DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG

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DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
DENKMALPFLEGE
                       IN BADEN-WURTTEMBERG
                       NACHRICHTENBLATT DER LANDESDENKMALPFLEGE
| 2007
 4
36 . J A H R G A N G
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
Inhalt

                                               203 Editorial                                 250 Hofscheune wurde
                                                                                                 Sommergaststätte des Gasthauses
                                                                                                 Gerlinger Hof
                                                    GRUNDSÄTZLICHES
                                                                                                 Judith Breuer
                                               204 Höfesterben und baulicher Verfall
                                                                                             252 Eine Hofscheune in Zweiflingen
                                                    unserer Dörfer
                                                                                                 wurde denkmalverträglich zum
                                                    Scheunen-Umnutzung statt Abbruch
                                                    Petra Wichmann
                                                                                                 Wohnhaus umgenutzt
                                                                                                 Judith Breuer
Querschnitt ländlicher Bauten
                                               211 Scheunen als Kulturdenkmale
in Baden-Württemberg.                                                                        255 Vom „Klotz am Bein“ zum
                                                   Zur Bauaufgabe, der Geschichte
                                                   ihrer Bedeutung und heutigem                  begeisterten Umgang mit einem
                                                   Denkmalschutz                                 denkmalgeschützten Einhaus
                                                    Petra Wichmann / Hermann Ringhof             Ehemalige Zehntscheuer und Messner-
                                                                                                 haus in Gunningen (Kreis Tuttlingen,
DENKMALPFLEGE                                  219 Die Scheune als Geschichtszeugnis             Regierungsbezirk Freiburg)
IN BADEN-WÜRTTEMBERG
                                                   – auch nach einer Umnutzung?                  Monika Loddenkemper
Nachrichtenblatt
der Landesdenkmalpflege                             Erik Roth
                                                                                             258 Der Jörgenhof wurde
4 / 2007   36.Jahrgang                         223 Scheunen und andere Speicher-                 Mehrfamilienhaus
Herausgeber: Landesamt für Denkmal-
                                                    bauten                                       Beispiel für die denkmalverträgliche
pflege im Regierungspräsidium Stuttgart             Zum Umgang mit ihren denkmal-                Umnutzung eines stattlichen Einhauses
in Verbindung mit den Fachreferaten                 relevanten Merkmalen bei einer               Kathrin Ungerer-Heuck
für Denkmalpflege in den
Regierungspräsidien.                                Umnutzung
Berliner Straße 12, 73728 Esslingen a. N.           Judith Breuer                            260 Bäuerliches Einhaus in Gailingen
Verantwortlich im Sinne des Presserechts:                                                        (Landkreis Konstanz)
Präsident Prof. Dr. Dieter Planck
Schriftleitung: Dr. I. Plein
                                                                                                 Erhalt durch Umnutzung zu Zahnarzt-
Redaktionsausschuss:                                BEISPIELE                                    praxis und Wohnung
Dr. C. Baer-Schneider, Dipl.-Ing. V. Caesar,                                                     Frank T. Leusch
Dr. D. Jakobs, Prof. Dr. C.-J. Kind,           231 Sommernutzung, Wohnnutzung,
Dr. K. Preßler, Dr. H. Schäfer,
Dr.P. Wichmann, Dr. G. Wieland,
                                                    Übernutzung                              262 Kraichtal-Menzingen,
Dr. D. Zimdars                                      Ehemalige Keltergebäude im                   Mittelstraße 7
Produktion: Verlagsbüro Wais & Partner,             Rems-Murr-Kreis
Stuttgart
                                                                                                 Schicksal einer außergewöhnlichen
Lektorat: André Wais                                Karsten Preßler                              Hofanlage
Gestaltung und Herstellung:                                                                      Hermann Diruf
Hans-Jürgen Trinkner / Evgenia Motz            239 Von der Zehntscheune mit Kelter
Druck: Süddeutsche Verlagsgesellschaft,
Nicolaus-Otto-Straße 14,
                                                    zum Fotoatelier mit Pferdestall          264 Energiesparkonzept und
89079 Ulm-Donautal                                  Rettungsaktion für die Kelter                denkmalpflegerischer Anspruch –
Postverlagsort: 70178 Stuttgart                     in Ilsfeld-Helfenberg
Erscheinungsweise: vierteljährlich
                                                                                                 Die Sanierung des Grundbauernhofs
Auflage: 23000                                      Angelika Reiff                               in Triberg-Gremmelsbach
Gedruckt auf holzfreiem, chlorfrei                                                               Ulrike Schubart / Martin Wider / Stefan Blum
gebleichtem Papier                             242 Schafe, Wein und Touristen
Nachdruck nur mit schriftlicher Geneh-             Die Schafscheuer in Oberderdingen
migung des Landesamtes für Denkmal-
                                                                                             272 Eine außergewöhnlich
pflege. Quellenangaben und die Über-               (Heinfelder Platz 3)                          gestaltete Ackerbürgerscheune
lassung von zwei Belegexemplaren an                 Ute Fahrbach-Dreher                          in Markgröningen
die Schriftleitung sind erforderlich.
Bankverbindung:                                                                                  Judith Breuer
Landesoberkasse Baden-Württemberg,
                                               244 Schafe, Rinder, Menschen
Baden-Württembergische Bank Karlsruhe,             Der Farrenstall in Kraichtal-Gochsheim,   273 Mit fast 100 Jahren presst sie
Konto 7 495 530 102 (BLZ 600 501 01).              Untere Bergstraße 14 (Landkreis               wieder Most
Verwendungszweck:
Öffentlichkeitsarbeit Kz 8705171264618.
                                                   Karlsruhe), wird zum Wohnhaus                 Restaurierung der alten Mostpresse auf
                                                    Ute Fahrbach-Dreher
Bei allen Fragen des Bezugs, z. B.
                                                                                                 Hof Milz in Kressbronn-Retterschen
bei Adressenänderung, wenden Sie               246 Abbruchkandidat wird Gemeinde-                Werner Schlegel
sich bitte direkt an Frau Glass-Werner
(Tel. 07 11 / 9 04 45-203, Montag bis               zentrum
Mittwoch, nachrichtenblatt-LAD@                     Das ehemalige Pfarrhaus in               276 Ausstellung
rps.bwl.de).
                                                    Immendingen-Ippingen
                                                    (Kreis Tuttlingen, Regierungsbezirk      276 Neuerscheinungen
Dieser Ausgabe liegt eine Beilage der
Denkmalstiftung Baden-Württemberg                   Freiburg)                                278 Veranstaltung
bei. Sie ist auch kostenlos bei der                 Monika Loddenkemper
Geschäftsstelle der Denkmalstiftung
Baden-Württemberg, Charlotten-
platz 17, 70173 Stuttgart, erhältlich.
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
Editorial
Karsten Preßler

