Frosttoleranz bei Pflanzen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Nur etwa ein Drittel der Fläche des Planeten Erde ist dauerhaft frostfrei: in den tropi- schen Regenwaldgebieten des Amazonasbeckens, in Kongo, an der afrikanischen Westküste, auf dem Indomalayischen Archipel, in einem kleinen Teil Australiens und uns angebaut werden. Einige Wildformen auf den pazifischen Inseln in Äquatornähe fällt die Temperatur nie unter etwa 15 Grad der Kartoffel können Temperaturen bis (Abb. 1). Der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht ist hier größer als der minus elf Grad überstehen. Sie gehören zwischen Sommer und Winter. Fast die Hälfte aller Pflanzenarten – 115.000 von damit in die dritte Klasse, die Klasse der winterharten Spezies, die auch bei Tem- 250.000 bekannten Blütenpflanzen – kommen nur hier vor. Daraus lässt sich bereits peraturen unterhalb des Gefrierpunkts für ablesen, dass der Umgang mit niedrigen Temperaturen eine Herausforderung für le- lange Zeit überleben können. bende Organismen ist, der sich nicht jeder stellen mag. Andererseits locken die kälte- Neben dem Wasserangebot stellt die Temperatur die entscheidende Ausbrei- ren Gegenden mit einem großen Flächen- und Mineralstoffangebot – einer Ressource, tungsgrenze für Pflanzen dar. Sie wirkt die für Pflanzen äußerst attraktiv ist. dabei in mehrfacher Weise: die Jahres- höchst- und –mindesttemperaturen schließen diejenigen Organismen aus, de- ren Toleranzgrenzen darunter bezie- Darum haben Pflanzen Strategien ent- hungsweise darüber liegen. Indirekt hän- wickelt, die ihnen das Überleben bei gen sie aber auch noch mit einer ande- niedrigen Temperaturen ermöglichen. ren Größe zusammen: je tiefer die Tem- Diese Strategien scheinen ebenso vielfäl- peraturen im Winter, desto kürzer ist die tig zu sein wie die Temperaturbereiche, für Pflanzen nutzbare Vegetationszeit, auf die sie zugeschnitten sind. Genau denn sie kann erst beginnen, wenn die wissen wir es nicht, denn es ist bis heute durchschnittliche Tagestemperatur über nicht ganz klar, wie Pflanzen mit Kälte etwa zehn Grad liegt. So ist die durch- umgehen. Wir wissen immerhin, dass es schnittliche Januar-Temperatur ein guter drei Klassen von Pflanzen mit grundsätz- Indikator für die maximale Dauer der Ve- lich verschiedenen Ansprüchen an die getationsperiode, das heißt derjenigen Wachstumstemperatur gibt: die Pflanzen Jahreszeit, in der Pflanzen wachsen, also der tropischen Regenwälder, aber auch eine positive Biomasse-Bilanz hervorbrin- Tomaten, Gurken oder Usambaraveilchen gen können. sind kühleempfindlich, das heißt sie wer- den bei Temperaturen weit oberhalb des Arnd G. Heyer y Gefrierpunkts von Wasser geschädigt. Bei Frosttoleranz bei Pflanzen y einigen Bananen-Varietäten liegt die kriti- sche Temperatur bei etwa 25 Grad, für Gurken und Tomaten beträgt sie fünf bis zehn Grad. Pflanzen wie die Kartoffel, die aus dem kühleren Andengebiet von Peru bis Nordwest-Argentinien stammt, sind kühletolerant, können aber Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts nicht über- stehen, sind also frostempfindlich. Zumin- dest gilt das für die Kultursorten, die bei 17
WechselWirkungen y Der saisonale Aspekt von Temperatur temperaturen um 16 Grad unterschei- Jahrbuch 2005 y wird um so bedeutsamer, je weiter wir den. In Nakuru in Kenia ist es umgekehrt: uns vom Äquator entfernen: der Unter- der Tag-/Nacht-Rhythmus bringt einen schied zwischen Sommer und Winter Unterschied von 20 Grad, während der wird dabei immer größer, der zwischen Sommer nur um vier Grad wärmer ist als Tag und Nacht immer kleiner. So liegen der Winter (Abb. 2). in Tromsø in Norwegen Tages- und Nachttemperaturen nur um vier bis sie- ben Grad auseinander, während sich die Weglaufen kommt nicht in durchschnittlichen Januar- und August- Frage Saisonalität erlaubt den Pflanzen eine An- passungsstrategie, die man ihnen als sess- haften Lebewesen auf den ersten Blick nicht zutraut: die so genannte „escape” oder Ausweich-Strategie. Für Tiere ist es selbstverständlich, ungünstigen Umwelt- bedingungen auszuweichen, einfach da- von zu laufen. Wenn man aber fest im Boden verwurzelt ist, kommt Weglaufen nicht in Frage. Dennoch können viele Pflanzen der Kälte entkommen! Sie ma- chen das Auskeimen abhängig vom Lichtangebot und der Umgebungstempe- ratur. So stellen sie sicher, dass die emp- Abb. 1: Klimazonen der Erde. Nur etwa ein Drittel unseres Planeten ist dauerhaft frostfrei. In den tropischen Ge- findlichen Keimlinge erst im Frühling aus bieten Südamerikas, Afrikas, des pazifischen und des indischen Ozeans fällt die Temperatur nicht unter 15 dem Boden kommen. Dann nutzen sie Grad Celsius – überall sonst müssen die Organismen mit Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts