Heimat - Universität Hamburg
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Magazin der Universität Hamburg Ausgabe 10 / April 2018 Heimat bedeutet für jede und jeden etwas anderes. Doch was? Wie findet man sie? Und wie kann man ihren Verlust verarbeiten? Ein Schwerpunktheft neue serie Richtige wahl?! Alumni-Interview Promovierende stellen Warum Studienzweifel Kiez-Urgestein Corny ihre Projekte vor eine Chance sein können Littmann im Gespräch
HAMBURG STIPENDIUM für Chancengleichheit 2018: Für Studierende mit Migrations- oder Fluchthintergrund HAMBURG STIPENDIUM Infos & Bewerbung unter: www.studierendenwerk-hamburg.de ↷ Finanzen ↷ Stipendien Eat&Meet | Wohnen | Studienfinanzierung | Soziales&Internationales w w w.studierendenwerk-hamburg.de
03 15 Jahre Jubiläum für die Kinder-Uni: Zum 15. Mal konnten Kinder im Alter Die Veranstaltung wird seit 2013 zusammen mit der Claussen- zwischen acht und zwölf Jahren im Herbst 2017 bei extra für sie kon- Simon-Stiftung, „GEOlino“, der ETV KiJu (gemeinnützige GmbH, Toch- zipierten Vorlesungen Universitätsluft schnuppern und Interessantes tergesellschaft des Eimsbütteler Turnverbandes e. V.) sowie den Ham- aus der Forschung erfahren. In den vergangenen 15 Jahren gab es burger Unternehmen Euler Hermes Deutschland und Jungheinrich 84 Vorlesungen, die von insgesamt 67.200 Kindern besucht wurden. AG ausgerichtet. Im Herbst 2018 geht es weiter. NEUNZEHN ist das Magazin der Universität Hamburg. Für diesen Namen gibt es einen historischen Grund: 1919 wurde die Universität Hamburg gegründet – als erste Universität in Deutschland durch parlamentarischen Beschluss.
INHALT 08 Das „Heim“ in „Heimat“ ist für to Huus, dahoam, Zuhause, Heimat. Für manche ist es ein Gefühl oder ein Dialekt, für andere ein lieber Mensch, ein besonderes Essen oder ein Ort. Studierende oft Manchmal ist es auch einfach die eigene Wohnung. schwer zu finden. Drei von ihnen Doch die zu finden, ist für Studierende oft schwer. berichten, wie 19NEUNZEHN versucht in diesem Heft eine Annähe- sie wohnen und wie sie die Suche rung an das Thema „Heimat“, lässt Studierende und erlebt haben. einen Alumnus von ihren Erfahrungen und Lieblings- plätzen in Hamburg berichten und fragt, was es für Menschen bedeutet, wenn sie nicht das Privileg ha- ben, ihren Wohnort frei zu wählen, sondern gezwun- gen sind, ihre Heimat zu verlassen. 20 Wie verarbeitet man das Trauma, wenn man gezwungen wird, seine Heimat zu verlassen? Sechs Forschungspro- jekte untersuchen, was 34 Der Kiez ist seine Heimat: Cornelius „Corny“ Littmann steht für Hamburg wie kaum ein anderer. In 19NEUNZEHN erzählt Medien dazu beitragen der Alumnus, was seine können. Wahl-Heimat ausmacht.
Kurz & Knapp Studium & Dann 06 Kurzmitteilungen aus der Universität 34 Alumnus und Kiez-Legende: Corny Littmann im Interview Campus & Co 36 Bleiben oder Wechseln: Über Studienzweifel und darüber, wie man mit ihnen umgeht 08 Meine vier Wände: Drei Studierende berichten & Wie lebten Studierende früher? 11 Wir lassen Zahlen sprechen: Hin & Weg Studentisches Wohnen in Hamburg 38 Von einem, der herkam ... 12 Campus-Umfrage: Was ist dein Lieblingsplatz – ... aus Schottland in Hamburg und an der Uni? 39 Von einer, die wegging ... 14 HOOU: die wichtigsten Fragen und Antworten ... nach Spanien zur Hamburg Open Online University 15 Neue Serie: Die Universität Hamburg in der Damals & Heute Stadt – der wilde Osten 40 Serie „Namenspatenschaft“: 16 Jede Stimme zählt: 19NEUNZEHN stellt die Anna Siemsen Gremien der Universität Hamburg vor 42 Universitätswerdung in vier Akten. 18 Medizin zwischen den Kulturen: Studierende Erster Akt: Akademisches Gymnasium lernen interkulturelle Kompetenzen 43 Der Countdown läuft: Der aktuelle Stand der Planungen zum Universitätsjubiläum 2019 Forschen & Verstehen 44 Personifizierte Geschichte²: Zwei Professoren im Ruhestand berichten von ihren Erinnerungen 20 Forschungsprojekte zum Exil: Heimatverlust in Wort, Bild und Ton 46 Wundertüte Universität: Wissen vom Fass 23 Neue Serie „Titel, Thesen, Promotionen“: Teil 1: Antike Zaubersprüche Preise & Förderungen 24 Exzellenzstrategie: die Forschungsschwerpunkte 48 Auszeichnungen für Universitätsmitglieder der Universität Hamburg 28 Steinharte Forschung: die Geologisch- Paläontologische Sammlung Wann & Wo 30 Bild der Forschung: 51 Termine im Sommersemester Mangroven-Inventur auf Fidschi 31 5 Fragen an ... 54 Impressum ... Chemikerin Johanna Huchting 32 Archäologie der Gegenwart: Grabungsprojekt im Wendland 40 Anna Siemsen versuchte nach dem Krieg, in Ham- burg eine neue Heimat zu finden, nachdem sie unter den Nationalso- zialisten ins Exil flüch- ten musste. Über eine schwierige Rückkehr.