Es liegt fast zehn Jahre zurück, dass sich ein Heft     landwirtschaftliche Familienbetriebe. Selbst in
unserer Vierteljahreszeitschrift mit dem Thema          verkehrsgünstigen, strukturstarken Regionen Ba-
„Umnutzung“ einem bestimmten Schwerpunkt                den-Württembergs wurde die Entwicklung von
aus der denkmalpflegerischen Praxis gewidmet            kleinen Dörfern, die zu Wohnstädten für „stadt-
hat. Auch diesmal geht es um Umnutzungen,               flüchtige“ Familien anschwollen, begleitet vom
doch während damals „Industriebrachen mit Zu-           Aussterben und baulicher Verödung der histori-
kunft“ und die Konversion von Kasernen aus ak-          schen Ortskerne, begünstigt durch überlastete
tuellem Anlass dargestellt wurden, werden dies-         Durchfahrtsstraßen und staatlich geförderte Neu-
mal ausschließlich ländliche Bauten behandelt;          baugebiete. Dass ländliche Baudenkmäler und
eine – wie dieses Heft vermitteln wird – nicht min-     Kulturlandschaften eine Einheit bilden, zeigt sich
der gefährdete Baugattung. Dass das Thema vie-          auch daran, dass der Verlust an Denkmalsubstanz
len Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig ist, ja       einhergeht mit dem Schwund an Kulturland-
„auf den Nägeln brennt“, zeigt sich an der gro-         schaft durch Zersiedelung.
ßen Resonanz, an der Menge und inhaltlichen             Der seit Jahrzehnten anhaltende Rückgang der
Vielfalt der Beiträge, die diese Ausgabe des Nach-      Landwirtschaft führte nicht nur zum Höfester-
richtenblatts auf „Sondergröße“ anwachsen lie-          ben, sondern fast zwangsläufig auch zum Verlust
ßen.                                                    vieler Baudenkmäler. Wird die Landwirtschaft
Alte Kulturlandschaften, historische Ortsbilder         aufgegeben, sind Umnutzungen immerhin noch
und Hofanlagen dokumentieren durch ihre länd-           die zweitbeste Lösung, doch sind nicht jede Nut-
lichen Bauten, dass Deutschland bzw. Baden und          zungsart und jeder Nutzungsumfang denkmal-
Württemberg, wie andere europäische Länder              verträglich.
auch, einst Agrarstaaten waren. Bäuerliche Bau-         Einmal mehr zeigen die hier aufgeführten Bei-
denkmale und Kulturlandschaften bilden dem-             spiele, dass kaum ein Fall wie der andere ist und
nach eine Einheit. Wie die Kirche, die man ja be-       es sich hierbei nicht um eine immer wieder pau-
kanntlich im Dorf lassen soll und deren staatlicher     schal zitierte Ausrede von Denkmalschützern
Schutz wie bei Burgen, Schlössern und Rathäu-           handelt. Vielmehr muss selbst innerhalb vergleich-
sern meist schon aus künstlerischen Gründen im          barer Baugattungen stets aufs Neue nach in-
öffentlichen Interesse steht, prägen oder prägten       dividuellen, auf den Einzelfall zugeschnittenen
auch bäuerliche Hofanlagen, Einhäuser, Stallge-         Lösungen – abhängig von Denkmalbedeutung,
bäude, Scheunen, Keltern usw. die Ortsbilder. Oft       Erhaltungszustand, Nutzungsanforderungen und
handelt es sich um unspektakuläre Nutzbauten,           Finanzierungsmöglichkeiten – gesucht werden.
die aber, errichtet mit Naturstein, Fachwerk und        So ist es andererseits vielleicht sogar beruhigend,
ursprünglichen Dachformen, gruppiert um Kirche          dass trotz der in diesem Heft dargestellten Vielfalt
und Rathaus oder als typische Ortsrandbebau-            an Fällen und Lösungen inhaltliche Überschnei-
ung, enormes Identifikationspotenzial besitzen.         dungen und Wiederholungen unvermeidlich wa-
Ländliche Bauten veranschaulichen die Arbeits-          ren. Wird dadurch doch ein unter Denkmalpfle-
und Lebensweise unserer Vorfahren und stiften           gern herrschender Grundkonsens deutlich beim
„Heimat“. Wegen ihres oft als „malerisch“ emp-          Benennen, Bewerten und vor allem beim Umgang
fundenen Erscheinungsbildes und ihres Doku-             mit Denkmal konstituierenden Bauteilen und
mentationswertes finden sich ihre Darstellungen         Raumstrukturen.
in Kalendern, Heimatbüchern, Ortschroniken              Dennoch wird mit dieser Ausgabe der „Denk-
und seit den 1970er Jahren auch in den Denk-            malpflege in Baden-Württemberg“ kein An-
mallisten. Wie ländliche Bauten als Schutzgut im        spruch auf vollständige Darstellung erhoben. Es
Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg defi-             handelt sich vielmehr um einen bunten Strauß
niert und begründet sind und warum es unsere            von Beispielen für denkmalgerechte Umnutzun-
Aufgabe ist, sie zu erhalten, wird eines der The-       gen. Wenn sie einen Anstoß geben, wie so man-
men sein, die dieses Heft behandelt.                    cher beim „Tag des offenen Denkmals“ besich-
Erhaltung und Pflege ländlicher Baukultur ist di-       tigte Bau, Politiker zum Nach- oder Umdenken
rekt abhängig von der kontinuierlichen Bewirt-          bewegen, und sie Denkmaleigentümer, denen es           Karsten Preßler
schaftung der Kulturlandschaft. Wo diese intakt         noch an Entschlusskraft mangelt, anspornen             Regierungspräsidium
bleibt, wie z. B. in der Schweiz, gelingt dies in der   oder einfach nur unsere Leser für dieses Thema         Stuttgart
Regel nur durch hohe staatliche Subventionen für        sensibilisieren, dann ist schon viel gewonnen.         Ref. 25 – Denkmalpflege

                                                                                                               203
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
Höfesterben und baulicher Verfall
                          unserer Dörfer
                          Scheunen-Umnutzung statt Abbruch
                          Leerstand und Abbruchbegehren sind durch die Umstrukturierung im land-
                          wirtschaftlichen Bereich seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein
                          Thema von zunehmender Brisanz. Viele Gebäude sind in den letzten Jahren
                          bereits verschwunden. Bei einer großen Zahl von Höfen stehen die Ökonomie-
                          teile leer und im Wohnteil leben nur noch die Altbauern. Mit ihrem Tod ste-
                          hen auch diese Anwesen zur Disposition. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, die Ab-
                          bruchwelle der historischen Bausubstanz auf dem Land durch die Denkmal-
                          pflege zu thematisieren, um im Vorfeld Erhaltungsstrategien zu entwickeln
                          und Partner dafür zu finden, den deutlich absehbaren, weit gehenden Verlust
                          abzuwenden.
                          Petra Wichmann

                          Die wirtschaftliche Basis der                          dem Ziel errichtet worden waren, die Landwirt-
                          traditionellen Landwirtschaft                          schaft aus den Dörfern hinauszuverlegen; diese
                          ist weggebrochen                                       Aussiedlerhöfe trugen ihrerseits zum Leerfall der
                                                                                 innerörtlichen historischen Höfe bei. Damit wird
                          Das offene Land mit seinen Wiesen, Äckern,             in erschreckendem Maße deutlich, dass eine
                          Weinbergen, mit seinen Dörfern oder Streusied-         jahrhundertelang bestehende Wirtschafts- und
                          lungen prägt – in manchen Landesteilen muss            Lebensform, die eine regionalspezifische Land-
                          man schreiben prägte – einen großen Teil unserer       schaftsprägung und Baukultur hervorgebracht hat,
                          traditionellen Kulturlandschaft. Seit in der zweiten   in unseren Tagen zu Ende geht.
                          Hälfte des 20. Jahrhunderts die Umstrukturie-          Die wirtschaftliche Situation der Landwirte hängt
                          rung der Landwirtschaft zu großen Wirtschafts-         von verschiedenen Faktoren ab, von der Region,
                          einheiten nicht nur voranschritt, sondern insbe-       den landwirtschaftlichen Produkten und ihren
                          sondere von EU-Politikern durch Subventionen           Vermarktungsmöglichkeiten, sowie den Hofgrö-
                          und Kontingente planmäßig gefördert wurde,             ßen etc. Erhalt oder Aufgabe von Höfen verlau-
                          musste die überwiegende Zahl der traditionellen,       fen in Gegenden, in denen Getreideanbau vor-
                          bäuerlichen Familienbetriebe im Südwesten aus          herrscht, anders als dort, wo Viehhaltung oder
                          wirtschaftlichen Gründen aufgeben. In Baden-           Weinanbau betrieben werden – Letzterer ist auch
                          Württemberg gab es 1949 noch 400 000 land-             auf kleinen Flächen noch immer Gewinn brin-
                          wirtschaftliche Betriebe, 1989 nurmehr 120 000,        gend bzw. für die Selbstversorgung beliebt. Es ist
                          Ende 2005 waren es noch 20 000. Bei diesen             ein Unterschied, ob das landwirtschaftliche An-
                          20 000 Vollerwerbsbetrieben sind auch die in der       wesen durch Realerbteilung sehr klein ist oder ob
                          Nachkriegszeit neu gebauten Aussiedlerhöfe mit-        es sich um einen großen Hof im Anerbengebiet
                          gezählt, die ihrerseits vor einer Generation mit       (ein Hoferbe) handelt. Höfe in Streusiedlungsge-
1 Das Hinterland des
westlichen Bodensees
war einst die Kornkam-
mer der Schweiz und
durch große Scheunen,
oft Doppelscheunen,
geprägt. Heute ist
der Landstrich verarmt.
„Hier sieht es ja aus
wie in Mecklenburg-
Vorpommern!“ hat ein
Denkmalpfleger aus
der Landeshauptstadt
erstaunt geäußert.

