Gemeindebrief Nr. 2/2020 - März - Mai 2020
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Das Diakonissenhaus Jerusalem, Schäferkampsallee 30, das „Ella-Louisa-Haus“, wurde vom Diakoniewerk an einen Investor verkauft. Die Schwestern haben weiterhin Wohnrecht und leben in Gemeinschaft zusammen. Die Schwesternschaft gehört dem Kaiserswerther Verband an und versteht sich als Glaubens- und Lebensgemeinschaft evangelischer Christinnen, in der Spirituali- tät, Gastfreundschaft und Begegnungen ihren Platz haben. Die Zahl der Diakonissen ist kleiner geworden, aber auch die „Feierabendschwestern“ tragen mit ihrer Fürbitte und der ihnen noch zur Verfügung stehenden Kraft unsere Jerusalem-Gemeinde mit. Das Krankenhaus Jerusalem Bereits seit dem Jahre 1913 vereint das Krankenhaus Jerusalem hohe Fachkompetenz mit intensi- ver persönlicher Zuwendung. Ständige Erweiterungen und umfassende bauliche Erneuerungen haben die Klinik im Zentrum von Hamburg kontinuierlich dem Stand des medizinischen Fort- schritts angepasst – so beherbergt das Krankenhaus Jerusalem hinter seiner historischen Fassade heute eine moderne Belegarzt-Klinik mit 105 Betten. Im Zuge von Gesundheitsreform und ande- ren Anpassungen war aber nun auch dies nicht mehr ausreichend, um die Arbeitsplätze und den Betrieb dauerhaft sicherzustellen. Deshalb wurde ein Verkauf eingeleitet. Mit dem Wechsel des Klinikträgers im September 2007 und einer Investitionssumme von zehn Millionen Euro wird das Krankenhaus Jerusalem nun schrittweise erweitert und modernisiert werden. Eine Liste mit Na- men und Adressen der Fachärzte ist in der Aufnahme des Krankenhauses erhältlich. Inhaltsverzeichnis: Editorial Seite 1 Hans-Christoph Goßmann, Predigt über Matthäus 3, 13-17 im Rahmen der interreligiösen Tagung „Religionen im Film“ Seite 2 Klaus Reige. Komm komm, wer immer Du bist. Die interreligiöse Tagung „Religionen im Film“ Seite 5 Yuriy Kadnikov, Film und Religion in der Betrachtung eines liberalen Rabbiners Seite 7 Hans-Christoph Goßmann, Film und Religion – aus christlicher Perspektive Seite 8 Ali-Özgür Özdil, Der Islam im Film Seite 12 Oshra Beate Danker, Neues aus der Jüdischen Gemeinde Pinneberg Seite 13 Germaine Paetau, Neues von der Musik Seite 14 Michaela Lohr, Weltgebetstag 2020 Seite 17 Regelmäßige Veranstaltungen Seite 19 Jerusalem-Akademie Seite 19 Veranstaltungskalender Seite 20 Spenden für die Gemeinde erbitten wir auf folgende Konten: Haspa: IBAN - DE33 2005 0550 1211 1292 16 BIC - HASPDEHHXXX Evangelische Bank eG: IBAN – DE25520604106306446019 BIC – GENO DEF1 EK1 Konto des Fördervereins Jerusalem-Kirchengemeinde Hamburg e.V.: Haspa: IBAN - DE40 2005 0550 1211 1237 55 BIC - HASPDEHHXXX Unsere Internet-Seiten finden Sie unter: Jerusalem-Kirche = www.jerusalem-kirche.de Bestellungen und andere Anfragen richten Sie bitte an die Jerusalem-Gemeinde Sekretariat: Frau Birthe Henkel, Schäferkampsallee 36, 20357 Hamburg, Öffnungszeiten: Di. und Do. von 9.00 bis 12.00 Uhr und Mi. von 14.30 bis 17.30 Uhr, Telefon: 040/202 28 136, Fax: 040/202 28 138, E-Mail: jerusalem-kirche@gmx.de, Pastor: Dr. Hans-Christoph Goßmann, E-Mail: jerusalem-pastor@gmx.de Impressum: Herausgeber ist die ev.-luth. Jerusalem-Gemeinde zu Hamburg. Auflage: 600 Stück Redaktion: Dr. Hans-Christoph Goßmann, Druck: Druckerei Dietrich GmbH, Beeksfelde 18, 25482 Appen/Pi. Für namentlich gekennzeichnete Artikel zeichnen die Autoren verantwortlich. Der Brief erscheint viermal im Jahr und wird auf Spendenbasis an Mitglieder und Freunde der Gemeinde verschickt. Redaktionsschluss für den Jerusalem-Brief 3-2020 ist der 1. April 2020.
1 Editorial Liebe Leserin, Welche regelmäßigen Gemeindeveranstal- lieber Leser, tungen durchgeführt werden und wann die nächsten Gottesdienste und Bibelstunden auch in diesem stattfinden werden, können Sie dieser Aus- Jahr haben wir gabe des Jerusalem-Briefes natürlich wie im Rahmen der gewohnt auch entnehmen. Reihe „Zu Gast in Abrahams Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen Ihr Zelt“ gemein- Hans-Christoph Goßmann sam mit dem Christian Jensen Kolleg, dem * * * Islamischen Wissenschafts- und Bildungsinstitut und dem Zentrum für Mission und Ökumene Monatsspruch im Monat eine jüdisch-christlich-islamische Tagung März 2020 durchgeführt. Diesmal ging es um das Thema „Religionen im Film“. Jesus Christus spricht: Wachet! In dieser Ausgabe des Jerusalem-Briefes Markus 13, 37 finden Sie einen Rückblick auf diese Ta- gung: Sie können die Predigt über Matthä- us 3, 13-17, lesen, die ich im christlichen Gottesdienst auf dieser Tagung gehalten * * * habe, und dazu einen Bericht über diese Tagung von Klaus Reige sowie die Einfüh- rungen in das Thema von Rabbiner Yuriy Kadnikov, Imam Dr. Ali-Özgür Özdil und mir. Oshra Beate Danker, Mitglied des Freun- deskreises der Jüdischen Gemeinde Pinne- berg, gibt einen Rückblick auf das Ge- meindeleben unserer jüdischen Partnerge- meinde in dem vergangenen Vierteljahr. In den letzten Monaten hat sich in musika- lischer Hinsicht in unserer Kirche wieder viel getan. Germaine Paetau berichtet da- rüber in dieser Ausgabe des Jerusalem- Briefes. Auf den folgenden Seiten finden Sie auch die Einladung zu dem diesjährigen Weltge- betstagsgottesdienst am 6. März sowie einen Bericht über die Verwendung der Weltgebetstags-Kollekten vom letzten Jahr.
