Gentechnologie - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Zwischen Innovation und Umwelt - Bundesamt für Umwelt

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Gentechnologie - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Zwischen Innovation und Umwelt - Bundesamt für Umwelt
2 | 2019

Natürliche Ressourcen in der Schweiz

Gentechnologie
Zwischen Innovation und Umwelt
Gentechnologie - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Zwischen Innovation und Umwelt - Bundesamt für Umwelt
2   EDITORIAL

    Eilt uns die Gentechnologie davon?
                                 Die Biotechnologie entwickelt sich rasant. Damit kommen in unserer Gesellschaft Fragen
                                 und auch Unsicherheiten auf. Das BAFU ist gefordert, sich dieser Fragen anzunehmen.

                                 Als das Gentechnikgesetz in den frühen 2000er-Jahren erarbeitet wurde, war in der
                                 Forschung und Industrie die «Transgenese» das zentrale Gentechnikverfahren. Bei der
                                 Transgenese wird ein fremdes Gen in einen Empfängerorganismus übertragen, um diesen
                                 mit neuen Eigenschaften auszustatten. Während meiner Doktorarbeit an der ETH Zürich
                                 habe ich vor bald 20 Jahren ebenfalls mit der Transgenese gearbeitet. Diese Analysen
                                 haben gezeigt, dass gewöhnliche Darmbakterien Teile ihres Erbmaterials mit anderen
                                 Bakterien munter austauschen können, darunter auch Antibiotika-Resistenzgene,
                                 was die Risiken für unsere Gesundheit erhöht.

                                 Die Transgenese ist auch heute noch eine viel genutzte Gentechnik; in den letzten Jahren
                    Bild: BAFU   sind aber neue, revolutionäre Verfahren hinzugekommen, die unter dem Begriff Genome
                                 Editing zusammengefasst werden. Damit stehen nun Methoden zur Verfügung, die einen
                                 gezielten Eingriff in das Genom eines Organismus ermöglichen und so gewünschte
                                 Eigenschaften hervorbringen – auch ohne fremde Gene einzufügen. In den Bereichen
                                 Medizin, Pharmazie, Chemie, Lebensmittel und Pflanzenzüchtung finden diese Verfahren
                                 bereits erste kommerzielle Anwendungen. Forschung und Industrie versprechen sich viel
                                 davon: Sie sollen Lösungen ermöglichen für drängende Probleme unserer Gesellschaft.
                                 Dazu zählen beispielsweise die vereinfachte Herstellung von Biotreibstoffen, die Züchtung
                                 von trockenheits-, hitze- und pilztoleranten Nutzpflanzen oder die genetische Stärkung
                                 von bedrohten Tierpopulationen.

                                 Mit dem zunehmenden Einsatz der Gentechnik steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit
                                 einer unkontrollierten Verbreitung von genveränderten Organismen und von dort
                                 eingebrachten genetischen Veränderungen in die Umwelt. Bis heute ist kaum bekannt,
                                 wie die neuartigen Organismen mit der Umwelt interagieren und wie sie diese allenfalls
                                 beeinträchtigen. Um die Risiken angemessen beurteilen und die Sicherheit von Mensch
                                 und Umwelt gewährleisten zu können, braucht es noch viel Grundlagenforschung. Darüber
                                 hinaus stellen sich gesellschaftliche und ethische Fragen.

                                 Die Aufgabe des BAFU ist es, einen kritischen Blick auf den Schnittpunkt Gentechnik/
                                 Umwelt zu haben, wissenschaftliche Grundlagen für faktenbasierte Entscheidungen
                                 bereitzustellen, den gesellschaftlichen Dialog zu fördern und für eine sichere Anwendung
                                 der sich dynamisch entwickelnden Biotechnologie zu sorgen. Mit der vorliegenden
                                 Ausgabe unseres Magazins möchten wir die Auseinandersetzung mit dem Thema
                                 befruchten. Ich bin überzeugt, dass sie Ihnen interessante Einblicke eröffnet.

                                 Franziska Schwarz | Vizedirektorin BAFU

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INHALTSVERZEICHNIS                                                                                   3

              Dossier                                                 360°
        GENTECHNOLOGIE

          8          Wo Biotechnologie hilft –                   44        Klimaerwärmung
                     und wie gefährlich sie ist                            Wie man im Sommer Städte kühlt
        13           Was sich Biologin und Ethiker               48        Ressourcen
                     zu sagen haben                                        Wie sich nachhaltig bauen lässt

        18           Wie ein kleiner Schnitt für                 52        Klimawandel
                     grosse Diskussionen sorgt                             Wie die Schweizer Klimazukunft aussieht

        23           Wie Biohacker in Garagen forschen           56        Lärmbekämpfung
                                                                           Warum Tempo 30 wirkt
        27           Warum fieberhaft Nachweisverfahren
                     gesucht werden                              59        Gefahrenprävention
                                                                           Wie Chlor sicher in die Schweiz kommt
        31           Wie «Gentechfood»
                     in die Schweiz kommt

        34           Wie die Diskussion versachlicht wird

        37           Was Gene Drive für bedrohte                 RENDEZ-VOUS
                     Arten tun kann
                                                                  4        Tipps
                                                                  6        Bildung
                                                                  7        Unterwegs
                                                                 40        Vor Ort
                                                                 42        International
                                                                 43        Recht
                                                                 62        Aus dem BAFU
                                                                 62        Impressum
                                                                 63        Meine Natur
                                                                 64        Vorschau

                                                                 GRATIS ABONNIEREN          IM INTERNET
                                      Bild: FRANZ&RENÉ           UND ADRESS-                www.bafu.admin.ch/
                                                                 ÄNDE RUNGEN                magazin
Gentechnologische Verfahren bieten grosse Chancen, bergen        www.bafu.admin.ch/
aber auch schwer abschätzbare Risiken. Deshalb schwankt die      leserservice               FACEBOOK-FANPAGE
Gefühlslage vieler Menschen zwischen Hoffnung und Angst:                                    www.facebook.com/
Lassen sich Menschen kopieren und designen, Arten schützen       KONTAKT                    UmweltMag
und Krankheitserreger beliebig ausmerzen? Auch das Titelbild     magazin@bafu.admin.ch
und 5 Fotografien innerhalb des Dossiers beschäftigen sich mit                              TITELBILD
solchen Grundsatzfragen (S. 12, 22, 26, 30, 36).                                            FRANZ&RENÉ

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4             360° RENDEZ-VOUS

            Tipps
                                                      Zauber des Feuchtwaldes
                                                      Die Moorwälder der Ibergeregg wurden von der Stiftung Landschaftsschutz
                                                      Schweiz (SL) zur diesjährigen Landschaft des Jahres ernannt. Der Kanton Schwyz
                                                      verfügt über 6 Moorlandschaften, die fast 6 Prozent der Kantonsfläche bedecken.
                                                      Dazu gehören die ausgezeichneten Waldgebiete. Wer durch diese Gebiete streift,
                                                      wähnt sich im hohen Norden: Stattliche Rot- und Weisstannen sowie Bergföhren
                                                      finden sich inmitten einer dichten Krautvegetation von Hochstauden, deren Blätter
                                                      tellergross sind und bis 2 Meter hoch den Boden bedecken können. Die Wälder
                                                      beherbergen eine beträchtliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren.
                                                         Die Moorlandschaften sind zwar bundesrechtlich geschützt, trotzdem sind dau-
                                                      erhafte Schutzbemühungen nötig. Unter anderem dafür will der mit 10 000 Franken
                                                      dotierte Preis sensibilisieren.
                               Bild: Konrad Schuler
                                                      sl-fp.ch

    Botaniktrainer                                    Wer zwitschert da?                            Alles gegen Zecken
                  Begleitend zum Buch                              Ist es das Wintergold-                       Die «Zecken»-App verfügt
                 «Grundlagen der Feld-                             hähnchen oder doch das                       über eine Warnfunktion,
                 botanik» gibt es nun die                          Sommergoldhähnchen?                          die anhand einer fünf-
                 «Feldbotanik»-App. Wäh-                           Die App «Zwitschomat»                        stufigen Zeckenstich-Ge-
    rend im Buch die Wissensvermittlung               ermöglicht es, Vogelstimmen zu er-            fahrenskala das aktuelle Zecken-
    zu 80 Familien und 60 Gattungen im                kennen und zu lernen – und dies ganz          Gefahrenpotenzial in den verschiede-
    Zentrum steht, fokussiert die App auf             ohne Internetverbindung. Die App              nen Regionen der Schweiz via Satel-
    das spielerische Trainieren und Auf-              funktioniert wie das Musikerken-              litenkarte anzeigt. Zudem informiert
    bauen der eigenen Artenkenntnisse.                nungs-Tool Shazam: Man nimmt die              sie darüber, wie man sich vor Zecken
    Die Anwendung der freischaffenden                 Vogelstimme mit dem Handy auf, die            schützt beziehungsweise einen Ze-
    deutschen Biologin und Autorin Rita               Stimme wird während 12 Sekunden               ckenstich behandelt und was mög-
    Lüder beschreibt über 700 Arten mit               analysiert und zeigt einem schliesslich       liche Borreliosesymptome sind. Eine
    zusätzlichen Angaben zu Morphologie,              den gesuchten Vogel an. Falls der             zusätzliche Funktion ist das Zecken-
    Zertifikatsstufe, Synonymen sowie zu              Vogel nicht eindeutig identifizierbar         tagebuch: Betroffene können dort
    Familien- und Gattungszugehörigkeit.              ist, stellt die App eine Auswahl an           ihren Zeckenstich eintragen und wer-
                                                      Vögeln zur Verfügung, die als «Sän-           den von der App nach jeweils 5, 10 und
                                                      ger» infrage kommen.                          28 Tagen daran erinnert.