06 KURZ & KNAPP Neuer Besucherrekord bei der 7. Nacht des Wissens Zusammen mit mehr als 50 weiteren wissenschaftlichen Einrich- tungen aus Hamburg, der Metropolregion und Norddeutschland öffnete die Universität Hamburg in der Nacht des Wissens am 4. November 2017 zum siebten Mal ihre Türen. Mehr als 13.000 Gäste besuchten hier die rund 130 Experimente, Mit- machaktionen, Vorträge und Workshops für Erwachsene und Kinder. Die Themen reichten von Medizin und Gesundheit über Kunst und Kultur bis Natur und Technik. 32.000 Besucherinnen und Besucher der Nacht des Wissens 2017 wurden insgesamt gezählt – ein neuer Rekord! Verhaltenskodex zur Religionsausübung für friedliches und respekt- volles Miteinander Seit Oktober 2017 gilt der „Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg“. Er soll – zusammen mit der dazugehörigen Ausführungsbestimmung des Präsidiums – das respektvolle und Kultur kompakt: Neue Webseite für friedliche Miteinander aller Universitäts- Kulturangebote der Universität mitglieder bei der Ausübung verschiedener Glaubensüberzeugungen regeln. Er betont, Konzerte, Talkrunden, Sammlungen – das Kulturangebot der dass die Universität Hamburg als säkulare Universität Hamburg ist vielfältig und reicht bis in die Stadt hinein. Institution den Methoden und Standards Eine neue Website präsentiert dies nun auf einen Blick. Unter der wissenschaftlicher Forschung und Lehre Dachmarke „Uni(hoch)Kultur“ findet man alles, was an der Univer- verpflichtet sei, sodass die Ausübung sität oder im wechselseitigen Austausch mit Kultureinrichtungen religiöser Freiheit dort ende, wo der der Stadt entsteht – von Theater und Chor über Stückdiskussionen wissenschaftliche Auftrag der Universität bis zu Ticket-Sonderkonditionen für Studierende. Hamburg beeinträchtigt oder gefährdet sei. Mit der Erstellung des Kodex hatte die Im Unikontor der Universität Hamburg bekommen Studierende Universität Hamburg eine zehnköpfige vergünstigte Karten ab fünf Euro für Hamburger Theater. Die Ver- Expertenkommission unter Vorsitz von kaufszeiten sind bis auf weiteres: dienstags 13–15 Uhr (für Thalia Prof. Dr. Birgit Recki beauftragt. Theater und Staatsoper Hamburg) und mittwochs 13–15 Uhr (für Deutsches Schauspielhaus und Kampnagel). Das Unikontor ver- kauft auch Tickets für die Universitätsmusik, das Kalliope-Theater, die University Players und das Format „Wahnsinn trifft Methode“. Newsletter und weitere Informationen: uhh.de/unihochkultur Texte: VG
19NEUNZEHN 07 Deutschlandstipendien 2018 vergeben Ein Grund zum Feiern: Am 31. Januar wurden die diesjährigen Deutschland- stipendien an 128 Studierende der Universität Hamburg verliehen. Bei der Feier kamen die Stipendiatinnen und Stipendiaten mit ihren Förderinnen und Förderern zusammen und lernten sich auch untereinander kennen. Insgesamt nahmen 190 Gäste teil. Das Programm „Deutschlandstipendium“ startete 2015 mit 26 Stipendien. Die Stipendien werden jeweils zur Hälfte vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Land Ham- burg sowie privaten Geldgeberinnen und -gebern finanziert. Zu Letzteren Drei Deutschlandstipendiatinnen und zählen Unternehmen und Stiftungen, Professorinnen und Professoren sowie -stipendiaten des Europa-Kollegs Hamburg Alumni-Vereine der Universität. Die Geförderten sowie die Förderinnen und Förderer haben die Möglichkeit, an einem umfangreichen Begleitprogramm teilzunehmen. Entscheidend für die Förderung ist auch das gesellschaftliche Engagement der Bewerberinnen und Bewerber. Bei der Feier berichteten exemplarisch vier der Geförderten über ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten bei „#UHHhilft“, dem Debattierclub Hamburg, der Johanniter Unfallhilfe und dem Publikumsorchester der Elbphilharmonie. Mehr Informationen: uhh.de/d-stipend Kooperation mit dem ? Hamburger Abendblatt ? Anlässlich des Universitätsjubiläums im kommenden Jahr machen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Hamburg daran, die 100 wichtigsten Fragen des Lebens zu klären. Was ist gute Erziehung? Warum Die 100 größten Fragen gibt es Kriege? Und wann müssen wir die Erde verlassen? In Kooperation mit dem Hamburger Abendblatt gibt es Antworten – jeden Samstag im großen Inter- view in der Zeitung und danach zum Hören im Podcast: uhh.de/100-fragen des Lebens Mutterschutzgesetz gilt jetzt auch für Studentinnen Zum 1. Januar 2018 ist das neue Mutterschutz- gesetz in Kraft getreten – und gilt jetzt auch für ews F a k e N e f t ev e r ? Studentinnen, Schülerinnen und Praktikantinnen, wenn die jeweilige Ausbildungsstelle Ort, Zeit stes H gefragt: und Ablauf von Veranstaltungen verpflichtend o der Be t ng is N? Meinu NZEH vorgibt. Damit sie die Rechte nach dem Mutter- Deine 19N EU d u d ie lt dir? fi ndest ? W as feh t? schutzgesetz in Anspruch nehmen können, sollten W ie Inhalt e gefreu e n d ir die e im Lesen Studentinnen eine Schwangerschaft so früh wie Gefa ll dich b ast du möglich gegenüber der Universität anzeigen. wo r über h rage: Und r Umf Mehr Informationen zum Thema und zur Antrags- ht’s zu ik ttkrit r g e Hie stellung unter: uhh.de/mutterschutz e/bla uhh.d
08 Campus & Co My home is my castle Der Immobilienmarkt in Hamburg ist einer der teuersten in Deutschland. Das macht die Wohnungssuche auch für Studierende oft zum Kampf. Wie also wohnen – „all inclusive“ im „Hotel Mama & Papa“, mit Münz-Wasch- maschine im Wohnheim, mit Putzplan in der WG oder doch im eigenen Appartement? In 19NEUNZEHN berichten drei Studierende von ihren Erfahrungen. Texte: Michelle Bruhn Bevor ich im vergangenen Wintersemester mit meinem Studium an der Universität Hamburg begonnen habe, habe ich mein Abi- tur in Berlin nachgeholt und dort eine lange Zeit in einer Wohn- gemeinschaft gelebt. Jetzt wollte ich mal wieder alleine wohnen. Auf der Internetseite des Studierendenwerks Hamburg bin ich im Frühling 2017 im Rahmen einer BAföG-Recherche auf den Neubau des Studierendenwerks in Neuallermöhe gestoßen. Hier waren Einzel-Appartements geplant – und damit genau das, was ich wollte. Nach einer Online-Bewerbung beim Studierendenwerk im Sommer 2017 bekam ich schnell eine Zusage und konnte im September einziehen. Als Alternative habe ich mich auch über ein privates Studentenwohnheim in Wilhelmsburg informiert, das aber aufgrund der Mietkosten von mehr als 500 Euro ausschied. Zudem habe ich eine WG besichtigt. Insgesamt habe ich die Wohnungssituation in Hamburg als entspannt empfunden; das lag aber auch an der Zeit: Ich habe mich früh um eine Wohnung gekümmert und konnte mich so schon im Frühling in die Vormerkliste des Studierendenwerks eintragen. Ein wichtiger Faktor bei der Wohnungssuche war für mich wie gesagt das Einzel-Appartement – und die Mietpreise René Schott (26) des Studierendenwerks sowie der Neubau sind unschlagbar; die Weglänge zur Uni war für mich dann zweitrangig. Besonders po- Studiengang: B. Sc. Meteorologie sitiv für Neulinge in Hamburg ist die Möglichkeit, im Wohnheim Wohnform: Einzel-Appartement im Wohnheim schnell Kontakte zu knüpfen – auch zu Studierenden aus anderen Stadtteil: Neuallermöhe Studiengängen. Bei uns findet in den zahlreichen gemeinsamen Quadratmeter-Zahl: ca. 20 m² Räumen ein reges Gemeinschaftsleben statt. Daher bin ich mit Miete im Monat: 356 € meiner Wohnform absolut zufrieden und möchte – zumindest Weg zur Uni in Minuten: 30 Minuten mit S- und U-Bahn vorerst – nicht umziehen.
