FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte

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FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte
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                                                                                    Industrie- und Technikgeschichte
                                                                                    in Frankfurt und der
                                                                                    Rhein-Main-Region

Zeitschrift des Förderkreises Industrie- und Technikgeschichte e.V.			         No.: 01/02-2011                 Februar 2011

Inhalt: 	Wolfgang Giere wird 75 · Grußworte · „Quo vadis“ – Betrachtungen zu einem Industriemuseum Frankfurt · „Bollerwagen
          mit Dynamo“ – eine Rezension · Die Wirtschaftswunderjahre in Deutschland · Zuse und die Patente · Wechselvolle
          Geschichte eines Industriedenkmals · Industriemuseum Frankfurt · Naxos: Die letzten Fünf · Der „Autobahnwagen“
FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte
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                                                                                                                                                                                 ▼
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                                                                                                                                        in Frankfurt und der
                                                                                                                                        Rhein-Main-Region

Zeitschrift des Förderkreises Industrie- und Technikgeschichte e.V.			                                                                  No.: 01/02-2011                  Februar 2011

                                                                                                                                                Stammtisch · Stammtisch
Inhalt                                                               „Quo vadis“ – Betrachtungen zu einem
                                                                     Industriemuseum Frankfurt                                          die nächsten Stammtische des FITG finden statt am
Wolfgang Giere wird 75                                               von Karl-Heinz Steiner.................................. Seite 9   Donnerstag, den 17. Februar, am Donnerstag, den 17.
von Dietmar Stroh......................................... Seite 3                                                                      März und am Donnerstag, den 21. April 2011 jeweils
                                                                     „Bollerwagen mit Dynamo“                                           um 18 Uhr im Restaurant Cafe MaXimilian‘s (früher:
Grußwort aus dem                                                     rezensiert von Jürgen Steen..........................Seite 13      Oldtimer-Stübchen) bei der Technischen Sammlung
historischen museum frankfurt                                                                                                           Hochhut, Frankenallee / Hattersheimer Str. 2 – 4,
von Jan Gerchow.......................................... Seite 4    Auszüge aus „Bollerwagen mit Dynamo“......Seite 15                 Frankfurt am Main

Einige Erinnerungen an eine fruchtbare                               „Die Wirtschaftswunderjahre in Deutschland“
                                                                                                                                                Stammtisch · Stammtisch
Zusammenarbeit                                                       rezensiert von Karl-Heinz Steiner...................Seite 17
von Klaus Waldschmidt.................................. Seite 5                                                                         Impressum
                                                                     Zuse und die Patente                                               ISSN-Nr.: 1613-5369
Wolfgang Giere zum 75. Geburtstag                                    von Giuseppe Del Castillo et. al.......................Seite 18    Herausgeber: Förderkreis Industrie- und
von Johannes Wagner..................................... Seite6                                                                         Technikgeschichte e. V.
                                                                     Wechselvolle Geschichte eines Industriedenkmals                    Vorsitzender: Prof. em. Dr. med. Wolfgang Giere
Wolfgang Giere wird 75                                               Auszüge aus einem Buch von F. Buchholz........Seite 21             Waldschmidtstraße 39 · 60316 Frankfurt am Main
von Peter Schirmbeck.................................... Seite 6                                                                        Fon: 069 - 43 03 09 · Fax: 069 - 43 03 00
                                                                     Industriemuseum – der Stand der Dinge......Seite 23                E-Mail: w.giere@fitg.de · Web: www.fitg.de
Dem Wissenschaftler und Mediziner                                                                                                       Verantw. Editor: Dr. Wolfgang Kirsten
Herrn Professor Dr. med. Wolfgang Giere                              Naxos: „Die letzten Fünf“                                          Mitarbeit: Karl-Heinz Steiner
zum 75. Geburtstag                                                   von Laura Wagner........................................Seite 24   E-Mail: wolfgang.kirsten@kgu.de
von Vollmar Hopp......................................... Seite 7                                                                       Konto: 653 497 · Frankfurter Sparkasse ·
                                                                     Oral History: Der „Autobahnwagen“............Seite 25              BLZ: 500 502 01
Lieber Herr Giere!                                                                                                                      Gestaltung: Schwarz auf Weiß, Darmstadt
von Bernd Rüdiger Beyer............................... Seite 8       Beitrittserklärung......................................Seite 26   saw@hdhd.de
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                                                                                                                    lung von Rechnern konnte nicht mehr gewährleistet
                                                                                                                    werden. Er überzeugte mich davon, dass mehr als die
                                                                                                                    Hälfte der gerade erst besorgten Maschinen verschrot-
                                                                                                                    tet werden muss. Es fiel mir erstaunlich leicht, diesen

Wolfgang Giere wird 75
                                                                                                                    schmerzlichen Schritt zu gehen – war es doch ein von
                                                                                                                    mir geachteter Fachmann, der mir dies klarmachte. Was
                                                                                                                    von den Maschinen übrig blieb, konnte in Lagern der
                                                                                                                    Universität und des HMF untergebracht werden. Auch
                                                                                                                    das hat Wolfgang Giere gedeichselt, zusammen mit den
von Dietmar Stroh, Förderkreis Industrie- und Technikgeschichte                                                     dort Zuständigen.
                                                                                                                        Bereits 1996 konnten die Aktiven des FITG mit Hilfe
                                                                                                                    des HMF in dessen Räumen eine Technikausstellung

W
         olfgang Gieres „halbrunder“ Geburtstag ist ein   über seine Sammlertätigkeit im Bereich der Datenver-      unter dem Titel „36 Objekte der Industrie- und Tech-
         willkommener Anlass, die mehr als 20-jährige     arbeitung berichtet wurde. Flugs nahm ich Kontakt zu      nikgeschichte“ gestalten. Sie war Wolfgang Giere zum
         hervorragende Zusammenarbeit mit ihm im          ihm auf und stellte schnell fest, dass wir überaus ähn-   60. Geburtstag gewidmet; die 36 Objekte standen für
Förderkreis Industrie- und Technikgeschichte (FITG)       liche Ideen hatten. Die besonders erfreuliche Erkennt-    sein Geburtsjahr 1936. Heute, 15 Jahre später, erinne-
zu würdigen.                                              nis war aber, dass ich an einen mit allen Wassern gewa-   re ich mich noch gerne an die regelmäßigen Vorberei-
   Als Bewahrer der wesentlichen Bauteile von Groß-       schenen DV-Fachmann geraten war. Wir traten beide         tungstreffen, denen Giere, es versteht sich von selbst,
Computern und Lochkartenmaschinen wurde ich 1989          dem gerade gegründeten FITG bei, der sich zum Ziel        fernbleiben musste. So gelang es uns, ihn ziemlich zu
auf ihn aufmerksam durch einen Artikel der FAZ, in dem    gesetzt hatte, ein Technikmuseum ins Leben zu rufen.      überraschen.
                                                          Eine gedeihliche Zusammenarbeit begann. Unter Gieres          1999 plagte mich die Sorge um meinen schwer er-
                                                          Regie kümmerte ich mich um Großrechner; er um alle        krankten Enkel, den wir vom Ausland in das Frank-
   Die Mitglieder des Förderkreises Industrie-            anderen Datenverarbeitungsanlagen. Wir erweiterten        furter Universitätsklinikum gebracht hatten, um eine
       und Technikgeschichte übermitteln                  unsere Sammlungen und erarbeiteten Konzepte. Leider       optimale Behandlung zu gewährleisten. Zur gleichen
                                                          machten Anfang der 1990er Änderungen in der Kom-          Zeit konzipierte der FITG eine Ausstellung zum The-
                 dem Vorsitzenden                         munalpolitik dem Verein einen Strich durch die Rech-      ma „Speichertechnik“. Ich pendelte in dieser Zeit in
          Herrn Prof. Dr. Wolfgang Giere                  nung – die Idee eines Museums starb und der Verein        der Uniklinik zwischen der Kinderklinik (Besuch von
                                                          erlahmte.                                                 Enkel und Tochter) und Gieres Büro (Besprechung der
  die besten Grüße zu seinem 75.ten Geburts-                  Hier tat sich Wolfgang Giere hervor: zusammen mit     Ausstellung). Hier trat der DV-Fachmann Giere in den
    tag. Wir wünschen ihm Gesundheit und                  der IHK und dem Historischen Museum (HMF) hauchte         Hintergrund; der Medizinprofessor unterstütze, wo er
                                                          er dem Verein wieder Leben ein. Selbstlos übernahm er,    nur konnte. Der gleichzeitige Stress des in die Schluss­
  Lebensfreude, weiterhin Tatkraft und Ener-              trotz drohenden Niederganges, die Führung des Ver-        phase gekommenen Projektes „Jahr 2000“, das ich in
  gie für die vielen Dinge, die er noch vor hat.          eins, der mittlerweile auch von schweren finanziellen     der Frankfurter Sparkasse leitete, hat einen Dank an
                                                          Sorgen geplagt war – die weitere Bezahlung der hohen      Giere leider verdrängt. Das hole ich jetzt nach:
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Wolfgang Giere wird 75

