Gentechnologie - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Zwischen Innovation und Umwelt - Bundesamt für Umwelt
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2 EDITORIAL Eilt uns die Gentechnologie davon? Die Biotechnologie entwickelt sich rasant. Damit kommen in unserer Gesellschaft Fragen und auch Unsicherheiten auf. Das BAFU ist gefordert, sich dieser Fragen anzunehmen. Als das Gentechnikgesetz in den frühen 2000er-Jahren erarbeitet wurde, war in der Forschung und Industrie die «Transgenese» das zentrale Gentechnikverfahren. Bei der Transgenese wird ein fremdes Gen in einen Empfängerorganismus übertragen, um diesen mit neuen Eigenschaften auszustatten. Während meiner Doktorarbeit an der ETH Zürich habe ich vor bald 20 Jahren ebenfalls mit der Transgenese gearbeitet. Diese Analysen haben gezeigt, dass gewöhnliche Darmbakterien Teile ihres Erbmaterials mit anderen Bakterien munter austauschen können, darunter auch Antibiotika-Resistenzgene, was die Risiken für unsere Gesundheit erhöht. Die Transgenese ist auch heute noch eine viel genutzte Gentechnik; in den letzten Jahren Bild: BAFU sind aber neue, revolutionäre Verfahren hinzugekommen, die unter dem Begriff Genome Editing zusammengefasst werden. Damit stehen nun Methoden zur Verfügung, die einen gezielten Eingriff in das Genom eines Organismus ermöglichen und so gewünschte Eigenschaften hervorbringen – auch ohne fremde Gene einzufügen. In den Bereichen Medizin, Pharmazie, Chemie, Lebensmittel und Pflanzenzüchtung finden diese Verfahren bereits erste kommerzielle Anwendungen. Forschung und Industrie versprechen sich viel davon: Sie sollen Lösungen ermöglichen für drängende Probleme unserer Gesellschaft. Dazu zählen beispielsweise die vereinfachte Herstellung von Biotreibstoffen, die Züchtung von trockenheits-, hitze- und pilztoleranten Nutzpflanzen oder die genetische Stärkung von bedrohten Tierpopulationen. Mit dem zunehmenden Einsatz der Gentechnik steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit einer unkontrollierten Verbreitung von genveränderten Organismen und von dort eingebrachten genetischen Veränderungen in die Umwelt. Bis heute ist kaum bekannt, wie die neuartigen Organismen mit der Umwelt interagieren und wie sie diese allenfalls beeinträchtigen. Um die Risiken angemessen beurteilen und die Sicherheit von Mensch und Umwelt gewährleisten zu können, braucht es noch viel Grundlagenforschung. Darüber hinaus stellen sich gesellschaftliche und ethische Fragen. Die Aufgabe des BAFU ist es, einen kritischen Blick auf den Schnittpunkt Gentechnik/ Umwelt zu haben, wissenschaftliche Grundlagen für faktenbasierte Entscheidungen bereitzustellen, den gesellschaftlichen Dialog zu fördern und für eine sichere Anwendung der sich dynamisch entwickelnden Biotechnologie zu sorgen. Mit der vorliegenden Ausgabe unseres Magazins möchten wir die Auseinandersetzung mit dem Thema befruchten. Ich bin überzeugt, dass sie Ihnen interessante Einblicke eröffnet. Franziska Schwarz | Vizedirektorin BAFU die umwelt 2 | 19
INHALTSVERZEICHNIS 3 Dossier 360° GENTECHNOLOGIE 8 Wo Biotechnologie hilft – 44 Klimaerwärmung und wie gefährlich sie ist Wie man im Sommer Städte kühlt 13 Was sich Biologin und Ethiker 48 Ressourcen zu sagen haben Wie sich nachhaltig bauen lässt 18 Wie ein kleiner Schnitt für 52 Klimawandel grosse Diskussionen sorgt Wie die Schweizer Klimazukunft aussieht 23 Wie Biohacker in Garagen forschen 56 Lärmbekämpfung Warum Tempo 30 wirkt 27 Warum fieberhaft Nachweisverfahren gesucht werden 59 Gefahrenprävention Wie Chlor sicher in die Schweiz kommt 31 Wie «Gentechfood» in die Schweiz kommt 34 Wie die Diskussion versachlicht wird 37 Was Gene Drive für bedrohte RENDEZ-VOUS Arten tun kann 4 Tipps 6 Bildung 7 Unterwegs 40 Vor Ort 42 International 43 Recht 62 Aus dem BAFU 62 Impressum 63 Meine Natur 64 Vorschau GRATIS ABONNIEREN IM INTERNET Bild: FRANZ&RENÉ UND ADRESS- www.bafu.admin.ch/ ÄNDE RUNGEN magazin Gentechnologische Verfahren bieten grosse Chancen, bergen www.bafu.admin.ch/ aber auch schwer abschätzbare Risiken. Deshalb schwankt die leserservice FACEBOOK-FANPAGE Gefühlslage vieler Menschen zwischen Hoffnung und Angst: www.facebook.com/ Lassen sich Menschen kopieren und designen, Arten schützen KONTAKT UmweltMag und Krankheitserreger beliebig ausmerzen? Auch das Titelbild magazin@bafu.admin.ch und 5 Fotografien innerhalb des Dossiers beschäftigen sich mit TITELBILD solchen Grundsatzfragen (S. 12, 22, 26, 30, 36). FRANZ&RENÉ die umwelt 2 | 19
4 360° RENDEZ-VOUS Tipps Zauber des Feuchtwaldes Die Moorwälder der Ibergeregg wurden von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) zur diesjährigen Landschaft des Jahres ernannt. Der Kanton Schwyz verfügt über 6 Moorlandschaften, die fast 6 Prozent der Kantonsfläche bedecken. Dazu gehören die ausgezeichneten Waldgebiete. Wer durch diese Gebiete streift, wähnt sich im hohen Norden: Stattliche Rot- und Weisstannen sowie Bergföhren finden sich inmitten einer dichten Krautvegetation von Hochstauden, deren Blätter tellergross sind und bis 2 Meter hoch den Boden bedecken können. Die Wälder beherbergen eine beträchtliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Die Moorlandschaften sind zwar bundesrechtlich geschützt, trotzdem sind dau- erhafte Schutzbemühungen nötig. Unter anderem dafür will der mit 10 000 Franken dotierte Preis sensibilisieren. Bild: Konrad Schuler sl-fp.ch Botaniktrainer Wer zwitschert da? Alles gegen Zecken Begleitend zum Buch Ist es das Wintergold- Die «Zecken»-App verfügt «Grundlagen der Feld- hähnchen oder doch das über eine Warnfunktion, botanik» gibt es nun die Sommergoldhähnchen? die anhand einer fünf- «Feldbotanik»-App. Wäh- Die App «Zwitschomat» stufigen Zeckenstich-Ge- rend im Buch die Wissensvermittlung ermöglicht es, Vogelstimmen zu er- fahrenskala das aktuelle Zecken- zu 80 Familien und 60 Gattungen im kennen und zu lernen – und dies ganz Gefahrenpotenzial in den verschiede- Zentrum steht, fokussiert die App auf ohne Internetverbindung. Die App nen Regionen der Schweiz via Satel- das spielerische Trainieren und Auf- funktioniert wie das Musikerken- litenkarte anzeigt. Zudem informiert bauen der eigenen Artenkenntnisse. nungs-Tool Shazam: Man nimmt die sie darüber, wie man sich vor Zecken Die Anwendung der freischaffenden Vogelstimme mit dem Handy auf, die schützt beziehungsweise einen Ze- deutschen Biologin und Autorin Rita Stimme wird während 12 Sekunden ckenstich behandelt und was mög- Lüder beschreibt über 700 Arten mit analysiert und zeigt einem schliesslich liche Borreliosesymptome sind. Eine zusätzlichen Angaben zu Morphologie, den gesuchten Vogel an. Falls der zusätzliche Funktion ist das Zecken- Zertifikatsstufe, Synonymen sowie zu Vogel nicht eindeutig identifizierbar tagebuch: Betroffene können dort Familien- und Gattungszugehörigkeit. ist, stellt die App eine Auswahl an ihren Zeckenstich eintragen und wer- Vögeln zur Verfügung, die als «Sän- den von der App nach jeweils 5, 10 und ger» infrage kommen. 