Future Bauhaus: Das Jubiläumsjahr 2009 Millionenförderung für Kolleg - Journal der Bauhaus-Universität Weimar

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Journal der Bauhaus-Universität Weimar                       4 | 2007
Bauhaus-Universität

                                                   Future Bauhaus:
Weimar

                                                   Das Jubiläumsjahr 2009
                                                   Millionenförderung für Kolleg
Universität                               27 Die schillernde Innenhaut der              Leben
                                                                klingenden Kleider
              3   Editorial                                                                            47 Morgen, Kinder, wird’s was geben
                                                            28 Fakultät Bauingenieurwesen                 Pünktlich zu Weihnachten erscheint die
              4   Nachrichten aus der Hochschule                                                          neue Merchandising-Kollektion
                                                            28 Zukunft Immobilienwirtschaft
              5   Ständiges Galerie-Schaufenster                Karrieretag auf der EXPO-REAL          48 Nah-Aufnahme:
                                                                                                          Dan Guo und Yimeng Zhao
              5   Bauhaus-Alben zeigen Klassiker des        29 Das »Alte Gut«
                  Produktdesigns                                Weimarer Studenten entwickeln          48 Der Careers Service eröffnet Berufs-
                                                                Liegenschaft in Jena                      perspektiven
              6   Bauhaus und DaVinci
                                                            29 Nahrung für Körper und Geist            49 Bauhaus-Spaziergang im Winter
              6   Technology and Society                        Fachexkursion des FIB
                                                                                                       49 Die besten Gründe für ein Studium
              8   Die Mensch-Ding-Beziehung                 30 Straßenleben – Lebendige Straßen           in Weimar
                  Internationales Kolleg holt hochrangige       Verkehrsplanung im Dialog
                  Geisteswissenschaftler nach Weimar                                                      Preise
                                                            31 Explosionen unter der Lupe
              11 Neues aus dem Archiv der Moderne               Frieder Seible forscht in Weimar       51 backup.bilanz
                                                                                                          Die Preisträger des 9. backup_festivals
                  Schwerpunkt                               32 Fakultät Gestaltung
                                                                                                       52 Kurzer und schöner Vaterschaftstest
              13 »Future Bauhaus«                           33 Wie werde ich Designer?
                  Die Bauhaus-Universität Weimar und            Positive Resonanz zum Orientierungs-   52 Kinder bringen Farbe ins Studium!
                  das Bauhaus-Jubiläum 2009                     kurs »Gestaltung studieren?!»
                                                                                                       53 ADAC belohnt Entwurfsprojekt
              15 Das Bauhaus inmitten bürgerlich-           34 Kommunikationsideen gegen den
                  gesitteter Ruhe                               Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen     53 Fünf Absolventen mit STIFT-Preis 2007
                                                                                                          ausgezeichnet
              16 futureflection bauhau¿                     35 Digitale Bilder zugänglich machen
                                                                Das Digital Design Image Archive       53 Markus Krajewski erhält Förderpreis
              17 Nur Vision? Wir gestalten sie!
                                                            36 Fakultät Medien                         54 »Tagesthemen-Do-It-Yourself«
              18 Das Experiment mit ungewissem Aus-
                  gang wagen                                37 Erfolgsgeschichte Unicato               54 Die Poesie handgebauter Modelle
                                                                Das studentische Filmmagazin feiert
              19 Die Fakultät Medien im Spiegel des             seinen ersten Geburtstag               55 Erntezeit: Lorbeeren für hervorragende
                  Bauhauses                                                                               Leistungen
                                                            37 Alltag mit Althaus, Matschie,
              20 Als Förderer eigene Impulse setzen             Ramelow und Co.                        55 Abwasseranlagen haltbarer machen
                  Dieter Bauhaus im Interview
                                                            38 Volksboutique, Venedig und Weimar       56 Frisch auf den Büchertisch
                  Projekte | Forschung                          Ein Interview mit Christine Hill
                                                                                                       57 Kalender
              23 Fakultät Architektur                       40 Neues aus den An-Instituten
                                                                                                       58 Über den eigenen Horizont hinaus­
              24 Bauhaus digital                                Personalia                                blicken
                  MediaArchitecture im Haus Am Horn                                                       Alumni der Bauhaus-Universität
                                                            43 Neue Professoren berufen                   berichten (7)
              25 Mobiltelefone im öffentlichen Raum
Universität

                  Konferenz MEDIACITY                       44 Personalveränderungen

              25 Graduierungsfeier im Audimax               45 Ausbildung statt Studium

              26 Vernunftgemäße Schönheit                   45 Nachruf für Prof. Dr. sc. nat.
    2             Ausstellung zum 50. Todestag von              Heinz-Joachim Presia
                  Henry van de Velde
Editorial

»Eine Stadt, in der es eine Kunsthoch-
schule gibt, ist immer etwas spannender
als eine Stadt, in der es keine gibt«,
bemerkte Professor Jens Geelhaar, Pro-
fessor im Studiengang Mediengestaltung
und Dekan der Fakultät Medien in die-
sem Sommer anlässlich der Jahresschau

                                                                            Foto: Jonna Schmidt
»summary«. Wie aber verwandelt sich eine
Stadt, wenn ihre Hochschule sich gleich
ein ganzes Jahr mit Ausstellungen, Podien,
Tagungen öffnet und künstlerisch im
öffentlichen Raum interveniert?
  2009, zum 90jährigen Bauhaus-              rangige geisteswissenschaftliche Größen
Jubiläum, werden wir es erleben. Mit         nach Weimar holen. Im Interview erläu-
zahlreichen Aktivitäten will sich die Uni-   tern die beiden Initiatoren die Bedeutung
versität am Jubiläumsjahr beteiligen, tem-   des neuen Forschungskollegs für die Bau-
poräre Bauten errichten, Projekte mit        haus-Universität, für die Studierenden
internationalen Partnern initiieren und zu   und für sie persönlich.
hochkarätig besetzten Konferenzen einla-       Ansonsten berichtet der bogen vom
den. Der bogen-Schwerpunkt beschäftigt       Workshop »Technology and Society«, bei
sich mit den aktuellen Vorbereitungen        dem Wissenschaftler aus Deutschland
und fragt bei den Dekanen der vier Fakul-    und San Diego sich mit modernen Visu-
täten nach: »Was ist für Sie das Bauhaus     alisierungstechnologien beschäftigten,
von heute?«                                  stellt die in diesem Studienjahr neu beru-
  Das Wintersemester startete mit einer      fenen Professoren und Professorinnen vor
ausgesprochen guten Nachricht für die        und gibt Einblicke in jede Menge aktuelle
Bauhaus-Universität und ihre geisteswis-     Projekte der Fakultäten.
senschaftlichen Disziplinen. Das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung        Viel Spaß beim Lesen wünscht
fördert ab kommenden Frühjahr ein
»Internationales Kolleg für Kulturtech-      Claudia Weinreich
nikforschung und Medienphilosophie«          Pressesprecherin
mit fast 9 Millionen Euro. Prof. Bernhard
Siegert und Prof. Lorenz Engell, beide
Professoren im Studiengang Medienkul-
tur, hatten sich mit ihrem Kolleg-Antrag
im September erfolgreich durchgesetzt
und werden nun ab Frühjahr 2008 hoch-
                                                                                                  Universität

                                                                                                      3
Nachrichten aus der Hochschule

              Neue Grundordnung                           Exzellente Bauhaus-                          Marketing-Lehrprojekt
              gewinnt Gestalt                             Universität?                                 abgeschlossen

