DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG NACHRICHTENBLATT DER LANDESDENKMALPFLEGE | 2007 4 36 . J A H R G A N G
Inhalt 203 Editorial 250 Hofscheune wurde Sommergaststätte des Gasthauses Gerlinger Hof GRUNDSÄTZLICHES Judith Breuer 204 Höfesterben und baulicher Verfall 252 Eine Hofscheune in Zweiflingen unserer Dörfer wurde denkmalverträglich zum Scheunen-Umnutzung statt Abbruch Petra Wichmann Wohnhaus umgenutzt Judith Breuer Querschnitt ländlicher Bauten 211 Scheunen als Kulturdenkmale in Baden-Württemberg. 255 Vom „Klotz am Bein“ zum Zur Bauaufgabe, der Geschichte ihrer Bedeutung und heutigem begeisterten Umgang mit einem Denkmalschutz denkmalgeschützten Einhaus Petra Wichmann / Hermann Ringhof Ehemalige Zehntscheuer und Messner- haus in Gunningen (Kreis Tuttlingen, DENKMALPFLEGE 219 Die Scheune als Geschichtszeugnis Regierungsbezirk Freiburg) IN BADEN-WÜRTTEMBERG – auch nach einer Umnutzung? Monika Loddenkemper Nachrichtenblatt der Landesdenkmalpflege Erik Roth 258 Der Jörgenhof wurde 4 / 2007 36.Jahrgang 223 Scheunen und andere Speicher- Mehrfamilienhaus Herausgeber: Landesamt für Denkmal- bauten Beispiel für die denkmalverträgliche pflege im Regierungspräsidium Stuttgart Zum Umgang mit ihren denkmal- Umnutzung eines stattlichen Einhauses in Verbindung mit den Fachreferaten relevanten Merkmalen bei einer Kathrin Ungerer-Heuck für Denkmalpflege in den Regierungspräsidien. Umnutzung Berliner Straße 12, 73728 Esslingen a. N. Judith Breuer 260 Bäuerliches Einhaus in Gailingen Verantwortlich im Sinne des Presserechts: (Landkreis Konstanz) Präsident Prof. Dr. Dieter Planck Schriftleitung: Dr. I. Plein Erhalt durch Umnutzung zu Zahnarzt- Redaktionsausschuss: BEISPIELE praxis und Wohnung Dr. C. Baer-Schneider, Dipl.-Ing. V. Caesar, Frank T. Leusch Dr. D. Jakobs, Prof. Dr. C.-J. Kind, 231 Sommernutzung, Wohnnutzung, Dr. K. Preßler, Dr. H. Schäfer, Dr.P. Wichmann, Dr. G. Wieland, Übernutzung 262 Kraichtal-Menzingen, Dr. D. Zimdars Ehemalige Keltergebäude im Mittelstraße 7 Produktion: Verlagsbüro Wais & Partner, Rems-Murr-Kreis Stuttgart Schicksal einer außergewöhnlichen Lektorat: André Wais Karsten Preßler Hofanlage Gestaltung und Herstellung: Hermann Diruf Hans-Jürgen Trinkner / Evgenia Motz 239 Von der Zehntscheune mit Kelter Druck: Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Nicolaus-Otto-Straße 14, zum Fotoatelier mit Pferdestall 264 Energiesparkonzept und 89079 Ulm-Donautal Rettungsaktion für die Kelter denkmalpflegerischer Anspruch – Postverlagsort: 70178 Stuttgart in Ilsfeld-Helfenberg Erscheinungsweise: vierteljährlich Die Sanierung des Grundbauernhofs Auflage: 23000 Angelika Reiff in Triberg-Gremmelsbach Gedruckt auf holzfreiem, chlorfrei Ulrike Schubart / Martin Wider / Stefan Blum gebleichtem Papier 242 Schafe, Wein und Touristen Nachdruck nur mit schriftlicher Geneh- Die Schafscheuer in Oberderdingen migung des Landesamtes für Denkmal- 272 Eine außergewöhnlich pflege. Quellenangaben und die Über- (Heinfelder Platz 3) gestaltete Ackerbürgerscheune lassung von zwei Belegexemplaren an Ute Fahrbach-Dreher in Markgröningen die Schriftleitung sind erforderlich. Bankverbindung: Judith Breuer Landesoberkasse Baden-Württemberg, 244 Schafe, Rinder, Menschen Baden-Württembergische Bank Karlsruhe, Der Farrenstall in Kraichtal-Gochsheim, 273 Mit fast 100 Jahren presst sie Konto 7 495 530 102 (BLZ 600 501 01). Untere Bergstraße 14 (Landkreis wieder Most Verwendungszweck: Öffentlichkeitsarbeit Kz 8705171264618. Karlsruhe), wird zum Wohnhaus Restaurierung der alten Mostpresse auf Ute Fahrbach-Dreher Bei allen Fragen des Bezugs, z. B. Hof Milz in Kressbronn-Retterschen bei Adressenänderung, wenden Sie 246 Abbruchkandidat wird Gemeinde- Werner Schlegel sich bitte direkt an Frau Glass-Werner (Tel. 07 11 / 9 04 45-203, Montag bis zentrum Mittwoch, nachrichtenblatt-LAD@ Das ehemalige Pfarrhaus in 276 Ausstellung rps.bwl.de). Immendingen-Ippingen (Kreis Tuttlingen, Regierungsbezirk 276 Neuerscheinungen Dieser Ausgabe liegt eine Beilage der Denkmalstiftung Baden-Württemberg Freiburg) 278 Veranstaltung bei. Sie ist auch kostenlos bei der Monika Loddenkemper Geschäftsstelle der Denkmalstiftung Baden-Württemberg, Charlotten- platz 17, 70173 Stuttgart, erhältlich.
Editorial Karsten Preßler Es liegt fast zehn Jahre zurück, dass sich ein Heft landwirtschaftliche Familienbetriebe. Selbst in unserer Vierteljahreszeitschrift mit dem Thema verkehrsgünstigen, strukturstarken Regionen Ba- „Umnutzung“ einem bestimmten Schwerpunkt den-Württembergs wurde die Entwicklung von aus der denkmalpflegerischen Praxis gewidmet kleinen Dörfern, die zu Wohnstädten für „stadt- hat. Auch diesmal geht es um Umnutzungen, flüchtige“ Familien anschwollen, begleitet vom doch während damals „Industriebrachen mit Zu- Aussterben und baulicher Verödung der histori- kunft“ und die Konversion von Kasernen aus ak- schen Ortskerne, begünstigt durch überlastete tuellem Anlass dargestellt wurden, werden dies- Durchfahrtsstraßen und staatlich geförderte Neu- mal ausschließlich ländliche Bauten behandelt; baugebiete. Dass ländliche Baudenkmäler und eine – wie dieses Heft vermitteln wird – nicht min- Kulturlandschaften eine Einheit bilden, zeigt sich der gefährdete Baugattung. Dass das Thema vie- auch daran, dass der Verlust an Denkmalsubstanz len Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig ist, ja einhergeht mit dem Schwund an Kulturland- „auf den Nägeln brennt“, zeigt sich an der gro- schaft durch Zersiedelung. ßen Resonanz, an der Menge und inhaltlichen Der seit Jahrzehnten anhaltende Rückgang der Vielfalt der Beiträge, die diese Ausgabe des Nach- Landwirtschaft führte nicht nur zum Höfester- richtenblatts auf „Sondergröße“ anwachsen lie- ben, sondern fast zwangsläufig auch zum Verlust ßen. vieler Baudenkmäler. Wird die Landwirtschaft Alte Kulturlandschaften, historische Ortsbilder aufgegeben, sind Umnutzungen immerhin noch und Hofanlagen dokumentieren durch ihre länd- die zweitbeste Lösung, doch sind nicht jede Nut- lichen Bauten, dass Deutschland bzw. Baden und zungsart und jeder Nutzungsumfang denkmal- Württemberg, wie andere europäische Länder verträglich. auch, einst Agrarstaaten waren. Bäuerliche Bau- Einmal mehr zeigen die hier aufgeführten Bei- denkmale und Kulturlandschaften bilden dem- spiele, dass kaum ein Fall wie der andere ist und nach eine Einheit. Wie die Kirche, die man ja be- es sich hierbei nicht um eine immer wieder pau- kanntlich im Dorf lassen soll und deren staatlicher schal zitierte Ausrede von Denkmalschützern Schutz wie bei Burgen, Schlössern und Rathäu- handelt. Vielmehr muss selbst innerhalb vergleich- sern meist schon aus künstlerischen Gründen im barer Baugattungen stets aufs Neue nach in- öffentlichen Interesse steht, prägen oder prägten dividuellen, auf den Einzelfall zugeschnittenen auch bäuerliche Hofanlagen, Einhäuser, Stallge- Lösungen – abhängig von Denkmalbedeutung, bäude, Scheunen, Keltern