Heimat - Universität Hamburg

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Heimat - Universität Hamburg
Magazin der Universität Hamburg
                                                            Ausgabe 10 / April 2018

Heimat
bedeutet für jede und jeden etwas anderes. Doch was? Wie findet man sie?
Und wie kann man ihren Verlust verarbeiten? Ein Schwerpunktheft

 neue serie                      Richtige wahl?!                       Alumni-Interview
 Promovierende stellen           Warum Studienzweifel                  Kiez-Urgestein Corny
 ihre Projekte vor               eine Chance sein können               Littmann im Gespräch
Heimat - Universität Hamburg
HAMBURG
STIPENDIUM
für Chancengleichheit
2018: Für Studierende mit Migrations- oder Fluchthintergrund

HAMBURG
STIPENDIUM                      Infos & Bewerbung unter:
                                www.studierendenwerk-hamburg.de ↷ Finanzen ↷ Stipendien

      Eat&Meet | Wohnen | Studienfinanzierung | Soziales&Internationales

              w w w.studierendenwerk-hamburg.de
Heimat - Universität Hamburg
03

15 Jahre

Jubiläum für die Kinder-Uni: Zum 15. Mal konnten Kinder im Alter       Die Veranstaltung wird seit 2013 zusammen mit der Claussen-
zwischen acht und zwölf Jahren im Herbst 2017 bei extra für sie kon-   Simon-Stiftung, „GEOlino“, der ETV KiJu (gemeinnützige GmbH, Toch-
zipierten Vorlesungen Universitätsluft schnuppern und Interessantes    tergesellschaft des Eimsbütteler Turnverbandes e. V.) sowie den Ham-
aus der Forschung erfahren. In den vergangenen 15 Jahren gab es        burger Unternehmen Euler Hermes Deutschland und Jungheinrich
84 Vorlesungen, die von insgesamt 67.200 Kindern besucht wurden.       AG ausgerichtet. Im Herbst 2018 geht es weiter.

                                                          NEUNZEHN            ist das Magazin der Universität Hamburg.
                                                    Für diesen Namen gibt es einen historischen Grund: 1919 wurde die
                                                    Universität Hamburg gegründet – als erste Universität in Deutschland
                                                    durch parlamentarischen Beschluss.
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INHALT

08
Das „Heim“ in
„Heimat“ ist für
                           to Huus, dahoam, Zuhause, Heimat. Für manche
                           ist es ein Gefühl oder ein Dialekt, für andere ein
                           lieber Mensch, ein besonderes Essen oder ein Ort.
Studierende oft            Manchmal ist es auch einfach die eigene Wohnung.
schwer zu finden.
Drei von ihnen
                           Doch die zu finden, ist für Studierende oft schwer.
berichten, wie             19NEUNZEHN versucht in diesem Heft eine Annähe-
sie wohnen und
wie sie die Suche          rung an das Thema „Heimat“, lässt Studierende und
erlebt haben.
                           einen Alumnus von ihren Erfahrungen und Lieblings-
                           plätzen in Hamburg berichten und fragt, was es für
                           Menschen bedeutet, wenn sie nicht das Privileg ha-
                           ben, ihren Wohnort frei zu wählen, sondern gezwun-
                           gen sind, ihre Heimat zu verlassen.

20                  Wie verarbeitet man
                    das Trauma, wenn man
                    gezwungen wird, seine
                    Heimat zu verlassen?
                    Sechs Forschungspro-
                    jekte untersuchen, was
                                             34                 Der Kiez ist seine
                                                                Heimat: Cornelius
                                                                „Corny“ Littmann steht
                                                                für Hamburg wie kaum
                                                                ein anderer.
                                                                In 19NEUNZEHN erzählt
                    Medien dazu beitragen                       der Alumnus, was seine
                    können.                                     Wahl-Heimat ausmacht.
Heimat - Universität Hamburg
Kurz & Knapp                                          Studium & Dann
06   Kurzmitteilungen aus der Universität             34   Alumnus und Kiez-Legende:
                                                           Corny Littmann im Interview

     Campus & Co                                      36   Bleiben oder Wechseln: Über Studienzweifel und
                                                           darüber, wie man mit ihnen umgeht
08   Meine vier Wände: Drei Studierende berichten &
     Wie lebten Studierende früher?

11   Wir lassen Zahlen sprechen:
                                                           Hin & Weg
     Studentisches Wohnen in Hamburg                  38   Von einem, der herkam ...
12   Campus-Umfrage: Was ist dein Lieblingsplatz –
                                                           ... aus Schottland
     in Hamburg und an der Uni?                       39   Von einer, die wegging ...
14   HOOU: die wichtigsten Fragen und Antworten
                                                           ... nach Spanien
     zur Hamburg Open Online University
15   Neue Serie: Die Universität Hamburg in der            Damals & Heute
     Stadt – der wilde Osten
                                                      40   Serie „Namenspatenschaft“:
16   Jede Stimme zählt: 19NEUNZEHN stellt die              Anna Siemsen
     Gremien der Universität Hamburg vor
                                                      42   Universitätswerdung in vier Akten.
18   Medizin zwischen den Kulturen: Studierende            Erster Akt: Akademisches Gymnasium
     lernen interkulturelle Kompetenzen
                                                      43   Der Countdown läuft: Der aktuelle Stand der
                                                           Planungen zum Universitätsjubiläum 2019

     Forschen & Verstehen                             44   Personifizierte Geschichte²: Zwei Professoren im
                                                           Ruhestand berichten von ihren Erinnerungen
20   Forschungsprojekte zum Exil: Heimatverlust in
     Wort, Bild und Ton                               46   Wundertüte Universität: Wissen vom Fass

23   Neue Serie „Titel, Thesen, Promotionen“:
     Teil 1: Antike Zaubersprüche                          Preise & Förderungen
24   Exzellenzstrategie: die Forschungsschwerpunkte
                                                      48   Auszeichnungen für Universitätsmitglieder
     der Universität Hamburg

28   Steinharte Forschung: die Geologisch-
     Paläontologische Sammlung                             Wann & Wo
30   Bild der Forschung:                              51   Termine im Sommersemester
     Mangroven-Inventur auf Fidschi

31   5 Fragen an ...                                  54 Impressum
     ... Chemikerin Johanna Huchting
32   Archäologie der Gegenwart: Grabungsprojekt
     im Wendland

                                                40                                      Anna Siemsen versuchte
                                                                                        nach dem Krieg, in Ham-
                                                                                        burg eine neue Heimat
                                                                                        zu finden, nachdem sie
                                                                                        unter den Nationalso-
                                                                                        zialisten ins Exil flüch-
                                                                                        ten musste. Über eine
                                                                                        schwierige Rückkehr.
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06

     KURZ & KNAPP

                                                          Neuer Besucherrekord bei der
                                                          7. Nacht des Wissens

                                                          Zusammen mit mehr als 50 weiteren wissenschaftlichen Einrich-
                                                          tungen aus Hamburg, der Metropolregion und Norddeutschland
                                                          öffnete die Universität Hamburg in der Nacht des Wissens
                                                          am 4. November 2017 zum siebten Mal ihre Türen. Mehr als
                                                          13.000 Gäste besuchten hier die rund 130 Experimente, Mit-
                                                          machaktionen, Vorträge und Workshops für Erwachsene und
                                                          Kinder. Die Themen reichten von Medizin und Gesundheit über
                                                          Kunst und Kultur bis Natur und Technik. 32.000 Besucherinnen
                                                          und Besucher der Nacht des Wissens 2017 wurden insgesamt
                                                          gezählt – ein neuer Rekord!