    CHF 25.– | für Android und iPhone;                Zwitschomat | CHF 4.– | ausschliesslich für   Gratis | für Android und iPhone;
    haupt.ch/Feldbotanik-App.html                     iPhone                                        zhaw.ch > Suche «App Zecke»

    Neuer Lebensraum für alte Arten
    Die Besucherinnen und Besucher des Papilioramas (FR) erhalten neuerdings einen einma-
    ligen Einblick in das «wilde Seeland», wie es unsere Vorfahren kannten. Von Schutzhütten
    aus können sie die Bewohner des neuen Aussenbereichs, des Auengebietes, beobachten.
    Mit einer Fläche von 2000 Quadratmetern simuliert dieses die Umgebung eines natürlichen
    Feuchtgebietes, das als Lebensraum für seltene einheimischen Vögel, Insekten und Repti-
    lien dient. Die Teiche und Wasserläufe der Anlage sind regulierbar, so können die Verant-
    wortlichen voll und ganz auf die Bedürfnisse der zugezogenen Bewohner eingehen.
       Der Erfolg des Projekts zeigt sich bereits jetzt: So legte etwa eine skandinavische Zwerg-
    schnepfe auf ihrer Reise südwärts in Kerzers (BE) eine Rast ein; und auch zwei Wasserral-
    len, eine der gefährdetsten Vogelarten ganz Europas, fanden im Auenbereich Zuflucht.
                                                                                                                                             Bild: zVg

    papiliorama.ch

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360° RENDEZ-VOUS                                                                                                            5

Sportlicher Konsum                        Pflanzenretter                               Solarstrom ohne Dach
Der Verein Fairp(l)ay motiviert Jugend-                                                Wie lässt sich ohne Dach Solarstrom
liche und Erwachsene auf spielerische                                                  produzieren? Über 80 Prozent der
Art und Weise zu einem gerechten                                                       Berner und Bernerinnen wohnen zur
Konsumverhalten. Sein Motto: Eine                                                      Miete und können nicht einfach ein
Sensibilisierung braucht eine konkre-                                                  Solardach bauen. Hier setzt die Ber-
te Darstellung, die nachhaltig im Ge-                                                  ner Crowdfunding-Initiative «Sunrai-
dächtnis bleibt. Das Schulprojekt «Fair                                                sing» an: Für 350 Franken kann man
Battles Kicker» etwa beleuchtet die                                                    sich einen Quadratmeter Solardach
Themen Konsum, Fair Trade, Fairness,                                                   auf einem ausgewählten Haus im
Chancengleichheit und Nachhaltigkeit                                                   Quartier sichern und so 20 Jahre lang
und macht diese anhand eines umge-                                                     jährlich 110 Kilowattstunden Solar-
bauten Töggelikastens erfahrbar.                                                       strom beziehen – das entspricht rund
                                                                                       10 Prozent des Jahresverbrauchs
fairbattles.ch                                                                         einer Person.

                                                                                       sunraising.ch

Das Ökotuch
Bienenwachstücher, die um Lebens-                                                      Singende Nachtigall
mittel oder auch über Schalen gelegt                          Bild: Rolf Holderegger
werden, sind die ideale Alternative zu
Verpackungen aus Plastik oder Alumi-      Die Pflanzenwelt im Kanton Schaff-
nium. Der Stoff aus Biobaumwolle,         hausen ist aussergewöhnlich reich
Schweizer Bienenwachs und Biojojo-        (im Bild: Acker-Wachtelweizen). Be-
baöl kann nach Gebrauch abgewa-           reits im 19. Jahrhundert interessier-
schen und wiederverwendet werden.         ten sich Botaniker für die dort vor-
Es gibt verschiedenste Produkte auf       herrschenden mediterranen, mit-
dem Markt, eines davon heisst             teleuropäischen und östlichen Flo-
eco-tsapi®. Bastelliebhaber können        renelemente. Doch der Reichtum ist
das Tuch auch selbst herstellen.          bedroht, denn das Vorkommen sel-
                                          tener Pflanzen im Kanton hat sich
eco-tsapi.ch
                                          halbiert.
                                             Dies zeigt das Neujahrsblatt
                                          der Naturforschenden Gesellschaft                                 Bild: Alamy Stock Photo
                                          Schaffhausen, welche die Bestände
                                          von seltenen Pflanzen im Kanton              Zum 20-Jahr-Jubiläum hat sich das
Lokal schwärmen                           untersucht hat. Darin porträtiert sie        BirdLife-Naturzentrum Neeracherried
                                          20 besondere Pflanzenarten und               (ZH) etwas Spezielles ausgedacht: In
Die Idee der Marktschwärmer ist                                                        der Sonderausstellung «Singen wie
                                          gibt einen Überblick über die Her-
einfach: Sie ermöglichen lokalen Pro-                                                  die Vögel» tauchen Kinder und Er-
                                          kunft der Schaffhauser Flora, deren
duzenten, deren Produkte online an-                                                    wachsene mit Kopfhörer und Tablet in
                                          Lebensräume und die bisherige Er-
zubieten. Die Kundinnen und Kunden                                                     die Welt der Vogelklänge ein. Dies
                                          forschung. Als Grundlage für das
bestellen auf einer Plattform saisona-                                                 befähigt sie, mit Vogelstimmen zu ex-
                                          Heft dienten die aktuellen Daten
les Obst, Gemüse, Brot, Milchproduk-                                                   perimentieren und auch selbst Laute
                                          der Roten Liste der Schweizer Flora,
te, Fleisch, Bier oder Naturkosmetik                                                   zu produzieren. Wer möchte nicht so
                                          die die Verluste des Pflanzenreich-
und holen die Bestellung in der Schwär-                                                schön flöten können wie die Amsel?
                                          tums im Kanton Schaffhausen auf-
merei in der Nachbarschaft ab. Das                                                     Zur Vorbereitung auf den Besuch dür-
                                          zeigen.
kann etwa in einem Café, in einer                                                      fen Lehrpersonen Schulmaterial von
Schule oder auch in einem Gemeinde-                                                    der Website herunterladen.
haus sein.                                «Seltene Pflanzen im Kanton
                                          Schaffhausen» | CHF 24.– |                   birdlife.ch/neeracherried
marktschwaermer.ch                        ISBN: 978-3-033-07048-6 | info@ngsh.ch       > Sonderausstellung «Singen wie die Vögel»

          die umwelt 2 | 19
Gentechnologie - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Zwischen Innovation und Umwelt - Bundesamt für Umwelt
6             360° RENDEZ-VOUS

             Bildung
                                                                                                   Idée Reparatur

                                                                                                   Jetzt gibt es ihn auch in Italienisch: Der Re-
                                                                                                   paraturführer ist eine Onlineplattform, auf
                                                                                                   der man Reparaturprofis findet oder sich
                                                                                                   selbst als solchen anbieten kann. Damit
                                                                                                   sollen Abfälle vermieden werden. Zudem
                                                                                                   sind Informationen zu Aktivitäten rund ums
                                                                                                   Reparieren, etwa zu Repair-Cafés, vorhan-
                                                                                                   den. Getragen wird die Plattform von Kanto-
                                                                                                   nen, Gemeinden und Städten. Mit dem
                                                                                       Bild: zVg
                                                                                                   Kanton Tessin sind derzeit 17 Kantone sowie
                                                                                                   4 Städte und Gemeinden dabei.