usw. die Ortsbilder. Oft Erhaltungszustand, Nutzungsanforderungen und handelt es sich um unspektakuläre Nutzbauten, Finanzierungsmöglichkeiten – gesucht werden. die aber, errichtet mit Naturstein, Fachwerk und So ist es andererseits vielleicht sogar beruhigend, ursprünglichen Dachformen, gruppiert um Kirche dass trotz der in diesem Heft dargestellten Vielfalt und Rathaus oder als typische Ortsrandbebau- an Fällen und Lösungen inhaltliche Überschnei- ung, enormes Identifikationspotenzial besitzen. dungen und Wiederholungen unvermeidlich wa- Ländliche Bauten veranschaulichen die Arbeits- ren. Wird dadurch doch ein unter Denkmalpfle- und Lebensweise unserer Vorfahren und stiften gern herrschender Grundkonsens deutlich beim „Heimat“. Wegen ihres oft als „malerisch“ emp- Benennen, Bewerten und vor allem beim Umgang fundenen Erscheinungsbildes und ihres Doku- mit Denkmal konstituierenden Bauteilen und mentationswertes finden sich ihre Darstellungen Raumstrukturen. in Kalendern, Heimatbüchern, Ortschroniken Dennoch wird mit dieser Ausgabe der „Denk- und seit den 1970er Jahren auch in den Denk- malpflege in Baden-Württemberg“ kein An- mallisten. Wie ländliche Bauten als Schutzgut im spruch auf vollständige Darstellung erhoben. Es Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg defi- handelt sich vielmehr um einen bunten Strauß niert und begründet sind und warum es unsere von Beispielen für denkmalgerechte Umnutzun- Aufgabe ist, sie zu erhalten, wird eines der The- gen. Wenn sie einen Anstoß geben, wie so man- men sein, die dieses Heft behandelt. cher beim „Tag des offenen Denkmals“ besich- Erhaltung und Pflege ländlicher Baukultur ist di- tigte Bau, Politiker zum Nach- oder Umdenken rekt abhängig von der kontinuierlichen Bewirt- bewegen, und sie Denkmaleigentümer, denen es Karsten Preßler schaftung der Kulturlandschaft. Wo diese intakt noch an Entschlusskraft mangelt, anspornen Regierungspräsidium bleibt, wie z. B. in der Schweiz, gelingt dies in der oder einfach nur unsere Leser für dieses Thema Stuttgart Regel nur durch hohe staatliche Subventionen für sensibilisieren, dann ist schon viel gewonnen. Ref. 25 – Denkmalpflege 203
Höfesterben und baulicher Verfall unserer Dörfer Scheunen-Umnutzung statt Abbruch Leerstand und Abbruchbegehren sind durch die Umstrukturierung im land- wirtschaftlichen Bereich seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein Thema von zunehmender Brisanz. Viele Gebäude sind in den letzten Jahren bereits verschwunden. Bei einer großen Zahl von Höfen stehen die Ökonomie- teile leer und im Wohnteil leben nur noch die Altbauern. Mit ihrem Tod ste- hen auch diese Anwesen zur Disposition. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, die Ab- bruchwelle der historischen Bausubstanz auf dem Land durch die Denkmal- pflege zu thematisieren, um im Vorfeld Erhaltungsstrategien zu entwickeln und Partner dafür zu finden, den deutlich absehbaren, weit gehenden Verlust abzuwenden. Petra Wichmann Die wirtschaftliche Basis der dem Ziel errichtet worden waren, die Landwirt- traditionellen Landwirtschaft schaft aus den Dörfern hinauszuverlegen; diese ist weggebrochen Aussiedlerhöfe trugen ihrerseits zum Leerfall der innerörtlichen historischen Höfe bei. Damit wird Das offene Land mit seinen Wiesen, Äckern, in erschreckendem Maße deutlich, dass eine Weinbergen, mit seinen Dörfern oder Streusied- jahrhundertelang bestehende Wirtschafts- und lungen prägt – in manchen Landesteilen muss Lebensform, die eine regionalspezifische Land- man schreiben prägte – einen großen Teil unserer schaftsprägung und Baukultur hervorgebracht hat, traditionellen Kulturlandschaft. Seit in der zweiten in unseren Tagen zu Ende geht. Hälfte des 20. Jahrhunderts die Umstrukturie- Die wirtschaftliche Situation der Landwirte hängt rung der Landwirtschaft zu großen Wirtschafts- von verschiedenen Faktoren ab, von der Region, einheiten nicht nur voranschritt, sondern insbe- den landwirtschaftlichen Produkten und ihren sondere von EU-Politikern durch Subventionen Vermarktungsmöglichkeiten, sowie den Hofgrö- und Kontingente planmäßig gefördert wurde, ßen etc. Erhalt oder Aufgabe von Höfen verlau- musste die überwiegende Zahl der traditionellen, fen in Gegenden, in denen Getreideanbau vor- bäuerlichen Familienbetriebe im Südwesten aus herrscht, anders als dort, wo Viehhaltung oder wirtschaftlichen Gründen aufgeben. In Baden- Weinanbau betrieben werden – Letzterer ist auch Württemberg gab es 1949 noch 400 000 land- auf kleinen Flächen noch immer Gewinn brin- wirtschaftliche Betriebe, 1989 nurmehr 120 000, gend bzw. für die Selbstversorgung beliebt. Es ist Ende 2005 waren es noch 20 000. Bei diesen ein Unterschied, ob das landwirtschaftliche An- 20 000 Vollerwerbsbetrieben sind auch die in der wesen durch Realerbteilung sehr klein ist oder ob Nachkriegszeit neu gebauten Aussiedlerhöfe mit- es sich um einen großen Hof im Anerbengebiet gezählt, die ihrerseits vor einer Generation mit (ein Hoferbe) handelt. Höfe in Streusiedlungsge- 1 Das Hinterland des westlichen Bodensees war einst die Kornkam- mer der Schweiz und durch große Scheunen, oft Doppelscheunen, geprägt. Heute ist der Landstrich verarmt. „Hier sieht es ja aus wie in Mecklenburg- Vorpommern!“ hat ein Denkmalpfleger aus der Landeshauptstadt erstaunt geäußert. 204
bieten können am alten Standort erweitert wer- den, Höfe in dicht gedrängten Ortslagen erfor- dern andere Lösungen. Bergbauern können überhaupt nur mit finanzieller Unterstützung als Landschaftspfleger ihre Betriebe weiterführen. Beim Generationenwechsel stellt sich die kon- krete Frage nach Fortführung der Landwirtschaft. Die alte Generation musste weitermachen, weil sie keine andere berufliche Alternative hatte. Die nachfolgende Generation übernimmt nur, wenn sie von den Erträgen auch leben kann. In der Re- gel kann die Landwirtschaft gehalten werden, wenn sich durch Tourismus, einen gewerblichen Arbeitsplatz oder ein Nischenprodukt ein zwei- tes wirtschaftliches Standbein aufbauen lässt. Manchmal werden Teilbereiche von der nachfol- genden Generation im Nebenerwerbsbetrieb weitergeführt. In vielen Fällen muss ganz aufge- geben werden. Dieser Wandel ist oft mit großer wirtschaftlicher Härte für die Betroffenen verbunden. Nach außen wird dies so gut es geht verborgen. Die Anwesen werden im Rahmen des Möglichen weiterhin ge- pflegt. Denkmalpfleger gewinnen bei Innenbe- sichtigungen, bei denen es immer um die Bewer- tung der Bausubstanz und der historischen Aus- stattung geht, nebenbei auch Einblicke in die Lebenssituation der jeweiligen Bewohner. Bis- weilen ist die Armut erschütternd. Es regnet zum Dach herein, manchmal sogar in die noch be- wohnten Räume. Die Decke hängt herunter, man behilft sich mit einem untergestellten Eimer. Dä- cher über Scheunenteilen stürzen mit lautem Krachen ein, während die alten Menschen ne- benan im Wohnteil leben (Abb. 1– 4). Im Dorfbild wird der Wandel nur mit