2 Predigt über Matthäus 3, 13-17 im Rahmen der interreligiösen Tagung „Religionen im Film“ von Pastor Dr. Hans-Christoph Goßmann Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus gesamten Auslegungsgeschichte Wider- und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft stände und kritische Fragen ausgelöst: des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Sollte es wirklich so sein, dass sich Jesus Amen. von Johannes taufen lies? Bedeutet dies nicht eine Unterordnung Jesu unter Johan- Liebe Gemeinde, nes? War aber Johannes nicht lediglich bei manchen Berichten im Neuen Testa- Vorläufer und Wegbereiter Jesu? Wen ment wird die Frage gestellt, ob sich das wundert es angesichts derartiger Fragen, Dargestellte wirklich so abgespielt hat. Bei dass die Taufe Jesu nicht in die christlichen dem Predigttext für den heutigen Sonntag Glaubensbekenntnisse aufgenommen wur- ist dies anders: Niemand vertritt die Mei- de? nung, dass das, was dieser Text berichtet, Dabei ist es wichtig, was in diesem Text historisch nicht geschehen sei. Denn es zur Sprache kommt; es lohnt, seine Aussa- geht um etwas, was für die Evangelisten gen in den Blick zu nehmen und sich mit problematisch war und ihnen detailliert ausei- was sie sich dement- nanderzusetzen. Denn sprechend gewiss nicht er enthält vieles, was ausgedacht hätten; es für uns hilfreich sein geht um die Taufe Je- kann, wenn wir uns die su, die somit zu den Bedeutung der Taufe am Besten bezeug- vergegenwärtigen testen historischen Er- möchten. innerungen an das Le- Beginnen wir mit dem ben Jesu gehört. Ich ersten Satz des Textes: lese den Text: „Jesus kam aus Galiläa an den Jordan zu Jo- Jesus kam aus Galiläa hannes, dass er sich an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen ließe.“ Der Ort, an dem von ihm taufen ließe. Aber Johannes wehr- Johannes taufte, lag am Ostufer des Jordan, te ihm und sprach: Ich bedarf dessen, dass südlich der heutigen Allenby-Brücke. Die ich von dir getauft werde, und du kommst Wahl des Ortes hat eine tiefe symbolische zu mir? Jesus aber antwortete und sprach Bedeutung, denn am Ostufer des Jordans zu ihm: Lass es jetzt geschehen! Denn so stand einst das Volk Israel, bevor es den gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfül- Fluss überquerte und in das ihm von Gott len. Da ließ er's geschehen. Und als Jesus verheißene Land einzog. Die Situation vor getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem der Landnahme wird hier in Beziehung Wasser. Und siehe, da tat sich ihm der gesetzt zu der Situation vor der Taufe. Wie Himmel auf, und er sah den Geist Gottes für die aus der Wüste kommenden Israeli- wie eine Taube herabfahren und über sich tinnen und Israeliten mit der Überquerung kommen. Und siehe, eine Stimme vom des Jordans ein gänzlich neues Kapitel in Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber ihrer Geschichte aufgeschlagen wird, so Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. auch für diejenigen, die sich nun im Jordan Matthäus 3, 13-17 von Johannes taufen lassen. Jesus wollte dies, er wollte diesen radikalen Neuanfang, Es ist leicht nachvollziehbar, dass dieser und deshalb kam auch er zu Johannes. Dies Text anstößig gewirkt hat. Er hat in seiner wird im ersten Satz unseres Textes in aller
3 Klarheit zur Sprache gebracht: Jesus kam, Aber Jesus belässt es dann doch nicht bei „dass er sich von ihm taufen ließe.“ Das der bloßen Aufforderung, sondern be- war der Grund, warum er zur Taufstelle am gründet sie mit den Worten „Denn so ge- Jordan kam. Er war fest entschlossen, sich bührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfül- taufen zu lassen. Dabei stieß er auf Wider- len.“ Es geht Jesus also um die Erfüllung stand, denn Johannes empfand es als nicht aller Gerechtigkeit. Das griechische Verb angemessen, dass er Jesus tauft, wehrte πληρόω, das an dieser Stelle als Infinitiv dementsprechend die Taufe ab und sprach: Aorist begegnet, wird im Matthäus- „Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft Evangelium ausschließlich in Bezug auf werde, und du kommst zu mir?“ Dies ist Jesus gebraucht. Damit unterstreicht der nun in der Tat bemerkenswert, denn hier Evangelist durch seine hier gebrauchte wird beschrieben, dass Johannes das Tauf- Wortwahl die Bedeutung dieses Handelns begehren Jesu zurückweist. Bemerkens- Jesu. wert ist zudem, wie Johannes diese Zu- Was ist damit gemeint, wenn hier von „al- rückweisung Jesu begründet: „Ich bedarf le[r] Gerechtigkeit“ die Rede ist? Die Pre- dessen, dass ich von dir getauft werde, und digt Johannes des Täufers war eine Buß- du kommst zu mir?“ Die Gründe, die in der predigt, eine Predigt, die zur Umkehr auf- Auslegungsgeschichte dieses Textes Wi- rief. Zu dieser Umkehr gehört es, die eige- derstände und kritische Fragen ausgelöst nen Sünden zu bekennen und auf dem wei- haben, werden hier zur Sprache gebracht, teren Lebensweg diese Sünden nicht mehr und zwar von Johannes selbst. Gemäß un- begehen zu wollen. Vor diesem Hinter- serem Text verhielt es sich so, dass Johan- grund wird die Zurückweisung Jesu durch nes selbst sich lediglich als Vorläufer und den Täufer verständlich. Bei Jesus konnte Wegbereiter Jesu verstand und diesen des- Johannes keine Sünden erkennen, die eine halb nicht taufen wollte. Wie reagierte Je- Umkehr erforderlich machten. Aber Jesus sus auf diese Zurückweisung? Er machte war es wichtig, sich durch die Taufe in die deutlich, dass er fest entschlossen war, sich Reihe derjenigen zu stellen, die der Verge- taufen zu lassen, und sich davon auch bung bedürfen. Jesus hat sich somit nicht durch den Widerstand des Johannes nicht außen vor gehalten, als es um Buße, um abbringen lassen wollte. Er ließ sich gar Umkehr ging. Das ist von entscheidender nicht erst auf eine Diskussion darüber ein, Bedeutung für alle, die ihr Leben in der ob der Einwand des Johannes gerechtfer- Nachfolge Jesu gestalten möchten. Für die tigt war oder nicht, sondern wollte getauft christliche Gemeinschaft war es von An- werden, und zwar von Johannes. Deshalb beginn an konstitutiv, zur Buße, zur Um- begann seine Antwort mit den Worten kehr bereit zu sein; das Christentum be- ἄφες ἄρτι. Das Wort ἄφες ist der Impera- gann somit als Bußbewegung. Das Wort tiv Aorist von dem Verb ἀφίημι, zu Gottes ruft auch uns in unserem Leben zur Deutsch: geschehen lassen, und ἄρτι be- Umkehr zu Gott, damit auch wir die Ge- deutet: jetzt. Diese Aufforderung übersetzt rechtigkeit Gottes in unserem Leben um- Martin Luther als „Lass es jetzt gesche- setzen. hen!“ Es ist philologisch durchaus möglich Als Jesus mit solcher Vehemenz die Zu- und auch angebracht, sie in der Überset- rückweisung durch den Täufer abwehrte, zung noch schärfer wiederzugeben. So gab dieser seinen Widerstand auf und tauf- übersetzt F. Stier diese Aufforderung Jesu te Jesus. Bemerkenswert ist, wie dies im folgendermaßen: „Lass es zu, sofort!“ Indi- Text beschrieben wird: „Da ließ er's ge- rekt gibt Jesus damit dem Täufer Recht, schehen.“ Es wird an dieser Stelle nicht aber er möchte offensichtlich darüber jetzt gesagt, dass Johannes nun aktiv wurde und nicht diskutieren, sondern ein Zeichen set- die Taufe vollzog, sondern vielmehr, dass zen – das Zeichen, dass auch er sich taufen er es geschehen ließ. Durch diese Formu- lässt. lierung wird angedeutet, dass letztlich nicht er, Johannes, die Taufe vollzog, son-
