Filmen, Fotografien, Raummodellen, Gemälden.“ So behaup-       diffusen Substanz, die in „Diffusion“ den Raum besetzt,        der verschwindet. Bernd Oppl, 1980 in Innsbruck geboren,
tet es Oppl, der im Studio 1 seine Dioramen präsentiert,       dringen viele Vorstellungen gerade in das neu zu bauende       hat an der Kunstuniversität Linz sowie an der Akademie
3D-Mikrowelten, bei denen er Übergangsorte zur virtuellen      Museumshaus ein. Bernd Oppls aktuelle Arbeit „Like a hole      der bildenden Künste Wien studiert. Er präsentierte sei-
Welt (ein Internetcafé, ein Fernsehstudio etc.) rekonstru-     in a room like a room in a hole“ (2021) lädt Besucher*innen    ne Werke in Einzelausstellungen u. a. im Georgia Museum
iert. Dioramen genauso wie Panoramen – ein Beispiel dafür      dazu ein, über ihre Position im musealen Raum zu reflektie-    of Art (USA), im Kunstraum Kuiper Projects in Brisbane
ist das Riesenrundgemälde – ermöglichen mehr als ande-         ren. Zwei Meter große Kuben stehen sich in der Installation    (Australien), im Kunstraum Dornbirn sowie in zahlreichen
re Medien das Eintauchen in einen Illusionsraum und an-        leicht versetzt gegenüber. Einer der Kuben ist geöffnet. Die   internationalen Gruppenausstellungen und Filmfestivals.
schließend das Nachdenken über unsere Projektionen auf         Rückseite bildet eine verspiegelte Fläche. Ihm gegenüber       Oppl wurde mehrmals ausgezeichnet, zuletzt mit dem Re-
die Rauminszenierung. Für seine Fotografien bespielt Oppl      liegt ein identer, allerdings mit einem Zweiwegspiegel ver-    sidency Stipendium 2018 in Wiels (Brüssel) und dem Öster-
temporäre Plätze wie Wartehallen oder Passagen mit einer       sehener geschlossener Kubus, wodurch sich in den beiden        reichischen Staatsstipendium für Bildende Kunst 2019.
eigenen Art der Raumintervention, indem er in die von ihm      Spiegelflächen eine unendliche Passage ergibt. Der Raum                                                Rosanna Dematté

   JULIA BORNEFELD
   SENTIRE
   Ferdinandeum, Westfassade

   Seit Februar 2021 belauscht ein Ohr an der West­f assade
   des Ferdinandeums die Vorbeispazierenden. Die Inter-
   vention im öffentlichen Raum realisierte die in Südtirol
   lebende Künstlerin Julia Bornefeld (*1963).

Das Ohr ist in der bildenden Kunst ein häufig verwende-        aber durch seinen Standort etwas Fremdes behält. Bei der       Quelle der Moral aus einem impliziten moralischen Wissen.
tes Motiv, ob bei Jan Vermeer (1632–1675), Hieronymus          Betrachtung dieses Objektes aus Bronze geht es nicht um        Jeder Mensch ist für sein Tun und sein Handeln selbst ver-
Bosch (1450–1516), Salvatore Salvador Dali (1904–1989),        das Verstehen, sondern um eine gefühlsbetonte Anrufung.        antwortlich. Der Hauptgrund dafür ist, dass jeder als ein In-
Meret Oppenheim (1913–1985) oder Martin Kippenberger           Fühlen ist nicht nur unvermeidlich, sondern auch absolut       dividuum individuelle Gründe für seine Handlungen hat. Die
(1953–1997). Letzterer wollte sich „nicht jeden Tag ein Ohr    wesentlich für das Verstehen von Kunstwerken. Ohne affek-      Freiheit, Entscheidungen treffen zu können, ist dabei der
abschneiden“, eine Anspielung, welche das klischeehafte        tive Verbindung wird es bedeutungslos. Die reine intellektu-   maßgebende Faktor: Keine Freiheit ohne Verantwortung.
Bild des Künstlers als gequältes Genie bedient – und somit     elle Wahrnehmung von Kunst, davor warnt uns das Ohr von        Lauschen wir also nicht den falschen Stimmen.
auch auf den berühmtesten Maler des Postimpressionis-          Julia Bornefeld, ist eine Form der Abwehr. Bornefelds Ohr      Bornefelds „Ohr“ ist neben Isa Genzkens (*1948) fotogra-
mus, Vincent van Gogh (1853–1890), Bezug nimmt.                warnt uns aber auch vor den gefühlten Wahrheiten des poli-     fischer Reproduktion (2002) am Rathaus die zweite Instal-
Julia Bornefelds Skulptur „sentire“ (2020) – italienisch für   tischen Diskurses im postfaktischen Zeitalter. Jeder gesun-    lation dieses Sinnesorgans einer Künstlerin im öffentlichen
hören, fühlen – ist eine gelungene Intervention im öffent-     de Mensch hört eine Stimme in sich, die ihm sagt, was Recht    Raum von Innsbruck.
lichen Raum, die an das menschliche Organ erinnern mag,        und Unrecht ist. Diese Stimme, so Hannah Arendt, ist eine                                                Florian Waldvogel

MAI – JULI 2021                                                                                                                        AUSSTELLUNGEN · INSTALL ATIONEN                   3
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
GEHEN – FAHREN – REISEN
MOBILITÄT IN TIROL
CLAUDIA SPORER-HEIS

Wir leben heute im Zeitalter der absoluten Beweglichkeit. Das rasche und komfortable
Bewältigen großer Strecken und das Erreichen exponierter Orte sind – hauptsächlich
aufgrund der technischen Errungenschaften der letzten 200 Jahre – mit allen Vor- und
Nachteilen längst zur Selbstverständlichkeit geworden.