Verzöge- rung sichtbar. Zunächst wohnen die Altbauern weiterhin im Wohnteil oder Wohnhaus ihrer Höfe und die ungenutzten Ökonomieteile stehen leer. Eine Umwandlung von Dörfern zu Wohn- haben. Letztere lassen die Struktur des histori- 2 Ein stattliches Querein- quartieren ist in der Nähe von Städten die übliche schen Ortes noch erkennen, können aber nicht haus aus dem 18. Jahr- Entwicklung. In abgelegenen Landesteilen fallen mehr als Kulturdenkmale eingestuft werden. Er- hundert, Foto 1981. Hofstellen wüst, das Land entvölkert sich. schreckend ist es auch, wenn ein gut gepflegtes 3 Das gleiche Gebäude Kulturdenkmal zu einem Fremdling unter lauter 1997. Der Ökonomieteil Fotos von Höfen und intakten Neubauten geworden ist. Bis heute gut überlie- ist zwischenzeitlich ein- Dorfbildern statt Erhaltung? fert in allen historischen Ausbaudetails sind oft gestürzt. gerade diejenigen Bauten, in die aus Gründen Geschlossene Ortsbilder auf dem Land, die es der Armut in der Nachkriegszeit nicht investiert um 1950, 1960 noch selbstverständlich gab, sind werden konnte. Diese Gebäude mit großem Sa- heute ein seltener Glücksfall. Betrachtet man nierungsrückstand werden aber ohne finanzielle Fotos, die für die Erstellung der ersten Denkmal- Hilfe aus wirtschaftlichen Gründen nur schwer listen in den 1960/70er Jahren aufgenommen einer neuen Zukunft entgegenzuführen sein. Die wurden, und vergleicht sie mit dem heutigen Be- Gefahr ist sehr groß, dass die aktuell laufende stand, so ist der Verlust erschreckend (Abb. 2, 3). Denkmalinventarisation mit ihrer Fotodokumen- Die damals dokumentierten Gebäude sind heute tation nicht mehr Grundlage für eine Erhaltung zum Teil baufällig, ersatzlos entfernt, durch Neu- dieser Anwesen ist, sondern letztmals die Zeug- bauten ersetzt oder so umgebaut, dass sie einen nisse dieser bisweilen über 500 Jahre alten, bäu- Großteil ihrer historischen Substanz eingebüßt erlichen Hauslandschaften erfasst. 205
Mehr finanzielle Unterstützung zusammengefasst. Einer von vier Förderschwer- und Beratung vor Ort notwendig punkten ist „Wohnen“, was auch die Instandset- zung von historischen Altbauten oder Scheunen- In den 1980er, frühen 1990er Jahren hatte sich umnutzungen beinhalten kann. Bezuschusst wird ein gesellschaftlicher und politischer Konsens her- aber auch der Abbruch historischer Bauten und ausgebildet, den damals einsetzenden Struktur- ihr Ersatz durch Neubauten, was in der Regel den wandel auf dem Land abzufedern. Dies geschah Anstrengungen der Denkmalpflege um deren durch Investitionen in die Denkmalpflege und pa- Erhalt entgegenläuft. Tatsächlich konnten die rallel dazu in die Dorfsanierung im Sinne des Er- privaten Baumaßnahmen seit Mitte der 1990er halts der historischen Bausubstanz, der vertrau- Jahre aber kaum mehr gefördert werden, da die ten, Heimat stiftenden Dörfer und der regional- neu eingeführte, niedrig angesetzte Einkom- typischen Kulturlandschaften. Es wurde auch mensgrenze den Kreis der Berechtigten drastisch argumentiert, dass unsere Dörfer mit ihrer histo- einschränkte. Die seither im ELR-Antrag durch die rischen Bausubstanz im Hinblick auf Nachhaltig- Gemeinden zu erstellende Prioritätenliste gibt keit einen großen Wert besitzen. Errechnet wur- Gewerbeförderung, Grundversorgung, Gemein- de, dass jeder in den Denkmalschutz investierte schaftseinrichtungen oft Vorrang vor privaten Sa- staatliche Zuschuss ein Achtfaches an privaten In- nierungsmaßnahmen. Dies führte vergangenes vestitionen auslöst. Damals konnten viele bäuer- Jahr, zusammen mit der Tatsche, dass zwei Drittel liche Anwesen restauriert und/oder durch Um- der Anträge wegen Geldmangels nicht bedient nutzung erhalten werden. Einige der hier vor- werden konnten, im Regierungsbezirk Freiburg gestellten Beispiele wurden damals realisiert. zum Ergebnis, dass nur ein marginaler Anteil der Wiedervereinigung, großer Finanzierungsbedarf Zuschüsse in den Bereich Wohnen floss. Ein klei- für die Not leidende Bausubstanz in den neuen ner Lichtblick ist, dass vom kommenden Jahr an Bundesländern, ungünstige Wirtschaftskonjunk- im Förderbereich Wohnen die Einkommens- tur und Sparzwang führten auf politischer Ebe- grenze wieder wegfallen wird, dass die Förder- ne zu einem erneuten Wertewandel, zur Priorität mittel in den beiden letzten Jahren aufgestockt der „Wirtschaftlichkeit“, einer einseitigen Wirt- wurden und dass die Kumulation mit Mitteln aus schaftsförderung unter Hintanstellung kultureller anderen Förderprogrammen möglich ist, wenn Belange. dies für den Erhalt eines stark gefährdeten Kul- Inzwischen ist die staatliche Unterstützung für turdenkmals erforderlich ist. den baulichen Erhalt von Höfen und Dörfern Heute haben die baulichen Folgen des wirt- weit gehend weggefallen. In Baden-Württemberg schaftlichen Strukturwandels auf dem Land auch wurden die Zuschussmittel der Denkmalpflege, durch das Verschleppen des Problems dramati- die neben vielen anderen Aufgaben auch die Kul- sche Formen angenommen. Bedauerlicherweise turdenkmale auf dem Lande betreut, seit 1996/97 fehlt ein Förderprogramm, das auf die Bedürf- von 60 Millionen DM auf etwa 30 Millionen DM nisse der bäuerlichen Eigentümer zugeschnitten bzw. einen entsprechenden Euro-Betrag halbiert. ist und bei der Instandsetzung eines erhaltens- Erhöhte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten werten oder denkmalgeschützten, ländlichen für Maßnahmen, die nach § 7i EStG „dem Erhalt Anwesens, insbesondere bei der Umnutzung von und der sinnvollen Nutzung von Kulturdenkma- len dienen“, unterstützen bei dieser Aufgabe gut verdienende Bevölkerungsschichten, jedoch hel- fen sie den von mageren Renten lebenden Alt- bauern ebenso wenig wie Jungbauern, die bei Instandsetzungen ihre Arbeitskraft einbringen können, aber in der Regel über ein nur geringes 4 Das stattliche Querein- zu versteuerndes Einkommen verfügen. haus aus dem späten Die Dorfentwicklung, die bis Mitte der 1990er 18., frühen 19. Jahrhun- Jahre ganze Dörfer mit ihren Denkmalen und der dert ist das Haupthaus übrigen historischen Bebauung dank Zuschüssen eines Gehöfts samt Back- und professioneller Beratung durch darauf spezi- haus und Speicherbau alisierte Architekturbüros in ihrer öffentlichen mit Altenwohnteil. 1997 und privaten Bausubstanz sowie in ihrer Infras- wurde es fotografiert und als Kulturdenkmal erfasst, truktur instand gesetzt bzw. technisch moderni- 1999, nachdem der Öko- siert (Haustechnik) hat, gibt es in dieser Form nomieteil eingestürzt war, nicht mehr. Sie wurde 1993/94 mit dem Förder- musste es aus der Liste programm für gewerbliche Maßnahmen zum gestrichen werden. Entwicklungsprogramm ländlicher Raum (ELR) 206
