Ferdinandea - Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum
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ferdinandea DIE ZEITUNG DES VEREINS TIROLER L ANDESMUSEUM FERDINANDEUM FERDINANDEA NR. 56 · MAI – JULI 2021 Ab Albrecht 21. Mai 2021 Dürer, imAdam Ferdinandeum und Eva (Ausschnitt), zu sehen: Albrecht 1504, Kupferstich, Dürer, Nemesis 251(Das x 193 große mm,Glück) Dauerleihgabe (Ausschnitt), Stift um Stams 1501, Dauerleihgabe Stift Stams
EDITORIAL DR.IN BARBARA PSENNER Liebe Vereinsmitglieder, liebe Leser*innen, Sommerprogramms. Das Tiroler Landesmuseum ist sich sei- die Museen sind nun glücklicherweise wieder offen, aber die ner Leitlinie, Archiv und Speicher für die unterschiedlichsten Pandemie lässt noch keine Rückkehr zur „Normalität“ zu. Sie Künste zu sein, stets bewusst und sucht dabei die Auseinan- zeigt hingegen – wie durch ein Brennglas – Schwächen, aber dersetzung mit der Gegenwart. So wird unser Museum dem auch Chancen des Museumsbetriebs auf. Die touristischen Künstlerkollektiv Gelitin, der spektakulärsten Künstlergrup- Gäste fehlen als Besucher*innen, viele Einheimische neh- pe der internationalen Kunstszene, erlauben, seine Bestän- men jedoch das museale Angebot dankbar an. So zeigt auch de für eine große Ausstellung zu durchforsten und damit zu die Besucherstatistik im Ferdinandeum eine überraschend arbeiten. Für die Naturwissenschaftliche Sammlung hat sich erfreuliche Bilanz. Große, mit internationalen Leihgaben be- erfreulicherweise in der Weiherburg in Innsbruck ein Fenster stückte Ausstellungen sind zurzeit nicht möglich, aber Mu- aufgetan, wo in enger Kooperation mit dem Alpenzoo vielfäl- seen wie die Albertina oder das Kunsthistorische Museum tige Objekte aus den Sammlungen zu einem hochaktuellen Wien entwickeln erfolgreiche Ausstellungen aus den haus- Thema (Neobiota und ausgestorbene Arten) ansprechend eigenen Sammlungen. Auch Schätze der bedeutenden, viel- inszeniert werden. Sie sehen, Museen nutzen ihre Poten- fältigen Sammlungen des Tiroler Landesmuseums werden ziale, sie sind bereit, sich den Veränderungen anzupassen, in beachtlichen Ausstellungen nun neu ins Licht gebracht. aber sie zählen auf das Interesse und die Unterstützung der So konnten die Besucher*innen über den noch nie gezeigten Besucher*innen. Wir haben die Zeit genutzt, um die ferdinan- Schatz von Zeichnungen eines der bedeutendsten Künstler dea kritisch zu prüfen und Sie halten nun das neu gestaltete Venedigs im 18. Jahrhundert, Giovanni Battista Piazzetta, Format in den Händen mit klarerer Gliederung der Rubriken, in einer Präsentation der Grafischen Sammlung staunen. Ein mehr Platz für die Hauptausstellung und viel Feinjustierung Zyklus von Druckgrafiken Albrecht Dürers zu seinem Reise- für einen – wie wir finden – gut erfrischten Gesamteindruck. tagebuch von einer entbehrungsreichen Reise 1520 in die Und so hoffen wir, Ihnen damit immer viel Neues aus den Niederlande – eine großzügige Dauerleihgabe des Stiftes Museen einladend übermitteln zu können. Stams an die Grafische Sammlung – wird ein Highlight des Ihre Barbara Psenner INTERVIEW MIT ROSANNA DEMATTÉ DAS GESPRÄCH FÜHRTE DR.IN MARIA MAYRL Transit, Transport, Mobilität prägen Geschichte und Gegen- chen Arbeitsfeldern. Wir behandeln Fragen wie: Wie können Landesmuseen widmen sich mit der Sonderausstellung „Al wart der Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino. 2021 werden Museen für mehr Chancengleichheit sorgen? Wie zum nach- lavoro! Über die Zuwanderung aus dem Trentino im 19. Jahr- sie zu Leitthemen des ersten Euregio-Museumsjahres, das haltigen Wohlstand einer Gemeinde beitragen? Aus der Ana- hundert“ im Volkskunstmuseum einem vergessenen Teil der unter dem Motto „Museum bewegt“ steht. Rosanna Dematté lyse bestehender Erfolgsmodelle werden Wünsche für die Geschichte Tirols und präsentieren im Innsbrucker Zeug- ist eine der Koordinator*innen des Euregio-Museumsjahres kommenden Jahre formuliert. Das Ergebnis dieser Zusam- haus mit der Schau „Gehen – Fahren – Reisen“ einen Blick in und auch von einer der vier Arbeitsgruppen, die ein Doku- menarbeit ist ein Dokument, das Ende April 2021 erscheint. die Geschichte der Mobilität in diesem Land. ment für die Zukunft der Museen der Euregio in Anlehnung an die UN-Agenda 2030 vorbereiten. Hier gibt sie Einblicke Was umfasst das Euregio-Museumsjahr 2021? Worauf beziehen sich andere Initiativen? in diese Initiativen. 2020 haben die Museen der Euregio als Antwort auf eine Der Begriff Mobilität wird durch viele der Projekte auf Ideen Förderausschreibung Vorschläge für Ausstellungsprojekte des kulturellen Transfers erweitert, zum Beispiel über Spra- Was kennzeichnet die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino? zum Thema Mobilität gemacht. Besonders erwünscht war che, Objekte oder Bräuche. Einige Ausstellungen analysie- Wie alle anderen Euroregionen steht sie für eine grenz- ein Aktualitätsbezug und die Zusammenarbeit zwischen ren die wechselnde Bedeutung historischer Transportwege, überschreitende Zusammenarbeit europäischer Regionen Museen aus unterschiedlichen Landesteilen. Die Web- beleuchten die Wandlung von Kriegsinfrastrukturen zu Ein- von mindestens zwei EU-Mitgliedsstaaten. Im Rahmen der plattform des Museumsjahres listet jetzt fast 40 Projekte, richtungen für den Tourismus, untersuchen Bewegungen, Initiativen dieser Euregio kristallisieren sich gemeinsame die bald an über 60 Standorten starten werden. Die Tiroler die frei und unkontrolliert passieren, wie die Verbreitung der Geschichten und Lebensweisen heraus, die für den alpinen Dialekte, die Fortpflanzung einer spezifischen Flora entlang Lebensraum spezifisch sind und die Bedeutung der nationa- der Eisenbahnlinie oder die Ausbreitung der Pestepidemien. len Grenzen relativieren. Gleichzeitig relativieren sie aber Zu reflektieren, wie man in der Vergangenheit mit Epidemien auch andere Grenzen wie Sprache oder kulturelle Zugehö- umgegangen ist, wird in Covid-19-Zeiten besonders interes- rigkeit. Für mich, die ich wie viele andere Bewohner*innen sant. Eine Aufgabe des Museumsjahres 2021 ist es auch, zu Europas in mehreren Staaten und Sprachen lebe, ist die Ar- überlegen, wie unsere Sicht der Dinge und der Mobilitätsbe- beit für eine Europaregion die Gelegenheit, unterschiedliche griff per se von der Pandemie beeinflusst wird. Identitäten in ihren positiven Auswirkungen zu erfahren. Ein Beispiel dafür ist das Befürworten von Diversität, das ich in Welche langfristigen Wirkungen versprechen die Projekte? den kulturellen Institutionen dieser angeblich so traditions- Die Museen könnten ihre Rolle im Diskurs über den nachhal- orientierten Euregio mitbekomme. tigen Umgang mit der Welt und der Menschen miteinander verstehen. Die Struktur der UN-Agenda 2030 zeigt uns, dass Wie arbeiten die Museen in der Euregio zusammen? Um die Vernetzung der Museen grenzüberschreitend zu för- „WIE KÖNNEN MUSEEN FÜR ein effizienter Aktionsplan für eine bessere Zukunft Ver- ständnis für Komplexität voraussetzt. Jedes Ziel steht mit dern, finden seit 2010 jährlich Euregio-Museumstage statt. MEHR CHANCENGLEICHHEIT allen anderen Zielen in Verbindung. Jede Aktion hat Konse- Die Idee eines Museumsjahres für 2021 kommt aus dieser SORGEN? WIE ZUM NACH quenzen für andere Bereiche. Für die Museen bedeutet das Erfahrung. 