              (ra/uk) Die Bauhaus-Universität gibt sich   (ra/uk) »Experiment und Exzellenz« – so      (uk) Einen Einblick in die Welt des Hoch-
              eine neue Grundordnung. Hintergrund         heißt das Konzept, mit dem sich die          schulmarketings gibt es im Januar. Dann
              dessen ist eine Novelle des Thüringer       Bauhaus-Universität Weimar um eine Ex-       werden die Ergebnisse des Lehrprojekts
              Hochschulgesetzes, nach der Hochschulen     zellenzförderung für kleinere und mittlere   »Marketing goes Bauhaus« von Prof. Thor-
              ihre Grundordnung überarbeiten dürfen.      Hochschulen bewirbt.                         sten Hennig-Thurau und Dipl.-Ök. Micha-
                                                                                                       el Paul präsentiert.
              Doch wozu braucht man sie überhaupt?        Das vom Stifterverband für Deutsche Wis-
              Kurz gefasst ist die Grundordnung die       senschaft und von der Heinz Nixdorf Stif-    Einen ersten Eindruck vermitteln die im
              Basis einer Hochschule, in der die Auf-     tung ausgeschriebene Förderprogramm          Rahmen des Projekts entstandenen Inter-
              gaben der Universität, ihre Aufteilung in   »Profil und Kooperation« unterstützt für     netseiten für die Bachelorstudiengänge
              verschiedene Bereiche und deren Arbeits-    die Dauer von zwei Jahren fünf vorbild-      Infrastruktur und Umwelt und Medien-
              felder sowie Grundlagen zu Studium,         liche Wettbewerbsstrategien deutscher        systeme sowie für den Master Medien-
              Prüfung, akademischen Graden und zur        Hochschulen mit jährlich 200.000 Euro.       management. Die Online-Auftritte sind
              Verwaltung der Hochschule definiert sind.     Die Bauhaus-Universität Weimar ver-
                Bei einer außerordentlichen Senats-       folgt in ihrem Konzept zwei wesentliche
              klausur Ende September wurden ver-          Strategien: eine klare Profilbildung von
              schiedene Varianten einer Strukturreform    Forschungs- und Kunstprojekten und
              der Bauhaus-Universität diskutiert. Die     deren Schnittstellen sowie die strate-
              Senatsmitglieder einigten sich auf fol-     gische Vernetzung mit weltweit ausge-
              gende Punkte: Es sollen neue Selbstver-     wählten Partnern, um eigene Potenziale
              waltungseinheiten sowie Strukturen für      effektiver nutzen zu können.
              die Doktorandenförderung und die wis-         Unter 64 Bewerbern gelang es der
              senschaftliche Weiterbildung geschaffen     Bauhaus-Universität, sich als einzige
              werden. Außerdem wurden temporäre           ostdeutsche Universität für den Endaus-      Wie faszinierend der Studiengang Infrastruktur und
              Struktureinheiten befürwortet, um Kunst-    scheid zu behaupten, an dem elf Hoch-        Umwelt ist, zeigen zahlreiche Bilder auf der Internet-
                                                                                                       seite. Fotos: Jonna Schmidt
              und Forschungsprojekte zielgerichtet        schulen teilnehmen. In der Finalrunde am
              fördern zu können.                          12. Dezember 2007 in Berlin werden der
                Bis zur Senatssitzung im Dezember         Rektor, Prof. Gerd Zimmermann, sowie         Bestandteil eines umfassenden Marke-
              werden die Änderungen in den Entwurf        der Prorektor für Studium und Lehre,         tingkonzepts. 26 Studierende analysierten
              der Grundordnung eingearbeitet. Die         Prof. Lorenz Engell, das Konzept der Bau-    in enger Zusammenarbeit mit den jewei-
              finale Fassung muss spätestens im März      haus-Universität präsentieren.               ligen Studiengangsleitern die Stärken und
              kommenden Jahres dem Thüringer Kul-                                                      Schwächen der Studiengänge und glichen
              tusministerium vorliegen. Am 1. Juli 2008                                                diese mit den Präferenzen von Studienan-
              tritt die neue Grundordnung in Kraft.                                                    fängern ab, um die zentralen Argumente
                                                                                                       für jeden Studiengang zu identifizieren.
                                                                                                       Um die Bekanntheit zu steigern, wurden
                                                                                                       für die Studiengänge außerdem Schlüssel-
                                                                                                       bilder entwickelt und ergänzende Online-
                                                                                                       Maßnahmen umgesetzt.

                                                                                                       www.uni-weimar.de/i&u
Universität

                                                                                                       www.uni-weimar.de/mm
                                                                                                       www.uni-weimar.de/ms

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Ständiges Schaufenster ab dem Sommersemester

(ra/uk) Die Bauhaus-Universität wird                                                                  Ermöglicht wurde die permanente Aus-
immer präsenter im Weimarer Stadtbild.                                                                stellungsfläche im Neuen Museum durch
Zum nächsten Sommersemester zieht eine                                                                eine Kooperation der Bauhaus-Universität
universitäre Galerie ins Souterrain des                                                               mit der Galerieinitiative des Studierenden-
Neuen Museums ein.                                                                                    Konvents (StuKo) und der Klassik-Stiftung
                                                                                                      Weimar. Die Eröffnungsausstellung wird
Die Galerie dient als Präsentationsfläche                                                             derzeit inhaltlich und konzeptionell von
für studentische Arbeiten, Forschungser-                                                              einem Beirat erarbeitet, in dem Mitglieder
gebnisse und das Alumni-Büro. Außerdem                                                                der drei Kooperationspartner vertreten
werden Kooperationsprojekte mit dem                                                                   sind. Für die Umsetzung der einzelnen
Archiv der Moderne und der Klassik-Stif-                                                              Projekte werden interne und externe Kura-
tung ausgestellt. Durch das Schaufenster     Das Neue Museum. Foto: Christiane Zuleger                toren berufen.
im Neuen Museum sollen auch außerhalb
der Universität Arbeitsfelder des zeitge-    Diskurse angeregt, Potenziale gefördert                  www.uni-weimar.de/galerie
nössischen Bauhauses aufgezeigt werden,      und Experimente vorangetrieben werden.

Noch heute aktuell: schlichte Form und hohe Qualität
Bauhaus-Alben zeigen Klassiker des Produktdesigns

(uk) Einmalige Fotografien der Keramik-      sie zu den ersten gehörten, die den Kon-                 am frühen Bauhaus auf ganz besondere Art
und der Metallwerkstattarbeiten am           takt zur Industrie suchten. So entwickelten              und Weise nahe.
frühen Bauhaus erwarten die Leser im         sie ihre experimentellen Formen bis hin                     Band Zwei der Bauhaus-Alben
zweiten Band der Bauhaus-Alben, der seit     zu serienreifen Produkten. Als Ergebnisse                erscheint in einer Auflage von 800 Stück
dem 9. November 2007 im Handel erhält-       kann man unter anderem die berühmte                      und ist für 52 Euro beim Universitäts-
lich ist.                                    Leuchte von Wilhelm Wagenfeld und den                    verlag der Bauhaus-Universität oder im
                                             siebenarmigen Leuchter von Gyula Pap                     Buchhandel erhältlich.
Rund die Hälfte der Abbildungen der kera-    bewundern, die durch ihre schlichte Form                 ISBN: 978-3-86068-318-7
mischen Werkstatt und mehr als ein Drit-     und Gestaltung auch heute noch modern
tel der Metallwerkstatt werden erstmals      sind. Mit der sorgfältigen Reproduktion                  www.uni-weimar.de/bauhaus-alben
der Öffentlichkeit präsentiert. Das Beson-   der Fotoalben bringt der Verlag der Bau-
dere dieser beiden Werkstätten ist, dass     haus-Universität dem Betrachter die Arbeit
                                                                                                                                                    Universität

                                                                                                                                                        5

Cover der Bauhaus-Alben, Band 2              Berühmte Designklassiker im originalen Zustand. Bilder: Universitätsverlag
Bauhaus und DaVinci
              Der italienische Kunstexperte Maurizio Seracini blickt hinter die Oberfläche von Gemälden

              Maurizio Seracini gilt als einer der größ-                                                    is like a doctor. When you meet a doctor
              ten Kunstexperten unserer Zeit. Sein                                                          he might look at you and see some sym-
              halbes Leben lang sucht der gebürtige                                                         ptoms of an illness. But he can also see
              Florentiner nach der »Schlacht von Anghi-                                                     you as person not as patient.
              ari« von Leonardo DaVinci. Nach mehr-
              jähriger Pause erhielt er nun die Erlaubnis,                                                  In Weimar, Bauhaus plays an important
              weitere 18 Monate im Palazzo Vecchio zu                                                       role. How does it influence your work?
              forschen. Die ersten Ergebnisse präsen-
              tierte Seracini beim Workshop »Techno-                                                        The workshop was my first time in Wei-
              logy and Society« und gab dem »bogen«                                                         mar. When I visited the Gropius office I
              Auskunft zu seiner Arbeit und der Verbin-                                                     was really pleased. I was amazed to feel
              dung zum Bauhaus.                                                                             the harmony of space. It was not only the
                                                                                                            design of the furniture but I could see the
              What is your deepest motivation for your                                                      order, the properties. I felt comfortable
              work?                                                                                         with it because I got the feeling that this
                                                                                                            office was created for man. Technology
              Curiosity. I want to find answers, where-                                                     must work for us. That is the main idea
              ver they could be. I want to see what lies                                                    of Bauhaus for me. During my studies of
              behind the obvious. The interdisciplinary      Professor Maurizio Seracini                    architecture our professors ever stressed
              approach opens new ways. There are many                                                       on it: Form follows function. Italian design
              other researchers that work together with      fostered my interest. Before I studied Bio-    still leans against Bauhaus.
              scientists from other fields. There are no     engineering I was a student of architecture
              protected clusters.                            with a minor in art history.                   Das Interview führte Kristin Beylich.