Denkmalpflege personell ausgedünnt. Die Ar- 5 Eine der beiden Zehnt- beitsüberlastung des verbliebenen Personals führt scheunen vom Kellhof quasi durch die Hintertüre zum Paradigmen- des Klosters Petershausen wechsel, nämlich zur Abkehr vom Gedanken, in Hilzingen. Sie war an einem heute verschwunde- dass der Wert unseres baulichen Erbes in der Viel- nen Wappen früher auf zahl der Zeugnisse, im Großen und Kleinen, im 1726 datiert. Bauschäden Spektakulären und Bescheidenen liegt. Die be- und abgerutschte Ziegel scheideneren Denkmäler, so auch diejenigen, die gefährdeten den Bestand vom Leben unserer Vorfahren auf dem Lande, des Gebäudes. insbesondere in den bäuerlichen Unterschichten erzählen, können – insgesamt gesehen – nicht mehr ausreichend betreut werden. Wie oben für die Dorfsanierung dargestellt, sind die Partner der Denkmalpflege weggefallen. Die Kreisbaumeis- ter haben für ihren ursprünglichen Auftrag, die Bauherren in Gestaltungsfragen zu beraten, mit der Novellierung der Landesbauordnung von 1996 oft die Rechtsgrundlage verloren, weil seither viele Verfahren genehmigungsfrei sind. Ein flächendeckendes Netz an unterstützenden, ehrenamtlichen Heimatpflegern wie in Bayern und der Schweiz, dort jeweils mit unterschied- lichen Aufgaben und Kompetenzen, gibt es in Baden-Württemberg nicht. Was es aber gibt, sind Baudenkmale, die darauf warten, instand gesetzt und weiter oder neu ge- nutzt zu werden. Was es gibt, sind Eigentümer, die ihre Anwesen lieben und sie erhalten wollen. Nebengebäuden wie Scheunen, hilft. Viele Ob- Was es auch immer wieder gibt, sind Eigentümer, jekte, die in den letzten Jahren dennoch instand die bei entsprechender Beratung und durch das gesetzt wurden, verdanken die Realisierbarkeit Vorbild gut sanierter Bauten für ihr eigenes Haus der Maßnahme in der Regel neben Zuschüssen Begeisterung entwickeln können (vgl. den Bei- aus Denkmalpflegemitteln einer zusätzlichen För- trag Loddenkemper „Gunningen“). Was es gibt, derung durch die Denkmalstiftung Baden-Würt- – insgesamt gesehen leider viel zu wenig – sind temberg. Dies sind vorbildliche Einzelfälle, aber es engagierte Architekten, Gemeindevertreter, Bür- ist keine generelle Lösung für eine solch drän- ger, Bürgerinitiativen, die das an Spezifischem er- gende Aufgabe. halten wollen, was noch an historischer Bausubs- Für eine intensive Beratung vor Ort fehlt es jedoch tanz im jeweiligen Umkreis vorhanden ist. Es gibt auch an Personal. Seit Jahren wird die staatliche sogar Gemeinden, die für die Bauberatung ihrer 6 Die beiden Zehntscheu- nen aus dem 18. Jahrhun- dert in Hilzingen. Die außer- ordentlich um den Erhalt bemühten Eigentümer haben mit Unterstützung des Denkmalamtes und der Denkmalstiftung in den letzten zehn Jahren beide Gebäude ohne aktuellen Nutzungsbedarf instand setzen lassen. 207
7 Hofscheune des 17. Jahr- Bürger eigens einen Architekten engagieren. Was len die Scheunen mit rund 10 000 Bauten dort hunderts in Deggenhau- es gerade in gut überlieferten Kulturlandschaften auch heute noch ein Achtel der Gesamtbebau- sertal-Wittenhofen, Zum gibt, ist ein Bewusstsein für die große Bedeutung ung dar. Die Erhaltungsbedingungen für land- Hohen Stein 1 Bodensee- der regionaltypischen, historischen Bebauung auf wirtschaftliche Familienbetriebe in der Schweiz kreis). Sie wurde reparie- dem Land und die Prägung der jeweiligen Land- sind besser, unter anderem, weil dort nicht die rend instand gesetzt und schaft durch bestimmte landwirtschaftliche Nut- Rahmenbedingungen der EU gelten. Deswegen wird als Abstellraum gering genutzt. Die Maßnahme zungen. Dies ist eine unveräußerliche Basis für die sind die Zahlen aus dem Nachbarland nicht direkt ist ablesbar an der hellen kulturelle Identifikation und auch für deren tou- zu übernehmen, aber sie sind ein gewichtiger Farbe der ausgetauschten ristische Nutzung, stellvertretend dafür seien ge- Hinweis darauf, dass Scheunen auch bei uns rein und noch nicht verwitter- nannt der Schwarzwald und Oberschwaben. Was quantitativ einen wesentlichen Teil unserer histo- ten Hölzer. Zustand 2006. es gibt, ist die Chance, die landwirtschaftlichen rischen Bebauung ausmachen. Gerade diese Bau- Anwesen nach dem Verlust ihrer ursprünglichen ten prägen mit ihren großen Baukörpern und den 8 Innenansicht derselben Funktion umzunutzen und sie damit in veränder- hohen, ruhigen Dachflächen unsere Höfe und Scheune nach der repa- ter Form in die Zukunft zu tradieren. Dörfer, sowie als Teil von Ackerbürgerhäusern oft rierenden Instandsetzung, auch Nebenstraßen der historischen Stadtkerne. Blick über die Tenne zum Scheunen – die wichtigsten Tennentor. An der linken Trennwand zur Wagen- Ökonomiebauten der Agrargesellschaft Geringnutzung – Einmottung – remise ist ein überblat- Umnutzung tendes Kopfband, das in Stark gefährdet in ihrem Fortbestand sind vor al- hellem Holz erneuert ist, lem die Ökonomiebauten und zwar gerade die Wie ist dem Problem des Leerfalls nach Aufgabe zu sehen. Diese Holz- größten und wichtigsten: die Scheunen. Sie sind der Landwirtschaft zu begegnen? Zunächst er- konstruktion mittelalter- die Banken, die Finanzämter, die Versicherungen folgt üblicherweise die Geringnutzung als Ab- lichen Ursprungs ist ein der Agrargesellschaft. Für den Schweizer Kanton stellraum für Traktor, Wohnwagen, oder Boote Kriterium dafür, diese Thurgau ließ sich 2001 nachweisen, dass dort ein etc. Manchmal kann diese Geringnutzung auch Scheune ins 17. Jahrhun- Drittel der historischen Bebauung bis zum Zwei- noch unter einem neuen Eigentümer, der zum dert zu datieren. ten Weltkrieg Scheunen waren. Im Thurgau ist Beispiel ein Anwesen für Wohnzwecke kauft, die Anzahl der Gebäude von 30 000 im Jahr 1939 aber den Ökonomiebereich nicht benötigt, über auf heute 80 000 Gebäude gestiegen. Damit stel- einen längeren Zeitraum fortgeführt werden. Da 9 Scheune mit Stall und darüber Knechtskammer, Tenne und Wagenremise, datiert 1861, Hammerhof in Deggenhausertal-Wit- tenhofen, Ortsteil Herres- heim (Bodenseekreis), im Bestand gefährdeter Zustand von 1998. 208
hier keine Eingriffe vorgenommen werden, ist dies aus denkmalpflegerischer Sicht für einen gewissen Zeitraum der Idealfall (vgl. den Beitrag Schubart/Wider/Blum). Bei manchen Ökonomiegebäuden, oft bei be- sonders stattlichen Bauten wie zum Beispiel al- ten Zehntscheunen, die nicht oder nur gering ge- nutzt werden, sind die von der Denkmalpflege anerkannten, förderfähigen Kosten bei einer „Einmottung“ besonders hoch. Diese Gebäude und insbesondere ihre Dächer werden so weit in- stand gesetzt, dass sie die nächsten Jahrzehnte funktionslos oder mit einer gelegentlichen Som- mernutzung überdauern können, bis eine denk- malverträgliche neue Nutzung gefunden wird. Zum Beispiel wurden die beiden Zehntscheunen aus dem 18.Jahrhundert in Hilzingen (Landkreis höften zu leisten. Die zahlreichen leer fallenden 10 Die Scheune des Konstanz), die heute engagierten Privatleuten Ökonomieteile neuen Funktionen zuzuführen ist Hammerhofs nach ihrer gehören, „eingemottet“, Abb. 5, 6). Die Instand- auf lange Sicht die einzige Möglichkeit, unsere reparierenden Instand- setzung von Zehntscheune und Kelter in Den- ländliche Bausubstanz als kulturlandschaftsprä- setzung 2002. Sie