2021 passiert aber noch mehr: 2020 hat die Kul- eine große Verantwortung aber auch eine große Chance. Sie turabteilung in Trentino den Euregio-Museumstag aufgrund HALTIGEN WOHLSTAND EINER eignen sich besser als viele andere Institutionen, um Visio- der Corona-Beschränkungen als digitale Veranstaltung or- GEMEINDE BEITRAGEN?“ nen für die Zukunft zu sammeln und vor allem, sie partizi- ganisiert und erweitert. Die Mitarbeiter*innen der Museen pativ zu entwickeln. Vernetzen sie sich stärker mit anderen hatten die Möglichkeit, sich bei Arbeitsgruppen anzumel- Rosanna Dematté, geb. 1980 in Trento, hat Kunstge Institutionen und Lebensbereichen, können sie für die Ent- den, um via Zoom-Sitzungen über die Zukunft der Museen im schichte in Innsbruck studiert. Sie ist Kuratorin, Kunsthis- stehung einer gerechteren, inklusiven, friedlichen oder kli- Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN-Agenda torikerin, manchmal und sehr gerne auch Übersetzerin. maneutralen Gesellschaft eine Hauptrolle spielen. 2030 nachzudenken. Die vier Gruppen, von denen ich eine Sie hat seit 2005 Forschungs- und Ausstellungsprojekte koordiniere, bestehen aus Kolleg*innen aus allen Landestei- in Österreich, Italien und Deutschland realisiert. Seit 2013 https://2021.euregio.info/ len, aus kleineren und größeren Häusern und unterschiedli- arbeitet sie in der Modernen Sammlung der TLM. http://www.europaregion.info 2 EDITORIAL · INTERVIE W FERDINANDE A NR. 56
BERND OPPL RAUMWECHSEL Ferdinandeum, Studio 1 und 2 28. Mai bis 15. August 2021 Für ihre zweite Sammlungspräsentation im Jahr 2021 zeigt die Moderne Sammlung Arbeiten von Bernd Oppl. Der österreichische Künstler spürt in seiner Arbeit den Wechselwirkungen von Räumen und deren Abbildungen nach. Bernd Oppl, Diffusion, 2016, aus der Serie „Ephemeral Places“ „In einer zunehmend digitalisierten Welt werden die Gren- rekonstruierten Räume nebulöse Fremdkörper einführt. hinter dem Zweiwegspiegel wird erst sichtbar, wenn im zen zwischen realen und virtuellen Räumen fließender. Bei „Diffusion“ (2016) wird man in eine Wartehalle versetzt. Inneren des Kubus das Licht langsam angeht und die Spie- Welche Räume schaffen wir für Raumabbildungen zum Durch ihre milchigen Fenster zeigt sie Ähnlichkeiten mit gelung verschwindet. Damit verschwindet auch die unend- Beispiel in Form von Filmkulissen? Wie werden Raumbilder dem hinteren Stiegenhaus des Ferdinandeums, einem tem- liche Passage und die (sich) betrachtenden Menschen in bewohnt? Wir bewohnen Räume nicht nur physisch mit un- porären Raum schlechthin, denn es wird in den kommen- ihr. Die Besucher*innen entdecken sich in einem grenzen- seren Körpern, sondern auch mit unseren Vorstellungen in den Jahren im Rahmen des Neubaus verändert. Ähnlich der losen Vorstellungsraum, der mit ihnen erscheint und wie- Filmen, Fotografien, Raummodellen, Gemälden.“ So behaup- diffusen Substanz, die in „Diffusion“ den Raum besetzt, der verschwindet. Bernd Oppl, 1980 in Innsbruck geboren, tet es Oppl, der im Studio 1 seine Dioramen präsentiert, dringen viele Vorstellungen gerade in das neu zu bauende hat an der Kunstuniversität Linz sowie an der Akademie 3D-Mikrowelten, bei denen er Übergangsorte zur virtuellen Museumshaus ein. Bernd Oppls aktuelle Arbeit „Like a hole der bildenden Künste Wien studiert. Er präsentierte sei- Welt (ein Internetcafé, ein Fernsehstudio etc.) rekonstru- in a room like a room in a hole“ (2021) lädt Besucher*innen ne Werke in Einzelausstellungen u. a. im Georgia Museum iert. Dioramen genauso wie Panoramen – ein Beispiel dafür dazu ein, über ihre Position im musealen Raum zu reflektie- of Art (USA), im Kunstraum Kuiper Projects in Brisbane ist das Riesenrundgemälde – ermöglichen mehr als ande- ren. Zwei Meter große Kuben stehen sich in der Installation (Australien), im Kunstraum Dornbirn sowie in zahlreichen re Medien das Eintauchen in einen Illusionsraum und an- leicht versetzt gegenüber. Einer der Kuben ist geöffnet. Die internationalen Gruppenausstellungen und Filmfestivals. schließend das Nachdenken über unsere Projektionen auf Rückseite bildet eine verspiegelte Fläche. Ihm gegenüber Oppl wurde mehrmals ausgezeichnet, zuletzt mit dem Re- die Rauminszenierung. Für seine Fotografien bespielt Oppl liegt ein identer, allerdings mit einem Zweiwegspiegel ver- sidency Stipendium 2018 in Wiels (Brüssel) und dem Öster- temporäre Plätze wie Wartehallen oder Passagen mit einer sehener geschlossener Kubus, wodurch sich in den beiden reichischen Staatsstipendium für Bildende Kunst 2019. eigenen Art der Raumintervention, indem er in die von ihm Spiegelflächen eine unendliche Passage ergibt. Der Raum Rosanna Dematté JULIA BORNEFELD SENTIRE Ferdinandeum, Westfassade Seit Februar 2021 belauscht ein Ohr an der Westf assade des Ferdinandeums die Vorbeispazierenden. Die Inter- vention im öffentlichen Raum realisierte die in Südtirol lebende Künstlerin Julia Bornefeld (*1963). Das Ohr ist in der bildenden Kunst ein häufig verwende- aber durch seinen Standort etwas Fremdes behält. Bei der Quelle der Moral aus einem impliziten moralischen Wissen. tes Motiv, ob bei Jan Vermeer (1632–1675), Hieronymus Betrachtung dieses Objektes aus Bronze geht es nicht um Jeder Mensch ist für sein Tun und sein Handeln selbst ver- Bosch (1450–1516), Salvatore Salvador Dali (1904–1989), das Verstehen, sondern um eine gefühlsbetonte Anrufung. antwortlich. Der Hauptgrund dafür ist, dass jeder als ein In- Meret Oppenheim (1913–1985) oder Martin Kippenberger Fühlen ist nicht nur unvermeidlich, sondern auch absolut dividuum individuelle Gründe für seine Handlungen hat. Die (1953–1997). Letzterer wollte sich „nicht jeden Tag ein Ohr wesentlich für das Verstehen von Kunstwerken. Ohne affek- Freiheit, Entscheidungen treffen zu können, ist dabei der abschneiden“, eine