    Lieber Wolfgang, dafür, dass Du meiner Familie in ei-      Wolfgang Giere ist für mich nicht nur der Vorsitzen-    der Rat gibt, wenn er erbeten wird, der anspornt, wenn
ner üblen Zeit mit Rat zur Seite standest, danke ich Dir    de des FITG. Wie schon früher festgestellt, ist er einer   er schlummerndes Potenzial erahnt und der sich in der
ganz besonders.                                             der ganz wenigen, mit dem ich mich noch über die in-       Gesellschaft mehr als uneigennützig engagiert.
    In 2001 forderte Wolfgang Giere den Aufbau ei-          zwischen ausgestorbene Großrechnertechnik unter-               Lieber Wolfgang, ich wünsche Dir für das neue Le-
ner Ausstellung „20 Jahre PC“. Er war derjenige, dem        halten kann. Darüber hinaus ist er in vielen Sparten       bensjahr und viele weitere Jahre Gesundheit, Kraft und
dieses Jubiläumsdatum gewahr wurde. Die Ausstel-            der Technik bewandert. Sein neues Buch „Bollerwagen        Ausdauer zum Vollenden dessen, was Du Dir vorgenom-
lung wurde in den Räumen der „Stiftung Technische           mit Dynamo“, das auch den in Jahren von ihm erarbei-       men hast und viel Zeit für Deine Enkel, denen Du als
Sammlung Hochhut“ gezeigt und gab den Anstoß zu             teten Katalog der Sammlung des FITG enthält, zeigt         Technikbegeisterter, Universitätslehrer und Großvater
einer Intensivierung des Gedankenaustausches zwi-           das. Über allem steht aber für mich der Mensch Giere,      allerhand zu bieten hast.
schen dem Personal der Stiftung und den Mitgliedern
des FITG. Schließlich schlug Giere vor, sich regelmä-

                                                            Grußwort aus dem
ßig an einen Stammtisch im „Oldtimer-Stübchen“
der Stiftung zu treffen. Nachdem am Stammtisch die
FITG-Themen abgehandelt sind, kommen neben ande-
ren technischen Informationen auch Themen privaten
Charakters zur Sprache, z. B. die EDV-Ausstattung zu
Hause oder die Enkel. Die Themenvielfalt und inte-
                                                            historischen museum frankfurt
ressante Gäste lassen mich ausgesprochen gerne den
Stammtisch besuchen. Dafür sei dem Initiator Giere          von Jan Gerchow, Direktor des historischen museums frankfurt
gedankt.
    Eine von ihm geplante Exkursion führte den FITG

                                                            I
zum „Auto- und Technikmuseum Sinsheim“. Dort gibt                nitiativen und Vereine wie der Förderkreis Indus-     auch der Förderkreis keine Zukunft gehabt. Seiner
es für technisch Interessierte eine Menge alter, neu-            trie- und Technikgeschichte sind die natürlichen      Initiative ist es zu danken, dass der Förderkreis sich
er und spektakulärer Fortbewegungsmittel zu sehen.               Verbündeten eines Historischen Museums. Den           unter seinem Vorsitz neu gründete und zu seinem 75.
Auch Militärgerät, unter dem sich – ich traute meinen       Auftrag zur Bewahrung der historischen Überlieferung       Geburtstag eine nach museologischen Qualitätskrite-
Augen nicht – eine Artillerierakete befand, mit der ich     der Stadt kann das Museum nur erfüllen, weil das Be-       rien dokumentierte Sammlung vor allem zur EDV-Ge-
während meines Militärdienstes überaus vertraut war         wahren und Sammeln dank Initiativen und Vereinen           schichte Frankfurts vorweisen kann. Das Historische
und über die ich einiges mehr erklären konnte, als auf      wie dem Förderkreis tief in unserer Gesellschaft und       Museum war hilfreich, aber ohne den Vorsitzenden,
den Schautafeln zu sehen war. Während der Rückfahrt         Kultur verankert sind. Geschichte findet nicht nur im      der nach seiner Emeritierung die Zeit zur Bearbeitung
in Gieres Auto unterhielten wir uns über Einzelheiten       Museum statt.                                              und Dokumentation der Sammlungen seines Förder-
dieser Rakete, was ihn veranlasste, mich zum Schrei-            Der Förderkreis, 1987 gegründet, hat keinen glück-     kreises fand, wäre das weiterführende Werk nicht ge-
ben eines Buches über dieses Thema aufzufordern.            lichen Anfang gehabt. Das Scheitern der Pläne für ein      lungen.
Zielsicher erkannte er, der Bewahrer, dass es noch mög-     Frankfurter Industriemuseum Anfang der 1990er Jah-            Der 75. Geburtstag bietet Gelegenheit, Danke zu
lich ist, Wissen über das längst ausgemusterte Gerät        re hat lähmend gewirkt und ohne Wolfgang Giere, zu         sagen und zu wünschen, dass er und sein „Spirit“ dem
schriftlich zu fixieren.                                    dessen 75. Geburtstag wir herzlich gratulieren, hätte      Förderkreis und uns erhalten bleiben.
FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte
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                                                                                                                                                                     ▼
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Wolfgang Giere wird 75

                                                                                                                         mit dem Ziel eines Informatikstudiums mit dem Neben-
                                                                                                                         fach Medizin.
                                                                                                                             Hier war Herr Giere ein kompetenter und engagier-

Einige Erinnerungen an eine                                                                                              ter Ansprechpartner. Er stellte die notwendigen Ver-
                                                                                                                         anstaltungen auf medizinischer Seite zusammen und

fruchtbare Zusammenarbeit
                                                                                                                         war selbst auch im Lehrprogramm beteiligt. Der Fach-
                                                                                                                         bereich Informatik ist ihm für diese kooperative Zu-
                                                                                                                         sammenarbeit zu großem Dank verpflichtet. Dies darf
                                                                                                                         ich sicherlich auch im Namen der Studenten sagen, die
                                                                                                                         diese Studienmöglichkeit in Frankfurt gewählt hatten.
von Klaus Waldschmidt, Technische Informatik, Goethe Universität Frankfurt                                                   Eine große heimliche Liebe von Herrn Giere war mir
                                                                                                                         in all den Jahren allerdings weitgehend verborgen ge-
                                                                                                                         blieben. Ich meine die Liebe zu alten Rechnern und pe-