ist als Heuhotel und Pferde- kendorf für eine Geringnutzung wurde 2001 in gendes Element zu erhalten. stall genutzt. Heft 30 der Zeitschrift „Denkmalpflege in Baden- Welche Nutzungen bieten sich an? Am einfachs- Württemberg“ vorgestellt (211ff.). Auch bei sel- ten ist die Nutzungskontinuität durch Pferde- tenen Ökonomiegebäuden wie Speichern oder haltung (Abb. 9 –11). Ansonsten finden sich zum Hofmühlen ist, ebenso wie bei Hofscheunen, die Beispiel: Arztpraxis (vgl. den Beitrag Leusch), Instandsetzung ohne oder mit einer nur geringen Atelier (Abb. 12), Bankfiliale, bäuerliche Selbstver- Nutzung möglich. Das zeigen vorbildliche Bei- marktung, Büro, Café, Gästehaus, Kindergarten, 11 Detail der Scheune des spiele aus dem Bodenseekreis (Abb. 7–11). Kunstgalerie, Heuhotel (Abb. 9–11), Laden, Mu- Hammerhofs mit desolater Traufe, Zustand 1998. Ansonsten müssen für die leer fallenden Ökono- seum (Abb. 13, 14), örtliche Raiffeisenniederlas- miegebäude Nachfolgenutzungen gesucht wer- sung, Weinverkostung, Werkstätte – oder eben 12 Scheunen stehen nicht den. Es gibt viele gute Beispiele für Umnutzungen Wohnen. Die Umnutzung zu Wohnzwecken ent- nur auf dem Land, son- stattlicher, meist herrschaftlicher Bauten durch spricht wohl am häufigsten den Bedürfnissen der dern auch in den Neben- die öffentliche Hand: Zehntscheunen, Pfarr- Eigentümer. Oft möchte die junge Generation gassen von Städten. Diese scheunen oder Keltern werden zu Gemeinde- eine eigene Wohnung oder wird das Wohnen nur Scheune aus dem 19. Jahr- sälen, Pfarrgemeindesälen, Heimatmuseen, Orts- im traditionellen Wohnteil als zu eng empfunden hundert in Radolfzell ist bibliotheken oder dem Speisesaal eines Internats. (vgl. die Beiträge von Ungerer-Heuck, Breuer und seit 1983 zu einem Lam- In der „Denkmalpflege Baden-Württemberg“ Diruf). pengeschäft umgenutzt. wurden bereits verschiedene Beispiele vorge- Dies sind keine spektakulären Umbauten, aber Die Maßnahme hat sich langfristig bewährt; die stellt, so die Zehntscheune von Schloss Hohenfels nur, wenn hier denkmalverträgliche Lösungen heutige Denkmalpflege (8,1979, 65ff.) oder das Torkelgebäude des Hei- gefunden werden, lassen sich die landwirtschaft- würde allerdings auch liggeistspitals in Überlingen (27, 1998, S. 150ff.). lichen Anwesen in größerem Umfang erhalten. versuchen, den Innenaus- Weniger spektakulär und mit bescheideneren Die Alternative ist im Regelfall der Abbruch des bau in stärkerem Maße finanziellen Mitteln ist die Umnutzung der Wirt- Ökonomieteils und sein Ersatz durch ein neues in die Umnutzung mit ein- schaftsteile von bäuerlichen Einhäusern und Ge- Wohnhaus oder auch Garagen. Das heißt, die Al- zubeziehen.
malbedingter Mehraufwendungen nach Maß- gabe vorhandener Haushaltsmittel. Ein erster, un- verbindlicher Beratungstermin kann über die je- weiligen unteren Denkmalschutzbehörden ver- einbart werden. Literatur Zum Rückgang der landwirtschaftlichen Anwesen die Auskunft des zuständigen Ministeriums für Er- nährung und ländlichen Raum sowie unter anderem: Michael Mütz, Dimitrios Vlasakidis, Georg Zimmer: Umnutzung landwirtschaftlicher Bausubstanz, Un- tersuchung in ausgewählten Dörfern in der Region Bodensee-Oberschwaben, Regionalverband Oben- see-Oberschwaben, Ravensburg, Feb. 1991. Judith Breuer: Buchbesprechung von Scheunen un- genutzt – umgenutzt, in: Denkmalpflege in Baden- Württemberg, Nachrichtenblatt des Landesdenk- malamtes 2, 2002, S.107ff. Beatrice Sendner-Rieger u. a.: Scheunen ungenutzt – 13 Gaienhofen, der aus ternative ist der Totalverlust des Denkmals und umgenutzt, Hg. v. Denkmalpflege im Thurgau, Frau- dem 18. Jahrhundert das sukzessive Verschwinden der traditionellen enfeld/Stuttgart/Wien 2001. stammende Eindachhof Dörfer. In den letzten drei Wirtschaftsjahren mussten über in Gaienhofen am Boden- Die Denkmalpflege unterstützt die Eigentümer – 7000 Betriebe in Baden-Württemberg schließen, see diente 1904–07 dem trotz der oben angesprochenen verschlechter- nurmehr 20 000 Höfe (Schwarzwälder Bote 1.12.05) Schriftsteller Hermann ten Rahmenbedingungen – mit ihrer Erfahrung Hesse und seiner Familie als Wohnhaus. Heute ist bei Erhaltungs- und Umnutzungsmaßnahmen an er Teil des Hörimuseums, Scheunen und anderen Ökonomiegebäuden. Sie der Wohnteil ist Hermann bietet die kostenlose Beratung zur Entwicklung Dr. Petra Wichmann Hesse gewidmet, der situationsbezogener, denkmalverträglicher Lösun- Regierungspräsidium Freiburg Ökonomieteil dient im gen an und hilft durch die Bezuschussung denk- Ref. 25 – Denkmalpflege Erdgeschoss Wechsel- ausstellungen, im Ober- geschoss als Veranstal- tungsraum. 14 Veranstaltungsraum im Hörimuseum. Die Be- lichtung bestimmt den be- sonderen Charakter dieses Raumes. Die dekorativen Lüftungsschlitze in den Fachwerkausfachungen wurden verglast, sie sind im Bodenseeraum für die Bauaufgabe Trotte (Kelter), die hier Teil eines bäuerli- chen Einhauses sein kann, charakteristisch. 210
Scheunen als Kulturdenkmale Zur Bauaufgabe, der Geschichte ihrer Bedeutung und heutigem Denkmalschutz Scheunen und andere landwirtschaftliche Ökonomiebauten waren über Jahr- hunderte notwendige Nutzbauten, die von ihren Besitzern ganz selbstver- ständlich instand gehalten und neuen Nutzungsanforderungen angepasst wurden. Deshalb hat sich die Denkmalpflege diesem Thema auch erst spät zu- gewandt. Heute gehören diese Gebäude europaweit zu den gefährdetsten Denkmalen. Einzelstehende Ökonomiebauten wie Zehntscheunen können als Einzeldenkmale ausgewiesen werden. Im Denkmalschutzgesetz von Baden- Württemberg ist zudem der Schutz von Hofscheunen und anderen Nebenge- bäuden als Teil eines insgesamt wertvollen Gehöfts eigens vorgesehen. Petra Wichmann / Hermann Ringhof Bauernscheunen, Zehntscheunen, lich adaptierte, landwirtschaftliche Ökonomie- Schafscheunen bauten führte. In den Scheunen wurden die Ge- treidegarben bis zum Dreschen aufbewahrt. Für Der Begriff Scheune oder Scheuer umfasst – diese schwere Winterarbeit nutzte man die Tenne sprachlich unscharf – bäuerliche Hofscheunen als Arbeitsraum (Abb. 1). Im Südwesten wurde aller Art, aber auch Herrschaftsbauten mit Son- das Korn selbst im Dachraum über dem Wohnteil derfunktionen, wie die Zehntscheunen und die gelagert. Die bäuerlichen Scheunen dienten im Schafscheunen. Allgemeinen auch der Bevorratung von Heu und Bäuerliche Scheunen sind fast immer Teil eines Stroh für die Überwinterung des Viehs, in Gehöfts. Meyers neues Konversations-Lexikon manchen Regionen seit dem späteren 18. Jahr- von 1870 definiert: „Scheuer (Scheune, Stadel), hundert der ganzjährigen Stallviehhaltung. Dabei landwirtschaftliches Gebäude, in welchem das konnte der Viehstall in die Scheune integriert eingeerntete Getreide aufbewahrt, ausgedro- sein, das ergab den weit verbreiteten Typus der schen und gereinigt wird. Nach ihrer Bestimmung Stallscheune; er konnte sich im Untergeschoss zerfallen die Scheunen in zwei Theile: den zur des Wohnteils befinden oder selten als eigen- 1 Arbeiten auf der Aufbewahrung dienenden Theil oder die Bansen ständiges Gebäude errichtet sein. In Weinbau- Tenne, Illustration zum (Tasse) und die zum Dreschen bestimmte Tenne. gegenden gibt es unterkellerte Scheunen; große „Hauß-Vatter-Buch“ Letztere ist nicht selten mit Bohlen belegt, am Höfe besitzen mitunter lang gestreckte Scheu- von 1721. häufigsten jedoch mit einer Lehmdecke (Lehmes- trich, Lehmstrich) überzogen. Die Bansen werden meist auf beiden Seiten der Tenne, oft aber auch nur an einer Seite angebracht und sind von der Tenne durch etwa 5 Fuß hohe Wände (Bansen- oder Tennenwände) geschieden, welche letztere aus Schwellen, Ständern und Riegeln bestehen und meist mit starken Brettern beschlagen sind. Fenster werden in Scheuern nicht angelegt, wohl aber ist für eine gehörige Anzahl Luftlöcher zu sorgen.