Anspielung, welche das klischeehafte tive Verbindung wird es bedeutungslos. Die reine intellektu- maßgebende Faktor: Keine Freiheit ohne Verantwortung. Bild des Künstlers als gequältes Genie bedient – und somit elle Wahrnehmung von Kunst, davor warnt uns das Ohr von Lauschen wir also nicht den falschen Stimmen. auch auf den berühmtesten Maler des Postimpressionis- Julia Bornefeld, ist eine Form der Abwehr. Bornefelds Ohr Bornefelds „Ohr“ ist neben Isa Genzkens (*1948) fotogra- mus, Vincent van Gogh (1853–1890), Bezug nimmt. warnt uns aber auch vor den gefühlten Wahrheiten des poli- fischer Reproduktion (2002) am Rathaus die zweite Instal- Julia Bornefelds Skulptur „sentire“ (2020) – italienisch für tischen Diskurses im postfaktischen Zeitalter. Jeder gesun- lation dieses Sinnesorgans einer Künstlerin im öffentlichen hören, fühlen – ist eine gelungene Intervention im öffent- de Mensch hört eine Stimme in sich, die ihm sagt, was Recht Raum von Innsbruck. lichen Raum, die an das menschliche Organ erinnern mag, und Unrecht ist. Diese Stimme, so Hannah Arendt, ist eine Florian Waldvogel MAI – JULI 2021 AUSSTELLUNGEN · INSTALL ATIONEN 3
GEHEN – FAHREN – REISEN MOBILITÄT IN TIROL CLAUDIA SPORER-HEIS Wir leben heute im Zeitalter der absoluten Beweglichkeit. Das rasche und komfortable Bewältigen großer Strecken und das Erreichen exponierter Orte sind – hauptsächlich aufgrund der technischen Errungenschaften der letzten 200 Jahre – mit allen Vor- und Nachteilen längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Das diesjährige Motto der Euregio-Museen „Transit – Trans- Mit dem Dampfross konnten die Alpen rasch und bequem port – Mobilität“ bietet die Möglichkeit, einen Blick zurück BIS INS 19. JH. WAR DIE überwunden werden, oft waren aber auch die aufstrebenden in die Geschichte der Fortbewegung, des Verkehrs und der Tourismusorte Ziel für eine Sommerfrische in Tirol. Zwar Mobilität in Tirol zu werfen. KUTSCHE DAS WICHTIGSTE fand der traditionelle Frachtverkehr auf der Straße ein Ende, VERKEHRSMITTEL FÜR REISENDE, wovon auch die dort ansässigen Gewerbe (Schmieden, Wag- ZU FUSS VON DENEN MANCHE IN nerbetriebe, Gasthäuser) betroffen waren, aber aufgrund In früheren Zeiten bewegte man sich vor allem mithilfe der des damals aufkommenden „Fremdenverkehrs“ erhöhte eigenen Muskelkraft, also durch Gehen, weiter und war im BERICHTEN IHRE ERLEBNISSE sich der Bedarf an Personen- und Gütertransporten in die alpinen Gelände Tirols besonders bei der Überwindung von SCHILDERTEN. Seitentäler. Pässen und Schluchten vor große Herausforderungen ge- stellt. Dies hinderte jedoch auch die Menschen der Prä ZU WASSER UND IN DER LUFT historie nicht daran, im Hochgebirge zu jagen und hochal- Durch den von Maximilian I. eingeführten Postdienst wur- Zum Transport von schweren Gütern, aber auch von Men- pine Pfade für den Handel zu nützen. Beim Gehen wurde der den im späten 16. Jahrhundert nicht nur Briefe und Pakete, schen wurden Inn und Etsch als Wasserwege genützt. Der anstrengendere und gefährlichere Weg der einfacheren, sondern auch Personen zunächst auf einfachen Stellwägen Inn war ab Telfs, die Etsch ab Terlan schiffbar, als Hauptlän- aber längeren Route vorgezogen. mit Holzbänken befördert. Aufgrund der technischen Ver- den (Anlegestellen) kristallisierten sich im Laufe der Zeit Das Straßennetz, das die Römer nach der Eroberung der besserungen wurde die Kutsche bis ins 19. Jahrhundert das Hall und Branzoll heraus. Die Transporte erfolgten auch Alpenregion (15 v. Chr.) angelegt hatten, konnte bereits mit wichtigste Verkehrsmittel für Reisende, von denen manche in flussaufwärts, wobei die Schiffe und Flöße von Pferden ge- Wägen befahren werden. Nach seinem Verfall musste es im Beschreibungen und Berichten ihre Erlebnisse schilderten. zogen werden mussten. Mit dem Bau der Eisenbahn fand die Lauf des Mittelalters reaktiviert werden und wurde mithilfe Dabei wurde in erster Linie die regelmäßig fahrende Post- Flussschifffahrt in Tirol ein Ende. von Zollgebühren von den Landesfürsten instandgehalten. kutsche benützt, nur der Adel und die gut betuchten Teile der Versuche, sich mittels Gasballonen durch die Luft zu bewe- Der lebhaft aufkommende Handel über die europäische Nord- sonstigen Bevölkerung konnten sich eigene Karossen leisten. gen, gehen in Tirol auf die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Süd-Achse bewirkte auch eine aufblühende Wirtschaft entlang Im 19. Jahrhundert wurde das Straßennetz mit gut befahrba- Ein erstes Flugzeug konnte die Innsbrucker Bevölkerung an- der Straßen. Inneralpin wurden Waren noch lange Zeit unter ren „Kunststraßen“ mit geringen Steigungen ausgebaut, die lässlich der „Innsbrucker Flugtage“ 1912 bewundern. Nach- Einsatz von Tieren auf Saumpfaden befördert. Durchreisende später auch mit dem neuen Verkehrsmittel Automobil genutzt dem in der Zwischenkriegszeit ein Flughafen in der Reiche Pilger fanden Unterkunft in Hospizen, die vor allem an Pässen werden konnten. Die zweite Hälfte des 20. Jh. war geprägt von nau mit regelmäßigem Flugverkehr eingerichtet worden war, errichtet worden waren. Das Reisen zu Pferd war – aufgrund den Autobahnbauten zwischen 1959 und 1985, die vor allem entstand nach dem Zweiten Weltkrieg der Flughafen Krane- der hohen Kosten – nur privilegierten Personen möglich. aufgrund der Sorge, „umfahren“ zu werden, was wirtschaftli- bitten auf der Ulfiswiese im Westen von I nnsbruck. che Nachteile bedeutet hätte, durchgeführt wurden. Die Möglichkeiten, sich einfacher und schneller fortzube- AUF RÄDERN Übrigens: 1817 erfand der badische Baron Karl von Drais wegen, bedeuteten – neben wirtschaftlichen Vorteilen – Anfang des 16. Jahrhunderts befanden sich die Hauptver- ein Laufrad („Draisine“), den Vorläufer des Fahrrades, das immer auch eine Erweiterung des geistigen Horizonts sowie kehrsrouten über den Brenner und den Reschen in keinem Anfang des 20. Jahrhunderts zum Fortbewegungsmittel für einen verstärkten Austausch von Kultur und eine fruchtbare guten Zustand. Neben Fußreisenden mit bepackten Trag alle werden sollte und auch heute eine wesentliche Rolle im Begegnung mit dem „Fremden“. Andererseits hat der Begriff tieren und von Menschen oder Tieren getragenen Sänften Zusammenhang mit umweltfreundlichem Verkehr spielt. Verkehr, gerade in Tirol, im Lauf der letzten Jahrzehnte aber bzw. gezogenen Karren waren vor allem Fuhrwerke unter- auch immer mehr einen negativen Beigeschmack bekom- wegs. Händler, die Güter durch Tirol transportieren wollten, AUF SCHIENE men. Die frühere Sorge, „umfahren“ zu