von Was- ser zurechtkommen können. das meist reichliche Wasser- und Lichtan- gebot zu Beginn des Jahres, um ihren Le- benszyklus rasch abzuschließen. Wenn es im Herbst wieder kälter wird, sind die Samen der nächsten Generation längst gereift, und der Rest der Biomasse wird nun ohnehin absterben. Den Samen kann der Winter nicht viel anhaben: sie haben einen sehr geringen Wassergehalt, betrei- ben fast keinen Stoffwechsel und sind daher weitgehend temperatur-unemp- findlich. Diese Strategie können einjähri- ge, krautige Pflanzen nutzen – für Bäume und mehrjährige Sträucher, die eine auf- wändige Biomasse produzieren, bevor sie zum ersten Mal blühen, ist die Flucht aus- geschlossen. Sie können zwischen den beiden anderen Optionen wählen: der Vermeidung und der Toleranz. Wie können Pflanzen Frost vermeiden? Bis zu einem gewissen Umfang sind Pflanzen durchaus zur Wärmeproduktion in der Lage. Der Aronstab (Arum macula- tum, Abb. 3) kann seine Blüte um etwa 25 Grad gegenüber der Umgebungstem- peratur aufheizen. Er tut dies, um Lock- stoffe für Fliegen zu verdunsten, die die Blüten bestäuben sollen. Aber schon aus theoretischen Erwägungen ist die Wär- mefreisetzung keine dauerhafte Option: Abb. 2: Klimadiagramme von Tromsø, Norwegen, und Nakaru, Kenia. Nahe am Äquator sind die Temperatur- anders als Tiere sind Pflanzen Primärpro- unterschiede zwischen Tag und Nacht groß, aber Winter und Sommer unterscheiden sich kaum. Weit vom Äquator entfernt dominieren die Unterschiede der Jahreszeiten, Tag/Nacht-Rhythmen fallen dagegen geringer duzenten chemischer Energie. Das „Ver- aus. feuern” energiereicher Kohlenstoff-Ver- 18
bindungen kommt einem direkten Bio- von Einzelmolekülen, bei denen es selten masseverlust gleich. Ein Aufwärmen des ist, dass beide Ohren und beide Füße Organismus mit dem Ziel, Stoffwechsel gleichzeitig assoziiert sind. Darum ist im betreiben zu können, würde also spätes- Wasser kaum ein Molekül wie ein ande- tens bei derjenigen Temperatur an eine res umgeben, und die Konsequenz ist, Grenze stoßen, bei der die „Heizkosten” dass Wasser relativ ungeordnet ist und den Gewinn durch die Photosynthese darum nicht so leicht kristallisiert. Des- auffressen. Frostvermeidung bei Pflanzen halb friert Wasser nicht bei null Grad ein, bedeutet etwas anderes und hat etwas wenn keine Verunreinigungen darin mit den physikalischen Besonderheiten gelöst sind, die als Kristallisationskeime des Wassers zu tun. In einem Wassermo- wirken. Absolut reines Wasser friert erst lekül stehen zwei Wasserstoff-Atome in bei minus 38 Grad ein – dann allerdings einem Winkel von 106 Grad von einem schlagartig und mit einem hörbaren Sauerstoffatom ab wie zwei Mickey-Maus Knall. Viele Pflanzen vermeiden das Ein- Ohren. Der Sauerstoff hat zwei freie Elek- frieren von Wasser, indem sie die Kon- tronenpaare, sozusagen die Füße des zentration an Kristallisationskeimen so Moleküls (Abb. 4). Die Elektronenpaare gering wie möglich halten. Das erlaubt es Abb. 4: Molekülmodell des Wassers. In einem Was- sind negativ, die Kerne der Wasserstoffa- ihnen, flüssiges Wasser bis zu einer Tem- sermolekül stehen zwei Wasserstoff-Atome in einem tome positiv geladen – und jeder sucht peratur von etwa minus 30 Grad zu un- Winkel von 106 Grad von einem Sauerstoffatom ab nach einem Partner mit gegensinniger terkühlen. Auf diese Weise überstehen wie zwei Mickey-Maus Ohren. Die Atomkerne sind je- weils rot, die Elektronen auf ihren Bahnen schwarz Ladung. Der Winkel zwischen den Was- die Blütenknospen des Rhododendron dargestellt. Der Sauerstoff hat zwei freie Elektronen- serstoffkernen verbietet die Wechselwir- den Winter (Abb. 5). In einigen Bäumen paare (unten), die die Füße des Moleküls bilden. Die kungen der beiden Elektronenpaare eines können die Leitgefäße des Xylems (Was- Anordnung der elektronegativen freien Elektronen- paare und der Kerne der Wasserstoffatome verbietet Wassermoleküls mit den „Ohren” eines ser leitender Gefäßteil) Wasser sogar bis Wechselwirkungen beider Elektronenpaare mit den zweiten. Stattdessen bilden sich Ketten zu einer Temperatur von minus 47 Grad Atomkernen eines zweiten Wassermoleküls. Im flüssi- gen Wasser bilden sich daher Ketten von Einzelmo- lekülen, bei denen kaum zwei Moleküle die gleiche Umgebung haben. Abb. 5: Die Blütenknospen des immergrünen Rhodo- dendron überstehen den Winter, indem sie das Ein- frieren von Wasser verhin- dern. Sie entziehen dem Wasser die Kristallisations- keime, so dass es bis zu ei- ner Temperatur von minus 25 bis minus 30 Grad flüs- sig bleibt. Bei noch tieferen Temperaturen würde die Pflanze erfrieren. unterkühlen. Zusätzlich zur Vermeidung von Kristallisationskeimen wird hierfür wohl noch eine Gefrierpunktserniedri- gung genutzt – aber