Das diesjährige Motto der Euregio-Museen „Transit – Trans-                                                                           Mit dem Dampfross konnten die Alpen rasch und bequem
port – Mobilität“ bietet die Möglichkeit, einen Blick zurück          BIS INS 19. JH. WAR DIE                                        überwunden werden, oft waren aber auch die aufstrebenden
in die Geschichte der Fortbewegung, des Verkehrs und der                                                                             Tourismusorte Ziel für eine Sommerfrische in Tirol. Zwar
Mobilität in Tirol zu werfen.                                        KUTSCHE DAS WICHTIGSTE                                          fand der traditionelle Frachtverkehr auf der Straße ein Ende,
                                                                  VERKEHRSMITTEL FÜR REISENDE,                                       wovon auch die dort ansässigen Gewerbe (Schmieden, Wag-
ZU FUSS                                                               VON DENEN MANCHE IN                                            nerbetriebe, Gasthäuser) betroffen waren, aber aufgrund
In früheren Zeiten bewegte man sich vor allem mithilfe der                                                                           des damals aufkommenden „Fremdenverkehrs“ erhöhte
eigenen Muskelkraft, also durch Gehen, weiter und war im            BERICHTEN IHRE ERLEBNISSE                                        sich der Bedarf an Personen- und Gütertransporten in die
alpinen Gelände Tirols besonders bei der Überwindung von                   SCHILDERTEN.                                              Seitentäler.
Pässen und Schluchten vor große Herausforderungen ge-
stellt. Dies hinderte jedoch auch die Menschen der Prä­                                                                              ZU WASSER UND IN DER LUFT
historie nicht daran, im Hochgebirge zu jagen und hochal-         Durch den von Maximilian I. eingeführten Postdienst wur-           Zum Transport von schweren Gütern, aber auch von Men-
pine Pfade für den Handel zu nützen. Beim Gehen wurde der         den im späten 16. Jahrhundert nicht nur Briefe und Pakete,         schen wurden Inn und Etsch als Wasserwege genützt. Der
anstrengendere und gefährlichere Weg der einfacheren,             sondern auch Personen zunächst auf einfachen Stellwägen            Inn war ab Telfs, die Etsch ab Terlan schiffbar, als Hauptlän-
aber längeren Route vorgezogen.                                   mit Holzbänken befördert. Aufgrund der technischen Ver-            den (Anlegestellen) kristallisierten sich im Laufe der Zeit
Das Straßennetz, das die Römer nach der Eroberung der             besserungen wurde die Kutsche bis ins 19. Jahrhundert das          Hall und Branzoll heraus. Die Transporte erfolgten auch
Alpenregion (15 v. Chr.) angelegt hatten, konnte bereits mit      wichtigste Verkehrsmittel für Reisende, von denen manche in        flussaufwärts, wobei die Schiffe und Flöße von Pferden ge-
Wägen befahren werden. Nach seinem Verfall musste es im           Beschreibungen und Berichten ihre Erlebnisse schilderten.          zogen werden mussten. Mit dem Bau der Eisenbahn fand die
Lauf des Mittelalters reaktiviert werden und wurde mithilfe       Dabei wurde in erster Linie die regelmäßig fahrende Post-          Flussschifffahrt in Tirol ein Ende.
von Zollgebühren von den Landesfürsten instandgehalten.           kutsche benützt, nur der Adel und die gut betuchten Teile der      Versuche, sich mittels Gasballonen durch die Luft zu bewe-
Der lebhaft aufkommende Handel über die europäische Nord-         sonstigen Bevölkerung konnten sich eigene Karossen leisten.        gen, gehen in Tirol auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück.
Süd-Achse bewirkte auch eine aufblühende Wirtschaft entlang       Im 19. Jahrhundert wurde das Straßennetz mit gut befahrba-         Ein erstes Flugzeug konnte die Innsbrucker Bevölkerung an-
der Straßen. Inneralpin wurden Waren noch lange Zeit unter        ren „Kunststraßen“ mit geringen Steigungen ausgebaut, die          lässlich der „Innsbrucker Flugtage“ 1912 bewundern. Nach-
Einsatz von Tieren auf Saumpfaden befördert. Durchreisende        später auch mit dem neuen Verkehrsmittel Automobil genutzt         dem in der Zwischenkriegszeit ein Flughafen in der Reiche­
Pilger fanden Unterkunft in Hospizen, die vor allem an Pässen     werden konnten. Die zweite Hälfte des 20. Jh. war geprägt von      nau mit regelmäßigem Flugverkehr eingerichtet worden war,
errichtet worden waren. Das Reisen zu Pferd war – aufgrund        den Autobahnbauten zwischen 1959 und 1985, die vor allem           entstand nach dem Zweiten Weltkrieg der Flughafen Krane-
der hohen Kosten – nur privilegierten Personen möglich.           aufgrund der Sorge, „umfahren“ zu werden, was wirtschaftli-        bitten auf der Ulfiswiese im Westen von I­ nnsbruck.
                                                                  che Nachteile bedeutet hätte, durchgeführt wurden.                 Die Möglichkeiten, sich einfacher und schneller fortzube-
AUF RÄDERN                                                        Übrigens: 1817 erfand der badische Baron Karl von Drais            wegen, bedeuteten – neben wirtschaftlichen Vorteilen –
Anfang des 16. Jahrhunderts befanden sich die Hauptver-           ein Laufrad („Draisine“), den Vorläufer des Fahrrades, das         immer auch eine Erweiterung des geistigen Horizonts sowie
kehrsrouten über den Brenner und den Reschen in keinem            Anfang des 20. Jahrhunderts zum Fortbewegungsmittel für            einen verstärkten Austausch von Kultur und eine fruchtbare
guten Zustand. Neben Fußreisenden mit bepackten Trag­             alle werden sollte und auch heute eine wesentliche Rolle im        Begegnung mit dem „Fremden“. Andererseits hat der Begriff
tieren und von Menschen oder Tieren getragenen Sänften            Zusammenhang mit umweltfreundlichem Verkehr spielt.                Verkehr, gerade in Tirol, im Lauf der letzten Jahrzehnte aber
bzw. gezogenen Karren waren vor allem Fuhrwerke unter-                                                                               auch immer mehr einen negativen Beigeschmack bekom-
wegs. Händler, die Güter durch Tirol transportieren wollten,      AUF SCHIENE                                                        men. Die frühere Sorge, „umfahren“ zu werden, wurde von
waren durch die sogenannte Rodordnung verpflichtet, die           Eine große Veränderung, nicht nur für die Bevölkerung, son-        der wachsenden Sorge um die Gesundheit abgelöst, die von
Hilfe Einheimischer in Anspruch zu nehmen und für diese           dern auch für die Landschaft des historischen Tirol in der zwei-   Luftverschmutzung und Lärm bedroht ist. Neben anderen
zu bezahlen. Zudem mussten sie ihre Waren an bestimmten           ten Hälfte des 19. Jh., brachte der Bau der Eisenbahn, der vor     Maßnahmen soll der Brenner Basistunnel einen Beitrag da-
Orten zum Kauf anbieten.                                          allem von Arbeiter*innen aus dem Trentino ausgeführt wurde.        bei leisten, dieser Herausforderung zu begegnen.

    DRUCKGRAFIK ALS WEGZEHRUNG                                                                       GEHEN – FAHREN – REISEN
    DÜRERS REISE IN DIE NIEDERLANDE                                                                  Zeughaus, 13. Mai bis 3. Oktober 2021
    Ferdinandeum, 21. Mai bis 5. September 2021
    Im Juli 1520 brach der schon zu seiner Zeit berühmte Künstler Albrecht Dürer (1471–1528)
    zu einer einjährigen Reise in die Niederlande auf. Neben einem akribisch geführten Reise-       01 Dorfzentrum von Natters mit Kutsche und Kinderwagen, 1828, Ölgemälde von Czichna,
    tagebuch mit genauen Routen-, Personen- und Geldangaben hatte er zahlreiche Abzüge                 Tiroler Volkskunstmuseum
    seines druckgrafischen OEuvres im Gepäck, die er verschenkte, gegen Leistungen ein-             02 Ein Wanderhändler auf der Straße nach Nauders, 1868, aquarellierte Bleistiftzeichnung
    tauschte oder zur Finanzierung seiner Reise verkaufte. In einer Schau im Ferdinandeum              von L. Benesch, TLMF, Bibliothek
    wird mit einer Auswahl dieser Druckgrafiken (siehe Titelblatt) das vor einem halben Jahr-       03 Autorennen am Zirlerberg, 1914, Fotografie, TLMF, Historische Sammlung
    tausend erlebte Reiseabenteuer dieses freigebigen Zeitgenossen gewürdigt.                       04 Ankündigung für die „Innsbrucker Flugtage“, 1912, Entwurf von F. Niebler,
                                                                                                       Farblithografie, TLMF, Historische Sammlung

4      AUSSTELLUNG                                                                                                                                                    FERDINANDE A NR. 56
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
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MAI – JULI 2021        AUSSTELLUNG   5
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
UM- UND AUSBAU DES FERDINANDEUM
DAS PREISGERICHT TAGTE ZUM ZWEITEN MAL
BARBARA PSENNER
Die Jurysitzung zur Ermittlung des Siegerprojektes für den Um- und Ausbau des Tiroler Landesmuseum
Ferdinandeum fand am 9. und 10. März 2021 unter strengen COVID-19 Regeln im Haus der Musik statt.
Zwanzig europäische Architekturbüros, die für die zweite Wettbewerbsphase ausgewählt worden sind,
haben innovative Projekte von hoher Qualität zum geplanten Umbau eingereicht.