werden, wurde von waren durch die sogenannte Rodordnung verpflichtet, die Eine große Veränderung, nicht nur für die Bevölkerung, son- der wachsenden Sorge um die Gesundheit abgelöst, die von Hilfe Einheimischer in Anspruch zu nehmen und für diese dern auch für die Landschaft des historischen Tirol in der zwei- Luftverschmutzung und Lärm bedroht ist. Neben anderen zu bezahlen. Zudem mussten sie ihre Waren an bestimmten ten Hälfte des 19. Jh., brachte der Bau der Eisenbahn, der vor Maßnahmen soll der Brenner Basistunnel einen Beitrag da- Orten zum Kauf anbieten. allem von Arbeiter*innen aus dem Trentino ausgeführt wurde. bei leisten, dieser Herausforderung zu begegnen. DRUCKGRAFIK ALS WEGZEHRUNG GEHEN – FAHREN – REISEN DÜRERS REISE IN DIE NIEDERLANDE Zeughaus, 13. Mai bis 3. Oktober 2021 Ferdinandeum, 21. Mai bis 5. September 2021 Im Juli 1520 brach der schon zu seiner Zeit berühmte Künstler Albrecht Dürer (1471–1528) zu einer einjährigen Reise in die Niederlande auf. Neben einem akribisch geführten Reise- 01 Dorfzentrum von Natters mit Kutsche und Kinderwagen, 1828, Ölgemälde von Czichna, tagebuch mit genauen Routen-, Personen- und Geldangaben hatte er zahlreiche Abzüge Tiroler Volkskunstmuseum seines druckgrafischen OEuvres im Gepäck, die er verschenkte, gegen Leistungen ein- 02 Ein Wanderhändler auf der Straße nach Nauders, 1868, aquarellierte Bleistiftzeichnung tauschte oder zur Finanzierung seiner Reise verkaufte. In einer Schau im Ferdinandeum von L. Benesch, TLMF, Bibliothek wird mit einer Auswahl dieser Druckgrafiken (siehe Titelblatt) das vor einem halben Jahr- 03 Autorennen am Zirlerberg, 1914, Fotografie, TLMF, Historische Sammlung tausend erlebte Reiseabenteuer dieses freigebigen Zeitgenossen gewürdigt. 04 Ankündigung für die „Innsbrucker Flugtage“, 1912, Entwurf von F. Niebler, Farblithografie, TLMF, Historische Sammlung 4 AUSSTELLUNG FERDINANDE A NR. 56
UM- UND AUSBAU DES FERDINANDEUM DAS PREISGERICHT TAGTE ZUM ZWEITEN MAL BARBARA PSENNER Die Jurysitzung zur Ermittlung des Siegerprojektes für den Um- und Ausbau des Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum fand am 9. und 10. März 2021 unter strengen COVID-19 Regeln im Haus der Musik statt. Zwanzig europäische Architekturbüros, die für die zweite Wettbewerbsphase ausgewählt worden sind, haben innovative Projekte von hoher Qualität zum geplanten Umbau eingereicht. Der Um- und Ausbau des Ferdinandeum rückt näher: Eine international besetzte Jury ermittelt das Siegerprojekt. Zwanzig Projekte werden bewertet und beurteilt. Fach- und Preisjuror*innen setzten sich zwei Tag lang inten- das atmosphärische Zusammenspiel zwischen historischen dahingehend erfolgen, ob das vorgegebene Kostenziel ein- siv mit den Projekten auseinander, unter Berücksichtigung Bestandsoberflächen und Neubauteilen erkennen oder wie gehalten werden kann. Diese Projekte werden nun in eine der maßgeblich mit Direktor Peter Assmann erarbeiteten berücksichtigt der Plan eines Dachaufbaues die Bedeutung Überarbeitungsphase geschickt. Bei der nächsten Jurysit- Beurteilungskriterien. Die Aufgabe ist komplex, die Heraus- der 5. Fassade, im Hinblick auf die Wertigkeit der Dachland- zung im Juni 2021 wird dann das Siegerprojekt gewählt. forderungen sind groß: Wie überzeugend sind die funktiona- schaften im Zentrum von Innsbruck? Der Zeitplan des Projektes kann eingehalten und der Baube- len Erfordernisse gelöst, z. B. barrierefreier Zugang, orien Mehrere Projekte wurden in die engere Wahl genommen. ginn 2022 mit größerer Planungssicherheit weiterhin anvi- tierungssichere Wegführung, klare und doch spannende Trotz der hohen Qualität gibt es offene Fragen in Bereichen siert werden. Ab Mitte Juni werden das Siegerprojekt sowie Raumsequenzen, eine neue, großzügige Eingangssituation? der Architektur, des Flächenmanagements und der organisa- alle an diesem komplexen Auswahl-, Arbeits- und Projekt- Gelingt eine überzeugende architektonische Lösung für die torischen Abläufe, die einer weiteren Bearbeitung bedürfen, entwicklungsprozess Beteiligten der Öffentlichkeit vorge- Verbindung des historischen Bestandes mit den notwendi- um eine endgültige Beschlussfassung erreichen zu können. stellt. Der Planungs- und Bau-Fortschritt kann dann für alle gen neuen Bauteilen zu einem überzeugenden Gesamten- Aufgrund der unterschiedlichen Bearbeitungstiefen dieser transparent im Blog der Tiroler Landesmuseen unter dem semble? Was signalisiert die neue Westfassade, lässt sich Projekte konnte auch noch keine ausreichende Bewertung Hashtag „Ferdinandeumbau“ nachverfolgt werden. EINE BESONDERE NEUERWERBUNG ANDREAS HOLZMANN Durch schnelles Handeln und mit etwas Glück konnte der seiner Werkstattgründung in Inns- Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum vor kurzem bruck konnte er einen neuen Maß- eine besondere Neuanschaffung für die Musiksammlung stab im Tiroler Klavierbau der Zeit der Tiroler Landesmuseen tätigen: Die Erwerbung eines setzen. Der neu erworbene Hammer- Flügels des in Innsbruck wirkenden Johann Georg Gröber flügel zeugt von einem ausgeprägten (1775–1849) aus Privatbesitz. Von Gröber, dem bedeu- Sinn für ästhetische Holzverarbei- tendsten Tiroler Klavierbauer in der ersten Hälfte des tung sowie vom hervorragenden 19. Jahrhunderts, sind heute etwas mehr als zwanzig er- technischen Geschick des Herstel- haltene Klaviere bekannt. Diese sind überall auf der Welt lers. Er ist ein idealer Ausgangspunkt verstreut, sowohl in Privatbesitz als auch in bedeutenden für eine wissenschaftliche Vertie- öffentlichen Sammlungen in Europa, in den USA, Kanada, fung der Grundlagenforschung zum Australien und Japan. Bereits seit den 1970er-Jahren be- Schaffen Gröbers und zugleich bietet findet sich ein Gröber-Flügel (ca. 1830) im Ferdinandeum. sich ein Dokumentations- und Res- Der neuerworbene Flügel dokumentiert dank des früheren taurierungsprojekt des Flügels nach Entstehungszeitraums um 1815 ein anderes Stadium in der modernen Standards an. Entwicklung der Klaviere Gröbers. Dank seiner Ausbildung in Wien war Gröber bestens über die neuesten Strömungen Der neuerworbene Hammerflügel von am sich rasch wandelnden Klaviermarkt informiert. Mit Johann Georg Gröber, um 1815. 6 VEREIN · AKTUELLES FERDINANDE A NR. 56