28 Tagen daran erinnert. CHF 25.– | für Android und iPhone; Zwitschomat | CHF 4.– | ausschliesslich für Gratis | für Android und iPhone; haupt.ch/Feldbotanik-App.html iPhone zhaw.ch > Suche «App Zecke» Neuer Lebensraum für alte Arten Die Besucherinnen und Besucher des Papilioramas (FR) erhalten neuerdings einen einma- ligen Einblick in das «wilde Seeland», wie es unsere Vorfahren kannten. Von Schutzhütten aus können sie die Bewohner des neuen Aussenbereichs, des Auengebietes, beobachten. Mit einer Fläche von 2000 Quadratmetern simuliert dieses die Umgebung eines natürlichen Feuchtgebietes, das als Lebensraum für seltene einheimischen Vögel, Insekten und Repti- lien dient. Die Teiche und Wasserläufe der Anlage sind regulierbar, so können die Verant- wortlichen voll und ganz auf die Bedürfnisse der zugezogenen Bewohner eingehen. Der Erfolg des Projekts zeigt sich bereits jetzt: So legte etwa eine skandinavische Zwerg- schnepfe auf ihrer Reise südwärts in Kerzers (BE) eine Rast ein; und auch zwei Wasserral- len, eine der gefährdetsten Vogelarten ganz Europas, fanden im Auenbereich Zuflucht. Bild: zVg papiliorama.ch die umwelt 2 | 19
360° RENDEZ-VOUS 5 Sportlicher Konsum Pflanzenretter Solarstrom ohne Dach Der Verein Fairp(l)ay motiviert Jugend- Wie lässt sich ohne Dach Solarstrom liche und Erwachsene auf spielerische produzieren? Über 80 Prozent der Art und Weise zu einem gerechten Berner und Bernerinnen wohnen zur Konsumverhalten. Sein Motto: Eine Miete und können nicht einfach ein Sensibilisierung braucht eine konkre- Solardach bauen. Hier setzt die Ber- te Darstellung, die nachhaltig im Ge- ner Crowdfunding-Initiative «Sunrai- dächtnis bleibt. Das Schulprojekt «Fair sing» an: Für 350 Franken kann man Battles Kicker» etwa beleuchtet die sich einen Quadratmeter Solardach Themen Konsum, Fair Trade, Fairness, auf einem ausgewählten Haus im Chancengleichheit und Nachhaltigkeit Quartier sichern und so 20 Jahre lang und macht diese anhand eines umge- jährlich 110 Kilowattstunden Solar- bauten Töggelikastens erfahrbar. strom beziehen – das entspricht rund 10 Prozent des Jahresverbrauchs fairbattles.ch einer Person. sunraising.ch Das Ökotuch Bienenwachstücher, die um Lebens- Singende Nachtigall mittel oder auch über Schalen gelegt Bild: Rolf Holderegger werden, sind die ideale Alternative zu Verpackungen aus Plastik oder Alumi- Die Pflanzenwelt im Kanton Schaff- nium. Der Stoff aus Biobaumwolle, hausen ist aussergewöhnlich reich Schweizer Bienenwachs und Biojojo- (im Bild: Acker-Wachtelweizen). Be- baöl kann nach Gebrauch abgewa- reits im 19. Jahrhundert interessier- schen und wiederverwendet werden. ten sich Botaniker für die dort vor- Es gibt verschiedenste Produkte auf herrschenden mediterranen, mit- dem Markt, eines davon heisst teleuropäischen und östlichen Flo- eco-tsapi®. Bastelliebhaber können renelemente. Doch der Reichtum ist das Tuch auch selbst herstellen. bedroht, denn das Vorkommen sel- tener Pflanzen im Kanton hat sich eco-tsapi.ch halbiert. Dies zeigt das Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft Bild: Alamy Stock Photo Schaffhausen, welche die Bestände von seltenen Pflanzen im Kanton Zum 20-Jahr-Jubiläum hat sich das Lokal schwärmen untersucht hat. Darin porträtiert sie BirdLife-Naturzentrum Neeracherried 20 besondere Pflanzenarten und (ZH) etwas Spezielles ausgedacht: In Die Idee der Marktschwärmer ist der Sonderausstellung «Singen wie gibt einen Überblick über die Her- einfach: Sie ermöglichen lokalen Pro- die Vögel» tauchen Kinder und Er- kunft der Schaffhauser Flora, deren duzenten, deren Produkte online an- wachsene mit Kopfhörer und Tablet in Lebensräume und die bisherige Er- zubieten. Die Kundinnen und Kunden die Welt der Vogelklänge ein. Dies forschung. Als Grundlage für das bestellen auf einer Plattform saisona- befähigt sie, mit Vogelstimmen zu ex- Heft dienten die aktuellen Daten les Obst, Gemüse, Brot, Milchproduk- perimentieren und auch selbst Laute der Roten Liste der Schweizer Flora, te, Fleisch, Bier oder Naturkosmetik zu produzieren. Wer möchte nicht so die die Verluste des Pflanzenreich- und holen die Bestellung in der Schwär- schön flöten können wie die Amsel? tums im Kanton Schaffhausen auf- merei in der Nachbarschaft ab. Das Zur Vorbereitung auf den Besuch dür- zeigen. kann etwa in einem Café, in einer fen Lehrpersonen Schulmaterial von Schule oder auch in einem Gemeinde- der Website herunterladen. haus sein. «Seltene Pflanzen im Kanton Schaffhausen» | CHF 24.– | birdlife.ch/neeracherried marktschwaermer.ch ISBN: 978-3-033-07048-6 | info@ngsh.ch > Sonderausstellung «Singen wie die Vögel» die umwelt 2 | 19
6 360° RENDEZ-VOUS Bildung Idée Reparatur Jetzt gibt es ihn auch in Italienisch: Der Re- paraturführer ist eine Onlineplattform, auf der man Reparaturprofis findet oder sich selbst als solchen anbieten kann. Damit sollen Abfälle vermieden werden. Zudem sind Informationen zu Aktivitäten rund ums Reparieren, etwa zu Repair-Cafés, vorhan- den. Getragen wird die Plattform von Kanto- nen, Gemeinden und Städten. Mit dem Bild: zVg Kanton Tessin sind derzeit 17 Kantone sowie 4 Städte und Gemeinden dabei. Faszinierende Unterwasserwelt reparaturfuehrer.ch | reparateurs.ch | riparatori.ch Ruderwanzen (Bild), Wasserasseln, Wasserflöhe oder Gelbrandkäfer: Das Leben in unseren Teichen ist vielfältig und spannend – und vielen von uns trotzdem ziemlich unbekannt. Das will das BirdLife-Naturzentrum La Sauge ändern: Dem diesjährigen Hauptthema «Wirbellose Tiere der Teiche» ist die neue, interaktive Sonderausstellung Kreislaufprofis gewidmet. Die «Faszinierende Unterwasserwelt» soll dabei einem breiten Publikum vorgestellt werden. Dazu gibt es auch Führungen zum Thema in der Ausstellung und bei den Teichen entlang des Naturpfads für Erwachsene, Kindergruppen und Schul- «Das Programm vermittelt aktuellstes Wis- klassen auf Reservation. sen über die neusten Entwicklungen der Das BirdLife-Naturzentrum La Sauge zwischen Ins (BE) und Cudrefin (VD) befindet Entsorgungs- und Recyclingbranche und sich am Rand der beiden international und national bedeutenden Naturschutzgebie- eignet sich für Quereinsteiger ebenso wie zur te Fanel und Cudrefin und am Nordende des Neuenburgersees. Das Naturzentrum persönlichen