              You combine engineering with art. Do you       Can you still go to an art gallery as a nor-
              have a special interest in art?                mal visitor?

              Well, I am from Florence... I ever liked the   After 30 years working I always look for
              art in the city. Maybe these circumstances     the things behind. But I think, an engineer

              Technology and Society
              Ingenieure der Bauhaus-Universität kooperieren mit Forschern aus San Diego

              Bauingenieurwesen, Erdbebenforschung,          Stärke kommt es in San Diego an? Und           1981 in Berkeley, Kalifornien, in Erdbeben-
              Informatik, Kunst – selbst im kreativen        wie lange dauert es, bis die letzten Wellen    forschung. Während dieser Zeit teilte er
              Umfeld der Bauhaus-Universität Weimar          des Bebens verebben? Die nackten Zahlen        sich ein Büro mit Frieder Seible, der der-
              ist das keine alltägliche Kombination.         liegen Erdbebenforschern schon lange vor,      zeit ein Forschungssemester in Weimar
              Allerdings eine, die in Weimar zukünftig       doch erst Frank Vernon von der Univer-         verbringt.
              noch öfter zu erleben ist: Beim zweitä-        sity of California, San Diego (UCSD), wan-       Die Freundschaft der beiden Wissen-
              gigen Workshop »Technology and Society«        delte die Daten in Bilder um und stellte sie   schaftler führte letztlich zu der transat-
Universität

              zum Semesterbeginn tauschten sich Wei-         beim Workshop »Technology and Society«         lantischen Kooperation zwischen der
              marer Wissenschaftler mit Kollegen aus         im Audimax vor. »Es ist faszinierend, was      Bauhaus-Universität Weimar und dem
              San Diego aus und legten den Grundstein        Frank und seine Kollegen geschafft haben.      California Institute for Telecommunica-
              für eine andauernde Kooperation.               Sie haben heute Möglichkeiten, die wir         tions and Information Technology (CalIT2)
                                                             nie hatten«, sagt Professor Karl Beucke.       an der UCSD. Im vergangenen Winter-
   6          Wie lange braucht ein Erdbeben von Los         Der Inhaber der Professur für Informatik       semester übernahm Karl Beucke eine
              Angeles bis Huntington Beach? In welcher       im Bauwesen promovierte von 1978 bis           Kurzzeitdozentur an der renommierten
Das geheimnisvolle Lächeln der Mona Lisa wollte
                                                                                                                Maurizio Seracini nicht entschlüsseln. Vielmehr
                                                                                                                interessierten ihn bei seinen Analysen die einzelnen
                                                                                                                Schichten des Gemäldes und das ursprüngliche Werk
                                                                                                                Leonardo DaVincis, bevor es restauriert wurde.
Professor Bernd Fröhlich (2. v.l.) zeigt den Forschern die Arbeit im Virtual-Reality-Lab. Foto: VR-Lab

Jacob School of Engineering in San Diego.                  ressant. »Es ist bemerkenswert, was hier            fliegen die Weimarer Wissenschaftler
»Mein Büro lag direkt neben dem des                        alles entsteht«, findet Jürgen Schulze, der         nach San Diego und tauschen sich mit
Dekans, so dass ich wirklich mittendrin                    nach seinem Studium in Stuttgart nach               den Kollegen vor Ort über das Thema
war«, erzählt er. Begeistert von der her-                  San Diego ging. Hermann Gerlinger von               Modellierung und Simulation aus. Die
vorragenden Ausstattung des CalIT2 und                     der Carl Zeiss SMT AG schließt sich dem             Organisation wird künftig Professor
den Projekten der amerikanischen For-                      an: »Ich wusste gar nicht, dass in Wei-             Carsten Könke, Direktor des Instituts für
scher initiierte er die Workshop-Reihe                     mar solche Dinge bearbeitet werden. Die             Strukturmechanik, übernehmen. »Wir
mit dem Auftakt über das Zusammenspiel                     Universität hat ein völlig anderes Image.            haben die Kooperation angestoßen. Nun
von Technologie und Gesellschaft.                          Doch die Kollegen sind hoch qualifiziert,           müssen wir sie leben,« sagt der Prorektor
  »San Diego verfügt eindeutig über                        die Themen spannend und Weimar selbst               Forschung, Professor Karl Beucke.
die besseren Ressourcen«, ist sich Karl                    ein tolles Umfeld.«
Beucke bewusst. Die Forschungsschwer-                         Schon während des Workshops                      Kristin Beylich
punkte der Weimarer Wissenschaftler                        begann die Planung für den nächsten:                Universitätskommunikation
sind jedoch auch für die Kalifornier inte-                 Im September des kommenden Jahres

                                                                                                                                                                       Universität

                                                                                                                                                                           7

Die besten 100 Schüler aus Thüringer Gymnasien erhielten am zweiten Tag im öffentlichen Teil des Workshops einen Einblick in modernes Ingenieurwesen. Dabei
staunten sie auch über die hervorragende Ausstattung des CalIT2 in San Diego. Fotos (3): Jens Hauspurg
Die Mensch-Ding-Beziehung neu definieren
              Internationales Kolleg holt hochrangige Geisteswissenschaftler nach Weimar

              Das Jahr 2007 hat das Bundesforschungs-       Professor Lorenz Engell: In der Soziologie            turanthropologische, die schon immer mit
              ministerium als »Jahr der Geisteswis-         spricht man von der Vermaschung von                   der Entwicklung von Technik einherging
              senschaften« ausgerufen. Das dies an          Menschen mit anderen Menschen. Wir                    und von ihr beeinflusst wurde. Wir gehen
              der Bauhaus-Universität bisher lediglich      übertragen dieses Verhältnis auf Menschen             weg von einem anthropozentrischen
              am Rande registriert wurde, liegt unter       und Dinge. Die abendländische Denktra-                Begriff des handelnden Subjekts, hin zu
              anderem daran, dass die geisteswissen-        dition begreift das Subjekt als handlungs-            verteilter Handlungsmacht und verteilter
              schaftlichen Fächer an ihr eher unter­        und reflektionsfähig. Es kann intentional             Reflektionsfähigkeit.
              repräsentiert vertreten sind. Doch schon      mit Objekten umgehen. Doch inzwischen
              im nächsten Sommersemester wird sich          greifen die Werkzeuge so stark in unser               L.E.: Die Fragen, die hinsichtlich der kom-
              diese Situation grundlegend verändern.        Alltagsleben ein, dass das, was wir für               plexen Beziehung zwischen Menschen und
              Mit einem erfolgreichen Antrag beim           Intelligenzleistungen halten, ohne diese              Dingen gestellt werden müssen, werden
              Bundesministerium für Bildung und For-        Dinge, zum Beispiel den Computer, gar                 wir aber nicht am Stück klären, sondern in
              schung konnten Prof. Dr. Lorenz Engell        nicht mehr möglich wären. Ausgehend von               Abschnitte gliedern, die sich dann über die
              und Prof. Dr. Bernhard Siegert nahezu         diesem Gedanken ist es dann nur noch ein              Laufzeit des Kollegs verteilen. Die grund-
              9 Millionen Euro Fördergelder für die         kleiner Schritt zu sagen, dass die Dinge              sätzlichen Fragen stehen am Anfang. Die
              nächsten sechs Jahre einwerben. Der           eine mitkonstituierende Funktion haben.               erste Frage muss also sein, was wir unter
              Antrag der beiden Professoren basiert         Das Verhältnis Mensch-Objekt kehrt sich               dem Menschen verstehen.
              auf der Idee, ein Internationales Kolleg      dabei allerdings nicht vollständig um, die
              für Kulturtechnikforschung und Medi-          Dinge machen also nicht etwas mit uns,                der bogen: Das Wissenschaftskolleg soll
              enphilosophie einzurichten, das jährlich      sondern machen etwas gemeinsam mit                    international arbeiten. Was genau heißt
              renommierte Wissenschaftler nach Wei-                                                               das?
              mar einlädt, um gemeinsam definierten
              Fragestellungen nachzugehen. »der                                                                   B.S.: Das Kolleg wird durch so genannte
              bogen« sprach mit den beiden Initiatoren                                                            Fellows besetzt, die zu einem großen
              über ihre Forschungsthemen und die Per-                                                             Anteil aus dem Ausland kommen. Ein
              spektiven, die das Kolleg für Stadt, Hoch-                                                          Beirat berät die Kollegsleitung bei der
              schule und Studierende eröffnet.                                                                    Auswahl der Fellows, die für ein halbes
                                                                                                                  oder ganzes Jahr nach Weimar eingeladen
              der bogen: Das Wissenschaftskolleg wurde                                                            werden. In dieser Zeit sollen sie mit ihrer
              anlässlich des Jahres der Geisteswissen-                                                            wissenschaftlichen Arbeit zu der jeweils
              schaften ausgelobt. Mit welchem For-                                                                definierten Forschungsfrage beitragen.
              schungsthema haben Sie sich beworben?
                                                                                                                  L.E.: Der Förderer, also das Bundesministe-
              Professor Bernhard Siegert: In dem Kol-                                                             rium für Bildung und Forschung, gibt vor,
              leg werden sich Wissenschaftler mit dem                                                             dass mindestens die Hälfte der Wissen-
              Verhältnis von Menschen und Dingen            Professor Dr. Lorenz Engell. Fotos: Claudia Neuhaus   schaftler aus dem Ausland kommen soll.
              beschäftigen. Unser Forschungsansatz geht                                                           Wir hoffen, dass der Dialog mit ihnen für
              davon aus, dass das Verhältnis von Men-       uns. Wenn ich ein Telefon bediene, kann               uns und unsere Forschungsfragen fruchtbar
              schen und Dingen seit dem 20. Jahrhun-        ich damit nicht tun, was ich möchte, son-             sein wird. Umgekehrt soll der Aufenthalt
              dert grundsätzlich neu gedacht werden         dern ich muss mich beispielsweise mit                 in Weimar auch die Arbeit der Wissen-
              muss. Um die komplexen Zusammen-              Bedienmenüs auseinandersetzen. Umge-                  schaftler voranbringen. Deshalb haben wir
              hänge zwischen Subjekten und Objekten         kehrt macht das Telefon auch nicht mit mir,           uns eigens ein Zwillingsmodell überlegt.
              zu untersuchen, nehmen wir neue Ansätze       was es will.                                          Die angefragte Person kann den Wunsch
              zu Hilfe, die unter dem Begriff der Agency                                                          äußern, eine weitere Person nach Weimar
Universität