                    204
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
bieten können am alten Standort erweitert wer-
den, Höfe in dicht gedrängten Ortslagen erfor-
dern andere Lösungen. Bergbauern können
überhaupt nur mit finanzieller Unterstützung als
Landschaftspfleger ihre Betriebe weiterführen.
Beim Generationenwechsel stellt sich die kon-
krete Frage nach Fortführung der Landwirtschaft.
Die alte Generation musste weitermachen, weil
sie keine andere berufliche Alternative hatte. Die
nachfolgende Generation übernimmt nur, wenn
sie von den Erträgen auch leben kann. In der Re-
gel kann die Landwirtschaft gehalten werden,
wenn sich durch Tourismus, einen gewerblichen
Arbeitsplatz oder ein Nischenprodukt ein zwei-
tes wirtschaftliches Standbein aufbauen lässt.
Manchmal werden Teilbereiche von der nachfol-
genden Generation im Nebenerwerbsbetrieb
weitergeführt. In vielen Fällen muss ganz aufge-
geben werden.
Dieser Wandel ist oft mit großer wirtschaftlicher
Härte für die Betroffenen verbunden. Nach außen
wird dies so gut es geht verborgen. Die Anwesen
werden im Rahmen des Möglichen weiterhin ge-
pflegt. Denkmalpfleger gewinnen bei Innenbe-
sichtigungen, bei denen es immer um die Bewer-
tung der Bausubstanz und der historischen Aus-
stattung geht, nebenbei auch Einblicke in die
Lebenssituation der jeweiligen Bewohner. Bis-
weilen ist die Armut erschütternd. Es regnet zum
Dach herein, manchmal sogar in die noch be-
wohnten Räume. Die Decke hängt herunter, man
behilft sich mit einem untergestellten Eimer. Dä-
cher über Scheunenteilen stürzen mit lautem
Krachen ein, während die alten Menschen ne-
benan im Wohnteil leben (Abb. 1– 4).
Im Dorfbild wird der Wandel nur mit Verzöge-
rung sichtbar. Zunächst wohnen die Altbauern
weiterhin im Wohnteil oder Wohnhaus ihrer
Höfe und die ungenutzten Ökonomieteile stehen
leer. Eine Umwandlung von Dörfern zu Wohn-            haben. Letztere lassen die Struktur des histori-    2 Ein stattliches Querein-
quartieren ist in der Nähe von Städten die übliche    schen Ortes noch erkennen, können aber nicht        haus aus dem 18. Jahr-
Entwicklung. In abgelegenen Landesteilen fallen       mehr als Kulturdenkmale eingestuft werden. Er-      hundert, Foto 1981.
Hofstellen wüst, das Land entvölkert sich.            schreckend ist es auch, wenn ein gut gepflegtes
                                                                                                          3 Das gleiche Gebäude
                                                      Kulturdenkmal zu einem Fremdling unter lauter
                                                                                                          1997. Der Ökonomieteil
Fotos von Höfen und intakten                          Neubauten geworden ist. Bis heute gut überlie-
                                                                                                          ist zwischenzeitlich ein-
Dorfbildern statt Erhaltung?                          fert in allen historischen Ausbaudetails sind oft   gestürzt.
                                                      gerade diejenigen Bauten, in die aus Gründen
Geschlossene Ortsbilder auf dem Land, die es          der Armut in der Nachkriegszeit nicht investiert
um 1950, 1960 noch selbstverständlich gab, sind       werden konnte. Diese Gebäude mit großem Sa-
heute ein seltener Glücksfall. Betrachtet man         nierungsrückstand werden aber ohne finanzielle
Fotos, die für die Erstellung der ersten Denkmal-     Hilfe aus wirtschaftlichen Gründen nur schwer
listen in den 1960/70er Jahren aufgenommen            einer neuen Zukunft entgegenzuführen sein. Die
wurden, und vergleicht sie mit dem heutigen Be-       Gefahr ist sehr groß, dass die aktuell laufende
stand, so ist der Verlust erschreckend (Abb. 2, 3).   Denkmalinventarisation mit ihrer Fotodokumen-
Die damals dokumentierten Gebäude sind heute          tation nicht mehr Grundlage für eine Erhaltung
zum Teil baufällig, ersatzlos entfernt, durch Neu-    dieser Anwesen ist, sondern letztmals die Zeug-
bauten ersetzt oder so umgebaut, dass sie einen       nisse dieser bisweilen über 500 Jahre alten, bäu-
Großteil ihrer historischen Substanz eingebüßt        erlichen Hauslandschaften erfasst.

                                                                                                          205
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
Mehr finanzielle Unterstützung                        zusammengefasst. Einer von vier Förderschwer-
                             und Beratung vor Ort notwendig                        punkten ist „Wohnen“, was auch die Instandset-
                                                                                   zung von historischen Altbauten oder Scheunen-
                             In den 1980er, frühen 1990er Jahren hatte sich        umnutzungen beinhalten kann. Bezuschusst wird
                             ein gesellschaftlicher und politischer Konsens her-   aber auch der Abbruch historischer Bauten und
                             ausgebildet, den damals einsetzenden Struktur-        ihr Ersatz durch Neubauten, was in der Regel den
                             wandel auf dem Land abzufedern. Dies geschah          Anstrengungen der Denkmalpflege um deren
                             durch Investitionen in die Denkmalpflege und pa-      Erhalt entgegenläuft. Tatsächlich konnten die
                             rallel dazu in die Dorfsanierung im Sinne des Er-     privaten Baumaßnahmen seit Mitte der 1990er
                             halts der historischen Bausubstanz, der vertrau-      Jahre aber kaum mehr gefördert werden, da die
                             ten, Heimat stiftenden Dörfer und der regional-       neu eingeführte, niedrig angesetzte Einkom-
                             typischen Kulturlandschaften. Es wurde auch           mensgrenze den Kreis der Berechtigten drastisch
                             argumentiert, dass unsere Dörfer mit ihrer histo-     einschränkte. Die seither im ELR-Antrag durch die
                             rischen Bausubstanz im Hinblick auf Nachhaltig-       Gemeinden zu erstellende Prioritätenliste gibt
                             keit einen großen Wert besitzen. Errechnet wur-       Gewerbeförderung, Grundversorgung, Gemein-
                             de, dass jeder in den Denkmalschutz investierte       schaftseinrichtungen oft Vorrang vor privaten Sa-
                             staatliche Zuschuss ein Achtfaches an privaten In-    nierungsmaßnahmen. Dies führte vergangenes
                             vestitionen auslöst. Damals konnten viele bäuer-      Jahr, zusammen mit der Tatsche, dass zwei Drittel
                             liche Anwesen restauriert und/oder durch Um-          der Anträge wegen Geldmangels nicht bedient
                             nutzung erhalten werden. Einige der hier vor-         werden konnten, im Regierungsbezirk Freiburg
                             gestellten Beispiele wurden damals realisiert.        zum Ergebnis, dass nur ein marginaler Anteil der
                             Wiedervereinigung, großer Finanzierungsbedarf         Zuschüsse in den Bereich Wohnen floss. Ein klei-
                             für die Not leidende Bausubstanz in den neuen         ner Lichtblick ist, dass vom kommenden Jahr an
                             Bundesländern, ungünstige Wirtschaftskonjunk-         im Förderbereich Wohnen die Einkommens-
                             tur und Sparzwang führten auf politischer Ebe-        grenze wieder wegfallen wird, dass die Förder-
                             ne zu einem erneuten Wertewandel, zur Priorität       mittel in den beiden letzten Jahren aufgestockt
                             der „Wirtschaftlichkeit“, einer einseitigen Wirt-     wurden und dass die Kumulation mit Mitteln aus
                             schaftsförderung unter Hintanstellung kultureller     anderen Förderprogrammen möglich ist, wenn
                             Belange.                                              dies für den Erhalt eines stark gefährdeten Kul-
                             Inzwischen ist die staatliche Unterstützung für       turdenkmals erforderlich ist.
                             den baulichen Erhalt von Höfen und Dörfern            Heute haben die baulichen Folgen des wirt-
                             weit gehend weggefallen. In Baden-Württemberg         schaftlichen Strukturwandels auf dem Land auch
                             wurden die Zuschussmittel der Denkmalpflege,          durch das Verschleppen des Problems dramati-
                             die neben vielen anderen Aufgaben auch die Kul-       sche Formen angenommen. Bedauerlicherweise
                             turdenkmale auf dem Lande betreut, seit 1996/97       fehlt ein Förderprogramm, das auf die Bedürf-
                             von 60 Millionen DM auf etwa 30 Millionen DM          nisse der bäuerlichen Eigentümer zugeschnitten
                             bzw. einen entsprechenden Euro-Betrag halbiert.       ist und bei der Instandsetzung eines erhaltens-
                             Erhöhte steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten        werten oder denkmalgeschützten, ländlichen
                             für Maßnahmen, die nach § 7i EStG „dem Erhalt         Anwesens, insbesondere bei der Umnutzung von
                             und der sinnvollen Nutzung von Kulturdenkma-
                             len dienen“, unterstützen bei dieser Aufgabe gut
                             verdienende Bevölkerungsschichten, jedoch hel-
                             fen sie den von mageren Renten lebenden Alt-
                             bauern ebenso wenig wie Jungbauern, die bei
                             Instandsetzungen ihre Arbeitskraft einbringen
                             können, aber in der Regel über ein nur geringes
4 Das stattliche Querein-    zu versteuerndes Einkommen verfügen.
haus aus dem späten          Die Dorfentwicklung, die bis Mitte der 1990er
18., frühen 19. Jahrhun-     Jahre ganze Dörfer mit ihren Denkmalen und der
dert ist das Haupthaus       übrigen historischen Bebauung dank Zuschüssen
eines Gehöfts samt Back-     und professioneller Beratung durch darauf spezi-
haus und Speicherbau         alisierte Architekturbüros in ihrer öffentlichen
mit Altenwohnteil. 1997
                             und privaten Bausubstanz sowie in ihrer Infras-
wurde es fotografiert und
als Kulturdenkmal erfasst,
                             truktur instand gesetzt bzw. technisch moderni-
1999, nachdem der Öko-       siert (Haustechnik) hat, gibt es in dieser Form
nomieteil eingestürzt war,   nicht mehr. Sie wurde 1993/94 mit dem Förder-
musste es aus der Liste      programm für gewerbliche Maßnahmen zum
gestrichen werden.           Entwicklungsprogramm ländlicher Raum (ELR)