Auffrischung», sagt Thomas beinhaltet eine Ausstellung und einen Naturpfad mit vier Beobachtungshütten. Diese Schmid, ehemaliger Kursteilnehmer und CEO ermöglichen zahlreiche spannende Einblicke in die Natur und wurden so gebaut, dass des Investment-Unternehmens Fontavis. Der die Tiere nicht gestört werden. Zertifikatskurs (CAS) Entsorgungs-/Recy- clingmanager/in HSG der Universität Sonderausstellung: bis 25. Oktober 2020 | Dienstag–Sonntag + Feiertage: 9 – 18 Uhr | St. Gallen will Teilnehmenden das Rüstzeug birdlife.ch/de/content/la-sauge auf den Weg geben, «um den anstehenden unternehmerischen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Wandel der Schweizer Abfallwirtschaft hin zu einer Tierische Teambildung Der Weltacker Kreislaufwirtschaft angemessen begegnen zu können». Der Lehrgang thematisiert betriebswirt- Teambildung mit Hühnern, «tieri- Teilt man die Ackerfläche dieser Welt schaftliche Fragestellungen im Entsor- sches» Gehirntraining für Seniorinnen durch die Zahl ihrer Bewohner, ergibt gungs- und Recyclinggeschäft. Partner- und Senioren, Smartphone-Fotokurs das etwa 2000 m² pro Mensch. Dar- schaften etwa mit Branchenverbänden oder Kaffeegenuss im Regenwald: auf muss alles wachsen, was wir sollen einen hohen Praxisbezug garantieren. Der Zoo Zürich verstärkt sein En- verbrauchen. Auf entsprechenden Er richtet sich an Kadermitarbeitende öffent- gagement in der Erwachsenenbil- Äckern in Nuglar (SO) und Attiswil lich-rechtlicher und privater Entsorgungs-, dung. In den entsprechenden Kursen (BE) führt das internationale Bil- Recycling- und Transportunternehmen sowie werden Themen aus der Lebens- und dungsprojekt «2000 m² Weltacker» an Personen, die eine derartige Funktion Arbeitswelt der Menschen mit The- Lernhalbtage für Schulklassen durch, anstreben. Geeignet ist er zudem für Vertre- men aus der Tierwelt verknüpft. So an denen die verschiedenen Schritte tungen von Behörden und Verbänden. soll das Interesse der Teilnehmenden der Lebensmittelproduktion thema- für die Tiere und deren Wohl gestärkt tisiert werden. Daneben gibt es auch Kosten: CHF 12 000.– (allenfalls CHF 1200.– für ein werden. Führungen für Erwachsene. einzelnes Modul) | Dauer: April–September 2019 | 11 ECTS-Punkte | Ort: St. Gallen; aufgrund des modulartigen Aufbaus ist ein Einstieg auch nach Übersicht, Dauer und Preise: zoo.ch/de/ Kursstart möglich; sami.benmessaoud@unisg.ch | führungen-events/kurse-und-seminare weltacker.ch +41 71 224 21 02 die umwelt 2 | 19
360° RENDEZ-VOUS 7 Unterwegs Wilder Rhein: Der hier noch ungezähmte Alpenfluss mäandert durch Bild: Beat Jordi die geschützte Auenlandschaft von nationaler Bedeutung. Mit Blick auf den Grand Canyon der Schweiz Die Wanderung von Flims-Waldhaus (GR) in Unterwegs durch den Uaul Grond – einen grossen mit die Rheinschlucht bietet spektakuläre Aus- Kalkblöcken übersäten Nadelwald – lohnt sich ein sichten auf das riesige Felssturzgebiet und kleiner Umweg zur Aussichtsplattform Il Spir bei Conn. den «Grand Canyon der Schweiz». Text: Beat Jordi Die Besucherterrasse aus Lärchenholz ist der Form eines Mauerseglers nachempfunden und schwebt Beim grössten Bergsturz in den Alpen donnerten vor direkt über dem Abgrund. Die Vogelperspektive bietet rund 9500 Jahren Millionen von Kubikmetern Kalkstein einen spektakulären Blick auf die bröckelnden Steil- in das Vorderrheintal und begruben den Fluss auf einer wände der Schlucht mit ihren bizarren Formen. Nahezu Länge von 14 Kilometern unter einem mächtigen Schutt- 400 Meter tiefer im Talgrund mäandert der hier noch kegel. Im Lauf der Zeit bahnte sich der zum Ilanzer See ungezähmte Alpenfluss durch die geschützte Auenland- aufgestaute Rhein seinen Weg fast 400 Meter tief durch schaft von nationaler Bedeutung (BLN-Gebiet). die Sedimente. So ist die imposante Naturlandschaft der Der Weg zur Station Valendas-Sagogn der Rhätischen Ruinaulta oder Rheinschlucht entstanden. Bahn (RhB) verläuft anfänglich durch die nährstoffar- Bereits kurz nach dem Start der Wanderung im Hö- men, an Orchideen reichen Erika-Föhrenwälder an der henkurort Flims-Waldhaus erwartet uns am türkisfar- südexponierten Flanke der Rheinschlucht. Über die benen Bergsee Lag la Cauma ein erster landschaftlicher Weidelandschaften von Tuora und Foppas erreicht man Höhepunkt. Das in einer Waldmulde gelegene Gewässer die Brücke über den Fluss und gelangt dann durch die hat keinen oberirdischen Zufluss, sondern wird durch Ruinaulta zum Bahnhof Versam-Safien. In der Über- Schmelzwasser und die grundwasserleitenden Karst- gangszone von Wasser und Land säumen dichte Weiss- formationen gespeist. Eine abdichtende Lehmschicht in erlenbestände, Grundwasserteiche, karge Kiesbänke der Tiefe hält das Wasser zurück, sodass es nicht voll- und Sandstrände den Weg. Auf engem Raum findet sich ständig im Boden versickert. Wie die anderen Kleinseen hier eine reiche Artenvielfalt mit seltenen Pflanzen und in der Region ist auch der auf knapp 1000 Metern über Wasservögeln wie zum Beispiel dem Flussregenpfeifer Meer gelegene Caumasee durch den Flimser Bergsturz und Flussuferläufer. Zudem leben in den vier Natur- entstanden. schutzgebieten vor Ort etwa 350 Schmetterlingsarten. rheinschlucht.ch die umwelt 2 | 19
8 DOSSIER GENTECHNOLOGIE Moderne Biotechnologie Potenzial mit schwer abschätzbaren Risiken In der Biotechnologie schreiten die Entwicklungen rasant voran. Die modernen Verfahren bieten ein grosses Anwendungspotenzial für Medizin, Pharmazie, Chemie, Lebensmittel- und Landwirtschaft. Noch aber lässt sich in vielen Fällen nicht ermessen, welche Risiken die neuartigen Veränderungen am Erbgut von Organismen bergen. Text: Nicolas Gattlen Im Wochentakt berichten die Medien über Bio- auch auf neuen Informations- und Automati- technologie: Jüngst etwa war zu lesen, dass am onstechnologien basiert. Ein besonders grosses Roslin Institute in Edinburgh (GB) Schweine ge- Potenzial wird neuen Techniken zur gezielten züchtet wurden, die immun sind gegen das PRRS- Genveränderung wie CRISPR/Cas (siehe Box Virus, den Erreger einer Schweinekrankheit. For- S. 9) zugeschrieben, weil sie effizient, präzise, schende haben einige wenige DNA-Bausteine im kostengünstig und deshalb breit zugänglich sind. Schweinegenom so umgeschrieben, dass das Virus Im Unterschied zu den «klassischen» Gentech- nicht mehr in die Zellen eindringen und sich dort niken, die meist zur Übertragung von bestimmten vermehren kann. Und in mehreren EU-Ländern Erbinformationen zwischen verschiedenen Arten finden Freilandversuche mit genveränderten (GV) (Transgenese) angewandt werden, lassen sich mit Pappeln statt: Diese sollen schneller