4 dern Gott durch ihn. Denn in der Taufe Wie können wir Heutige den offenen Him- handelt letztlich Gott selbst. Und dies wird mel in unserer Welt wahrnehmen? Der im weiteren Verlauf des Textes nicht mehr Predigttext gibt eine Antwort: Wenn wir in nur angedeutet, sondern in aller Klarheit der Nachfolge Jesu leben möchten, dann ist benannt: „Und als Jesus getauft war, stieg es uns aufgetragen, wie Jesus zur Umkehr, er alsbald herauf aus dem Wasser. Und zur Buße bereit zu sein. Diese Umkehr siehe, da tat sich ihm der Himmel auf, und befähigt uns, unseren Teil dazu beizutra- er sah den Geist Gottes wie eine Taube gen, der Gerechtigkeit Gottes in dieser herabfahren und über sich kommen. Und unserer Welt den Weg zu bereiten. siehe, eine Stimme vom Himmel herab Das wirft ein Licht auf die Taufe und ihre sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem Bedeutung. Die Taufe nimmt uns nicht aus ich Wohlgefallen habe.“ Direkt im An- dieser Welt heraus, sondern stellt uns mit- schluss an die Taufhandlung, als Jesus aus ten in diese Welt. Bei der Buße, der Um- dem Wasser stieg, sah er den Geist Gottes kehr, geht es darum, die Gerechtigkeit Got- wie eine Taube auf sich herabkommen und tes in dieser unserer Welt zu erfüllen und hörte die Stimme Gottes, die sagte: „Dies somit dem Willen Gottes gemäß zu leben. ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlge- Das Christentum war von Anfang an eine fallen habe.“ Die himmlische Herrlichkeit Bußbewegung. Und somit ist die Bereit- kommt anlässlich der Taufe Jesu in die schaft zur Buße, zur Umkehr, auch für un- Welt; der Himmel steht offen. Jesus hatte ser Leben als Christinnen und Christen sich durch die Taufe dazu bekannt, die konstitutiv. Gerechtigkeit Gottes in dieser Welt zu er- Dies verbindet uns mit Jüdinnen und Ju- füllen, und nun bekennt sich Gott zu Jesus. den. In der fünften Bitte des Achtzehnbit- Er tut dies mit den Worten: „Dies ist mein tengebetes, das nach rabbinischer Auffas- lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen ha- sung als das Gebet schlechthin gilt, heißt be.“ Dies wird Gott zu einem späteren es: „Bring uns zurück, unser Vater, zu Zeitpunkt noch einmal wörtlich so sagen: Deiner Lehre, und nähere uns, unser Kö- bei der Verklärung bzw. Verwandlung Jesu nig, Deinem Dienst. Und führe uns zurück (Matthäus 17,5). Im Matthäus-Evangelium in vollkommener Rückkehr zu Dir. Ge- werden somit die Taufe Jesu und seine priesen seist Du, Ewiger, dem die Rück- Verklärung bzw. Verwandlung in einen kehr gefällt.“ Das hebräische Nomen, das direkten Zusammenhang gebracht. In bei- an dieser Stelle im Deutschen als „Rück- den Fällen bekennt sich Gott zu ihm als kehr“ übersetzt ist, ist תשובה. Dieses No- Seinem Sohn. Es ist kein Zufall, dass die- men bezeichnet die Buße, die Umkehr, zu ses Bekenntnis in Worte gekleidet ist, die der Jesus von Nazareth bereit war, als er an den zweiten Psalm erinnern, in dem sich von Johannes dem Täufer am Jordan über den König von Juda gesagt wird: „Du taufen ließ, woraufhin sich der Himmel bist mein Sohn, heute habe ich dich ge- geöffnet hat. Den Zugang zu diesem offe- zeugt“ (Vers 7). nen Himmel hat Gott auch uns durch die Der Himmel steht offen; darauf dürfen Taufe gewährt. Lasst uns Gott dafür Dank auch wir Heutige vertrauen. Das ist für uns sagen! von immenser Bedeutung. Martin Luther Amen. hat diese Bedeutung einmal folgenderma- ßen in Worte gefasst: „Damals ging der Himmel auf. Der tut sich nicht zu bis zum Monatsspruch im Monat jüngsten Tag. Noch heutigen Tages ist der April 2020 Himmel offen über die ganze Welt. […] Wenn der Himmel verschlossen wäre, wer Es wird gesät verweslich und wird wollte dann predigen, taufen, Sakrament auferstehen unverweslich reichen, absolvieren? […] wo Christus ist, 1. Korinther 15,42 da ist der Himmel offen.“
5 Komm komm, wer immer Du bist Die interreligiöse Tagung „Religionen im Film“ von Klaus Reige An einem kalten Januartag stehe ich allein Der Imam Ali, der Rabbi Yuriy und der und verloren in Bredstedt am Bahnhof und Pastor Christoph richten unsere Sinne in bin orientierungslos. Ein schwarzes Fahr- Richtung Orient nach Mekka bzw. Jerusa- zeug fährt vor, in dem schwarz gekleideten lem aus. Menschen sitzen. Es ist ein Taxi, welches Unsere Community mit den angereisten mich zum Christian Jensen Kolleg in Brek- Muslimen, Christen und Juden wird für die lum bringen wird. Die Insassen lachen nächsten Tage meine Heimat. All die Er- mich freundlich, aber irgendwie doch fahrungen und Vorurteile, die sich bei mir fremdartig an. Ich vertraue ihnen und stei- über Jahrzehnte über „den Islam“ und „das ge ein. Vertrauen ist meine Basis für die Judentum“, aber auch über „das Christ- nächsten Tage. Nach dem Einsteigen wird sein“ angesammelt hatten, lasse ich hinter mir schnell klar, dass ich gerade zu einem mir. Mit dem Rabbi spreche ich über den Teil der muslimischen Community aus Talmud und chassidische Meister. Meine meiner Heimatstadt islamischen Freunde Hamburg eingestie- bringen mir die per- gen bin. Wir spre- sische Dichtkunst chen zwar die glei- und den Dichter che Sprache, doch Rumi, nach dem der merke ich schnell, Mevlevi-Derwisch- dass ich für ihre Orden benannt ist, Worte und ihren näher. Ich tauche Humor noch nicht ein in eine andere die nötige Gelas- Welt. Mir erschei- senheit und Reife nen die Diskurse habe. Ich mache in diesen wenigen Minu- über unsere Differenzen in den drei abra- ten im Taxi die irritierende Erfahrung, hamitischen Religionen eher in Äußerlich- mich fremd zu fühlen und doch gleichzei- keiten zu liegen. In der Spiritualität und in tig geborgen zu sein. Bereits nach dieser der Ausgestaltung menschlicher Beziehun- kurzen Fahrt mit dem Taxi und meiner gen überwiegen für mich die Gemeinsam- Ankunft am Christian Jensen Kolleg in keiten. Breklum scheine ich in einen anderen „Aggregatzustand“ verwandelt worden zu Bei der diesjährigen Tagung ging es um sein. Der Pastor sagt später dazu „fest, das Thema „Religion im Film“. Ich gehe flüssig, gasförmig, Breklumer“, was wohl selten ins Kino und schaue kaum Filme im bedeutet, dass der Breklumer Zustand ein Fernsehen oder auf youtube. Auf der Ta- besonderer Zustand der Spiritualität sein gung habe ich nachvollzogen, woran das soll. liegt. Mir fehlt die Möglichkeit des ge- meinsamen reflexiven Diskurses. So habe Mit meinem Ankommen zur Veranstaltung ich gelernt, dass der Film „The Message“ „Zu Gast in Abrahams Zelt“ in Breklum gänzlich auf die Darstellung des Propheten wechselt nun mein orientierungsloser Zu- Mohammed verzichtet und filmtechnisch stand aus Bredstedt und ich erhalte Orien- eine Besonderheit darstellt. In christlicher tierung im wörtlichen Sinne. Tradition haben wir mit dem Bilderstreit eine jahrhundertealte Kontroverse, die mit