AUSSTELLUNGSTIPP S WO VON BARBARA PSENNER A ND E R MODE SCHAUEN In der Schau, in der ein ganzes Stockwerk im Hochschloss von Schloss Ambras zur Ausstellungsfläche wird, stehen Mode und Macht im Mittelpunkt. Kostbare Textilien waren von jeher Statussymbole und dienten zu Repräsentationszwecken FÜRSTLICHE GARDEROBE VOM einer elitären Schicht. Bedeutende Gemälde von der Renaissance bis zum Barock aus der Habsburger Porträtgalerie 16. BIS 18. JAHRHUNDERT geben – durch filmische Visualisierungen sinnlich erlebbar gestaltet – Einblick in die Modewelt von damals. Anhand von rund 130 Objekten und Gemälden (von Giuseppe Arcimboldo bis Diego Velázquez) aus den Sammlungen des Kunsthisto- Innsbruck, Schloss Ambras rischen Museums in Wien und von Schloss Ambras sowie von (inter-)nationalen Leihgeber*innen werden Fragen behan- 17.6. bis 3.10.2021 delt wie „Was tragen die Porträtierten? Wie ist ihre Kleidung beschaffen? Was erzählt Kleidung den Besucher*innen über schlossambras-innsbruck.at diese historischen Epochen und bis heute?“. Die „Begehbaren Gedanken“ führen am 15.3.2021 Chris Steeg, Birgit Schönegger, Maria Mayrl, Josefine Justic und Rosanna Dematté und Ursula Beiler unterhalten sich im Vorstandsvorsitzende Barbara Psenner (v.l.n.r.) in die Präsentation „Die Frauen machen die Brötchen“ der Künstlerin, TIROL PANORAMA am 8.3.2021 über Frauenrechte: Fotografin und Filmemacherin Elde Steeg (Berlin 1908–1988 Innsbruck). tiroler-landesmuseen.at/podcast-9-ursula-beiler WERBEN ODER WERDEN SIE EIN MITGLIED IM VEREIN TIROLER LANDESMUSEUM FERDINANDEUM UND GENIESSEN SIE FOLGENDE VORTEILE: • freien Eintritt in die Tiroler Landesmuseen sowie alle österreichischen Landesmuseen und ermäßigter Eintritt in Partnermuseen In der YouTube-Reihe „Museum im Dialog“ diskutierten Ivona • Ermäßigungen bei Konzerten und Vereinsfahrten Jelcic, Nina Schedlmayer und Ingeborg Erhart (v.l.n.r.) zu Kon- Der deutsche Botschafter Ralf Beste besuchte • Rabatte auf TLM-Publikationen und -CDs im struktion von Geschlecht und feministischer Raumproduktion. am 25.2.2021 die Defregger-Ausstellung. Museumsshop • kostenlose Zusendung der ferdinandea und von Einladungen zu Veranstaltungen und Eröffnungen Impressum: Medieninhaber, Herausgeber, Verleger und Hersteller: • kostenlose Begutachtungen Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum: Museumstr. 15 · 6020 Innsbruck verein@tiroler-landesmuseum.at MITGLIEDSBEITRAG 2021: T +43 512 59 489-105 Einzelperson: 35 Euro · Studierende: 12 Euro Redaktion: Barbara Psenner, Bernhard Platzer, Isabelle Brandauer, Familie/Lebensgemeinschaft: 55 Euro Astrid Flögel, Josefine Justic, Maria Mayrl, Birgit Schönegger, Gemeinde/Institution: 110 Euro Renate Telser, Michael Zechmann- Khreis. Die ferdinandea erscheint 4 x im Jahr; Vereinszweck: Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft in Tirol; Blattlinie: Informationsorgan der Mitglieder. Organe: Vorstand (B. Psenner, B. Platzer, F. Pegger); Aufsichtsrat (J. Hörmann-Thurn und Taxis, V. Zingerle, S. Höller, L. Madersbacher); Grafik: büro54 Druck: Athesia-Tyrolia Druck Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die persönliche Meinung der Autor*innen wieder. Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Fotos: Wenn nicht anders angegeben: TLM, S. 2/Editorial: Wolfgang Lackner, S. 2/Interview: Maria Lindas, S. 3/ Diffusion: Bernd Oppl, S. 3/Sentire: Johannes Plattner, S. 6/Umbau: Franz Pegger, S. 6/Gröber-Flügel: Daniel Jarosch, S. 7: Wolfgang Lackner, Projekt zum Konzertstream von Cesare del Castelbarcos Schöpfungsgeschichte mit dem Renate Telser, S. 8/Rückblicke: TLMF, S. 10: Wolfgang Sölder, S. 11/van Gogh: Renate Telser, Wolfgang Lackner, Orchester der Akademie St. Blasius im Haus der Musik Innsbruck am 21.3.2021. WWW.FERDINANDEUM.AT S. 12: TLMF tiroler-landesmuseen.at/stream MAI – JULI 2021 V ER A N S TA LT UNGEN · ERÖFFNUNGEN 7
MUSIKMUSEUM FRANZ GRATL FERDINANDEUMS-RÜCKBLICKE TIROLER GRÖSTL 1710 HÄNDEL IN INNSBRUCK EINE LITERARISCH-MUSIKALISCHE SPURENSUCHE CHRISTOPH W. BAUER – ENSEMBLE ROSARUM FLORES Erhältlich im Museumsshop, im Fachhandel, auf amazon, jpc und im Vertrieb von note 1 Die musikmuseum-CD 52 „Tiroler Gröstl 1710“ themati- siert auf eine vergnügliche literarisch-musikalisch Weise Das Museum im Jahr seiner Erbauung, 1845 Georg Friedrich Händels Innsbruck-Aufenthalt im Winter 1709/10. In einem imaginären, vom Schauspieler Kristoffer EIN NEUES HAUS Nowak rezitierten Brief an den Lautenisten Silvius Leopold Weiss lässt der Tiroler Schriftsteller Christoph W. Bauer FÜR DAS MUSEUM den alternden Händel diese Tage in Innsbruck Revue pas- ROLAND SILA sieren. Da es keine konkreten Zeugnisse zu Händels Auf- enthalt in Tirol gibt, ist der „historisch informierten“ litera- Im Mai 1845 wurde feierlich das Tiroler Landesmuseum rischen Fiktion Raum gegeben, den wir ausgenutzt haben. Ferdinandeum in Anwesenheit von Erzherzog Johann Die Musik, die auf dieser CD zu hören ist, gibt einerseits am heutigen Standort nach drei Jahren Bauzeit eröffnet. einen Eindruck der blühenden Musikkultur am Hof Karl Die Sammlung des 1823 gegründeten Museumsvereines MUSIKMUSEUM 52 Philipps von der Pfalz in Innsbruck um 1710, andererseits war zu umfangreich geworden, auch fehlten die dringend TIROLER GRÖSTL 1710 tauchen wir in die Klangwelten des jungen musikalischen notwendigen Präsentationsräume. Der „Bote für Tirol und HÄNDEL IN INNSBRUCK EINE LITERARISCH-MUSIKALISCHE SPURENSUCHE Kosmopoliten Händel ein – mit Musik von Georg Friedrich Vorarlberg“ berichtete ausführlich über diese große Er- CHRISTOPH W. BAUER · ENSEMBLE ROSARUM FLORES Händel, Gottfried Finger, Jakob Greber, Giovanni Bononcini, rungenschaft: 1 Pietro Nicoló Sorosina und Alessandro Scarlatti. „Die Tage dieser Woche waren für unsere Stadt Tage fest- licher Freude. [...] Wenn man die Mittel erwägt, welche dem Vereine zum Gebothe standen, so muß man nicht nur über die Solidität, Ausdehnung und Zweckmäßigkeit KULTURVERMITTLUNG KATHARINA WALTER des Baues, sondern auch über die Reichhaltigkeit der Sammlungen erstaunen, welche in den Zimmern zweck- mäßig aufgestellt und schön geordnet einen ganz andern HALLO NACHBAR*IN! Anblick gewähren, als in den früheren beschränkten und ganz schmucklosen Lokalitäten.