wachsen, Genome-Editing-Verfahren wie CRISPR/Cas ge- mehr Biomasse ausbilden und weniger Lignin pro- zielte Veränderungen am Genom vornehmen, ohne duzieren – ein Vorteil, da der Stoff bei der Herstel- artfremde Gene einzufügen. Sie funktionieren lung von Papier oder Biokraftstoffen aufwendig wie eine «Genschere», mit der man an genau de- entfernt werden muss. finierten Stellen im Erbgut Schnitte setzen kann, Für Schlagzeilen sorgte auch eine Meldung, um einzelne Gene auszuschalten. Es lassen sich wonach in Burkina Faso genveränderte Mücken damit aber auch defekte DNA-Teile ersetzen oder freigesetzt werden sollen, deren Nachwuchs zu neue Gensequenzen in einen Organismus ein- 90 Prozent aus Männchen besteht (die natürliche fügen – nicht nur einzelne Gene, sondern ganze Proportion beträgt 50 Prozent). So soll die Mü- Gengruppen und -kombinationen an verschie- ckenpopulation massiv reduziert und die Malaria denen Stellen im Erbgut. eingedämmt werden, da nur weibliche Mücken Die jüngsten Fortschritte in der Biotechnologie diese Krankheit übertragen. haben zu einer markanten Zunahme an Anwen- dungen im Ausserhumanbereich geführt, insbe- Effizient, präzise, günstig sondere im pharmazeutischen Bereich, wo man genveränderte Mikroorganismen zur Herstellung Das sind nur drei Beispiele für den gegenwärti- von Medikamenten und Impfstoffen nutzt, sowie gen Entwicklungsschub, der auf einer intensi- in der Medizin (Gentherapie, Diagnostik), in der vierten Forschungstätigkeit in Molekularbiologie, Landwirtschaft (Nutzpflanzen), in der Forstwirt- kombiniert mit Mikrobiologie und Genetik, aber schaft (Bäume für die Holz- und Papierwirtschaft) die umwelt 2 | 19
DOSSIER GENTECHNOLOGIE 9 CRISPR/Cas – das «Schweizer Taschenmesser» der Gentechnologie Das CRISPR-System basiert auf einem Abwehrsystem, Das Verfahren läuft in drei Schritten ab: Zunächst muss mit dem sich Bakterien vor schädlichen Viren schützen. im Genom, das oft aus Milliarden von Basenpaaren (DNA- Bei einer Vireninfektion der Bakterie wird die DNA der Bausteine) besteht, punktgenau die Sequenz der Stelle eingedrungenen Viren in kleine Fragmente aufgespalten bekannt sein, bei der eine Änderung durchgeführt werden und in den CRISPR-Abschnitt eingefügt – Abschnitte im soll. Danach schleust man genau diese Sequenz in einen Bakterienerbgut, die aus kurzen, sich wiederholenden DNA- CRISPR/Cas-Komplex ein und fügt ihn in Zellen des Emp- Sequenzen bestehen. Die eingefügten Sequenzen dienen fängerorganismus. Die Zelle produziert dann die Gensonde der Wiedererkennung bei einer späteren Infektion. An den und die daran gekoppelte Genschere selbst. Die Schere wird CRISPR-Bereich gekoppelt sind Cas-Gene. Diese enthal- daraufhin von der Sonde zur gewünschten Stelle geführt und ten die Anleitung für die Herstellung eines Proteins, das zerschneidet dort den DNA-Doppelstrang. DNA-Stränge zerschneiden kann («Genschere»). Bei einem Anschliessend treten die zelleigenen Reparaturmecha- erneuten Virenbefall werden die DNA-Sequenzen in RNA nismen in Aktion. Beim ersten wird der durchtrennte DNA- umgeschrieben: Diese «Gensonde» prüft die Sequenz der Strang wieder zusammengefügt – allerdings meist mit klei- Viren-DNA. Stimmt diese mit dem gespeicherten Abschnitt nen Fehlern. Die Folge: Das betreffende Gen kann nicht überein, bindet die RNA an die virale DNA an und signa- mehr richtig abgelesen werden und funktioniert nicht mehr. lisiert der Genschere damit, sie zu zerschneiden und die Beim zweiten Mechanismus nutzt die Zelle eine Kopie des Vireninfektion zu stoppen. Genabschnitts als Reparaturvorlage. Solche Vorlagen kön- 2012 konnten Forschende erstmals zeigen, wie sich CRISPR/ nen künstlich erzeugt und in die Zellen eingefügt werden. Cas als programmierbare Genschere in Mikroorganismen So lässt sich die Sequenz an der Schnittstelle praktisch nutzen lässt. Kurz darauf gelang der Nachweis, dass die- nach Belieben editieren – es können also auch zusätzliche ses System auch in höheren Organismen wie Pflanzen und DNA-Abschnitte eingefügt werden. Deshalb spricht man bei Tieren funktioniert. diesen Werkzeugen von Genome-Editing. Gene Drive – die beschleunigte Ausbreitung einer Veränderung Die Gene-Drive-Technik zielt darauf ab, eine Eigenschaft rasch und präzise in einer bestehenden, frei lebenden Population zu verändern oder neu einzubringen. Das Prinzip ist simpel: Eine gewollte genetische Veränderung wird zusammen mit einem ge- netischen Kopiermechanismus in einen Organismus eingebracht. Dieser Mechanismus überträgt die gewünschte Veränderung immer auf beide Kopien eines Zielgens. Dadurch erhalten alle Nachkommen die Veränderung, und diese breitet sich im Laufe der Generationen in der Population aus (bei der normalen klassischen Vererbung wird eine genetische Veränderung nur an die Hälfte der Nachkommen weitergegeben). Im Labor wurden bereits erste Versuche mit CRISPR/Cas-basierten Gene Drives erfolgreich durchgeführt, zum Beispiel in Hefepilzen, Fruchtfliegen und Mücken. Mögliche Anwendungen werden insbesondere in folgenden Bereichen diskutiert: Public Health (Vernichtung von Insekten als Krankheitsüberträger oder Ausschalten von deren Fähigkeit, Krankheitsüberträger zu sein), Landwirtschaft (Bekämpfung von «Unkräutern» und «Schädlingen») sowie Naturschutz (genetische Stärkung von gefährdeten Arten oder Populationen). KLASSISCHE VERERBUNG: GENE-DRIVE-VERERBUNG: Nachkomme mit Genveränderung Nachkomme ohne Genveränderung Externe Partner die umwelt 2 | 19 Quelle: naturwissenschaften.ch
10 DOSSIER GENTECHNOLOGIE und in der Industrie, wo genveränderte Algen, Pil- gemeinsam daran, biologische Systeme wie Zellen, ze oder Bakterien zur Gewinnung von Ölen, Enzy- Moleküle und Gewebe im Labor zu entwickeln und men, Vitaminen oder Aromen eingesetzt werden. Organismen mit neuen Eigenschaften auszustat- Für die Tierzucht eröffnen sich dank Genome- ten oder herzustellen. Editing-Verfahren ebenfalls neue Möglichkeiten: Dabei geht es um Resistenzen gegen Infektions- krankheiten oder um grössere Muskelmasse, um «Der Biotech-Boom erfordert die Unterdrückung bestimmter Allergene in der Milch oder um die Eigenschaften der Wolle. Bisher weitere Anstrengungen scheinen diese Projekte erfolgversprechender zu bei Biosicherheit und sein als solche mit klassischer Gentechnik. Bereits auf dem Markt sind genveränderte «Leuchtfische» Umweltrisikobewertung.» und Fleischprodukte von GV-Lachsen, die schnel- Anne Gabrielle Wüst Saucy | BAFU ler wachsen und weniger Futter brauchen. In der Schweiz sind beide nicht zugelassen, da genverän- derte Wirbeltiere nur für Zwecke der Forschung, Im Unterschied zur klassischen Gentechnik