ganz aufgeklärt ist das Phänomen nicht. Für die meisten im- mergrünen Pflanzen stellen Tiefsttempe- Abb. 3: Der Aronstab besitzt gestielte, pfeilförmige raturen zwischen minus 15 und minus Blätter, zwischen denen der Blütenstand mit einer tü- tenförmigen Blütenscheide entsteht. Sie bedeckt den 40 Grad eine Ausbreitungsgrenze dar: Kolben. Der Kolben enthält im unteren Bereich die Mammutbäume, Magnolien, viele Rhodo- weiblichen Blüten, im oberen die männlichen. Der dendron-Arten oder Efeu kommen bei Blütenstand wird von der Pflanze aufgeheizt, um ei- nen unangenehmen Duft zu verströmen, der bestäu- noch tieferen Temperaturen nicht mehr WechselWirkungen y bende Insekten anlockt. Die ganze Pflanze ist giftig. vor. Jahrbuch 2005 y 19
WechselWirkungen y tremen Fall verliert die Zelle so viel Was- Wie kommen diese Unterschiede zu- Jahrbuch 2005 y ser, dass das Cytoplasma seine Fluidität stande? Bis heute ist nicht abschließend verliert. Man spricht dann von „Vergla- geklärt, was Pflanzen frosttolerant macht. sung” oder „Vitrifikation”. Dieser Prozess Wir wissen, dass es zwei unterschiedli- ist beispielsweise in Samen eine wichtige che Arten von Frosttoleranz gibt: eine ba- Voraussetzung für die Lagerfähigkeit. Im sale, die die Pflanzen schützt, auch wenn verglasten Zellinneren sind alle Prozesse sie noch nie der Kälte ausgesetzt waren. so stark verlangsamt, dass Ruhephasen Sie ist eine Art genetischer Voreinstel- auch unter ungünstigen Bedingungen ge- lung, eine ererbte Toleranz, die etwas fahrlos überstanden werden können. ganz anderes ist als die Fähigkeit zur Ak- klimatisierung, also zur kälte-bedingten Frosttoleranz ist sehr variabel: bei man- Ausbildung von Frosttoleranz. Beide For- chen Pflanzen reicht sie nur bis wenige men der Toleranz sind sehr komplexe Ei- Nadelbäume wie Fichten, Kiefern und Grade unter Null, einige Bäume und genschaften, an deren Zustandekommen Tannen sind aber viel widerstandsfähiger. Sträucher wie zum Beispiel der weiße eine Vielzahl von Genen beteiligt ist. Wir Ihnen können Temperaturen von minus Hartriegel (Cornus sericea, Abb. 7) kön- kennen einige davon, aber längst nicht 80 Grad nichts anhaben – ihre Ausbrei- nen auch dann wieder austreiben, wenn genug, um erfolgreich züchterisch die tung wird also nicht durch die tiefste Jah- ihre Äste in flüssigem Stickstoff bei mi- Frosttoleranz von Pflanzen verbessern restemperatur begrenzt, sondern durch nus 196 Grad eingefroren waren. zu können. die Länge der Vegetationsperiode. Be- sonders beeindruckend ist dies an der „Baumgrenze” sichtbar, jener relativ scharf gezogenen Linie, die die monta- nen Wälder von den alpinen, baumfreien Abb. 6: Die Baumgrenze Regionen trennt (Abb. 6). Die Baumgren- trennt die montanen Wälder von der alpinen, baumfreien ze wird neben der Temperatur noch von Region. Oberhalb dieser Li- anderen Faktoren beeinflusst, zu denen nie ist die Dauer der Vegeta- das Weideverhalten von Schafen und an- tionsperiode zu gering, um das Überleben von Bäumen deren Tieren, das Vorkommen von zu ermöglichen. Außer der Schädlingen und die Wasserverfügbar- Temperatur haben noch an- keit gehören. Die Temperatur ist jedoch dere Faktoren einen Einfluss, so das Weideverhalten von eine maßgebliche Größe, zumal sie die Schafen und anderen Tie- anderen Faktoren beeinflusst. ren, das Vorkommen von Schädlingen oder Umwelt- giften und die Wasserverfüg- barkeit. Aus diesem Grund Frosttoleranz ist sehr variabel ist die Lage der Baumgrenze veränderlich. Pflanzen, die das Einfrieren überstehen können, ohne dabei großen Schaden zu nehmen, werden als „frosttolerant” be- zeichnet. In ihren Geweben bilden sich echte Eiskristalle, ohne dass die Zellen zerstört werden. Das liegt daran, dass die Eiskristalle nicht in den Zellen, sondern nur in den Bereichen dazwischen, den so genannten Interzellularen, entstehen. Die- se sind normalerweise gasgefüllte Räu- me, die in einem Blatt einen Großteil des Volumens ausmachen können. Die Eisbil- dung außerhalb der Zellen ist sogar eine wichtige Voraussetzung für das Überle- ben: Eis hat ein geringeres Wasserpoten- zial als flüssiges Wasser. Da die Wasser- Konzentration außerhalb der Zellen also scheinbar geringer ist, diffundiert immer mehr Wasser hinaus und friert dort ein. Gleichzeitig werden die Zellen entwäs- sert, der Zellsaft wird aufkonzentriert. Die immer höher werdende Konzentration an gelösten Stoffen im Zellsaft senkt die Ge- Abb. 7: Der weiße Hartriegel (Cornus sericea) kann extrem tiefe Temperaturen überstehen. Zweige, die zuvor fahr der intrazellulären Eisbildung, die langsam auf eine Temperatur von minus 40 Grad gebracht wurden, überleben ein Bad in flüssigem Stickstoff den sicheren Tod bringen würde. Im ex- (-196°C) oder sogar flüssigem Helium (-236°C). 20