E
      s war etwa Mitte der achtziger Jahre, als ich Prof.   Ausschuss von großem Wert und da ich neben ihm sit-          ripheren Geräten der Datenverarbeitung. Ich habe die-
      Dr. Wolfgang Giere zum erstem Mal traf. Ich war       zen durfte, konnte ich auch hervorragend davon pro-          se Leidenschaft von Herrn Giere eigentlich erst nach
      gerade an die Universität Frankfurt gekommen          fitieren.                                                    meiner Pensionierung richtig zur Kenntnis genommen.
und hatte den Lehrstuhl für Technische Informatik am            Ich war allerdings sehr erstaunt, als ich erfuhr, dass       Ich hatte für einige Zeit den Vorsitz in der Konrad-
Fachbereich Informatik übernommen.                          Herr Giere dem Fachbereich Medizin angehörte. Dieses         Zuse-Gesellschaft übernommen und kam auf diese Wei-
   Unser erstes Zusammentreffen fand im ständigen           Erstaunen war jedoch nur von kurzer Dauer und wich           se mit Herrn Giere wieder in Kontakt.
Ausschuss 5, dem Ausschuss für Datenverarbeitung,           großer Bewunderung, als mir klar wurde, dass Herr Gie-           So hatte ich Gelegenheit, seine beeindruckende
statt. In jener Zeit hatten die ständigen Ausschüsse ei-    re die führende Persönlichkeit bei der Einführung der        Sammlung in einer Lagerhalle in Frankfurt zu besich-
ne bedeutende und tragende Rolle in der Organisation        Datenverarbeitung am Fachbereich Medizin darstellte.         tigen und erhielt Kenntnis und Einblick in das umfang-
der Frankfurter Universität.                                Er wird heute als Pionier der medizinischen Informatik       reiche Werk: „Bollerwagen mit Dynamo- Erlebte Indus-
   Im ständigen Ausschuss 5 wurden alle relevanten          bezeichnet und blickt auf ein großes wissenschaftli-         trie und Technikgeschichte“.
Fragen der Datenverarbeitung an der Universität und         ches Werk zurück.                                                Auf 353 Seiten wird hier erlebte Technikgeschichte
insbesondere des Hochschulrechenzentrums beraten                Ich möchte hier jedoch gerne noch einen anderen          von der EDV bis zum Web dargestellt.
und beschlossen.                                            Aspekt ansprechen, da wir in diesem Punkt eine sehr              Im Anhang ist ein systematischer Katalog seiner
   Ich hatte bei meiner ersten Sitzung einen Platz          gute und fruchtbare Zusammenarbeit hatten.                   Sammlung zusammengetragen. Ich habe dieses Werk
neben Herrn Giere zugewiesen bekommen, den ich                  Der Fachbereich Informatik war seit seiner Grün-         mit großem Interesse studiert.
während der ganzen Zeit der Zugehörigkeit zum Aus-          dung stark auf Anwendungen und Einbettung in die                 Ich wünsche der Sammlung für die Zukunft einen
schuss behalten durfte. Herr Giere war schon länger         Universität ausgerichtet und hatte bereits sehr früh Ne-     angemessenen Platz und eine gedeihliche Weiterent-
im Ausschuss und verfügte über eine große Erfah-            benfachvereinbarungen mit den großen und benach-             wicklung.
rung, sowohl in technischer als auch in organisatori-       barten Fachbereichen, wie Wirtschaftswissenschaften,             Ich gratuliere Herrn Kollegen Giere zu seinem 75.
scher Hinsicht.                                             Mathematik, Physik usw. vereinbart. Auch mit dem             Geburtstag und bedanke mich für die vielen Jahre einer
   Diese Erfahrung war für mich als neues Mitglied im       Fachbereich Medizin begannen recht bald Gespräche            fruchtbaren Zusammenarbeit.
FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte
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                                                                                                                                                                 ▼
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Wolfgang Giere wird 75

Wolfgang Giere                                                                                                          Wolfgang Giere
zum 75. Geburtstag                                                                                                         wird 75
von Johannes Wagner, stellv. Geschäftsführer,                                                                        von Peter Schirmbeck, Initiator der
Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main                                                                       Route der Industriekultur RheinMain

                                                                                                                     Ehemals in jungen Jahren

D
        ie Industrie- und Handelskammer Frankfurt am           Dem persönlichen Engagement von Professor Wolf-       hat ihn die Technik angefahren.
        Main war Gründungsmitglied des Förderkreises       gang Giere und weiteren Mitgliedern des Vereins ist       Doch hat er sie nicht abgeschrieben,
        Industrie- und Technikgeschichte e.V. (FITG) im    es zu verdanken, dass wiederum mit Hilfe der IHK ein      im Gegenteil – er lernt sie lieben.
Jahr 1987. Ziel war der Aufbau und die Einrichtung eines   Neubeginn des Förderkreises Industrie- und Technik-
Industrie- und Technikmuseums in Frankfurt. Es galt,       geschichte im Juni 1995 gelang. Mit neuen Zielen, ei-     Nicht tonnenschwer mit Achsen und Gewinde
das industrielle Erbe in Frankfurt und in der Region zu    nem neuen Vorstand und mit Wolfgang Giere als neuem       nein – elektronische Gebinde
erhalten und einer größeren Öffentlichkeit zugänglich      Vorsitzenden konnten die Weichen neu gestellt werden.     mit Drähten, Speichern und Platinen,
zu machen. Dies auch vor dem Hintergrund einer deut-           Seinen großen Kenntnissen auf dem Gebiet der          die sollen nun der Menschheit dienen.
lichen Schrumpfung der Industrie. In dieser Zeit – En-     Technik und seinem persönlichen Engagement ist es
de des letzten Jahrhunderts – ist die Liste Frankfurter    zu verdanken, dass der „neue Förderverein“ schon bald     Halb sank er hin, halb zog es ihn:
Industrieunternehmen, teilweise mit langer Tradition,      seine ersten Erfolge erzielen konnte. Ausstellungen wie   Computer in die Medizin!
deutlich geschrumpft. Verlagerungen, Fusionen, Ver-        z. B. „36 Objekte der Industrie- und Technikgeschichte“   Damit ein jeder sehen kann,
käufe und Insolvenzen waren die Ursachen. Hoechst          im Jahr 1996, Präsentationen z. B. im Rahmen der jähr-    so fing das alles einmal an,
AG, Messer Griesheim, Naxos, Holzmann, VDO oder            lich stattfindenden Museumsuferfeste oder auf Messen      so schnell fließt der Technik Lauf,
Hartmann & Braun sind Beispiele für den industriellen      sowie eigene Publikationen fanden ein breites Interes-    hebt er sie alle einfach auf.
Strukturwandel in dieser Zeit.                             se. Darüber hinaus haben Wolfgang Giere und sein Team
    In der Folgezeit wurde allerdings zunehmend deut-      die zahlreichen zum Teil privat gesammelten Exponate      Vom Rechenzentrum – imposant –
lich, dass die Voraussetzungen für die Erfüllung des       gesichtet, erfasst und die erhaltenswerten Teile fach-    bis hin zum PC in der Hand.
Satzungszwecks des Fördervereins fehlten und der Auf-      gerecht gelagert.                                         So rast die Zeit, doch sei‘n wir ehrlich:
bau eines Industriemuseums aus finanziellen Gründen            Wir wünschen Professor Giere und dem Förderkreis      Altern ist und bleibt beschwerlich!
in weite Ferne rückte. Aus diesem Grund stand der För-     Industrie- und Technikgeschichte weiterhin Kraft, Ge-
derkreis Anfang der 90er Jahre vor seiner Auflösung.       sundheit und Erfolg.
FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte
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Dem Wissenschaftler und Mediziner                                                                                       deren Hilfe medizinische Daten gesammelt, ein­ander
                                                                                                                        biologisch sinnvoll zugeordnet und daraus Schlussfol-

Herrn Professor Dr. med. Wolfgang Giere                                                                                 gerungen gezogen werden können. Dazu gehört ein
                                                                                                                        breites biologisches und medizinisches Grundlagenwis-
                                                                                                                        sen, das mit den Regeln der elektronischen Datenverar-
zur Ehrung anlässlich der Vollendung                                                                                    beitung zu verknüpfen ist.
                                                                                                                            Herr Professor Giere ist ein Wissenschaftler, der
seines 75. Lebensjahres                                                                                                 täglich unter Beweis gestellt hat, welche bedeutsamen
                                                                                                                        Erkenntnisse fachübergreifendes Denken und Arbeiten
                                                                                                                        bringen. Seine Erfahrungen hat er in seinem lesens-
                                                                                                                        werten Buch „Bollerwagen und Dynamo“ (siehe Buch-
von Vollmar Hopp, Ehrenmitglied der Universität Rostock                                                                 besprechung auf Seite 13) niedergelegt.
                                                                                                                            Damit hat er auch ein Zeichen gesetzt, wie in Zu-
                                                                                                                        kunft wieder junge Menschen während des Studi-