“ Bansen heißt im Südwesten Barn, im Übrigen ist damit die Grundform einer nur für Getreide genutzten Scheune beschrieben, die im Inneren bis in den Dachraum hinein offen ist. Die bäuerlichen Betriebe im Südwesten hatten in der Regel eine Mischwirtschaft, was zu regional unterschiedlichen Ausprägungen der Scheunen als große, für vielfältige Nutzungen unterschied- 211
2 Fruchtkasten und der jeweiligen Herrschaft gehörten, so in Kirchen Zehntscheune in Dorn- oder Spitalbauten oder auch in eigens erbauten stetten (Landkreis Freu- Fruchtkästen (Kornhäusern, Haberhauskästen). denstadt) wurden nach Letztere haben keine Tennen, ihre Zwischenbö- einem Brand 1667 unter den sind bis ins Dach hinein so ausgelegt, dass sie Einbeziehung älterer große Lasten aufnehmen können (Abb. 2). Die Massivteile an der Stadt- mauer neu erbaut. Die Dächer werden mit zahlreichen kleinen Gauben Zehntscheune (rechts) belüftet. Bis zur Ablösung der Naturalabgaben besitzt eine Mitteltenne durch Geldbeträge Mitte des 19. Jahrhunderts sowie parallel einen waren diese herrschaftlichen Speicherbauten in zweiten Arbeits- und Funktion. Die Zehntablösung erfolgte in Baden Erschließungsraum. aufgrund eines Gesetzes vom 15. Oktober 1833, Der Fruchtkasten (links) in Württemberg aufgrund eines vom 14. Juni gehörte je zur Hälfte der 1848 und in Hohenzollern aufgrund des dortigen weltlichen und der kirch- Gesetzes zur Ablösung der Reallasten vom 28. lichen Herrschaft. Er hat Mai 1860. Bald danach begannen der Verkauf deswegen einen spiegel- bildlichen Grundriss, und die Umnutzung dieser damals funktionslos jeweils mit Erschließungs- gewordenen, herrschaftlichen Speicherbauten. achse sowie durch kräf- tige Stützen für schwere Lasten ausgelegten Spei- cherräumen. (Isome- trische Darstellung Büro Crowell, Karlsruhe). nenbauten, in die Rossstall und Knechtskammern eingebaut sein können (Abb. 10 im Beitrag Wich- mann „Höfesterben“); besonders aufwendig kon- struiert sind die doppelgeschossigen Ökonomie- teile der Schwarzwaldhöfe (Abb. 4 im Beitrag Schubart/Wider/Blum). Herrschaftsbauten sind in der Regel Solitärbauten mit ausgesprochen stattlichem, oft repräsentativ gestaltetem Außenbau. Zehntscheunen besitzen im Inneren eine, bisweilen zwei Dreschtennen (Abb. 2). Selten sind Zehntscheunen ohne Dresch- tenne; sie werden, wie in Engen bei Schloss Kren- kingen, in der Nutzung eher dem synonym ge- brauchten Begriff Kornhaus entsprochen haben (vgl. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 36, 2007, S. 90). Es gibt oder gab sie in fast allen grö- ßeren Orten, oft stehen sie im Zentrum des Ortes neben Kirche und Pfarrhof oder neben dem Sitz der jeweiligen Ortsherrschaft. Gelagert wurde das Korn in den Dächern oder mundartlich „auf dem Speicher“ der Bauten, die 212
Die Schafscheunen (Abb. 3) besitzen große Ställe im Erdgeschoss zum Überwintern ganzer Schaf- herden. Im Inneren ruhten die Holzständerkon- struktionen der Dachgeschosse oft auf hohen Steinsockeln, damit sie nicht von den Schafen benagt werden konnten und vor allem, dass sie durch das erst im Frühjahr herausgenommene Mistbett nicht verrotteten. In den Speicherdä- chern wurde Futter und Einstreu für die Tiere ge- lagert. In Altwürttemberg gehörte die Schäferei zu den herrschaftlichen Regalien des Landes- herrn. Nur ihm stand es zu, Schafe zu halten oder eine Schäferei zu betreiben. Diese war wegen des Düngers, der Wolle und des Fleisches wirtschaft- lich erfolgreich. In Altwürttemberg bestand die- ses Recht bis 1828. Erst später konnten einzelne Bürger das Recht zur Schafhaltung erwerben. Wenige Jahrzehnte später wurde die Schäferei durch Einfuhr von Importwolle unrentabel. Zur Geschichte der Bewertung von 3 Schafscheune für In moderne Begriffe übersetzt, hatten gut ge- Scheunen bzw. landwirtschaftlichen Leinfelden-Echterdingen, füllte Scheunen für ihre Besitzer eine gleicher- Ökonomiebauten als Denkmale Ortsteil Musberg (Kreis maßen beruhigende Wirkung wie heute ein gut Esslingen), Entwurf des herzoglichen Baumeisters gefülltes Bankkonto, was sich sogar durch die Zu Beginn der staatlichen Denkmalpflege im Georg Beer um 1590. sprachliche Übernahme des Begriffes aus dem 19. Jahrhundert wurden kirchliche und herr- Sie bestand von ca.1607 Agrarbereich in unsere Zeit widerspiegelt. Von schaftliche Gebäude aufgrund ihrer historischen bis 1756. den herrschaftlichen Bauten waren Zehntscheu- und künstlerischen Wertigkeit geschützt: Kirchen, nen die Finanzämter der vorindustriellen Zeit. Schlösser, Burgen. Bei den Denkmalerfassungen Dort wurde jedes Jahr ein wesentlicher Teil der in Baden und Württemberg, die kurz vor dem Staatseinkünfte gesammelt. Die Kornhäuser wa- Ersten Weltkrieg initiiert und in der Zwischen- ren eine Art Versicherung oder auch patriarcha- kriegszeit durchgeführt wurden, hat man zusätz- lische Sozialfürsorge für schlechte Zeiten. In Hun- lich auch repräsentative Bürger- und Bauernhäuser, gerzeiten verteilte man die dort gesammelten die sich durch eine schmuckreiche Architektur aus- Vorräte an die Untertanen und gab neues Saat- zeichneten oder besonders stattlich waren, so- gut aus. Für Dornstetten ordnete der Herzog wie Herrschaftsbauten wie Zehntscheunen, Keltern von Württemberg 1791 an, dass dort beständig oder auch Rathäuser, in die Denkmallisten aufge- 195 000 Zentner Saat- und Brotgetreide einge- nommen. Bäuerliche Ökonomiebauten finden sich lagert sein mussten. Von diesem Getreide wurde dort kaum. regelmäßig gegen Zins in Form von Getreide Brot- Im Weinbauerndorf Strümpfelbach im Remstal und Saatgetreide verliehen und damit der Getrei- zum Beispiel, das bis heute über einen außerge- devorrat vermehrt. wöhnlich reichen Bestand an beachtlichen Sicht- Wollte man die funktionalen, typologischen, und Zierfachwerkhäusern des späten 16./frühen sozioökonomischen und siedlungstypologischen 17. Jahrhunderts, vereinzelt auch des 18. Jahr- Aspekte von Scheunen umfassend darstellen, hunderts verfügt (Abb. 4), wurden 1927 insge- wäre das in Baden-Württemberg eine anspruchs- volle Aufgabe, weil das Land durch seine un- terschiedlichen, historischen Kulturlandschaften geprägt ist. Diese haben durch verschiedene na- turräumliche Bedingungen, landwirtschaftliche Produkte, vor Ort anstehende Baumaterialien, durch unterschiedliche Erb- und Baugesetze so- wie Konfessionen auch vielfältige, regionaltypi- sche Bauformen entwickelt. Solch ein Aufsatz 4 Giebelständig gereihte würde den Umfang der aktuellen Ausgabe von Weingärtnerhäuser des „Denkmalpflege in Baden-Württemberg“ spren- 16. bis 18. Jahrhunderts gen. Eine Darstellung der Scheunen Baden-Würt- in Weinstadt-Strümpfel- tembergs nach Kulturlandschaften ist aber ange- bach (Rems-Murr-Kreis), sichts der Bedeutung und Gefährdung der Bau- Foto 1920 vor der Verdo- gattung ein dringendes Desiderat. lung des Bachs. 213