Deshalb haben wir damit begonnen, Frosttoleranz in einer Modellpflanze sys- tematisch zu untersuchen, Stoffwechsel- vorgänge aufzuklären, die am Zustande- kommen der Toleranz beteiligt sind, de- ren Beitrag zu erfassen und die zugrunde- liegende genetische Ausstattung zu iden- tifizieren. Hierfür verwenden wir eine Pflanze, die über ganz Europa verbreitet ist und in zahlreichen lokalen Populatio- nen vorkommt, die sich in ihrer Frosttole- ranz ganz erheblich unterscheiden. Es handelt sich um die Modellpflanze Arabi- dopsis thaliana, die in den 80er Jahren in der Molekularbiologie Furore machte, weil sie ein für Pflanzen erstaunlich klei- nes, geradezu überschaubares Genom von nur etwa 130 Millionen Einzelbau- steinen, so genannten Nukleotiden, be- sitzt. Inzwischen ist die vollständige Se- Abb. 9: Ökotypen von Arabidopsis thaliana. Arabidopsis ist über ganz Europa und Nord-Afrika verbreitet. Die quenz dieser Nukleotide bekannt – ähn- Populationen sehen nicht nur unterschiedlich aus, sondern sind auch ganz spezifisch an ihre jeweiligen Lebens- lich wie beim Menschen, dessen Erbgut räume angepasst. Te: Tenela, Finnland; C24: Portugal, Cvi: Cap Verde'sche Inseln, Col-0: wahrscheinlich Mitte- leuropa, Nd: Niederzens, Deutschland. immerhin 25 mal so groß ist. Genau wie beim Menschen bedeutet die Kenntnis der Nukleotidreihenfolge allerdings noch der Eiszeit wahrscheinlich von zwei Zen- zen minus 12 Grad. Offenbar hat sich bei lange nicht, dass wir die enthaltene Infor- tren aus, der Iberischen Halbinsel und der Ausbreitung von Arabidopsis nach mation verstanden hätten. Daran arbeiten Asien, wieder besiedelt hat (Sharbel et Nord-Europa eine Zunahme der Frosttole- weltweit viele Forschungslabors. al., 2000). Die kleine Rosettenpflanze mit ranz entwickelt. Arabidopsis ist eine unscheinbare, ein- dem deutschen Namen „Ackerschmal- Um dem nachzugehen, haben wir von jährige Pflanze (Abb. 8), die Europa nach wand” hat einen kurzen Lebenszyklus, Nord-Afrika bis nach Skandinavien und produziert eine große Menge an Samen Russland lokale Populationen von Arabi- und stellt keine hohen Ansprüche an den dopsis, so genannte Ökotypen, ausge- Boden. Dies hängt damit zusammen, wählt (Abb. 9). Schon äußerlich sind die dass Arabidopsis sehr konkurrenz- Pflanzen recht unterschiedlich, und diese schwach ist, das heißt, es gelingt ihr Unterschiede spiegeln sich im jeweiligen kaum, sich gegen andere Pflanzen durch- Genom der Ökotypen wider. Arabidopsis zusetzen (Pigliucci and Hayden, 2001). ist eine überwiegend selbstbestäubende Es handelt sich also um eine typische Pflanze. Der genetische Austausch ver- „Ruderal-Pflanze”: sie besiedelt Standorte, schiedener Populationen ist daher gering. an denen noch keine anderen Pflanzen Die lokalen Populationen sind folglich gewachsen sind. Das gilt zum Beispiel für recht isoliert und gehen evolutionär eige- Ackerflächen, die durch die Bodenbear- ne Wege. Als wir die Frosttoleranz der beitung regelmäßig gestört werden und verschiedenen Ökotypen untersuchten, darum keine stabilen Lebensgemein- fanden wir eine sehr gute Korrelation der schaften entwickeln. Daher der Name Toleranz – vor allem der akklimatisierten „Ackerschmalwand”. Pflanzen – mit der Entfernung vom Äqua- Als Einjährige mit einem raschen Le- tor, also dem nördlichen Breitengrad benszyklus wäre Arabidopsis der ideale (Abb. 10). Kandidat für die „escape”-Strategie, die keiner Frosttoleranz bedarf. Tatsächlich treffen wir bei den iberischen Populatio- nen auf recht empfindliche Pflanzen: bei etwa minus vier Grad werden die Blätter zu 50 Prozent geschädigt, kälte-akklimati- sierte Pflanzen halten bis etwa minus sechs Grad durch. Ganz anders verhält es sich aber mit Populationen von weiter Abb. 8: Arabidopsis thaliana, die Ackerschmalwand, ist eine unscheinbare, einjährige Pflanze, die durch nördlich gelegenen Standorten. Sie zei- ihr kleines Genom Berühmtheit erlangte. Die Sequenz gen schon im nicht akklimatisierten Zu- des Erbguts ist inzwischen vollständig bekannt, und stand eine Frosttoleranz bis minus sieben WechselWirkungen y Arabidopsis ist zum wichtigsten Modellorganismus in der Pflanzenforschung geworden. Grad, und im Winter überleben die Pflan- Jahrbuch 2005 y 21