    Der Um- und Ausbau des Ferdinandeum rückt näher: Eine international besetzte Jury ermittelt das Siegerprojekt.               Zwanzig Projekte werden bewertet und beurteilt.

Fach- und Preisjuror*innen setzten sich zwei Tag lang inten-     das atmosphärische Zusammenspiel zwischen historischen         dahingehend erfolgen, ob das vorgegebene Kostenziel ein-
siv mit den Projekten auseinander, unter Berücksichtigung        Bestandsoberflächen und Neubauteilen erkennen oder wie         gehalten werden kann. Diese Projekte werden nun in eine
der maßgeblich mit Direktor Peter Assmann erarbeiteten           berücksichtigt der Plan eines Dachaufbaues die Bedeutung       Überarbeitungsphase geschickt. Bei der nächsten Jurysit-
Beurteilungskriterien. Die Aufgabe ist komplex, die Heraus-      der 5. Fassade, im Hinblick auf die Wertigkeit der Dachland-   zung im Juni 2021 wird dann das Siegerprojekt gewählt.
forderungen sind groß: Wie überzeugend sind die funktiona-       schaften im Zentrum von Innsbruck?                             Der Zeitplan des Projektes kann eingehalten und der Baube-
len Erfordernisse gelöst, z. B. barrierefreier Zugang, orien­    Mehrere Projekte wurden in die engere Wahl genommen.           ginn 2022 mit größerer Planungssicherheit weiterhin anvi-
tierungssichere Wegführung, klare und doch spannende             Trotz der hohen Qualität gibt es offene Fragen in Bereichen    siert werden. Ab Mitte Juni werden das Siegerprojekt sowie
Raumsequenzen, eine neue, großzügige Eingangssituation?          der Architektur, des Flächenmanagements und der organisa-      alle an diesem komplexen Auswahl-, Arbeits- und Projekt-
Gelingt eine überzeugende architektonische Lösung für die        torischen Abläufe, die einer weiteren Bearbeitung bedürfen,    entwicklungsprozess Beteiligten der Öffentlichkeit vorge-
Verbindung des historischen Bestandes mit den notwendi-          um eine endgültige Beschlussfassung erreichen zu können.       stellt. Der Planungs- und Bau-Fortschritt kann dann für alle
gen neuen Bauteilen zu einem überzeugenden Gesamten-             Aufgrund der unterschiedlichen Bearbeitungstiefen dieser       transparent im Blog der Tiroler Landesmuseen unter dem
semble? Was signalisiert die neue Westfassade, lässt sich        Projekte konnte auch noch keine ausreichende Bewertung         Hashtag „Ferdinandeumbau“ nachverfolgt werden.

EINE BESONDERE NEUERWERBUNG ANDREAS HOLZMANN
Durch schnelles Handeln und mit etwas Glück konnte der           seiner Werkstattgründung in Inns-
Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum vor kurzem              bruck konnte er einen neuen Maß-
eine besondere Neuanschaffung für die Musiksammlung              stab im Tiroler Klavierbau der Zeit
der Tiroler Landesmuseen tätigen: Die Erwerbung eines            setzen. Der neu erworbene Hammer-
Flügels des in Innsbruck wirkenden Johann Georg Gröber           flügel zeugt von einem ausgeprägten
(1775–1849) aus Privatbesitz. Von Gröber, dem bedeu-             Sinn für ästhetische Holzverarbei-
tendsten Tiroler Klavierbauer in der ersten Hälfte des           tung sowie vom hervorragenden
19. Jahrhunderts, sind heute etwas mehr als zwanzig er-          technischen Geschick des Herstel-
haltene Klaviere bekannt. Diese sind überall auf der Welt        lers. Er ist ein idealer Ausgangspunkt
verstreut, sowohl in Privatbesitz als auch in bedeutenden        für eine wissenschaftliche Vertie-
öffentlichen Sammlungen in Europa, in den USA, Kanada,           fung der Grundlagenforschung zum
Australien und Japan. Bereits seit den 1970er-Jahren be-         Schaffen Gröbers und zugleich bietet
findet sich ein Gröber-Flügel (ca. 1830) im Ferdinandeum.        sich ein Dokumentations- und Res-
Der neuerworbene Flügel dokumentiert dank des früheren           taurierungsprojekt des Flügels nach
Entstehungszeitraums um 1815 ein anderes Stadium in der          modernen Standards an.
Entwicklung der Klaviere Gröbers. Dank seiner Ausbildung
in Wien war Gröber bestens über die neuesten Strömungen          Der neuerworbene Hammerflügel von
am sich rasch wandelnden Klaviermarkt informiert. Mit            Johann Georg Gröber, um 1815.

6      VEREIN · AKTUELLES                                                                                                                                       FERDINANDE A NR. 56
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
AUSSTELLUNGSTIPP S WO
     VON BARBARA PSENNER
                         A ND E R
     MODE SCHAUEN                                                        In der Schau, in der ein ganzes Stockwerk im Hochschloss von Schloss Ambras zur Ausstellungsfläche wird, stehen Mode
                                                                         und Macht im Mittelpunkt. Kostbare Textilien waren von jeher Statussymbole und dienten zu Repräsentationszwecken
     FÜRSTLICHE GARDEROBE VOM                                            einer elitären Schicht. Bedeutende Gemälde von der Renaissance bis zum Barock aus der Habsburger Porträtgalerie
     16. BIS 18. JAHRHUNDERT                                             geben – durch filmische Visualisierungen sinnlich erlebbar gestaltet – Einblick in die Modewelt von damals. Anhand von
                                                                         rund 130 Objekten und Gemälden (von Giuseppe Arcimboldo bis Diego Velázquez) aus den Sammlungen des Kunsthisto-
     Innsbruck, Schloss Ambras                                           rischen Museums in Wien und von Schloss Ambras sowie von (inter-)nationalen Leihgeber*innen werden Fragen behan-
     17.6. bis 3.10.2021                                                 delt wie „Was tragen die Porträtierten? Wie ist ihre Kleidung beschaffen? Was erzählt Kleidung den Besucher*innen über
     schlossambras-innsbruck.at                                          diese historischen Epochen und bis heute?“.