19NEUNZEHN 09 Imke Knopp (23) Studiengang: B. A. Systematische Musik- wissenschaft Wohnform: Eigene Wohnung Stadtteil: Dulsberg Quadratmeter-Zahl: 36 m² Miete im Monat: 380 € Weg zur Uni in Minuten: 20 Minuten mit der U-Bahn Obwohl ich schon zum Wintersemester 2013/14 angefangen dann schon mal mit 500 Bewerbern auf einer Liste. Also braucht habe, in Hamburg zu studieren, wohne ich erst seit dem vergan- man entweder Glück oder man muss die richtigen Leute kennen. genen Jahr in meiner Wohnung. Davor habe ich bei meinen Eltern Meine Wohnung, die ich durch den Tipp einer Freundin gefunden gewohnt, die auch in Hamburg leben. Meine Wohnungssuche habe, ist eine Genossenschaftswohnung, für die sich deutlich war sehr breit angelegt: Ich habe mir viele Wohngemeinschaften weniger Interessenten beworben haben als auf dem freien und Ein-Zimmer-Wohnungen angesehen. Wichtige Faktoren wa- Wohnungsmarkt. Ich muss eine Miete und Genossenschaftsan- ren für mich ein guter Zustand der Wohnung – während meiner teile bezahlen, wodurch meine Miete aber günstiger ist als bei Suche habe ich einige echt heruntergekommene Wohnungen ‚normalen‘ Wohnungen. gesehen –, dass die Wohnung nicht zu klein ist, ich mich dort An meiner Wohnung schätze ich besonders, dass ich mein eige- wohlfühle und dass sie nicht zu weit von der Uni entfernt ist. ner Herr bin, ich muss mich mit niemandem abstimmen; dafür muss ich aber die Nebenkosten alleine tragen. Wenn sich die Die Wohnsituation in Hamburg habe ich während meiner Suche Chance ergeben würde, noch näher an der Uni zu wohnen, würde als sehr angespannt empfunden. Es ist schwierig, eine Wohnung ich umziehen. Gegebenenfalls auch in eine WG, wenn ich mich zu bekommen, besonders als Studentin oder Student. Wenn man gut mit den Mitbewohnern verstehen würde. Momentan bin ich eine interessante und bezahlbare Wohnung findet, steht man aber sehr zufrieden mit meiner eigenen Wohnung. Lena Schirmer (23) Studiengang: Medizin Wohnform: 2er-Wohngemeinschaft Stadtteil: Lokstedt Quadratmeter-Zahl: 17 m²-Zimmer in einer 63 m² großen Wohnung Miete im Monat: 425 € (pro Person) Weg zur Uni in Minuten: 15 Minuten zu Fuß
10 campus & co Ursprünglich wollte ich mit zwei Freundinnen eine WG gründen – das an der Uni und auf Facebook gesucht. Wir sind beide Studenten war zum Studienbeginn 2014/15. Bei der Suche haben wir uns und zu unterschiedlichen Zeiten zu Hause, aber keine Zweck- sehr breit aufgestellt und sowohl Immobilien-Portale im Inter- WG. Wir verstehen uns sehr gut und kochen auch gemeinsam. net und Zeitungen durchforstet als auch Zettel ausgehängt. Wir haben zwar passende Wohnungen gefunden, aber eine neue Ein wichtiger Faktor für mich war die Distanz zur Uni. Nach zwei WG zu gründen, ist schwierig bis unmöglich, vor allem wenn Jahren pendeln und einem Anfahrtsweg von mehr als einer sich auch junge Familien und Paare bewerben. Jede von uns hat Stunde wollte ich in weniger als 30 Minuten an der Uni sein. Der dann nach einer eigenen, schon bestehenden WG gesucht. Bis kurze Weg ist jetzt definitiv ein Vorteil meiner WG. Ich finde es ich mein WG-Zimmer vor einem Jahr gefunden habe, habe ich sehr entspannt, an langen Uni-Tagen zwischendurch nach Hause bei meinen Eltern in Niedersachsen gelebt. gehen zu können bzw. umgekehrt schnell Bücher ausleihen und Insgesamt empfand ich die Wohnungssuche in Hamburg als Materialien besorgen zu können. Ein kleinerer Nachteil ist die sehr schwierig, besonders als Studentin oder Student ohne re- eigene Haushaltsführung, aber dafür habe ich auch mehr Zeit, in gelmäßiges Einkommen. Meine jetzige Wohnung habe ich nach der ich vorher gependelt bin. Leider ist die Miete sehr hoch und diversen Anfragen auf ‚wg-gesucht.de‘ entdeckt. Ich schrieb ich muss dadurch mehr nebenbei arbeiten. Für meine restliche eine E-Mail, wurde zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen Studienzeit von zweieinhalb Jahren ist das aber die perfekte und nach zwei, drei Tagen hatte ich eine positive Rückmeldung. Wohnung; danach werde ich voraussichtlich umziehen. Eigentlich wurde nur ein neuer Mitbewohner gesucht, dann zogen aber beide aus und ich wohnte erst einmal alleine. Nach Mehr Informationen und Tipps zum Thema Wohnen unter: meinem neuen Mitbewohner habe ich durch Zettel-Aushänge uhh.de/wohnen Wohnen historisch den wurde ein kleiner privater Wohn- raum zugestanden; in den zahlreichen wie lebten Gemeinschaftsräumen fand ein reges – insbesondere wissenschaftliches – Sozi- alleben mit engem Kontakt zu den Hoch- Studierende schulorganen statt. Dozentinnen und Dozenten der Universität begleiteten die früher? Studierenden auch im Wohnheim. 1963 wurde diesem „Kollegienhaus-Plan“ vom Verband Deutscher Studentenschaften Nach dem Ersten Weltkrieg herrsch- der Entwurf eines „Studentenwohnhau- te Wohnungsnot: Es gab nur wenige ses“ gegenübergestellt. Der Fokus sollte Neubauten und die Mietkosten waren darauf liegen, mehr Privatsphäre zu sehr hoch. Wohnheime waren eine schaffen; man setzte daher vor allem auf günstigere Alternative, einige Studie- Einzel- statt auf Mehrbettzimmer; zu- rende wohnten zur Untermiete oder dem sollten die Wohnheime in studenti- in „primitiven Wohnungen“ wie Fenja sche Selbstverwaltung gestellt werden. Britt Mens in ihrem Buch „Zur ‚Not der geistigen Arbeiter‘: die soziale und Während 1967 noch 36 % der Hamburger Kollegzimmer einer Studentin in den wirtschaftliche Lage von Studierenden Studierenden zur Untermiete wohn- 1950er-Jahren in der Weimarer Republik am Beispiel ten, wird diese Wohnform heute kaum Hamburgs“ schreibt. Studentinnen seien genutzt (1 %). Die Zahl der Studierenden, Jahren hat sich eine neue Wohnform bei der Wohnungssuche oft diskriminiert die bei den Eltern leben, hat sich in den etabliert, die 1967 noch nicht statistisch worden und hätten daher häufiger als vergangenen 50 Jahren fast halbiert – erfasst wurde: die Wohngemeinschaft. Studenten bei den Eltern gewohnt. von 37 % auf 20 %. Dafür stieg die Zahl Bis Ende der 1960er- und Anfang der der Studentinnen und Studenten mit 1970er-Jahre konnten Vermieterinnen Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg einer eigenen Wohnung: Während 1967 und Vermieter – auch strafrechtlich – der Bau der Studierendenwohnheime nur ca. 12 % diese Wohnform wählten, belangt werden, wenn sie eine Wohnung infolge der rasant wachsenden Zahl der waren es 2017 insgesamt knapp 40 %, an mehrere nicht gleichgeschlechtliche, Studierenden an. Ursprünglich wurden die alleine oder mit einem Partner bzw. unverheiratete Personen vermieteten die Wohnheime als Kolleg angesehen, einer Partnerin wohnten. Das Studen- (Straftatbestand der Kuppelei). Heute ist also als Bestandteil der Universität mit tenwohnheim wird mit ca. 8 % immer diese Wohnform mit 31 % sehr populär. eigenem Bildungsprofil. Den Studieren- noch gleich stark gewählt. Und mit den (MB)