                     206
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
Denkmalpflege personell ausgedünnt. Die Ar-           5 Eine der beiden Zehnt-
                                                       beitsüberlastung des verbliebenen Personals führt     scheunen vom Kellhof
                                                       quasi durch die Hintertüre zum Paradigmen-            des Klosters Petershausen
                                                       wechsel, nämlich zur Abkehr vom Gedanken,             in Hilzingen. Sie war an
                                                                                                             einem heute verschwunde-
                                                       dass der Wert unseres baulichen Erbes in der Viel-
                                                                                                             nen Wappen früher auf
                                                       zahl der Zeugnisse, im Großen und Kleinen, im
                                                                                                             1726 datiert. Bauschäden
                                                       Spektakulären und Bescheidenen liegt. Die be-         und abgerutschte Ziegel
                                                       scheideneren Denkmäler, so auch diejenigen, die       gefährdeten den Bestand
                                                       vom Leben unserer Vorfahren auf dem Lande,            des Gebäudes.
                                                       insbesondere in den bäuerlichen Unterschichten
                                                       erzählen, können – insgesamt gesehen – nicht
                                                       mehr ausreichend betreut werden. Wie oben für
                                                       die Dorfsanierung dargestellt, sind die Partner der
                                                       Denkmalpflege weggefallen. Die Kreisbaumeis-
                                                       ter haben für ihren ursprünglichen Auftrag, die
                                                       Bauherren in Gestaltungsfragen zu beraten, mit
                                                       der Novellierung der Landesbauordnung von
                                                       1996 oft die Rechtsgrundlage verloren, weil
                                                       seither viele Verfahren genehmigungsfrei sind.
                                                       Ein flächendeckendes Netz an unterstützenden,
                                                       ehrenamtlichen Heimatpflegern wie in Bayern
                                                       und der Schweiz, dort jeweils mit unterschied-
                                                       lichen Aufgaben und Kompetenzen, gibt es in
                                                       Baden-Württemberg nicht.
                                                       Was es aber gibt, sind Baudenkmale, die darauf
                                                       warten, instand gesetzt und weiter oder neu ge-
                                                       nutzt zu werden. Was es gibt, sind Eigentümer,
                                                       die ihre Anwesen lieben und sie erhalten wollen.
Nebengebäuden wie Scheunen, hilft. Viele Ob-           Was es auch immer wieder gibt, sind Eigentümer,
jekte, die in den letzten Jahren dennoch instand       die bei entsprechender Beratung und durch das
gesetzt wurden, verdanken die Realisierbarkeit         Vorbild gut sanierter Bauten für ihr eigenes Haus
der Maßnahme in der Regel neben Zuschüssen             Begeisterung entwickeln können (vgl. den Bei-
aus Denkmalpflegemitteln einer zusätzlichen För-       trag Loddenkemper „Gunningen“). Was es gibt,
derung durch die Denkmalstiftung Baden-Würt-           – insgesamt gesehen leider viel zu wenig – sind
temberg. Dies sind vorbildliche Einzelfälle, aber es   engagierte Architekten, Gemeindevertreter, Bür-
ist keine generelle Lösung für eine solch drän-        ger, Bürgerinitiativen, die das an Spezifischem er-
gende Aufgabe.                                         halten wollen, was noch an historischer Bausubs-
Für eine intensive Beratung vor Ort fehlt es jedoch    tanz im jeweiligen Umkreis vorhanden ist. Es gibt
auch an Personal. Seit Jahren wird die staatliche      sogar Gemeinden, die für die Bauberatung ihrer

                                                                                                             6 Die beiden Zehntscheu-
                                                                                                             nen aus dem 18. Jahrhun-
                                                                                                             dert in Hilzingen. Die außer-
                                                                                                             ordentlich um den Erhalt
                                                                                                             bemühten Eigentümer
                                                                                                             haben mit Unterstützung
                                                                                                             des Denkmalamtes und
                                                                                                             der Denkmalstiftung in den
                                                                                                             letzten zehn Jahren beide
                                                                                                             Gebäude ohne aktuellen
                                                                                                             Nutzungsbedarf instand
                                                                                                             setzen lassen.

                                                                                                             207
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
7 Hofscheune des 17. Jahr-    Bürger eigens einen Architekten engagieren. Was       len die Scheunen mit rund 10 000 Bauten dort
hunderts in Deggenhau-        es gerade in gut überlieferten Kulturlandschaften     auch heute noch ein Achtel der Gesamtbebau-
sertal-Wittenhofen, Zum       gibt, ist ein Bewusstsein für die große Bedeutung     ung dar. Die Erhaltungsbedingungen für land-
Hohen Stein 1 Bodensee-       der regionaltypischen, historischen Bebauung auf      wirtschaftliche Familienbetriebe in der Schweiz
kreis). Sie wurde reparie-
                              dem Land und die Prägung der jeweiligen Land-         sind besser, unter anderem, weil dort nicht die
rend instand gesetzt und
                              schaft durch bestimmte landwirtschaftliche Nut-       Rahmenbedingungen der EU gelten. Deswegen
wird als Abstellraum gering
genutzt. Die Maßnahme         zungen. Dies ist eine unveräußerliche Basis für die   sind die Zahlen aus dem Nachbarland nicht direkt
ist ablesbar an der hellen    kulturelle Identifikation und auch für deren tou-     zu übernehmen, aber sie sind ein gewichtiger
Farbe der ausgetauschten      ristische Nutzung, stellvertretend dafür seien ge-    Hinweis darauf, dass Scheunen auch bei uns rein
und noch nicht verwitter-     nannt der Schwarzwald und Oberschwaben. Was           quantitativ einen wesentlichen Teil unserer histo-
ten Hölzer. Zustand 2006.     es gibt, ist die Chance, die landwirtschaftlichen     rischen Bebauung ausmachen. Gerade diese Bau-
                              Anwesen nach dem Verlust ihrer ursprünglichen         ten prägen mit ihren großen Baukörpern und den
8 Innenansicht derselben      Funktion umzunutzen und sie damit in veränder-        hohen, ruhigen Dachflächen unsere Höfe und
Scheune nach der repa-        ter Form in die Zukunft zu tradieren.                 Dörfer, sowie als Teil von Ackerbürgerhäusern oft
rierenden Instandsetzung,
                                                                                    auch Nebenstraßen der historischen Stadtkerne.
Blick über die Tenne zum
                              Scheunen – die wichtigsten
Tennentor. An der linken
Trennwand zur Wagen-          Ökonomiebauten der Agrargesellschaft                  Geringnutzung – Einmottung –
remise ist ein überblat-                                                            Umnutzung
tendes Kopfband, das in       Stark gefährdet in ihrem Fortbestand sind vor al-
hellem Holz erneuert ist,     lem die Ökonomiebauten und zwar gerade die            Wie ist dem Problem des Leerfalls nach Aufgabe
zu sehen. Diese Holz-         größten und wichtigsten: die Scheunen. Sie sind       der Landwirtschaft zu begegnen? Zunächst er-
konstruktion mittelalter-     die Banken, die Finanzämter, die Versicherungen       folgt üblicherweise die Geringnutzung als Ab-
lichen Ursprungs ist ein      der Agrargesellschaft. Für den Schweizer Kanton       stellraum für Traktor, Wohnwagen, oder Boote
Kriterium dafür, diese        Thurgau ließ sich 2001 nachweisen, dass dort ein      etc. Manchmal kann diese Geringnutzung auch
Scheune ins 17. Jahrhun-
                              Drittel der historischen Bebauung bis zum Zwei-       noch unter einem neuen Eigentümer, der zum
dert zu datieren.
                              ten Weltkrieg Scheunen waren. Im Thurgau ist          Beispiel ein Anwesen für Wohnzwecke kauft,
                              die Anzahl der Gebäude von 30 000 im Jahr 1939        aber den Ökonomiebereich nicht benötigt, über
                              auf heute 80 000 Gebäude gestiegen. Damit stel-       einen längeren Zeitraum fortgeführt werden. Da

9 Scheune mit Stall und
darüber Knechtskammer,
Tenne und Wagenremise,
datiert 1861, Hammerhof
in Deggenhausertal-Wit-
tenhofen, Ortsteil Herres-
heim (Bodenseekreis),
im Bestand gefährdeter
Zustand von 1998.