 Die „Begehbaren Gedanken“ führen am 15.3.2021 Chris Steeg, Birgit Schönegger, Maria Mayrl, Josefine Justic und                          Rosanna Dematté und Ursula Beiler unterhalten sich im
 Vorstandsvorsitzende Barbara Psenner (v.l.n.r.) in die Präsentation „Die Frauen machen die Brötchen“ der Künstlerin,                    TIROL PANORAMA am 8.3.2021 über Frauenrechte:
 Fotografin und Filmemacherin Elde Steeg (Berlin 1908–1988 Innsbruck).                                                                   tiroler-landesmuseen.at/podcast-9-ursula-beiler

                                                                                                                                           WERBEN ODER WERDEN SIE
                                                                                                                                           EIN MITGLIED IM VEREIN
                                                                                                                                           TIROLER LANDESMUSEUM
                                                                                                                                           FERDINANDEUM
                                                                                                                                           UND GENIESSEN SIE FOLGENDE VORTEILE:
                                                                                                                                           • freien Eintritt in die Tiroler Landesmuseen sowie
                                                                                                                                             alle österreichischen Landesmuseen und
                                                                                                                                             ermäßigter Eintritt in Partnermuseen
 In der YouTube-Reihe „Museum im Dialog“ diskutierten Ivona                                                                                • Ermäßigungen bei Konzerten und Vereinsfahrten
 Jelcic, Nina Schedlmayer und Ingeborg Erhart (v.l.n.r.) zu Kon-                  Der deutsche Botschafter Ralf Beste besuchte             • Rabatte auf TLM-Publikationen und -CDs im
 struktion von Geschlecht und feministischer Raumproduktion.                      am 25.2.2021 die Defregger-Ausstellung.                    Museumsshop
                                                                                                                                           • kostenlose Zusendung der ferdinandea und von
                                                                                                                                             Einladungen zu Veranstaltungen und Eröffnungen
 Impressum: Medieninhaber,
 Herausgeber, Verleger und Hersteller:                                                                                                     • kostenlose Begutachtungen
 Verein Tiroler Landesmuseum
 Ferdinandeum:
 Museumstr. 15 · 6020 Innsbruck
 verein@tiroler-landesmuseum.at
                                                                                                                                           MITGLIEDSBEITRAG 2021:
 T +43 512 59 489-105                                                                                                                      Einzelperson: 35 Euro · Studierende: 12 Euro
 Redaktion: Barbara Psenner,
 Bernhard Platzer, Isabelle Brandauer,                                                                                                     Familie/Lebensgemeinschaft: 55 Euro
 Astrid Flögel, Josefine Justic,
 Maria Mayrl, Birgit Schönegger,                                                                                                           Gemeinde/Institution: 110 Euro
 Renate Telser, Michael Zechmann-
 Khreis.
 Die ferdinandea erscheint 4 x im Jahr;
 Vereinszweck: Förderung von Kunst,
 Kultur und Wissenschaft in Tirol;
 Blattlinie: Informationsorgan der
 Mitglieder.
 Organe: Vorstand (B. Psenner,
 B. Platzer, F. Pegger); Aufsichtsrat
 (J. Hörmann-Thurn und Taxis,
 V. Zingerle, S. Höller, L. Madersbacher);
 Grafik: büro54
 Druck: Athesia-Tyrolia Druck
 Namentlich gekennzeichnete Artikel
 geben die persönliche Meinung der
 Autor*innen wieder. Alle Beiträge sind
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 Fotos: Wenn nicht anders angegeben:
 TLM, S. 2/Editorial: Wolfgang Lackner,
 S. 2/Interview: Maria Lindas, S. 3/
 Diffusion: Bernd Oppl, S. 3/Sentire:
 Johannes Plattner, S. 6/Umbau: Franz
 Pegger, S. 6/Gröber-Flügel: Daniel
 Jarosch, S. 7: Wolfgang Lackner,            Projekt zum Konzertstream von Cesare del Castelbarcos Schöpfungs­geschichte mit dem
 Renate Telser, S. 8/Rückblicke: TLMF,
 S. 10: Wolfgang Sölder, S. 11/van Gogh:
 Renate Telser, Wolfgang Lackner,
                                             Orchester der Akademie St. Blasius im Haus der Musik Innsbruck am 21.3.2021.                  WWW.FERDINANDEUM.AT
 S. 12: TLMF
                                             tiroler-landesmuseen.at/stream

MAI – JULI 2021                                                                                                                               V ER A N S TA LT UNGEN · ERÖFFNUNGEN                7
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
MUSIKMUSEUM FRANZ GRATL                                                                                                    FERDINANDEUMS-RÜCKBLICKE

     TIROLER GRÖSTL 1710
     HÄNDEL IN INNSBRUCK
     EINE LITERARISCH-MUSIKALISCHE SPURENSUCHE
     CHRISTOPH W. BAUER – ENSEMBLE ROSARUM FLORES
     Erhältlich im Museumsshop, im Fachhandel, auf amazon, jpc und im Vertrieb von note 1

                                                           Die musikmuseum-CD 52 „Tiroler Gröstl 1710“ themati-
                                                           siert auf eine vergnügliche literarisch-musikalisch Weise           Das Museum im Jahr seiner Erbauung, 1845
                                                           Georg Friedrich Händels Innsbruck-Aufenthalt im Winter
                                                           1709/10. In einem imaginären, vom Schauspieler Kristoffer           EIN NEUES HAUS
                                                           Nowak rezitierten Brief an den Lautenisten Silvius Leopold
                                                           Weiss lässt der Tiroler Schriftsteller Christoph W. Bauer           FÜR DAS MUSEUM
                                                           den alternden Händel diese Tage in Innsbruck Revue pas-             ROLAND SILA
                                                           sieren. Da es keine konkreten Zeugnisse zu Händels Auf-
                                                           enthalt in Tirol gibt, ist der „historisch informierten“ litera-    Im Mai 1845 wurde feierlich das Tiroler Landesmuseum
                                                           rischen Fiktion Raum gegeben, den wir ausgenutzt haben.             Ferdinandeum in Anwesenheit von Erzherzog Johann
                                                           Die Musik, die auf dieser CD zu hören ist, gibt einerseits          am heutigen Standort nach drei Jahren Bauzeit eröffnet.
                                                           einen Eindruck der blühenden Musikkultur am Hof Karl                Die Sammlung des 1823 gegründeten Museumsvereines
        MUSIKMUSEUM 52
                                                           Philipps von der Pfalz in Innsbruck um 1710, andererseits           war zu umfangreich geworden, auch fehlten die dringend
        TIROLER GRÖSTL 1710                                tauchen wir in die Klangwelten des jungen musikalischen             notwendigen Präsentationsräume. Der „Bote für Tirol und
        HÄNDEL IN INNSBRUCK
        EINE LITERARISCH-MUSIKALISCHE SPURENSUCHE          Kosmopoliten Händel ein – mit Musik von Georg Friedrich             Vorarlberg“ berichtete ausführlich über diese große Er-
        CHRISTOPH W. BAUER · ENSEMBLE ROSARUM FLORES
                                                           Händel, Gottfried Finger, Jakob Greber, Giovanni Bononcini,         rungenschaft:
                                                       1
                                                           Pietro Nicoló Sorosina und Alessandro Scarlatti.                   „Die Tage dieser Woche waren für unsere Stadt Tage fest-
                                                                                                                               licher Freude. [...] Wenn man die Mittel erwägt, welche
                                                                                                                               dem Vereine zum Gebothe standen, so muß man nicht
                                                                                                                               nur über die Solidität, Ausdehnung und Zweckmäßigkeit
    KULTURVERMITTLUNG KATHARINA WALTER                                                                                         des Baues, sondern auch über die Reichhaltigkeit der
                                                                                                                               Sammlungen erstaunen, welche in den Zimmern zweck-
                                                                                                                               mäßig aufgestellt und schön geordnet einen ganz andern