     Verhaltenskodex zur
     Religionsausübung für
     friedliches und respekt-
     volles Miteinander
     Seit Oktober 2017 gilt der „Verhaltenskodex
     zur Religionsausübung an der Universität
     Hamburg“. Er soll – zusammen mit der
     dazugehörigen Ausführungsbestimmung
     des Präsidiums – das respektvolle und
                                                   Kultur kompakt: Neue Webseite für
     friedliche Miteinander aller Universitäts-    Kulturangebote der Universität
     mitglieder bei der Ausübung verschiedener
     Glaubensüberzeugungen regeln. Er betont,      Konzerte, Talkrunden, Sammlungen – das Kulturangebot der
     dass die Universität Hamburg als säkulare     Universität Hamburg ist vielfältig und reicht bis in die Stadt hinein.
     Institution den Methoden und Standards        Eine neue Website präsentiert dies nun auf einen Blick. Unter der
     wissenschaftlicher Forschung und Lehre        Dachmarke „Uni(hoch)Kultur“ findet man alles, was an der Univer-
     verpflichtet sei, sodass die Ausübung         sität oder im wechselseitigen Austausch mit Kultureinrichtungen
     religiöser Freiheit dort ende, wo der         der Stadt entsteht – von Theater und Chor über Stückdiskussionen
     wissenschaftliche Auftrag der Universität     bis zu Ticket-Sonderkonditionen für Studierende.
     Hamburg beeinträchtigt oder gefährdet
     sei. Mit der Erstellung des Kodex hatte die   Im Unikontor der Universität Hamburg bekommen Studierende
     Universität Hamburg eine zehnköpfige          vergünstigte Karten ab fünf Euro für Hamburger Theater. Die Ver-
     Expertenkommission unter Vorsitz von          kaufszeiten sind bis auf weiteres: dienstags 13–15 Uhr (für Thalia
     Prof. Dr. Birgit Recki beauftragt.            Theater und Staatsoper Hamburg) und mittwochs 13–15 Uhr (für
                                                   Deutsches Schauspielhaus und Kampnagel). Das Unikontor ver-
                                                   kauft auch Tickets für die Universitätsmusik, das Kalliope-Theater,
                                                   die University Players und das Format „Wahnsinn trifft Methode“.

                                                   Newsletter und weitere Informationen: uhh.de/unihochkultur
                                                                                                                            Texte: VG
Heimat - Universität Hamburg
19NEUNZEHN                                                                                                                                     07

Deutschlandstipendien 2018 vergeben
Ein Grund zum Feiern: Am 31. Januar wurden die diesjährigen Deutschland-
stipendien an 128 Studierende der Universität Hamburg verliehen. Bei der
Feier kamen die Stipendiatinnen und Stipendiaten mit ihren Förderinnen
und Förderern zusammen und lernten sich auch untereinander kennen.
Insgesamt nahmen 190 Gäste teil. Das Programm „Deutschlandstipendium“
startete 2015 mit 26 Stipendien. Die Stipendien werden jeweils zur Hälfte
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Land Ham-
burg sowie privaten Geldgeberinnen und -gebern finanziert. Zu Letzteren               Drei Deutschlandstipendiatinnen und
zählen Unternehmen und Stiftungen, Professorinnen und Professoren sowie               -stipendiaten des Europa-Kollegs Hamburg
Alumni-Vereine der Universität. Die Geförderten sowie die Förderinnen und
Förderer haben die Möglichkeit, an einem umfangreichen Begleitprogramm
teilzunehmen. Entscheidend für die Förderung ist auch das gesellschaftliche
Engagement der Bewerberinnen und Bewerber. Bei der Feier berichteten
exemplarisch vier der Geförderten über ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten bei
„#UHHhilft“, dem Debattierclub Hamburg, der Johanniter Unfallhilfe und
dem Publikumsorchester der Elbphilharmonie.
Mehr Informationen: uhh.de/d-stipend

                                              Kooperation mit dem
              ?                               Hamburger Abendblatt
                                     ?        Anlässlich des Universitätsjubiläums im kommenden Jahr machen sich
                                              Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg daran, die
                                              100 wichtigsten Fragen des Lebens zu klären. Was ist gute Erziehung? Warum
   Die    100
   größten Fragen
                                              gibt es Kriege? Und wann müssen wir die Erde verlassen? In Kooperation mit
                                              dem Hamburger Abendblatt gibt es Antworten – jeden Samstag im großen Inter-
                                              view in der Zeitung und danach zum Hören im Podcast: uhh.de/100-fragen
   des Lebens

Mutterschutzgesetz gilt
jetzt auch für Studentinnen
Zum 1. Januar 2018 ist das neue Mutterschutz-
gesetz in Kraft getreten – und gilt jetzt auch für
                                                                                                      ews
                                                                                             F a k e N e f t ev e r ?
Studentinnen, Schülerinnen und Praktikantinnen,
wenn die jeweilige Ausbildungsstelle Ort, Zeit
                                                                                                stes H gefragt:
und Ablauf von Veranstaltungen verpflichtend                                         o   der Be          t ng is               N?
                                                                                                  Meinu                  NZEH
vorgibt. Damit sie die Rechte nach dem Mutter-                                         Deine                    19N EU
                                                                                                       d u d ie                 lt dir?
                                                                                            fi ndest                ? W  as feh           t?
schutzgesetz in Anspruch nehmen können, sollten                                      W ie
                                                                                                          Inhalt
                                                                                                                  e                gefreu
                                                                                            e n d ir die              e im Lesen
Studentinnen eine Schwangerschaft so früh wie                                      Gefa  ll                   dich  b
                                                                                                    ast du
möglich gegenüber der Universität anzeigen.                                          wo r über h                           rage:
                                                                                 Und                               r Umf
Mehr Informationen zum Thema und zur Antrags-                                                              ht’s zu               ik
                                                                                                                      ttkrit
                                                                                                     r g e
                                                                                                Hie
stellung unter: uhh.de/mutterschutz                                                                       e/bla
                                                                                               uhh.d
Heimat - Universität Hamburg
08                        Campus & Co

                                                        My home is
                                                        my castle
                                                        Der Immobilienmarkt in Hamburg ist einer
                                                        der teuersten in Deutschland. Das macht die
                                                        Wohnungssuche auch für Studierende oft zum
                                                        Kampf. Wie also wohnen – „all inclusive“ im
                                                        „Hotel Mama & Papa“, mit Münz-Wasch-
                                                        maschine im Wohnheim, mit Putzplan in der
                                                        WG oder doch im eigenen Appartement?
                                                        In 19NEUNZEHN berichten drei Studierende
                                                        von ihren Erfahrungen. Texte: Michelle Bruhn

                                                        Bevor ich im vergangenen Wintersemester mit meinem Studium
                                                        an der Universität Hamburg begonnen habe, habe ich mein Abi-
                                                        tur in Berlin nachgeholt und dort eine lange Zeit in einer Wohn-
                                                        gemeinschaft gelebt. Jetzt wollte ich mal wieder alleine wohnen.
                                                        Auf der Internetseite des Studierendenwerks Hamburg bin ich im
                                                        Frühling 2017 im Rahmen einer BAföG-Recherche auf den Neubau
                                                        des Studierendenwerks in Neuallermöhe gestoßen. Hier waren
                                                        Einzel-Appartements geplant – und damit genau das, was ich
                                                        wollte. Nach einer Online-Bewerbung beim Studierendenwerk
                                                        im Sommer 2017 bekam ich schnell eine Zusage und konnte im
                                                        September einziehen. Als Alternative habe ich mich auch über ein
                                                        privates Studentenwohnheim in Wilhelmsburg informiert, das
                                                        aber aufgrund der Mietkosten von mehr als 500 Euro ausschied.
                                                        Zudem habe ich eine WG besichtigt.

                                                        Insgesamt habe ich die Wohnungssituation in Hamburg als
                                                        entspannt empfunden; das lag aber auch an der Zeit: Ich habe
                                                        mich früh um eine Wohnung gekümmert und konnte mich so
                                                        schon im Frühling in die Vormerkliste des Studierendenwerks
                                                        eintragen. Ein wichtiger Faktor bei der Wohnungssuche war für
                                                        mich wie gesagt das Einzel-Appartement – und die Mietpreise
                           René Schott (26)             des Studierendenwerks sowie der Neubau sind unschlagbar; die
                                                        Weglänge zur Uni war für mich dann zweitrangig. Besonders po-
                     Studiengang: B. Sc. Meteorologie   sitiv für Neulinge in Hamburg ist die Möglichkeit, im Wohnheim
        Wohnform: Einzel-Appartement im Wohnheim        schnell Kontakte zu knüpfen – auch zu Studierenden aus anderen
                              Stadtteil: Neuallermöhe   Studiengängen. Bei uns findet in den zahlreichen gemeinsamen
                         Quadratmeter-Zahl: ca. 20 m²   Räumen ein reges Gemeinschaftsleben statt. Daher bin ich mit
                               Miete im Monat: 356 €    meiner Wohnform absolut zufrieden und möchte – zumindest
Weg zur Uni in Minuten: 30 Minuten mit S- und U-Bahn    vorerst – nicht umziehen.
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19NEUNZEHN                                                                                                                        09

                                                                                      Imke Knopp (23)
                                                                                      Studiengang: B. A. Systematische Musik-
                                                                                      wissenschaft
                                                                                      Wohnform: Eigene Wohnung
                                                                                      Stadtteil: Dulsberg
                                                                                      Quadratmeter-Zahl: 36 m²
                                                                                      Miete im Monat: 380 €
                                                                                      Weg zur Uni in Minuten: 20 Minuten mit
                                                                                      der U-Bahn