              Theory bekannt sind. Diese Theorie fasst      der bogen: Sie definieren also den Begriff            einzuladen, mit der dieser Wissenschaftler
              Dinge nicht länger als passive Werkzeuge      des Subjekts völlig neu?                              schon immer einmal zusammenarbeiten
              auf, sondern stellt sie mit den Menschen                                                            wollte.
              in Zusammenhang. Menschen und Dinge           B.S.: Genau. Der Ansatz geht weit über
              werden als Netzwerke begriffen, die inei-     herkömmliche biologische, philosophische              der bogen: Gibt es Wunschkandidaten für
   8          nander verstrickt oder, wie wir es bezeich-   und anthropologische Erklärungen hinaus.              die Fellows, die Sie nach Weimar holen
              nen, »vermascht« sind.                        Wir betrachten die Evolution als eine kul-            möchten?
L.E.: Ja, Wunschkandidaten haben wir. Wir    Weimarer »Szene«. Wie wird die Zusam-         gerade. Der erste Schritt ist getan, der
werden bei den Wissenschaftlern begin-       menarbeit mit dem Graduiertenkolleg           nächste Schritt ist, zu beweisen, dass die
nen, die für die Agency Theory wichtig       »Mediale Historiographien«, mit der           Bauhaus-Universität tatsächlich eine Uni-
sind. Wir werden an den bedeutendsten        Klassik-Stiftung oder mit dem Nietzsche-      versität ist, also verschiedene Wissen-
Wissenschaftler im französischen Sprach-     Archiv aussehen? Wie kann ein Netzwerk        schaftsdisziplinen vereinigt. Das können
raum, Bruno Latour, herantreten. Zudem       entstehen, in dem man sich austauscht?        nie alle sein, dafür ist unser Profil zu spe-
werden wir sicherlich unsere amerika-                                                      ziell, aber die Geisteswissenschaften gehö-
nischen Kontakte intensivieren. Man sollte   B.S.: Eine enge Zusammenarbeit ist sehr       ren in jedem Fall dazu. Insofern ist die
erwähnen, dass wir der Beschäftigung mit     erwünscht. Wir haben bereits ein umfang-      Förderung eine Ermunterung nicht nur für
dem Film ein gewisses Schwergewicht          reiches Programm für das Kolleg entwi-        uns, sondern für alle, die in der geistes-
                                             ckelt. Wir planen eine Ringvorlesung, die     wissenschaftlichen Forschung hier im Haus
                                             die Fellows bestreiten. Es wird auch eine     tätig sind. Die Sichtbarkeit wird verbes-
                                             Jahrestagung geben, des Weiteren soll der     sert. Dahingehend wird das Kolleg seine
                                             Mitarbeiterstab des Kollegs Seminarpro-       Wirkung nicht verfehlen – ich denke da
                                             gramme auflegen, die die Forschungsthe-       an anstehende Neuberufungen in den
                                             men in die Universität hineintragen.          anderen Fakultäten – weg vom Selbstver-
                                             Außerdem konzipieren wir ein Mentoren-        ständnis als Bauhochschule mit einer bau-
                                             programm. Aus ganz Deutschland kön-           wissenschaftlichen Forschung.
                                             nen sich Studierende bewerben, um nach
                                             Weimar zu kommen und ihre Master- oder        der bogen: Das Kolleg wird sich öffnen
                                             Doktorarbeit mit einem der Fellows zu         mit Ringvorlesungen oder Seminaren.
                                             diskutieren. Besonders das Graduierten-       Dennoch werden dem Bereich Medienkul-
                                             kolleg »Mediale Historiographien«, für das    tur zwei wichtige Professoren entzogen.
                                             wir bald einen Verlängerungsantrag stellen,   Inwieweit wird diese Lücke geschlossen?
                                             wird davon profitieren. Ich kann mir gut
Professor Dr. Bernhard Siegert               vorstellen, dass wir einmal im Semester       B.S.: Weder Professor Engell noch ich
                                             einen Workshop mit den Kollegiaten und        werden den Studierenden ganz verlo-
einräumen. Dem Film wird zugeschrie-         den Fellows anbieten.                         ren gehen. So haben wir beide vor, in
ben, dass er das Verhältnis von Mensch                                                     gewissem – wenn allerdings überschau-
und Ding in besonderer Weise gestaltet.      L.E.: Man kann schon sagen, dass eine         barem Rahmen – weiter Lehre anzubie-
Mehr als alle anderen Kunstformen wird       eigene Forschungslandschaft entste-           ten. Klar entfernen wir uns ein Stück vom
er für besonders geeignet gehalten, dieses   hen wird – und das war auch die Absicht       Lehrbetrieb. Wir sind aber weiterhin vor
Verhältnis zu modellieren. Daher werden      unserer Geldgeber.                            Ort, nur in einer anderen Weise. In den
unter den Fellows auch signifikante Film-                                                  Masterstudiengängen werde ich für mei-
wissenschaftler und Filmphilosophen sein.    B.S.: Genau diesen Eindruck hat die Ver-      nen Teil weiterhin Veranstaltungen anbie-
Um Namen für die erste, medienanthro-        gabekommission des BMBF vermittelt:           ten und ab und zu eine Vorlesung halten.
pologische Phase zu nennen: Da gibt es       Weimar soll wieder ein Zentrum der gei-       Bisher mussten wir in jedem Semester eine
Marta Brown oder auch Leute aus der          steswissenschaftlichen Forschung werden.      Vorlesung halten. Den Professoren wird
Filmstar-Forschung.                          Und gerade nicht in einer traditionellen      neben der Lehre kaum noch Forschungs-
                                             Weise, die sich auf Goethe und Schiller       zeit eingeräumt. Das führt dazu, dass man
B.S.: Auch für Weimar hat das Kolleg         beruft, sondern in einer, die neue For-       Vorlesungen wiederholt oder sich irgend-
eine besondere Bedeutung. Mit einem          schungsansätze ermöglicht.                    wann ausgebrannt fühlt. Das Spannende
Schlag werden hier zehn Personen mehr                                                      der kommenden sechs Jahre wird sein,
leben, die alle aus einem geisteswissen-     der bogen: Inwieweit wird das Kolleg          dass wir nun Vorlesungen genau dann
                                                                                                                                           Universität