WechselWirkungen y Schon vor einigen Jahren konnten lulären Eisbildung schützt. Entzieht man Jahrbuch 2005 y Wissenschaftler nachweisen, dass vor al- einer Membran nämlich die Wassermo- lem die zellulären Membranen bei Frost leküle, die die „Köpfchen” der Lipide um- gefährdet sind – in erster Linie die Plas- geben (Abb. 11), dann verliert sie ihre mamembran, aber auch die Membranen Beweglichkeit und erstarrt zu einem Gel. der Chloroplasten, jener pflanzlichen Or- Damit werden einerseits Transportprozes- ganellen, in denen die Photosynthese se behindert, andererseits erfolgt die Gel- stattfindet (Steponkus, 1984; Hincha and bildung nicht gleichmäßig, sondern in Schmitt, 1992). Die Membranen reagie- manchen Membranbereichen schneller ren empfindlich auf den Wasserentzug, als in anderen. Durch die Ausbildung von der die Zellen ansonsten vor der intrazel- Domänen mit unterschiedlicher Beweg- lichkeit kommt es zu Beschädigungen der Membran, Löcher entstehen und die Zellen verlieren ihre Inhaltsstoffe. Neben der Ausbildung von Gelen kann es auch zur Entstehung von Micellen kommen, wenn benachbarte, de-hydrierte Membra- nen miteinander fusionieren. Eine Ver- schmelzung von Plasmamembran und Plastidenhülle bedeutet dabei den Unter- gang der Zelle. Wie die Zellen sich vor diesen Schädigungen schützen, ist noch nicht ganz aufgeklärt, aber wir haben bei Arbeiten mit Modell-Membranen wichti- ge Hinweise erhalten. So fanden wir her- aus, dass die Kopfgruppen der Lipide aus Hühnerei sich anstelle von Wasser auch mit einer Reihe von Zuckermolekülen umgeben können und dadurch unter- schiedlich gut gegen Gefrierschäden ge- schützt werden. Die Schutzwirkung von Saccharose und Trehalose, einem beson- ders bei Hefe wichtigen Zuckermolekül, war schon bekannt. Abb. 10: Frosttoleranz von Arabidopsis thaliana. Von Links nach rechts sind die Ökotypen nach zunehmender Entfernung vom Äquator angeordnet. Die Toleranz nicht akklimatisierter Pflanzen ist orange, die der akklimati- sierten Pflanzen blau dargestellt. Die Lethaltemperatur50 ist diejenige Temperatur, bei der die Zellen des Blattge- webes zu 50 Prozent geschädigt sind. Deutlich ist zu erkennen, dass die Toleranz akklimatisierter Pflanzen nach Norden hin zunimmt. Die Ursache dafür, dass eine Pflanze mit typischem „escape”-Verhalten den- noch Frosttoleranz entwickelt, dürfte bei Arabidopsis wiederum mit der Konkur- renzschwäche zusammenhängen: da die Pflanzen sehr früh im Jahr auskeimen, können ihnen die Fröste zu Beginn der Vegetationsperiode noch gefährlich wer- den. Das erklärt auch, warum Arabidopsis so schnell auf niedrige Temperaturen rea- giert: schon nach einem Tag bei vier Grad nimmt die Toleranz zu. Während der Ak- klimatisierung kommt es zu weitreichen- den Veränderungen im Stoffwechsel der Pflanzen. Wachstumsprozesse werden rasch unterbrochen, und die Zellen begin- Abb 11: Modell einer biologischen Membran. Die Membran besteht aus einer Doppelschicht von Lipiden, in nen mit der Produktion von Frostschutz- die Proteine (lila), Kohlenhydrate und Cholesterin (gelb) eingelagert sind. Die Lipide bestehen aus einer von Wassermolekülen umgebenen Kopfgruppe (grau) und zwei hydrophoben Fettsäureketten. Die Ketten sind be- mitteln. Aber was muss geschützt wer- weglich, solange die Kopfgruppen vom Wasser auf Abstand gehalten werden. In diesem Zustand ist die Mem- den – und wie? bran flüssig-kristallin. 22
Raffinose – ein guter Kandidat als Frostschutzmittel? Wir konnten aber nachweisen, dass eini- ge größere Zuckermoleküle aus drei bis fünf Einzelbausteinen unterschiedlicher Struktur noch stärker als Saccharose wir- ken (Hincha et al., 2002; Hincha et al., 2003). Insbesondere die Raffinose, ein Trisaccharid aus Galaktose, Glukose und Fruktose, ist besonders interessant. Sie wird von verschiedenen Pflanzen – dar- unter auch Arabidopsis – nur in der Kälte und in Samen gebildet und hat hervorra- gende Schutzwirkung. In unserer Ökoty- Abb. 12: Rafinosegehalte verschiedener Arabidopsis Genotypen. RS ist eine Mutante mit Defekt im Raffinose- pensammlung korreliert der Raffinosege- Synthase Gen. Die Pflanze enthält daher keinerlei Raffinose. GcGol32 ist eine transgene Linie, die eine Galac- halt mit der Frosttoleranz. Es lag also na- tinol-Synthase aus Gurke exprimiert. Sie hat im nicht-akklimatisierten Zustand, in dem Raffinosegehalte niedrig sind (orange), viermal mehr Raffinose als die Mutterpflanze (Col-0), im akklimatisierten Zustand (blau) ist der he, in der Raffinose einen guten Kandida- Gehalt noch fast zweimal so groß. Trotz der deutlichen Unterschiede im Raffinosegehalt zeigen alle drei Pflan- ten für ein Frostschutzmittel zu vermuten. zen die gleiche Frosttoleranz. Wir haben deshalb den Stoffwechsel von Arabidopsis-Pflanzen so verändert, dass Raffinose-Synthese. Und Saccharose ist der Wirkungen der Saccharose-Spaltung sie mehr Raffinose produzieren können. die Hauptdrehscheibe des pflanzlichen ist, dass die Zucker nicht abtransportiert Hierfür haben wir ein Gen aus Gurke Stoffwechsels: sie ist das eigentliche End- werden können, denn Transport ist nur in übertragen, dessen Produkt die Vorstufe produkt der Photosynthese, ist Transport- Form von Saccharose möglich. Wiede- der Raffinose, das Galactinol, syntheti- form für die Versorgung der