Obwohl ich schon zum Wintersemester 2013/14 angefangen           dann schon mal mit 500 Bewerbern auf einer Liste. Also braucht
habe, in Hamburg zu studieren, wohne ich erst seit dem vergan-   man entweder Glück oder man muss die richtigen Leute kennen.
genen Jahr in meiner Wohnung. Davor habe ich bei meinen Eltern   Meine Wohnung, die ich durch den Tipp einer Freundin gefunden
gewohnt, die auch in Hamburg leben. Meine Wohnungssuche          habe, ist eine Genossenschaftswohnung, für die sich deutlich
war sehr breit angelegt: Ich habe mir viele Wohngemeinschaften   weniger Interessenten beworben haben als auf dem freien
und Ein-Zimmer-Wohnungen angesehen. Wichtige Faktoren wa-        Wohnungsmarkt. Ich muss eine Miete und Genossenschaftsan-
ren für mich ein guter Zustand der Wohnung – während meiner      teile bezahlen, wodurch meine Miete aber günstiger ist als bei
Suche habe ich einige echt heruntergekommene Wohnungen           ‚normalen‘ Wohnungen.
gesehen –, dass die Wohnung nicht zu klein ist, ich mich dort    An meiner Wohnung schätze ich besonders, dass ich mein eige-
wohlfühle und dass sie nicht zu weit von der Uni entfernt ist.   ner Herr bin, ich muss mich mit niemandem abstimmen; dafür
                                                                 muss ich aber die Nebenkosten alleine tragen. Wenn sich die
Die Wohnsituation in Hamburg habe ich während meiner Suche       Chance ergeben würde, noch näher an der Uni zu wohnen, würde
als sehr angespannt empfunden. Es ist schwierig, eine Wohnung    ich umziehen. Gegebenenfalls auch in eine WG, wenn ich mich
zu bekommen, besonders als Studentin oder Student. Wenn man      gut mit den Mitbewohnern verstehen würde. Momentan bin ich
eine interessante und bezahlbare Wohnung findet, steht man       aber sehr zufrieden mit meiner eigenen Wohnung.

                                                      Lena Schirmer (23)
                                                      Studiengang: Medizin
                                                      Wohnform: 2er-Wohngemeinschaft
                                                      Stadtteil: Lokstedt
                                                      Quadratmeter-Zahl: 17 m²-Zimmer
                                                      in einer 63 m² großen Wohnung
                                                      Miete im Monat: 425 € (pro Person)
                                                      Weg zur Uni in Minuten: 15 Minuten zu Fuß
Heimat - Universität Hamburg
10    campus & co

     Ursprünglich wollte ich mit zwei Freundinnen eine WG gründen – das   an der Uni und auf Facebook gesucht. Wir sind beide Studenten
     war zum Studienbeginn 2014/15. Bei der Suche haben wir uns           und zu unterschiedlichen Zeiten zu Hause, aber keine Zweck-
     sehr breit aufgestellt und sowohl Immobilien-Portale im Inter-       WG. Wir verstehen uns sehr gut und kochen auch gemeinsam.
     net und Zeitungen durchforstet als auch Zettel ausgehängt. Wir
     haben zwar passende Wohnungen gefunden, aber eine neue               Ein wichtiger Faktor für mich war die Distanz zur Uni. Nach zwei
     WG zu gründen, ist schwierig bis unmöglich, vor allem wenn           Jahren pendeln und einem Anfahrtsweg von mehr als einer
     sich auch junge Familien und Paare bewerben. Jede von uns hat        Stunde wollte ich in weniger als 30 Minuten an der Uni sein. Der
     dann nach einer eigenen, schon bestehenden WG gesucht. Bis           kurze Weg ist jetzt definitiv ein Vorteil meiner WG. Ich finde es
     ich mein WG-Zimmer vor einem Jahr gefunden habe, habe ich            sehr entspannt, an langen Uni-Tagen zwischendurch nach Hause
     bei meinen Eltern in Niedersachsen gelebt.                           gehen zu können bzw. umgekehrt schnell Bücher ausleihen und
     Insgesamt empfand ich die Wohnungssuche in Hamburg als               Materialien besorgen zu können. Ein kleinerer Nachteil ist die
     sehr schwierig, besonders als Studentin oder Student ohne re-        eigene Haushaltsführung, aber dafür habe ich auch mehr Zeit, in
     gelmäßiges Einkommen. Meine jetzige Wohnung habe ich nach            der ich vorher gependelt bin. Leider ist die Miete sehr hoch und
     diversen Anfragen auf ‚wg-gesucht.de‘ entdeckt. Ich schrieb          ich muss dadurch mehr nebenbei arbeiten. Für meine restliche
     eine E-Mail, wurde zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen          Studienzeit von zweieinhalb Jahren ist das aber die perfekte
     und nach zwei, drei Tagen hatte ich eine positive Rückmeldung.       Wohnung; danach werde ich voraussichtlich umziehen.
     Eigentlich wurde nur ein neuer Mitbewohner gesucht, dann
     zogen aber beide aus und ich wohnte erst einmal alleine. Nach        Mehr Informationen und Tipps zum Thema Wohnen unter:
     meinem neuen Mitbewohner habe ich durch Zettel-Aushänge              uhh.de/wohnen

     Wohnen historisch                             den wurde ein kleiner privater Wohn-
                                                   raum zugestanden; in den zahlreichen

     wie lebten                                    Gemeinschaftsräumen fand ein reges –
                                                   insbesondere wissenschaftliches – Sozi-
                                                   alleben mit engem Kontakt zu den Hoch-

     Studierende                                   schulorganen statt. Dozentinnen und
                                                   Dozenten der Universität begleiteten die

     früher?                                       Studierenden auch im Wohnheim. 1963
                                                   wurde diesem „Kollegienhaus-Plan“ vom
                                                   Verband Deutscher Studentenschaften
     Nach dem Ersten Weltkrieg herrsch-            der Entwurf eines „Studentenwohnhau-
     te Wohnungsnot: Es gab nur wenige             ses“ gegenübergestellt. Der Fokus sollte
     Neubauten und die Mietkosten waren            darauf liegen, mehr Privatsphäre zu
     sehr hoch. Wohnheime waren eine               schaffen; man setzte daher vor allem auf
     günstigere Alternative, einige Studie-        Einzel- statt auf Mehrbettzimmer; zu-
     rende wohnten zur Untermiete oder             dem sollten die Wohnheime in studenti-
     in „primitiven Wohnungen“ wie Fenja           sche Selbstverwaltung gestellt werden.
     Britt Mens in ihrem Buch „Zur ‚Not
     der geistigen Arbeiter‘: die soziale und      Während 1967 noch 36 % der Hamburger          Kollegzimmer einer Studentin in den
     wirtschaftliche Lage von Studierenden         Studierenden zur Untermiete wohn-             1950er-Jahren
     in der Weimarer Republik am Beispiel          ten, wird diese Wohnform heute kaum
     Hamburgs“ schreibt. Studentinnen seien        genutzt (1 %). Die Zahl der Studierenden,     Jahren hat sich eine neue Wohnform
     bei der Wohnungssuche oft diskriminiert       die bei den Eltern leben, hat sich in den     etabliert, die 1967 noch nicht statistisch
     worden und hätten daher häufiger als          vergangenen 50 Jahren fast halbiert –         erfasst wurde: die Wohngemeinschaft.
     Studenten bei den Eltern gewohnt.             von 37 % auf 20 %. Dafür stieg die Zahl       Bis Ende der 1960er- und Anfang der
                                                   der Studentinnen und Studenten mit            1970er-Jahre konnten Vermieterinnen
     Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg              einer eigenen Wohnung: Während 1967           und Vermieter – auch strafrechtlich –
     der Bau der Studierendenwohnheime             nur ca. 12 % diese Wohnform wählten,          belangt werden, wenn sie eine Wohnung
     infolge der rasant wachsenden Zahl der        waren es 2017 insgesamt knapp 40 %,           an mehrere nicht gleichgeschlechtliche,
     Studierenden an. Ursprünglich wurden          die alleine oder mit einem Partner bzw.       unverheiratete Personen vermieteten
     die Wohnheime als Kolleg angesehen,           einer Partnerin wohnten. Das Studen-          (Straftatbestand der Kuppelei). Heute ist
     also als Bestandteil der Universität mit      tenwohnheim wird mit ca. 8 % immer            diese Wohnform mit 31 % sehr populär.
     eigenem Bildungsprofil. Den Studieren-        noch gleich stark gewählt. Und mit den        (MB)
19NEUNZEHN                                                                                                                                              11