wer- Therapie und Diagnostik an Menschen oder Tieren den nicht einzelne (artfremde) Gene in einen erzeugt und in Verkehr gebracht werden dürfen. Organismus übertragen, sondern neue oder ver- Unmittelbar vor einer grossen Konferenz zur änderte biologische Elemente und Systeme (z. B. Veränderung des menschlichen Erbguts Ende ein Stoffwechselweg mit mehreren involvierten letzten Jahres sorgte eine Neuigkeit für einen Genen) in Organismen eingeschleust, damit die- Aufschrei. Völlig überraschend wurde bekannt, se bestimmte Substanzen produzieren: etwa ein dass mit CRISPR/Cas genetisch veränderte Zwil- Medikament, ein Aroma oder einen Biotreibstoff. linge zur Welt gekommen sind. Die Babys sollen Es lassen sich so auch Materialien herstellen, die dadurch gegen das HI-Virus geschützt sein. Seit von keinem natürlichen Organismus produziert vor wenigen Jahren klar wurde, dass CRISPR/Cas werden, wie beispielsweise 1,4-Butandiol, eine auch beim Menschen angewendet werden könnte, Grundchemikalie für die Kunststoffproduktion. gilt in den Wissenschaften der Konsens, zumin- Ihre Herstellung basiert auf einem Syntheseweg dest für den Moment bei Menschen auf vererbbare ohne natürliches Vorbild. Oft werden Gene ver- Veränderungen zu verzichten. Die Nachricht löste wendet, deren DNA-Abfolge am Computer entwor- weltweit Diskussionen über Freiheit und Ziele der fen wurde, damit sie einen jeweils vorgegebenen Forschung und über den Bedarf einer strengeren Zweck erfüllen. Regulierung aus. In der Schweiz sind solche Ein- Der vermehrte Einsatz von Gentechnologien griffe ins menschliche Genom verboten. stellt neue Herausforderungen an den sicheren Umgang mit damit veränderten Organismen. Für Biologische Systeme aus dem «Labor» den Natur- und Umweltschutz besonders relevant sind genveränderte Organismen (GVO), die in der Ein weiterer Entwicklungsschub wird von der Umwelt freigesetzt werden oder unbeabsichtigt Synthetischen Biologie erwartet, einem noch in die Umwelt gelangen. Denn für diese gilt wie jungen interdisziplinären Forschungsgebiet im für alle Organismen: Sie vermehren, vermischen Schnittstellenbereich von Molekularbiologie, Che- und verändern sich. Nicht nur die Organismen, mie, Ingenieurwissenschaften, Biotechnologie sondern auch die eingebrachten genetischen Ver- und Informationstechnik (siehe Box S. 16). For- änderungen könnten sich in unerwünschter Weise schende verschiedener Fachrichtungen arbeiten vertikal (durch die Weitergabe an Nachkommen) die umwelt 2 | 19
DOSSIER GENTECHNOLOGIE 11 oder horizontal (durch die Übertragung von ge- Wissenschaft kann die Bedeutung der neuartigen netischem Material an andere Organismen) aus- Veränderungen an Genomen und die daraus fol- breiten und die Gesundheit von Mensch und Tier genden Risiken in vielen Fällen noch nicht ermes- gefährden sowie die Umwelt und Biodiversität sen.» Weil es aber plausible Gründe zur Besorgnis beeinträchtigen. gibt, dass der Umgang mit GVO schädliche Folgen für die Umwelt und die Gesundheit von Pflanzen, Direkte Eingriffe in die Umwelt Tieren und Menschen haben kann, gilt das Vorsor- geprinzip. Das Gentechnikgesetz (GTG) schreibt Eine besondere Herausforderung in Bezug auf Si- eine allgemeine Sorgfaltspflicht vor und verlangt cherheit und Umweltauswirkungen ist die Gene- fallorientierte Risikobewertungen und entspre- Drive-Methode (siehe Grafik S. 9). Sie ermöglicht chende Sicherheitsmassnahmen. Zudem gilt die es, eine genetische Veränderung in eine natürli- Melde-, Bewilligungs- und Informationspflicht. che Population einzubringen und auf alle Indivi- duen auszubreiten. Während eine eingebrachte Kultur der Biosicherheit genetische Veränderung bei der geschlechtlichen Vererbung nur an die Hälfte der Nachkommen Ein Grundprinzip beim Umgang mit GVO ist die weitergegeben wird und sich über die Generati- Einzelfallanalyse: Jedes Vorhaben muss auf seine onen auswächst, wird bei einem Gene Drive die Risiken hin und aufgrund plausibler Risikoszena- gewünschte Veränderung an alle Nachkommen rien überprüft werden. Ausserdem gilt das Stufen- vererbt und kann sich so rasch in einer Population prinzip: Erst wenn auf einer Stufe ausreichende verbreiten. Die Anwendungsmöglichkeiten sind Informationen über den betreffenden Organismus vielfältig: Mit Gene Drive lassen sich z. B. Schäd- gewonnen wurden, geht man weiter zur nächsten linge, Krankheitsüberträger oder gebietsfrem- Stufe. Diese Stufen bestehen typischerweise aus de invasive Arten eindämmen oder ausmerzen. Versuchen im sogenannten geschlossenen System Dass dieser Ansatz grundsätzlich funktioniert, (z. B. Labor, Gewächshaus) und im Freiland. Und wurde im Labor bereits bestätigt. Wie sich die nur wenn mit umfangreichen Daten die Sicherheit Elimination einer Population oder einer Art auf des untersuchten Organismus belegt wurde, wird das Ökosystem und die Biodiversität auswirkt, ist es allenfalls möglich, ihn als Produkt zu verwer- indes kaum abzuschätzen. ten. Diesen Regelungen und einer in den letzten Das BAFU begleitet die Entwicklungen im Be- 25 Jahren gewachsenen «Kultur der Biosicherheit» reich der Biotechnologie, es führt Monitorings ist es zu verdanken, dass in der Schweiz keine gra- durch und sorgt dafür, dass die rechtlichen An- vierenden unkontrollierten Freisetzungen beim forderungen in Bezug auf die Anwendungen der (beabsichtigten) Umgang mit GVO zu verzeichnen Biotechnologie eingehalten werden. Biotechnolo- sind. «Der aktuelle Biotech-Boom erfordert nun gische Prozesse – sei es in der Produktion oder in weitere Anstrengungen im Bereich der Biosicher- der Forschung – müssen in einem sicheren Rahmen heit und der Umweltrisikobewertung», erklärt stattfinden. «Die Herausforderung besteht darin, Anne Gabrielle Wüst Saucy. mögliche Risiken für Mensch und Umwelt früh- zeitig zu erkennen, zu beurteilen und Massnah- Link zum Artikel men zur Begrenzung der Risiken zu ergreifen», www.bafu.admin.ch/magazin2019-2-01 erklärt Anne Gabrielle Wüst Saucy, Leiterin der Sektion Biotechnologie des BAFU. Bei den neuen Anne Gabrielle Wüst Saucy | Techniken sei die Risikoabschätzung besonders Sektionschefin Biotechnologie | BAFU schwierig, weil Erfahrungswerte fehlten: «Die annegabrielle.wuestsaucy@bafu.admin.ch die umwelt 2 | 19