                     208
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
hier keine Eingriffe vorgenommen werden, ist
dies aus denkmalpflegerischer Sicht für einen
gewissen Zeitraum der Idealfall (vgl. den Beitrag
Schubart/Wider/Blum).
Bei manchen Ökonomiegebäuden, oft bei be-
sonders stattlichen Bauten wie zum Beispiel al-
ten Zehntscheunen, die nicht oder nur gering ge-
nutzt werden, sind die von der Denkmalpflege
anerkannten, förderfähigen Kosten bei einer
„Einmottung“ besonders hoch. Diese Gebäude
und insbesondere ihre Dächer werden so weit in-
stand gesetzt, dass sie die nächsten Jahrzehnte
funktionslos oder mit einer gelegentlichen Som-
mernutzung überdauern können, bis eine denk-
malverträgliche neue Nutzung gefunden wird.
Zum Beispiel wurden die beiden Zehntscheunen
aus dem 18.Jahrhundert in Hilzingen (Landkreis         höften zu leisten. Die zahlreichen leer fallenden       10 Die Scheune des
Konstanz), die heute engagierten Privatleuten          Ökonomieteile neuen Funktionen zuzuführen ist           Hammerhofs nach ihrer
gehören, „eingemottet“, Abb. 5, 6). Die Instand-       auf lange Sicht die einzige Möglichkeit, unsere         reparierenden Instand-
setzung von Zehntscheune und Kelter in Den-            ländliche Bausubstanz als kulturlandschaftsprä-         setzung 2002. Sie ist
                                                                                                               als Heuhotel und Pferde-
kendorf für eine Geringnutzung wurde 2001 in           gendes Element zu erhalten.
                                                                                                               stall genutzt.
Heft 30 der Zeitschrift „Denkmalpflege in Baden-       Welche Nutzungen bieten sich an? Am einfachs-
Württemberg“ vorgestellt (211ff.). Auch bei sel-       ten ist die Nutzungskontinuität durch Pferde-
tenen Ökonomiegebäuden wie Speichern oder              haltung (Abb. 9 –11). Ansonsten finden sich zum
Hofmühlen ist, ebenso wie bei Hofscheunen, die         Beispiel: Arztpraxis (vgl. den Beitrag Leusch),
Instandsetzung ohne oder mit einer nur geringen        Atelier (Abb. 12), Bankfiliale, bäuerliche Selbstver-
Nutzung möglich. Das zeigen vorbildliche Bei-          marktung, Büro, Café, Gästehaus, Kindergarten,          11 Detail der Scheune des
spiele aus dem Bodenseekreis (Abb. 7–11).              Kunstgalerie, Heuhotel (Abb. 9–11), Laden, Mu-          Hammerhofs mit desolater
                                                                                                               Traufe, Zustand 1998.
Ansonsten müssen für die leer fallenden Ökono-         seum (Abb. 13, 14), örtliche Raiffeisenniederlas-
miegebäude Nachfolgenutzungen gesucht wer-             sung, Weinverkostung, Werkstätte – oder eben
                                                                                                               12 Scheunen stehen nicht
den. Es gibt viele gute Beispiele für Umnutzungen      Wohnen. Die Umnutzung zu Wohnzwecken ent-               nur auf dem Land, son-
stattlicher, meist herrschaftlicher Bauten durch       spricht wohl am häufigsten den Bedürfnissen der         dern auch in den Neben-
die öffentliche Hand: Zehntscheunen, Pfarr-            Eigentümer. Oft möchte die junge Generation             gassen von Städten. Diese
scheunen oder Keltern werden zu Gemeinde-              eine eigene Wohnung oder wird das Wohnen nur            Scheune aus dem 19. Jahr-
sälen, Pfarrgemeindesälen, Heimatmuseen, Orts-         im traditionellen Wohnteil als zu eng empfunden         hundert in Radolfzell ist
bibliotheken oder dem Speisesaal eines Internats.      (vgl. die Beiträge von Ungerer-Heuck, Breuer und        seit 1983 zu einem Lam-
In der „Denkmalpflege Baden-Württemberg“               Diruf).                                                 pengeschäft umgenutzt.
wurden bereits verschiedene Beispiele vorge-           Dies sind keine spektakulären Umbauten, aber            Die Maßnahme hat sich
                                                                                                               langfristig bewährt; die
stellt, so die Zehntscheune von Schloss Hohenfels      nur, wenn hier denkmalverträgliche Lösungen
                                                                                                               heutige Denkmalpflege
(8,1979, 65ff.) oder das Torkelgebäude des Hei-        gefunden werden, lassen sich die landwirtschaft-
                                                                                                               würde allerdings auch
liggeistspitals in Überlingen (27, 1998, S. 150ff.).   lichen Anwesen in größerem Umfang erhalten.             versuchen, den Innenaus-
Weniger spektakulär und mit bescheideneren             Die Alternative ist im Regelfall der Abbruch des        bau in stärkerem Maße
finanziellen Mitteln ist die Umnutzung der Wirt-       Ökonomieteils und sein Ersatz durch ein neues           in die Umnutzung mit ein-
schaftsteile von bäuerlichen Einhäusern und Ge-        Wohnhaus oder auch Garagen. Das heißt, die Al-          zubeziehen.
DENKMALPFLEGE IN BADEN-WURTTEMBERG
malbedingter Mehraufwendungen nach Maß-
                                                                                  gabe vorhandener Haushaltsmittel. Ein erster, un-
                                                                                  verbindlicher Beratungstermin kann über die je-
                                                                                  weiligen unteren Denkmalschutzbehörden ver-
                                                                                  einbart werden.

                                                                                  Literatur

                                                                                  Zum Rückgang der landwirtschaftlichen Anwesen
                                                                                  die Auskunft des zuständigen Ministeriums für Er-
                                                                                  nährung und ländlichen Raum sowie unter anderem:
                                                                                  Michael Mütz, Dimitrios Vlasakidis, Georg Zimmer:
                                                                                  Umnutzung landwirtschaftlicher Bausubstanz, Un-
                                                                                  tersuchung in ausgewählten Dörfern in der Region
                                                                                  Bodensee-Oberschwaben, Regionalverband Oben-
                                                                                  see-Oberschwaben, Ravensburg, Feb. 1991.
                                                                                  Judith Breuer: Buchbesprechung von Scheunen un-
                                                                                  genutzt – umgenutzt, in: Denkmalpflege in Baden-
                                                                                  Württemberg, Nachrichtenblatt des Landesdenk-
                                                                                  malamtes 2, 2002, S.107ff.
                                                                                  Beatrice Sendner-Rieger u. a.: Scheunen ungenutzt –
13 Gaienhofen, der aus         ternative ist der Totalverlust des Denkmals und    umgenutzt, Hg. v. Denkmalpflege im Thurgau, Frau-
dem 18. Jahrhundert            das sukzessive Verschwinden der traditionellen     enfeld/Stuttgart/Wien 2001.
stammende Eindachhof           Dörfer.                                            In den letzten drei Wirtschaftsjahren mussten über
in Gaienhofen am Boden-        Die Denkmalpflege unterstützt die Eigentümer –     7000 Betriebe in Baden-Württemberg schließen,
see diente 1904–07 dem
                               trotz der oben angesprochenen verschlechter-       nurmehr 20 000 Höfe (Schwarzwälder Bote 1.12.05)
Schriftsteller Hermann
                               ten Rahmenbedingungen – mit ihrer Erfahrung
Hesse und seiner Familie
als Wohnhaus. Heute ist
                               bei Erhaltungs- und Umnutzungsmaßnahmen an
er Teil des Hörimuseums,       Scheunen und anderen Ökonomiegebäuden. Sie
der Wohnteil ist Hermann       bietet die kostenlose Beratung zur Entwicklung     Dr. Petra Wichmann
Hesse gewidmet, der            situationsbezogener, denkmalverträglicher Lösun-   Regierungspräsidium Freiburg
Ökonomieteil dient im          gen an und hilft durch die Bezuschussung denk-     Ref. 25 – Denkmalpflege
Erdgeschoss Wechsel-
ausstellungen, im Ober-
geschoss als Veranstal-
tungsraum.

14 Veranstaltungsraum
im Hörimuseum. Die Be-
lichtung bestimmt den be-
sonderen Charakter dieses
Raumes. Die dekorativen
Lüftungsschlitze in den
Fachwerkausfachungen
wurden verglast, sie sind
im Bodenseeraum für die
Bauaufgabe Trotte (Kelter),
die hier Teil eines bäuerli-
chen Einhauses sein kann,
charakteristisch.

                      210
Scheunen als Kulturdenkmale
Zur Bauaufgabe, der Geschichte ihrer
Bedeutung und heutigem Denkmalschutz
Scheunen und andere landwirtschaftliche Ökonomiebauten waren über Jahr-
hunderte notwendige Nutzbauten, die von ihren Besitzern ganz selbstver-
ständlich instand gehalten und neuen Nutzungsanforderungen angepasst
wurden. Deshalb hat sich die Denkmalpflege diesem Thema auch erst spät zu-
gewandt. Heute gehören diese Gebäude europaweit zu den gefährdetsten
Denkmalen. Einzelstehende Ökonomiebauten wie Zehntscheunen können als
Einzeldenkmale ausgewiesen werden. Im Denkmalschutzgesetz von Baden-
Württemberg ist zudem der Schutz von Hofscheunen und anderen Nebenge-
bäuden als Teil eines insgesamt wertvollen Gehöfts eigens vorgesehen.
Petra Wichmann / Hermann Ringhof