E
      in Urtrieb der Menschen ist, ihr Umfeld, die Na-      vollendet, zählt zu den Wissenschaftlern und Medizi-        ums in die Wissenschaften eingeführt werden sollten.
      tur, die Vorgänge in den lebenden Systemen und        nern, die die Methoden des Erkennens von Unbekanntem        Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet häufig, gegen
      in ihrem Zusammenspiel zu erkennen. Streben           beherrschen und wissenschaft­liche Erkenntnisse erfolg-     den Strom zu schwimmen, d. h. die gegenwärtig herr-
nach Erkenntnissen ist das Ziel und der Inhalt wissen-      reich für die medizinische Praxis nutzbar machen.           schenden Vorstellungen der Menschen über Natur, Le-
schaftlichen Arbeitens in allen Fachrichtungen. In den          Schon 1967, kurz nach Beendigung seines Medizin-        ben und über ihr gesellschaftliches Verhalten infrage
Methoden ähneln sie sich untereinander sehr: Das Be-        studiums, setzte er im Evangelischen Krankenhaus Be-        stellen. Herr Professor Giere hat diese Fähigkeit, gegen
obachten, Vergleichen, Quantifizieren, Interpretieren       thesda in Duisburg die EDV (Elektronische Datenverar-       den Strom zu schwimmen, oft genug bewiesen.
und Schlussfolgerungen ziehen, um schließlich allge-        beitung) in der Medizin ein und wurde zum Pionier von           Es dauert oft lange, bis wissenschaftliche Erkennt-
mein gültige Gesetze zu formulieren.                        Computer­anwendungen im klinischen Alltag. Er trieb         nisse von der Gesellschaft angenommen werden und
   Medizin ist die Wissenschaft von gesunden und kran-      die elektronische Datenverarbeitung zur IKT (Informa-       welche Widerstände sich ihnen in den Weg stellen. Er-
ken Lebewesen und deren Heilung. Sie ist eine fachü-        tions- und Kommunikationstechnologie).                      kenntnisse erwerben und sich danach im Alltag orien-
bergreifende Wissenschaft, in der Theorie und Praxis            1970 bot sich dem damals erst 34jährigen Mediziner      tieren sind Langzeitprozesse. Mit Geduld und Ausdauer
eng miteinander verzahnt sind. Medizinische Effekte         die Chance, beim Aufbau der Deutschen Klinik für Di-        hat Herr Professor Dr. med. Wolfgang Giere sich dieser
und Defekte beruhen auf biologischen Prozessen, deren       agnostik in Wiesbaden mitzuarbeiten. Er wurde damit         Aufgabe erfolgreich gestellt.
ureigenes Wesen noch längst nicht aufgeklärt sind. Sie      zum Mitbegründer des ersten deutschen klinischen Re-            Wir alle, denen es ein Vergnügen und eine wissen-
gehorchen ihren eigenen Gesetzen, die sich selten in        chenzentrums.                                               schaftliche Bereicherung war mit Herrn Professor Dr.
mathematische Formeln quantitativ fassen lassen. Vo-            Seit 1976 hatte Professor Giere den Lehrstuhl für Do-   med. Wolfgang Giere zusammen zu arbeiten, gratulie-
raussagen über zukünftige biologische Entwicklungen         kumentation und Daten­verarbeitung der Johann-Wolf-         ren dem Geburtstagsjubilar herzlich. Wir wünschen ihm
zu machen, ist sehr schwer, günstigsten­falls lassen sich   gang-von-Goethe-Universität Frankfurt am Main inne.         Gesundheit und weiterhin Neugierde auf Geheimnisse
Trends erkennen. Der Königsberger Professor Dr. med.            Die großen Verdienste von Professor Giere beste-        und Erkenntnisse. Glück und Zufriedenheit stellen sich
Wolfgang Giere, der am 3. Februar sein 75.Lebensjahr        hen u. a. darin, dass er Programme entwickelte, mit         dann von selbst ein.
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                                                                                                                                                               ▼
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Wolfgang Giere wird 75

                                                                                                                                  Einladung
                                                                                                                                      zur
                                                                                                                       Jahreshauptversammlung des FITG
                                                                                                                         am 17. März 2011 ab 17:00 Uhr

                                                                                                                               in der Frankfurter Sparkasse,
                                                                                                                        Neue Mainzer Str. 47 – 53 in Frankfurt am Main

Lieber Herr Giere!                                                                                                    Vorher gibt es ab 15:30 Uhr eine Führung von Herrn
                                                                                                                      Stroh durch die EDV-Sammlung der Sparkasse. Hin-
                                                                                                                      terher ist Gelegenheit zum gemütlichen Beisammen-
von Bernd Rüdiger Beier, ehemaliger Mitarbeiter von Wolfgang Giere                                                    sein.

                                                                                                                      Interessante Weblinks zur
                                                                                                                      Industriegeschichte

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      u Ihrem 75. Geburtstag möchte ich Ihnen von          und wissenschaftliche Leistung weiterhin Früchte trägt
      ganzem Herzen alles, alles nur erdenklich Gute       und vieles in der zukünftigen Praxis der Medizin – dabei   Adler Motoren Veteranen Club
      wünschen. Dies erfolgt aus den USA (zur Zeit in      denke ich insbesondere, aber nicht nur auch an IATROS      www.adler-veteranen.de
Clearwater, Florida, ein kleiner Abstecher aus der Lehre   – hängen bleibt und vor allem auch mit entscheidend        Feldbahnmuseum Frankfurt
in College Park), was wahrscheinlich, zumindesten so,      die medizinische Landschaft national wie international     www.feldbahn-ffm.de
nicht wäre, wenn wir uns nicht „über den Weg” gelaufen     weiterhin prägen wird. Sie können mit Zufriedenheit
wären. Nachdem Sie Ihre Professur in Frankfurt ange-       und wahrlich berechtigtem Stolz auf ein äußerst erfolg-    Historisches Museum der Stadt Frankfurt
treten hatten und die Lehrveranstaltungen begannen,        reiches wissenschaftliches Wirken wie auch Karriere als    www.historisches-museum.frankfurt.de
war mein Interesse im Studium sofort auf diesen Zweig      hochgeschätzter Hochschullehrer zurückblicken. Be-         IHK Frankfurt
der Medizin gerichtet, und es hat sich im wahrsten         sonders ist allerdings auch hervorzuheben, dass Sie im-    www.frankfurt-main.ihk.de
Sinne des Wortes „gelohnt”. Ohne diese Vorlesungen         mer ein offenes Ohr für die außerstudienmässigen wie
                                                                                                                      Museum der Stadt Rüsselsheim
und Exkursionen (z. B. nach Heidelberg zum DKFZ)           beruflichen Probleme hatten. Sie waren, nein Sie sind
                                                                                                                      www.stadt-ruesselsheim.de/rd/1127.htm
sowie der dann erfolgten Anstellung bei Ihnen hätte        und bleiben Vorbild und Freund zugleich!
ich – ebenfalls zumindest nicht so und bestimmt auch           In diesem Sinne nochmals meinen aufrichtigen und       Museum für Rechner-, Computer und
nicht in dieser Intensität – meine internationalen Tä-     herzlichsten Glückwunsch und danke für Sie und der         Kommunikationstechnik
tigkeiten und Kontakte (MUMPS USERS GROUP, SCAMC,          Dank gilt ganz besonderes auch Ihrer Gattin, ohne die      www.technikum29.de/
DGMS, DGH, etc) sowie Kooperationen, die bis heute an-     Vieles ebenfalls auch so nicht möglich geworden wäre!      Zeppelin-Museum Zeppelinheim
dauern, etablieren und pflegen können. Ich hoffe aber                                                                 www.zeppelin-museum-zeppelinheim.de/
weiterhin auch inständig, dass Ihre „pioneer”-Tätigkeit    am 14. Januar 2011, z. Zt. USA
FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte
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                                                                                                                                                                ▼
                                                                                                                                                                ▼

                                                                                                                                                                               ▼
Quo vadis Industriemuseum

                                                                                                                    besetzung“ durch das Theater von Willi Praml, Weiter-
                                                                                                                    entwicklung des Gebäudes zur zwar umkämpften, aber

„Quo vadis“ – Betrachtungen zu
                                                                                                                    dennoch etablierten, Heimstatt des Theaters, Beschluss
                                                                                                                    der Stadtverordneten über die Legalisierung und den
                                                                                                                    Verbleib des Theaters Willi Praml in der Naxos Halle.

einem Industriemuseum Frankfurt                                                                                         Hierzu eine Aussage aus der Fraktion „Die Grünen“
                                                                                                                    im Römer: „Mit der Forderung, dass die Naxos-Halle wei-
                                                                                                                    terhin als Industriedenkmal wahrnehmbar und als Spiel-
                                                                                                                    stätte für die Kultur erhalten bleibt, konnten wir Grüne
zum 75ten Geburtstages von Wolfgang Giere                                                                           uns durchsetzen.“
                                                                                                                        Auch die Altlastenproblematik, dies zeigen aktuelle
von Karl-Heinz Steiner                                                                                              Messungen, hat sich erfreulicherweise weitgehend ver-
                                                                                                                    flüchtigt.