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DOSSIER GENTECHNOLOGIE 13 Synthetische Biologie «Wenn man etwas baut, kann man es besser verstehen» Ausgehend von standardisierten Komponenten versucht die Synthetische Biologie, im Labor biologische Sys- teme nachzubauen, zu verändern oder neu zu entwerfen. Über die Potenziale und die möglichen Risiken der jungen Fachrichtung hat sich «die umwelt» mit der Biologin Yolanda Schaerli und dem Ethiker Gérald Hess unterhalten. Interview: Lucienne Rey Woran arbeiten Sie zurzeit, Frau Schaerli? etwas grundsätzlich Neues bringt. Beides fügt sich Yolanda Schaerli: Meine Gruppe interessiert sich in die westliche Denktradition ein, wonach die für Genregulationsnetzwerke. Wir möchten mehr Natur so modifiziert werden darf, dass sie für den über die Evolution und die Mechanismen dieser Menschen nützlich ist und seinen Zielen entspricht. Netzwerke lernen. Dabei arbeiten wir mit Escheri- Das ist eine Vorstellung, die erst mit der Wissen- chia coli-Bakterien und folgen dem Bottom-up-An- schaft des 17. Jahrhunderts ihren Durchbruch hat- satz der Synthetischen Biologie (dieser zielt darauf te. In der griechischen Antike war das noch anders, ab, biologische Systeme von Grund auf neu zu er- da wurde Wissen um seiner selbst geschätzt. Heute zeugen, die Red.). Leitend ist die Idee: Wenn man treibt man selbst die Grundlagenforschung in der etwas bauen kann, dann kann man es besser ver- Absicht voran, sie für bestimmte praktische Ziele stehen. Im Blickpunkt unserer Forschung stehen anzuwenden. Netzwerke, die räumliche Muster erzeugen – wie Schaerli: Das Feld in der Synthetischen Biologie beispielsweise auf den Flügeln von Schmetter- ist recht weit. Es gibt Gruppen, die deklarieren, lingen. Auch in der Embryonalentwicklung sind für welche Anwendungen ihre Forschung genutzt räumliche Muster wichtig. werden könnte. Andere sind erst einmal auf reinen Wissenszuwachs aus. Die Synthetische Biologie erweitert die bisherige Gentechnik aber durchaus um neue Elemente. Zum Beispiel legt sie viel Wert «Gemäss westlicher auf Standardisierung, Modularität und Abstrak- Denktradition darf die Natur tion. Ausserdem forscht sie eher an Netzwerken und Stoffwechselpfaden und weniger an einzelnen so modifiziert werden, dass sie Genen. für den Menschen nützlich ist.» Hess: Gemeinsam ist aber beiden Ansätzen, dass Gérald Hess | Ethiker sie das Lebendige reduktionistisch betrachten und instrumentalisieren, sodass es sich für bestimmte Zielsetzungen transformieren lässt. Was sagt der Ethiker, wenn er hört, dass man et- Schaerli: Das ist allerdings nichts Neues, sondern was nachbaut, um es besser zu verstehen? trifft beispielsweise auch auf die konventionelle Gérald Hess: Zuerst einmal bezweifle ich, dass die Pflanzenzüchtung und Tierzucht zu. Wir haben Synthetische Biologie gegenüber der Gentechnik höchstens die Präzision der Eingriffe verbessert. die umwelt 2 | 19
14 DOSSIER GENTECHNOLOGIE Was genau ist für Sie «Leben», wodurch ist es machen und welche Sicherheitsmassnahmen wir gekennzeichnet? anwenden. Wir müssen in der Gesellschaft Interes- Schaerli: Selbst Biologen und Biologinnen tun sich se und Verständnis für unsere Forschung wecken. schwer mit dieser Frage. Es gibt eine Reihe von Denn schliesslich trägt die Synthetische Biologie Merkmalen, etwa dass Lebewesen in Zellen organi- dazu bei, heute vielfach praktizierte Anwendungen siert sind, über einen Stoffwechsel verfügen, wach- zu verbessern. Und sie ermöglicht neue Anwendun- sen und sich verändern. Ausserdem reagieren sie gen, etwa in der Synthese von Chemikalien oder bei auf Reize und pflanzen sich fort. Bestimmte Grenz- der Diagnose und Behandlung von Krankheiten. fälle wie Viren erfüllen aber nicht alle genannten Hess: Um zu beurteilen, ob es sich bei einer Tech- Kriterien. nologie um eine Verbesserung handelt, muss in Hess: Aus philosophischer Perspektive unterschei- erster Linie die Zielsetzung betrachtet werden. Es den wir zwei Sichtweisen. Die eine geht von Eigen- gibt durchaus lobenswerte Ziele, etwa wenn gen- schaften aus, die bestimmte Funktionen erfüllen. technisch modifizierte Organismen zur Herstel- Sie betrachtet die Äusserlichkeiten des Lebendi- lung von Medikamenten dienen. gen, das sie somit objektiviert und manipulierbar macht. Im Unterschied dazu akzeptiert die ganz- heitlichere Auffassung zwar eine Reihe äusserli- cher Merkmale. Sie setzt aber zugleich auch vor- «Auf Bakterien das Konzept aus, dass die Forschenden selbst Lebewesen sind und nur als solche das Leben überhaupt verstehen der Würde anzuwenden, können. Diese Position geht davon aus, dass die bereitet mir Mühe.» Wissenschaft nicht alles Lebendige objektivieren Yolanda Schaerli | Biologin und erklären kann. Wenn die Synthetische Biologie Organismen zu- sammenbaut, die es so noch nicht gibt, vermag Mit neuen Technologien wie CRISPR/Cas und sie diese zu kontrollieren und die Folgen ihrer Ex- Gene Drive (siehe Box und Grafik auf S. 9) ist es perimente abzuschätzen? im Prinzip möglich, beispielsweise ganze Popu- Schaerli: Wir sind noch nicht so weit, tatsächlich lationen von Mücken, die die Malaria übertragen, neue Organismen zu konstruieren. Aber uns leitet auszumerzen. Sollten wir diese Möglichkeiten die Idee, dass durch das Prinzip des Engineerings nutzen? die Eingriffe auch in der Biologie planbar werden. Hess: Auch hier gilt: Zunächst muss das Ziel mora- Wenn wir eine Brücke bauen, zeigen uns die Pläne, lisch legitim sein, was bei der Bekämpfung einer was am Ende entstehen wird. Die Biologie ist aller- schweren Krankheit sicher der Fall ist. Sodann gilt dings sehr komplex, was die Vorhersehbarkeit er- es zu klären, welche Risiken für Mensch und Um- schwert. Zugleich macht es diese Arbeit spannend, welt bestehen und ob diese handhabbar sind. Wird was auch der Grund ist, wieso sie mich fasziniert. eine solche Technik in ein komplexes Ökosystem eingeführt, lassen sich die Nebenfolgen allerdings Können Sie verstehen, dass es Menschen gibt, kaum abschätzen. An erster Stelle muss daher das die vor Ihrer Arbeit Angst haben – weil Sie mögli- Vorsorgeprinzip stehen, das vor jeglicher Anwen- cherweise etwas bauen, was Ihnen wie beim dung einer neuen Technologie versucht, die noch Zauberlehrling über den Kopf wachsen könnte? ungewissen Folgen abzuklären, um die Risiken so Schaerli: Ja, das kann ich durchaus nachvollziehen, gut wie möglich identifizieren und einschätzen zu und daher ist es auch wichtig, zu erklären, was wir können. die umwelt 2 | 19
Naturwissenschaft trifft Ethik Yolanda Schaerli ist als Assistenzprofessorin an der Uni- Von 2003 bis 2010 befasste sich der Philosoph Gérald Hess versität Lausanne tätig. Nach einem Studium der Bioche- als wissenschaftlicher Mitarbeiter des BAFU mit ethischen mie und Molekularbiologie an der ETH Zürich arbeitete sie Fragen, die insbesondere die Biotechnologie aufwirft. Heute zuvor im Rahmen mehrjähriger Forschungsaufenthalte an unterrichtet er als Lehr- und Forschungsbeauftragter an der der Universität Cambridge (UK), am Centre for Genomic Fakultät für Geowissenschaften und Umwelt der Universität Regulation in Barcelona und an der Universität Zürich. Lausanne das Fach Umweltethik. Bild: Flurin Bertschinger | Ex-Press | BAFU