Bauernscheunen, Zehntscheunen,                      lich adaptierte, landwirtschaftliche Ökonomie-
Schafscheunen                                       bauten führte. In den Scheunen wurden die Ge-
                                                    treidegarben bis zum Dreschen aufbewahrt. Für
Der Begriff Scheune oder Scheuer umfasst –          diese schwere Winterarbeit nutzte man die Tenne
sprachlich unscharf – bäuerliche Hofscheunen        als Arbeitsraum (Abb. 1). Im Südwesten wurde
aller Art, aber auch Herrschaftsbauten mit Son-     das Korn selbst im Dachraum über dem Wohnteil
derfunktionen, wie die Zehntscheunen und die        gelagert. Die bäuerlichen Scheunen dienten im
Schafscheunen.                                      Allgemeinen auch der Bevorratung von Heu und
Bäuerliche Scheunen sind fast immer Teil eines      Stroh für die Überwinterung des Viehs, in
Gehöfts. Meyers neues Konversations-Lexikon         manchen Regionen seit dem späteren 18. Jahr-
von 1870 definiert: „Scheuer (Scheune, Stadel),     hundert der ganzjährigen Stallviehhaltung. Dabei
landwirtschaftliches Gebäude, in welchem das        konnte der Viehstall in die Scheune integriert
eingeerntete Getreide aufbewahrt, ausgedro-         sein, das ergab den weit verbreiteten Typus der
schen und gereinigt wird. Nach ihrer Bestimmung     Stallscheune; er konnte sich im Untergeschoss
zerfallen die Scheunen in zwei Theile: den zur      des Wohnteils befinden oder selten als eigen-      1 Arbeiten auf der
Aufbewahrung dienenden Theil oder die Bansen        ständiges Gebäude errichtet sein. In Weinbau-      Tenne, Illustration zum
(Tasse) und die zum Dreschen bestimmte Tenne.       gegenden gibt es unterkellerte Scheunen; große     „Hauß-Vatter-Buch“
Letztere ist nicht selten mit Bohlen belegt, am     Höfe besitzen mitunter lang gestreckte Scheu-      von 1721.
häufigsten jedoch mit einer Lehmdecke (Lehmes-
trich, Lehmstrich) überzogen. Die Bansen werden
meist auf beiden Seiten der Tenne, oft aber auch
nur an einer Seite angebracht und sind von der
Tenne durch etwa 5 Fuß hohe Wände (Bansen-
oder Tennenwände) geschieden, welche letztere
aus Schwellen, Ständern und Riegeln bestehen
und meist mit starken Brettern beschlagen sind.
Fenster werden in Scheuern nicht angelegt, wohl
aber ist für eine gehörige Anzahl Luftlöcher zu
sorgen.“ Bansen heißt im Südwesten Barn, im
Übrigen ist damit die Grundform einer nur für
Getreide genutzten Scheune beschrieben, die im
Inneren bis in den Dachraum hinein offen ist.
Die bäuerlichen Betriebe im Südwesten hatten in
der Regel eine Mischwirtschaft, was zu regional
unterschiedlichen Ausprägungen der Scheunen
als große, für vielfältige Nutzungen unterschied-

                                                                                                       211
2 Fruchtkasten und                                                                   der jeweiligen Herrschaft gehörten, so in Kirchen
Zehntscheune in Dorn-                                                                oder Spitalbauten oder auch in eigens erbauten
stetten (Landkreis Freu-                                                             Fruchtkästen (Kornhäusern, Haberhauskästen).
denstadt) wurden nach                                                                Letztere haben keine Tennen, ihre Zwischenbö-
einem Brand 1667 unter
                                                                                     den sind bis ins Dach hinein so ausgelegt, dass sie
Einbeziehung älterer
                                                                                     große Lasten aufnehmen können (Abb. 2). Die
Massivteile an der Stadt-
mauer neu erbaut. Die                                                                Dächer werden mit zahlreichen kleinen Gauben
Zehntscheune (rechts)                                                                belüftet. Bis zur Ablösung der Naturalabgaben
besitzt eine Mitteltenne                                                             durch Geldbeträge Mitte des 19. Jahrhunderts
sowie parallel einen                                                                 waren diese herrschaftlichen Speicherbauten in
zweiten Arbeits- und                                                                 Funktion. Die Zehntablösung erfolgte in Baden
Erschließungsraum.                                                                   aufgrund eines Gesetzes vom 15. Oktober 1833,
Der Fruchtkasten (links)                                                             in Württemberg aufgrund eines vom 14. Juni
gehörte je zur Hälfte der                                                            1848 und in Hohenzollern aufgrund des dortigen
weltlichen und der kirch-
                                                                                     Gesetzes zur Ablösung der Reallasten vom 28.
lichen Herrschaft. Er hat
                                                                                     Mai 1860. Bald danach begannen der Verkauf
deswegen einen spiegel-
bildlichen Grundriss,                                                                und die Umnutzung dieser damals funktionslos
jeweils mit Erschließungs-                                                           gewordenen, herrschaftlichen Speicherbauten.
achse sowie durch kräf-
tige Stützen für schwere
Lasten ausgelegten Spei-
cherräumen. (Isome-
trische Darstellung Büro
Crowell, Karlsruhe).

                             nenbauten, in die Rossstall und Knechtskammern
                             eingebaut sein können (Abb. 10 im Beitrag Wich-
                             mann „Höfesterben“); besonders aufwendig kon-
                             struiert sind die doppelgeschossigen Ökonomie-
                             teile der Schwarzwaldhöfe (Abb. 4 im Beitrag
                             Schubart/Wider/Blum).
                             Herrschaftsbauten sind in der Regel Solitärbauten
                             mit ausgesprochen stattlichem, oft repräsentativ
                             gestaltetem Außenbau. Zehntscheunen besitzen
                             im Inneren eine, bisweilen zwei Dreschtennen
                             (Abb. 2). Selten sind Zehntscheunen ohne Dresch-
                             tenne; sie werden, wie in Engen bei Schloss Kren-
                             kingen, in der Nutzung eher dem synonym ge-
                             brauchten Begriff Kornhaus entsprochen haben
                             (vgl. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 36,
                             2007, S. 90). Es gibt oder gab sie in fast allen grö-
                             ßeren Orten, oft stehen sie im Zentrum des Ortes
                             neben Kirche und Pfarrhof oder neben dem Sitz
                             der jeweiligen Ortsherrschaft.
                             Gelagert wurde das Korn in den Dächern oder
                             mundartlich „auf dem Speicher“ der Bauten, die

                      212
Die Schafscheunen (Abb. 3) besitzen große Ställe
im Erdgeschoss zum Überwintern ganzer Schaf-
herden. Im Inneren ruhten die Holzständerkon-
struktionen der Dachgeschosse oft auf hohen
Steinsockeln, damit sie nicht von den Schafen
benagt werden konnten und vor allem, dass sie
durch das erst im Frühjahr herausgenommene
Mistbett nicht verrotteten. In den Speicherdä-
chern wurde Futter und Einstreu für die Tiere ge-
lagert. In Altwürttemberg gehörte die Schäferei
zu den herrschaftlichen Regalien des Landes-
herrn. Nur ihm stand es zu, Schafe zu halten oder
eine Schäferei zu betreiben. Diese war wegen des
Düngers, der Wolle und des Fleisches wirtschaft-
lich erfolgreich. In Altwürttemberg bestand die-
ses Recht bis 1828. Erst später konnten einzelne
Bürger das Recht zur Schafhaltung erwerben.
Wenige Jahrzehnte später wurde die Schäferei
durch Einfuhr von Importwolle unrentabel.             Zur Geschichte der Bewertung von                     3 Schafscheune für
In moderne Begriffe übersetzt, hatten gut ge-         Scheunen bzw. landwirtschaftlichen                   Leinfelden-Echterdingen,
füllte Scheunen für ihre Besitzer eine gleicher-      Ökonomiebauten als Denkmale                          Ortsteil Musberg (Kreis
maßen beruhigende Wirkung wie heute ein gut                                                                Esslingen), Entwurf des
                                                                                                           herzoglichen Baumeisters
gefülltes Bankkonto, was sich sogar durch die         Zu Beginn der staatlichen Denkmalpflege im
                                                                                                           Georg Beer um 1590.
sprachliche Übernahme des Begriffes aus dem           19. Jahrhundert wurden kirchliche und herr-
                                                                                                           Sie bestand von ca.1607
Agrarbereich in unsere Zeit widerspiegelt. Von        schaftliche Gebäude aufgrund ihrer historischen      bis 1756.
den herrschaftlichen Bauten waren Zehntscheu-         und künstlerischen Wertigkeit geschützt: Kirchen,
nen die Finanzämter der vorindustriellen Zeit.        Schlösser, Burgen. Bei den Denkmalerfassungen
Dort wurde jedes Jahr ein wesentlicher Teil der       in Baden und Württemberg, die kurz vor dem
Staatseinkünfte gesammelt. Die Kornhäuser wa-         Ersten Weltkrieg initiiert und in der Zwischen-
ren eine Art Versicherung oder auch patriarcha-       kriegszeit durchgeführt wurden, hat man zusätz-
lische Sozialfürsorge für schlechte Zeiten. In Hun-   lich auch repräsentative Bürger- und Bauernhäuser,
gerzeiten verteilte man die dort gesammelten          die sich durch eine schmuckreiche Architektur aus-
Vorräte an die Untertanen und gab neues Saat-         zeichneten oder besonders stattlich waren, so-
gut aus. Für Dornstetten ordnete der Herzog           wie Herrschaftsbauten wie Zehntscheunen, Keltern
von Württemberg 1791 an, dass dort beständig          oder auch Rathäuser, in die Denkmallisten aufge-
195 000 Zentner Saat- und Brotgetreide einge-         nommen. Bäuerliche Ökonomiebauten finden sich
lagert sein mussten. Von diesem Getreide wurde        dort kaum.
regelmäßig gegen Zins in Form von Getreide Brot-      Im Weinbauerndorf Strümpfelbach im Remstal
und Saatgetreide verliehen und damit der Getrei-      zum Beispiel, das bis heute über einen außerge-
devorrat vermehrt.                                    wöhnlich reichen Bestand an beachtlichen Sicht-
Wollte man die funktionalen, typologischen,           und Zierfachwerkhäusern des späten 16./frühen
sozioökonomischen und siedlungstypologischen          17. Jahrhunderts, vereinzelt auch des 18. Jahr-
Aspekte von Scheunen umfassend darstellen,            hunderts verfügt (Abb. 4), wurden 1927 insge-
wäre das in Baden-Württemberg eine anspruchs-
volle Aufgabe, weil das Land durch seine un-
terschiedlichen, historischen Kulturlandschaften
geprägt ist. Diese haben durch verschiedene na-
turräumliche Bedingungen, landwirtschaftliche
Produkte, vor Ort anstehende Baumaterialien,
durch unterschiedliche Erb- und Baugesetze so-
wie Konfessionen auch vielfältige, regionaltypi-
sche Bauformen entwickelt. Solch ein Aufsatz
                                                                                                           4 Giebelständig gereihte
würde den Umfang der aktuellen Ausgabe von
                                                                                                           Weingärtnerhäuser des
„Denkmalpflege in Baden-Württemberg“ spren-                                                                16. bis 18. Jahrhunderts
gen. Eine Darstellung der Scheunen Baden-Würt-                                                             in Weinstadt-Strümpfel-
tembergs nach Kulturlandschaften ist aber ange-                                                            bach (Rems-Murr-Kreis),
sichts der Bedeutung und Gefährdung der Bau-                                                               Foto 1920 vor der Verdo-
gattung ein dringendes Desiderat.                                                                          lung des Bachs.