D
       er fehlende Baustein in der Museumslandschaft      Planung einer kulturellen
       der Stadt Frankfurt/Main ist das „Industriemu-     Nutzung von 600 qm Aus-
       seum Frankfurt“. Dies ist zumindest die Meinung    stellungsfläche durch das
des ehemaligen Kulturdezernenten der Stadt Frankfurt      MMK oder das Filmmuseum
und „Vater des Museumsufers“ Hilmar Hoffmann. Leider      im Rahmen der Neubebau-
bisher nur ein einsamer Rufer in der Wüste. Während       ung des Turmpalast-Areals
die unter seiner Amtszeit gegründeten und zwischen-       und nicht zuletzt die Sa-
zeitlich etablierten Museen wie Architekturmuseum,        nierung der Naxos-Halle für
Filmmuseum usw. nach rund 25jährigem Bestehen             das Theater Willi Praml.
einer Grundsanierung unterworfen werden und man               Apropos Naxos-Halle,
Museumserweiterungen, wie die des Städel Museums          ursprünglich der für das
bereits realisiert bzw. die Erweiterung des Museums der   Frankfurter Industriemu-
Weltkulturen plant, sucht man vergleichbare Anstren-      seum vorgesehene Ort. Ge-
gungen auf dem Gebiet der musealen Präsentation von       scheitert ist dieses Projekt
Industriekultur/Industriegeschichte Frankfurts ver-       an der Finanzierung und
gebens. An den finanziellen Möglichkeiten der Stadt       an den im Fußboden ver-
Frankfurt kann es nicht liegen. Man gönnt sich u. a.      steckten Altlasten. In den
zurzeit: Die aufwändigen Umbauten des Opernhauses,        vergangenen Jahren ereig-
die Sanierung des Palmengarten-Gesellschafthauses,        nete sich jedoch erfreu-
den Kauf und die Sanierung des Paradieshofes für die      liches: Kauf des Geländes
Fliegende Volksbühne Frankfurt von Michael Quast, die     durch die Stadt FFM, „Haus-    Blick in die Naxos Halle
FITG-Journal Industrie- und Technikgeschichte
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                                                                                                                ▼
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Quo vadis Industriemuseum

    Wie kommt es im Kontrast dazu, trotz      der befinden sich die Exponate fast aus-
der unbestreitbaren Erfolge der von Peter     schließlich in Depots. Das Licht des Tages
Schirmbeck konzipierten „Route Indus-         erblicken sie höchstens sporadisch. In
triekultur Rhein Main“, zu der Gering-        jüngster Zeit konnte eines der Großrech-
schätzung der Industriegeschichte Frank-      nerexponate eine Statistenrolle – als Ra-
furts?                                        sterfahndungs-Computer der 80’er Jahre
    Offensichtlich hat man beschlossen alle   – im Film: „Der Baader-Meinhof-Komplex“
Erinnerungen an die Zeiten der „Malocher      übernehmen.
in den Frankfurter Fabriken (Blue Collar          Diese Vernachlässigung der musealen
Worker)“ und ihren Beitrag zum Wohlstand      Präsentation der Technik des vergangenen
der Stadt zugunsten der kulturellen Be-       Jahrhunderts ist verbunden mit dem Phä-
dürfnisse unserer „White Collar Worker“       nomen eines kontinuierlichen Schwundes
wie: „Business Nomaden“, „Young Profes-       der industriegeschichtlichen Exponate
sionals“ oder auch „High Potentials“ zu       unserer Stadt durch eine Art „schleichende
tilgen. Auf der einen Seite die mangelnde     Diffusion“. Man kann es auch, verursacht
Unterstützung für die Darstellung der Ge-     durch die mangelnde Würdigung der Ex-
schichte des „produzierenden Gewerbes in      ponate, als „Abstimmung mit den Füßen“
Frankfurt“, auf der anderen Seite schmückt    bezeichnen.
sich Frankfurt mit ihren Produkten z. B.:         Zu nennen sind exemplarisch der schon
der „Informationstechnik“. Zwei Beispiele     vor etlichen Jahren erfolgte Wegzug des In-
sollen das erläutern: Frankfurt bezeich-      ventars der Schriftgießerei D. Stempel AG
net sich zu Recht als „einer der führenden    (gegründet 1895) von Sachsenhausen nach
Internetknoten in Europa“ bzw. freut sich     Darmstadt, der Abtransport von Archivma-
über den Aufbau des „Loewe-CSC-Groß-          terialien der AEG nach Berlin, der Verkauf
rechners“ auf dem Industriegelände der        des Hoechster Schlosses und als Folge da-
InfraServe Hoechst, einem der – mit 600       von das Ausräumen und Einlagern des Fir-
Billionen Rechenoperationen/Sekunde –         menmuseums der Farbwerke Hoechst AG
schnellsten Großcomputer Europas“.            und aktuell in jüngster Zeit der Abtrans-
    Daraus zu folgern, dass es zumin-         port der letzten fünf Schleifmaschinen der
dest gelingen könnte die umfangreichen        Naxos Union nach Rüsselsheim. Soweit,
Sammlungen zur Geschichte der Datenver-       ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die
arbeitung – insbesondere aus den Samm-        mir persönlich bekannten Beispiele. Dieser
lungsbeständen des FITG (Wolfgang Giere,      Aderlass war, mangels Auffangmöglichkeit
Dietmar Stroh) – in Frankfurt angemessen      in Form eines Industriemuseums Frank-
zu präsentieren, ist ein Trugschluss. Lei-    furt, nicht zu verhindern.                    Dondorf Druckerei
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Quo vadis Industriemuseum

    Weitere Verluste an industriegeschichtlichen Expo-     letztlich auch der Rolle der Frankfurter Industrie im 1.     die intensive Beschäftigung mit dem vorhandenen Mate-
naten werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch in         Weltkrieg (Rüstung) bzw. im Dritten Reich (Zwangsar-         rial ein überraschend konträres Ergebnis. Vorausgesetzt,
der Zukunft zu beklagen sein!                              beiterlager).                                                dass sich Industrie in Frankfurt nicht nach den Maßstä-
    Leider wird diese Entwicklung in der öffentlichen          Schaut man rund 25 Jahre in die Vergangenheit zu-        ben der Schwerindustrie messen lässt, versuchte die freie
Meinung weitgehend ignoriert oder sogar toleriert. So      rück, so hat sich auch einmal das Historische Museum         wie auch die preußische Stadt zu jeder Zeit, die Ansied-
schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in       Frankfurt intensiver mit unserem lokalen industriellen       lung von Fabriken, zur Not auch gegen den Einspruch
der Rubrik die „Redaktion antwortet“ auf einen Leser-      Erbe beschäftigt.                                            des Innungshandwerkes, zu fördern, soweit nicht die
brief der das Fehlen eines Industriemuseums beklagt:           Zu nennen ist die Ausstellung (Bearbeitung Jürgen        Unzumutbarkeit der Belästigungen des Bürgers durch die
„Zweifellos hat Frankfurt eine stolze Industriegeschich-   Steen): „Die zweite industrielle Revolution – Frankfurt      Fabrik einen Standort außerhalb der eigentlichen Stadt-
te, doch die kann fast jede deutsche Großstadt aufwei-     und die Elektrizität 1800-1914“ aus dem Jahre 1981.          grenzen erfordert“.
sen. Auch angesichts der Haushaltslage der Stadt …             Im Vorwort des Ausstellungskataloges schreibt der            An späterer Stelle heißt es: „…, von denen Bocken-
halte ich die Gründung eines neuen Museums für nicht       damalige Direktor Hans Stubenvoll: „Meines Wissens           heim zahlenmäßig etwa ein Viertel der in Frankfurt an-
vertretbar. Eine gut gemachte Abteilung im Historischen    ist es in der 100 jährigen Geschichte des Hauses die erste   sässigen Fabriken aufweisen konnte“.
Museum muss reichen (von Matthias Alexander)“.             Ausstellung, die industriezeitliche Technik in das Zen-          Auch in diesem Fall führt die Erkenntnis zu Bocken-
    Was lernen wir daraus: „Kein Alleinstellungsmerk-      trum historischer Fragen an die Stadtgeschichte des 19.      heim als alten, historischen Industriestandort – von der
mal, also raus aus Frankfurt“. Ob man diese Kriterien      Jahrhunderts rückt“.                                         erwähnten Industrie ist übrigens kaum noch etwas übrig
auch an alle anderen Kultureinrichtungen, die letztlich        Bedauernswerterweise führte diese erste (gab es          – nicht zu dem Beschluss den Klinkerbau der B. Dondorf
in vielen Städten vorhanden sind, wie Oper, Schauspiel     noch weitere?) Ausstellung zu dem Themenkreis „in-           GmbH – Druckerei und Verlag (Bauzeit 1873 bis 1890, er
usw. anwenden sollte?                                      dustriezeitliche Technik“ nicht zu dem dringenden            bleibt nach langer, kontroverser Diskussion vor dem Ab-
    Man findet einen bemerkenswerten Gleichklang der       Wunsch nach einem Industriemuseum Frankfurt. Auf             riss verschont) für die Einrichtung eines Industriemuse-
FAZ mit der Argumentation des Historischen Museums.        die Darstellung des: „Prozesses der Industrialisierung       ums zu nutzen. Im Rahmen der Neuordnung des Univer-
Hier schrieb mir sein Direktor Jan Gerchow auf meine       der Lebenswelt in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts“        sitätsgeländes besteht dazu die Möglichkeit, man muss
Frage nach Umfang und Art der Präsentation der In-         (nach Jürgen Steen) in der erforderlichen Breite und         es nur wollen! Die erforderlichen, etwa 1.500 bis 2.000
dustriegeschichte im Neubau des Museums: „Wir haben        Tiefe wurde verzichtet.                                      qm Museums-Fläche, wären in diesem Gebäude darstell-
durchaus vor, das Thema Industriegeschichte in der neu-        Trotzdem, im Vergleich zu heute, waren die 80er          bar, sind aber offensichtlich – mangels Lobby – nicht
en Dauerausstellung ‚Frankfurt Einst?‘ zu präsentieren.    Jahre des vergangenen Jahrhunderts quasi eine „Blüte         erwünscht Attraktiv ist dieser Standort für ein Indus-
Eines der Haupt-Objekte wird sogar ein ‚Adler Autobahn‘    der Industriegeschichte“ in Frankfurt.                       triemuseum durch die unmittelbare Nachbarschaft zum
von 1934 sein, auch die Chemieindustrie, Hartmann und          Lassen wir Volker Rödel zu Wort kommen. Er schreibt      Senckenberg Museum. Auch dieses wird, unter Nutzung
Braun und andere Firmen werden in der Ausstellung vor-     im Vorwort seines im Jahre 1984 erschienen Buches            der freiwerdenden, denkmalgeschützten Universitäts-
kommen“.                                                   „Fabrikarchitektur in Frankfurt/Main 1774-1924“ fol-         gebäude, in den nächsten Jahren für rund 180 Mio EUR
    Auch hier die Tendenz: „Darstellung nur exempla-       gendes: „Entgegen allen historischen und modernen            ausgebaut. Oft ist es gerade der naturwissenschaftlich
risch“, aber keinesfalls eine eigenständige Präsen-        Äußerungen über eine in Frankfurt am Main herrschende        interessierte Besucherkreis der auch den Fragen der In-
tation der Industriegeschichte Frankfurts unter Be-        industrielle Rückständigkeit, gar einer der Stadt unter-     dustriegeschichte zugetan ist, sodass aus der unmittel-
rücksichtigung der Sozialen Situation der damaligen        stellten generellen industriefeindlichen Haltung, in deren   baren Nachbarschaft beider Museen (Luftlinie ca. 350 m
Arbeiterschaft, den Produktionsbedingungen und             Ruch Frankfurt bis in die Moderne hinein stand, erbrachte    voneinander entfernt) auch eine hohe Besucherfrequenz
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Quo vadis Industriemuseum