   Wir lassen Zahlen sprechen:
   Studentisches Wohnen
   Als Studentin oder Student eine passende Unterkunft zu finden, ist mitunter schwer.
   Die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (2016) zeigt, wie hoch Wohnheim, Wohn-
   gemeinschaft & Co. im Kurs stehen und wie die Mietausgaben im Durchschnitt sind. Die Zahlen
   beziehen sich – wenn nicht anders angegeben – auf Deutschland. (MB)

   Wohngemeinschaft              Wohnung mit           Eltern                 Eigene Wohnung                                Wohnheim
                               Partnerin / Partner

Mietausgaben in Hamburg (einschließlich Nebenkosten)                  Platz              der teuersten Städte nach München (387 €),
im Monat, 323 € im deutschlandweiten Durchschnitt*                                       Köln (375 €) und Frankfurt a. M. (375 €)

                                                                Wohnheimplätze bietet das Studierendenwerk Hamburg

                                                                *Bezugsgruppe „Fokus-Typ“ = Studierende, die nicht verheiratet sind, alleine wohnen bzw.
                                                                wirtschaften (auch WG), noch keinen ersten Hochschulabschluss erlangt haben (außer
   groß ist das Zimmer bei 74 % der                             Bachelor-Abschluss bei Master-Studierenden) und in einem Vollzeit-Präsenz-Studium
   Befragten (Wohnheim, (Groß-)Eltern, WG)                      eingeschrieben sind
12   Campus & Co

                                                                                                            CAMP
     Was ist dein Lieblingsplatz –                                                                              US-UM
                                                                                                                     FRAGE

     in Hamburg und an der Uni?
     Ob in Hamburg geboren oder neu in der Hansestadt – die ganz persönlichen Lieblings-
     plätze machen die Stadt zur Heimat. In 19NEUNZEHN verraten vier Studierende ihre
     favorisierten Orte in der Stadt und auf dem Campus. Aufgezeichnet von Sophie Schellin

     Anya Braun (20)                                                  Florian Helmecke (21)
     B. Sc. BWL                                                       B. A. Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie
     Hamburg gehört zu meinen Lieblingsstädten und ist meine          Meine Lieblingsplätze in Hamburg sind vielleicht etwas
     Wahlheimat. Meiner Meinung nach ist die Wasserkante am           unspektakulär, aber klassisch: Was gibt es Besseres als einen
     Jungfernstieg der schönste Platz. Mir gefällt die Mischung aus   Spaziergang entlang Övelgönne und des Hans-Leip-Ufers?
     der Idylle mit den vielen Schwänen, der Alsterfontäne sowie      Dort kann man am Elbstrand sitzen und Container-Riesen
     dem Trubel aus Einheimischen und Touristen. Die Räumlich-        beobachten. An der Uni zählt für mich der West-Flügel des
     keiten der Uni sind ja eher zweckmäßig gehalten, aber dafür      Hauptgebäudes eindeutig zu den schönsten Orten. Die große
     lebt dieser Ort für mich von all den tollen Menschen. Mein       Glashalle mit den immergrünen Baumreihen sorgt direkt für
     Lieblingsplatz an der Uni ist aber die Campus Mensa mit den      Wohlfühlatmosphäre und bietet nicht nur einen guten Raum
     großen Fensterfronten.                                           zum Nachdenken, sondern auch ein nettes Café.

     Peer von Tippelskirch (21)                                       Svenja Uhlenbrook (32)
     B. Sc. VWL                                                       M. A. Volkskunde / Kulturanthropologie
     Meine Lieblingsplätze an der Uni sind die kleine Wiese           Als gebürtige Hamburgerin habe ich mehrere Orte, an denen
     zwischen Audimax und Phil-Turm sowie die Mensa Studie-           ich mich gern aufhalte. Sobald es wärmer wird, bevorzuge
     rendenhaus. Erstere, weil man sich an diesem grünen Fleck        ich den Weinberg auf dem Stintfang bei der U-Bahn-Station
     auf dem Campus gut mit seinen Kommilitonen entspannen            Landungsbrücken. Hier hat man durch die erhöhte Positi-
     und ausruhen kann. Die Mensa mag ich vor allem wegen der         on einen schönen Blick über die Elbe. Mit einer Decke und
     hellen freundlichen Räume und weil es dort meistens nicht so     netter Gesellschaft kann ich dort Stunden verbringen. An der
     überfüllt und laut ist. Außerhalb des Campus besuche ich mit     Universität halte ich mich gerne im Lichthof der Staatsbiblio-
     Freunden gerne das Café May in der Lappenbergsallee. Dort        thek auf. Das Atrium mit seinen Arkaden und Gemälden ist
     schätze ich das schöne Ambiente sowie das günstige Essen.        einfach wunderschön.
Familie auf dem Campus
 Wo finde ich Betreuungs- und Beratungsangebote?
                                                                             App der Universität Hamburg
 Wo kann ich mein Kind wickeln?
                                                                             mit neuer Funktion!
 Wo finden wir Platz in der Mensa?

                                             Eltern-Kind-Zimmer

                       Familienfreundliche
                             Mensa

                                                                                            Wickel- und Stillmöglichkeiten

                    !                                ?
                                                         !

                ?

     Beratungsangebote

                                                                                                Betreuungsangebote

Initiiert durch das Familienbüro gibt es ab sofort alle wichtigen Stationen
des familiengerechten Campus in der App der Universität Hamburg!

                                                         In Kooperation mit dem Exzellenzcluster CUI und dem Sonderforschungsbereich SFB 676.
App-Download:       Familienbüro:
                                                                                                    sfb 676
                                                                                                    Teilchen, Strings und das
                                                                                                    frühe Universum – Struktur
                                                                                                    von Materie und Raumzeit
14    campus & co

                h
     Hamburg Open Online university
                                                                                       U
     Digitalisierung ist eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft. Auch die uni-
     versitäre Lehre muss sich ihr stellen. Wie kann die Antwort auf diese Entwicklung aussehen?
     Ein Begriff, der immer wieder fällt: HOOU. Doch was verbirgt sich hinter dem Kürzel? Und was
     bedeutet das neue Angebot für die Studierenden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
     Text: Anna Maria Priebe

     Was bedeutet HOOU?                                                 sondern an alle Menschen mit Interesse an akademischer
     HOOU steht für „Hamburg Open Online University“. An dem            Bildung. Neben Lernformaten, welche gebündelt ein Thema
     Projekt, das im Rahmen der Anfang 2015 verkündeten „Strategie      behandeln, können die Nutzerinnen und Nutzer die Materialien
     Digitale Stadt“ initiiert wurde, sind alle staatlichen Hamburger   auch einzeln bearbeiten. Aktuell gibt es bei der HOOU zehn
     Hochschulen, die Behörde für Wissenschaft, Forschung und           Themengebiete von Kunst und Literatur über Naturwissen-
     Gleichstellung, die Senatskanzlei sowie das Multimedia Kontor      schaft und Mathematik bis Philosophie und Psychologie.
     Hamburg beteiligt.
                                                                        Welche Inhalte steuert die Universität Hamburg bei?
     Was ist das Hauptziel?                                             An der Universität Hamburg werden verschiedene Projektfor-
     Ziel ist es, dass sich auch Menschen, die keinen Zugang zur        men angeboten. Bei den sogenannten Mikro-Projekten geht
     Universität haben, wissenschaftlich fundiertes Wissen aneig-       es um die schnelle Erstellung von digitalen Materialien für die
     nen können. Es sollen neue Lernformate angeboten werden, bei       Lehre, um diese direkt im laufenden Semester verwenden zu
     denen man sich zum Beispiel mithilfe verschiedener Medien          können. In den größeren Projekten werden umfassendere Lehr-
     ein Thema erarbeiten kann. Die Inhalte und Materialien werden      materialien digital umgesetzt.
     nach wissenschaftlichen Kriterien als Open Educational Res-
     sources (OER) erstellt, wobei auf Interdisziplinarität zwischen    Ich studiere und möchte HOOU mitgestalten. Wie geht das?
     Fächern und Hochschulen gesetzt wird. Alles, was man zur Teil-     Studierende können Lehrende ansprechen und sie bitten, mit
     nahme braucht, ist eine E-Mail-Adresse, um sich anzumelden.        einem kurzen Antrag bei HOOU@UHH die Digitalisierung der
                                                                        geplanten Inhalte anzustoßen. Zudem besteht das Medien-
     Werden jetzt alle Vorlesungen ins Netz verlegt?                    produktionsteam der HOOU@UHH aus Studierenden. Hier
     Nein, die digitalen Angebote sollen die Seminare und Vorlesun-     wird die medienproduktionstechnische Kompetenz gebündelt.
     gen sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen. Vorlesungsinhalte      Interessierte Studierende können sich gern bewerben. Wer sich
     können beispielsweise in Lerneinheiten mit Videos, interaktiven    zunächst zu OER im Allgemeinen informieren möchte, ist
     Animationen und Selbstlernkontrollen wie Quiz umgesetzt            beim Projekt „Synergien für Lehren und Lernen durch OER“
     werden.                                                            (SynLLOER) des Universitätskollegs richtig.