schaftlichen Umfeld und zudem aus dem        denn die Geisteswissenschaften insgesamt      anbieten können, wenn wir glauben, dass
Ausland kommen. Die Weimarer Wissen-         an der Bauhaus-Uni stärken?                   es der richtige Zeitpunkt ist. Die Qualität
schaftslandschaft wird dadurch wichtige                                                    der Vorlesungen wird sich also verbessern.
Impulse erhalten.                            L.E.: Weder die Bedeutung noch die Lei-
                                             stungsfähigkeit der Geisteswissenschaften     L.E.: Genau dies betrachte ich ebenfalls als
der bogen: Das ist ein interessanter         hat bisher den Rang gefunden, der ihnen       großen Vorteil. Die Frage, ob ich eine Vor-        9
Aspekt: die Einbindung des Kollegs in die    eigentlich gehört. Genau das ändert sich      lesung halte, wird zu einer persönlichen
Entscheidung. Dieses Privileg wird dadurch                                                   Palais Duerckheim
              gerechtfertigt, was man daraus macht:
              schlaue Bücher schreiben, tolle Tagungen
              organisieren, ein fruchtbares, internatio-                                                   Als Sitz des Internationalen Kollegs haben
              nales Diskussionsklima schaffen, aus dem                                                     die Initiatoren das Palais Duerckheim in
              dann wieder Sichtbares hervorgeht. Und                                                       der Cranachstraße 47 vorgesehen. Die
              dann sollte man eines nicht vergessen: Wir                                                   ehemalige Villa der Familie Graf Duerck-
              holen für sechs Jahre andere Professoren                                                     heim wurde 1913 von Henry van de Velde
              und Professorinnen, die eine sehr gute                                                       entworfen und errichtet. Die prächtige
              Lehre anbieten. Das ist eine Zeitspanne,                                                     Villa diente bis in die zwanziger Jahre als
              in der man langfristig arbeiten kann und                                                     Wohnsitz und Repräsentationsbau. Nach
              in der man nicht »auf dem Sprung« ist.                                                       der aufwändigen Sanierung wurde das
              Immerhin sind dies zwei Generationen                                                         Palais im September dieses Jahres wieder-
              Bachelor- und drei Generationen Master-                                                      eröffnet. Damit die Fellows im Frühjahr
              studenten, mit denen man sich befassen                                                       2008 hier einziehen können, wartet die
              kann. Das bedeutet einen enormen Zuge-                                                       Universität nun auf die Zustimmung das
              winn für unsere medienwissenschaftliche       Foto: Haus- und Grundbesitz Dimmig GmbH        Thüringer Finanzministeriums.
              Lehre und Forschung und ganz besonders
              für unsere Studierenden.

              Das Gespräch führten Claudia Weinreich
              und Dana Horch.

               Seit Anfang November steht die Zusam-        Literaturforschung in Deutschland. Sie ist     Mediologie hat sich in Frankreich als
               mensetzung des Kollegbeirates fest. Für      zudem Vorstandsvorsitzende der Geistes-        interdisziplinäre, kulturwissenschaftliche
               das Gremium konnten verdiente und            wissenschaftlichen Zentren Berlin und als      Richtung etabliert. Mediologie beschreibt
               einflussreiche Wissenschaftler gewonnen      Professorin an der Technischen Universi-       eine Wissenschaftstheorie, die historisch
               werden, die seit langem auf dem Gebiet       tät Berlin tätig.                              und systematisch die Interaktionen zwi-
               der Medien- und Kulturwissenschaften                                                        schen Technik und Kultur untersucht und
               forschen und lehren.                         Raymond Bellour                                dabei historische Bedingungen sowie
                                                            Raymond Bellour, französischer Medien-         soziale und kulturelle Wirkungen von
               Hans Ulrich Gumbrecht                        wissenschaftler, begründete die Schule         Medien innerhalb einer Kultur beschreibt.
               Hans Ulrich Gumbrecht, deutsch-ame-          der postmodernen Filmwissenschaft in
               rikanischer Literaturwissenschaftler, ist    Frankreich mit. Er ist ein einflussreicher     Hans Belting
               einer der Gründungsväter der deutschen       Kritiker und Theoretiker für Literatur und     Hans Belting gilt als Begründer der Bild-
               Medienwissenschaft. Er leitete in den        Film und leitete einen Forschungsbereich       wissenschaft der achtziger Jahre in
               1980er Jahren das erste geisteswissen-       am französischen Centre national de la         Deutschland. Dabei definiert er die Bild-
               schaftliche Graduiertenkolleg »Kommu-        recherche scientifique (CNRS). Zusam-          wissenschaft als Kulturwissenschaft und
               nikationsformen als Lebensformen« in         men mit Serge Daney gab Bellour die            analysiert, wie Bilder Realitäten wider-
               Siegen und den »Sonderforschungsbe-          Zeitschrift »Trafic« (Paris) heraus. In sei-   spiegeln. Seit 1992 bis zu seiner Emeri-
               reich Bildschirmmedien«. Heute lehrt er      nen Aufsätzen beschäftigt er sich u.a. mit     tierung 2002 lehrte er als Professor am
               am Lehrstuhl für Komparatistik an der        dem klassischen amerikanischen Kinofilm        Institut für Kunstgeschichte und Medien-
               Stanford University.                         sowie dem Schaffen von aktuellen Video­        theorie an der Staatlichen Hochschule
Universität

                                                            künstlern.                                     für Gestaltung in Karlsruhe. Von Okto-
               Sigrid Weigel                                                                               ber 2004 bis Ende September 2007 war
               Sigrid Weigel leitet seit 1999 das Zentrum   Régis Débray                                   Belting Direktor des Internationalen For-
               für Literatur- und Kulturforschung in Ber-   Régis Débray ist ein französischer Intel-      schungszentrums Kulturwissenschaften
               lin und ist die wichtigste Wissenschaft-     lektueller, Journalist und Schriftsteller.     in Wien (IFK).
  10           lerin innerhalb der außeruniversitären       Die seit 1979 von Debray begründete
Neues aus dem Archiv der Moderne

Ausstellung über die Weimarer Architektin Anita Bach

(adm) Anlässlich des 80. Geburtstages                                                             Leitung entstanden im Projektierungs-
von Anita Bach präsentiert das Archiv                                                             büro Gebäude für die Hochschule, unter
der Moderne im November Arbeiten der                                                              anderem das Studentenwohnheim am
Architektin und Professorin aus vier Jahr-                                                        Jakobsplan und die Mensa am Park, die
zehnten. Die Arbeiten zeigen das Span-                                                            in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum feiert.
nungsverhältnis zwischen intellektuellem                                                          Auf 17 Ausstellungsbannern und mit zahl-
Anspruch, kreativem Gestaltungswillen                                                             reichen Originalplänen und -dokumenten
und gebauter Wirklichkeit und spiegeln                                                            wird in Ausschnitten ein Rückblick auf
damit exemplarisch sowohl die Hoch-                                                               die Bau- und Lehrziele in Weimar der
schulgeschichte als auch den Architektur-                                                         1950er bis späten 1970er Jahre der DDR
diskurs der DDR wider.                                                                            eröffnet und damit ein Desiderat Weima-
                                                                                                  rer Hochschul- und Planungsgeschichte
Anita Bach absolvierte 1952 als »Beststu-                                                         geschlossen.
dentin« der Hochschule in Weimar ihr
Diplom und arbeitete im Rahmen ihrer                                                              Konzeption der Ausstellung: Dr. Christiane
Assistententätigkeit und ihres Doktorats                                                          Wolf und Johannes Schäfer, studentischer
im Kollektiv des Lehrstuhls für Wohn- und     Anita Bach in ihrem Büro in der Hochschule für      Mitarbeiter, Grafik: Johannes Schäfer
Gesellschaftsbauten an zahlreichen Wett-      Architektur und Bauwesen. Bild: Archiv Anita Bach

bewerbsentwürfen mit.
  1965 habilitierte sie sich als erste Frau   1969 als ordentliche Professorin für
an der damaligen Hochschule für Archi-        den Lehrkomplex Gebäudeausbau und
tektur und Bauwesen (HAB) und wurde           Raumgestaltung berufen. Unter ihrer

Bruno Flierl – ein unabhängiger Denker in                                                         Neue Sammlung
Architektur und Gesellschaft                                                                      schließt Lücken