“ In jenem Jahr wurden auch Aufrufe in die Tiroler Zeitun- gen gegeben, Erzeugnisse industrieller Produktion an EINE OPEN-AIR INSTALLATION VON UND MIT SCHÜLER*INNEN das Ferdinandeum zu senden, um diese Produkte in ei- DER VS INNERE STADT nem eigenen Kabinett präsentieren zu können. Aus allen Landesteilen wurden Proben an das Landesmuseum ge- Rund um die Volksschule Innere Stadt sandt und großteils diesem als Geschenk überlassen. So bis 5.9.2021 spendete etwas Franz Anich aus Sillian acht Wollhüte, der Tapetenfabrikant Baumgarten aus Feldkirch übergab fünf Papier-Tapeten-Muster, der Porzellanfabrikant Kircher Wer sind unsere Nachbar*innen? Was spielt sich hinter aus Bozen widmete einige Muster seiner Fabrikate, der den Fassaden in der unmittelbaren Umgebung ab? Über Sensenschmid Simon Zimmermann aus Oberndorf spen- ein Jahr beschäftigte sich eine Gruppe von 6–10jährigen dete „zwei Stück Sensen von vorzüglicher Qualität“ und Schüler*innen der Volksschule Innere Stadt mit ihrer Nach- die Berg- und Hüttenverwaltung Kitzbühel steuerte eine barschaft – dem Ferdinandeum, dem Volkskunstmuseum, große Platte Rosetten-Kupfer bei. der Theologischen Fakultät, dem Akademischen Gymnasi- Heute wird das Ferdinandeum nach wie vor von vielen um, dem Treibhaus – und den Menschen, die darin arbeiten großzügigen Gönner*innen unterstützt, nur das Gebäude und lernen. Waren anfänglich gegenseitige Hausbesuche ist schon wieder zu klein für die Anforderungen der Ge- und Interviews vor Ort geplant, so verlagerte sich der Aus- genwart geworden. tausch aufgrund von Covid-19 in einen Briefwechsel zwi- schen den Nachbar*innen. In einem Dialog über mehrere Generationen setzten sich die Schüler*innen mit Erwach- senen, Jugendlichen und Student*innen auseinander, in dem auch der Wunsch nach Verbindendem nicht zu kurz kam: „Gibt es einen geheimen unterirdischen Weg? Wenn, der Gebäude zu sehen sind. Sie stehen für Durchlässigkeit ja, können wir ihn gemeinsam gehen?“ (Fabian, 10 Jahre). zwischen dem Inneren der Häuser, wo sich Kultur und Bil- In Workshops mit dem Autor Bernd Schuchter und dem dung abspielt und dem von Zäunen und Hecken begrenz- Illustrator Christian Yeti Beirer wurden die sichtbaren Häu- ten (halb)-öffentlichen Raum, in einer Zeit, wo Begegnung serfronten aus neuen Blickwinkeln betrachtet, Hausgeis- eine neue Bedeutung und Wichtigkeit erfährt. ter der einzelnen Gebäude fantasiert und gestaltet und Begriffe wie Nähe, Ferne, Nachbarschaft in ein kreatives Ein Projekt der Tiroler Landesmuseen und der Volksschule Wortspiel gebracht. Innere Stadt in Zusammenarbeit mit der Katholisch-Theo- Die Ergebnisse dieser Begegnungen verdichten sich nun in logischen Fakultät der Universität Innsbruck, dem Akade- Bild- und Textcollagen auf 26 Fahnen, die auf den Fassaden mischen Gymnasium und dem Treibhaus. 8 MUSIKMUSEUM · VER ANSTALTUNGEN · RÜCKBLICKE FERDINANDE A NR. 56
ITALIENERLIEDER IN TIROL „... WIR SCHUFTEN BEI DIE HAUS UND KANAL ...“ SONJA ORTNER In der Ausstellung „AL LAVORO!“ werden auch die sogenannten Italienerlieder thematisiert. Unter diesem Sammelbegriff sind Lieder vereint, in denen man sich mit den ab ca. 1870 aus dem norditalienischen Raum angeworbenen Arbeitsmigranten, aber auch den bereits zuvor in der Region präsenten Wanderhändlern auseinandersetzte. Belegt sind solche Texte für Vorarlberg, den süddeutschen Raum, aber eben auch für Tirol. werden durch die Verwen- einer japanischen Akrobatengruppe oder eines Geisterban- dung eines deutsch-ita ners. Unter Punkt 12 ist zu lesen: „Fratelli Boretta, unver- lienischen Kauderwelsch gleichliche Duoszene aus den Abruzzen, dargestellt von Mit- sowie eines mehr oder we- gliedern der Camorra.“ niger starken Akzents die Entstanden sein dürften viele der Lieder im szenischen Um- sprachlichen Defizite der feld. Als Rollenlieder für komödiantische Auftritte dienten Gastarbeiter ironisiert. sie der Darstellung des angeblich „typischen“ Trentiners Ein weiterer Topos bzw. ein als „volkstümliche Genregestalt“ (Johler). In den jüngsten weiteres Vorurteil gegen- Tonaufnahmen des Volksliedarchivs aus dem beginnenden über den Migranten aus 21. Jahrhundert ist vom Italienerlied allerdings nicht viel dem Süden betrifft deren mehr geblieben als ein assoziationsfreies, unbeschwertes sexuelle Freizügigkeit, die Lied, das Sänger wie Zuhörer gleichermaßen unterhält und eine Gefahr für die Frauen dessen ursprünglicher Kontext weder den einen noch den der Einheimischen dar- anderen mehr bewusst ist. stellte. Dieses Thema wird speziell in Handwerkslie dern ausgebreitet, in de- WIR KOMMEN AUS TRENTINO (FRATELLI MORETTI) nen die mechanische Be- wegung der beruflichen 1 Wir kommen aus Trentino, das wissen Sie gewiss, „Der Wetzstuan-Hanns“, Tiroler Volksliedarchiv, Inv.-Nr. 102a/12 Tätigkeit (schleifen, wet- wo wachst der rote Vino, wo man Polenta frisst. zen) zweideutig gelesen Wo wachsen die Zitroni und die Orångi a, Die Einheimischen sahen sich mit den „fremden“ und doch werden kann und soll. Sowohl das ausschließlich in Tirol be- wir kommen aus Trentino, jetzt sammer wieder da. ebenso der Monarchie angehörenden Menschen, ihrer Her- legte Lied vom Schleifersmann („Buona sera, meine Herra, kunft sowie ihren Wesenszügen und Lebensformen kon- schauen Sie mi an“) als auch jenes vom „Wetzsteinhans“, [Refrain:] frontiert. Fremdes und Neues führen immer zu Beobach- das in ganz Österreich verbreitet war, sind stark sexuell Noi siamo fratelli Moretti, tung, Beurteilung und künstlerischer Auseinandersetzung. konnotiert. wir schuften bei die Haus und Kanal, Besondere Aufmerksamkeit galt naturgemäß dem, was sie mit die Biggel, die Schaufel, carretti, unterscheidet bzw. von den eigenen Normvorstellungen ab- LIED VOM MAUSEFALLENHÄNDLER das sein uns gånz egal. weicht. Das so konstruierte Bild wird durch die damit einher- Zu den ältesten Texten zählt das Lied vom Mausefallenhänd- gehenden sozialen und kulturellen Konflikte sowie dadurch ler, das ins 18. Jahrhundert zurückreicht und in verschie- 2 Wir habm gehabt nen Posten, wohl in Bolzano dort, hervorgerufene Ängste beeinflusst. denen Versionen kursierte. Nachweislich belegt ist es im die Steuer tut viel kosten, drum sammer wieder fort. Flirscher Nikolausspiel von 1850. Im Volksliedarchiv gibt es Wir konnten nicht bezahlen, da kündigten sie uns KLISCHEES ÜBER DIE ZUWANDERER mehrere handschriftliche Aufzeichnungen aus der Zeit um das Bett, In Tirol lassen sich sieben Lieder bzw. Liedgruppen nachwei- 1900, so von einem Schwazer und einem Mauracher Bau- zum Schluss auch noch die Biggel, die Schaufel und sen, darunter das bekannte und bei den Trentiner Nachkom- ern, einem Straßenwärter aus Buch oder einer Sängerin aus carrett. men in Vorarlberg mittlerweile sogar als Hymne gehandelte Untereggen in Südtirol. „Wir kommen aus Trentino“ (Fratelli Moretti – siehe Liedtext Für dieses in Tirol einst geläufige Lied ist außerdem ein kon- 3 Wir gingen nach Merano und machen eine Kur, rechts). Darin werden nicht nur zahlreiche Klischees über kreter Aufführungsbeleg überliefert: Unter den „Komischen wir gehn auf Promenade und finden goldne Uhr. die Zuwanderer, die in erster Linie am Bau tätig waren, be- Vorträgen“, die der Axamer Lehrer und Sammler Franz Isser Wir habm sie aufgeklaubet und haben sie verkauft, dient, sondern auch reale Zustände und Begebenheiten dem Volksliedarchiv 1911 übergab (Inv.