Faszinierende Unterwasserwelt                                                                      reparaturfuehrer.ch | reparateurs.ch |
                                                                                                   riparatori.ch
Ruderwanzen (Bild), Wasserasseln, Wasserflöhe oder Gelbrandkäfer: Das Leben in
unseren Teichen ist vielfältig und spannend – und vielen von uns trotzdem ziemlich
unbekannt. Das will das BirdLife-Naturzentrum La Sauge ändern: Dem diesjährigen
Hauptthema «Wirbellose Tiere der Teiche» ist die neue, interaktive Sonderausstellung               Kreislaufprofis
gewidmet. Die «Faszinierende Unterwasserwelt» soll dabei einem breiten Publikum
vorgestellt werden. Dazu gibt es auch Führungen zum Thema in der Ausstellung und
bei den Teichen entlang des Naturpfads für Erwachsene, Kindergruppen und Schul-                    «Das Programm vermittelt aktuellstes Wis-
klassen auf Reservation.                                                                           sen über die neusten Entwicklungen der
  Das BirdLife-Naturzentrum La Sauge zwischen Ins (BE) und Cudrefin (VD) befindet                  Entsorgungs- und Recyclingbranche und
sich am Rand der beiden international und national bedeutenden Naturschutzgebie-                   eignet sich für Quereinsteiger ebenso wie zur
te Fanel und Cudrefin und am Nordende des Neuenburgersees. Das Naturzentrum                        persönlichen Auffrischung», sagt Thomas
beinhaltet eine Ausstellung und einen Naturpfad mit vier Beobachtungshütten. Diese                 Schmid, ehemaliger Kursteilnehmer und CEO
ermöglichen zahlreiche spannende Einblicke in die Natur und wurden so gebaut, dass                 des Investment-Unternehmens Fontavis. Der
die Tiere nicht gestört werden.                                                                    Zertifikatskurs (CAS) Entsorgungs-/Recy-
                                                                                                   clingmanager/in HSG der Universität
Sonderausstellung: bis 25. Oktober 2020 | Dienstag–Sonntag + Feiertage: 9 – 18 Uhr |               St. Gallen will Teilnehmenden das Rüstzeug
birdlife.ch/de/content/la-sauge                                                                    auf den Weg geben, «um den anstehenden
                                                                                                   unternehmerischen        Herausforderungen
                                                                                                   im Zusammenhang mit dem Wandel der
                                                                                                   Schweizer Abfallwirtschaft hin zu einer
    Tierische Teambildung                              Der Weltacker                               Kreislaufwirtschaft angemessen begegnen
                                                                                                   zu können».
                                                                                                      Der Lehrgang thematisiert betriebswirt-
    Teambildung mit Hühnern, «tieri-                   Teilt man die Ackerfläche dieser Welt       schaftliche Fragestellungen im Entsor-
    sches» Gehirntraining für Seniorinnen              durch die Zahl ihrer Bewohner, ergibt       gungs- und Recyclinggeschäft. Partner-
    und Senioren, Smartphone-Fotokurs                  das etwa 2000 m² pro Mensch. Dar-           schaften etwa mit Branchenverbänden
    oder Kaffeegenuss im Regenwald:                    auf muss alles wachsen, was wir             sollen einen hohen Praxisbezug garantieren.
    Der Zoo Zürich verstärkt sein En-                  verbrauchen. Auf entsprechenden             Er richtet sich an Kadermitarbeitende öffent-
    gagement in der Erwachsenenbil-                    Äckern in Nuglar (SO) und Attiswil          lich-rechtlicher und privater Entsorgungs-,
    dung. In den entsprechenden Kursen                 (BE) führt das internationale Bil-          Recycling- und Transportunternehmen sowie
    werden Themen aus der Lebens- und                  dungsprojekt «2000 m² Weltacker»            an Personen, die eine derartige Funktion
    Arbeitswelt der Menschen mit The-                  Lernhalbtage für Schulklassen durch,        anstreben. Geeignet ist er zudem für Vertre-
    men aus der Tierwelt verknüpft. So                 an denen die verschiedenen Schritte         tungen von Behörden und Verbänden.
    soll das Interesse der Teilnehmenden               der Lebensmittelproduktion thema-
    für die Tiere und deren Wohl gestärkt              tisiert werden. Daneben gibt es auch        Kosten: CHF 12 000.– (allenfalls CHF 1200.– für ein
    werden.                                            Führungen für Erwachsene.                   einzelnes Modul) | Dauer: April–September 2019 |
                                                                                                   11 ECTS-Punkte | Ort: St. Gallen; aufgrund des
                                                                                                   modulartigen Aufbaus ist ein Einstieg auch nach
    Übersicht, Dauer und Preise: zoo.ch/de/                                                        Kursstart möglich; sami.benmessaoud@unisg.ch |
    führungen-events/kurse-und-seminare                weltacker.ch                                +41 71 224 21 02

             die umwelt 2 | 19
Gentechnologie - Natürliche Ressourcen in der Schweiz - Zwischen Innovation und Umwelt - Bundesamt für Umwelt
360° RENDEZ-VOUS                                                                                                                   7

           Unterwegs

Wilder Rhein: Der hier noch ungezähmte Alpenfluss mäandert durch                                                                 Bild: Beat Jordi
die geschützte Auenlandschaft von nationaler Bedeutung.

           Mit Blick auf den Grand Canyon der Schweiz
            Die Wanderung von Flims-Waldhaus (GR) in                  Unterwegs durch den Uaul Grond – einen grossen mit
            die Rheinschlucht bietet spektakuläre Aus-                Kalkblöcken übersäten Nadelwald – lohnt sich ein
            sichten auf das riesige Felssturzgebiet und               kleiner Umweg zur Aussichtsplattform Il Spir bei Conn.
            den «Grand Canyon der Schweiz». Text: Beat Jordi          Die Besucherterrasse aus Lärchenholz ist der Form
                                                                      eines Mauerseglers nachempfunden und schwebt
            Beim grössten Bergsturz in den Alpen donnerten vor        direkt über dem Abgrund. Die Vogelperspektive bietet
            rund 9500 Jahren Millionen von Kubikmetern Kalkstein      einen spektakulären Blick auf die bröckelnden Steil-
            in das Vorderrheintal und begruben den Fluss auf einer    wände der Schlucht mit ihren bizarren Formen. Nahezu
            Länge von 14 Kilometern unter einem mächtigen Schutt-     400 Meter tiefer im Talgrund mäandert der hier noch
            kegel. Im Lauf der Zeit bahnte sich der zum Ilanzer See   ungezähmte Alpenfluss durch die geschützte Auenland-
            aufgestaute Rhein seinen Weg fast 400 Meter tief durch    schaft von nationaler Bedeutung (BLN-Gebiet).
            die Sedimente. So ist die imposante Naturlandschaft der     Der Weg zur Station Valendas-Sagogn der Rhätischen
            Ruinaulta oder Rheinschlucht entstanden.                  Bahn (RhB) verläuft anfänglich durch die nährstoffar-
              Bereits kurz nach dem Start der Wanderung im Hö-        men, an Orchideen reichen Erika-Föhrenwälder an der
            henkurort Flims-Waldhaus erwartet uns am türkisfar-       südexponierten Flanke der Rheinschlucht. Über die
            benen Bergsee Lag la Cauma ein erster landschaftlicher    Weidelandschaften von Tuora und Foppas erreicht man
            Höhepunkt. Das in einer Waldmulde gelegene Gewässer       die Brücke über den Fluss und gelangt dann durch die
            hat keinen oberirdischen Zufluss, sondern wird durch      Ruinaulta zum Bahnhof Versam-Safien. In der Über-
            Schmelzwasser und die grundwasserleitenden Karst-         gangszone von Wasser und Land säumen dichte Weiss-
            formationen gespeist. Eine abdichtende Lehmschicht in     erlenbestände, Grundwasserteiche, karge Kiesbänke
            der Tiefe hält das Wasser zurück, sodass es nicht voll-   und Sandstrände den Weg. Auf engem Raum findet sich
            ständig im Boden versickert. Wie die anderen Kleinseen    hier eine reiche Artenvielfalt mit seltenen Pflanzen und
            in der Region ist auch der auf knapp 1000 Metern über     Wasservögeln wie zum Beispiel dem Flussregenpfeifer
            Meer gelegene Caumasee durch den Flimser Bergsturz        und Flussuferläufer. Zudem leben in den vier Natur-
            entstanden.                                               schutzgebieten vor Ort etwa 350 Schmetterlingsarten.

            rheinschlucht.ch

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8         DOSSIER GENTECHNOLOGIE