(adm) Mit dem ersten Band seiner neuen        versitätsarchiv der Universität der Künste          (adm) In Hinsicht auf die Universitäts­
Schriftenreihe würdigt das Archiv der         Berlin.                                             jubiläen 2009 und 2010 betreibt das Archiv
Moderne den renommierten Architek-              Bruno Flierl absolvierte sein Studium             aktiv auch extern Nachlassakquise, um
turtheoretiker Bruno Flierl. Es publiziert    der Architektur an der Hochschule für               Dokumentationslücken der Hochschulge-
Festreden, die anlässlich der Archivgrün-     Bildende Künste Berlin und an der Hoch-             schichte zu schließen.
dung des »Archivs Bruno Flierl« in Weimar     schule für Architektur und Bauwesen
und Berlin gehalten wurden.                   Weimar. In seiner Tätigkeit an der Bau­             In diesem Jahr wurden dem Archiv unter
                                              akademie der DDR, als Chefredakteur                 anderem mit der Übergabe der Sammlung
In der Sammlung werden die niederge-          der Zeitschrift »Deutsche Architektur«              Ernst Neufert und Denis Boniver, Mitarbei-
schriebenen Gedanken, Schriften und           und Dozent an der Humboldt-Universi-                ter von Paul Bonatz und Schüler von Paul
Skizzen Flierls als Dokumente deutscher       tät schaltete er sich stets kritisch in den         Schmitthenner, Dokumente, Fotos und
                                                                                                                                                Universität

Zeit- und Architekturgeschichte für die       Architekturdiskurs der DDR ein. Von                 Pläne aus der ersten Hälfte des 20. Jahr-
Nachwelt erhalten. Für das Archiv koo-        1984 an ist er bis heute auf dem Gebiet             hunderts übergeben. Ab Mitte 2008 soll
periert das Archiv der Moderne der            von Theorie und Geschichte der Archi-               ein Onlineportal zur Verfügung stehen, das
Bauhaus-Universität Weimar mit der Wis-       tektur und Stadt­entwicklung tätig. Seine           über die Bestände und Neuzugänge des
senschaftlichen Sammlung des Leibniz-         Wirkungsstätten West-Berlin, Ost-Berlin             Archivs der Moderne informiert.
Instituts für Regionalentwicklung und         und Weimar bilden sich zukünftig an drei                                                            11
Strukturplanung in Erkner und dem Uni-        Archivstandorten ab.
Schwerpunkt: Das Bauhaus-Jubiläum 2009
»Future Bauhaus«
Die Bauhaus-Universität Weimar und das Bauhaus-Jubiläum 2009

Im Jahr 2009 feiert die Stadt Weimar,
feiert Thüringen die 90-jährige Grün-
dung des Staatlichen Bauhauses. Die
Bauhaus-Universität ist weltweit die
einzige Hochschule, die aktiv den Versuch
unternimmt, die Bauhaus-Konzepte im
21. Jahrhundert weiterzuführen und unter
völlig veränderten ästhetischen, technolo-
gischen und kulturellen Voraussetzungen
umzusetzen. So stellt sich insbesondere
für die Bauhaus-Universität die Frage, wie
sie dieses Jubiläum begehen wird, zumal
ihre Studierenden und Lehrenden über
das einzigartige Privileg verfügen, an den
einstigen Originalschauplätzen zu entwer-
fen, zu gestalten, zu forschen, zu leben.

»Bauhaus ist ein Teil der Geschichte dieser    das die Dichte der Arbeiten offenbart, die      Jahren zwangsweise emigrieren, um
Hochschule und es daraus zu lösen, wäre        jeden Tag in den Ateliers, Werkstätten und      ihre Arbeit fortzusetzen, studieren die
ein Fehler«, urteilt der Rektor der Bau-       Seminarräumen entstehen. »Wir müssen            Bauhaus-Studenten heute ganz freiwillig
haus-Universität Weimar, Professor Gerd        zeigen, was die Uni eigentlich leistet«, for-   fernab Weimars.
Zimmermann, über die Bedeutung des             muliert Zimmermann seinen Anspruch an
Jubiläums für die Hochschule. »Dass das        das Bauhaus-Geschehen im Jahr 2009.             Internationale »Bauhaus-Alliance«
Bauhaus in Weimar gegründet wurde, war           Zugleich soll mit Hilfe der hochschul-
kein Zufall, sondern nur zu erklären aus       weiten Präsentation eine Debatte darü-          Und so ist die Universität heute durch
der Kontinuität der Arbeit der Kunstschu-      ber geführt werden, was das Prinzip             verschiedene Ko­operationen weltweit
len, die es vorher auch gegeben hat. Ohne      »Bauhaus« in der heutigen Zeit bedeutet         in einer »Bauhaus-Alliance« verschränkt:
etwa das Wirken von van de Velde hätte         und welche Fragen sich daraus für die           durch Lehr- oder Forschungskooperati-
es in Weimar kein Bauhaus gegeben«, so         zukünftige Tätigkeit der Universität erge-      onen, durch gemeinsame Studienpro-
Zimmermann.                                    ben. Und so sind alle Mitarbeiter, Stu-         gramme oder einzelne Projekte. Das
                                               dierende, Professoren aufgerufen, Ideen         Bauhaus kann heute nicht anders als inter-
Das Bauhaus zitieren,                          zu entwickeln und die Chance wahrzu-            national gedacht werden. Die wichtigsten
nicht mythologisieren                          nehmen, ihre Arbeiten vor einer großen          internationalen Partner in Shanghai, Lyon,
                                               Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Rek-        Tokio, New York, Chicago oder San Diego
Was also ist vom Geist des Bauhauses, von      tor ist zuversichtlich: »Um diese Debatte       sollen jeweils für Projekte an Bord geholt
seiner Subversivität und kreativen Energie     zu führen, braucht es jeden, und jede           werden und dabei aus eigener Sicht die
an diesem Ort lebendig geblieben? Mit          Idee ist gefragt. Im Moment sind wir            Frage beantworten, wie sie selbst die Bau-
dieser Frage will sich die Bauhaus-Univer-     dabei, wie ein Schwamm alle Ideen auf-          haus-Idee interpretieren, was »Bauhaus«
sität im Jahr 2009 beschäftigen.Die dabei      zusaugen, diese dann zu diskutieren und         für sie bedeutet. Hier sind spannende
aufgegriffenen Themen sollen aber weder        die besten herauszufiltern.«                    Ergebnisse zu erwarten, die in verschie-
der Gegenwart verhaftet bleiben noch der         Auch die internationalen Beziehungen          densten Formaten zu erleben sein werden.
Vergangenheit. Der Blick richtet sich statt-   der Hochschule sollen intensiv in die           »Neben klassischen Ausstellungen werden
dessen in die Zukunft und wird zeigen,         Jubiläumsaktivitäten einbezogen werden.         wir Konferenzen organisieren, in Podien
                                                                                                                                            Schwerpunkt

wie das aktuelle Bauhaus sich die Welt         Damit agiert die Bauhaus-Universität in         Debatten führen und eine Medienplatt-
von morgen denkt. Unter dieser Prämisse        einer langen Tradition, war doch schon          form erzeugen, in der sämtliche moderne
sollen Visionen entwickelt und darge-          das Staatliche Bauhaus international auf-       Kommunikationsmöglichkeiten weltweit
stellt werden – gesellschaftliche, mediale,    gestellt, seine Meister kamen aus aller         genutzt werden«, erläutert Rektor Zim-
digitale – quer durch alle Fakultäten und      Welt: So der Russe Kandinski, der Ungar         mermann. Auch für die zeitlichen Fenster
Studiengänge. Das Jubiläum bietet einen        Moholy-Nagy, der Schweizer Paul Klee            innerhalb des Jahres existieren inzwi-
willkommenen Anlass, ein spannendes            oder der Amerikaner Lyonel Feininger.           schen klare Vorstellungen. Momentan            13
und reichhaltiges Schaufenster zu öffnen,      Mussten die Bauhäusler in den 1930er            sind drei Höhepunkte geplant, zu denen
sich die Aktivitäten konzentrieren sollen.
              Eine Festveranstaltung am 1. April zum
              90-jährigen Gründungsjubiläum des Bau-
              hauses bildet den ersten Höhepunkt und
              zugleich den Auftakt zum 11. Internatio-
              nalen Bauhaus-Kolloquium. Im Sommer,
              in den Monaten Juli und August, öffnet
              die Hochschule dann ihre Türen für jeder-
              mann. In den etablierten Formaten »sum-
              mary« und »Bauhaus-Sommerakademie«
              werden studentische Projekte und For-
              schungsarbeiten ausgestellt, Vortragsrei-
              hen initiiert, kulturelle und andere Events
              organisiert, die Stadt zur Bühne gemacht.
              Geplant ist sogar, einen eigens entwor-
              fenen Ausstellungsraum temporär zu
              errichten, um den Ideen genügend Raum
              zu geben. Im Oktober, zum Semesterauf-
              takt, beziehen sich dann der öffentliche      Gründe für ein Studium in Weimar zu          Ihre Konzepte, Arbeiten und Projekte sind
              Workshop »Technology and Society« und         nennen. Johannes Hein, Student der Visu-     gefragt. Längst nicht alle ihre Ideen wer-
              das Filmfestival »backup« thematisch auf      ellen Kommunikation, brachte es auf den      den vor den Campustüren Halt machen.
              das Bauhausjahr, des Weiteren soll der        Punkt: »An der Bauhaus-Uni studieren         Vielmehr werden sie subversiv und inter-
              frisch sanierte Kleine Van-de-Velde-Bau       heißt, durch gestalterische und experi-      aktiv den Weimarer Stadtraum erobern.
              wiedereröffnet werden. Ein dichtes Pro-       mentelle Freiheit zum Wesentlichen zu        Und nur mittels dieser kreativen Energie
              gramm hat sich die Universität also vor-      kommen.« Genau diesen Anspruch, diese        wird die geplante Leistungsschau zu einer
              genommen, das ab sofort mit konkreten         Freiheit und die daraus resultierenden       wirklich authentischen »Bauhaus-Schau«.
              Projekten gefüllt werden muss.                Ergebnisse soll die Leistungsschau zeigen,
                In einer Umfrage, bei der die Hoch-         die zugleich den Titel »Best of Bauhaus«     Claudia Weinreich
              schule ihre Studierenden befragt hatte,       tragen könnte. Doch die wichtigste Rolle     Universitätskommunikation
              waren diese gebeten worden, ihre              werden die Studierenden selbst spielen.