des Industriemuseums resultiert. Leider erfolgte auf die-   Buchholz (Stadtteilbotschafter), der die Geschichte der          Museen und Denkmalschutz, die Förderung der wissen-
se Anregung, den geplanten Kulturcampus Bockenheim          Druckerei Dondorf in seiner Schrift: „Die wechselvolle           schaftlichen Erschließung und Volksbildung unter be-
(Musik und Tanz) durch ein Industriemuseum Frankfurt        Geschichte eines Industriedenkmals (2009)“ und einer             sonderer Berücksichtigungder Geschichte der Industrie
zu ergänzen, keinerlei Rückmeldung städtischer Stellen.     damit verbundenen Ausstellung der Öffentlichkeit vor-            und Technik des heutigen Stadtgebiets und der Wirt-
Ähnlich folgenlos, trotz allgemeinen Lobes und Erwäh-       stellte. Auch sein Vorschlag in den Räumen zumindest             schaftsregion.“ die Sicherung und Bewahrung, zu-
nung in der Presse, blieben die Arbeiten von Friedhelm      ein „Stadtteil-Industriemuseum für Bockenheim“ zu                mindest auf Teilgebieten, erfolgreich bewältigt wer-
                                                                                etablieren blieb ohne Widerhall bei          den konnte. Dies gilt jedoch nicht für die sich daraus
                                                                                Politik und Verwaltung.                      implizit ergebende Forderung nach angemessener
                                                                                    Keine der offiziellen Stellen der        Präsentation der gesammelten Exponate im Kontext
                                                                                Stadt Frankfurt unterstützt zurzeit          eines eigenständigen „Ausstellungsbereiches Indus-
                                                                                Forderungen nach Konzeption,                 triegeschichte“ bzw. „Industriemuseums“ als gleich-
                                                                                Finanzierung, Realisierung und               berechtigtes Mitglied im Konzert der städtischen Mu-
                                                                                Betrieb der erforderlichen Aus-              seen Frankfurts.
                                                                                stellungsfläche eines Museums                    Das von Herrn Hilmar Hoffmann angemahnte
                                                                                Industriegeschichte       Frankfurt/         und geforderte Schließen der Lücke in der Museums-
                                                                                Main. Vielleicht aus Gründen einer           landschaft Frankfurts durch den „fehlenden Baustein
                                                                                anderen Setzung von Prioritäten              Industriemuseum“ wird bei der derzeitigen Konstella-
                                                                                innerhalb der etablierten Museen;            tion der beteiligten, meinungsbildenden Akteure noch
                                                                                vielleicht auch aus Angst den zu             sehr lange auf sich warten lassen.
                                                                                kleinen      „Finanzierungskuchen
                                                                                Museum“ noch stärker teilen zu               Anmerkung zum Schluss:
                                                                                müssen1.                                     Man fragt sich in diesem Zusammenhang auch: Warum
                                                                                    So muss man leider konstatie-            gelingt z. B. keine Ausstellung: „Geschichte der Che-
                                                                                ren, dass von den in der Satzung             mischen Industrie in Frankfurt? Frankfurt ist Veran-
                                                                                festgelegten Zielen des Förder-              staltungsort der ACHEMA (das Weltforum der Prozessin-
                                                                                kreises Industrie- und Technikge-            dustrie und Technologiegipfel für Chemische Technik),
                                                                                schichte FITG – Frankfurt/Main:              Sitz des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) und
                                                                                „Sicherung und Bewahrung indus-              der Dechema, weist mit dem Chemiepark Hoechst noch
                                                                                trie- und technikgeschichtlicher Ge-         einen prosperierenden Chemiestandort auf, war Stamm-
                                                                                genstände in Zusammenarbeit mit              sitz der Degussa, war Sitz der Cassella (heute Allessa),
                                                                                                                             baute die IG Farben Hauptverwaltung zum Universitäts-
                                                                                1 Nachtrag: aus der FNP vom 16.12.2010:      gebäude um, feierte bereits das 150jährige Bestehen des
                                                                                „Der Neubau des Historischen Museums         Chemiestandortes Griesheim und im Jahre 2013 können
                                                                                soll 46 Millionen Euro kosten. Ursprüng-
                                                                                lich wurde einmal eine Zahl von 29 Millio-   wir ein fiktives, 150jähriges Jubiläum der Farbwerke
Neuordnung Campus Bockenheim                                                    nen Euro genannt.“                           Hoechst AG feiern.
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Für Sie gelesen