-Nr. 53p1/4), fin- und um des vielen Geldes, das haben wir versauft. verpackt. So kommen sie aus einem mit exotischen Früch- det sich „Der welsch’ Kerl“ mit Melodie und folgender auf- ten und Wein gesegneten Landstrich – sozusagen aus dem schlussreicher Anmerkung: Vorgesungen von Emmi Lutz (* 1939) und Pepi Nagele „Land, wo die Zitronen blühen“ –, sind arm (der Posten in „Wurde im Jahre 1907 in der chir. Klinik in Innsbruck von (1937– 2013), Reutte, 16. Juni 2003 (CD: Musik im Bozen wurde steuerbedingt aufgegeben), neigen zu Kleinkri- einem Patienten (Angelo Lorenzi) bei der Christbaumfeier Tiroler Außerfern. Lieder und Instrumentalstücke aus minalität (Uhrendiebstahl) und Trunksucht und verschwen- gesungen. Er spielte den ‚Pfannenflicker aus dem Fassatal.‘ einer Feldforschung, Tiroler Volksliedarchiv 2006, Track 5) den ihr Geld, anstatt es zu sparen. Sie gehen, so in anderen Zum Eingang sang er dieses Lied.“ Versionen des Liedes, als unqualifizierte Saisonarbeiter („Handlanger“) in den Norden und fahren im Winter zur Fa- Auch das Lied „Wir kommen aus Trentino“ erklang zur sel- milie zurück. Sie gelten als Unruhestifter und freuen sich ben Zeit in Innsbruck: In den „Innsbrucker Nachrichten“ vom AL LAVORO! sogar auf den Knast, da dieser sauberer und gemütlicher ist 5. April 1911 (S. 6) wird unter den „Geselligen Veranstaltun- Über die Zuwanderung aus dem Trentino als ihre Unterkunft. Aufgrund mangelnder Ernährung (in der gen“ eine Aufführung von „Fratelli Boretta“ angekündigt: Der Regel Polenta in allen Varianten), Arbeitsüberlastung und Turnverein „Jahn“-Wilten veranstaltete in den Gasträumen im 19. Jahrhundert fragwürdiger Hygiene tendieren sie zu Krankheiten. des Österreichischen Hofes einen Variété-Familienabend. Tiroler Volkskunstmuseum Nicht zuletzt – und dies ist das augenfälligste Wesensmerk- Neben abwechslungsreichen musikalischen Darbietungen 13. Mai bis 3. Oktober 2021 mal der unter dem Begriff Italienerlieder vereinten Texte – finden sich unter den 16 Nummern ein Lustspiel, der Auftritt MAI – JULI 2021 WISSENSCHAF T 9
„... BERGKRISTALLE DURCHSICHTIG WEISS“ WOLFGANG SÖLDER 2020 erwarb der Verein Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum durch Kauf Geräte, Abschläge und Trümmerstücke aus Bergkristall – es sind die Erstfunde aus einer während der Mittel- und Jungsteinzeit als Rohstoffquelle genutzten Quarzkluft auf dem Riepenkar in der Hochgebirgsregion der Tuxer Alpen. Diese Neuerwerbung für die Archäologische Sammlung do- kumentiert in kleinem Ausschnitt das für den regionalen „Wir können mit Gewissheit bestätigen, dass und überregionalen Güteraustausch wichtige Bergkristall- in den Felsen der Alpen entsteht, vorkommen im westlichen Tauernfenster und ergänzt we- und zwar meist an so unwegsamen Stellen, dass sentlich den Sammlungsbestand an Bergkristallgeräten von man ihn, am Seil hängend, herausziehen muss.“ Rastplätzen mittelsteinzeitlicher nomadisierender Jäger (Plinius, Naturalis historia XXXVII, 27) und Sammler, die – wie etwa der Klingenkratzer aus kla- rem Bergkristall vom Staller Sattel, Gemeinde St. Jakob in Defereggen – anlässlich von Begehungen als Lesefunde ge- Verlauf erhärtete sich der vorerst in den Funden von Patrik borgen wurden. und Siegfried Pataky und jenen von Walter Ungerank nur schwach angedeutete prähistorische Bergkristallabbau: Von besonderer Bedeutung für die Forschungen zur Nutzung Aus dem oberflächlich und in der Kluft geborgenen Berg- natürlicher Ressourcen während der Mittel- und Jungstein- kristallschutt belegen gesamt 123 Geräte – u. a. Lamellen, zeit war im Jahr 2000 die Entdeckung durch die Aschauer Klingen, Stichel, Kratzer, Bohrer, Schaber – sowie über Mineraliensucher Patrik und Siegfried Pataky auf dem 150 Abschläge und Trümmerstücke beeindruckend die Riepenk ar, Gemeinde Finkenberg, in der Grenzregion zu Süd- steinzeitliche Nutzung des Bergkristalls. Die Artefakte be- 02 tirol in rund 2.800 Meter Höhe am Südfuß des Olperers: An- zeugen somit einerseits Schlagversuche, um vom Mutter- lässlich der Prospektion einer rund 13 Meter langen, partiell gestein extrahierte Bergkristalle auf ihre Tauglichkeit zur 1,5 Meter breiten und 3 Meter tiefen Kristallkluft gelang Geräteherstellung zu prüfen, andererseits auch die Geräte- durch Funde u. a. von Klingenabschlägen und Trümmerstü- herstellung vor Ort. Infolge massiver neuzeitlicher Bergkris- pliziten Erwähnung – auf deren Wichtigkeit und die beson- cken der erste Hinweis auf steinzeitlichen Tagbau von Berg- tallentnahmen ließen sich in der Kluft keine steinzeitlichen dere, klare Qualität hin. Es ist davon auszugehen, dass sich kristall am Alpenhauptkamm. Ihr Kontakt zum passionier- Abbauspuren nachweisen. Als Abbaugerät könnte Geweih- in dieser Textstelle die Quarzklüfte in den Zillertaler/Tuxer ten Zillertaler Mineraliensammler Walter Ungerank führte gezähe verwendet worden sein, wie dies Funde aus einer Alpen verbergen, zumal der dort gewonnene Bergkristall im Rahmen eines Forschungsprojektes von Walter Leitner, im frühen 6. Jt. v. Chr. abgebauten Kristallkluft in der Glet- durch seine Transparenz besticht. Die Funde vom Riepenkar Institut für Archäologien an der Universität Innsbruck, zu scherregion unterhalb der Fuorcla da Strem Sut (2.831 m), belegen, dass dieser bereits ab der Mittelsteinzeit zu Gerä- mehreren Sondierungen und Bergungskampagnen. In deren Gemeinde Silenen im Schweizer Kanton Uri, nahelegen. ten vielleicht auch mit Prestigecharakter verarbeitet inten- Dass in historischer Zeit die hochalpinen Tiroler Bergkristall- siv genutzt wurde. vorkommen durchaus von Bedeutung waren, erschließt – BILDBESCHREIBUNG jedoch ohne Nennung des örtlichen Bezuges – die erste DIE ZILLERTALER/TUXER ALPEN ALS 01 Finkenberg – Riepenkar, Quarzkluft. Klingen und Landesbeschreibung Tirols durch Georg Rösch von Gerolds- VERTEILERZENTRUM Abschläge aus Bergkristall hausen: Deren ausdrückliche Erwähnung „Ferner, oder Kees, Die zentrale Lage des über dem Zamser Grund gelege- 02 Tux – Tuxer Joch. Geräte und Abschläge aus Hornstein im ewigen Eis, hat Bergkristalle dabei, durchsichtig weiß“ nen Riepenkars in der Verbindungsroute zwischen dem und Bergkristall sowie Bergkristallspitzen aus mittel- im „Der fürstlichen Grafschaft Tyrol Lanndtreim“ von 1558 Pfitscher Joch (2.246 m) im Süden und dem Tuxer/Schmirner steinzeitlichen Freilandstationen weist auf die Kenntnis und Nutzung – und aufgrund der