16 DOSSIER GENTECHNOLOGIE Synthetische Biologie – von der Manipulation zur Kreation Die Synthetische Biologie ist ein Fachgebiet im Grenzbereich von Molekularbiologie, organischer Chemie, Ingenieurwissenschaften, Nanobiotechnologie und Informationstechnik. Sie wird von einigen ihrer Vertreter und Vertreterinnen als die neueste Entwicklung der modernen Biologie bezeichnet. Unter den Begriff «Synbio» fallen verschiedene Ansätze. Gemeinsam ist ihnen das Ziel, neuartige Organismen oder biologische Komponenten herzustellen. Sie setzen aber auf unterschiedlichen Ebenen an und weichen in ihren Methoden voneinander ab. BIO-ENGINEERING: XENOBIOLOGIE: Ähnlich wie bei einem Computer sollen im Bio- Ziel dieser Forschungsrichtung ist es, Orga- engineering-Ansatz die einzelnen biologischen nismen mit einem neuen – in der Natur nicht Bauteile (genetische Standard-Elemente) nach bekannten (xeno bedeutet fremd) – geneti- einer hierarchischen Struktur zusammengebaut schen System zu entwickeln. Manche Forscher werden. Bevor die Arbeit im Labor beginnt, er- versuchen, neue Formen von Nukleinsäuren stellen die Forscher am Computer detaillier- («xeno nucleic acid», XNA) als Alternativen zu te Modelle von Regulationsmechanismen oder RNA (Ribonukleinsäure) und DNA (Desoxyribo- Stoffwechselwegen. nukleinsäure) zu entwickeln. Andere bleiben bei den herkömmlichen Nukleinsäuren, wollen aber SYNTHETISCHE GENOMIK: einen neuen genetischen Code entwerfen. In der synthetischen Genomik geht es darum, ein gesamtes Erbgut künstlich im Labor herzustel- PROTOZELLEN: len. Mithilfe chemischer und molekularbiologi- Forschende, die diesen Ansatz verfolgen, wollen scher Methoden werden die einzelnen Bausteine aus Molekülen lebende Zellen herstellen. Als der DNA (die Nukleotide) in der gewünschten Vorstufen produzieren sie sogenannte Protozel- Reihenfolge aneinandergehängt. Kürzere DNA- len, das heisst kleine Bläschen mit einer Fetthül- Abschnitte, wie etwa ein einzelnes Gen, können le, in denen einzelne biochemische Reaktionen bereits kommerziell bestellt werden. 2010 gelang ablaufen. Bisher ist man aber noch weit davon es einer Forschergruppe um den amerikanischen entfernt, Zellen produzieren zu können, die sich Biochemiker Craig Venter, ein Bakterium mit als «lebend» bezeichnen liessen. einem komplett synthetisch erzeugten Erbgut herzustellen. Das Erbgut wurde nach einem natürlichen Vorbild produziert. Quelle: naturwissenschaften.ch Es wird auch darüber diskutiert, mithilfe dieser Hess: Es lässt sich nicht a priori entscheiden, ob Techniken bestimmte Tierpopulationen, die von eine Technologie genutzt werden oder auf sie ver- einer existenziellen Erkrankung bedroht sind, zichtet werden soll. Es gälte natürlich, die Risiken gegen diese zu immunisieren. Was halten Sie von zu klären und die Absichten zu hinterfragen. Aber solchen Überlegungen? wenn mit einer Technik eine bedrohte Art gerettet Schaerli: Bei solchen Eingriffen ins Ökosystem werden kann und es sicher ist, dass dadurch keine sollte man meiner Meinung nach sehr vorsichtig anderen Risiken entstehen, sehe ich wenig Gründe, sein; die eingefügten Veränderungen könnten un- die gegen ihren Einsatz sprechen. ter Umständen auf andere Arten überspringen. Jedenfalls wäre jede Anwendung einzeln zu über- In der Schweiz sind einige Verfahren zur Erzeu- prüfen, und es käme auch auf die Alternativen an. gung von Organismen mit neuen Merkmalen wie die umwelt 2 | 19
DOSSIER GENTECHNOLOGIE 17 etwa in der Pflanzenzüchtung unterschiedlich Gesetze verabschiedet, weil ihr moralischer Status geregelt. Wenn für die ethische Beurteilung die zu schwach ist. Generell gibt es nicht die eine ethi- Zielsetzung den Ausschlag gibt, wäre da nicht sche Position: Je nachdem, ob etwa die Denkfähig- das Endprodukt in den Blickpunkt zu stellen – keit oder aber die Leidensfähigkeit oder schlicht unabhängig davon, ob es beispielsweise mit die Lebenskraft eines Organismus als Kriterium Strahlung oder Gentechnik (siehe Grafik S. 19) zählt, fällt die moralische Bewertung anders aus. hergestellt wird? Mit dem Begriff der Würde der Kreatur wollte der Hess: Eigentlich schon. Es gibt halt gewisse In- Gesetzgeber darauf hinweisen, dass es gewissen kohärenzen. Bestrahlung und gentechnischer Teilen der Natur Rechnung zu tragen gilt. Eingriff können zwar die gleiche Wirkung ent- falten, doch man hält die Strahlung für sicherer. Im Zusammenhang mit der Synthetischen Biolo- Das könnte aber durchaus ein Irrtum sein. Jede gie werden gelegentlich Befürchtungen laut, in Technik sollte achtsam eingesetzt werden. Hier der «Do-it-yourself-Biologie» könnten in einer kommt das Vorsorgeprinzip zum Tragen, das ein Garage ein Labor eingerichtet und die biologi- schrittweises Vorgehen fordert: Neue Entwicklun- schen Komponenten über Internet bestellt wer- gen werden zuerst im Labor getestet, dann in ge- den. Wie schätzen Sie die Gefahr von Missbrauch schlossenen Systemen und dann auf abgeschirmten ein? Freilandflächen. Schaerli: Die Hürden sind hoch, es braucht dazu Schaerli: Da bin ich mit Ihnen einverstanden. Eine eine gute Ausbildung. Die Biohacking-Labors be- Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es er- folgen meistens einen ethischen Kodex. Und na- laubt ist, solche Versuche überhaupt durchzufüh- türlich müssen sie die gleichen Sicherheitsregeln ren. Sonst ist es nicht möglich, die erforderlichen einhalten wie die Labors von Hochschulen oder Kenntnisse zu erwerben. Betrieben. Die Biohacker haben auch eine sehr po- sitive Wirkung, indem sie Leute informieren und In der Bundesverfassung ist die Rede von der für die Biologie begeistern (vgl. Artikel auf S. 23, «Würde der Kreatur». Haben aus Ihrer Sicht auch Anm. d. Red.). Gerade in der Synthetischen Biolo- Bakterien eine Würde, die verletzt werden kann? gie pflegt man eine starke Kultur des Teilens und Schaerli: Die Würde ist ein menschliches Konzept, gewährt den Kollegen Zugriff auf die Erkenntnisse. und was uns nähersteht, gewichten wir mehr. Es fällt uns schwerer, Tiere zu töten als Pflanzen. Bak- Kann die Ethik etwas gegen die Demokratisie- terien sind uns noch einmal ferner. Ich persönlich rung der Wissenschaft einwenden? habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich im Labor Hess: Nein, überhaupt nicht. Die Öffentlichkeit meine Experimente mit Bakterien durchführe. Auf muss über technische Entwicklungen auf dem Lau- sie das Konzept der Würde anzuwenden, bereitet fenden sein, und es sollte einen Rahmen geben, wo mir Mühe. Aber wir sollten sie sicher nicht gedan- sie sich unabhängig von wirtschaftlichem Druck kenlos ausführen. informieren kann. Die Schwierigkeit liegt aller- Hess: In der französischen Übersetzung des Ver- dings darin, dass eine Technik meistens bereits fassungsartikels 120 wird für «Würde der Krea- existiert, bevor man mit der Bevölkerung darüber tur» nicht der Ausdruck «dignité» verwendet, zu diskutieren beginnt. sondern «intégrité des organismes vivants». Die- ser Ausdruck lässt sich besser als der Begriff der Würde auf das gesamte Lebendige anwenden, in- dem allen lebenden Organismen ein moralischer Link zum Artikel Wert zukommt. Für Bakterien aber wurden keine www.bafu.admin.ch/magazin2019-2-02 die umwelt 2 | 19