„Bollerwagen mit Dynamo“
Erlebte Industrie- und Technikgeschichte. Persönlicher Bericht zugleich
systematischer Katalog der FITG-Sammlung, 2010

rezensiert von Jürgen Steen

W
         olfgang Giere ist 2003 als Professor für Doku-     Kaliningrad geborenen Autors bis zur Emeritierung als
         mentation und Datenverarbeitung am Klini-          Gründer und Direktor des Zentrums der medizinischen
         kum der Johann Wolfgang Goethe-Universität         Informatik des Frankfurter Universitätsklinikums. Teil
emeritiert worden. Mit der Arbeit an der jetzt vorge-       II „Wandel der Technik allgemein: Selbsterlebte Beispie-
legten Veröffentlichung begann er im Frühjahr 2005.         le“ (S. 61 – 112) protokolliert den allgemeinen techni-
Die Versetzung in den „Ruhestand“ ist der Anfang des        schen Wandel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
vielzitierten neuen Lebensabschnitts und oft eine quä-      Das „Selbsterlebte“ als Matrix der Auswahl der Beispiele
                                                                                                                       Wolfgang Giere:
lende Zäsur, weil mit dem „Arbeitsleben“ das jahrzehn-      macht wie von selbst den Einfluss der technischen und      »Bollerwagen mit Dynamo« –
telang identisch gelebte Leben von heute auf morgen         technologischen Evolution der zweiten Hälfte des 20.       Erlebte Industrie- und Technikgeschichte
endet. Glücklich, wen das nicht oder nur in Maßen           Jahrhunderts auf unsere Lebenswelt deutlich. Teil III      Beitrag des „Förderkreis Industrie- und Technikgeschichte
                                                                                                                       e.V.“ (FITG) zum 100. Geburtstag des Computererfinders
betrifft. „Mir macht es Freude, im Ruhestand zurück-        „Von der EDV zum Web: Selbsterlebte Entwicklung der
                                                                                                                       Konrad Zuse.
zublicken auf das Erlebte …“, schreibt er im Vorwort.       Computertechnik“ (S. 113 – 195) führt mitten in das
„Bollerwagen mit Dynamo“ nur als „Rückblick“ zu ver-        Arbeitsleben des Pioniers der medizinischen Datenver-      353 S. mit 24 Abb., Literaturverzeichnis und ausführlichem
stehen, wäre allerdings nicht nur allzu bescheiden, es      arbeitung und ist deshalb „selbsterlebte“ und repräsen-    Index. ISBN: 978-3-9805562-1-7
                                                                                                                       Das Buch können Sie in der LiteraTour-Buchhandlung,
wäre falsch.                                                tative Darstellung der Entwicklung eines wesentlichen      Aarstraße 96 in 65232 Taunusstein zum Preis von 30 EUR
    Auf 337 Seiten ist das Werk in vier Teile gegliedert:   Teilbereichs der elektronischen Datenverarbeitung. Teil    bestellen.
Teil I „Autor-Auto-Biografisches“ (S. 3 – 69) ist ver-      IV „Anhänge, Hintergründe“ (S. 199 – 287) bietet erläu-
mehrt um eine Zeittafel die autobiografisch mit „er-        ternde Informationen zu den Teilen I – III, für den Teil   Mitglieder im „Förderkreis Industrie- und Technikgeschichte“
                                                                                                                       erhalten das Buch zum Vorzugspreis von 20 EUR/Buch direkt
lebter Technik“ verwobene Erzählung der Lebensge-           III den systematischen Katalog der technikgeschichtli-     vom Autoren.
schichte von den Kindertagen des 1936 im heutigen           chen Sammlungen des Förderkreises. Der abschließen-
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Für Sie gelesen

de Index mit fast 30 Seiten macht Wolfgang Gieres Werk        Im Buch ist ein Bericht der Neuen Ruhr-Zeitung         blitzt auf, was als Grundzug im gesamten Werk zu
auch zur Fundgrube eines Wandels, der, davon ist der      vom 25. Januar 1968 zum programmierten Arztbrief,          spüren ist: Technik ist als Mittel der Gestaltung der
Autor sicherlich zu recht überzeugt, typisch für seine    der ersten EDV-Entwicklung Gieres abgebildet. Das Foto     Lebenswelt zu begreifen und keine Macht, der die
Generation ist.                                           zeigt den 32jährigen im Rechenzentrum der Stadt Duis-      Lebenswelt ausgeliefert ist. Das ist nur zu unterstrei-
    Ohne ihn gäbe es die heutigen Sammlungen des För-     burg. Der Emeritus inventarisierte und dokumentierte       chen. Der Traum vom Dynamo blieb ein Traum. Wolf-
derkreises nicht. Mit dem Aufheben begann er bereits      die Sammlungen des Förderkreises vor Ort auf seinem        gang Giere ist zu wünschen, dass „sein“ Museum kein
in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die Sammlun-     Note-Book, das in die Aktentasche passt und dessen         Traum bleibt.
gen präsentieren die sinnfällige Entwicklung des Com-     Rechenleistung um das X-fache größer ist als die Leis-         Auf dem Umschlag lächelt uns Wolfgang Giere an, so
puters. Die Einordnung des systematischen Katalogs        tung des Rechenzentrums von 1968.                          wie er uns begegnet. Das Porträt erschien in der legen-
der EDV-Sammlung des Förderkreises als Anhang zur             Wolfgang Gieres Wunsch ist ein Museum und sein         dären Reihe „Frankfurter Gesichter“ Erich Dittmanns
selbsterlebten Entwicklung der Computertechnik ist        Werk ist ein Baustein, weil es den Wandel überzeugend      (1916 – 1999) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
deshalb mehr als plausibel, so unkonventionell das auf    und lebensnah belegt und ordnet. Dieses „Ordnung           im Juni 1996 aus Anlass des 60. Geburtstags. Zum Ge-
den ersten Blick auch wirken mag. Sammlungkataloge        schaffen“ ist die weiterführende Leistung. Auch der        burtstag eröffnete das historische museum frankfurt
sind nach funktionalen Kriterien systematisiert. Der      erzählende Teil I gehört zum Ordnen. In der Erzählung      die Ausstellung „36 Objekte der Industrie- und Tech-
Emeritus hat seit 2003 kontinuierlich an der Systematik   werden die Erinnerungen zur Biografie geordnet. Oh-        nikgeschichte“, eine Anspielung auf das Geburtsjahr
gearbeitet. Das ganze Werk ist Konrad Zuse gewidmet       ne Ordnung kann der Wandel nicht begreifbar werden.        und konzipiert von Mitgliedern des gerade neu ge-
und rechtzeitig zum Jubiläumsjahr, zu seinem 100. Ge-     Wolfgang Giere ist bewusst, dass Ordnen ein Werkzeug       gründeten Förderkreises und dem Rezensenten. Am
burtstag, fertig geworden.                                ist und in der Einleitung begründet er ausführlich die     Eröffnungstag und in der Ausstellung feierten an die
    Wolfgang Giere betont, dass er keine „allgemeine      von ihm getroffene Wahl. Auch Lesetipps fehlen nicht,      200 Gäste den 60. Geburtstag. Er hatte es verdient. Als
Technikgeschichte“ im Sinn gehabt hätte. Als Beschei-     weil er damit rechnet, dass die Teile verschiedene Inte-   Anfang der 90er Jahre die auch von der Stadt getra-
denheitsadresse an die vermeintliche Königsdisziplin,     ressen ansprechen. Das ist nicht falsch, darf aber nicht   genen Planungen für ein Frankfurter Industriemuseum
die zur Technikgeschichte als autonomer Geschichte        die Bedeutung der Publikation, eben ihre Komposition,      zusammenbrachen, gehörte er zu den wenigen, die da-
der Technik neigt, ist das hoffentlich nicht gemeint.     relativieren. Der Museumswunsch ist konsequent, weil       für einstehen wollten, dass mit dem Ende der offiziellen
Technikgeschichte ist eine eigene Konstruktion. Sie       ohne die Sinnfälligkeit des Wandels der Diskurs, den       Planungen nicht auch Idee und Ziel und die im Aufbau
ist dem Selbsterlebten als Konstruktionsprinzip nicht     wir über unsere Gegenwart und Zukunft führen und           befindlichen Sammlungen zu Grabe getragen wurden.
überlegen, es sind zwei Ansätze mit jeweils eigenem       führen müssen, blind bleibt.                               Der Kenner der Museumsgeschichte weiß um die zeit-
methodischen Recht, die nicht gegeneinander aus-              Apropos „Bollerwagen mit Dynamo“. Der 6jähri-          lichen Dimensionen von Museumsgründungen, Samm-
gespielt werden können. Charme des Selbsterlebten         ge stattete den familiären Bollerwagen mit Strippen        lungen wachsen, Ideen reifen, Museumsgründungen
ist allemal, dass der Technikgebrauch Vorrang hat.        aus, so dass er von hinten gelenkt werden konnte           ähneln Netzwerken, deren Maschen nach und nach
Gleichsam wie von selbst kommt damit der politische,      und er träumte von einem Dynamo, um den Boller-            geflochten werden, weil vernünftige und tragfähige
gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Kon-    wagen auch bei Dunkelheit nutzen zu können. Was            Lösungen Zeit brauchen. 15 Jahre besagen nichts und
text ins Spiel und die Erfahrung der lebensweltlichen     mag Wolfgang Giere zu diesem Titel bewogen haben,          müssen nicht betrüben.
Veränderung durch Technik. Spätestens hier sind           der doch ganz und gar nicht zur Biografie eines EDV-
Selbsterlebtes und Sinnfälligkeit des Wandels Ge-         Pioniers zu passen scheint?! Im kindlichen Ziel, die       In diesem Sinne herzlichen Glückwunsch zum 75. und
schwister.                                                vorgegebene Technik den Bedürfnissen anzupassen,           „ad multos annos“.
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Leseprobe