                                                                                                           213
5 Strümpfelbach, Haupt-       samt 28 Bauten als Denkmale erfasst. Neben den
straße 30/1: Diese giebel-    Sonderbauten waren das 21 stattliche Weinbau-
ständige, von der Straße      ernhäuser, die fast alle giebelständig zur Straße
leicht zurückgesetzte         stehen. Von den zugehörigen Nebengebäuden,
Scheune hat für einen
                              die an den Rückseiten der Hofanlagen angeord-
Wirtschaftsbau eine un-
                              net sind, wurde neben einem unterkellerten Aus-
gewöhnlich reich gestal-
tete Fassade. Sie wurde       gedinghaus nur eine einzige Scheune aufge-
bereits 1927 als Denk-        nommen. Diese zweigeschossige Scheune mit
mal erfasst. (Foto 1929).     seitlicher Durchfahrt (Strümpfelbach, Hauptstra-
                              ße 30/1) ist ein repräsentativer Sichtfachwerk-
                              bau mit Geschossvorstößen aus der Mitte des
                              16. Jahrhunderts (Abb. 5). Sie ist giebelständig er-
                              richtet und wirkt wie ein zurückgesetztes, für das
                              Straßenbild wichtiges Wohnhaus. Eine Untersu-
                              chung dazu fehlt. Damit sind die Qualitäten be-
                              nannt, die damals dazu geführt haben dürften,
                              dieses Gebäude als eigenständiges Denkmal aus-
                              zuweisen. Tatsächlich verfügt dieses Dorf aber
                              über mehrere der landesweit seltenen Scheunen          zerstört wurde als befestigte Städte, reichen
                              dieser frühen Zeitstellung sowie über eine Fül-        manche Höfe und die zugehörigen Scheunen
                              le weiterer Nebengebäude, die oft aus dem 18.          noch ins Spätmittelalter zurück. Baden-Württem-
                              und 19. Jahrhundert stammen: Scheunen, Stall-          berg hat damit im Verhältnis zu vielen anderen
                              scheunen, unterkellerte Stallscheunen, Ross- und       Bundesländern einen ungeheuer reichen, als ma-
                              Schweineställe, Mosten oder Waschhäuschen.             terielle historische Quelle hoch einzuschätzenden
                              Mit der Hinwendung des wissenschaftlichen              Hausbestand.
                              Interesses auf die Welt der Arbeit und die Le-         Im konkreten Fall Strümpfelbach wurden im Rah-
                              bensumstände der kleinen Leute – Fragestellun-         men der Listenerfassung von 1986/87 nicht mehr
                              gen, die durch die Studentenbewegung und ge-           nur die Weinbauernhäuser, sondern 12 Wein-
                              sellschaftliche Veränderungen von 1968 intensiv        bauerngehöfte sowie gesondert die ehemalige
                              thematisiert wurden – sind Industriebauten und         Pfarrscheune als Kulturdenkmale ausgewiesen.
                              Arbeitersiedlungen, aber auch Häuser der Unter-        Einige wenige Beispiele sind frühneuzeitlich und
                              schichten auf dem Land wie Weber- und Tage-            etwa gleichzeitig mit den Wohnhäusern entstan-
                              löhnerhäuser, ländliche Gewerbebauten und              den. Für die vielen Scheunen, Stallscheunen oder
                              Ökonomiebauten der Landwirtschaft wie Schmie-          kleinen Stall-Scheunenanbauten aus dem späten
                              den, Wagnereien, Mühlen und Kunstmühlen so-            18./ frühen 19. Jahrhundert fand sich der Hin-
                              wie Scheunen und Stallungen in den Blick ge-           weis, dass sie mit der im späten 18. Jahrhundert
                              rückt. Letztere sind traditionell Forschungsge-        in den Remstaldörfern eingeführ-
                              biete der Volkskunde und gelegentlich auch             ten Stallviehhaltung zusammen-
                              von Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte.       hängen. Diese große, von Preu-
                              Selbst die Kunstgeschichte hat begonnen, sich          ßen übernommene Landwirt-
                              mit anonymer Architektur thematisch und me-            schaftsreform, löste die
                              thodisch zu befassen. Das hatte Auswirkungen           Dreifelderwirtschaft
                              auf die Denkmalpflege, und es kam in den               ab und verbes-
6 Der 1578 erbaute Stifts-
                              1970er/80er Jahren zur Erweiterung des Denk-           serte die Ver-
fruchtkasten in Stuttgart
wurde 1596 für die An-        malbegriffs.                                           sorgung der
lage des heutigen Schiller-   Eine weitere Bedeutung ist manchen Bauten auf
platzes auf die Flucht des    dem Land und auch deren Ökonomiebauten da-
Stiftskirchenchors zurück-    durch zugewachsen, dass heute ihre frühe Ent-
genommen. Er wurde            stehungszeit bekannt ist. Mithilfe der Jahrring-
damals mit der repräsen-      datierung des Holzes haben Hausforscher seit
tativen Schaufassade          Beginn der 1980er Jahre das Wissen über die
von Heinrich Schickhardt      baulich-konstruktiven Merkmale unterschiedli-
im Stil der süddeutschen
                              cher Zeitstellungen, vor allem der hoch- und
Renaissance als Platzfas-
                              spätmittelalterlichen sowie der frühneuzeitlichen
sade nobilitiert. Hier ein
Foto von 1934, vor den        Gebäude, in großartiger Weise vermehrt. Viele
schweren Kriegsbeschä-        Gebäude im Südwesten erwiesen sich um Jahr-
digungen und Wieder-          hunderte älter als zuvor angenommen. Selbst auf
aufbau.                       dem offenen Land, das bei Kriegen immer stärker