18 DOSSIER GENTECHNOLOGIE Neue Pflanzenzüchtungsverfahren Grosse Diskussionen um einen kleinen Schnitt Mit den neuen Genome Editing-Verfahren lassen sich Pflanzen genetisch verändern, ohne dass fremdes Genmaterial eingefügt wird. In der heutigen Gesetzgebung ist der Status von Produkten aus Genome Editing nicht klar definiert. Der Bundesrat prüft die Situation und eine allfällige Anpassung des Rechts. Text: Nicolas Gattlen Im Herbst 2018 wurden in den USA die ersten ge- grundsätzlich von natürlichen oder induzierten nom-editierten Nutzpflanzen geerntet: Sojabohnen ungerichteten Mutationen (siehe Grafik rechts zur mit einem veränderten, gesünderen Fettsäure- klassischen Mutagenese), ausser dadurch, dass sie profil. Seit Anfang 2019 sind sie als Speiseöle oder nur an wenigen Stellen im Erbgut aufträten. «Bei als Zutat im Müesliriegel im Handel. Entwickelt den herkömmlichen Verfahren werden vollkom- wurden die Bohnen vom jungen Biotech-Unterneh- men ungerichtet unzählige Erbgutveränderungen men Calyxt aus Minnesota (USA). Den Forschern ausgelöst», sagt Lucht. «Die Genome-Editing-Ver- von Calyxt ist es gelungen, mithilfe von künstlich fahren sind viel gezielter und präziser. Sie führen hergestellten Enzymen, sogenannten Genscheren, zu Veränderungen an nur wenigen Stellen im gezielte Veränderungen an drei Genen der Pflanze Erbgut.» vorzunehmen. In den USA kann diese Sojabohne Deshalb sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass ohne besondere Auflagen angebaut, verarbeitet unbeabsichtigte Effekte auftreten, geringer als bei und vermarktet werden. In Europa hingegen gilt herkömmlichen Züchtungsverfahren. Es sei daher sie als «gentechnisch verändert» und ist für den nicht zu erwarten, dass gen-editierte Pflanzen mit Anbau und Handel nicht zugelassen. Wie ist die- grundsätzlichen Risiken behaftet seien, die über ser fundamentale Unterschied zu erklären? diejenigen der herkömmlichen Züchtungen hinausgingen. «Es zählt das Resultat» Gänzlich neuer Organismus? «In Nordamerika werden bei Zulassungsverfah- ren für Pflanzen primär deren Eigenschaften Zu einer ganz anderen Bewertung kommt Martina sowie ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt Munz, Präsidentin der Schweizer Allianz Gentech- bewertet», erklärt Jan Lucht vom Schweizer Wirt- frei (SAG): «Herkömmliche Mutagenese und Geno- schaftsverband scienceindustries. «Der Züch- me Editing dürfen auf keinen Fall gleichgesetzt tungsprozess und die dabei eingesetzten Techno- werden. Mit Genome Editing können gleichzeitig logien spielen eine untergeordnete Rolle.» Es zähle mehrere Veränderungen in einer Zelle vorge- also das Resultat und nicht der Weg dahin. Und nommen werden. Es lassen sich damit komplette die gezielten, präzisen DNA-Doppelstrangbrüche, Gruppen von Genen, die ähnliche oder identische die durch gerichtete Nukleasen wie CRISPR/Cas9 Strukturen haben, mit einem Schritt verändern. So hervorgerufen werden, unterschieden sich nicht kann ein gänzlich neuer Organismus geschaffen die umwelt 2 | 19
DOSSIER GENTECHNOLOGIE 19 PFLANZENZÜCHTUNGSVERFAHREN KREUZUNGSZÜCHTUNG Ziel der Kreuzung ist es, Eigenschaften zweier Eltern in Unerwünschte Merkmale aus den Nachkommen zu vereinen. Dabei gelangen aber auch Wildpflanze unerwünschte Gene beziehungsweise. Eigenschaften in das Erbgut der Nachkommen. Die Züchter müssen des- halb immer wieder die Nachkommen mit der Ausgangs- kulturpflanze kreuzen (Rückkreuzung) und Pflanzen mit Wildpflanze Kulturpflanze neue unerwünschten Eigenschaften ausselektionieren, bis nur mit gewünschtem Kulturpflanze noch der gewünschte Abschnitt in der Linie enthalten ist. Merkmal KLASSISCHE MUTAGENESE Als klassische Mutagenese bezeichnet man die künstliche, ungezielte Erzeugung von Mutationen im Erbgut der Pflanzen. Die Mutationen können durch Chemikalien oder ionisierende Strahlen ausgelöst werden. Der weitaus grösste Teil der Mutationen ist für die Pflanze schädlich oder sogar tödlich. Es entstehen aber auch interes- sante neue Eigenschaften. Ausserdem erlaubt neue der Ausfall von einzelnen Genen Rückschlüsse Kulturpflanze auf deren Bedeutung und Funktionsweise. Radioaktive Strahlen … lösen oder Chemikalien … Mutationen aus. TRANSGENESE (KLASSISCHE GENTECHNIK) Als transgen (lat. trans = jenseitig) werden Pflanzen bezeichnet, denen Gene von artfremden Organismen (z. B. Bakterien) gentech- nisch übertragen wurden. Beim Gentransfer werden zuerst im Rea- genzglas bestimmte DNA-Sequenzen zu einem Genkonstrukt kom- biniert. Dieses wird dann an einer zufälligen Stelle im Genom des Empfängerorganismus eingebaut. Dazu werden DNA-Fragmente Gen aus anderen Organismen in Zellen injiziert, mit dem Ziel, diese ins eigene Erbgut einzubauen. Die DNA-Fragmente werden direkt «eingeschossen» oder durch einen Vektor (Mikroorganismen) in Zellen transferiert. Bei cisgenen (lat. cis = diesseitig) Pflanzen stammt das übertragene Gen aus Kulturpflanze Agro- Pflanzen- neue derselben Pflanzenart wie der Empfängerorganismus oder aus bakterium zelle Kulturpflanze einer Art, mit der die Pflanze gekreuzt werden kann. GENOME EDITING Mit dem Begriff Genome Editing werden verschiedene molekular- biologische Verfahren bezeichnet, mit denen gezielt Veränderungen Suchen Schneiden Reparieren in DNA-Sequenzen vorgenommen werden. Die wichtigsten sind die «programmierbaren Genscheren» (z. B. CRISPR/Cas, siehe Box S. 9) und die Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese (OgM; englisch ODM). Mit den neuen Verfahren werden einzelne Sequen- zen des Genoms «umgeschrieben». Gemeinsam ist den Verfahren, Kulturpflanze Kulturpflanze dass sie zellinterne Reparaturmechanismen nutzen, um gewünsch- mit inaktivem/ mit aktivem Gen te Veränderungen am Genom hervorzubringen. defektem Gen die umwelt 2 | 19 Quelle: transgen.de
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