     Was wird geboten?                                                  Weitere Informationen:
     Auf der HOOU.de-Plattform finden sich die digitalen Materiali-     www.hoou.de
     en aller teilnehmenden Hochschulen. Momentan gibt es               www.hoou.uni-hamburg.de
     35 Lernangebote, die individuell abgerufen und bearbeitet wer-     uhh.de/hoou-film
     den können. Diese richten sich nicht allein an Studierende,
19NEUNZEHN                                                                                                     15

                                               1
                                               Was: Sternwarte Hamburg
                                               Wo genau: Gojensbergsweg 112
                                               Seit wann: gegründet 1802, seit 1906 in Bergedorf und seit
                                               1968 Teil der Universität
                                               Größe des Standortes: ca. 3,3 Hektar
                                               Forscherinnen und Forscher: 52
                                               (inkl. 25 Doktorandinnen und Doktoranden)
                                               Studiengänge: Bachelor und Master Physik mit dem
                                               Schwerpunkt „Astronomie und Astrophysik“
                                               Studierende in den Studiengängen: 17
                                               Besonderheiten: Die Sternwarte besteht aus insgesamt
                                               15 Gebäuden, die als Gesamtkomplex unter Denkmalschutz
                                               stehen. Der Große Refraktor wird seit September 2017 saniert.

                                               2
                                               Was: Zentrum für Holzwirtschaft
                                               Wo genau: Leuschnerstr. 91
                                               Seit wann: Grundsteinlegung am 18. Januar 1968

neue Serie:                                    Größe des Standortes: ca. zehn Hektar
                                               Forscherinnen und Forscher: 43
                                               (inkl. 23 Doktorandinnen und Doktoranden)

die Universität                                Studiengänge: B. Sc. und M. Sc. Holzwirtschaft (auslaufend),
                                               Bachelor Bioressourcen-Nutzung (ab WS 2018/19) und Master

in der Stadt
                                               of Wood Science (ab WS 2019/20)
                                               Studierende in den Studiengängen: 230
                                               Besonderheiten: Den Campus, auf dem auch das Thünen-
                                               Institut als Kooperationspartner ansässig ist, umgibt ein
Der Hauptcampus der Universität Hamburg        Gehölzpark, auch Arboretum genannt, mit rund 1.500 Arten aus
befindet sich in der Innenstadt am Bahnhof     aller Welt.

Dammtor. Doch auch außerhalb des Von-

                                               3
Melle-Parks gibt es zahlreiche universitäre    Was: Wirtschaftsingenieurwesen
                                               Wo genau: Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW)
Standorte – manche größer, manche kleiner.
                                               Hamburg, Ulmenliet 20
Wir stellen sie in einer neuen Serie vor und   Studiengänge: Hochschulübergreifende Bachelor- und
beginnen im wilden Osten der Stadt,            Masterstudiengänge Wirtschaftsingenieurwesen (HWI) der
                                               Universität Hamburg, der HAW Hamburg und der Helmut-
in Bergedorf. (AMP)                            Schmidt-Universität Hamburg

                          1                                2                                         3
16    campus & co

     Jede Stimme                                                         Akademischer Senat
                                                                         Der Akademische Senat (AS) ist eines der

     zählt!
                                                                         zentralen Gremien der Akademischen
                                                                         Selbstverwaltung. Seine 19 Mitglieder
                                                                         kommen aus allen Gruppen der Univer-                 wählt
                                                                         sität – Professorenschaft, akademisches
     Die Universität Hamburg verwaltet sich selbst,                      und nicht-akademisches Personal sowie
     so steht es im Hamburgischen Hochschulge-                           Studierende. Die Aufgaben des Akademi-
                                                                         schen Senats:
     setz: Alle Mitgliedergruppen – Professoren-
                                                                         • wählt den Präsidenten / die Präsidentin
     schaft, akademisches und nicht-akademisches                         • bestätigt die Vizepräsidentinnen und
                                                                          -präsidenten
     Personal sowie Studierende – kümmern sich
                                                                                                                          bestätigt
                                                                         • beschließt die Grundordnung und
     gemeinsam in der sogenannten Akademi-                                andere Satzungen
     schen Selbstverwaltung um Universitätsthe-                          Der Präsident / die Präsidentin ist beraten-
                                                                         des Mitglied des AS und führt den Vorsitz.
     men. Studierende vertreten ihre Interessen                          Die Mitglieder des AS werden alle zwei
     gegenüber Universität und Öffentlichkeit                            Jahre gewählt, die studentischen jedes Jahr.

     zudem in der Studentischen Selbstverwal-
     tung. 19NEUNZEHN stellt die verschiedenen
     Gremien vor. Texte: Sarah Batelka

        Studierendenparlament
        Das Studierendenparlament (StuPa) ist das höchs-
        te Gremium der Studentischen Selbstverwaltung.
        Es setzt sich für die Interessen aller Studierenden
        ein. Die 47 Parlamentarierinnen und Parlamenta-
        rier werden einmal im Jahr über Listen von allen                  Studierende
        Studierenden gewählt. Das StuPa wiederum wählt
        den AStA und beschließt den Haushalt der Verfassten
        Studierendenschaft. Die StuPa-Wahlbeteiligung lag
        in den vergangenen drei Jahren bei rund 20 %.

        AStA                                                   Fachschaftsräte
        Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) ist        Der Fachschaftsrat vertritt die Studierenden eines Fach-
        die politische Interessenvertretung aller Studie-      bereichs. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Studierenden
        renden der Universität. Er ist ihr Sprachrohr in der   zu Universitätsthemen zu beraten und ihre Interessen in
        Universität, in der Öffentlichkeit und gegenüber       den verschiedenen Gremien der Fakultäten zu vertreten.
        der Politik. Er bietet den Studierenden beispiels-     Gewählt wird er einmal im Jahr von den Studierenden.
        weise kostenlose Rechts-, Sozial-, Studien- und
        BAföG-Beratungen und unterstützt sie bei Proble-
        men im Universitätsalltag. Die rund 70 Personen
        im AStA werden vom StuPa gewählt. Über die
        jährlichen Parlamentswahlen nehmen die Studie-
        renden Einfluss auf seine politische Ausrichtung.
19NEUNZEHN                                                                                                                               17

   Präsidium                                                    Hochschulrat
   Das Präsidium setzt sich zusammen                            Der Hochschulrat hat neun Mitglieder, von
   aus der Präsidentin / dem Präsidenten,                       denen jeweils vier vom Akademischen und
   den Vizepräsidentinnen und Vizeprä-                     gt   Hamburger Senat bestimmt werden; das
   sidenten sowie der Kanzlerin / dem               e stäti     neunte Mitglied wählen die Mitglieder selbst.
                                                  b
   Kanzler. Seit 2010 ist Prof. Dr. Dieter                      Der Hochschulrat
   Lenzen Universitätspräsident (bis 2022).                     • bestätigt die Wahl des Präsidenten / der
   Der Präsident / Die Präsidentin wird für                        Präsidentin.
   sechs Jahre vom Akademischen Senat                           • wählt den Kanzler / die Kanzlerin
   gewählt, die Amtzeit der drei Vizeprä-                       • genehmigt die Grundordnung und die
   sidentinnen und -präsidenten beträgt                            Wirtschaftspläne.
   drei Jahre. Der Kanzler / Die Kanzlerin         wählt        • gibt Empfehlungen zur Profilbildung der                   Hamburger
   leitet die Verwaltung der Universität                           Hochschule und zur Schwerpunktsetzung                         Senat
   und ist Beauftragte/r für den Haushalt.                         in Forschung und Lehre.
   Seine / Ihre Amtszeit beträgt neun Jahre.
   Die Mitglieder des Präsidiums und die
   Dekaninnen und Dekane der Fakultäten
   bilden das erweiterte Präsidium, die
   sogenannte Kammer.

                                                                   Akademisches und
                                                                   nicht-akademisches
                                                                   Personal und
                                                                   Professorenschaft

      Fakultätsräte
      Diese Gremien kümmern sich um Anliegen, die die Fakul-
      täten betreffen. Der Fakultätsrat wählt den Dekan / die
      Dekanin und entscheidet zum Beispiel über die Einrichtung,
      Änderung und Aufhebung von Studiengängen. In diesem
      Gremium sitzen auch studentische Vertreterinnen und
      Vertreter.