Moderne Biotechnologie

Potenzial mit schwer
abschätzbaren Risiken
In der Biotechnologie schreiten die Entwicklungen rasant voran. Die modernen Verfahren bieten ein grosses
Anwendungspotenzial für Medizin, Pharmazie, Chemie, Lebensmittel- und Landwirtschaft. Noch aber
lässt sich in vielen Fällen nicht ermessen, welche Risiken die neuartigen Veränderungen am Erbgut von
Organismen bergen. Text: Nicolas Gattlen

          Im Wochentakt berichten die Medien über Bio-            auch auf neuen Informations- und Automati-
          technologie: Jüngst etwa war zu lesen, dass am          onstechnologien basiert. Ein besonders grosses
          Roslin Institute in Edinburgh (GB) Schweine ge-         Potenzial wird neuen Techniken zur gezielten
          züchtet wurden, die immun sind gegen das PRRS-          Genveränderung wie CRISPR/Cas (siehe Box
          Virus, den Erreger einer Schweinekrankheit. For-        S. 9) zugeschrieben, weil sie effizient, präzise,
          schende haben einige wenige DNA-Bausteine im            kostengünstig und deshalb breit zugänglich sind.
          Schweinegenom so umgeschrieben, dass das Virus          Im Unterschied zu den «klassischen» Gentech-
          nicht mehr in die Zellen eindringen und sich dort       niken, die meist zur Übertragung von bestimmten
          vermehren kann. Und in mehreren EU-Ländern              Erbinformationen zwischen verschiedenen Arten
          finden Freilandversuche mit genveränderten (GV)         (Transgenese) angewandt werden, lassen sich mit
          Pappeln statt: Diese sollen schneller wachsen,          Genome-Editing-Verfahren wie CRISPR/Cas ge-
          mehr Biomasse ausbilden und weniger Lignin pro-         zielte Veränderungen am Genom vornehmen, ohne
          duzieren – ein Vorteil, da der Stoff bei der Herstel-   artfremde Gene einzufügen. Sie funktionieren
          lung von Papier oder Biokraftstoffen aufwendig          wie eine «Genschere», mit der man an genau de-
          entfernt werden muss.                                   finierten Stellen im Erbgut Schnitte setzen kann,
            Für Schlagzeilen sorgte auch eine Meldung,            um einzelne Gene auszuschalten. Es lassen sich
          wonach in Burkina Faso genveränderte Mücken             damit aber auch defekte DNA-Teile ersetzen oder
          freigesetzt werden sollen, deren Nachwuchs zu           neue Gensequenzen in einen Organismus ein-
          90 Prozent aus Männchen besteht (die natürliche         fügen – nicht nur einzelne Gene, sondern ganze
          Proportion beträgt 50 Prozent). So soll die Mü-         Gengruppen und -kombinationen an verschie-
          ckenpopulation massiv reduziert und die Malaria         denen Stellen im Erbgut.
          eingedämmt werden, da nur weibliche Mücken                Die jüngsten Fortschritte in der Biotechnologie
          diese Krankheit übertragen.                             haben zu einer markanten Zunahme an Anwen-
                                                                  dungen im Ausserhumanbereich geführt, insbe-
          Effizient, präzise, günstig                             sondere im pharmazeutischen Bereich, wo man
                                                                  genveränderte Mikroorganismen zur Herstellung
          Das sind nur drei Beispiele für den gegenwärti-         von Medikamenten und Impfstoffen nutzt, sowie
          gen Entwicklungsschub, der auf einer intensi-           in der Medizin (Gentherapie, Diagnostik), in der
          vierten Forschungstätigkeit in Molekularbiologie,       Landwirtschaft (Nutzpflanzen), in der Forstwirt-
          kombiniert mit Mikrobiologie und Genetik, aber          schaft (Bäume für die Holz- und Papierwirtschaft)

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DOSSIER GENTECHNOLOGIE                                                                                               9

  CRISPR/Cas – das «Schweizer Taschenmesser» der Gentechnologie
  Das CRISPR-System basiert auf einem Abwehrsystem,              Das Verfahren läuft in drei Schritten ab: Zunächst muss
  mit dem sich Bakterien vor schädlichen Viren schützen.         im Genom, das oft aus Milliarden von Basenpaaren (DNA-
  Bei einer Vireninfektion der Bakterie wird die DNA der         Bausteine) besteht, punktgenau die Sequenz der Stelle
  eingedrungenen Viren in kleine Fragmente aufgespalten          bekannt sein, bei der eine Änderung durchgeführt werden
  und in den CRISPR-Abschnitt eingefügt – Abschnitte im          soll. Danach schleust man genau diese Sequenz in einen
  Bakterienerbgut, die aus kurzen, sich wiederholenden DNA-      CRISPR/Cas-Komplex ein und fügt ihn in Zellen des Emp-
  Sequenzen bestehen. Die eingefügten Sequenzen dienen           fängerorganismus. Die Zelle produziert dann die Gensonde
  der Wiedererkennung bei einer späteren Infektion. An den       und die daran gekoppelte Genschere selbst. Die Schere wird
  CRISPR-Bereich gekoppelt sind Cas-Gene. Diese enthal-          daraufhin von der Sonde zur gewünschten Stelle geführt und
  ten die Anleitung für die Herstellung eines Proteins, das      zerschneidet dort den DNA-Doppelstrang.
  DNA-Stränge zerschneiden kann («Genschere»). Bei einem           Anschliessend treten die zelleigenen Reparaturmecha-
  erneuten Virenbefall werden die DNA-Sequenzen in RNA           nismen in Aktion. Beim ersten wird der durchtrennte DNA-
  umgeschrieben: Diese «Gensonde» prüft die Sequenz der          Strang wieder zusammengefügt – allerdings meist mit klei-
  Viren-DNA. Stimmt diese mit dem gespeicherten Abschnitt        nen Fehlern. Die Folge: Das betreffende Gen kann nicht
  überein, bindet die RNA an die virale DNA an und signa-        mehr richtig abgelesen werden und funktioniert nicht mehr.
  lisiert der Genschere damit, sie zu zerschneiden und die       Beim zweiten Mechanismus nutzt die Zelle eine Kopie des
  Vireninfektion zu stoppen.                                     Genabschnitts als Reparaturvorlage. Solche Vorlagen kön-
     2012 konnten Forschende erstmals zeigen, wie sich CRISPR/   nen künstlich erzeugt und in die Zellen eingefügt werden.
  Cas als programmierbare Genschere in Mikroorganismen           So lässt sich die Sequenz an der Schnittstelle praktisch
  nutzen lässt. Kurz darauf gelang der Nachweis, dass die-       nach Belieben editieren – es können also auch zusätzliche
  ses System auch in höheren Organismen wie Pflanzen und         DNA-Abschnitte eingefügt werden. Deshalb spricht man bei
  Tieren funktioniert.                                           diesen Werkzeugen von Genome-Editing.

Gene Drive – die beschleunigte Ausbreitung einer Veränderung
Die Gene-Drive-Technik zielt darauf ab, eine Eigenschaft rasch und präzise in einer bestehenden, frei lebenden Population zu
verändern oder neu einzubringen. Das Prinzip ist simpel: Eine gewollte genetische Veränderung wird zusammen mit einem ge-
netischen Kopiermechanismus in einen Organismus eingebracht. Dieser Mechanismus überträgt die gewünschte Veränderung
immer auf beide Kopien eines Zielgens. Dadurch erhalten alle Nachkommen die Veränderung, und diese breitet sich im Laufe der
Generationen in der Population aus (bei der normalen klassischen Vererbung wird eine genetische Veränderung nur an die Hälfte
der Nachkommen weitergegeben). Im Labor wurden bereits erste Versuche mit CRISPR/Cas-basierten Gene Drives erfolgreich
durchgeführt, zum Beispiel in Hefepilzen, Fruchtfliegen und Mücken.
  Mögliche Anwendungen werden insbesondere in folgenden Bereichen diskutiert: Public Health (Vernichtung von Insekten als
Krankheitsüberträger oder Ausschalten von deren Fähigkeit, Krankheitsüberträger zu sein), Landwirtschaft (Bekämpfung von
«Unkräutern» und «Schädlingen») sowie Naturschutz (genetische Stärkung von gefährdeten Arten oder Populationen).