    HALLO NACHBAR*IN!
                                                                                                                               Anblick gewähren, als in den früheren beschränkten und
                                                                                                                               ganz schmucklosen Lokalitäten.“
                                                                                                                               In jenem Jahr wurden auch Aufrufe in die Tiroler Zeitun-
                                                                                                                               gen gegeben, Erzeugnisse industrieller Produktion an
     EINE OPEN-AIR INSTALLATION VON UND MIT SCHÜLER*INNEN                                                                      das Ferdinandeum zu senden, um diese Produkte in ei-
     DER VS INNERE STADT                                                                                                       nem eigenen Kabinett präsentieren zu können. Aus allen
                                                                                                                               Landesteilen wurden Proben an das Landesmuseum ge-
     Rund um die Volksschule Innere Stadt                                                                                      sandt und großteils diesem als Geschenk überlassen. So
     bis 5.9.2021                                                                                                              spendete etwas Franz Anich aus Sillian acht Wollhüte, der
                                                                                                                               Tapetenfabrikant Baumgarten aus Feldkirch übergab fünf
                                                                                                                               Papier-Tapeten-Muster, der Porzellanfabrikant Kircher
                                                           Wer sind unsere Nachbar*innen? Was spielt sich hinter               aus Bozen widmete einige Muster seiner Fabrikate, der
                                                           den Fassaden in der unmittelbaren Umgebung ab? Über                 Sensenschmid Simon Zimmermann aus Oberndorf spen-
                                                           ein Jahr beschäftigte sich eine Gruppe von 6–10jährigen             dete „zwei Stück Sensen von vorzüglicher Qualität“ und
                                                           Schüler*innen der Volksschule Innere Stadt mit ihrer Nach-          die Berg- und Hüttenverwaltung Kitzbühel steuerte eine
                                                           barschaft – dem Ferdinandeum, dem Volkskunstmuseum,                 große Platte Rosetten-Kupfer bei.
                                                           der Theologischen Fakultät, dem Akademischen Gymnasi-               Heute wird das Ferdinandeum nach wie vor von vielen
                                                           um, dem Treibhaus – und den Menschen, die darin arbeiten            großzügigen Gönner*innen unterstützt, nur das Gebäude
                                                           und lernen. Waren anfänglich gegenseitige Hausbesuche               ist schon wieder zu klein für die Anforderungen der Ge-
                                                           und Interviews vor Ort geplant, so verlagerte sich der Aus-         genwart geworden.
                                                           tausch aufgrund von Covid-19 in einen Briefwechsel zwi-
                                                           schen den Nachbar*innen. In einem Dialog über mehrere
                                                           Generationen setzten sich die Schüler*innen mit Erwach-
                                                           senen, Jugendlichen und Student*innen auseinander, in
                                                           dem auch der Wunsch nach Verbindendem nicht zu kurz
                                                           kam: „Gibt es einen geheimen unterirdischen Weg? Wenn,             der Gebäude zu sehen sind. Sie stehen für Durchlässigkeit
                                                           ja, können wir ihn gemeinsam gehen?“ (Fabian, 10 Jahre).           zwischen dem Inneren der Häuser, wo sich Kultur und Bil-
                                                           In Workshops mit dem Autor Bernd Schuchter und dem                 dung abspielt und dem von Zäunen und Hecken begrenz-
                                                           Illustrator Christian Yeti Beirer wurden die sichtbaren Häu-       ten (halb)-öffentlichen Raum, in einer Zeit, wo Begegnung
                                                           serfronten aus neuen Blickwinkeln betrachtet, Hausgeis-            eine neue Bedeutung und Wichtigkeit erfährt.
                                                           ter der einzelnen Gebäude fantasiert und gestaltet und
                                                           Begriffe wie Nähe, Ferne, Nachbarschaft in ein kreatives           Ein Projekt der Tiroler Landesmuseen und der Volksschule
                                                           Wortspiel gebracht.                                                Innere Stadt in Zusammenarbeit mit der Katholisch-Theo-
                                                           Die Ergebnisse dieser Begegnungen verdichten sich nun in           logischen Fakultät der Universität Innsbruck, dem Akade-
                                                           Bild- und Textcollagen auf 26 Fahnen, die auf den Fassaden         mischen Gymnasium und dem Treibhaus.

8    MUSIKMUSEUM · VER ANSTALTUNGEN · RÜCKBLICKE                                                                                                              FERDINANDE A NR. 56
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
ITALIENERLIEDER IN TIROL
„... WIR SCHUFTEN BEI DIE HAUS UND KANAL ...“
SONJA ORTNER
In der Ausstellung „AL LAVORO!“ werden auch die sogenannten Italienerlieder thematisiert.
Unter diesem Sammelbegriff sind Lieder vereint, in denen man sich mit den ab ca. 1870 aus
dem norditalienischen Raum angeworbenen Arbeitsmigranten, aber auch den bereits zuvor
in der Region präsenten Wanderhändlern auseinandersetzte. Belegt sind solche Texte für
Vorarlberg, den süddeutschen Raum, aber eben auch für Tirol.