5 Strümpfelbach, Haupt- samt 28 Bauten als Denkmale erfasst. Neben den straße 30/1: Diese giebel- Sonderbauten waren das 21 stattliche Weinbau- ständige, von der Straße ernhäuser, die fast alle giebelständig zur Straße leicht zurückgesetzte stehen. Von den zugehörigen Nebengebäuden, Scheune hat für einen die an den Rückseiten der Hofanlagen angeord- Wirtschaftsbau eine un- net sind, wurde neben einem unterkellerten Aus- gewöhnlich reich gestal- tete Fassade. Sie wurde gedinghaus nur eine einzige Scheune aufge- bereits 1927 als Denk- nommen. Diese zweigeschossige Scheune mit mal erfasst. (Foto 1929). seitlicher Durchfahrt (Strümpfelbach, Hauptstra- ße 30/1) ist ein repräsentativer Sichtfachwerk- bau mit Geschossvorstößen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (Abb. 5). Sie ist giebelständig er- richtet und wirkt wie ein zurückgesetztes, für das Straßenbild wichtiges Wohnhaus. Eine Untersu- chung dazu fehlt. Damit sind die Qualitäten be- nannt, die damals dazu geführt haben dürften, dieses Gebäude als eigenständiges Denkmal aus- zuweisen. Tatsächlich verfügt dieses Dorf aber über mehrere der landesweit seltenen Scheunen zerstört wurde als befestigte Städte, reichen dieser frühen Zeitstellung sowie über eine Fül- manche Höfe und die zugehörigen Scheunen le weiterer Nebengebäude, die oft aus dem 18. noch ins Spätmittelalter zurück. Baden-Württem- und 19. Jahrhundert stammen: Scheunen, Stall- berg hat damit im Verhältnis zu vielen anderen scheunen, unterkellerte Stallscheunen, Ross- und Bundesländern einen ungeheuer reichen, als ma- Schweineställe, Mosten oder Waschhäuschen. terielle historische Quelle hoch einzuschätzenden Mit der Hinwendung des wissenschaftlichen Hausbestand. Interesses auf die Welt der Arbeit und die Le- Im konkreten Fall Strümpfelbach wurden im Rah- bensumstände der kleinen Leute – Fragestellun- men der Listenerfassung von 1986/87 nicht mehr gen, die durch die Studentenbewegung und ge- nur die Weinbauernhäuser, sondern 12 Wein- sellschaftliche Veränderungen von 1968 intensiv bauerngehöfte sowie gesondert die ehemalige thematisiert wurden – sind Industriebauten und Pfarrscheune als Kulturdenkmale ausgewiesen. Arbeitersiedlungen, aber auch Häuser der Unter- Einige wenige Beispiele sind frühneuzeitlich und schichten auf dem Land wie Weber- und Tage- etwa gleichzeitig mit den Wohnhäusern entstan- löhnerhäuser, ländliche Gewerbebauten und den. Für die vielen Scheunen, Stallscheunen oder Ökonomiebauten der Landwirtschaft wie Schmie- kleinen Stall-Scheunenanbauten aus dem späten den, Wagnereien, Mühlen und Kunstmühlen so- 18./ frühen 19. Jahrhundert fand sich der Hin- wie Scheunen und Stallungen in den Blick ge- weis, dass sie mit der im späten 18. Jahrhundert rückt. Letztere sind traditionell Forschungsge- in den Remstaldörfern eingeführ- biete der Volkskunde und gelegentlich auch ten Stallviehhaltung zusammen- von Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte. hängen. Diese große, von Preu- Selbst die Kunstgeschichte hat begonnen, sich ßen übernommene Landwirt- mit anonymer Architektur thematisch und me- schaftsreform, löste die thodisch zu befassen. Das hatte Auswirkungen Dreifelderwirtschaft auf die Denkmalpflege, und es kam in den ab und verbes- 6 Der 1578 erbaute Stifts- 1970er/80er Jahren zur Erweiterung des Denk- serte die Ver- fruchtkasten in Stuttgart wurde 1596 für die An- malbegriffs. sorgung der lage des heutigen Schiller- Eine weitere Bedeutung ist manchen Bauten auf platzes auf die Flucht des dem Land und auch deren Ökonomiebauten da- Stiftskirchenchors zurück- durch zugewachsen, dass heute ihre frühe Ent- genommen. Er wurde stehungszeit bekannt ist. Mithilfe der Jahrring- damals mit der repräsen- datierung des Holzes haben Hausforscher seit tativen Schaufassade Beginn der 1980er Jahre das Wissen über die von Heinrich Schickhardt baulich-konstruktiven Merkmale unterschiedli- im Stil der süddeutschen cher Zeitstellungen, vor allem der hoch- und Renaissance als Platzfas- spätmittelalterlichen sowie der frühneuzeitlichen sade nobilitiert. Hier ein Foto von 1934, vor den Gebäude, in großartiger Weise vermehrt. Viele schweren Kriegsbeschä- Gebäude im Südwesten erwiesen sich um Jahr- digungen und Wieder- hunderte älter als zuvor angenommen. Selbst auf aufbau. dem offenen Land, das bei Kriegen immer stärker 214
bis ins späte 18. Jahrhundert stark angewachse- nen Bevölkerung mit Lebensmitteln deutlich. Heute ist die Berücksichtigung soziologischer und baulich-konstruktiver Kriterien selbstverständlich, schwierig ist es bisweilen mit agrargeschichtli- chen Fragestellungen. Letztere werden in gewis- sem Umfang berücksichtigt, wenn eine syste- matische Inventarisation erfolgt und dabei für die jüngere Vergangenheit Bauakten, historische Pläne und Fotos ausgewertet sowie die Kennt- nisse der alten Generation abgefragt werden können. Ansonsten ist die Recherche solcher Fra- gestellungen im denkmalpflegerischen Alltag mit vertretbarem Zeitaufwand oft nicht zu leisten, zu- mal es an Untersuchungen zur regionalen Wirt- schaftsgeschichte bzw. Geschichte der Technisie- rung der Landwirtschaft für die einzelnen Kultur- landschaften mangelt. Selten ist der Glücksfall, dass solche Aspekte durch interdisziplinäre Zu- sammenarbeit mit Historikern oder Archivaren, mit Freilichtmuseen, Instituten für Volkskunde, Technik-, Wirtschafts- oder Sozialgeschichte be- rücksichtigt werden, wie bei dem lesenswerten kleinen Buch von Petra Sachs, das sich als Führer zu Zeugnissen ländlicher Baukultur im Bodensee- kreis versteht. Das Problem bleibt, dass der spezi- fische Zeugniswert landwirtschaftlicher Neben- gebäude bisweilen einfach nicht bekannt ist und deswegen auch nicht als Schutzgrund benannt künstlerischen Gründen sein. Das trifft auf einige 7 Quergeteiltes Einhaus werden kann. herrschaftliche Bauten zu, die von einem gut aus- in Aldingen-Aixheim (Kreis gebildeten Baumeister als repräsentative Bauten Tuttlingen), datiert 1704. Zur Kulturdenkmaleigenschaft im Stil der jeweiligen Hocharchitektur ausgeführt Die Erschließung erfolgt von der Traufseite jeweils von Scheunen bzw. landwirtschaftlichen wurden, so zum Beispiel der Stuttgarter Stifts- getrennt für den Wohnteil, Nebengebäuden als Einzeldenkmale fruchtkasten (Abb. 6). In der Regel sind landwirt- den Stall, die Tenne und schaftliche Nutzbauten Kulturdenkmale auf- die Wagenremise. In § 2 des Denkmalschutzgesetzes Baden-Würt- grund wissenschaftlicher oder heimatgeschicht- temberg heißt es: „Kulturdenkmale im Sinne des licher Gründe. Wissenschaftliche Gründe können 8 Quergeteiltes Einhaus Gesetzes sind Sachen, Sachgesamtheiten und Tei- beispielsweise architekturgeschichtliche Aspekte, in Moos-Bettnang (Land- le von Sachen, an deren Erhaltung aus wissen- konstruktive Besonderheiten, hohes Alter und, kreis Konstanz), datiert schaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschicht- die damit verbundene Seltenheit, wirtschafts- 1804. Es wurde getrennt lichen Gründen ein öffentliches Interesse be- oder technikgeschichtliche Bedeutung sein. Hei- abgezimmert, stellt aber steht.