Wurzeln und rum durch einen gentechnischen Eingriff siert. Die „transgene” Arabidopsis mit Blüten und fungiert als Signalmolekül, haben wir die Invertase-Aktivität reduziert dem Gurkengen produziert nun auch bei das die Pflanze über ihren Stoffwechsel- mit der Folge eines bis zu fünffachen An- Normaltemperatur Raffinose, und selbst Status informiert. Ein Eingriff in den Raffi- stiegs der Saccharose-Konzentration. Die- in der Kälte, wenn die Raffinosebildung nose-Haushalt könnte also Nebenwirkun- ser Eingriff hatte bei einem frostsensitiven sowieso induziert wird, ist der Gehalt gen haben – und zwar selbst dann, wenn iberischen Ökotyp (C24) keinerlei Folgen noch fast doppelt so hoch (Abb.12). Für – wie in unserem Fall – der Saccharose- für die Kältetoleranz. den direkten Vergleich haben wir außer- gehalt weder bei der Mutante noch bei dem eine Mutante ausgewählt, die auf- der Transgenen verändert ist. Es kommt grund eines Gen-Defekts nicht mehr in nämlich nicht unbedingt auf die Konzen- der Lage ist, Galactinol in Raffinose um- tration eines Stoffes an, wenn dieser ei- zuwandeln. Die Mutante enthält keinerlei nem raschen Umsatz unterliegt. Eben Raffinose mehr und reichert stattdessen dieser Umsatz kann entscheidend sein: große Mengen Galactinol an. Zu unserer der Saccharosegehalt einer Zelle ergibt Überraschung zeigten alle drei, die Mu- sich aus dem Gleichgewicht zwischen tante, die Transgene und die Ausgangsli- Synthese, Abbau und Abtransport in die nie, die gleiche Frosttoleranz – der Weg- übrigen Gewebe der Pflanze. Zu- und Ab- fall der Raffinose hatte den Pflanzen also flüsse dieses Gleichgewichts sind an der gar nichts ausgemacht. Für diesen uner- Konzentration nicht abzulesen. warteten Befund gibt es zwei mögliche Wir haben darum ein weiteres Experi- Erklärungen: entweder war die Raffinose ment durchgeführt, bei dem wir das gar nicht wichtig für die Frosttoleranz der Gleichgewicht ganz bewusst gestört ha- Pflanzen – oder irgendeine andere Sub- ben. In den Blattzellen nimmt die Vakuole stanz, vielleicht auch mehrere andere, ha- den größten Raum ein. Sie ist eine Art ben ihre Funktion übernommen. Aus un- wassergefüllter Vorratsraum der Zelle, in serem kleinen Experiment lässt sich eini- dem Mineralsalze, aber auch Zellgifte ge- ges ableiten: zum einen sehen wir, dass lagert werden, weil sie den eigentlichen die Korrelation einer Stoffmenge mit ei- Stoffwechsel hier nicht stören. Auch nem physiologischen Phänomen wie Käl- Zucker werden gespeichert, und dafür tetoleranz nicht unbedingt auf einen kommen in der Vakuole Enzyme – die so funktionalen Zusammenhang hinweist. genannten Invertasen – vor, die Saccha- Zum anderen deutet sich an, dass Frost- rose in die Bestandteile Glukose und toleranz ein komplexes Phänomen ist. Fruktose zerlegen. In dieser Form können Die Raffinose-Bildung könnte in einem die Zucker die Vakuole wahrscheinlich nur indirekten Zusammenhang mit dem nicht mehr so leicht verlassen, werden al- Toleranzerwerb stehen. Außer Galactinol so angereichert. Noch ist die Rolle der In- WechselWirkungen y ist Saccharose eine direkte Vorstufe der vertasen nicht ganz verstanden, aber eine Jahrbuch 2005 y 23
WechselWirkungen y Sind es also doch nur einige wenige Eltern. Man beobachtet Heterosis vor al- Jahrbuch 2005 y Substanzen, die für die unterschiedliche lem bei komplexen Eigenschaften wie Toleranz von C24 und Columbia verant- der Ertragsbildung landwirtschaftlicher wortlich sind? Wenn das zuträfe, müsste Nutzpflanzen oder deren Wuchshöhe. sich die Toleranz von Columbia durch Komplexität scheint geradezu eine Vor- Kreuzung leicht auf C24 übertragen las- aussetzung für Heterosis zu sein, denn sen. Mit einem kleinen Trick kann man sie lässt Spielraum für die Interaktion ver- die Selbstbestäubung verhindern und schiedener genetisch bedingter Merkma- dann mit dem Pollen von Columbia die le der beiden Eltern. Blüten von C24 bestäuben. In der Filial- Auch die Kreuzung von C24 und Co- generation enthalten alle Nachkommen lumbia zeigt Heterosis (Abb. 14). Die he- jeweils gleich viele Chromosomen von terozygoten Nachkommen sind größer beiden Eltern, sind also vollständig he- und produzieren mehr Samen als die El- terozygot. Rein theoretisch sollte die Frost- tern. Aber nicht nur das: sie sind auch frost- toleranz in dieser Generation einen toleranter. Die Lethal-Temperatur der Im Genotyp Columbia, der ein deutlich mittleren Wert einnehmen. Bei den Fol- akklimatisierten Nachkommen liegt ein höheres Akklimatisierungspotenzial auf- gegenerationen kommt es dann aufgrund Grad unter der von Columbia (Rohde et weist, nahm die Toleranz jedoch um zwei von Rekombinationen zu einer zufälligen al., 2004). Ob hierfür ausschlaggebend Grad zu (Abb. 13). Offensichtlich kann