                      214
bis ins späte 18. Jahrhundert stark angewachse-
nen Bevölkerung mit Lebensmitteln deutlich.
Heute ist die Berücksichtigung soziologischer und
baulich-konstruktiver Kriterien selbstverständlich,
schwierig ist es bisweilen mit agrargeschichtli-
chen Fragestellungen. Letztere werden in gewis-
sem Umfang berücksichtigt, wenn eine syste-
matische Inventarisation erfolgt und dabei für
die jüngere Vergangenheit Bauakten, historische
Pläne und Fotos ausgewertet sowie die Kennt-
nisse der alten Generation abgefragt werden
können. Ansonsten ist die Recherche solcher Fra-
gestellungen im denkmalpflegerischen Alltag mit
vertretbarem Zeitaufwand oft nicht zu leisten, zu-
mal es an Untersuchungen zur regionalen Wirt-
schaftsgeschichte bzw. Geschichte der Technisie-
rung der Landwirtschaft für die einzelnen Kultur-
landschaften mangelt. Selten ist der Glücksfall,
dass solche Aspekte durch interdisziplinäre Zu-
sammenarbeit mit Historikern oder Archivaren,
mit Freilichtmuseen, Instituten für Volkskunde,
Technik-, Wirtschafts- oder Sozialgeschichte be-
rücksichtigt werden, wie bei dem lesenswerten
kleinen Buch von Petra Sachs, das sich als Führer
zu Zeugnissen ländlicher Baukultur im Bodensee-
kreis versteht. Das Problem bleibt, dass der spezi-
fische Zeugniswert landwirtschaftlicher Neben-
gebäude bisweilen einfach nicht bekannt ist und
deswegen auch nicht als Schutzgrund benannt           künstlerischen Gründen sein. Das trifft auf einige   7 Quergeteiltes Einhaus
werden kann.                                          herrschaftliche Bauten zu, die von einem gut aus-    in Aldingen-Aixheim (Kreis
                                                      gebildeten Baumeister als repräsentative Bauten      Tuttlingen), datiert 1704.
Zur Kulturdenkmaleigenschaft                          im Stil der jeweiligen Hocharchitektur ausgeführt    Die Erschließung erfolgt
                                                                                                           von der Traufseite jeweils
von Scheunen bzw. landwirtschaftlichen                wurden, so zum Beispiel der Stuttgarter Stifts-
                                                                                                           getrennt für den Wohnteil,
Nebengebäuden als Einzeldenkmale                      fruchtkasten (Abb. 6). In der Regel sind landwirt-
                                                                                                           den Stall, die Tenne und
                                                      schaftliche Nutzbauten Kulturdenkmale auf-           die Wagenremise.
In § 2 des Denkmalschutzgesetzes Baden-Würt-          grund wissenschaftlicher oder heimatgeschicht-
temberg heißt es: „Kulturdenkmale im Sinne des        licher Gründe. Wissenschaftliche Gründe können       8 Quergeteiltes Einhaus
Gesetzes sind Sachen, Sachgesamtheiten und Tei-       beispielsweise architekturgeschichtliche Aspekte,    in Moos-Bettnang (Land-
le von Sachen, an deren Erhaltung aus wissen-         konstruktive Besonderheiten, hohes Alter und,        kreis Konstanz), datiert
schaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschicht-    die damit verbundene Seltenheit, wirtschafts-        1804. Es wurde getrennt
lichen Gründen ein öffentliches Interesse be-         oder technikgeschichtliche Bedeutung sein. Hei-      abgezimmert, stellt aber
steht.“ Der Gesetzgeber in Baden-Württemberg          matgeschichtliche Gründe umfassen in der Regel       eine Einheit dar.
schützt ausdrücklich Kulturdenkmale, nicht nur        die den ehemals herrschaftlichen Gebäuden zu-
Kunstdenkmale. Bereits durch die Wortwahl ist         kommende ortsgeschichtliche Bedeutung sowie
erkennbar, dass der erweiterte Denkmalbegriff         die regionaltypischen Bauformen, die herrschaft-
zugrunde gelegt wurde.                                liche wie auch bäuerliche landwirtschaftliche
Einzeln stehende landwirtschaftliche Gebäude          Bauten besitzen können.
werden nach diesen Kriterien auf Kulturdenkmal-
eigenschaft hin überprüft. Das sind die herr-         Zur Kulturdenkmaleigenschaft von
schaftlichen Solitärbauten Zehntscheune, Korn-        Scheunen bzw. landwirtschaftlichen
haus, Schafscheune und in Weinanbaugebieten           Ökonomiegebäuden als Teil der
Kelter bzw. in Südbaden Trotte oder Torkel,           Sache Einhaus oder als Teil der Sach-
ebenso wie die bäuerlichen Nutzbauten, die nicht      gesamtheit Gehöft
im Hofzusammenhang stehen, so Feldscheune,
Dreschscheune, Kellerhaus oder Grünkerndarre          Der Gesetzgeber hat in Baden-Württemberg mit
usw. Ein solches Gebäude kann zum Beispiel auf-       den Begriffen „Teile von Sachen“ und „Sachge-
grund seiner herausragenden baulichen Qualität        samtheiten“ die Möglichkeit geschaffen, Scheu-
und seiner Schmuckformen Kulturdenkmal aus            nen und andere Hof-Nebengebäude aus ihrem

                                                                                                           215
9 Schnitt durch das quer-     baulichen oder funktionalen Zusammenhang her-         Backhaus, Speicherbau oder anderen Nebenge-
geteilte Einhaus in Gaien-    aus als Kulturdenkmale auszuweisen. Um dies ver-      bäuden bestehen kann (Abb. 10 –13), stellt eine
hofen-Horn, Hauptstraße       ständlich zu machen, muss auf die für den Süd-        funktionale Einheit dar. Diese kann im denkmal-
122. Der Wohnteil wurde       westen charakteristischen bäuerlichen Einhäuser       rechtlichen Sinn als Sachgesamtheit ein Kultur-
1485/86 erbaut, zwei Ge-
                              (A) und die Gehöfte (B) eingegangen werden.           denkmal sein. Dabei muss nicht jedes Gebäude
fache eines Ökonomiteils,
                              A: Der Begriff „Sache“ bezieht sich in diesem Fall    für sich die Merkmale des gesetzlichen Denkmal-
wohl Tenne und Stall, im
16. Jahrhundert angefügt,
                              auf Einhäuser. Das sind bäuerliche Anwesen, bei       begriffs erfüllen. Das Gehöft insgesamt ist aber
später noch eine Wagen-       denen Wohn- und Wirtschaftsteil unter einem           als Sachgesamtheit ein Denkmal.
remise. (Zeichnung S. King)   Dach zusammengefasst sind, also zum Beispiel          Auf den Bereich ländliches Bauen übertragen, ist
                              Schwarzwaldhöfe oder die quergeteilten Einhäu-        eine Sachgesamtheit, bei der alle Gebäude für
10 Sulzburg-Laufen,           ser (Abb. 7 u. 8). Einhäuser stellen eine bauliche    sich den Begriff des Kulturdenkmals erfüllen,
Brunnengasse 2– 4. Zehnt-     und funktionale Einheit aus Wohn- und Wirt-           zum Beispiel der ehemalige Kellhof des Klosters
hof, der Staffelgiebel-       schaftsteil dar. Diese Einheit wird durch den Ver-    Petershausen in Hilzingen (Landkreis Konstanz).
hauptbau datiert 1579         lust eines der beiden Teile zerstört. Deshalb ver-    Er besitzt aus dem 18. Jahrhundert ein Zierfach-
mit späteren Umbauten.
                              liert in der Regel ein Wohnteil bei Abbruch des       werk-Wohngebäude und zwei große massive
Zum Gehöft gehören
                              Ökonomieteils seine Denkmaleigenschaft und            Zehntscheunen (Abb. 6 im Beitrag Wichmann
eine Scheune mit zwei
Rundbogentoren an der
                              umgekehrt ist der erhaltene Scheunenteil nach         „Höfesterben“).
rückwärtigen Traufe,          Abbruch des Wohnteils nicht mehr als Kultur-          Der Normalfall bei bäuerlichen Hofanlagen ist
im Keilstein datiert 1766,    denkmal einzustufen. (Es gibt in der Praxis äu-       im Denkmalkommentar eigens aufgeführt: „ein-
der anschließende Bauern-     ßerst selten Ausnahmen, die zum Beispiel in der       zelne Elemente der Sachgesamtheit (sind) Kultur-
garten und zur Gasse          herausragenden Qualität der Stubenausstattung         denkmale, andere weisen diese Eigenschaft nicht
ein Schopf mit Schweine-      eines Wohnteils begründet sein können).               auf (zum Beispiel Wirtschaftsgebäude einer Hof-
stall.                        In der Regel gilt diese Wertung auch, wenn            anlage)“. Scheunen bzw. andere landwirtschaft-
                              Wohnteil und Ökonomieteil getrennt abgezim-           liche Ökonomiegebäude würden ohne den Hof-
                              mert sind (Abb. 8) oder auch, wenn sie aus unter-     zusammenhang oft nicht die Merkmale des
                              schiedlichen Epochen stammen. Es gibt ältere,         gesetzlichen Denkmalbegriffs erfüllen. Im Einzel-
                              wertvolle Wohnteile, deren Scheunenteil in spä-       fall kann dies damit zusammenhängen, dass es
                              terer Zeit erneuert wurde oder auch umgekehrt         sich um eine formal anspruchslose, relativ junge
                              Scheunenteile, die älter sind als der zugehörige      Scheune oder um Kleinbauten wie Holzlege oder
                              Wohnteil. Am westlichen Bodensee zum Beispiel         Schweinestall handelt, die nur zusammen mit
                              stehen spätmittelalterliche Wohnhäuser, die im        dem Haupthaus eine anschauliche historische
                              späten 18. oder bis um die Mitte des 19. Jahr-        Aussage besitzen. Es kann auch bedeuten, dass
                              hunderts durch den Anbau eines Ökonomieteils          die besondere wirtschaftsgeschichtliche Bedeu-
11 Müllheim, Stadtteil        zu einem Einhaus ausgebaut wurden. Vielleicht         tung einer Scheune bzw. eines anderen Neben-
Müllheim (Kreis Breisgau-     hatte das spätmittelalterliche Wohnhaus früher        gebäudes, die eine eigenständige Denkmaleigen-
Hochschwarzwald), Ge-         eine frei stehende Scheune. Jetzt ist das Gebäude     schaft begründen könnte, gar nicht bekannt ist.
höft im Markgräflerland       aber eine aus zwei Zeitschichten neu entstandene
mit Wohnhaus, Nebenge-        Einheit. Für die Bewertung als Kulturdenkmal stellt
bäude und rückwärtiger        sich dann die Frage, ob beide Bauphasen zusam-
Scheune, am charakteris-      men Kulturdenkmalqualität besitzen (Abb. 9).
tischen Torbogen datiert
                              B: Durch den Begriff der Sachgesamtheit hat der
1765. (Foto 2004). Am
                              Gesetzgeber die Grundlage für den denkmalpfle-
Nebengebäude sind Teile
der Aussenwand erneuert,      gerischen Umgang mit bäuerlichen Anwesen, die
als Teil der Sachgesamt-      aus mehreren Einzelgebäuden bestehen, geschaf-
heit Gehöft ist es dennoch    fen. Ein Gehöft, das zum Beispiel aus Kapelle,
Kulturdenkmal.                Wohnhaus, Scheune, gesondertem Schweinestall,

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