6 den „Passionsspielen“ und deren Darstel- essen und trinken, viel Geld sparen und lungen im Film entschieden zu sein muss nicht stundenlang auf Flughäfen und scheint. In den Nachbesprechungen geht es in Flugzeugen meine Zeit vergeuden. Statt- mir wie früher in meinem Deutschunter- dessen kann ich in beruhigender Atmo- richt und ich frage mich, haben wir alle das sphäre, umgeben von Natur, spirituelle Er- gleiche Buch gelesen bzw. den gleichen fahrungen sammeln. Hierzu gehören be- Film gesehen. Die Dis- sonders die einfühlsa- kurse sind sehr sprach- me Freitagspredigt un- sensibel zu führen, seres Imams Ali und denn ob ein Film „reli- die ausführliche Ein- giös“ ist, „Religion führung in den Schab- zum Thema macht“, bat durch unseren „religiöse Bezüge her- Rabbi Yuriy. stellt“ oder „gelebte Religionskultur“ be- In einem bewegenden schreibt, scheint ein Schlusswort formuliert großer Unterscheid zu unsere älteste Teil- sein und was denn Religion für uns bedeu- nehmerin, Johanna, ihre Erfahrungen und tet und wie wir uns dem wissenschaftlich ihren Ausblick sinngemäß folgenderma- nähern können, wird kontrovers diskutiert. ßen: Wir sind eine Familie mit Abraham Ob dabei der Film hilfreich oder hinderlich als Stammvater. Wir sind Schwestern und ist, kann durchaus hinterfragt werden. Brüder im Geiste. Wir glauben gemeinsam Letztlich ist der Film ein vom Menschen an den einen Gott. Es gibt in der heutigen geschaffenes Medium, wie das Buch oder Zeit so viele Herausforderungen für die ein Bild, welches religiöse Erfahrung för- Menschheit, dass wir uns mit dem Tren- dern kann, aber auch viele Gefahren in sich nenden nicht allzu lange aufhalten dürfen birgt, weshalb in Moscheen und Synago- und stattdessen unsere Gemeinsamkeiten gen von bildlichen Darstellungen von in den Mittelpunkt stellen sollten, um die Menschen abgesehen wird. Einheit der Menschheit voranzubringen. Sie ist in den heutigen Zeiten wichtiger Auf der einen Seite sind die Tage ein theo- denn je. Die Überschrift dieses Textes logischer Diskurs auf hohem Niveau, aber „Komm komm, wer immer du bist“ stammt andererseits steht für mich das „Erfah- von dem oben erwähnen persischen Dich- rungslernen“ im Mittelpunkt, in dem sich ter Rumi. Mit Zeilen von ihm möchte ich die drei abrahamitischen Religionsgemein- diesen Text beenden: schaften gegenseitig zu ihren Festen einla- den und wir alle wechselseitig Gäste sind. Ich versuchte, ihn zu finden am Kreuz der Normalerweise müsste ich dafür mehrere Christen, aber er war nicht dort. Ich ging tausend Kilometer weit fahren, viel Geld zu den Tempeln der Hindus und zu den ausgeben, genügend Zeit für die An- und alten Pagoden, aber ich konnte nirgendwo Abreise planen und neben sprachlichen eine Spur von ihm finden. Ich suchte ihn in Hürden auch noch kulturelle Hürden über- den Bergen und Tälern, aber weder in der winden. Hinzukommen würden noch Imp- Höhe noch in der Tiefe sah ich mich im- fungen, gesundheitliche Belastungen, die stande, ihn zu finden. Ich ging zur Kaaba komplizierte Sicherheitslage und die Her- in Mekka, aber dort war er auch nicht. Ich ausforderungen beim Essen, Trinken und befragte die Gelehrten und Philosophen, Schlafen. aber er war jenseits ihres Verstehens. Ich prüfte mein Herz, und dort verweilte er, als Als „Breklumer“ kann ich hingegen schla- ich ihn sah. Er ist nirgends sonst zu finden fen wie in „Abrahams Schoß“, nachhaltig (Rumi).
7 Film und Religion in der Betrachtung eines liberalen Rabbiners von Rabbiner Yuriy Kadnikov Allein der Titel führt mich dazu, das The- wurde von Gidi Dar im Jahr 2004 gedreht, ma zu begrenzen. Denn die Meinung eines und obwohl seine Zielgruppe keine ultraor- Rabbiners bleibt – nur die Meinung eines thodoxe Gruppe ist, ist der Film authen- einzigen Rabbiners. Dieser können sich tisch und von dem Rebben der Breslowa einige meiner Kollegen anschließen, ande- Chassidim gesegnet. Alle anderen Filme, re nur einem Teil davon und wieder ande- falls man sie beurteilen möchte, geben ein re können Teile oder gar alles ablehnen. gutes, ein weniger gutes oder sogar ein Ich bin auch kein Kunsthistoriker, der schlechtes Spiegelbild ab. Man nutzt Filmproduktionen in jedem Detail kennt selbstverständlich etwas Klischeehaftes und interpretiert. Vielmehr werde ich mei- bzw. „Codes“, um bei dem Zuschauer Inte- nen Blick der Dinge darstellen. resse zu wecken und wiedererkannt zu Vorab möchte ich noch erwähnen, dass ein werden. In diesen Fällen kann man nur Teil des jüdischen Volkes, der sich als ult- jeden einzelnen Film bzw. sogar Szene raorthodox betrachtet, gar keinen direkten beurteilen, ob es gelungen oder misslungen Zugang zu Filmen hat, wenn er diese nicht ist. Auf jeden Fall ist zuzugestehen, dass sogar ablehnt bzw. verteufelt. Ein Grund diese Filme für die Mehrheit der Menschen dafür ist das zweite Gebot eine Art Begegnung mit „den aus dem Dekalog und ande- Juden“ leisten. Dies kann in ren Stellen, welche mit Bild- einem positiven wie in einem nisverbot verbunden sind negativen Sinne passieren. (Ex. 20, 3-4; Deut. 4, 25-31; Ein anderes Phänomen der 27, 15). Der Talmud milderte Kinematographie ist, wenn den Letzten, z.B. um wissen- der Inhalt des Filmes, ob- schaftliche Zwecke zu erfül- wohl dort keine Juden darge- len oder Abbildungen von stellt waren, der jüdischen Tieren und Pflanzen darzu- Weltanschauung entspricht. stellen. Dies passiert nicht nur mit Als die bewegten Bilder populärer wurden, dem Judentum, sondern auch mit dem haben viele Juden in der neuen Branche ihr Christentum und dem Islam oder einer Glück versucht. Es gab nur wenige Film- anderen Religion. Solche Inhalte gelten produktionsfirmen in Hollywood, in denen den Menschen, die keiner religiösen Insti- keine Juden aktiv gewesen waren. Seitdem tution angehören und kein Interesse haben, leisteten und leisten sie einen großen Bei- sich mit religiösem Denken auseinanderzu- trag zu Kinematographie. setzen. Diese Zielgruppe glaubt, sie sei Trotzdem sind viele Produktionen in der areligiös, deswegen bekommen sie die Unterhaltungsindustrie weit von den realen gleiche „Beilage – aber unter einer anderen Darstellungen des Judentums entfernt. Alle Soße“. Hier kann nur die mit der jeweili- Filme spiegeln den Blickwinkel eines Pro- gen Tradition vertraute Person die Parallele duzenten bzw. Regisseurs wider. Falls je- entziffern. mand der oben Genannten einer jüdischen Da wir in einem Zeitalter leben, in dem Gemeinde angehört, ist es eine unorthodo- großer Wert auf der Geschwindigkeit der xe Gemeinde. Das bedeutet, dass das Dar- Informationsübertragung gelegt wird, wer- gestellte keine Wiederspiegelung, sondern den immer weniger junge Menschen, falls eine Betrachtungsweise des jüdischen Le- keine Notwendigkeit vorliegt, auf das Me- bens abbildet. Mir persönlich ist nur ein dium Buch zurückgreifen. Das geschriebe- Spielfilm bekannt. Der hat den hebräischen ne Wort mit seinen komplexen Inhalten Titel „Uschpisin“ (Gäste). Dieser Film wird in der Massenkultur eine geringe Rol-