“ Der Gesetzgeber in Baden-Württemberg matgeschichtliche Gründe umfassen in der Regel eine Einheit dar. schützt ausdrücklich Kulturdenkmale, nicht nur die den ehemals herrschaftlichen Gebäuden zu- Kunstdenkmale. Bereits durch die Wortwahl ist kommende ortsgeschichtliche Bedeutung sowie erkennbar, dass der erweiterte Denkmalbegriff die regionaltypischen Bauformen, die herrschaft- zugrunde gelegt wurde. liche wie auch bäuerliche landwirtschaftliche Einzeln stehende landwirtschaftliche Gebäude Bauten besitzen können. werden nach diesen Kriterien auf Kulturdenkmal- eigenschaft hin überprüft. Das sind die herr- Zur Kulturdenkmaleigenschaft von schaftlichen Solitärbauten Zehntscheune, Korn- Scheunen bzw. landwirtschaftlichen haus, Schafscheune und in Weinanbaugebieten Ökonomiegebäuden als Teil der Kelter bzw. in Südbaden Trotte oder Torkel, Sache Einhaus oder als Teil der Sach- ebenso wie die bäuerlichen Nutzbauten, die nicht gesamtheit Gehöft im Hofzusammenhang stehen, so Feldscheune, Dreschscheune, Kellerhaus oder Grünkerndarre Der Gesetzgeber hat in Baden-Württemberg mit usw. Ein solches Gebäude kann zum Beispiel auf- den Begriffen „Teile von Sachen“ und „Sachge- grund seiner herausragenden baulichen Qualität samtheiten“ die Möglichkeit geschaffen, Scheu- und seiner Schmuckformen Kulturdenkmal aus nen und andere Hof-Nebengebäude aus ihrem 215
9 Schnitt durch das quer- baulichen oder funktionalen Zusammenhang her- Backhaus, Speicherbau oder anderen Nebenge- geteilte Einhaus in Gaien- aus als Kulturdenkmale auszuweisen. Um dies ver- bäuden bestehen kann (Abb. 10 –13), stellt eine hofen-Horn, Hauptstraße ständlich zu machen, muss auf die für den Süd- funktionale Einheit dar. Diese kann im denkmal- 122. Der Wohnteil wurde westen charakteristischen bäuerlichen Einhäuser rechtlichen Sinn als Sachgesamtheit ein Kultur- 1485/86 erbaut, zwei Ge- (A) und die Gehöfte (B) eingegangen werden. denkmal sein. Dabei muss nicht jedes Gebäude fache eines Ökonomiteils, A: Der Begriff „Sache“ bezieht sich in diesem Fall für sich die Merkmale des gesetzlichen Denkmal- wohl Tenne und Stall, im 16. Jahrhundert angefügt, auf Einhäuser. Das sind bäuerliche Anwesen, bei begriffs erfüllen. Das Gehöft insgesamt ist aber später noch eine Wagen- denen Wohn- und Wirtschaftsteil unter einem als Sachgesamtheit ein Denkmal. remise. (Zeichnung S. King) Dach zusammengefasst sind, also zum Beispiel Auf den Bereich ländliches Bauen übertragen, ist Schwarzwaldhöfe oder die quergeteilten Einhäu- eine Sachgesamtheit, bei der alle Gebäude für 10 Sulzburg-Laufen, ser (Abb. 7 u. 8). Einhäuser stellen eine bauliche sich den Begriff des Kulturdenkmals erfüllen, Brunnengasse 2– 4. Zehnt- und funktionale Einheit aus Wohn- und Wirt- zum Beispiel der ehemalige Kellhof des Klosters hof, der Staffelgiebel- schaftsteil dar. Diese Einheit wird durch den Ver- Petershausen in Hilzingen (Landkreis Konstanz). hauptbau datiert 1579 lust eines der beiden Teile zerstört. Deshalb ver- Er besitzt aus dem 18. Jahrhundert ein Zierfach- mit späteren Umbauten. liert in der Regel ein Wohnteil bei Abbruch des werk-Wohngebäude und zwei große massive Zum Gehöft gehören Ökonomieteils seine Denkmaleigenschaft und Zehntscheunen (Abb. 6 im Beitrag Wichmann eine Scheune mit zwei Rundbogentoren an der umgekehrt ist der erhaltene Scheunenteil nach „Höfesterben“). rückwärtigen Traufe, Abbruch des Wohnteils nicht mehr als Kultur- Der Normalfall bei bäuerlichen Hofanlagen ist im Keilstein datiert 1766, denkmal einzustufen. (Es gibt in der Praxis äu- im Denkmalkommentar eigens aufgeführt: „ein- der anschließende Bauern- ßerst selten Ausnahmen, die zum Beispiel in der zelne Elemente der Sachgesamtheit (sind) Kultur- garten und zur Gasse herausragenden Qualität der Stubenausstattung denkmale, andere weisen diese Eigenschaft nicht ein Schopf mit Schweine- eines Wohnteils begründet sein können). auf (zum Beispiel Wirtschaftsgebäude einer Hof- stall. In der Regel gilt diese Wertung auch, wenn anlage)“. Scheunen bzw. andere landwirtschaft- Wohnteil und Ökonomieteil getrennt abgezim- liche Ökonomiegebäude würden ohne den Hof- mert sind (Abb. 8) oder auch, wenn sie aus unter- zusammenhang oft nicht die Merkmale des schiedlichen Epochen stammen. Es gibt ältere, gesetzlichen Denkmalbegriffs erfüllen. Im Einzel- wertvolle Wohnteile, deren Scheunenteil in spä- fall kann dies damit zusammenhängen, dass es terer Zeit erneuert wurde oder auch umgekehrt sich um eine formal anspruchslose, relativ junge Scheunenteile, die älter sind als der zugehörige Scheune oder um Kleinbauten wie Holzlege oder Wohnteil. Am westlichen Bodensee zum Beispiel Schweinestall handelt, die nur zusammen mit stehen spätmittelalterliche Wohnhäuser, die im dem Haupthaus eine anschauliche historische späten 18. oder bis um die Mitte des 19. Jahr- Aussage besitzen. Es kann auch bedeuten, dass hunderts durch den Anbau eines Ökonomieteils die besondere wirtschaftsgeschichtliche Bedeu- 11 Müllheim, Stadtteil zu einem Einhaus ausgebaut wurden. Vielleicht tung einer Scheune bzw. eines anderen Neben- Müllheim (Kreis Breisgau- hatte das spätmittelalterliche Wohnhaus früher gebäudes, die eine eigenständige Denkmaleigen- Hochschwarzwald), Ge- eine frei stehende Scheune. Jetzt ist das Gebäude schaft begründen könnte, gar nicht bekannt ist. höft im Markgräflerland aber eine aus zwei Zeitschichten neu entstandene mit Wohnhaus, Nebenge- Einheit. Für die Bewertung als Kulturdenkmal stellt bäude und rückwärtiger sich dann die Frage, ob beide Bauphasen zusam- Scheune, am charakteris- men Kulturdenkmalqualität besitzen (Abb. 9). tischen Torbogen datiert B: Durch den Begriff der Sachgesamtheit hat der 1765. (Foto 2004). Am Gesetzgeber die Grundlage für den denkmalpfle- Nebengebäude sind Teile der Aussenwand erneuert, gerischen Umgang mit bäuerlichen Anwesen, die als Teil der Sachgesamt- aus mehreren Einzelgebäuden bestehen, geschaf- heit Gehöft ist es dennoch fen. Ein Gehöft, das zum Beispiel aus Kapelle, Kulturdenkmal. Wohnhaus, Scheune, gesondertem Schweinestall, 216
Sie können auch lesen