19NEUNZEHN 11 Wir lassen Zahlen sprechen: Studentisches Wohnen Als Studentin oder Student eine passende Unterkunft zu finden, ist mitunter schwer. Die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (2016) zeigt, wie hoch Wohnheim, Wohn- gemeinschaft & Co. im Kurs stehen und wie die Mietausgaben im Durchschnitt sind. Die Zahlen beziehen sich – wenn nicht anders angegeben – auf Deutschland. (MB) Wohngemeinschaft Wohnung mit Eltern Eigene Wohnung Wohnheim Partnerin / Partner Mietausgaben in Hamburg (einschließlich Nebenkosten) Platz der teuersten Städte nach München (387 €), im Monat, 323 € im deutschlandweiten Durchschnitt* Köln (375 €) und Frankfurt a. M. (375 €) Wohnheimplätze bietet das Studierendenwerk Hamburg *Bezugsgruppe „Fokus-Typ“ = Studierende, die nicht verheiratet sind, alleine wohnen bzw. wirtschaften (auch WG), noch keinen ersten Hochschulabschluss erlangt haben (außer groß ist das Zimmer bei 74 % der Bachelor-Abschluss bei Master-Studierenden) und in einem Vollzeit-Präsenz-Studium Befragten (Wohnheim, (Groß-)Eltern, WG) eingeschrieben sind
12 Campus & Co CAMP Was ist dein Lieblingsplatz – US-UM FRAGE in Hamburg und an der Uni? Ob in Hamburg geboren oder neu in der Hansestadt – die ganz persönlichen Lieblings- plätze machen die Stadt zur Heimat. In 19NEUNZEHN verraten vier Studierende ihre favorisierten Orte in der Stadt und auf dem Campus. Aufgezeichnet von Sophie Schellin Anya Braun (20) Florian Helmecke (21) B. Sc. BWL B. A. Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie Hamburg gehört zu meinen Lieblingsstädten und ist meine Meine Lieblingsplätze in Hamburg sind vielleicht etwas Wahlheimat. Meiner Meinung nach ist die Wasserkante am unspektakulär, aber klassisch: Was gibt es Besseres als einen Jungfernstieg der schönste Platz. Mir gefällt die Mischung aus Spaziergang entlang Övelgönne und des Hans-Leip-Ufers? der Idylle mit den vielen Schwänen, der Alsterfontäne sowie Dort kann man am Elbstrand sitzen und Container-Riesen dem Trubel aus Einheimischen und Touristen. Die Räumlich- beobachten. An der Uni zählt für mich der West-Flügel des keiten der Uni sind ja eher zweckmäßig gehalten, aber dafür Hauptgebäudes eindeutig zu den schönsten Orten. Die große lebt dieser Ort für mich von all den tollen Menschen. Mein Glashalle mit den immergrünen Baumreihen sorgt direkt für Lieblingsplatz an der Uni ist aber die Campus Mensa mit den Wohlfühlatmosphäre und bietet nicht nur einen guten Raum großen Fensterfronten. zum Nachdenken, sondern auch ein nettes Café. Peer von Tippelskirch (21) Svenja Uhlenbrook (32) B. Sc. VWL M. A. Volkskunde / Kulturanthropologie Meine Lieblingsplätze an der Uni sind die kleine Wiese Als gebürtige Hamburgerin habe ich mehrere Orte, an denen zwischen Audimax und Phil-Turm sowie die Mensa Studie- ich mich gern aufhalte. Sobald es wärmer wird, bevorzuge rendenhaus. Erstere, weil man sich an diesem grünen Fleck ich den Weinberg auf dem Stintfang bei der U-Bahn-Station auf dem Campus gut mit seinen Kommilitonen entspannen Landungsbrücken. Hier hat man durch die erhöhte Positi- und ausruhen kann. Die Mensa mag ich vor allem wegen der on einen schönen Blick über die Elbe. Mit einer Decke und hellen freundlichen Räume und weil es dort meistens nicht so netter Gesellschaft kann ich dort Stunden verbringen. An der überfüllt und laut ist. Außerhalb des Campus besuche ich mit Universität halte ich mich gerne im Lichthof der Staatsbiblio- Freunden gerne das Café May in der Lappenbergsallee. Dort thek auf. Das Atrium mit seinen Arkaden und Gemälden ist schätze ich das schöne Ambiente sowie das günstige Essen. einfach wunderschön.
Familie auf dem Campus Wo finde ich Betreuungs- und Beratungsangebote? App der Universität Hamburg Wo kann ich mein Kind wickeln? mit neuer Funktion! Wo finden wir Platz in der Mensa? Eltern-Kind-Zimmer Familienfreundliche Mensa Wickel- und Stillmöglichkeiten ! ? ! ? Beratungsangebote Betreuungsangebote Initiiert durch das Familienbüro gibt es ab sofort alle wichtigen Stationen des familiengerechten Campus in der App der Universität Hamburg! In Kooperation mit dem Exzellenzcluster CUI und dem Sonderforschungsbereich SFB 676. App-Download: Familienbüro: sfb 676 Teilchen, Strings und das frühe Universum – Struktur von Materie und Raumzeit
14 campus & co h Hamburg Open Online university U Digitalisierung ist eine der größten Herausforderungen unserer Gesellschaft. Auch die uni- versitäre Lehre muss sich ihr stellen. Wie kann die Antwort auf diese Entwicklung aussehen? Ein Begriff, der immer wieder fällt: HOOU. Doch was verbirgt sich hinter dem Kürzel? Und was bedeutet das neue Angebot für die Studierenden? Die wichtigsten Fragen und Antworten. Text: Anna Maria Priebe Was bedeutet HOOU? sondern an alle Menschen mit Interesse an akademischer HOOU steht für „Hamburg Open Online University“. An dem Bildung. Neben Lernformaten, welche gebündelt ein Thema Projekt, das im Rahmen der Anfang 2015 verkündeten „Strategie behandeln, können die Nutzerinnen und Nutzer die Materialien Digitale Stadt“ initiiert wurde, sind alle staatlichen Hamburger auch einzeln bearbeiten. Aktuell gibt es bei der HOOU zehn Hochschulen, die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Themengebiete von Kunst und Literatur über Naturwissen- Gleichstellung, die Senatskanzlei sowie das Multimedia Kontor schaft und Mathematik bis Philosophie und Psychologie. Hamburg beteiligt. Welche Inhalte steuert die Universität Hamburg bei? Was ist das Hauptziel? An der Universität Hamburg werden verschiedene Projektfor- Ziel ist es, dass sich auch Menschen, die keinen Zugang zur men angeboten. Bei den sogenannten