8 le spielen, so wie es schon im Mittelalter enorme Rolle. Sie können, wie übrigens Stand der Dinge war. Filme als Medium jedes andere Werkzeug, zum Heil oder spielen bei einer solchen Gesellschaft eine zum Verderben führen. Film und Religion – aus christlicher Perspektive von Pastor Dr. Hans-Christoph Goßmann Film und Religion, konkreter formuliert: Ein Blick auf die Geschichte des Films Film und christlicher Glaube – ist das kann hier den Weg zu einer möglichen überhaupt ein Thema? Ich gehe gerne ins Antwort aufzeigen. Denn der Beginn die- Kino, selten, aber gerne. Die Frage, ob dies ser Geschichte wurde oft mit dem Slogan in irgendeiner Weise in Beziehung zu mei- verbunden: „als die Bilder laufen lernten“. nem christlichen Glauben steht, stellt sich Geht es bei der Ablehnung des Films sei- mir dabei nicht. Kinobesuche sind für mich tens fundamentalistischer Christinnen und weder eine Ausdrucksform christlichen Christen um das Thema ‚Bild‘? Steht hin- Glaubens noch stehen sie in Widerspruch ter dieser Ablehnung letztlich das biblische zu diesem. Es ist jedoch so, dass Bilderverbot? es andere Christinnen und Chris- Um diesen Fragen nachzugehen, ten gibt, für die dies anders ist. legt es sich nahe, das Bilderver- Kinobesuche sind für sie mit bot und seine christliche Rezep- ihrer Form christlichen Glau- tion näher in den Blick zu neh- bens unvereinbar. Nun könnte men und zu fragen, wie es um ich mich auf den Standpunkt das Bilderverbot im Christentum stellen, dass mich eine solche bestellt ist. Werfen wir zunächst Einstellung in meiner christli- einen kleinen Blick in die Kir- chen praxis pietatis nicht in Fra- chengeschichte: In der Frühzeit ge zu stellen braucht, handelt es waren Bilder kein Thema. Im sich doch um evangelikale, z.T. frühen Christentum wurden Bil- gar fundamentalistische Chris- der ebenso abgelehnt wie im tinnen und Christen, die fürch- spätantiken Judentum. Die Göt- ten, dass der Film den Charakter ter- und Kaiserbilder, die religi- verdirbt, weil er nach ihrer Auffassung öse Verehrung erfuhren, waren auf das ständig von Sex & Crime handelt und so- Engste mit dem Götzendienst verbunden. mit vor allem die sündige Welt ins Bild Ab dem dritten Jahrhundert zogen jedoch setzt und in gewisser Weise feiert. Chris- Bilder in die Kirche ein. Dies ist durch die tinnen und Christen, die eine solche Auf- Hauskirche von Dura Europos in Ostsyrien fassung vertreten, gibt es auch in Deutsch- am Euphrat (um 235) belegt. land, nicht nur in den USA, auch wenn sie Aber mit den Bildern kam auch der Bilder- bei uns eine kleine Minderheit darstellen. streit in die Kirche. In der Ostkirche entwi- Aber wenn sie ihre Ablehnung von Kino- ckelte sich anhand des Chalcedonense, des besuchen und Filmen allgemein mit ihrem Glaubensbekenntnisses des Konzils von christlichen Glauben begründen, so nehme Chalcedon in Jahr 451, ein Streit über die ich dies zum Anlass, nachzufragen, ob Ki- Frage, ob Christus auf Ikonen dargestellt no- und andere Filme lediglich aufgrund werden dürfe oder nicht. Die Bildergegner ihrer Inhalte abgelehnt werden. Gibt es hier (Ikonoklasten) vertraten die Auffassung, womöglich noch einen anderen Grund, dass Bilder von Christus seine menschliche eine theologische Dimension, die uns aus Natur zu stark in den Vordergrund rücken dem Blick geraten ist? würden und Christus als wahrer Gott nicht bildlich dargestellt werde könne. Die Bil-
9 derverehrer (Ikonodulen) hielten dem ent- Hälfte des 16. Jahrhundert wurden zahlrei- gegen, dass der göttliche Geist die bildli- che theologische Abhandlungen zur Bil- che Darstellung durchdringe. Im Jahr 726 derfrage veröffentlicht. Dies belegt, dass verbot Kaiser Leo III. die Ikonen und ver- die Bilderfrage zur der Zeit eine wichtige anlasste ihre Vernichtung in den Kirchen Frage gewesen ist. und Klöstern. Dieses Verbot wurde durch Soweit zur Bilderfrage in der Vergangen- das Konzil des Jahres 754 bestätigt. Der heit. Dieser kleine geschichtliche Über- Bilderstreit wurde lange Zeit erbittert ge- blick zeigt, dass von einer grundsätzlichen führt. Nachdem das Konzil von Nicaea im Ablehnung der Bilder im Christentum kei- Jahr 787 die Bilderverehrung erlaubt hatte, ne Rede sein kann. In der Gegenwart der begann unter Leo V. (813-820) ein neuer evangelisch-lutherischen Kirche ist diese Bildersturm, der unter Kaiser Theophilus Frage nicht mehr von Relevanz, auch wenn (829-843) zu seinem Höhepunkt kam. Erst das Bilderverbot auch heute noch derge- dessen Witwe Theodora beendete den Bil- stalt bei Intellektuellen nachwirkt, dass sie dersturm im Jahr 843. Danach breitete sich nur dem Wort die Fähigkeit zur Abstrakti- in der Ostkirche die Ikonenmalerei aus. on, zum Denken zuschreiben. Dem ist je- Mit dem Sonntag der Orthodoxie, der 844 doch mit Dieter Prokop (ders., Art. Film, sozi- zum ersten Mal gefeiert wurde, wurde das ologisch, in: RGG4, Bd. 3, Sp. 122) entgegenzu- Bild in eine enge Beziehung zur Inkarnati- halten, dass „Bilder intelligente Produktio- onslehre gesetzt: Wer Bilder von Christus nen und Zuspitzungen von Gedanken“ ablehne – so hieß es –, der leugne auch die (ebd.) sind. „Wer ‚sich ein Bild macht‘, erlösende Menschwerdung des Gottessoh- entwickelt auch seinen Verstand.“ (ebd.). nes. Dem entspricht, dass in der evangelisch- Damit ist die Geschichte des Bilderstreits lutherischen Kirche Filme nicht kontrovers jedoch keineswegs beendet. In der Zeit der diskutiert werden. Ganz im Gegenteil: Reformation wurde er wieder erbittert ge- Filme haben ihren festen Ort in der kirchli- führt. Hatte Luther zunächst gegen Bilder chen Bildung. So gibt es die Jury Evange- opponiert, um der Auffassung entgegenzu- lischer Filmarbeit. treten, dass ihre Stiftung ein verdienstvol- Werfen wir einen kleinen und keineswegs les Werk sei, distanzierte er sich später von umfassenden Blick in die Geschichte des den Bilderstürmern – Karlstadt in Witten- Films und seiner Beziehung zur Religion: berg und den Wiedertäufern in Münster – In der Geschichte des Films wurden von und würdigte die Bilder als Möglichkeit, Anfang an religiöse Inhalte dargestellt. Die das des Lesens unkundige Volk zu lehren. ersten Bibelfilme datieren in das Jahr 1897 Damit griff er auf die alte Auffassung zu- und waren gefilmte oder nachgestellte Pas- rück, Bilder in der Kirche seien als „biblia sionsspiele. Im Tonfilm der 40er und 50er pauporum“ – als „Bibel der Armen“, die Jahre wurde Bibelfilme und Heiligenfilme nicht lesen konnten – katechetisch nütz- gedreht. In den 70er Jahren gab es die Gat- lich. Auch Bilder standen für Luther somit tung des religiösen Monumentalfilms im im Dienst der Verkündigung. Fernsehen, z.B. den Film ‚Jesus von Naza- Durch seine Anweisungen zur Bebilderung reth‘ aus dem Jahr 1976. Im Kino wurden der Bibel legte Luther zudem die Grundla- Pop-Versionen religiöser Themen gezeigt, ge für eine eigenständige Ikonographie. Filme wie ‚Jesus Christ Superstar‘ aus dem Dem entspricht, dass Luther das Bilderver- Jahr 1972. In den 90er Jahren stellte sich bot nicht in seine Zusammenstellung der die Situation anders dar. Da gab es neben Zehn Gebote aufgenommen hat. Zwingli klassischen Bibelfilmen wie der TV-Serie und Calvin lehnten dagegen Bilder völlig ‚Die Bibel‘ aus den Jahren 1993ff. religiö- ab, sodass Kirchen calvinistischer Prägung se Filme für ein breites Publikum – um nur bis heute ohne figürlichen Schmuck aus- ein bekanntes Beispiel zu nennen: den kommen und kein Kruzifix, sondern ledig- Film ‚Dead Man Walking‘ aus dem Jahr lich ein leeres Kreuz haben. In der zweiten 1995. In dieser Zeit gab es auch viele reli-