KLASSISCHE VERERBUNG:                                            GENE-DRIVE-VERERBUNG:

                       Nachkomme mit Genveränderung      Nachkomme ohne Genveränderung      Externe Partner

          die umwelt 2 | 19                                                                        Quelle: naturwissenschaften.ch
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10   DOSSIER GENTECHNOLOGIE

     und in der Industrie, wo genveränderte Algen, Pil-    gemeinsam daran, biologische Systeme wie Zellen,
     ze oder Bakterien zur Gewinnung von Ölen, Enzy-       Moleküle und Gewebe im Labor zu entwickeln und
     men, Vitaminen oder Aromen eingesetzt werden.         Organismen mit neuen Eigenschaften auszustat-
       Für die Tierzucht eröffnen sich dank Genome-        ten oder herzustellen.
     Editing-Verfahren ebenfalls neue Möglichkeiten:
     Dabei geht es um Resistenzen gegen Infektions-
     krankheiten oder um grössere Muskelmasse, um                «Der Biotech-Boom erfordert
     die Unterdrückung bestimmter Allergene in der
     Milch oder um die Eigenschaften der Wolle. Bisher           weitere Anstrengungen
     scheinen diese Projekte erfolgversprechender zu             bei Biosicherheit und
     sein als solche mit klassischer Gentechnik. Bereits
     auf dem Markt sind genveränderte «Leuchtfische»             Umweltrisikobewertung.»
     und Fleischprodukte von GV-Lachsen, die schnel-             Anne Gabrielle Wüst Saucy | BAFU

     ler wachsen und weniger Futter brauchen. In der
     Schweiz sind beide nicht zugelassen, da genverän-
     derte Wirbeltiere nur für Zwecke der Forschung,       Im Unterschied zur klassischen Gentechnik wer-
     Therapie und Diagnostik an Menschen oder Tieren       den nicht einzelne (artfremde) Gene in einen
     erzeugt und in Verkehr gebracht werden dürfen.        Organismus übertragen, sondern neue oder ver-
       Unmittelbar vor einer grossen Konferenz zur         änderte biologische Elemente und Systeme (z. B.
     Veränderung des menschlichen Erbguts Ende             ein Stoffwechselweg mit mehreren involvierten
     letzten Jahres sorgte eine Neuigkeit für einen        Genen) in Organismen eingeschleust, damit die-
     Aufschrei. Völlig überraschend wurde bekannt,         se bestimmte Substanzen produzieren: etwa ein
     dass mit CRISPR/Cas genetisch veränderte Zwil-        Medikament, ein Aroma oder einen Biotreibstoff.
     linge zur Welt gekommen sind. Die Babys sollen        Es lassen sich so auch Materialien herstellen, die
     dadurch gegen das HI-Virus geschützt sein. Seit       von keinem natürlichen Organismus produziert
     vor wenigen Jahren klar wurde, dass CRISPR/Cas        werden, wie beispielsweise 1,4-Butandiol, eine
     auch beim Menschen angewendet werden könnte,          Grundchemikalie für die Kunststoffproduktion.
     gilt in den Wissenschaften der Konsens, zumin-        Ihre Herstellung basiert auf einem Syntheseweg
     dest für den Moment bei Menschen auf vererbbare       ohne natürliches Vorbild. Oft werden Gene ver-
     Veränderungen zu verzichten. Die Nachricht löste      wendet, deren DNA-Abfolge am Computer entwor-
     weltweit Diskussionen über Freiheit und Ziele der     fen wurde, damit sie einen jeweils vorgegebenen
     Forschung und über den Bedarf einer strengeren        Zweck erfüllen.
     Regulierung aus. In der Schweiz sind solche Ein-        Der vermehrte Einsatz von Gentechnologien
     griffe ins menschliche Genom verboten.                stellt neue Herausforderungen an den sicheren
                                                           Umgang mit damit veränderten Organismen. Für
     Biologische Systeme aus dem «Labor»                   den Natur- und Umweltschutz besonders relevant
                                                           sind genveränderte Organismen (GVO), die in der
     Ein weiterer Entwicklungsschub wird von der           Umwelt freigesetzt werden oder unbeabsichtigt
     Synthetischen Biologie erwartet, einem noch           in die Umwelt gelangen. Denn für diese gilt wie
     jungen interdisziplinären Forschungsgebiet im         für alle Organismen: Sie vermehren, vermischen
     Schnittstellenbereich von Molekularbiologie, Che-     und verändern sich. Nicht nur die Organismen,
     mie, Ingenieurwissenschaften, Biotechnologie          sondern auch die eingebrachten genetischen Ver-
     und Informationstechnik (siehe Box S. 16). For-       änderungen könnten sich in unerwünschter Weise
     schende verschiedener Fachrichtungen arbeiten         vertikal (durch die Weitergabe an Nachkommen)

     die umwelt 2 | 19
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oder horizontal (durch die Übertragung von ge-        Wissenschaft kann die Bedeutung der neuartigen
netischem Material an andere Organismen) aus-         Veränderungen an Genomen und die daraus fol-
breiten und die Gesundheit von Mensch und Tier        genden Risiken in vielen Fällen noch nicht ermes-
gefährden sowie die Umwelt und Biodiversität          sen.» Weil es aber plausible Gründe zur Besorgnis
beeinträchtigen.                                      gibt, dass der Umgang mit GVO schädliche Folgen
                                                      für die Umwelt und die Gesundheit von Pflanzen,
Direkte Eingriffe in die Umwelt                       Tieren und Menschen haben kann, gilt das Vorsor-
                                                      geprinzip. Das Gentechnikgesetz (GTG) schreibt
Eine besondere Herausforderung in Bezug auf Si-       eine allgemeine Sorgfaltspflicht vor und verlangt
cherheit und Umweltauswirkungen ist die Gene-         fallorientierte Risikobewertungen und entspre-
Drive-Methode (siehe Grafik S. 9). Sie ermöglicht     chende Sicherheitsmassnahmen. Zudem gilt die
es, eine genetische Veränderung in eine natürli-      Melde-, Bewilligungs- und Informationspflicht.
che Population einzubringen und auf alle Indivi-
duen auszubreiten. Während eine eingebrachte          Kultur der Biosicherheit
genetische Veränderung bei der geschlechtlichen
Vererbung nur an die Hälfte der Nachkommen            Ein Grundprinzip beim Umgang mit GVO ist die
weitergegeben wird und sich über die Generati-        Einzelfallanalyse: Jedes Vorhaben muss auf seine
onen auswächst, wird bei einem Gene Drive die         Risiken hin und aufgrund plausibler Risikoszena-
gewünschte Veränderung an alle Nachkommen             rien überprüft werden. Ausserdem gilt das Stufen-
vererbt und kann sich so rasch in einer Population    prinzip: Erst wenn auf einer Stufe ausreichende
verbreiten. Die Anwendungsmöglichkeiten sind          Informationen über den betreffenden Organismus
vielfältig: Mit Gene Drive lassen sich z. B. Schäd-   gewonnen wurden, geht man weiter zur nächsten
linge, Krankheitsüberträger oder gebietsfrem-         Stufe. Diese Stufen bestehen typischerweise aus
de invasive Arten eindämmen oder ausmerzen.           Versuchen im sogenannten geschlossenen System
Dass dieser Ansatz grundsätzlich funktioniert,        (z. B. Labor, Gewächshaus) und im Freiland. Und
wurde im Labor bereits bestätigt. Wie sich die        nur wenn mit umfangreichen Daten die Sicherheit
Elimination einer Population oder einer Art auf       des untersuchten Organismus belegt wurde, wird
das Ökosystem und die Biodiversität auswirkt, ist     es allenfalls möglich, ihn als Produkt zu verwer-
indes kaum abzuschätzen.                              ten. Diesen Regelungen und einer in den letzten
  Das BAFU begleitet die Entwicklungen im Be-         25 Jahren gewachsenen «Kultur der Biosicherheit»
reich der Biotechnologie, es führt Monitorings        ist es zu verdanken, dass in der Schweiz keine gra-
durch und sorgt dafür, dass die rechtlichen An-       vierenden unkontrollierten Freisetzungen beim
forderungen in Bezug auf die Anwendungen der          (beabsichtigten) Umgang mit GVO zu verzeichnen
Biotechnologie eingehalten werden. Biotechnolo-       sind. «Der aktuelle Biotech-Boom erfordert nun
gische Prozesse – sei es in der Produktion oder in    weitere Anstrengungen im Bereich der Biosicher-
der Forschung – müssen in einem sicheren Rahmen       heit und der Umweltrisikobewertung», erklärt
stattfinden. «Die Herausforderung besteht darin,      Anne Gabrielle Wüst Saucy.
mögliche Risiken für Mensch und Umwelt früh-
zeitig zu erkennen, zu beurteilen und Massnah-
                                                      Link zum Artikel
men zur Begrenzung der Risiken zu ergreifen»,         www.bafu.admin.ch/magazin2019-2-01
erklärt Anne Gabrielle Wüst Saucy, Leiterin der
Sektion Biotechnologie des BAFU. Bei den neuen
                                                      Anne Gabrielle Wüst Saucy |
Techniken sei die Risikoabschätzung besonders         Sektionschefin Biotechnologie | BAFU
schwierig, weil Erfahrungswerte fehlten: «Die         annegabrielle.wuestsaucy@bafu.admin.ch

die umwelt 2 | 19
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DOSSIER GENTECHNOLOGIE                                                                                       13