al- Entmischung der Genome. In den weite- ist, dass vom jeweils besser ausgestatte- so eine Veränderung des Saccharose- ren Nachkommenschaften werden die In- ten Elternteil das jeweils überlegene Gen haushalts die Frosttoleranz beeinflussen dividuen also genetisch verschieden sein, beigesteuert wurde oder ob zwei ver- – aber dies ist von genetisch bedingten und immer dann, wenn die wichtigen Ge- schiedene Varianten desselben Gens vor- Voraussetzungen abhängig. Bei Genoty- ne von Columbia homozygot vorliegen, liegen müssen, ist nicht ganz klar. Zwi- pen mit nur geringer Akklimatisierungs- sollte die Frosttoleranz so wie bei Colum- schen drei Theorien zur Heterosis kann Kapazität bleibt sie wirkungslos. Dies bia ausgeprägt sein. In der Praxis verhält bislang noch nicht eindeutig entschieden könnte einerseits darauf hindeuten, dass es sich jedoch ganz anders: die Wirkung werden. Eins ist aber klar: Frosttoleranz in der iberischen Varietät C24 irgendeine der Gene ist nicht rein additiv, es gibt muss eine komplexe Eigenschaft sein. weitere, essentielle Komponente fehlt, Wechselwirkungen zwischen den Loci Mit einigen wenigen Genen oder einer oder dass die Saccharose nicht selbst und in manchen Fällen kommt es zu ei- Hand voll Metaboliten kann man das Phä- wirkt, sondern als Substrat für die Synthe- nem Phänomen, das die Pflanzenzüch- nomen nicht erklären. se anderer Frostschutzmittel genutzt tung seit langem kennt und nutzt, aber wird, zu deren Bildung C24 nicht in der noch heute nicht recht erklären kann: He- Deshalb haben wir damit begonnen, Lage ist. terosis. Sie ist die Überlegenheit hetero- die Akklimatisierung systematisch zu un- zygoter Nachkommen gegenüber beiden tersuchen. Für den Genotyp Columbia ha- Hinweise, die für die zweite Möglich- keit sprechen, erhielten wir bei einer um- fassenden Metabolit-Analyse der transge- nen Pflanzen. Das so genannte „Metabo- lite Profiling” zielt auf einen Vergleich der Konzentrationen möglichst vieler Stoff- wechselprodukte bei verschiedenen Ge- notypen oder unterschiedlich behandel- ten Pflanzen. Hierbei zeigte sich, dass die Steigerung der Saccharosekonzentration in Columbia-Pflanzen umfangreiche Ver- änderung auch im Aminosäure-Stoff- wechsel bedingt, während dies bei C24 nicht der Fall ist. Unter den Aminosäuren, die in Columbia vermehrt auftreten, befin- det sich das Prolin, ein Molekül mit unge- wöhnlichen Eigenschaften, das als „Su- per-Osmolyt” an vielen Stressreaktionen beteiligt ist. Daneben wird aber auch Glutamin angereichert – eine Aminosäu- re, die in Pflanzen bislang kaum im Zu- sammenhang mit Kältestress aufgefallen war, wohl aber bei Bakterien (Frings et al., 1993). Das Glutamin hat eine positiv Abb. 13: Steigerung der Saccharosegehalte durch Inhibition der vakuolären Invertase führt im frosttoleranten geladene Seitenkette und könnte daher Genotyp Col-0 zu einer Verbesserung der Toleranz, nicht aber im sensitiven Genotyp C24. Akklimatisierte Co- mit den negativ geladenen Kopfgruppen lumbia-Pflanzen sind dunkelblau dargestellt, nicht akklimatisierte orange. Verschiedene transgene Pflanzen mit reduzierter Invertase-Aktivität sind mit Nummern bezeichnet, die Balken sind gemustert. Entsprechend wurde der Lipide wechselwirken (Anchordoguy bei C24 verfahren. Hier sind nicht akklimatisierte Pflanzen gelb, akklimatisierte hellblau wiedergegeben. Die et al., 1988). Zahlenangaben beziehen sich auf die Lethaltemperatur50. 24
ben wir die Veränderung der Expression aller 24.000 Gene in der Kälte aufge- zeichnet. Wir haben eine Datenbank an- gelegt, die unsere eigenen Untersuchun- gen und die Untersuchungen anderer Abb. 15: Für neun verschie- Forschergruppen beinhaltet und dabei dene Ökotypen von Arabi- berücksichtigt, wie lange die Pflanzen je- dopsis lässt sich ein Zusam- menhang zwischen der An- weils der Kälte ausgesetzt waren. Das Er- zahl kälteregulierter Gene gebnis war erstaunlich: über 7.000 Ge- und der Frosttoleranz nach- weisen. Das deutet darauf ne, also etwa ein Drittel, wird durch die hin, dass die Änderung der Behandlung bei vier Grad betroffen, wo- Expression bei einer großen bei etwa gleiche Anzahlen induziert be- Anzahl von Genen in einem funktionellen Zusammen- ziehungsweise reprimiert werden (Han- hang mit der Frosttoleranz nah et al., 2005). Die Umstellung ist also steht. massiv! Aber was ist einfach nur eine Fol- ge geänderter Umweltbedingungen und was Ursache für die Zunahme der Tole- ranz? Bei über 7.000 Kandidatengenen ist es durchaus schwierig, dieser Frage nachzugehen, zumal nicht klar ist, wie groß die Beiträge einzelner Genprodukte zur Gesamteigenschaft sind. Abb.14 b: Für die Eigenschaft Frosttoleranz konnte Heterosis erstmals in einer Kreuzung der Genotypen Columbia und C24 von Arabidopsis