10 giöse Bilder und Themen im populären zulehnen – diese Ablehnung dann jedoch Genrekino. Soweit mein kleiner geschicht- auch theologisch fundiert in die Diskussion licher Überblick. einzubringen. Jetzt werfe ich einen kurzen Blick auf das Um dies anhand eines Films exemplarisch Segment des religiösen Kinos. Dort begeg- zu illustrieren, den ich bisher noch nicht nen in erster Linie historisierende Bibel- genannt habe: des Films ‚Das Leben des und Heiligenfilme. Aber es gibt auch indi- Brian‘ aus dem Jahr 1979. In diesem Film rekte Zugänge: In Geschichten, die meis- antwortete der Leprakranke auf die Frage, tens in der Gegenwart spielen, werden bib- wer ihn geheilt hat: lische Figuren und Themen reflektiert, oft Transfigurationen des Jesus-Gestalt. In „Jesus war’s Sir. Ich komm da meines vielen populären Kinofilmen geht es um Weges gehüpft, grüble über dies und das, Erlöserfiguren mit mehr oder weniger ja und auf einmal kommt er angesaust und deutlichen Bezügen zur Person Jesu. Die heilt mich. Eben noch ein Leprakranker Regisseure thematisieren in ihren Filmen mit einem Gewerbe, im nächsten Moment theologische Fragen der Gegenwart wie war ich arbeitslos. Er hat mich nicht mal Gotteskrise, Sinnsuche, Schuld, Erlösung, gefragt, ob er das darf. Er sagte nur: ‚Du Tod/Sterben/Jenseits, ethische Orientie- bist geheilt, Kumpel‘. Verdammter Wohl- rung etc. – oft in realistischen Filmen, in täter.“ denen es um Konflikte geht. Film ist Kunst. Filmemacher haben die oft Das Jesus-Bild, das hier gezeichnet wird, zur Sprache gebrachte künstlerische Frei- entspricht keineswegs dem Jesus-Bild, das heit und das ist gut so, denn ohne diese ich den Schriften des Neuen Testaments Freiheit könnten sie ihre Kunst nicht aus- entnehme. Denn dort drängt sich Jesus üben. Das betone ich deshalb, weil die ein- nicht ungefragt auf und heilt Kranke nicht gangs genannte Ablehnung von Kino- und gegen ihren Willen. Dies werde ich exemp- anderen Filme seitens evangelikaler und larisch anhand einer der bekanntesten Hei- fundamentalistischer Christinnen und lungsgeschichten des Neuen Testaments Christen auch mit der Ausübung eben die- zeigen: der Heilung am Teich Betesda. Sie ser künstlerischen Freiheit begründet wird. steht im Johannesevangelium im fünften Der eben genannte Film ‚Jesus Christ Su- Kapitel. In der Lutherübersetzung hat sie perstar‘ erfuhr eine derartige Kritik in ho- folgenden Wortlaut: hem Maße. Als ich ihn mir damals in ei- nem Münchener Kino angesehen habe, Danach war ein Fest der Juden, und Jesus wurde mir wie auch allen anderen Kinobe- zog hinauf nach Jerusalem. Es ist aber in sucherinnen und -besuchern von Demonst- Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der rantinnen und Demonstranten ein Flugblatt heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf in die Hand gedrückt, auf dem zu lesen Hallen; in denen lagen viele Kranke, Blin- war, dass Jesus Christus niemals ein Su- de, Lahme, Ausgezehrte. perstar sei und dieser Film somit abzuleh- Es war aber dort ein Mensch, der war seit nen sei. Ich habe mir dieses Flugblatt wäh- achtunddreißig Jahren krank. Als Jesus ihn rend der Werbung vor dem Film durchge- liegen sah und vernahm, dass er schon so lesen, was mein Interesse an diesem Film lange krank war, spricht er zu ihm: Willst allerdings nur verstärkt hat. Nicht, dass ich du gesund werden? Der Kranke antwortete jede seiner expliziten und vor allen impli- ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der ziten theologischen Aussagen für richtig mich in den Teich bringt, wenn das Wasser halte, aber eben damit bieten diese theolo- sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so gischen Aussagen den Anlass, sie zu disku- steigt ein anderer vor mir hinein. Jesus tieren. Und es ist gut, über theologische spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett Aussagen zu diskutieren, sie in Frage zu und geh hin! Und sogleich wurde der stellen und dabei gegebenenfalls auch ab-
11 Mensch gesund und nahm sein Bett und radezu rel. Funktion übernommen. Mythi- ging hin. sche Kreisläufe von Schuld, Opfer, Stell- Johannes 5, 1-9 vertretung und Erlösung werden immer neu vollzogen und miterlebt.“ (Inge Kirsner, Wie hat Jesus den Kranken geheilt? Zu- Art. Film und Religion. IV. Praktisch-theologisch, nächst einmal dadurch, dass er diesen in: RGG4, Bd. 3, Sp. 127). Die Möglichkeit, ernstgenommen und nicht entmündigt hat, dass das Kino zu einem Ort religiöser Er- indem er ihn fragte: „Willst du gesund fahrung werden kann, wurde von einem werden?“ (Vers 6b). Die Entscheidung zur jungen Leser der Neuen Züricher Zeitung Heilung hat also der Kranke getroffen und zur Sprache gebracht. Der schrieb vor eini- nicht Jesus. Es war also gerade nicht so gen Jahren an Jörg Herrmann, den Direktor wie in dem eben zur Sprache gebrachten der Evangelischen Akademie der Nordkir- Zitat aus dem Film ‚Das Leben des Brian‘. che in Hamburg: „Wer war dieser unbe- Der johanneische Jesus handelt signifikant kannte Sam Mendes, dass er es vermochte, anders als der dieses Films. Er tut all das, mich mit so starken religiösen Empfindun- was die Menschen in den zurückliegenden gen zu überwältigen? Ich fühlte mich er- achtunddreißig Jahren offensichtlich nicht leuchtet, als ich nach ‚American Beauty’ getan haben: Er nimmt ihn wahr, er spricht den Kinosaal verließ. Ich stand später mit ihn an, er fragt ihn, was er möchte, und er meiner ‚American Beauty’-Erkenntnis üb- heilt ihn. Es war also eine heilsame, eine rigens ziemlich alleine da. Die kinobegeis- heilende Begegnung von Jesus mit dem terten Mitschüler waren überzeugt, nichts Kranken. Dies bewusst in den Blick zu weiter als eine ganz gut gelungene Satire nehmen, über diese neutestamentliche gesehen zu haben.