Mikro-Projekten geht Universität haben, wissenschaftlich fundiertes Wissen aneig- es um die schnelle Erstellung von digitalen Materialien für die nen können. Es sollen neue Lernformate angeboten werden, bei Lehre, um diese direkt im laufenden Semester verwenden zu denen man sich zum Beispiel mithilfe verschiedener Medien können. In den größeren Projekten werden umfassendere Lehr- ein Thema erarbeiten kann. Die Inhalte und Materialien werden materialien digital umgesetzt. nach wissenschaftlichen Kriterien als Open Educational Res- sources (OER) erstellt, wobei auf Interdisziplinarität zwischen Ich studiere und möchte HOOU mitgestalten. Wie geht das? Fächern und Hochschulen gesetzt wird. Alles, was man zur Teil- Studierende können Lehrende ansprechen und sie bitten, mit nahme braucht, ist eine E-Mail-Adresse, um sich anzumelden. einem kurzen Antrag bei HOOU@UHH die Digitalisierung der geplanten Inhalte anzustoßen. Zudem besteht das Medien- Werden jetzt alle Vorlesungen ins Netz verlegt? produktionsteam der HOOU@UHH aus Studierenden. Hier Nein, die digitalen Angebote sollen die Seminare und Vorlesun- wird die medienproduktionstechnische Kompetenz gebündelt. gen sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen. Vorlesungsinhalte Interessierte Studierende können sich gern bewerben. Wer sich können beispielsweise in Lerneinheiten mit Videos, interaktiven zunächst zu OER im Allgemeinen informieren möchte, ist Animationen und Selbstlernkontrollen wie Quiz umgesetzt beim Projekt „Synergien für Lehren und Lernen durch OER“ werden. (SynLLOER) des Universitätskollegs richtig. Was wird geboten? Weitere Informationen: Auf der HOOU.de-Plattform finden sich die digitalen Materiali- www.hoou.de en aller teilnehmenden Hochschulen. Momentan gibt es www.hoou.uni-hamburg.de 35 Lernangebote, die individuell abgerufen und bearbeitet wer- uhh.de/hoou-film den können. Diese richten sich nicht allein an Studierende,
19NEUNZEHN 15 1 Was: Sternwarte Hamburg Wo genau: Gojensbergsweg 112 Seit wann: gegründet 1802, seit 1906 in Bergedorf und seit 1968 Teil der Universität Größe des Standortes: ca. 3,3 Hektar Forscherinnen und Forscher: 52 (inkl. 25 Doktorandinnen und Doktoranden) Studiengänge: Bachelor und Master Physik mit dem Schwerpunkt „Astronomie und Astrophysik“ Studierende in den Studiengängen: 17 Besonderheiten: Die Sternwarte besteht aus insgesamt 15 Gebäuden, die als Gesamtkomplex unter Denkmalschutz stehen. Der Große Refraktor wird seit September 2017 saniert. 2 Was: Zentrum für Holzwirtschaft Wo genau: Leuschnerstr. 91 Seit wann: Grundsteinlegung am 18. Januar 1968 neue Serie: Größe des Standortes: ca. zehn Hektar Forscherinnen und Forscher: 43 (inkl. 23 Doktorandinnen und Doktoranden) die Universität Studiengänge: B. Sc. und M. Sc. Holzwirtschaft (auslaufend), Bachelor Bioressourcen-Nutzung (ab WS 2018/19) und Master in der Stadt of Wood Science (ab WS 2019/20) Studierende in den Studiengängen: 230 Besonderheiten: Den Campus, auf dem auch das Thünen- Institut als Kooperationspartner ansässig ist, umgibt ein Der Hauptcampus der Universität Hamburg Gehölzpark, auch Arboretum genannt, mit rund 1.500 Arten aus befindet sich in der Innenstadt am Bahnhof aller Welt. Dammtor. Doch auch außerhalb des Von- 3 Melle-Parks gibt es zahlreiche universitäre Was: Wirtschaftsingenieurwesen Wo genau: Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Standorte – manche größer, manche kleiner. Hamburg, Ulmenliet 20 Wir stellen sie in einer neuen Serie vor und Studiengänge: Hochschulübergreifende Bachelor- und beginnen im wilden Osten der Stadt, Masterstudiengänge Wirtschaftsingenieurwesen (HWI) der Universität Hamburg, der HAW Hamburg und der Helmut- in Bergedorf. (AMP) Schmidt-Universität Hamburg 1 2 3
16 campus & co Jede Stimme Akademischer Senat Der Akademische Senat (AS) ist eines der zählt! zentralen Gremien der Akademischen Selbstverwaltung. Seine 19 Mitglieder kommen aus allen Gruppen der Univer- wählt sität – Professorenschaft, akademisches Die Universität Hamburg verwaltet sich selbst, und nicht-akademisches Personal sowie so steht es im Hamburgischen Hochschulge- Studierende. Die Aufgaben des Akademi- schen Senats: setz: Alle Mitgliedergruppen – Professoren- • wählt den Präsidenten / die Präsidentin schaft, akademisches und nicht-akademisches • bestätigt die Vizepräsidentinnen und -präsidenten Personal sowie Studierende – kümmern sich bestätigt • beschließt die Grundordnung und gemeinsam in der sogenannten Akademi- andere Satzungen schen Selbstverwaltung um Universitätsthe- Der Präsident / die Präsidentin ist beraten- des Mitglied des AS und führt den Vorsitz. men. Studierende vertreten ihre Interessen Die Mitglieder des AS werden alle zwei gegenüber Universität und Öffentlichkeit Jahre gewählt, die studentischen jedes Jahr. zudem in der Studentischen Selbstverwal- tung. 19NEUNZEHN stellt die verschiedenen Gremien vor. Texte: Sarah Batelka Studierendenparlament Das Studierendenparlament (StuPa) ist das höchs- te Gremium der Studentischen Selbstverwaltung. Es setzt sich für die Interessen aller Studierenden ein. Die 47 Parlamentarierinnen und Parlamenta- rier werden einmal im Jahr über Listen von allen Studierende Studierenden gewählt. Das StuPa wiederum wählt den AStA und beschließt den Haushalt der Verfassten Studierendenschaft. Die StuPa-Wahlbeteiligung lag in den vergangenen drei Jahren bei rund 20 %. AStA Fachschaftsräte Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) ist Der Fachschaftsrat vertritt die Studierenden eines Fach- die politische Interessenvertretung aller Studie- bereichs. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Studierenden renden der Universität. Er ist ihr Sprachrohr in der zu Universitätsthemen zu beraten und ihre Interessen in Universität, in der Öffentlichkeit und gegenüber den verschiedenen Gremien der Fakultäten zu vertreten. der Politik. Er bietet den Studierenden beispiels- Gewählt wird er einmal im Jahr von den Studierenden. weise kostenlose Rechts-, Sozial-, Studien- und BAföG-Beratungen und unterstützt sie bei Proble- men im Universitätsalltag. Die rund 70 Personen im AStA werden vom StuPa gewählt. Über die jährlichen Parlamentswahlen nehmen die Studie- renden Einfluss auf seine politische Ausrichtung.