               Wer koordiniert die Aktivitäten für
               das Jahr 2009?

               Um Ideen für das Bauhaus-Jahr zu
               sammeln und zu koordinieren, hat die          Wie wird das Bauhaus-Jahr finanziert?
               Hochschulleitung bereits Ende 2006 die
               »Arbeitsgruppe Bauhaus ‘09« einge-            Um die zahlreichen Aktivitäten finanzie-    Bauhaus-Uni, erhalten daraus Mittel in
               setzt. Die Arbeitsgruppe initiiert, koor-     ren zu können, bedarf es verschiedener      Höhe von ca. 1 Million Euro, wobei ein
               diniert und leitet die verschiedenen          Töpfe. Die Universität stellt seit 2007     großer Teil an die Klassik-Stiftung gehen
               Projekte und Formate, die für 2009            jährlich Haushaltsmittel zurück, die bis    wird. Zusätzlich zu diesen Finanzierungs-
Schwerpunkt

               entstehen sollen. Die AG setzt sich           2009 akkumuliert werden. Die Thürin-        quellen plant die Universität, Sponsoren
               aus Mitgliedern der Hochschulleitung          ger Landesregierung hat für das gesamte     anzusprechen und weitere Drittmittel
               und der Fakultätsleitungen zusammen           Bauhaus-Jahr 1,7 Millionen Euro zur Ver-    einzuwerben.
               sowie aus wissenschaftlichen Mitar-           fügung gestellt. Diese Summe muss aber-
               beitern und Professoren. Die zentrale         zwischen den verschiedenen Akteuren
               Organisation der Aktivitäten liegt im         aufgeteilt werden. Die Weimarer Pro-
 14
               Rektoramt der Bauhaus-Universität.            tagonisten, die Klassik-Stiftung und die
Das Bauhaus inmitten bürgerlich-gesitteter Ruhe
Kleine Weimarer Kulturgeschichte um das Jahr 1919

»Das Alte und Morsche, die Monarchie,         Ereignisse ab. Vor revolutionären Auf-           mit diesem Namen den Bruch zur Monar-
ist zusammengebrochen. Es lebe das            ständen aus Berlin ins friedliche Weimar         chie offen ausdrückte. Das bekräftigte er
Neue, es lebe die deutsche Republik!«         geflohen, wurde hier über Deutschlands           1922 noch einmal mit der von ihm geschaf-
verkündete Philipp Scheidemann am             Konstitution beraten. Neben der exzel-           fenen Gedenktafel für die Verfassungs-
9. November 1918 um 12 Uhr aus dem            lenten Verkehrsverbindung war es aller-          gebende Versammlung am Eingang des
Fenster des Reichtags-Gebäudes in Berlin      dings der Aspekt der bürgerlich-gesitteten       Deutschen Nationaltheaters. Doch auch
und zog damit die Konsequenz aus dem          Ruhe und nicht die moderne Sichtweise            dieses Bekenntnis zur Moderne nützte der
Massensterben in den Schützengräben           seiner großen Köpfe, die die Verfassungs-        berühmtesten Schule der Avantgarde des
Verduns, den aufbegehrenden Marine-           vertreter nach Weimar strömen ließ. Das          20. Jahrhunderts nicht viel, denn in einem
korps in Kiel und der Unfähigkeit eines                                                        Land, in dem erst Bücher und später »Ras-
Kaisers, der von einem Platz Deutschlands                                                      senfremde« verbrannt wurden und weite
an der Sonne träumte.                                                                          Kreise auch der Weimarer Kulturelite dies
                                                                                               tolerierten, hatten ganzheitliche Kon-
Ein neues Zeitalter kündigte sich an,                                                          zepte für Mensch und Umwelt kaum eine
welches auch das beschauliche Großher-                                                         Chance. Und so ist der von Lyonel Feiniger
zogtum Sachsen-Weimar-Eisenach und                                                             oft beschwärmte Blick aus dem Fenster
dessen Herrscher Wilhelm Ernst nicht                                                           seines ehemaligen Ateliers in der Geschwi-
unberührt ließ, denn auch dieser mus-                                                          ster-Scholl-Straße 8 auf den Ettersberg
ste seinen Stuhl räumen. Ziel war es nun,                                                      heute kein ungetrübter mehr und doch so
die im weiteren Verlauf entstehenden          Ansicht des kleinen Van-de-Velde-Baus um 1919    repräsentativ für eine Stadt, die sich zwar
acht Freistaaten Thüringens zu einem                                                           mit den großen Geistern der Vergangen-
»Großstaat« zusammenzufassen. Das war         Kulturbürgertum bewarf sich schlicht und         heit rühmt, mit den Ideen der Gegenwart
zunächst nicht einfach, denn die zuvor        ergreifend nicht mit Pflastersteinen auf         und so eben auch denen des Staatlichen
preußisch regierten Landesgebiete, allen      der Straße, sondern war vor allem geübt          Bauhauses aber bis heute in Konflikt steht.
voran Erfurt, wurden von Preußen nicht        in der Bewahrung von Ruhe und Ordnung,
vollends freigegeben. So zog das erste        denn des Weiteren nicht nur Henry van de         Christian Tesch
thüringische Parlament im Sommer 1920         Velde zum Opfer fallen sollte. Und in diese      Fakultät Gestaltung
in Weimar im Fürstenhaus, dem heutigen        Atmosphäre kleinbürgerlichen Revan-
Hauptgebäude der Hochschule für Musik,        chismus’ klinkte sich ab April 1919 der          Literaturempfehlung
zu seiner ersten Sitzung ein. Und nicht nur   Kriegsveteran Walter Gropius ein, der die        Klaus Dicke/Michael Dreyer: Weimar als
dort, sondern schon ein Jahr zuvor – im       »Großherzogliche Hochschule für bildende         politische Kulturstadt. Ein historisch-poli-
der Veranstaltung entsprechend umbe­          Kunst« und die »Großherzogliche Kunst-           tischer Stadtführer, Jena 2006.
nannten, nun Deutschen Nationalthea-          gewerbeschule« zum »Staatlichen Bauhaus
ter – spielten sich seit Januar 1919 große    in Weimar« zusammenführte und schon

 Chronologie

 · 1860 Der Großherzog Carl Alexander           Handwerkserneuerung bestimmt wird.              herzogliche Hochschule für bildende
   gründet die »Großherzogliche Hoch-         · 1904 Henry van de Velde baut den                Kunst« und die »Großherzogliche Kunst-
   schule für bildende Kunst«, die zunächst     ersten Teil des Hauptgebäudes                   gewerbeschule« werden mit neuartigem
   Maler ausbildet.                             (Ostflügel).                                    Programm zusammengeführt.
                                                                                                                                              Schwerpunkt

 · 1902 Henry van de Velde wird zur Beför-    · 1915 Henry van de Velde kündigt unter         · 1921 Der traditioneller orientierte Zweig
   derung des Kunsthandwerks im Groß-           dem Druck zunehmender Ausländer-                der alten Kunsthochschule löst sich wie-
   herzogtum nach Weimar berufen.               feindlichkeit sein Arbeitsverhältnis.           der vom Bauhaus.
 · 1902/07 Gründung des Kunstgewerb-          · 1917 Henry van de Velde verlässt              · 1925 Aus politischen Gründen muss das
   lichen Seminars, der späteren Kunst-         Deutschland.                                    Bauhaus Weimar verlassen und setzt
   gewerbeschule, deren Arbeit vom            · 1919 Walter Gropius gründet das »Staat-         seine Arbeit in Dessau fort.
   Jugendstil und Ideen der Kunst- und          liche Bauhaus in Weimar«: Die »Groß-­                                                          15
futureflection bauhau¿