“ Diese Zeilen stehen in Aussage nicht gleichsam hinwegzulesen – einem Leserbrief, der Jörg Herrmann als dazu kann sich die Gegenüberstellung mit Reaktion auf die Publikation einer religi- der zitierten Aussage aus dem Film ‚Das onshermeneutischen Interpretation des Leben des Brian‘ als durchaus hilfreich Films „American Beauty“ (USA 1999) von erweisen. Sam Mendes erreichte. Diese Leserzu- Der Film ist aus der Kunst der Gegenwart schrift reagierte auf einen Artikel in der nicht wegzudenken. Es ist wohl nicht über- NZZ: Jörg Herrmann, Ekstasen des Se- trieben, ihn das das Medium des zwanzigs- hens. Das Kino als Ort religiöser Erfah- ten Jahrhunderts zu bezeichnen. Er spiegelt rung, in: NZZ, 3.1.2004, S. 59. die Gegenwart. Er interpretiert und kom- Es geht also beim Thema Film und Religi- mentiert die Welt. Das hat er mit der Theo- on nicht nur um die Identifikation und logie gemeinsam, denn die tut das auch, Analyse religiöser Motive im Film, es geht jedoch auf eine andere Art und Weise. Bei auch darum, wahrzunehmen, dass der Film allen Gemeinsamkeiten sind Kino und Kir- selbst religiöse Funktionen übernehmen che unterschiedliche Erzählgemeinschaf- kann. Religiöse Kommunikation findet ten. Und eben diese Differenz ermöglicht nicht nur innerhalb von Kirchenmauern es, dass sie einander bereichern und sich und in religiösen Gemeinschaften statt. Sie gegenseitig als autonome Partner*innen in geschieht auch im Kino. Dialog und Differenzerfahrung sehen und stehen lassen können. Meine kurze Einführung in das Thema Monatsspruch im Monat Film und Religion wäre jedoch unvollstän- Mai 2020 dig, wenn ich nicht noch eine weitere Di- Dient einander als gute Verwalter der mension dieses Themas benennen würde: vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der die Möglichkeit, dass das Kino selbst zu Gabe, die er empfangen hat! einem Ort religiöser Erfahrung werden kann. Der Film hat – um es mit den Wor- 1. Petrus 4, 10 ten von Inge Kirsner zu sagen – „eine ge-
12 Der Islam im Film von Imam Dr. Ali-Özgür Özdil Als sich im Januar 2020 Juden, Christen Der Grund für diese Vorgehensweise ist und Muslime inzwischen zum zehnten Mal Rücksicht vor den religiösen Gefühlen von im Christian Jensen Kolleg in „Zu Gast in Muslimen. Abrahams Zelt“ trafen, war das Thema der Filme wie „Monsieur Ibrahim und die Tagung: „Religionen im Film“. Blumen des Korans“ (mit Omar Sharif in Der islamische Teil begann am Freitag, der Hauptrolle) und „Die große Reise“ dem heiligen Tag der Muslime. Dabei (beide aus dem Jahr 2004) sind französi- wurden Szenen aus amerikanischen, briti- sche Produktionen, in denen es um Reise- schen, französischen und deutschen Film- geschichten geht. In „Monsieur Ibrahim produktionen vorgestellt und miteinander und die Blumen des Korans“ reist ein jüdi- verglichen. Der Islam als Religion wird in scher Junge mit Monsieur Ibrahim, den er vielen Filmen thematisiert bzw. Aspekte, für einen Araber hält, in dessen Heimat die religiösen Charakter besitzen. Aller- Istanbul und lernt durch diesen den Islam dings gibt es kaum einen Film, der durch- kennen. In „Die große Reise“ begleitet ein gehend Religion thematisiert. junger Mann unfreiwillig Eine absolute Ausnahme bie- seinen Vater auf dessen Fahrt tet der Film „The Message“ mit dem Auto nach Mekka. (Originaltitel: „Mohammad – Die biographisch gedrehten The Messenger of God“) von Filme wie „Malcolm X“ Regisseur Moustapha Akkad. (1993) mit Denzel Washing- Dieser wurde 1976 in engli- ton in der Hauptrolle oder scher und arabischer Sprache „Ali“ (2001) mit Will Smith produziert. Inhaltlich handelt in der Hauptrolle, die eben- es sich um die Frühzeit des falls auf der Tagung vorge- Islam, genauer: um die Of- stellt wurden, thematisieren fenbarungszeit des Korans das Leben von zwei schwar- (609-632 n. Chr.) und somit zen, amerikanisch-muslimi- um einen historischen Film. schen Persönlichkeiten. Vie- Als Drehorte dienten Marokko und Libyen. len TeilnehmerInnen der Tagung war z.B. Das Besondere an dieser Produktion ist, die Rolle des Islam im Leben des Boxers dass im Film weder der Prophet noch seine Muhammad Ali nicht bekannt, vor allem Frauen oder seine engsten Gefährten ge- dessen Begründung für seine Verweige- zeigt werden. Wenn jemand mit dem Pro- rung, in den Vietnam-Krieg zu ziehen, pheten spricht, ertönt eine bestimmte Me- weswegen ihm sein Weltmeistertitel und lodie und der Sprechende blickt in die Ka- die Boxlizenz entzogen wurden. mera. Die Szenen, die die Anwesenheit des Viele andere deutsche Filmproduktionen Propheten darstellen sollen, zeigen somit sowie auch amerikanische, britische oder die Perspektive des Propheten. Die überlie- französische Produktionen bieten hingegen ferten Aussagen des Propheten werden von sehr viele Klischees, indem sie diese vor jenen gesprochen, die die Zeitzeugen des allem in Komödien verpacken (siehe Filme Propheten darstellen sollen, wie z.B. Ham- wie „Four Lions“ [2011], „Monsieur Clau- za, den Onkel des Propheten (gespielt von de und seine Töchter“ [2014 (Teil 1), 2019 Anthony Quinn). Der Film kommt also (Teil 2)] oder „Ein Lied in Gottes Ohr“ ohne das Bild und die Stimme des Prophe- [2017]). ten aus, sodass der Prophet Muhammad Den Gästen der Tagung wurde im islami- nicht abgebildet wird. schen Teil der Film „Willkommen in Al-
13 manya“ (2011) gezeigt. Der Film ist eine rien, die Personen oder Epochen aus der deutsche Produktion aus dem Genre „Dra- islamischen Geschichte thematisieren (Ya- ma“ von der Regisseurin Yasemin Şamde- mak Ahmet [2011], Diriliş Ertuğrul [2014] reli. Der Film zeigt das Leben einer türki- Yunus Emre [2015], Somuncu Baba schen Familie, die bereits in der dritten [2016] oder Payitaht [2017] usw.). „Diriliş Generation in Deutschland lebt. Wenn man Ertuğrul“, das die Endzeit des Seld- den Film unter dem Aspekt religiöser In- schukischen Reiches und die Entstehungs- halte schaut, erkennt man vor allem in der zeit des Osmanischen Reiches thematisiert, Sprache der ersten Generation religiöses sowie „Payitaht“, das das Ende des Osma- Vokabular. Der Film thematisiert nicht nischen Reiches thematisiert, gehören zu ausschließlich Religion oder Islam. Wenn den erfolgreichsten türkischen Serien, auch aber islamische Inhalte vorkommen, dann wenn religiöse Serien zahlenmäßig in der völlig undramatisch und wie aus dem ech- Masse der Produktionen mit Liebensdra- ten Leben von Arbeitsmigranten. men untergehen. Muslimische Produktionen hingegen, bei Im deutschsprachigen Raum gibt es keine denen wir von „religiösen Filmen“ spre- nennenswerten Filme zum Islam, die als chen könnten, seien es türkische, arabische „religiöse Filme“ bezeichnet werden könn- oder persische Filme und Serien, themati- ten. Der Islam und Muslime werden in sieren oft das Leben religiöser Persönlich- Filmen eher am Rande, und wenn über- keiten. Sowohl ältere als auch die neueren haupt, sehr klischeehaft dargestellt. Produktionen sind in der Regeln nicht in Die TeilnehmerInnen der Tagung wurden europäische Sprachen synchronisiert und für „Religion(en) im Film“ sensibilisiert, haben auch oft keine Untertitel, weswegen auch wenn die angeschnittenen oder ge- es nicht möglich war, diese oder Teile da- zeigten Beispiele eher unter dem Aspekt raus auf der Tagung zu zeigen. „Drama“, „Historienfilm“ oder „Komödie“ In der Türkei, in der weltweit, nach den liefen. USA, die meisten Serien gedreht werden, gibt es in letzter Zeit eine Reihe von Se- * * * Neues aus der Jüdischen Gemeinde Pinneberg von Oshra Beate Danker Es ist wieder an der Zeit, zurückzuschauen es das Jahr 3597 nach der Erschaffung der auf das vergangene Vierteljahr, um für Welt. Im Zuge verschiedener kriegerischer unsere Schwestergemeinde einen kleinen Auseinandersetzungen um die Herrschaft Bericht zu schreiben. über und in Jerusalem war der dem einen Mein letzter Bericht endete mit Simchat einzigen Gott gewidmete Tempel ausge- Tora .... und damit ist ja auch die Saison raubt worden und Götzenkulte fanden da- der vielen Feste, die direkt aufeinander rin statt. Sogar Schweinefleisch soll dort folgen, abgeschlossen und ein neuer Zyk- geopfert worden sein. Die Makkabäer – lus der Toralesung hat begonnen. über die Rolle der Makkabäerinnen wissen Die erste Kerze für Chanukka, das achttä- wir nichts – haben dann einen Aufstand gige Lichterfest, wurde am Abend des 22. unter der Leitung eines Judas ha-Makkabi Dezember 2019, zum Beginn des 25. Tag (der Hammer-Gleiche) genannten Führers des jüdischen Monats Kislew gezündet. veranstaltet und konnten den Tempel zu- Chanukka erinnert uns an das Ölwunder rückerobern. Nun gab es aber nur noch für aus dem Jahr 164 vor der christlichen Zeit- einen Tag Öl für die Menora, den sieben- rechnung .... nach jüdischem Kalender war armigen Tempelleuchter, der niemals erlö-