19NEUNZEHN 17 Präsidium Hochschulrat Das Präsidium setzt sich zusammen Der Hochschulrat hat neun Mitglieder, von aus der Präsidentin / dem Präsidenten, denen jeweils vier vom Akademischen und den Vizepräsidentinnen und Vizeprä- gt Hamburger Senat bestimmt werden; das sidenten sowie der Kanzlerin / dem e stäti neunte Mitglied wählen die Mitglieder selbst. b Kanzler. Seit 2010 ist Prof. Dr. Dieter Der Hochschulrat Lenzen Universitätspräsident (bis 2022). • bestätigt die Wahl des Präsidenten / der Der Präsident / Die Präsidentin wird für Präsidentin. sechs Jahre vom Akademischen Senat • wählt den Kanzler / die Kanzlerin gewählt, die Amtzeit der drei Vizeprä- • genehmigt die Grundordnung und die sidentinnen und -präsidenten beträgt Wirtschaftspläne. drei Jahre. Der Kanzler / Die Kanzlerin wählt • gibt Empfehlungen zur Profilbildung der Hamburger leitet die Verwaltung der Universität Hochschule und zur Schwerpunktsetzung Senat und ist Beauftragte/r für den Haushalt. in Forschung und Lehre. Seine / Ihre Amtszeit beträgt neun Jahre. Die Mitglieder des Präsidiums und die Dekaninnen und Dekane der Fakultäten bilden das erweiterte Präsidium, die sogenannte Kammer. Akademisches und nicht-akademisches Personal und Professorenschaft Fakultätsräte Diese Gremien kümmern sich um Anliegen, die die Fakul- täten betreffen. Der Fakultätsrat wählt den Dekan / die Dekanin und entscheidet zum Beispiel über die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Studiengängen. In diesem Gremium sitzen auch studentische Vertreterinnen und Vertreter. Fachbereichsräte Die Fachbereichsräte verwalten die verschie- denen Fachbereiche innerhalb einer Fakultät. In diesem Gremiun sitzen auch studentische Vertreterinnen und Vertreter. STUDENTISCHE AKADEMISCHE SELBSTVERWALTUNG SELBSTVERWALTUNG
18 campus & co Medizin zwischen den Kulturen Am UKE lernen Studierende interkulturelle Kompetenz Sprachbarrieren, Glaubensunterschiede oder verschiedene Vorstellungen von Krankheit und Tod: Globalisierung und Migration stellen Medizinerinnen und Mediziner vor neue Heraus- forderungen. Um die Studierenden darauf vorzubereiten, trainiert das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im reformierten Medizinstudiengang „iMED“ die interkulturelle Kompetenz. 19NEUNZEHN gibt Einblicke in zwei Seminare. Text: Ellen Schonter „Wie fühlen sich Ihre Kopfschmerzen an? rende in einem Rollenspiel. Sie nehmen unwohl – weil sie abhängig waren von der Drückend, stechend, pulsierend?“, fragt am Seminar „Kulturelle Diversität in der Dolmetscherin oder in deren Rolle alles der Arzt seinen Patienten. Dieser schaut ärztlichen Gesprächsführung“ teil – ein richtig wiedergeben mussten. seine Dolmetscherin an. „Welche Art von Pflichtseminar, das alle Studierenden des Kopfschmerzen haben Sie, stechend oder reformierten Medizin-Studiums „iMED“ „Sie haben gemerkt: Für alle Beteiligten ist pulsierend? Wie stark sind sie auf einer am UKE besuchen müssen. eine Dolmetsch-Situation anstrengend“, Skala von eins bis zehn?“, fragt sie ihn. „Sie fasst der Leiter des Seminars, Dr. Mike stechen in der Stärke sechs.“ „Stechend „Es war mühsam, nach jeder Frage warten Mösko, zusammen. „Zeigen Sie als Arzt auf Stärke sechs“, gibt die Dolmetscherin zu müssen“, erzählt Deniz Mercan später, Geduld und dosieren Sie die Fragen.“ Und weiter. „Nach der Stärke habe ich gar nicht ein Student aus dem 7. Semester, der die er rät: „Schauen Sie den Patienten an, gefragt“, grinst der Arzt. Rolle des Arztes hatte. „Und ich war unsi- wenn Sie mit ihm sprechen, auch wenn er cher, wen ich beim Sprechen anschauen Sie nicht versteht. Das schafft Vertrauen.“ Hier sitzen nicht Arzt, Patient und soll, Dolmetscherin oder Patient.“ Auch die Mösko ist Psychologischer Psychothera- Dolmetscherin, sondern Medizin-Studie- anderen beiden Studierenden fühlten sich peut und Leiter der Forschungsgruppe
19NEUNZEHN 19 oder der Planung von Auslandsaufenthal- ten. Dabei unterrichten sowohl Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachbereiche als auch externe Expertinnen und Experten. „Dass die Interkulturalität in einem so gro- ßen Umfang in das Medizinstudium inte- griert wird, ist eine Seltenheit in Deutsch- land. Neben dem Pflichtfach zur ärztlichen Gesprächsführung ist ‚intermed‘ hier einer der Leuchttürme“, erklärt Claudia Mews. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin hat „intermed“ mitentwickelt. Paula Rauschendorf, Dr. Mike Mösko, Deniz Mercan und Claudia Mews (von l. nach r.) Bestmögliche Versorgung lernen „Psychosoziale Migrationsforschung“ koppelweg, wo Sie erfasst und nach einem am „Institut und Poliklinik für Medizini- festgelegten System verteilt werden.“ Aus- Für Paula Rauschendorf war die Wahl sche Psychologie“ des UKE. Neben der führlich skizziert sie den weiteren Weg: Es dieses Tracks schnell klar. „Ich habe mich Gesprächskompetenz bekommen die folgen Erstaufnahme, Erstuntersuchung, schon immer für diese Themen interes- Studierenden im Seminar Einblicke in Impfung, Anhörung im Amt. „Das passiert siert“, erzählt die Studentin. In Praxen die Themen kulturelle Diversität und die mittlerweile alles innerhalb der ersten in ganz Deutschland hat die 23-Jährige Entstehung von Vorurteilen. Der Psycho- sieben Tage – und danach bekommen festgestellt: „Es gibt häufig Patienten, die loge will vom Plenum wissen, welche die Geflüchteten ihre Gesundheitskarte aus anderen Kulturen kommen – und ihr Möglichkeiten Ärztinnen und Ärzte haben, und damit Zugang zu einer medizinischen Anteil ist höher als man denkt.“ das gedolmetschte Gespräch positiv zu Versorgung.“ Die 45-Jährige ist am Ge- gestalten. „Für den Patienten ist es eh sundheitsamt Altona für die medizinische Um mit diesen Patientinnen und Pa- schwer, deshalb sollte man noch mehr als Versorgung der Flüchtlinge zuständig und tienten angemessen umzugehen und sonst versuchen, langsam zu reden und unterrichtet am UKE im Wahlpflichtbereich sie bestmöglich zu versorgen, versucht Fachbegriffe zu reduzieren“, meint zum „intermed – Interkulturelle Kompetenz und Pruskil, den Studierenden ein anderes Beispiel eine Studentin. Mösko nickt. internationale Medizin“. Verständnis für die medizinische Behand- lung zu vermitteln: „Manchmal führt der Für Deniz Mercan ist das Seminar „einfach Die Wahlpflichtbereiche im Studiengang Weg zur Diagnose über Verbindungen, ein Muss. Ich übersetze privat für Freunde „iMED“, Second Tracks genannt, geben an die Sie nicht denken. In den Erstunter- und Angehörige“, erzählt der 24-Jährige. den Studierenden die Möglichkeit, den künften kann beim Essen nicht allzu viel „Deshalb finde ich es unglaublich wichtig, Bereich der Medizin zu vertiefen, der sie Auswahl angeboten werden. Das Essen sich in solche Situationen hineinzuver- besonders interessiert. Dafür probieren ist für die Flüchtlinge fremd – das kann setzen und zu fragen: Welche Schwierig- die Studierenden in den ersten Semestern zu Verdauungsbeschwerden, aber auch keiten treten bei Sprachbarrieren auf? drei von derzeit 15 Tracks aus – und wählen zu psychischem Unwohlsein führen.“ Bei Und was kann ich vor allem tun, um sie zu dann einen Track, den sie vom 5. bis zum diesen Ausführungen nickt Paula Rau- überwinden?