                                                                                  Fachbereichsräte
                                                                                  Die Fachbereichsräte verwalten die verschie-
                                                                                  denen Fachbereiche innerhalb einer Fakultät.
                                                                                  In diesem Gremiun sitzen auch studentische
                                                                                  Vertreterinnen und Vertreter.

STUDENTISCHE                                                                                    AKADEMISCHE
SELBSTVERWALTUNG                                                                           SELBSTVERWALTUNG
18   campus & co

     Medizin zwischen
     den Kulturen
     Am UKE lernen
     Studierende
     interkulturelle
     Kompetenz
     Sprachbarrieren, Glaubensunterschiede oder verschiedene Vorstellungen von Krankheit und
     Tod: Globalisierung und Migration stellen Medizinerinnen und Mediziner vor neue Heraus-
     forderungen. Um die Studierenden darauf vorzubereiten, trainiert das Universitätsklinikum
     Hamburg-Eppendorf (UKE) im reformierten Medizinstudiengang „iMED“ die interkulturelle
     Kompetenz. 19NEUNZEHN gibt Einblicke in zwei Seminare. Text: Ellen Schonter

      „Wie fühlen sich Ihre Kopfschmerzen an?         rende in einem Rollenspiel. Sie nehmen        unwohl – weil sie abhängig waren von der
     Drückend, stechend, pulsierend?“, fragt          am Seminar „Kulturelle Diversität in der      Dolmetscherin oder in deren Rolle alles
     der Arzt seinen Patienten. Dieser schaut         ärztlichen Gesprächsführung“ teil – ein       richtig wiedergeben mussten.
     seine Dolmetscherin an. „Welche Art von          Pflichtseminar, das alle Studierenden des
     Kopfschmerzen haben Sie, stechend oder           reformierten Medizin-Studiums „iMED“          „Sie haben gemerkt: Für alle Beteiligten ist
     pulsierend? Wie stark sind sie auf einer         am UKE besuchen müssen.                       eine Dolmetsch-Situation anstrengend“,
     Skala von eins bis zehn?“, fragt sie ihn. „Sie                                                 fasst der Leiter des Seminars, Dr. Mike
     stechen in der Stärke sechs.“ „Stechend          „Es war mühsam, nach jeder Frage warten       Mösko, zusammen. „Zeigen Sie als Arzt
     auf Stärke sechs“, gibt die Dolmetscherin        zu müssen“, erzählt Deniz Mercan später,      Geduld und dosieren Sie die Fragen.“ Und
     weiter. „Nach der Stärke habe ich gar nicht      ein Student aus dem 7. Semester, der die      er rät: „Schauen Sie den Patienten an,
     gefragt“, grinst der Arzt.                       Rolle des Arztes hatte. „Und ich war unsi-    wenn Sie mit ihm sprechen, auch wenn er
                                                      cher, wen ich beim Sprechen anschauen         Sie nicht versteht. Das schafft Vertrauen.“
     Hier sitzen nicht Arzt, Patient und              soll, Dolmetscherin oder Patient.“ Auch die   Mösko ist Psychologischer Psychothera-
     Dolmetscherin, sondern Medizin-Studie-           anderen beiden Studierenden fühlten sich      peut und Leiter der Forschungsgruppe
19NEUNZEHN                                                                                                                                19

                                                                                           oder der Planung von Auslandsaufenthal-
                                                                                           ten. Dabei unterrichten sowohl Ärztinnen
                                                                                           und Ärzte verschiedener Fachbereiche als
                                                                                           auch externe Expertinnen und Experten.
                                                                                           „Dass die Interkulturalität in einem so gro-
                                                                                           ßen Umfang in das Medizinstudium inte-
                                                                                           griert wird, ist eine Seltenheit in Deutsch-
                                                                                           land. Neben dem Pflichtfach zur ärztlichen
                                                                                           Gesprächsführung ist ‚intermed‘ hier einer
                                                                                           der Leuchttürme“, erklärt Claudia Mews.
                                                                                           Die Fachärztin für Allgemeinmedizin hat
                                                                                           „intermed“ mitentwickelt.
Paula Rauschendorf, Dr. Mike Mösko, Deniz Mercan und Claudia Mews (von l. nach r.)

                                                                                           Bestmögliche Versorgung lernen
„Psychosoziale Migrationsforschung“          koppelweg, wo Sie erfasst und nach einem
am „Institut und Poliklinik für Medizini-    festgelegten System verteilt werden.“ Aus-    Für Paula Rauschendorf war die Wahl
sche Psychologie“ des UKE. Neben der         führlich skizziert sie den weiteren Weg: Es   dieses Tracks schnell klar. „Ich habe mich
Gesprächskompetenz bekommen die              folgen Erstaufnahme, Erstuntersuchung,        schon immer für diese Themen interes-
Studierenden im Seminar Einblicke in         Impfung, Anhörung im Amt. „Das passiert       siert“, erzählt die Studentin. In Praxen
die Themen kulturelle Diversität und die     mittlerweile alles innerhalb der ersten       in ganz Deutschland hat die 23-Jährige
Entstehung von Vorurteilen. Der Psycho-      sieben Tage – und danach bekommen             festgestellt: „Es gibt häufig Patienten, die
loge will vom Plenum wissen, welche          die Geflüchteten ihre Gesundheitskarte        aus anderen Kulturen kommen – und ihr
Möglichkeiten Ärztinnen und Ärzte haben,     und damit Zugang zu einer medizinischen       Anteil ist höher als man denkt.“
das gedolmetschte Gespräch positiv zu        Versorgung.“ Die 45-Jährige ist am Ge-
gestalten. „Für den Patienten ist es eh      sundheitsamt Altona für die medizinische      Um mit diesen Patientinnen und Pa-
schwer, deshalb sollte man noch mehr als     Versorgung der Flüchtlinge zuständig und      tienten angemessen umzugehen und
sonst versuchen, langsam zu reden und        unterrichtet am UKE im Wahlpflichtbereich     sie bestmöglich zu versorgen, versucht
Fachbegriffe zu reduzieren“, meint zum       „intermed – Interkulturelle Kompetenz und     Pruskil, den Studierenden ein anderes
Beispiel eine Studentin. Mösko nickt.        internationale Medizin“.                      Verständnis für die medizinische Behand-
                                                                                           lung zu vermitteln: „Manchmal führt der
Für Deniz Mercan ist das Seminar „einfach    Die Wahlpflichtbereiche im Studiengang        Weg zur Diagnose über Verbindungen,
ein Muss. Ich übersetze privat für Freunde   „iMED“, Second Tracks genannt, geben          an die Sie nicht denken. In den Erstunter-
und Angehörige“, erzählt der 24-Jährige.     den Studierenden die Möglichkeit, den         künften kann beim Essen nicht allzu viel
„Deshalb finde ich es unglaublich wichtig,   Bereich der Medizin zu vertiefen, der sie     Auswahl angeboten werden. Das Essen
sich in solche Situationen hineinzuver-      besonders interessiert. Dafür probieren       ist für die Flüchtlinge fremd – das kann
setzen und zu fragen: Welche Schwierig-      die Studierenden in den ersten Semestern      zu Verdauungsbeschwerden, aber auch
keiten treten bei Sprachbarrieren auf?       drei von derzeit 15 Tracks aus – und wählen   zu psychischem Unwohlsein führen.“ Bei
Und was kann ich vor allem tun, um sie zu    dann einen Track, den sie vom 5. bis zum      diesen Ausführungen nickt Paula Rau-
überwinden?“                                 10. Semester belegen; er macht dann pro       schendorf. Am Ende des Seminars sagt
                                             Semester rund 50 bis 60 Unterrichtsstun-      sie: „Natürlich können wir nicht alles wis-
Thematischer Wahlpflichtbereich              den ihres Studiums aus. Im Rahmen des         sen, verstehen oder alle Kulturen kennen.
                                             Tracks „intermed“ lernen die Studierenden     Aber man kann nachdenken: Irgendetwas
Szenenwechsel. 15 Studierende sitzen an      ein breites Spektrum kennen: von der Ver-     stellt sich der Patient anders vor als ich.
Seminartischen zusammen. Die Dozen-          sorgung von Menschen ohne Papiere über        Warum?“ Diese Sensibilisierung, dieses
tin Dr. Susanne Pruskil steht vor einem      kulturelle Unterschiede beim Umgang mit       grundsätzliche Verständnis sei der Kern
Flowchart: „Stellen Sie sich vor, Sie kom-   Tod und Sterben bis zu globalen Gesund-       von „intermed“.
men als Flüchtling in Hamburg an, dann       heitsthemen wie der Vorstellung von
geht es in das Ankunftszentrum im Barg-      international tätigen Hilfsorganisationen