Synthetische Biologie

«Wenn man etwas baut, kann
man es besser verstehen»
Ausgehend von standardisierten Komponenten versucht die Synthetische Biologie, im Labor biologische Sys-
teme nachzubauen, zu verändern oder neu zu entwerfen. Über die Potenziale und die möglichen Risiken der
jungen Fachrichtung hat sich «die umwelt» mit der Biologin Yolanda Schaerli und dem Ethiker Gérald Hess
unterhalten. Interview: Lucienne Rey

            Woran arbeiten Sie zurzeit, Frau Schaerli?             etwas grundsätzlich Neues bringt. Beides fügt sich
            Yolanda Schaerli: Meine Gruppe interessiert sich       in die westliche Denktradition ein, wonach die
            für Genregulationsnetzwerke. Wir möchten mehr          Natur so modifiziert werden darf, dass sie für den
            über die Evolution und die Mechanismen dieser          Menschen nützlich ist und seinen Zielen entspricht.
            Netzwerke lernen. Dabei arbeiten wir mit Escheri-      Das ist eine Vorstellung, die erst mit der Wissen-
            chia coli-Bakterien und folgen dem Bottom-up-An-       schaft des 17. Jahrhunderts ihren Durchbruch hat-
            satz der Synthetischen Biologie (dieser zielt darauf   te. In der griechischen Antike war das noch anders,
            ab, biologische Systeme von Grund auf neu zu er-       da wurde Wissen um seiner selbst geschätzt. Heute
            zeugen, die Red.). Leitend ist die Idee: Wenn man      treibt man selbst die Grundlagenforschung in der
            etwas bauen kann, dann kann man es besser ver-         Absicht voran, sie für bestimmte praktische Ziele
            stehen. Im Blickpunkt unserer Forschung stehen         anzuwenden.
            Netzwerke, die räumliche Muster erzeugen – wie         Schaerli: Das Feld in der Synthetischen Biologie
            beispielsweise auf den Flügeln von Schmetter-          ist recht weit. Es gibt Gruppen, die deklarieren,
            lingen. Auch in der Embryonalentwicklung sind          für welche Anwendungen ihre Forschung genutzt
            räumliche Muster wichtig.                              werden könnte. Andere sind erst einmal auf reinen
                                                                   Wissenszuwachs aus. Die Synthetische Biologie
                                                                   erweitert die bisherige Gentechnik aber durchaus
                                                                   um neue Elemente. Zum Beispiel legt sie viel Wert
   «Gemäss westlicher                                              auf Standardisierung, Modularität und Abstrak-
   Denktradition darf die Natur                                    tion. Ausserdem forscht sie eher an Netzwerken
                                                                   und Stoffwechselpfaden und weniger an einzelnen
   so modifiziert werden, dass sie                                 Genen.
   für den Menschen nützlich ist.»                                 Hess: Gemeinsam ist aber beiden Ansätzen, dass
   Gérald Hess | Ethiker                                           sie das Lebendige reduktionistisch betrachten und
                                                                   instrumentalisieren, sodass es sich für bestimmte
                                                                   Zielsetzungen transformieren lässt.
            Was sagt der Ethiker, wenn er hört, dass man et-       Schaerli: Das ist allerdings nichts Neues, sondern
            was nachbaut, um es besser zu verstehen?               trifft beispielsweise auch auf die konventionelle
            Gérald Hess: Zuerst einmal bezweifle ich, dass die     Pflanzenzüchtung und Tierzucht zu. Wir haben
            Synthetische Biologie gegenüber der Gentechnik         höchstens die Präzision der Eingriffe verbessert.

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14   DOSSIER GENTECHNOLOGIE

     Was genau ist für Sie «Leben», wodurch ist es         machen und welche Sicherheitsmassnahmen wir
     gekennzeichnet?                                       anwenden. Wir müssen in der Gesellschaft Interes-
     Schaerli: Selbst Biologen und Biologinnen tun sich    se und Verständnis für unsere Forschung wecken.
     schwer mit dieser Frage. Es gibt eine Reihe von       Denn schliesslich trägt die Synthetische Biologie
     Merkmalen, etwa dass Lebewesen in Zellen organi-      dazu bei, heute vielfach praktizierte Anwendungen
     siert sind, über einen Stoffwechsel verfügen, wach-   zu verbessern. Und sie ermöglicht neue Anwendun-
     sen und sich verändern. Ausserdem reagieren sie       gen, etwa in der Synthese von Chemikalien oder bei
     auf Reize und pflanzen sich fort. Bestimmte Grenz-    der Diagnose und Behandlung von Krankheiten.
     fälle wie Viren erfüllen aber nicht alle genannten    Hess: Um zu beurteilen, ob es sich bei einer Tech-
     Kriterien.                                            nologie um eine Verbesserung handelt, muss in
     Hess: Aus philosophischer Perspektive unterschei-     erster Linie die Zielsetzung betrachtet werden. Es
     den wir zwei Sichtweisen. Die eine geht von Eigen-    gibt durchaus lobenswerte Ziele, etwa wenn gen-
     schaften aus, die bestimmte Funktionen erfüllen.      technisch modifizierte Organismen zur Herstel-
     Sie betrachtet die Äusserlichkeiten des Lebendi-      lung von Medikamenten dienen.
     gen, das sie somit objektiviert und manipulierbar
     macht. Im Unterschied dazu akzeptiert die ganz-
     heitlichere Auffassung zwar eine Reihe äusserli-
     cher Merkmale. Sie setzt aber zugleich auch vor-            «Auf Bakterien das Konzept
     aus, dass die Forschenden selbst Lebewesen sind
     und nur als solche das Leben überhaupt verstehen            der Würde anzuwenden,
     können. Diese Position geht davon aus, dass die             bereitet mir Mühe.»
     Wissenschaft nicht alles Lebendige objektivieren            Yolanda Schaerli | Biologin
     und erklären kann.

     Wenn die Synthetische Biologie Organismen zu-
     sammenbaut, die es so noch nicht gibt, vermag         Mit neuen Technologien wie CRISPR/Cas und
     sie diese zu kontrollieren und die Folgen ihrer Ex-   Gene Drive (siehe Box und Grafik auf S. 9) ist es
     perimente abzuschätzen?                               im Prinzip möglich, beispielsweise ganze Popu-
     Schaerli: Wir sind noch nicht so weit, tatsächlich    lationen von Mücken, die die Malaria übertragen,
     neue Organismen zu konstruieren. Aber uns leitet      auszumerzen. Sollten wir diese Möglichkeiten
     die Idee, dass durch das Prinzip des Engineerings     nutzen?
     die Eingriffe auch in der Biologie planbar werden.    Hess: Auch hier gilt: Zunächst muss das Ziel mora-
     Wenn wir eine Brücke bauen, zeigen uns die Pläne,     lisch legitim sein, was bei der Bekämpfung einer
     was am Ende entstehen wird. Die Biologie ist aller-   schweren Krankheit sicher der Fall ist. Sodann gilt
     dings sehr komplex, was die Vorhersehbarkeit er-      es zu klären, welche Risiken für Mensch und Um-
     schwert. Zugleich macht es diese Arbeit spannend,     welt bestehen und ob diese handhabbar sind. Wird
     was auch der Grund ist, wieso sie mich fasziniert.    eine solche Technik in ein komplexes Ökosystem
                                                           eingeführt, lassen sich die Nebenfolgen allerdings
     Können Sie verstehen, dass es Menschen gibt,          kaum abschätzen. An erster Stelle muss daher das
     die vor Ihrer Arbeit Angst haben – weil Sie mögli-    Vorsorgeprinzip stehen, das vor jeglicher Anwen-
     cherweise etwas bauen, was Ihnen wie beim             dung einer neuen Technologie versucht, die noch
     Zauberlehrling über den Kopf wachsen könnte?          ungewissen Folgen abzuklären, um die Risiken so
     Schaerli: Ja, das kann ich durchaus nachvollziehen,   gut wie möglich identifizieren und einschätzen zu
     und daher ist es auch wichtig, zu erklären, was wir   können.