                                                           Fragen aktueller Lebensentwürfe sind im         nischen Profil verwirklicht so vielleicht
                                                           Zeitalter zunehmender Globalisierung und        erstmals die Utopie eines universellen
                                                           Medialisierung auch heute zugleich immer        Bauhaus-Modells.
                                                           Fragen an die Ausbildungsprogramme für            »Modell, Modulation, Moderne und
                                                           zukünftige Planer, Architekten, Designer        Mode entstammen der gleichen Wurzel,
                                                           und Künstler. Hier trifft sich der histo-       die messen bedeutet. Diese Konnotation
                                                           rische Diskurs mit der offenen Debatte um       ist uns nicht immer bewusst. Modernität
                                                           die geeigneten Formate der Ausbildung           als fortschrittlicher Modellwandel meint
                                                           und deren europa­weiten Standards. Eine         eigentlich Vermessenheit« (Flusser). Wir
                                                           Schule wird im Wesentlichen durch ihre          haben unseren Grad an Vermessenheit
                                                           Lehrer und deren pädagogische und didak-        immer wieder neu zu reflektieren – als
              Auch wenn das Weimarer Bauhaus selbst        tische Lehrkonzepte repräsentiert und lebt      Experiment der Bauhaus-Universität.
              noch keine Architekturabteilung hatte,       erst durch die schöpferische Unruhe ihrer         Im Jahre 2009 schaut die internationale
              inspirierte es alle nachfolgenden Lehren     Studierenden. Eine Schule hält Anschluss        Fachöffentlichkeit der Künstler, Designer
              künstlerischer und gestalterischer Diszi-    an kulturelle Werte und stiftet zugleich        und Architekten nach Weimar, wo sich
              plinen, einschließlich der Architekturaus-   einen akademischen Schutzraum für das           am 1. April zum 90sten Mal die Gründung
              bildung, maßgeblich.                         Experiment. Eine Schule im besten Sinn          des Bauhauses jährt.
                                                           belehrt nicht für das (Berufs-) Leben, son-       Anlass genug, aus heutiger Sicht und
              Hier begründete Johannes Itten mit dem       dern erfindet das Leben und den Beruf           in einem breiten Diskurs die historischen
              Vorkurs das Rückgrat der Bauhauspäda­        immer wieder neu. Ein Weimarer (Schul-)         Ankerpunkte des Bauhauses als Schule zu
              gogik, deren Spuren in nahezu allen          Modell nach dem Bauhaus macht Multi-            reflektieren und gemeinsam mit internati-
              Kunst-, Design- und Architekturschulen       disziplinarität für tradierte Fachdisziplinen   onalen Partnern die Utopie der Moderne
              weltweit wieder zu finden sind. Das Bau-     produktiv und erschließt zugleich neue          in aktuellen Projekten zu hinterfragen.
              haus war (und die Bauhaus-Universität ist    Forschungsfelder. Für eine zeitgemäße
              heute) in erster Instanz eine Schule oder    universitäre Architekturausbildung bedeu-       Professor Bernd Rudolf, Dekan der Fakultät
              ein Vielfaches davon und hatte über die      tet das, den Innovationsgrad des frühen         Architektur, zur Frage »Was ist das Bauhaus
              »...Vereinigung des Künstlers mit dem        Bauhauses auf zeitgemäße Aufgaben der           heute?«
              Techniker und Kaufmann in praktischer        Umweltgestaltung zu extrapolieren. Die
              Werkarbeit...« (Gropius) den Entwurf der     heutige Bauhaus-Universität Weimar mit
              Lebensbedingungen der Moderne zum Ziel.      ihrem ausgewiesenen künstlerisch-tech-
Schwerpunkt

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Nur Vision? Wir gestalten sie!

                                            Auch die Materialwissenschaft der Fakul-       Bestand und zum konzeptionellen Facility
                                            tät ist gut aufgestellt, um von der Erkennt-   Management. Einerseits ausgesprochen
                                            nis über vorhandene Materialien zum            interdisziplinär forschend, vertreten die
                                            Entwurf neuer Materialien mit entspre-         Professuren andererseits weiterhin den
                                            chend geplanten und gewünschten Eigen-         jeweiligen Kern ihrer eigenen Lehrgebiete.
                                            schaften zu gelangen. Dieses wiederum            Wofür wird Bauhaus 2019, zum hun-
                                            ist unverzichtbar, um im heutigen, um im       dertjährigen Jubiläum stehen? Bauen ist
                                            modernen Bauhaus die Einheit von Kunst,        ein bisher nur unzureichend beherrschter
                                            Handwerk und Technik zu leben.                 Prozess mit Wagnissen und Risiken für
                                              Bauhaus wird im engeren Sinne auch           alle Beteiligten. Die heutigen Technolo-
                                            mit Bauen, mit der Immobilie, der künst-       gien von der Materialwissenschaft bis hin
Die Bauingenieursfakultät an der Bau-       lichen, weil gebauten Umwelt verknüpft.        zu Kommunikationstechnologien und der
haus-Universität besteht seit mehr als 50   Hier ist als Schwerpunkt die Stadtent-         Informationstechnik geben uns die not-
Jahren. In dieser Zeit sind große Ingeni-   wicklung angesiedelt, zu der wiederum          wendigen Werkzeuge an die Hand, die
eure aus dieser Hochschule hervorgegan-     untrennbar die Entwicklung der Immobi-         Prozesse des Planens und Bauens neu
gen und sind wesentliche Forschungser-      lie in gesellschaftlicher, wirtschaftlicher    zu konzipieren. Eine ganze Anzahl ent-
gebnisse erzielt worden. Dabei hat sich     und technischer Hinsicht zählt. Viele          sprechender Methoden muss dazu noch
in den letzten Jahren gezeigt, dass immer   aktuelle und sehr erfolgreiche Initiativen     bereit gestellt werden. Bauen wird dann
wieder besonderer Fortschritt an den        nehmen unter diesem Aspekt im Bau-             ein durchgängiger, beherrschter Prozess
Rändern der etablierten Disziplinen mög-    haus 2009 ihren unverzichtbaren Platz          sein, bei dem Nutzer, Investor, Architekt,
lich war.                                   ein: die Studiengänge des Managements          die Ingenieure und Fachplaner, die indus-
                                            für Bau, Immobilien und Infrastruktur          triellen Lieferanten und die Handwerker,
Diese Tatsache ist Grund, an der in Wei-    und Europäische Urbanistik sowie das           bei dem alle vernetzt und transparent
mar vorhandenen historischen Klammer        dort ebenfalls angesiedelte Internatio-        eingebunden sind und jeweils ihre ori-
des Bauhauses festzuhalten, der Einheit     nale Promotionsprogramm, ferner die            ginäre Leistung im Sinne des optimalen
von Kunst und Handwerk unter Einbezie-      breit angelegte Forschungslandschaft           Gesamtbau- und -kunstwerks einbringen.
hung der Technik. Natürlich werden For-     zur Soziologie und Stadtentwicklung, zur
schungsthemen und Entwicklungsfelder        Raumplanung, zur Immobilienökonomie,           Professor Hans-Joachim Bargstädt, Dekan
stets fortgeschrieben. Waren es in den      zu alternativen Projektentwicklungs- und       der Fakultät Bauingenieurwesen, zur Frage
90er Jahren des letzten Jahrhunderts noch   Finanzierungsmodellen, zum Bauen im            »Was ist das Bauhaus heute?«
im Wesentlichen die Weiterentwicklungen
der Modellierung von Tragstrukturen,
deren Berechnungsverfahren und deren
Überprüfung durch Laborversuche, so hat
sich das Entwicklungsfeld seitdem zuneh-
mend verbreitert.
  Heute sind Forscher und Lehrende der
Fakultät Bauingenieurwesen in mehre-
ren Zusammenhängen im Sinne des Bau-
hausgedankens tätig: Weiterhin steht
die Modellierung und die Simulation
von Tragstrukturen durch hoch entwi-
ckelte Rechenmodelle und entsprechende
                                                                                                                                        Schwerpunkt

Abbildung von Materialparametern in
vorderster Front. Gleichzeitig sind die
Forschungsziele vielfältiger geworden, so
etwa durch die komplexen Simulationen
und Visualisierungen in der Verkehrs-
planung, bei der Risikoabschätzung von
Hochwassern und anderen Naturkatastro-                                                                                                    17
phen sowie in der Bauprozessgestaltung.
                                                                                           Fotos: Universitätskommunikation
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