ex- Joch (2.338 m) im Norden begünstigte den prähistorischen Bergkristallhandel. Er erfolgte über Höhenwege einerseits durch das Pfitschertal in das Sterzinger Becken, von dort weiter ins Eisack- und Etschtal, andererseits über das Tuxer- und Zillertal ins Inntal bzw. durch das Schmirntal ins Wipptal. Von beiden Jöchern liegen Nachweise für mittel- steinzeitliche Jägerstationen vor, für die Geräteherstellung verwendete man u. a. lokalen Hornstein aus dem Rofan, süd- alpinen Silex und Bergkristall. Die Kartierung mittel- und jungsteinzeitlicher Fundkom plexe mit Bergkristallnachweisen vermittelt deutlich deren verdichtete Streuung südlich des Alpenhauptkammes. Der Grund hierfür wird einerseits im Forschungsstand zum Me- solithikum und Neolithikum in Nord- und Osttirol liegen, an- dererseits könnte sie im Kontext mit Steingeräten aus süd- alpinem Silex in Tiroler Fundkomplexen den Tauschhandel zwischen Nord und Süd – somit Bergkristall für südalpinen Silex – anzeigen. Die Frage, ob der steinzeitliche Abbau des Bergkristalls im westlichen Tauernfenster möglicherweise vornehmlich von südalpinen Prospektoren erfolgte, ist nicht schlüssig zu beantworten. Ein schwarzer Hornstein im Be- reich der Quarzkluft auf dem Riepenkar, der vermutlich aus einer südalpinen Lagerstätte stammt, könnte dies zumin- 01 dest andeuten. 10 SPEZIAL S AMMLUNGEN FERDINANDE A NR. 56
VAN GOGH IM FERDINANDEUM EIN WEITER WEG JANA HESS 01 02 03 Bis externe Leihgaben in den Tiroler Landesmuseen präsen- diese auf die Erfüllung der geforderten Standards zu prü- tiert werden, ist es oft ein weiter Weg – und das nicht nur fen. Seit Beginn der Pandemie ist allerdings einiges anders DEFREGGER. MYTHOS – im geografischen Sinne. Die Vorlaufzeit, ab Absenden des Leihansuchens, nimmt nicht selten mehr als ein Jahr in An- und so wurde der ursprüngliche Termin, der in die erste Lockdown-Periode gefallen wäre, zunächst verschoben und MISSBRAUCH – MODERNE spruch. Im regen Austausch mit den Leihgeber*innen dreht letztlich gänzlich abgesagt. Ferdinandeum sich in diesen Monaten alles um die Klärung von Fragen und Stattdessen galt es, über die Distanz hinweg und mithilfe noch bis 16. Mai 2021 Vorgaben zur Sicherheit, Versicherung, Verpackung und von Architekturplänen, Fotos und Videos der Zugangsrouten Transport sowie die Präsentation der angesuchten Objekte. ein möglichst umfassendes Bild der Situation hier vor Ort zu Bevor Vincent van Goghs „Head of a Woman“ seinen beson- vermitteln. Im ständigen Dialog mit der Registrarin des VGM bis hin zur Zustandskontrolle und dem finalen Hängen in der deren Platz in der Ausstellung „Defregger. Mythos – Miss- wurden bestehende Sicherheitsmaßnahmen und die Aus- Defregger-Ausstellung – wurde von einer Mitarbeiterin des brauch – Moderne“ einnehmen durfte, gab es in diesem Zu- stellungsarchitektur optimiert sowie Versicherungs- und VGM begleitet und überwacht. Bis zum 16. Mai 2021 ist die sammenhang so einige Hürden zu nehmen. Das leihgebende Vertragskonditionen verhandelt. außerordentlich wertvolle Leihgabe aus den Niederlanden Van Gogh Museum (VGM) wartete nämlich mit zahlreichen noch im Ferdinandeum zu sehen. und strengen Bedingungen auf – sowohl den Transit als SICHER BEGLEITET auch den Ausstellungsraum betreffend, vom Klima bis zum Anfang Dezember 2020 war es dann endlich soweit: Der Schutz vor Beschädigung und Diebstahl. Leihvertrag wurde finalisiert und nur wenige Tage später BILDBESCHREIBUNG folgte der von MuseumsPartner organisierte und von einer 01/02 Strenge Auflagen für den Transport: In einer ALLES ANDERS ALS GEPLANT niederländischen Kunstspedition durchgeführte Transport. Spezialkiste, einer sogenannten Turtle-Klimakiste, Unter „normalen“ Umständen wäre der Security Advisor des Verpackt in einer sogenannten Turtle-Klimakiste, die ein Ma- wurde van Goghs Frauenporträt von Amsterdam nach VGM von Amsterdam nach Innsbruck angereist, um sich ei- ximum an Schutz während des Transits gewährleistet, ging Innsbruck gebracht. nen persönlichen Eindruck der Räumlichkeiten und Sicher- es per Direktfahrt nach Innsbruck. Doch die Leihgabe reiste 03 Strenge Auflagen auch im Ferdinandeum: Das Ölgemäl- heitsvorkehrungen des Ferdinandeums zu verschaffen und nicht alleine: Jeder Schritt – vom Verpacken in Amsterdam de von van Gogh wird von einem Security bewacht. PETER ANICH DIREKTOR PETER ASSMANN „Ein Bauer näherte sich den Sternen des Weltalls“ – diese Das abgebildete Porträt zeigt ihn mit 36 Jahren. Zufrie- Worte finden sich auf dem berühmten großen Himmels- den und ein wenig verschmitzt schaut er in Richtung des globus von 1755/56, der sich nach einer umfassenden Betrachters/der Betrachterin und verweist mit durchaus Restaurierung nun wieder im Museum im Zeughaus aus- gebührendem Stolz auf den Globus in seinen Händen: Sein gestellt findet. Dieser Himmelsglobus, wie auch der neben Beitrag zur „Vermessung der Welt“ ist immer noch unter- ihm im Museum präsentierte Erdglobus, stammt von Peter schätzt, dazu trug sicher auch sein früher Tod bei. Manche Anich (1723–1766). Nicht zuletzt waren es diese beiden seiner wichtigen Arbeiten sind erst nach seinem Tod veröf- Werkstücke in Verbindung mit der großen Tirol-Karte, die fentlicht worden. Nur aufgrund seiner Vermessungsarbeiten den „Bauerngeographen“ Anich zu einem der europaweit konnte eine klare, bildhafte Zusammenfassung des Territo- führenden Kartografie-Experten gemacht hatten. Sein Le- riums Tirol entstehen. So gab es etwa noch zu Lebzeiten von bensweg ist mehr als bemerkenswert, entstammt er doch Peter Anich unterschiedlichste Längenmaße über die ganze einer armen Bauernfamilie und bekam erst spät eine ent- Region verteilt. sprechende Schulbildung. Er erhielt zwar von seinem Vater Mit großer Freude und gebotenem Respekt vor diesem erste Unterweisungen im Drechslerhandwerk, allerdings Tiroler Weltbildgestalter können wir nun nach den sehr auf- wird sein großes Talent erst erkannt, als er den elterlichen wendigen Restaurierungsarbeiten die vielen Details dieser Bauernhof übernommen hatte und auf der Hofwand eine Globen im Zeughaus betrachten. Beide Objekte entstammen große Sonnenuhr errichtete. der Sammlung der Universität Innsbruck, die auch die Finan- zierung der von den Tiroler Landesmuseen organisierten Re- Philipp Haller, Porträt Peter Anich (Ausschnitt), 1759, staurierung übernommen hat, und sind seit Jahrzehnten als Öl auf Leinwand Dauerleihgaben in den Tiroler Landesmuseen präsentiert. MAI – JULI 2021 MUSEUMSWERKSTÄT TEN · KOLUMNE DIREKTOR 11
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