                                                                                                                                                die Kleinbildfotografie mit der Leica. Kurz nach Kriegsende lernte
                                                                                                                                                ich sie erstmals kennen bei einer Fotografin, die Mutter gebeten
                                                                                                                                                hatte, uns Kinder in unserem Garten-Paradies in Kronberg zu „knip-
                                                                                                                                                sen“. Es sind wunderschöne Aufnahmen. Bei den Großeltern habe
                                                                                                                                                ich noch Plattenkameras im Gebrauch erlebt.
                                                                                                                                                Die Edixa ist mir später auf Reisen zu schwer gewesen. Deswegen
                                                                                                                                                hatte ich ab etwa 1980 eine Minox Kleinbildkamera (nicht die win-
Auszüge aus dem Buch von Wolfgang Giere:                                                                                                        zige Kamera der Spione) mit Klappobjektiv in der Hosentasche.
                                                                                                                                                Mit ihr habe ich lange Zeit viele schöne Bilder gemacht obwohl es

„Bollerwagen mit Dynamo“                                                                                                                        „nur“ eine Sucherkamera war ohne Wechselobjektive und fast ohne
                                                                                                                                                Schnickschnack. Allerdings brauchte sie eine Batterie für die auto-
                                                                                                                                                matische Entfernungseinstellung und Belichtungsmessung „durch
                                                                                                                                                das Objektiv“. Ich benutze sie wegen des hervorragenden Zeiss
                                                                                                                                                Tessar Objektivs noch heute gerne für Aufnahmen, die besonders
                                                                                                                                                scharf sein sollen. Heute ist das alles Geschichte. Filmmaterial stirbt
15. Medien                                                            nung, Belichtungszeit – alles musste von Hand eingestellt werden.         aus, die Marke Agfa existiert nicht mehr. Die Grenzen zur Filmkame-
Der technische Wandel bei den Medien ist vielleicht am prägnantes-    Auch der Transport des Kleinbildfilmes (24x36 mm) erfolgte durch          ra verschwimmen. Alles ist digital und die Computerhersteller wett-
ten. Bei meinen Großeltern hingen schöne Daguerrotypien der Ur-       zweimaliges Ziehen eines massiven Hebels.                                 eifern mit immer kleineren und leistungsfähigeren Geräten. Neue
großeltern an der Wand, Studioaufnahmen, für die man lange still-     Die erste mühsam verdiente Edixa habe ich gegen einen Motorroller         Marken beherrschen das Feld: Canon, Casio, Fuji, Sony,... Auch ich
sitzen musste (siehe Abb. 15.1 auf S. 104). Meine Eltern benutzten    getauscht, habe aber bei nächster Gelegenheit wieder eine gleiche         mache meine Aufnahmen mit einem Apparat, der kaum größer und
Fotoapparate mit 6x6 cm Rollfilmen. Die Leica begann gerade ihren     (gebraucht) erstanden und besitze sie heute noch. Die Firma Wir-          dicker ist, als eine Kreditkarte.
Siegeszug. Filmen war ungeheurer Luxus. Angeblich besaß Onkel         gin in Wiesbaden gibt es allerdings nicht mehr, ebensowenig wie all
Bernhard Koch, der Besitzer der Verlagsbuchhandlung Gräfe&Unzer       die anderen damals berühmten deutschen Marken: Der Edixa ver-
in Königsberg einen Filmapparat. Philipp, unseren Ältesten, haben
                                                                                                                                                15.2. Schmalfilm
                                                                      gleichbar war die „ostzonale“ Praktika, auf die dieselben Objektive       Als ich in Kronberg auf der Schule war, staunten wir über Lehrer Mi-
wir mit Doppel-Acht gefilmt, die weiteren drei Kinder mit Super-      passten (deswegen „Jena-B“ aus der DDR und nicht das Original von         chels, der mit seinen Jugendgruppen einen „Schmalfilm“ gedreht
Acht. Kaum glaublich ist der rasche Wandel zur digitalisierten Welt   Zeiss aus Wetzlar, das viel teurer war). Zeiss existiert als Kameraher-   hatte.
von heute mit völliger Einheit aller Medien.                          steller auch nicht mehr, die berühmte Zeiss Ikon ist Geschichte. Ich      Ich selbst habe nach der Geburt des ältesten Sohnes eine gebrauch-
                                                                      hatte eine solche 6x6 cm Rollfilm Balgen-Klappkamera vom Vater            te „Nizo“-Filmkamera gekauft und benutzt, die „Doppel-Acht“ Fil-
15.1. Fotoapparat                                                     geerbt. Leider war der Balgen defekt und konnte damals nicht zu er-       me produzierte. Ein 16 mm Film wurde vorwärts und rückwärts je
Mein erstes selbstverdientes Geld sparte ich zum Kauf eines Foto-     schwinglichen Preisen repariert werden. Außerdem wollte ich keine         zur Hälfte bespielt und bei der Entwicklung in der Mitte durchge-
apparates, eines preiswerten Spitzengerätes: Wirgin Edixa Reflex.     Sucherkamera mit Großformat, sondern einen Kleinbild-System-              schnitten. Wenn man die eine Hälfte belichtet hatte, musste man im
Es war eine System-Spiegelreflexkamera mit Lichtschacht, Lupe,        Apparat. Lange hatte ich geschwankt, ob ich nicht vielleicht eine         Dunkeln (in einem schwarzen Tuch-Sack) die Spule umdrehen, um
„Jena-B“ (baugleich dem Zeiss Biotar) 1:2, 58 mm Brennweite und       Robot kaufen sollte, eine 24x24 mm Automatik mit Federwerk, die           anschließend die andere Hälfte belichten zu können. Ich benutzte
„Vorwahlblende“. Das hieß, man stellte die gewünschte Blende am       es gestattete, rasch hintereinander mehrere Aufnahmen zu tätigen.         Schwarz-Weiß-Filme.
Ring ein und zog nach der Scharfeinstellung bei voller Blendenöff-    Auch sie ist vom Markt verschwunden. Berühmt war (und ist) auch           Demgegenüber stellte das „Super-8-Format“ einen deutlichen Fort-
nung vor der Aufnahme die Blende zu. Weil man durch Lupe und          die Rolleiflex mit 6x6 cm Format und zwei parallelen Objektiven,          schritt dar. Es war nicht nur etwas größer, sondern verzichtete auch
Lichtschacht in andere Richtung sah als das Objektiv, war die Edixa   eines für die Belichtung, eines für den Sucherspiegel. Sie benötigt       auf das umständliche Umdrehen der Spule. Eine Super-8-Kamera
besonders geeignet für unauffällige Kinderaufnahmen und hat mir       deswegen keinen Klappspiegel. Unerschwinglich war die professi-           von Agfa bekam ich Anfang der siebziger Jahre bei Bayer-Leverku-
zu schönen Schnappschüssen verholfen. Später kamen hinzu Weit-        onelle Hasselblad Systemkamera für das 6x6 cm Format mit Klapp-           sen geschenkt quasi als Honorar für die Moderation eines Symposi-
winkel mit 35 mm, Tele mit 90 mm, Belichtungsmesser, Blitzgerät,      spiegel und unendlich teuren Objektiven – alles Geschichte heute.         ums über Datenverarbeitung in der Medizin. Mit diesem sehr handli-
Filter usw. Der Verschluss war als Schlitzverschluss das damalige     Vor dem Krieg gab es viele Großformat-Kameras. Mutter hatte eine          chen Filmapparat habe ich alle Kinder- und Reisefilme gedreht.
Non-Plus-Ultra mit langen Belichtungszeiten bis zu einer ganzen       primitive Box mit dem Format 4,5x6 cm. Viele unserer Kinderbilder         Jahre später habe ich den Apparat in Wiesbaden bei einem Foto-
und kurzen bis zu einer tausendstel Sekunde. Natürlich war bei        in den Fotoalben sind mit ihr entstanden. Von Vaters Klappkamera          händler zur Reparatur gegeben. Nach einer Weile bekam ich ihn aus
diesem Gerät nichts elektrisch, nichts automatisch. Blende, Entfer-   habe ich schon berichtet. Professionelle Fotografen bevorzugten           dem Werk(!) zurückgeschickt mit freundlichen Grüßen: Die Repara-
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