nachgewiesen werden. Die Nachkommen sind nach der Kälte-Akklimatisierung dem tolerante- Abb 14 a: Als „Heterosis” wird bezeichnet, wenn die Nachkommen einer Kreu- ren Elternteil Columbia um ein Grad überlegen. Die Toleranz der akklimatisierten zung (F 1) ihren beiden Eltern (P1 (links): Columbia; P2 (rechts): C24) überlegen Pflanzen ist in dunkel- und hellblau, die der nicht akklimatisierten in gelb bezie- sind. In der Landwirtschaft wird Heterosis zur Steigerung von Erträgen genutzt. hungsweise rosa dargestellt. Um zunächst einmal einen Überblick von Genen in die Ausprägung des Tole- Art „Landkarte” des Genoms, auf der die darüber zu erhalten, wie groß in etwa der ranzmerkmals involviert. Welche Gene es wichtigsten Orte der Toleranzausbildung Anteil der merkmalsbildenden Gene ist, nun tatsächlich sind, untersuchen wir der- verzeichnet sind. Sobald wir diese Orte haben wir die Genexpressionsstudien auf zeit mit Methoden der quantitativen Ge- gefunden haben, können wir mit moleku- unsere gesamte Ökotypen-Sammlung er- netik. Hierzu verwenden wir eine Kreu- laren Methoden sozusagen dort hinreisen weitert. Nun können wir die Anzahl kälte- zung des sensitiven Ökotyps C24 mit und untersuchen, was an diesen Orten regulierter Gene mit den Akklimatisie- dem sehr toleranten Ökotyp Tenela. Aus tatsächlich geschieht. rungskapazitäten der verschiedenen Öko- der Nachkommenschaft der Kreuzung ha- typen korrelieren und so abschätzen, ob ben wir von 400 Individuen durch Selbst- der Umfang der Umstellung überhaupt befruchtung über sieben Generationen In- etwas mit der Toleranzzunahme zu tun zuchtlinien erzeugt und können nun die hat. Das ist tatsächlich der Fall: je toleran- Genloci ermitteln, die einen signifikanten ter ein Ökotyp ist, desto stärker reagiert Beitrag zur Toleranz leisten. Man nennt er auf Temperaturänderungen (Abb.15). dieses Verfahren „QTL Mapping” (quanti- WechselWirkungen y Offensichtlich ist also eine große Zahl tative trait locus mapping). Es liefert eine Jahrbuch 2005 y 25
WechselWirkungen y Jahrbuch 2005 y Literatur Anchordoguy,T.J., Carpenter,J.F., Loomis,S.H., and Crowe,J.H. (1988). Mechanisms of interaction of ami- no acids with phospholipid bilayers during freezing. Biochimica et Biophysica Acta 946, 299-306 Frings,E., Kunte,H.J., and Galinski,E.A. (1993). Compa- tible solutes in representatives of the genera Brevibac- Prof. Dr. terium and Corynebacterium: Occurrence of tetrahy- Arnd G. Heyer dropyrimidines and glutamine. FEMS Microbiology Letters 109, 25-32 Nach dem Studium der Bioche- Hannah,M., Heyer,A.G., and Hincha,D.K. (2005). A global survey of gene regulation during cold acclimati- mie an der Eberhard Karls Uni- on in Arabidopsis thaliana. PLoS Genetics in press versität Tübingen und an der Hincha,D.K. and Schmitt,J.M. (1992). Freeze-thaw in- Freien Universität Berlin promo- jury and cryopreservation of thylakoid membranes. In Water and Life, G.N.Somero, C.B.Osmond, and C.L.Bo- vierte der im Mai 1963 geborene lis, eds. (Berlin: Springer), pp. 316-337 Gießener 1991 über „Charakteri- Hincha,D.K., Zuther,E., Hellwege,E.M., and Heyer,A.G. sierung des Phytochromsystems (2002). Specific effects of fruct- and gluco-oligosac- von Solanum tuberosum an der charides in the preservation of liposomes during dry- ing. Glycobiology 12, 103-110 FU Berlin. Im Juni 2001 habili- Hincha,D.K., Zuther,E., and Heyer,A.G. (2003). The tierte sich Arnd Heyer an der preservation of liposomes by raffinose family oligosac- Universität Potsdam mit dem charides during drying is mediated by effects on fusi- Thema „Molekularbiologische on and lipid phase transitions. Biochim Biophys Acta 1612, 172-177 Ansätze zum Studium der Pigliucci,M. and Hayden,K. (2001). Phenotypic plasti- Fruktansynthese“. Anschließend city is the major determinant of changes in phenoty- war er als Gruppenleiter am pic integration in Arabidopsis. New Phytologist 152, Max-Planck-Institut für Molekula- 419-430 re Pflanzenphysiologie in Golm Rohde,P., Hincha,D.K., and Heyer,A.G. (2004). Hetero- sis in the freezing tolerance of crosses between two bei Potsdam tätig. Seit April Arabidopsis thaliana accessions (Columbia-0 and 2004 ist Arnd Heyer Professor C24) that show differences in non-acclimated and für Botanik des Biologischen In- acclimated freezing tolerance. Plant J 38, 790-799 Sharbel,T., Haubold,B., and MitchellOlds,T. (2000). stituts der Universität Stuttgart. Genetic isolation by distance in Arabidopsis thaliana: biogeography and postglacial colonization of Europe. Molecular Ecology 9, 2109-2118 Steponkus,P.L. (1984). Role of the plasma membrane in freezing injury and cold acclimation. Annual Review of Plant Physiology 35, 543-584 26
WechselWirkungen y Jahrbuch 2005 y 27
Sie können auch lesen