“ 10. Semester belegen; er macht dann pro schendorf. Am Ende des Seminars sagt Semester rund 50 bis 60 Unterrichtsstun- sie: „Natürlich können wir nicht alles wis- Thematischer Wahlpflichtbereich den ihres Studiums aus. Im Rahmen des sen, verstehen oder alle Kulturen kennen. Tracks „intermed“ lernen die Studierenden Aber man kann nachdenken: Irgendetwas Szenenwechsel. 15 Studierende sitzen an ein breites Spektrum kennen: von der Ver- stellt sich der Patient anders vor als ich. Seminartischen zusammen. Die Dozen- sorgung von Menschen ohne Papiere über Warum?“ Diese Sensibilisierung, dieses tin Dr. Susanne Pruskil steht vor einem kulturelle Unterschiede beim Umgang mit grundsätzliche Verständnis sei der Kern Flowchart: „Stellen Sie sich vor, Sie kom- Tod und Sterben bis zu globalen Gesund- von „intermed“. men als Flüchtling in Hamburg an, dann heitsthemen wie der Vorstellung von geht es in das Ankunftszentrum im Barg- international tätigen Hilfsorganisationen Interkulturelle Kompetenzen lernen • Studierende der Universität Hamburg können im Rahmen des „Certificate Intercultural Competence (CiC)“ interkulturelle Kompetenzen erlernen und sich diese bestätigen lassen: uni-hamburg.de/piasta/cic.html • International engagieren können sich Studierende zum Beispiel bei PIASTA oder bei den „Buddy Programmen“ der Fakultäten. Einen Überblick gibt es hier: uhh.de/interkult-kompetenz
20 Forschen & Verstehen Heimatverlust in Wort, Bild und Ton Wenn Menschen ihre Heimat verlassen müssen, etwa um vor Krieg und Gewalt zu flüchten, um wirtschaftlicher Not zu entkommen oder weil sie politisch gezwungen werden, wiegt der Verlust schwer. Medien können den Betroffenen dabei helfen, ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Sechs Forscherin- nen und Forscher der Universität Hamburg untersuchen, welche Ausdrucks- formen es gibt und wie diese den Menschen helfen. Texte: Ellen Schonter
19NEUNZEHN 21 in Portugal das diktatorische Regime einer Auswahl von rund 1.000 Kino- und abgesetzt und die letzten afrikanischen Fernsehproduktionen, welche Narrative Kolonien wie z. B. Angola und Mosambik sich gebildet haben. Die türkische Ar- erlangten ihre Unabhängigkeit. Als Folge beitsmigration infolge des Anwerbeab- verließen die portugiesischen Siedler kommens von 1961 wurde zunächst vor teilweise fluchtartig diese Länder, denn allem in Dokumentationen thematisiert. als ehemaligen Kolonisten drohten Bei Spielfilmen dominierten ab 1970 ihnen Repressalien. Willkommen waren Sozialdramen, die implizit anklagten, sie in ihrer alten Heimat aber nicht, dass ‚die Gastarbeiter‘ nicht integriert denn Portugal war auf die fast sind. Mitte der 1980er-Jahre begann die 600.000 Rückkehrer, die ‚Retornados‘, filmische Innensicht auf migrantisches wirtschaftlich nicht vorbereitet. Nun Leben, doch erst der preisgekrönte Film erscheinen die ersten autobiografisch ‚Gegen die Wand‘ (2004) von Fatih Akin geprägten Romane, die diese Flucht the- rückte Deutschland international als matisieren – geschrieben von den Kin- Einwanderungsland in den Fokus. Seitdem dern der Retornados. Ich untersuche, wie erscheinen Komödien, die Konflikte hu- die Erzählungen das Thema behandeln: morvoll behandeln und Stereotype ironisch Ein Roman etwa beschreibt dramatische wenden, die sich Türken über Deutsche ge- Szenen der Flucht und die Bedrohung bildet haben und umgekehrt – wie im Film durch Waffengewalt, ein anderer trauert ‚Almanya – Willkommen in Deutschland‘ sehnsüchtig der Kolonialzeit hinterher. (2011). Solche augenzwinkernden Filmnar- Das Besondere ist, dass einige Auto- rative sind besonders geeignet, Migration ren in ihren Texten den Rassismus der als ‚geteilte Erfahrung‘ zu vermitteln: Sie eigenen Eltern anprangern – mal auf regen dazu an, sich in andere hineinzu- humoristisch-subtile Weise wie Isabela versetzen. Figueiredo, mal recht offen und direkt wie Dulce Maria Cardoso. Gemeinsam ist den Romanen, dass sie nicht nur der Graphic Novels persönlichen Verarbeitung eines trauma- „The Arrival“ von Shaun Tan tischen Ereignisses dienen, sondern auf die gesellschaftliche Aufarbeitung des Prof. Dr. Astrid Böger, Professorin für Themas abzielen – damit brechen sie ein Amerikanistik langjähriges Tabu. Um Traumata wie Fluchterfahrungen zu verarbeiten, werden Graphic Novels und Film ihre Möglichkeiten der Visualisierungen Migration im deutsch-türkischen und von Künstlern und türkischen Film Lesern gleicher- maßen als sehr Prof. Dr. Ortrud Gutjahr, Leiterin der bereichernd emp- Arbeitsstelle Interkulturelle Literatur- funden. Dabei stellt Literatur und Medienwissenschaft sich die Frage: Gibt Erzählungen der Retornados in Portugal es eine universel- Mit rund drei Millionen Menschen ist le Erfahrung von Prof. Dr. Martin Neumann, Professor für die aus der Türkei stammende Bevölke- Migration und wie kann man sie dar- französische und portugiesische Litera- rungsgruppe die größte Minderheit in stellen? Oft wird auf die Graphic Novel turwissenschaft Deutschland. Das ‚The Arrival‘ des Australiers Shaun Tan Erzählen von ihrer als Beispiel verwiesen. Die Geschichte In den vergangenen Zuwanderung steht erzählt von einem Vater, der ins Ausland zehn Jahren erle- paradigmatisch für emigriert und seine Familie nachholt – ben wir in Portugal den Aufbau einer und zeigt damit ein breites Spektrum die literarische gemeinsamen an Fluchterfahrungen. Dazu kommt: Verarbeitung eines Erinnerungskultur. Zwar wollen die meisten Graphic Novels Traumas. Im Zuge Das Medium Film allgemein verständlich sein, aber ‚The der Nelkenrevolu- erreicht dabei besonders breite Bevölke- Arrival‘ kommt komplett ohne Sprache tion 1974 wurde rungsteile, daher untersuche ich anhand aus. Das Gefühl der Fremdheit vermittelt
22 Forschen & verstehen Tan vielmehr durch eine Kombination treibung – sie öffentlich zu diskutieren, Sprache und sehr unmittelbar Emotio- aus fotorealistischen Zeichnungen und war offenbar nicht konsensfähig. Die nen wie Verzweiflung darzustellen, aber Fantasy-Elementen: Manche Szenen westdeutschen öffentlich-rechtlichen auch Widerstand zu mobilisieren. erinnern an vertraute Motive wie die Sender mussten sowohl Flüchtlinge als Skyline von New York, werden aber zum auch die aufnehmende Gesellschaft Beispiel durch unbekannte Fantasie-Tiere ansprechen; dabei war die akustische Theater verfremdet. Meine Forschung hat auch Eigenheit des Mediums Radio wichtig: Exilstück „Jacobowsky und der Oberst“ gezeigt, dass Shaun Tan das Mittel der Sendungen wechselten zwischen den zur NS-Zeit visuellen Assoziation verwendet: Ein Dialekten von Vertriebenen und dem Objekt taucht in der Erzählung mehr- Hochdeutschen – und wurden so zum Prof. Dr. Doerte Bischoff, Leiterin der fach auf und wird dadurch mit immer Kultur- und Sprachtrainer für beide Walter A. Berendsohn Forschungsstelle mehr Bedeutung aufgeladen. Für das Seiten. Das konnte damals kein anderes für deutsche Exilliteratur Verständnis braucht man vor allem Medium so gut leisten. Emotionen – das befördert ein empathi- Mindestens 1.000 Theaterkünstlerin- sches Lesen. Graphic Novels können so nen und -künstler