Interkulturelle Kompetenzen lernen
• Studierende der Universität Hamburg können im Rahmen des „Certificate Intercultural Competence (CiC)“ interkulturelle
 Kompetenzen erlernen und sich diese bestätigen lassen: uni-hamburg.de/piasta/cic.html

• International engagieren können sich Studierende zum Beispiel bei PIASTA oder bei den „Buddy Programmen“ der
 Fakultäten. Einen Überblick gibt es hier: uhh.de/interkult-kompetenz
20      Forschen & Verstehen

 Heimatverlust
 in Wort, Bild und Ton
 Wenn Menschen ihre Heimat verlassen müssen, etwa um vor Krieg und
 Gewalt zu flüchten, um wirtschaftlicher Not zu entkommen oder weil sie
 politisch gezwungen werden, wiegt der Verlust schwer. Medien können den
 Betroffenen dabei helfen, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Sechs Forscherin-
 nen und Forscher der Universität Hamburg untersuchen, welche Ausdrucks-
 formen es gibt und wie diese den Menschen helfen. Texte: Ellen Schonter
19NEUNZEHN                                                                                                                         21

                                          in Portugal das diktatorische Regime       einer Auswahl von rund 1.000 Kino- und
                                          abgesetzt und die letzten afrikanischen    Fernsehproduktionen, welche Narrative
                                          Kolonien wie z. B. Angola und Mosambik     sich gebildet haben. Die türkische Ar-
                                          erlangten ihre Unabhängigkeit. Als Folge   beitsmigration infolge des Anwerbeab-
                                          verließen die portugiesischen Siedler      kommens von 1961 wurde zunächst vor
                                          teilweise fluchtartig diese Länder, denn   allem in Dokumentationen thematisiert.
                                          als ehemaligen Kolonisten drohten          Bei Spielfilmen dominierten ab 1970
                                          ihnen Repressalien. Willkommen waren       Sozialdramen, die implizit anklagten,
                                          sie in ihrer alten Heimat aber nicht,      dass ‚die Gastarbeiter‘ nicht integriert
                                          denn Portugal war auf die fast             sind. Mitte der 1980er-Jahre begann die
                                          600.000 Rückkehrer, die ‚Retornados‘,      filmische Innensicht auf migrantisches
                                          wirtschaftlich nicht vorbereitet. Nun      Leben, doch erst der preisgekrönte Film
                                          erscheinen die ersten autobiografisch      ‚Gegen die Wand‘ (2004) von Fatih Akin
                                          geprägten Romane, die diese Flucht the-    rückte Deutschland international als
                                          matisieren – geschrieben von den Kin-      Einwanderungsland in den Fokus. Seitdem
                                          dern der Retornados. Ich untersuche, wie   erscheinen Komödien, die Konflikte hu-
                                          die Erzählungen das Thema behandeln:       morvoll behandeln und Stereotype ironisch
                                          Ein Roman etwa beschreibt dramatische      wenden, die sich Türken über Deutsche ge-
                                          Szenen der Flucht und die Bedrohung        bildet haben und umgekehrt – wie im Film
                                          durch Waffengewalt, ein anderer trauert    ‚Almanya – Willkommen in Deutschland‘
                                          sehnsüchtig der Kolonialzeit hinterher.    (2011). Solche augenzwinkernden Filmnar-
                                          Das Besondere ist, dass einige Auto-       rative sind besonders geeignet, Migration
                                          ren in ihren Texten den Rassismus der      als ‚geteilte Erfahrung‘ zu vermitteln: Sie
                                          eigenen Eltern anprangern – mal auf        regen dazu an, sich in andere hineinzu-
                                          humoristisch-subtile Weise wie Isabela     versetzen.
                                          Figueiredo, mal recht offen und direkt
                                          wie Dulce Maria Cardoso. Gemeinsam
                                          ist den Romanen, dass sie nicht nur der    Graphic Novels
                                          persönlichen Verarbeitung eines trauma-    „The Arrival“ von Shaun Tan
                                          tischen Ereignisses dienen, sondern auf
                                          die gesellschaftliche Aufarbeitung des     Prof. Dr. Astrid Böger, Professorin für
                                          Themas abzielen – damit brechen sie ein    Amerikanistik
                                          langjähriges Tabu.
                                                                                     Um Traumata wie Fluchterfahrungen zu
                                                                                     verarbeiten, werden Graphic Novels und
                                          Film                                       ihre Möglichkeiten der Visualisierungen
                                          Migration im deutsch-türkischen und                               von Künstlern und
                                          türkischen Film                                                   Lesern gleicher-
                                                                                                            maßen als sehr
                                          Prof. Dr. Ortrud Gutjahr, Leiterin der                            bereichernd emp-
                                          Arbeitsstelle Interkulturelle Literatur-                          funden. Dabei stellt
Literatur                                 und Medienwissenschaft                                            sich die Frage: Gibt
Erzählungen der Retornados in Portugal                                                                      es eine universel-
                                          Mit rund drei Millionen Menschen ist                              le Erfahrung von
Prof. Dr. Martin Neumann, Professor für   die aus der Türkei stammende Bevölke-      Migration und wie kann man sie dar-
französische und portugiesische Litera-   rungsgruppe die größte Minderheit in       stellen? Oft wird auf die Graphic Novel
turwissenschaft                                                 Deutschland. Das     ‚The Arrival‘ des Australiers Shaun Tan
                                                                Erzählen von ihrer   als Beispiel verwiesen. Die Geschichte
                    In den vergangenen                          Zuwanderung steht    erzählt von einem Vater, der ins Ausland
                    zehn Jahren erle-                           paradigmatisch für   emigriert und seine Familie nachholt –
                    ben wir in Portugal                         den Aufbau einer     und zeigt damit ein breites Spektrum
                    die literarische                            gemeinsamen          an Fluchterfahrungen. Dazu kommt:
                    Verarbeitung eines                          Erinnerungskultur.   Zwar wollen die meisten Graphic Novels
                    Traumas. Im Zuge                            Das Medium Film      allgemein verständlich sein, aber ‚The
                    der Nelkenrevolu-     erreicht dabei besonders breite Bevölke-   Arrival‘ kommt komplett ohne Sprache
                    tion 1974 wurde       rungsteile, daher untersuche ich anhand    aus. Das Gefühl der Fremdheit vermittelt
22   Forschen & verstehen