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Naturwissenschaft trifft Ethik
Yolanda Schaerli ist als Assistenzprofessorin an der Uni-   Von 2003 bis 2010 befasste sich der Philosoph Gérald Hess
versität Lausanne tätig. Nach einem Studium der Bioche-     als wissenschaftlicher Mitarbeiter des BAFU mit ethischen
mie und Molekularbiologie an der ETH Zürich arbeitete sie   Fragen, die insbesondere die Biotechnologie aufwirft. Heute
zuvor im Rahmen mehrjähriger Forschungsaufenthalte an       unterrichtet er als Lehr- und Forschungsbeauftragter an der
der Universität Cambridge (UK), am Centre for Genomic       Fakultät für Geowissenschaften und Umwelt der Universität
Regulation in Barcelona und an der Universität Zürich.      Lausanne das Fach Umweltethik.

                                                                                           Bild: Flurin Bertschinger | Ex-Press | BAFU
16   DOSSIER GENTECHNOLOGIE

        Synthetische Biologie – von der Manipulation zur Kreation
        Die Synthetische Biologie ist ein Fachgebiet im Grenzbereich von Molekularbiologie, organischer
        Chemie, Ingenieurwissenschaften, Nanobiotechnologie und Informationstechnik. Sie wird von einigen
        ihrer Vertreter und Vertreterinnen als die neueste Entwicklung der modernen Biologie bezeichnet.
        Unter den Begriff «Synbio» fallen verschiedene Ansätze. Gemeinsam ist ihnen das Ziel, neuartige
        Organismen oder biologische Komponenten herzustellen. Sie setzen aber auf unterschiedlichen
        Ebenen an und weichen in ihren Methoden voneinander ab.

        BIO-ENGINEERING:                                   XENOBIOLOGIE:
        Ähnlich wie bei einem Computer sollen im Bio-      Ziel dieser Forschungsrichtung ist es, Orga-
        engineering-Ansatz die einzelnen biologischen      nismen mit einem neuen – in der Natur nicht
        Bauteile (genetische Standard-Elemente) nach       bekannten (xeno bedeutet fremd) – geneti-
        einer hierarchischen Struktur zusammengebaut       schen System zu entwickeln. Manche Forscher
        werden. Bevor die Arbeit im Labor beginnt, er-     versuchen, neue Formen von Nukleinsäuren
        stellen die Forscher am Computer detaillier-       («xeno nucleic acid», XNA) als Alternativen zu
        te Modelle von Regulationsmechanismen oder         RNA (Ribonukleinsäure) und DNA (Desoxyribo-
        Stoffwechselwegen.                                 nukleinsäure) zu entwickeln. Andere bleiben bei
                                                           den herkömmlichen Nukleinsäuren, wollen aber
        SYNTHETISCHE GENOMIK:                              einen neuen genetischen Code entwerfen.
        In der synthetischen Genomik geht es darum, ein
        gesamtes Erbgut künstlich im Labor herzustel-      PROTOZELLEN:
        len. Mithilfe chemischer und molekularbiologi-     Forschende, die diesen Ansatz verfolgen, wollen
        scher Methoden werden die einzelnen Bausteine      aus Molekülen lebende Zellen herstellen. Als
        der DNA (die Nukleotide) in der gewünschten        Vorstufen produzieren sie sogenannte Protozel-
        Reihenfolge aneinandergehängt. Kürzere DNA-        len, das heisst kleine Bläschen mit einer Fetthül-
        Abschnitte, wie etwa ein einzelnes Gen, können     le, in denen einzelne biochemische Reaktionen
        bereits kommerziell bestellt werden. 2010 gelang   ablaufen. Bisher ist man aber noch weit davon
        es einer Forschergruppe um den amerikanischen      entfernt, Zellen produzieren zu können, die sich
        Biochemiker Craig Venter, ein Bakterium mit        als «lebend» bezeichnen liessen.
        einem komplett synthetisch erzeugten Erbgut
        herzustellen. Das Erbgut wurde nach einem
        natürlichen Vorbild produziert.                    Quelle: naturwissenschaften.ch

     Es wird auch darüber diskutiert, mithilfe dieser      Hess: Es lässt sich nicht a priori entscheiden, ob
     Techniken bestimmte Tierpopulationen, die von         eine Technologie genutzt werden oder auf sie ver-
     einer existenziellen Erkrankung bedroht sind,         zichtet werden soll. Es gälte natürlich, die Risiken
     gegen diese zu immunisieren. Was halten Sie von       zu klären und die Absichten zu hinterfragen. Aber
     solchen Überlegungen?                                 wenn mit einer Technik eine bedrohte Art gerettet
     Schaerli: Bei solchen Eingriffen ins Ökosystem        werden kann und es sicher ist, dass dadurch keine
     sollte man meiner Meinung nach sehr vorsichtig        anderen Risiken entstehen, sehe ich wenig Gründe,
     sein; die eingefügten Veränderungen könnten un-       die gegen ihren Einsatz sprechen.
     ter Umständen auf andere Arten überspringen.
     Jedenfalls wäre jede Anwendung einzeln zu über-       In der Schweiz sind einige Verfahren zur Erzeu-
     prüfen, und es käme auch auf die Alternativen an.     gung von Organismen mit neuen Merkmalen wie

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DOSSIER GENTECHNOLOGIE                                                                                          17

etwa in der Pflanzenzüchtung unterschiedlich            Gesetze verabschiedet, weil ihr moralischer Status
geregelt. Wenn für die ethische Beurteilung die         zu schwach ist. Generell gibt es nicht die eine ethi-
Zielsetzung den Ausschlag gibt, wäre da nicht           sche Position: Je nachdem, ob etwa die Denkfähig-
das Endprodukt in den Blickpunkt zu stellen –           keit oder aber die Leidensfähigkeit oder schlicht
unabhängig davon, ob es beispielsweise mit              die Lebenskraft eines Organismus als Kriterium
Strahlung oder Gentechnik (siehe Grafik S. 19)          zählt, fällt die moralische Bewertung anders aus.
hergestellt wird?                                       Mit dem Begriff der Würde der Kreatur wollte der
Hess: Eigentlich schon. Es gibt halt gewisse In-        Gesetzgeber darauf hinweisen, dass es gewissen
kohärenzen. Bestrahlung und gentechnischer              Teilen der Natur Rechnung zu tragen gilt.
Eingriff können zwar die gleiche Wirkung ent-
falten, doch man hält die Strahlung für sicherer.       Im Zusammenhang mit der Synthetischen Biolo-
Das könnte aber durchaus ein Irrtum sein. Jede          gie werden gelegentlich Befürchtungen laut, in
Technik sollte achtsam eingesetzt werden. Hier          der «Do-it-yourself-Biologie» könnten in einer
kommt das Vorsorgeprinzip zum Tragen, das ein           Garage ein Labor eingerichtet und die biologi-
schrittweises Vorgehen fordert: Neue Entwicklun-        schen Komponenten über Internet bestellt wer-
gen werden zuerst im Labor getestet, dann in ge-        den. Wie schätzen Sie die Gefahr von Missbrauch
schlossenen Systemen und dann auf abgeschirmten         ein?
Freilandflächen.                                        Schaerli: Die Hürden sind hoch, es braucht dazu
Schaerli: Da bin ich mit Ihnen einverstanden. Eine      eine gute Ausbildung. Die Biohacking-Labors be-
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es er-         folgen meistens einen ethischen Kodex. Und na-
laubt ist, solche Versuche überhaupt durchzufüh-        türlich müssen sie die gleichen Sicherheitsregeln
ren. Sonst ist es nicht möglich, die erforderlichen     einhalten wie die Labors von Hochschulen oder
Kenntnisse zu erwerben.                                 Betrieben. Die Biohacker haben auch eine sehr po-
                                                        sitive Wirkung, indem sie Leute informieren und
In der Bundesverfassung ist die Rede von der            für die Biologie begeistern (vgl. Artikel auf S. 23,
«Würde der Kreatur». Haben aus Ihrer Sicht auch         Anm. d. Red.). Gerade in der Synthetischen Biolo-
Bakterien eine Würde, die verletzt werden kann?         gie pflegt man eine starke Kultur des Teilens und
Schaerli: Die Würde ist ein menschliches Konzept,       gewährt den Kollegen Zugriff auf die Erkenntnisse.
und was uns nähersteht, gewichten wir mehr. Es
fällt uns schwerer, Tiere zu töten als Pflanzen. Bak-   Kann die Ethik etwas gegen die Demokratisie-
terien sind uns noch einmal ferner. Ich persönlich      rung der Wissenschaft einwenden?
habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich im Labor        Hess: Nein, überhaupt nicht. Die Öffentlichkeit
meine Experimente mit Bakterien durchführe. Auf         muss über technische Entwicklungen auf dem Lau-
sie das Konzept der Würde anzuwenden, bereitet          fenden sein, und es sollte einen Rahmen geben, wo
mir Mühe. Aber wir sollten sie sicher nicht gedan-      sie sich unabhängig von wirtschaftlichem Druck
kenlos ausführen.                                       informieren kann. Die Schwierigkeit liegt aller-
Hess: In der französischen Übersetzung des Ver-         dings darin, dass eine Technik meistens bereits
fassungsartikels 120 wird für «Würde der Krea-          existiert, bevor man mit der Bevölkerung darüber
tur» nicht der Ausdruck «dignité» verwendet,            zu diskutieren beginnt.
sondern «intégrité des organismes vivants». Die-
ser Ausdruck lässt sich besser als der Begriff der
Würde auf das gesamte Lebendige anwenden, in-
dem allen lebenden Organismen ein moralischer           Link zum Artikel
Wert zukommt. Für Bakterien aber wurden keine           www.bafu.admin.ch/magazin2019-2-02