                                                                                                     werden durch die Verwen-      einer japanischen Akrobatengruppe oder eines Geisterban-
                                                                                                     dung eines deutsch-ita­       ners. Unter Punkt 12 ist zu lesen: „Fratelli Boretta, unver-
                                                                                                     lienischen Kauderwelsch       gleichliche Duoszene aus den Abruzzen, dargestellt von Mit-
                                                                                                     sowie eines mehr oder we-     gliedern der Camorra.“
                                                                                                     niger starken Akzents die     Entstanden sein dürften viele der Lieder im szenischen Um-
                                                                                                     sprachlichen Defizite der     feld. Als Rollenlieder für komödiantische Auftritte dienten
                                                                                                     Gastarbeiter ironisiert.      sie der Darstellung des angeblich „typischen“ Trentiners
                                                                                                     Ein weiterer Topos bzw. ein   als „volkstümliche Genregestalt“ (Johler). In den jüngsten
                                                                                                     weiteres Vorurteil gegen-     Tonaufnahmen des Volksliedarchivs aus dem beginnenden
                                                                                                     über den Migranten aus        21. Jahrhundert ist vom Italienerlied allerdings nicht viel
                                                                                                     dem Süden betrifft deren      mehr geblieben als ein assoziationsfreies, unbeschwertes
                                                                                                     sexuelle Freizügigkeit, die   Lied, das Sänger wie Zuhörer gleichermaßen unterhält und
                                                                                                     eine Gefahr für die Frauen    dessen ursprünglicher Kontext weder den einen noch den
                                                                                                     der Einheimischen dar-        anderen mehr bewusst ist.
                                                                                                     stellte. Dieses Thema wird
                                                                                                     speziell in Handwerkslie­
                                                                                                     dern ausgebreitet, in de-      WIR KOMMEN AUS TRENTINO (FRATELLI MORETTI)
                                                                                                     nen die mechanische Be-
                                                                                                     wegung der beruflichen         1 Wir kommen aus Trentino, das wissen Sie gewiss,
  „Der Wetzstuan-Hanns“, Tiroler Volksliedarchiv, Inv.-Nr. 102a/12
                                                                                                     Tätigkeit (schleifen, wet-       wo wachst der rote Vino, wo man Polenta frisst.
                                                                                                     zen) zweideutig gelesen          Wo wachsen die Zitroni und die Orångi a,
Die Einheimischen sahen sich mit den „fremden“ und doch          werden kann und soll. Sowohl das ausschließlich in Tirol be-         wir kommen aus Trentino, jetzt sammer wieder da.
ebenso der Monarchie angehörenden Menschen, ihrer Her-           legte Lied vom Schleifersmann („Buona sera, meine Herra,
kunft sowie ihren Wesenszügen und Lebensformen kon-              schauen Sie mi an“) als auch jenes vom „Wetzsteinhans“,            [Refrain:]
frontiert. Fremdes und Neues führen immer zu Beobach-            das in ganz Österreich verbreitet war, sind stark sexuell            Noi siamo fratelli Moretti,
tung, Beurteilung und künstlerischer Auseinandersetzung.         konnotiert.                                                          wir schuften bei die Haus und Kanal,
Besondere Aufmerksamkeit galt naturgemäß dem, was sie                                                                                 mit die Biggel, die Schaufel, carretti,
unterscheidet bzw. von den eigenen Normvorstellungen ab-         LIED VOM MAUSEFALLENHÄNDLER                                          das sein uns gånz egal.
weicht. Das so konstruierte Bild wird durch die damit einher-    Zu den ältesten Texten zählt das Lied vom Mausefallenhänd-
gehenden sozialen und kulturellen Konflikte sowie dadurch        ler, das ins 18. Jahrhundert zurückreicht und in verschie-         2 Wir habm gehabt nen Posten, wohl in Bolzano dort,
hervorgerufene Ängste beeinflusst.                               denen Versionen kursierte. Nachweislich belegt ist es im             die Steuer tut viel kosten, drum sammer wieder fort.
                                                                 Flirscher Nikolausspiel von 1850. Im Volksliedarchiv gibt es         Wir konnten nicht bezahlen, da kündigten sie uns
KLISCHEES ÜBER DIE ZUWANDERER                                    mehrere handschriftliche Aufzeichnungen aus der Zeit um              das Bett,
In Tirol lassen sich sieben Lieder bzw. Liedgruppen nachwei-     1900, so von einem Schwazer und einem Mauracher Bau-                 zum Schluss auch noch die Biggel, die Schaufel und
sen, darunter das bekannte und bei den Trentiner Nachkom-        ern, einem Straßenwärter aus Buch oder einer Sängerin aus            carrett.
men in Vorarlberg mittlerweile sogar als Hymne gehandelte        Unter­eggen in Südtirol.
„Wir kommen aus Trentino“ (Fratelli Moretti – siehe Liedtext     Für dieses in Tirol einst geläufige Lied ist außerdem ein kon-     3 Wir gingen nach Merano und machen eine Kur,
rechts). Darin werden nicht nur zahlreiche Klischees über        kreter Aufführungsbeleg überliefert: Unter den „Komischen            wir gehn auf Promenade und finden goldne Uhr.
die Zuwanderer, die in erster Linie am Bau tätig waren, be-      Vorträgen“, die der Axamer Lehrer und Sammler Franz Isser            Wir habm sie aufgeklaubet und haben sie verkauft,
dient, sondern auch reale Zustände und Begebenheiten             dem Volksliedarchiv 1911 übergab (Inv.-Nr. 53p1/4), fin-             und um des vielen Geldes, das haben wir versauft.
verpackt. So kommen sie aus einem mit exotischen Früch-          det sich „Der welsch’ Kerl“ mit Melodie und folgender auf-
ten und Wein gesegneten Landstrich – sozusagen aus dem           schlussreicher Anmerkung:                                          Vorgesungen von Emmi Lutz (* 1939) und Pepi Nagele
„Land, wo die Zitronen blühen“ –, sind arm (der Posten in        „Wurde im Jahre 1907 in der chir. Klinik in Innsbruck von          (1937– 2013), Reutte, 16. Juni 2003 (CD: Musik im
Bozen wurde steuerbedingt aufgegeben), neigen zu Kleinkri-       einem Patienten (Angelo Lorenzi) bei der Christbaumfeier           Tiroler Außerfern. Lieder und Instrumentalstücke aus
minalität (Uhrendiebstahl) und Trunksucht und verschwen-         gesungen. Er spielte den ‚Pfannenflicker aus dem Fassatal.‘        einer Feldforschung, Tiroler Volksliedarchiv 2006, Track 5)
den ihr Geld, anstatt es zu sparen. Sie gehen, so in anderen     Zum Eingang sang er dieses Lied.“
Versionen des Liedes, als unqualifizierte Saisonarbeiter
(„Handlanger“) in den Norden und fahren im Winter zur Fa-        Auch das Lied „Wir kommen aus Trentino“ erklang zur sel-
milie zurück. Sie gelten als Unruhestifter und freuen sich       ben Zeit in Innsbruck: In den „Innsbrucker Nachrichten“ vom        AL LAVORO!
sogar auf den Knast, da dieser sauberer und gemütlicher ist      5. April 1911 (S. 6) wird unter den „Geselligen Veranstaltun-
                                                                                                                                    Über die Zuwanderung aus dem Trentino
als ihre Unterkunft. Aufgrund mangelnder Ernährung (in der       gen“ eine Aufführung von „Fratelli Boretta“ angekündigt: Der
Regel Polenta in allen Varianten), Arbeitsüberlastung und        Turnverein „Jahn“-Wilten veranstaltete in den Gasträumen           im 19. Jahrhundert
fragwürdiger Hygiene tendieren sie zu Krankheiten.               des Österreichischen Hofes einen Variété-Familienabend.            Tiroler Volkskunstmuseum
Nicht zuletzt – und dies ist das augenfälligste Wesensmerk-      Neben abwechslungsreichen musikalischen Darbietungen               13. Mai bis 3. Oktober 2021
mal der unter dem Begriff Italienerlieder vereinten Texte –      finden sich unter den 16 Nummern ein Lustspiel, der Auftritt

MAI – JULI 2021                                                                                                                                                        WISSENSCHAF T          9
Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
„... BERGKRISTALLE DURCHSICHTIG WEISS“
WOLFGANG SÖLDER
2020 erwarb der Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum durch Kauf
Geräte, Abschläge und Trümmerstücke aus Bergkristall – es sind die Erstfunde
aus einer während der Mittel- und Jungsteinzeit als Rohstoffquelle genutzten
Quarzkluft auf dem Riepenkar in der Hochgebirgsregion der Tuxer Alpen.