     Tan vielmehr durch eine Kombination          treibung – sie öffentlich zu diskutieren,       Sprache und sehr unmittelbar Emotio-
     aus fotorealistischen Zeichnungen und        war offenbar nicht konsensfähig. Die            nen wie Verzweiflung darzustellen, aber
     Fantasy-Elementen: Manche Szenen             westdeutschen öffentlich-rechtlichen            auch Widerstand zu mobilisieren.
     erinnern an vertraute Motive wie die         Sender mussten sowohl Flüchtlinge als
     Skyline von New York, werden aber zum        auch die aufnehmende Gesellschaft
     Beispiel durch unbekannte Fantasie-Tiere     ansprechen; dabei war die akustische            Theater
     verfremdet. Meine Forschung hat auch         Eigenheit des Mediums Radio wichtig:            Exilstück „Jacobowsky und der Oberst“
     gezeigt, dass Shaun Tan das Mittel der       Sendungen wechselten zwischen den               zur NS-Zeit
     visuellen Assoziation verwendet: Ein         Dialekten von Vertriebenen und dem
     Objekt taucht in der Erzählung mehr-         Hochdeutschen – und wurden so zum               Prof. Dr. Doerte Bischoff, Leiterin der
     fach auf und wird dadurch mit immer          Kultur- und Sprachtrainer für beide             Walter A. Berendsohn Forschungsstelle
     mehr Bedeutung aufgeladen. Für das           Seiten. Das konnte damals kein anderes          für deutsche Exilliteratur
     Verständnis braucht man vor allem            Medium so gut leisten.
     Emotionen – das befördert ein empathi-                                                       Mindestens 1.000 Theaterkünstlerin-
     sches Lesen. Graphic Novels können so                                                        nen und -künstler flüchteten während
     zu Verständigungs- oder auch Heilungs-       Musik                                           der NS-Zeit zunächst in europäische
     prozessen beitragen.                         Exilkompositionen aus der NS-Zeit               Länder und von dort aus in die USA.
                                                                                                  Besonders interessant für die Forschung
                                                  Prof. Dr. Friedrich Geiger, Leiter des Insti-   werden Theaterstücke dadurch, dass
     Radio                                        tuts für Historische Musikwissenschaft          sie oft schneller auf aktuelle Ereignisse
     Flucht und Vertreibung in deutschen                                                          reagieren können als etwa Bücher, die
     Hörfunkprogrammen 1945–1961                  Während des Nationalsozialismus flohen          erst publiziert werden müssen. Zum
                                                  viele Musikerinnen und Musiker aus              Beispiel behandelt das Stück ‚Jacobow-
     Dr. Alina Tiews, wissenschaftliche Mitar-                           Deutschland und          sky und der Oberst‘, das der jüdische
     beiterin an der Forschungsstelle Medien-                            den besetzten Län-                              Schriftsteller Franz
     geschichte des Instituts für Medien und                             dern. Es entstand                               Werfel (1890–1945)
     Kommunikation                                                       ein umfangreiches                               im US-Exil schrieb,
                                                                         Repertoire an                                   bereits Anfang der
     Am Ende und in der Folge des Zweiten                                Exilkompositionen,                              1940er-Jahre eine
     Weltkriegs verließen rund 14 Millionen                              womit gemeint                                   Odyssee von Flucht
     Deutsche ihre Siedlungsgebiete im östli-                            ist: Flucht und Exil                            und Neuanfang.
     chen Europa und den östlichen Teilen des     haben Spuren in den Musikstücken hin-                                  Das Theater im
     damaligen Deutschen Reichs – entweder        terlassen. Das kann auf offensichtliche         Exil verfolgt dabei häufig zwei Absich-
     flüchteten sie vor der Front, wurden         Weise passieren, wenn in Texten oder            ten: die alte, vom Nationalsozialismus
     nach Kriegsende von Milizen vertrieben       Handlungen die NS-Zeit benannt wird,            bedrohte Kultur des Heimatlandes zu
     oder nach dem Potsdamer Abkommen             aber auch durch Akkulturation, also             bewahren und gegen den Faschismus
     zwangsumgesiedelt. Etwa 12 Millionen         die Anpassung der eigenen Musik an              Position zu beziehen. Auch ‚Jacobow-
     von ihnen kamen im geteilten Nach-           die Kultur des Exillandes. Ein typisches        sky und der Oberst‘ tut dies – aber auf
     kriegsdeutschland an – und der Kultur-       Phänomen von Exilmusik ist die Klage            besondere Weise. Im Stück flüchten
     schock war groß. Ich untersuche, wie der     um den Verlust der Heimat, die in Genres        zwei gegensätzliche Figuren vor den
     damalige Rundfunk diese Situation the-       wie der Elegie oder der Trauermusik zum         Nationalsozialisten: Jacobowsky, ein
     matisierte. Bei den Sendungen zwischen       Ausdruck kommt. Die Forschung zeigt             Jude, der aus seiner Heimat Polen und
     1945 und 1961 lassen sich drei Schwer-       beispielsweise auch: Manche Komponis-           anderen Ländern vertrieben wurde,
     punkte erkennen: zum einen die Ankunft       ten zitieren Musik von Johann Sebastian         und Oberst Stjerbinsky, ein glühend
                            der Flüchtlinge,      Bach, um Deutschland als Musiknation            nationalistischer und antisemitischer
                            etwa mit Berichten    statt NS-Diktatur zu betonen. Typische          Pole. So macht Werfel deutlich, dass es
                            aus Flüchtlings-      Exilstücke können auch Protestwerke             innerhalb der Flüchtenden verschiedene
                            lagern. Andere        sein: Béla Bartók illustriert im ‚Konzert       Gruppen und Selbstverständnisse gibt.
                            Sendungen, vor        für Orchester‘ zunächst Schlachtenlärm,         Die Inszenierungsgeschichte des Stücks
                            allem westdeut-       bevor eine Fanfare an George Gershwins          zeigt auch: Theater kann Transnationali-
                            sche, erinnerten      ‚An American in Paris‘ erinnert – ein           tät zum Beispiel darin ausdrücken, dass
                            mit Texten, Liedern   Ausdruck der Hoffnung, dass die USA im          die jeweilige Herkunft der Mitspielenden
     oder Länderberichten an die alte Heimat      besetzten Paris einmarschieren mögen.           sichtbar bleibt.
     der Flüchtlinge und Vertriebenen. Sehr       Mit kompositorischen Mitteln lassen
     wenige Sendungen behandelten die             sich also klare Botschaften senden und
     Gewalterfahrungen bei Flucht und Ver-        Musik hat als Kunstform die Kraft, ohne
19NEUNZEHN                                                                                                                       23

Name: Tobias Nowitzki                                            Wie läuft ein Zauberritual ab?
                                                                 Das steht im Papyrus: Zuerst werden die benötigten Gegen-
Titel meiner Dissertation: „Antike Ritualmagie: Die Rituale      stände und Zutaten genannt, dann folgen Handlungen, die
der ägyptischen Zauberpapyri, ihre Beziehung zur altägypti-      während des Zaubers ausgeführt werden müssen, etwa:
schen und jüdischen Magie sowie der griechisch-lateinischen      ‚Blicke nach Osten‘. Zuletzt folgt der Zauber selbst, also
Literatur“                                                       die Worte, die gesagt, geschrieben oder gesungen werden
Mein Material: rund 320 griechischsprachige Zauberpapyri         müssen.
aus dem spätantiken Ägypten
Ort des Schaffens: Zentralbibliothek „Philosophie, Geschichte    Und wie sieht ein Zauberpapyrus aus?
und Klassische Philologie“                                       Die Papyri können kleine Papierfetzen mit wenigen Worten
                                                                 sein, aber auch 20-seitige Handbücher. Durchschnittlich ist
Wie erklären Sie Ihrer Oma Ihr Forschungsthema?                  ein Zauberritual etwa eine DIN-A4-Seite lang. Die Zauber-
Vorstellungen von Magie hat es schon vor hunderten von           sprüche sind meist auf Griechisch geschrieben, da sich seit
Jahren gegeben – ebenso wie Berufsmagier, die versprochen        der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen 332 vor
haben: „Ich kann gegen Geld deine Probleme mit Magie             Christus Griechisch als Amtssprache verbreitet hatte.
lösen.“ Wie genau diese Zauber früher abliefen, zeigen uns       Die meisten Papyri stammen aus dem 3. bis 4. Jahrhundert
überlieferte Anleitungen, die ich untersuche.                    nach Christus.

Wie untersuchen Sie den Forschungsgegenstand?                    Welcher Spruch hat Sie besonders beeindruckt?
Zunächst systematisiere ich den Bestand dieser Zauber-           Kein konkreter, aber überrascht war ich von der Gewalt und
papyri. Fragen sind dabei zum Beispiel: Wie liefen die Rituale   den brutalen Details der Zaubersprüche. Ein Spruch soll
ab? Welche Anweisungen gibt es? Welche Götter tauchen            etwa eine Frau am Schlaf hindern, bis sie daran stirbt – eine
auf? Später werde ich den Bestand mit anderen Schriften ver-     Vorstellung, die sehr an Foltermethoden erinnert und einiges
gleichen und untersuchen, wie sich der ägyptische Ritualbe-      über die Rachsucht des betreffenden Menschen aussagt.
stand in späteren literarischen Darstellungen wiederfindet,      Man kann sich sehr gut die Emotionen vorstellen, die hinter
zum Beispiel in Texten des antiken römischen Dichters Ovid       solchen Sprüchen stecken. Wenn man die Zauberpapyri un-
oder dem jüdischen ‚Buch der Geheimnisse‘.                       tersucht, ist man sehr nah bei den damaligen Menschen.

Welche Probleme sollten damals mit Magie gelöst werden?          Mal ehrlich: Haben Sie selbst einen Spruch ausprobiert?
Die Rituale versprachen eine Lösung für jede Art von Prob-       Nein, das wäre wissenschaftlich unredlich (lacht). Aber das
lemen und alle Lebensbereiche, Schichten und Preisklassen:       könnte ich auch nicht. Viele Zutaten gibt es heute nicht
Beliebt waren Wahrsagungen für die Zukunft, besonders die        mehr. Aber man kann die Zaubersprüche in den Büchern der
Bestimmung des eigenen Todestages. Viele Zauber sollten          Staatsbibliothek anschauen – hochspannend!
Feinde verletzen oder töten; im Gegenzug waren auch Heil-
oder Schutzzauber beliebt. Männliche Kunden nutzten oft
Liebeszauber, es gab aber auch Lösungen für Alltagsproble-       Eine Langfassung des Interviews unter:
me, etwa bei Insektenbefall im Haus.                             uhh.de/zauberpapyri
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