14 schen sollte. Neues Öl für die Tempelnut- vor mehr als 2000 Jahren im Zusammen- zung vorzubereiten hat aber acht Tage ge- hang mit dem Tempel in Jerusalem zu er- dauert. Durch ein Wunder habe das wenige innern. Öl aber acht Tage gebrannt, bis das neue Die Pinneberger Gemeinde hat Chanukka Öl für die Menora fertiggestellt war. Daran am Freitagabend, dem 27. Dezember, ge- wird nun jedes Jahr erinnert, indem an ei- meinsam gefeiert, mit dem Entzünden des nem speziellen Kerzenleuchter, der Cha- sechsten Lichtes. Und wie immer haben nukkia, an jedem Abend des acht Tage wir uns sehr gefreut, dass Pastor Hans- währenden Festes die Kerzen oder Öl- Christoph Goßmann das Fest der Hoffnung leuchten mit einer speziellen mit uns gefeiert hat! Anzünderkerze, Dienerkerze Zum 27. Januar hat Dr. Sabine oder Schamasch genannt, nach Bielfeldt vom Vorstand der einer bestimmten Ordnung Pinneberger Gemeinde anläss- entzündet werden. Es gibt be- lich des 75. Jahrestages der stimmte Spiele und Lieder Befreiung des Konzentrations- und, wie könnte es anders sein, lagers Auschwitz durch die auch spezielles Essen ... vor- Rote Armee einen Vortrag zugsweise Ölgebackenes. Suf- gehalten zum Thema „Ent- ganiyot sind die israelische wicklung des Jüdischen Le- Version von Krapfen oder bens in Deutschland nach auch Berlinern, Latkes sind 1945“ mit anschließender Dis- Kartoffelpuffern ähnlich. kussion, in Kooperation mit In Hamburg hat am 22. Dezember 2019 der Jerusalem-Akademie. Die Veranstal- eine Veranstaltung vor der Ruine des alten tung war gut besucht und sehr spannend Tempels in der Poolstraße, ganz in der und erkenntnisreich. Wir freuen uns sehr Nähe der Laeiszhalle, stattgefunden, um auf weitere Kooperationen! darauf hinzuweisen, dass hier ein Bauwerk Ich bin schon am Ende meines kleinen von großer kultur- und religionsgeschicht- Berichtes angekommen, das nächste Fest licher Bedeutung verrottet und dringend wird TuBiShwat sein, das Neujahr der gerettet werden muss ... nämlich der erste Bäume ... ein Bericht folgt in der nächsten Tempel des Reformjudentums, erbaut Ausgabe. 1844. Wie ich finde, ein schöner Anlass, um dort mit dem Entzünden der ersten Chanukkakerze und dem Sprechen des da- * * * zugehörigen Segens an das große Wunder Neues von der Musik von Germaine Paetau Unsere kleine Gemeinde schafft immer lass des zehnjährigen Bestehens der Jerusa- wieder sehr Erstaunliches: So war es mög- lem-Akademie. Es handelte sich dabei um lich, dass an jedem, wirklich an jedem eine musikalische Lesung aus Herrn Ko- Vorabend eines Adventssonntages ein sels gleichnamigem Roman einschließlich Konzert in unserer Kirche aufgeführt wur- der Uraufführung der zugehörigen Kompo- de. sition. Die Veranstaltung fand statt in Ko- Den Reigen führte die äußerst beachtens- operation mit der Gesellschaft für Christ- werte Inszenierung Mathias Christian lich-Jüdische Zusammenarbeit in Ham- Kosels „Das Lied der Amsel“ an, aus An- burg.
15 Die Ausführenden wa- die meisten der jü- ren Emanuel Mesh- disch-deutschen Bezie- winski an der Violine, hungen jener Zeit. Samantha Hoefer und Ganz besonders aber Michael Lott, die vor- wird diese Erzählung lasen, der Chor „Voca- durch die Rahmen- lion“, M.C. Kosel, der handlung, in der Peter- Klavier spielte und die Paul Langmaack ….. Leitung innehatte, und Doch halt! Sie sollten die Jungen Streicher diesen Roman selbst Hamburg, angeleitet lesen, denn er berichtet und dirigiert von Bar- nicht nur eine wirklich bara Kuhnlein. Die be- interessante Geschich- gleitende Dramaturgie wurde durch Dr. te, sondern der Text bietet auch durch die Sonja Valentin ausgeführt. gewählte Tagebuchform einen besonderen Diese Aufführung gelang atemberaubend: sprachlichen Genuss, den man sich nicht Die Jungen Streicher Hamburg mit ihrem entgehen lassen sollte. so satten, vollen Klang führten zu Beginn Sie können sich vorstellen, dass diese be- den Khosidl, eine Art Klezmer-Tanz, vor, wegende Aufführung, die um 19.00 be- in der Bearbeitung von M.C. Kosel, und gann, sich bis in den späten Abend hinein zum Abschluss gemeinsam mit Emanuel fortsetzte durch viele intensive Gespräche Meshwinski das Herz anrührend „Das Lied zwischen Darstellern und Publikum nach Der Amsel“, eine Uraufführung ebenfalls dem Ende der Vorstellung. von M.C. Kosel komponiert. Dieser am Klavier und der Violonist intonierten zu- „Vocal total meets rhythm & voice con- sammen „Vidui“ von Ernest Bloch, ein nection – gemeinsames Weihnachtskonzert Reuegebet aus der Chassidischen Suite am 7. Dezember um 19.00 Uhr in der Jeru- „Baal Shem“. Vocalion sang verschiedene Sätze, so „Mit Lieb bin Ich Umfangen“ von Johann Steuerlein, „Das Licht Der Welt“ von M.C. Kosel, „Öwer De Stillen Straten“ von Ernst Licht nach einem Ge- dicht von Theodor Storm und „Dos Kelbl“ (Donaj, Donaj, Donaj, Doj“), ein Jiddi- sches Traditional. Und Herr Kosel imitierte nicht nur den Klavierunterricht der Prota- gonistin eindrücklich, sondern er brachte salem-Kirche“, so lautete die entsprechen- auch fetzige amerikanische Musik aus der de Ankündigung in unserem Gemeinde- Tanzstunde zu Gehör, z.B. einen Black brief. Was sich dahinter verbarg, war ein Bottom. Ebenso faszinierend wirkten die reichhaltiges Potpourri aus besinnlichen beiden Vorleser*innen, Frau Hoefer und und heiteren Weihnachtsliedern zahlreicher Herr Lott, die dem Publikum mit lebendi- Länder wie z.B. „Gaudete“ (nach einem ger Sprache und eindrücklicher Gestik und Satz aus dem 15. Jhdt.), „Entre le boeuf et Mimik alle Situationen nahebrachten. l‘âne gris“, „Oh komm, du Morgenstern“, Der zugrunde liegende Roman schildert die oder ein Mitsinglied für das Publikum zunächst zaghafte Liebe eines jungen „What a penny in the old man‘s hat“. Vo- Mädchens zu einem jüdischen Jungen, der cal total trug zwölf solcher Lieder vor, hinreißend Geige spielt, zur Zeit der natio- viele von ihnen a cappella, einige mit Or- nalsozialistischen Herrschaft in Deutsch- gel- oder Flötenbegleitung. Dann füllte land. Man ahnt, dass diese junge Liebe sich der Altarraum durch den zweiten Chor ebenso kein gutes Ende nehmen wird wie
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