Diese Neuerwerbung für die Archäologische Sammlung do-
kumentiert in kleinem Ausschnitt das für den regionalen           „Wir können mit Gewissheit bestätigen, dass
und überregionalen Güteraustausch wichtige Bergkristall-          in den Felsen der Alpen entsteht,
vorkommen im westlichen Tauernfenster und ergänzt we-            und zwar meist an so unwegsamen Stellen, dass
sentlich den Sammlungsbestand an Bergkristallgeräten von         man ihn, am Seil hängend, herausziehen muss.“
Rastplätzen mittelsteinzeitlicher nomadisierender Jäger                    (Plinius, Naturalis historia XXXVII, 27)
und Sammler, die – wie etwa der Klingenkratzer aus kla-
rem Bergkristall vom Staller Sattel, Gemeinde St. Jakob in
Defereggen – anlässlich von Begehungen als Lesefunde ge-        Verlauf erhärtete sich der vorerst in den Funden von Patrik
borgen wurden.                                                  und Siegfried Pataky und jenen von Walter Ungerank nur
                                                                schwach angedeutete prähistorische Bergkristallabbau:
Von besonderer Bedeutung für die Forschungen zur Nutzung        Aus dem oberflächlich und in der Kluft geborgenen Berg-
natürlicher Ressourcen während der Mittel- und Jungstein-       kristallschutt belegen gesamt 123 Geräte – u. a. Lamellen,
zeit war im Jahr 2000 die Entdeckung durch die Aschauer         Klingen, Stichel, Kratzer, Bohrer, Schaber – sowie über
Mineraliensucher Patrik und Siegfried Pataky auf dem            150 Abschläge und Trümmerstücke beeindruckend die
Riepen­k ar, Gemeinde Finkenberg, in der Grenzregion zu Süd-    steinzeitliche Nutzung des Bergkristalls. Die Artefakte be-
                                                                                                                                                                                          02
tirol in rund 2.800 Meter Höhe am Südfuß des Olperers: An-      zeugen somit einerseits Schlagversuche, um vom Mutter-
lässlich der Prospektion einer rund 13 Meter langen, partiell   gestein extrahierte Bergkristalle auf ihre Tauglichkeit zur
1,5 Meter breiten und 3 Meter tiefen Kristallkluft gelang       Geräteherstellung zu prüfen, andererseits auch die Geräte-
durch Funde u. a. von Klingenabschlägen und Trümmerstü-         herstellung vor Ort. Infolge massiver neuzeitlicher Bergkris-     pliziten Erwähnung – auf deren Wichtigkeit und die beson-
cken der erste Hinweis auf steinzeitlichen Tagbau von Berg-     tallentnahmen ließen sich in der Kluft keine steinzeitlichen      dere, klare Qualität hin. Es ist davon auszugehen, dass sich
kristall am Alpenhauptkamm. Ihr Kontakt zum passionier-         Abbauspuren nachweisen. Als Abbaugerät könnte Geweih-             in dieser Textstelle die Quarzklüfte in den Zillertaler/Tuxer
ten Zillertaler Mineraliensammler Walter Ungerank führte        gezähe verwendet worden sein, wie dies Funde aus einer            Alpen verbergen, zumal der dort gewonnene Bergkristall
im Rahmen eines Forschungsprojektes von Walter Leitner,         im frühen 6. Jt. v. Chr. abgebauten Kristallkluft in der Glet-    durch seine Transparenz besticht. Die Funde vom Riepenkar
Institut für Archäologien an der Universität Innsbruck, zu      scherregion unterhalb der Fuorcla da Strem Sut (2.831 m),         belegen, dass dieser bereits ab der Mittelsteinzeit zu Gerä-
mehreren Sondierungen und Bergungskampagnen. In deren           Gemeinde Silenen im Schweizer Kanton Uri, nahe­legen.             ten vielleicht auch mit Prestigecharakter verarbeitet inten-
                                                                Dass in historischer Zeit die hochalpinen Tiroler Bergkristall-   siv genutzt wurde.
                                                                vorkommen durchaus von Bedeutung waren, erschließt –
BILDBESCHREIBUNG                                                jedoch ohne Nennung des örtlichen Bezuges – die erste             DIE ZILLERTALER/TUXER ALPEN ALS
01 Finkenberg – Riepenkar, Quarzkluft. Klingen und              Landesbeschreibung Tirols durch Georg Rösch von Gerolds-          VERTEILERZENTRUM
   Abschläge aus Bergkristall                                   hausen: Deren ausdrückliche Erwähnung „Ferner, oder Kees,         Die zentrale Lage des über dem Zamser Grund gelege-
02 Tux – Tuxer Joch. Geräte und Abschläge aus Hornstein         im ewigen Eis, hat Bergkristalle dabei, durchsichtig weiß“        nen Riepenkars in der Verbindungsroute zwischen dem
   und Bergkristall sowie Bergkristallspitzen aus mittel-       im „Der fürstlichen Grafschaft Tyrol Lanndtreim“ von 1558         Pfitscher Joch (2.246 m) im Süden und dem Tuxer/Schmirner
   steinzeitlichen Freilandstationen                            weist auf die Kenntnis und Nutzung – und aufgrund der ex-         Joch (2.338 m) im Norden begünstigte den prähistorischen
                                                                                                                                  Bergkristallhandel. Er erfolgte über Höhenwege einerseits
                                                                                                                                  durch das Pfitschertal in das Sterzinger Becken, von dort
                                                                                                                                  weiter ins Eisack- und Etschtal, andererseits über das
                                                                                                                                  Tuxer- und Zillertal ins Inntal bzw. durch das Schmirntal ins
                                                                                                                                  Wipptal. Von beiden Jöchern liegen Nachweise für mittel-
                                                                                                                                  steinzeitliche Jägerstationen vor, für die Geräteherstellung
                                                                                                                                  verwendete man u. a. lokalen Hornstein aus dem Rofan, süd-
                                                                                                                                  alpinen Silex und Bergkristall.

                                                                                                                                  Die Kartierung mittel- und jungsteinzeitlicher Fundkom­
                                                                                                                                  plexe mit Bergkristallnachweisen vermittelt deutlich deren
                                                                                                                                  ver­dichtete Streuung südlich des Alpenhauptkammes. Der
                                                                                                                                  Grund hierfür wird einerseits im Forschungsstand zum Me-
                                                                                                                                  solithikum und Neolithikum in Nord- und Osttirol liegen, an-
                                                                                                                                  dererseits könnte sie im Kontext mit Steingeräten aus süd-
                                                                                                                                  alpinem Silex in Tiroler Fundkomplexen den Tauschhandel
                                                                                                                                  zwischen Nord und Süd – somit Bergkristall für südalpinen
                                                                                                                                  Silex – anzeigen. Die Frage, ob der steinzeitliche Abbau des
                                                                                                                                  Bergkristalls im westlichen Tauernfenster möglicherweise
                                                                                                                                  vornehmlich von südalpinen Prospektoren erfolgte, ist nicht
                                                                                                                                  schlüssig zu beantworten. Ein schwarzer Hornstein im Be-
                                                                                                                                  reich der Quarzkluft auf dem Riepenkar, der vermutlich aus
                                                                                                                                  einer südalpinen Lagerstätte stammt, könnte dies zumin-
                                                                                                                          01
                                                                                                                                  dest andeuten.