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18        DOSSIER GENTECHNOLOGIE

Neue Pflanzenzüchtungsverfahren

Grosse Diskussionen um
einen kleinen Schnitt
Mit den neuen Genome Editing-Verfahren lassen sich Pflanzen genetisch verändern, ohne dass
fremdes Genmaterial eingefügt wird. In der heutigen Gesetzgebung ist der Status von Produkten
aus Genome Editing nicht klar definiert. Der Bundesrat prüft die Situation und eine allfällige
Anpassung des Rechts. Text: Nicolas Gattlen

          Im Herbst 2018 wurden in den USA die ersten ge-        grundsätzlich von natürlichen oder induzierten
          nom-editierten Nutzpflanzen geerntet: Sojabohnen       ungerichteten Mutationen (siehe Grafik rechts zur
          mit einem veränderten, gesünderen Fettsäure-           klassischen Mutagenese), ausser dadurch, dass sie
          profil. Seit Anfang 2019 sind sie als Speiseöle oder   nur an wenigen Stellen im Erbgut aufträten. «Bei
          als Zutat im Müesliriegel im Handel. Entwickelt        den herkömmlichen Verfahren werden vollkom-
          wurden die Bohnen vom jungen Biotech-Unterneh-         men ungerichtet unzählige Erbgutveränderungen
          men Calyxt aus Minnesota (USA). Den Forschern          ausgelöst», sagt Lucht. «Die Genome-Editing-Ver-
          von Calyxt ist es gelungen, mithilfe von künstlich     fahren sind viel gezielter und präziser. Sie führen
          hergestellten Enzymen, sogenannten Genscheren,         zu Veränderungen an nur wenigen Stellen im
          gezielte Veränderungen an drei Genen der Pflanze       Erbgut.»
          vorzunehmen. In den USA kann diese Sojabohne             Deshalb sei auch die Wahrscheinlichkeit, dass
          ohne besondere Auflagen angebaut, verarbeitet          unbeabsichtigte Effekte auftreten, geringer als bei
          und vermarktet werden. In Europa hingegen gilt         herkömmlichen Züchtungsverfahren. Es sei daher
          sie als «gentechnisch verändert» und ist für den       nicht zu erwarten, dass gen-editierte Pflanzen mit
          Anbau und Handel nicht zugelassen. Wie ist die-        grundsätzlichen Risiken behaftet seien, die über
          ser fundamentale Unterschied zu erklären?              diejenigen der herkömmlichen Züchtungen
                                                                 hinausgingen.
          «Es zählt das Resultat»
                                                                 Gänzlich neuer Organismus?
          «In Nordamerika werden bei Zulassungsverfah-
          ren für Pflanzen primär deren Eigenschaften            Zu einer ganz anderen Bewertung kommt Martina
          sowie ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt             Munz, Präsidentin der Schweizer Allianz Gentech-
          bewertet», erklärt Jan Lucht vom Schweizer Wirt-       frei (SAG): «Herkömmliche Mutagenese und Geno-
          schaftsverband scienceindustries. «Der Züch-           me Editing dürfen auf keinen Fall gleichgesetzt
          tungsprozess und die dabei eingesetzten Techno-        werden. Mit Genome Editing können gleichzeitig
          logien spielen eine untergeordnete Rolle.» Es zähle    mehrere Veränderungen in einer Zelle vorge-
          also das Resultat und nicht der Weg dahin. Und         nommen werden. Es lassen sich damit komplette
          die gezielten, präzisen DNA-Doppelstrangbrüche,        Gruppen von Genen, die ähnliche oder identische
          die durch gerichtete Nukleasen wie CRISPR/Cas9         Strukturen haben, mit einem Schritt verändern. So
          hervorgerufen werden, unterschieden sich nicht         kann ein gänzlich neuer Organismus geschaffen

          die umwelt 2 | 19
DOSSIER GENTECHNOLOGIE                                                                                                  19

 PFLANZENZÜCHTUNGSVERFAHREN

                                                                                   KREUZUNGSZÜCHTUNG
                                                                                   Ziel der Kreuzung ist es, Eigenschaften zweier Eltern in
                                       Unerwünschte
                                       Merkmale aus                                den Nachkommen zu vereinen. Dabei gelangen aber auch
                                       Wildpflanze                                 unerwünschte Gene beziehungsweise. Eigenschaften in
                                                                                   das Erbgut der Nachkommen. Die Züchter müssen des-
                                                                                   halb immer wieder die Nachkommen mit der Ausgangs-
                                                                                   kulturpflanze kreuzen (Rückkreuzung) und Pflanzen mit
Wildpflanze            Kulturpflanze                               neue            unerwünschten Eigenschaften ausselektionieren, bis nur
mit gewünschtem                                                    Kulturpflanze   noch der gewünschte Abschnitt in der Linie enthalten ist.
Merkmal

                                                                                             KLASSISCHE MUTAGENESE
                                                                                             Als klassische Mutagenese bezeichnet man die
                                                                                             künstliche, ungezielte Erzeugung von Mutationen
                                                                                             im Erbgut der Pflanzen. Die Mutationen können
                                                                                             durch Chemikalien oder ionisierende Strahlen
                                                                                             ausgelöst werden. Der weitaus grösste Teil der
                                                                                             Mutationen ist für die Pflanze schädlich oder
                                                                                             sogar tödlich. Es entstehen aber auch interes-
                                                                                             sante neue Eigenschaften. Ausserdem erlaubt
                                                                           neue              der Ausfall von einzelnen Genen Rückschlüsse
                                                                           Kulturpflanze     auf deren Bedeutung und Funktionsweise.

Radioaktive Strahlen             … lösen
oder Chemikalien …               Mutationen aus.
                                                                           TRANSGENESE (KLASSISCHE GENTECHNIK)
                                                                           Als transgen (lat. trans = jenseitig) werden Pflanzen bezeichnet,
                                                                           denen Gene von artfremden Organismen (z. B. Bakterien) gentech-
                                                                           nisch übertragen wurden. Beim Gentransfer werden zuerst im Rea-
                                                                           genzglas bestimmte DNA-Sequenzen zu einem Genkonstrukt kom-
                                                                           biniert. Dieses wird dann an einer zufälligen Stelle im Genom des
                                                                           Empfängerorganismus eingebaut. Dazu werden DNA-Fragmente
                         Gen aus anderen
                         Organismen
                                                                           in Zellen injiziert, mit dem Ziel, diese ins eigene Erbgut einzubauen.
                                                                           Die DNA-Fragmente werden direkt «eingeschossen» oder durch
                                                                           einen Vektor (Mikroorganismen) in Zellen transferiert. Bei cisgenen
                                                                           (lat. cis = diesseitig) Pflanzen stammt das übertragene Gen aus
Kulturpflanze                  Agro-       Pflanzen-    neue               derselben Pflanzenart wie der Empfängerorganismus oder aus
                             bakterium        zelle     Kulturpflanze      einer Art, mit der die Pflanze gekreuzt werden kann.

                                                                           GENOME EDITING
                                                                           Mit dem Begriff Genome Editing werden verschiedene molekular-
                                                                           biologische Verfahren bezeichnet, mit denen gezielt Veränderungen
                Suchen       Schneiden     Reparieren                      in DNA-Sequenzen vorgenommen werden. Die wichtigsten sind
                                                                           die «programmierbaren Genscheren» (z. B. CRISPR/Cas, siehe
                                                                           Box S. 9) und die Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese (OgM;
                                                                           englisch ODM). Mit den neuen Verfahren werden einzelne Sequen-
                                                                           zen des Genoms «umgeschrieben». Gemeinsam ist den Verfahren,
Kulturpflanze                                           Kulturpflanze      dass sie zellinterne Reparaturmechanismen nutzen, um gewünsch-
mit inaktivem/                                          mit aktivem Gen    te Veränderungen am Genom hervorzubringen.
defektem Gen

                 die umwelt 2 | 19                                                                                        Quelle: transgen.de
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