flüchteten während zu Verständigungs- oder auch Heilungs- Musik der NS-Zeit zunächst in europäische prozessen beitragen. Exilkompositionen aus der NS-Zeit Länder und von dort aus in die USA. Besonders interessant für die Forschung Prof. Dr. Friedrich Geiger, Leiter des Insti- werden Theaterstücke dadurch, dass Radio tuts für Historische Musikwissenschaft sie oft schneller auf aktuelle Ereignisse Flucht und Vertreibung in deutschen reagieren können als etwa Bücher, die Hörfunkprogrammen 1945–1961 Während des Nationalsozialismus flohen erst publiziert werden müssen. Zum viele Musikerinnen und Musiker aus Beispiel behandelt das Stück ‚Jacobow- Dr. Alina Tiews, wissenschaftliche Mitar- Deutschland und sky und der Oberst‘, das der jüdische beiterin an der Forschungsstelle Medien- den besetzten Län- Schriftsteller Franz geschichte des Instituts für Medien und dern. Es entstand Werfel (1890–1945) Kommunikation ein umfangreiches im US-Exil schrieb, Repertoire an bereits Anfang der Am Ende und in der Folge des Zweiten Exilkompositionen, 1940er-Jahre eine Weltkriegs verließen rund 14 Millionen womit gemeint Odyssee von Flucht Deutsche ihre Siedlungsgebiete im östli- ist: Flucht und Exil und Neuanfang. chen Europa und den östlichen Teilen des haben Spuren in den Musikstücken hin- Das Theater im damaligen Deutschen Reichs – entweder terlassen. Das kann auf offensichtliche Exil verfolgt dabei häufig zwei Absich- flüchteten sie vor der Front, wurden Weise passieren, wenn in Texten oder ten: die alte, vom Nationalsozialismus nach Kriegsende von Milizen vertrieben Handlungen die NS-Zeit benannt wird, bedrohte Kultur des Heimatlandes zu oder nach dem Potsdamer Abkommen aber auch durch Akkulturation, also bewahren und gegen den Faschismus zwangsumgesiedelt. Etwa 12 Millionen die Anpassung der eigenen Musik an Position zu beziehen. Auch ‚Jacobow- von ihnen kamen im geteilten Nach- die Kultur des Exillandes. Ein typisches sky und der Oberst‘ tut dies – aber auf kriegsdeutschland an – und der Kultur- Phänomen von Exilmusik ist die Klage besondere Weise. Im Stück flüchten schock war groß. Ich untersuche, wie der um den Verlust der Heimat, die in Genres zwei gegensätzliche Figuren vor den damalige Rundfunk diese Situation the- wie der Elegie oder der Trauermusik zum Nationalsozialisten: Jacobowsky, ein matisierte. Bei den Sendungen zwischen Ausdruck kommt. Die Forschung zeigt Jude, der aus seiner Heimat Polen und 1945 und 1961 lassen sich drei Schwer- beispielsweise auch: Manche Komponis- anderen Ländern vertrieben wurde, punkte erkennen: zum einen die Ankunft ten zitieren Musik von Johann Sebastian und Oberst Stjerbinsky, ein glühend der Flüchtlinge, Bach, um Deutschland als Musiknation nationalistischer und antisemitischer etwa mit Berichten statt NS-Diktatur zu betonen. Typische Pole. So macht Werfel deutlich, dass es aus Flüchtlings- Exilstücke können auch Protestwerke innerhalb der Flüchtenden verschiedene lagern. Andere sein: Béla Bartók illustriert im ‚Konzert Gruppen und Selbstverständnisse gibt. Sendungen, vor für Orchester‘ zunächst Schlachtenlärm, Die Inszenierungsgeschichte des Stücks allem westdeut- bevor eine Fanfare an George Gershwins zeigt auch: Theater kann Transnationali- sche, erinnerten ‚An American in Paris‘ erinnert – ein tät zum Beispiel darin ausdrücken, dass mit Texten, Liedern Ausdruck der Hoffnung, dass die USA im die jeweilige Herkunft der Mitspielenden oder Länderberichten an die alte Heimat besetzten Paris einmarschieren mögen. sichtbar bleibt. der Flüchtlinge und Vertriebenen. Sehr Mit kompositorischen Mitteln lassen wenige Sendungen behandelten die sich also klare Botschaften senden und Gewalterfahrungen bei Flucht und Ver- Musik hat als Kunstform die Kraft, ohne
19NEUNZEHN 23 Name: Tobias Nowitzki Wie läuft ein Zauberritual ab? Das steht im Papyrus: Zuerst werden die benötigten Gegen- Titel meiner Dissertation: „Antike Ritualmagie: Die Rituale stände und Zutaten genannt, dann folgen Handlungen, die der ägyptischen Zauberpapyri, ihre Beziehung zur altägypti- während des Zaubers ausgeführt werden müssen, etwa: schen und jüdischen Magie sowie der griechisch-lateinischen ‚Blicke nach Osten‘. Zuletzt folgt der Zauber selbst, also Literatur“ die Worte, die gesagt, geschrieben oder gesungen werden Mein Material: rund 320 griechischsprachige Zauberpapyri müssen. aus dem spätantiken Ägypten Ort des Schaffens: Zentralbibliothek „Philosophie, Geschichte Und wie sieht ein Zauberpapyrus aus? und Klassische Philologie“ Die Papyri können kleine Papierfetzen mit wenigen Worten sein, aber auch 20-seitige Handbücher. Durchschnittlich ist Wie erklären Sie Ihrer Oma Ihr Forschungsthema? ein Zauberritual etwa eine DIN-A4-Seite lang. Die Zauber- Vorstellungen von Magie hat es schon vor hunderten von sprüche sind meist auf Griechisch geschrieben, da sich seit Jahren gegeben – ebenso wie Berufsmagier, die versprochen der Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen 332 vor haben: „Ich kann gegen Geld deine Probleme mit Magie Christus Griechisch als Amtssprache verbreitet hatte. lösen.“ Wie genau diese Zauber früher abliefen, zeigen uns Die meisten Papyri stammen aus dem 3. bis 4. Jahrhundert überlieferte Anleitungen, die ich untersuche. nach Christus. Wie untersuchen Sie den Forschungsgegenstand? Welcher Spruch hat Sie besonders beeindruckt? Zunächst systematisiere ich den Bestand dieser Zauber- Kein konkreter, aber überrascht war ich von der Gewalt und papyri. Fragen sind dabei zum Beispiel: Wie liefen die Rituale den brutalen Details der Zaubersprüche. Ein Spruch soll ab? Welche Anweisungen gibt es? Welche Götter tauchen etwa eine Frau am Schlaf hindern, bis sie daran stirbt – eine auf? Später werde ich den Bestand mit anderen Schriften ver- Vorstellung, die sehr an Foltermethoden erinnert und einiges gleichen und untersuchen, wie sich der ägyptische Ritualbe- über die Rachsucht des betreffenden Menschen aussagt. stand in späteren literarischen Darstellungen wiederfindet, Man kann sich sehr gut die Emotionen vorstellen, die hinter zum Beispiel in Texten des antiken römischen Dichters Ovid solchen Sprüchen stecken. Wenn man die Zauberpapyri un- oder dem jüdischen ‚Buch der Geheimnisse‘. tersucht, ist man sehr nah bei den damaligen Menschen. Welche Probleme sollten damals mit Magie gelöst werden? Mal ehrlich: Haben Sie selbst einen Spruch ausprobiert? Die Rituale versprachen eine Lösung für jede Art von Prob- Nein, das wäre wissenschaftlich unredlich (lacht). Aber das lemen und alle Lebensbereiche, Schichten und Preisklassen: könnte ich auch nicht. Viele Zutaten gibt es heute nicht Beliebt waren Wahrsagungen für die Zukunft, besonders die mehr. Aber man kann die Zaubersprüche in den Büchern der Bestimmung des eigenen Todestages. Viele Zauber sollten Staatsbibliothek anschauen – hochspannend! Feinde verletzen oder töten; im Gegenzug waren auch Heil- oder Schutzzauber beliebt. Männliche Kunden nutzten oft Liebeszauber, es gab aber auch Lösungen für Alltagsproble- Eine Langfassung des Interviews unter: me, etwa bei Insektenbefall im Haus. uhh.de/zauberpapyri
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