10    SPEZIAL S AMMLUNGEN                                                                                                                                          FERDINANDE A NR. 56
VAN GOGH IM FERDINANDEUM
EIN WEITER WEG
JANA HESS

                                                        01                                                              02                                                           03

Bis externe Leihgaben in den Tiroler Landesmuseen präsen-     diese auf die Erfüllung der geforderten Standards zu prü-
tiert werden, ist es oft ein weiter Weg – und das nicht nur   fen. Seit Beginn der Pandemie ist allerdings einiges anders     DEFREGGER. MYTHOS –
im geografischen Sinne. Die Vorlaufzeit, ab Absenden des
Leihansuchens, nimmt nicht selten mehr als ein Jahr in An-
                                                              und so wurde der ursprüngliche Termin, der in die erste
                                                              Lockdown-Periode gefallen wäre, zunächst verschoben und
                                                                                                                              MISSBRAUCH – MODERNE
spruch. Im regen Austausch mit den Leihgeber*innen dreht      letztlich gänzlich abgesagt.                                    Ferdinandeum
sich in diesen Monaten alles um die Klärung von Fragen und    Stattdessen galt es, über die Distanz hinweg und mithilfe       noch bis 16. Mai 2021
Vorgaben zur Sicherheit, Versicherung, Verpackung und         von Architekturplänen, Fotos und Videos der Zugangsrouten
Transport sowie die Präsentation der angesuchten Objekte.     ein möglichst umfassendes Bild der Situation hier vor Ort zu
Bevor Vincent van Goghs „Head of a Woman“ seinen beson-       vermitteln. Im ständigen Dialog mit der Registrarin des VGM    bis hin zur Zustandskontrolle und dem finalen Hängen in der
deren Platz in der Ausstellung „Defregger. Mythos – Miss-     wurden bestehende Sicherheitsmaßnahmen und die Aus-            Defregger-Ausstellung – wurde von einer Mitarbeiterin des
brauch – Moderne“ einnehmen durfte, gab es in diesem Zu-      stellungsarchitektur optimiert sowie Versicherungs- und        VGM begleitet und überwacht. Bis zum 16. Mai 2021 ist die
sammenhang so einige Hürden zu nehmen. Das leihgebende        Vertragskonditionen verhandelt.                                außerordentlich wertvolle Leihgabe aus den Niederlanden
Van Gogh Museum (VGM) wartete nämlich mit zahlreichen                                                                        noch im Ferdinandeum zu sehen.
und strengen Bedingungen auf – sowohl den Transit als         SICHER BEGLEITET
auch den Ausstellungsraum betreffend, vom Klima bis zum       Anfang Dezember 2020 war es dann endlich soweit: Der
Schutz vor Beschädigung und Diebstahl.                        Leihvertrag wurde finalisiert und nur wenige Tage später       BILDBESCHREIBUNG
                                                              folgte der von MuseumsPartner organisierte und von einer       01/02 Strenge Auflagen für den Transport: In einer
ALLES ANDERS ALS GEPLANT                                      niederländischen Kunstspedition durchgeführte Transport.           Spezialkiste, einer sogenannten Turtle-Klimakiste,
Unter „normalen“ Umständen wäre der Security Advisor des      Verpackt in einer sogenannten Turtle-Klimakiste, die ein Ma-       wurde van Goghs Frauenporträt von Amsterdam nach
VGM von Amsterdam nach Innsbruck angereist, um sich ei-       ximum an Schutz während des Transits gewährleistet, ging           Innsbruck gebracht.
nen persönlichen Eindruck der Räumlichkeiten und Sicher-      es per Direktfahrt nach Innsbruck. Doch die Leihgabe reiste    03 Strenge Auflagen auch im Ferdinandeum: Das Öl­gemäl-
heitsvorkehrungen des Ferdinandeums zu verschaffen und        nicht alleine: Jeder Schritt – vom Verpacken in Amsterdam          de von van Gogh wird von einem Security bewacht.

PETER ANICH DIREKTOR PETER ASSMANN
                                                              „Ein Bauer näherte sich den Sternen des Weltalls“ – diese      Das abgebildete Porträt zeigt ihn mit 36 Jahren. Zufrie-
                                                              Worte finden sich auf dem berühmten großen Himmels-            den und ein wenig verschmitzt schaut er in Richtung des
                                                              globus von 1755/56, der sich nach einer umfassenden            Betrachters/der Betrachterin und verweist mit durchaus
                                                              Restaurierung nun wieder im Museum im Zeughaus aus-            gebührendem Stolz auf den Globus in seinen Händen: Sein
                                                              gestellt findet. Dieser Himmelsglobus, wie auch der neben      Beitrag zur „Vermessung der Welt“ ist immer noch unter-
                                                              ihm im Museum präsentierte Erdglobus, stammt von Peter         schätzt, dazu trug sicher auch sein früher Tod bei. Manche
                                                              Anich (1723–1766). Nicht zuletzt waren es diese beiden         seiner wichtigen Arbeiten sind erst nach seinem Tod veröf-
                                                              Werkstücke in Verbindung mit der großen Tirol-Karte, die       fentlicht worden. Nur aufgrund seiner Vermessungsarbeiten
                                                              den „Bauerngeographen“ Anich zu einem der europaweit           konnte eine klare, bildhafte Zusammenfassung des Territo-
                                                              führenden Kartografie-Experten gemacht hatten. Sein Le-        riums Tirol entstehen. So gab es etwa noch zu Lebzeiten von
                                                              bensweg ist mehr als bemerkenswert, entstammt er doch          Peter Anich unterschiedlichste Längenmaße über die ganze
                                                              einer armen Bauernfamilie und bekam erst spät eine ent-        Region verteilt.
                                                              sprechende Schulbildung. Er erhielt zwar von seinem Vater      Mit großer Freude und gebotenem Respekt vor diesem
                                                              erste Unterweisungen im Drechslerhandwerk, allerdings          Tiroler Weltbildgestalter können wir nun nach den sehr auf-
                                                              wird sein großes Talent erst erkannt, als er den elterlichen   wendigen Restaurierungsarbeiten die vielen Details dieser
                                                              Bauernhof übernommen hatte und auf der Hofwand eine            Globen im Zeughaus betrachten. Beide Objekte entstammen
                                                              große Sonnenuhr errichtete.                                    der Sammlung der Universität Innsbruck, die auch die Finan-
                                                                                                                             zierung der von den Tiroler Landesmuseen organisierten Re-
                                                              Philipp Haller, Porträt Peter Anich (Ausschnitt), 1759,        staurierung übernommen hat, und sind seit Jahrzehnten als
                                                              Öl auf Leinwand                                                Dauerleihgaben in den Tiroler Landesmuseen präsentiert.

MAI – JULI 2021                                                                                                         MUSEUMSWERKSTÄT TEN · KOLUMNE DIREKTOR                      11
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