Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV

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Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
www.grundschulverband.de · September 2021 · D9607F

Grundschule aktuell
Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 155

Schulstart – was Kinder jetzt brauchen
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Inhalt

 Tagebuch                                                    Neue Unterrichtsformen zu gestalten, wenn der „­normale“
S. 2    Ich bin dabei, weil … (G. Klenk)
                                                             Schulalltag nicht mehr möglich ist, ist eine b   ­ esondere
                                                             ­Heraus­forderung. Im ­Artikel von Franziska Milke und
                                                              ­Maren Vialon erfahren sie viel über den Lernort Sanssouci
 Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen
                                                               in ­Potsdam. Wahrscheinlich finden sich auch ähnliche Orte
S. 3    Der Schulanfang an der Winterhuder                     in Ihrer Nähe.                                   Seite 6–8
        Reformschule (L. Koch)
S. 5    Mit zuversichtlichem Blick auf das neue Schuljahr
        (H. Fischer)
S. 6    Lernorte entdecken: Im Park Sanssouci in Potsdam
        (F. Milke, M. Vialon)
S. 8    Was wir uns wünschen und was wir schon können
        (S. Gruschke)
S. 9    Spielraum Schriftsprache (I. Herklotz)
S. 13   LeOn – Lernbegleitung Online
        (C. Barnick, H. Hegemann-Fonger, H. Hußing)
S. 18   Inklusionssensible Bildungsmaterialien
        als „Must-have“ (M. Vogt, K. Andersen,
        A. Bagger, V. Macchia, C. Bierschwale)
S. 22   Phänomene am Schulanfang
        (Anke Weber, Markus Peschel, Pascal Kihm,
        Marie Fischer, Theresa Dahm)
S. 24   Klassengemeinschaften beziehungsreich gestalten
        (A. Weber)
S. 28   Den Übergang mit Spaß gestalten
        (S. Döding)
S. 31   Der Start in den Beruf aus der Perspektive
        von Seiteneinsteiger:innen
        (G. Breidenstein, L. Doleschal, W. Grohmann,
        A. Henning-Mohr, M. Ritter)

 Aus der Forschung
                                                              Impressum
S. 35   Silben-Analyse von Anfang an?
        (H. Brügelmann, E. Brinkmann)                         GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes,
                                                              erscheint viertel­jährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt.
                                                              Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
 Rundschau                                                    Das einzelne Heft kostet 9,00 € (inkl. Versand innerhalb Deutschlands);
                                                              für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 5,00 €.
S. 39   Aktuelle Herausforderungen für den
                                                              Verlag: Grundschulverband e. V., Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main,
        Grundschulverband (E. Bohn)                           Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80,
S. 40   Wie Bildung für nachhaltige Entwicklung in            www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de
        der Grundschule gelebt werden kann                    Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes
        (U. Oltmanns, W. Schwinger, L. Denks)                 Redaktion: michael.toepler@grundschulverband.de
S. 43   Zur ‚endlosen‘ Debatte um den Übergang aus            Fotos und Grafiken: Katrin Gamer­schlag / smakdesign.de (Titel­),
                                                              AdobeStock/arts (S. 31), Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders
        der Grundschule in die weiterführenden Schulen        ­vermerkt)
        (K. Klemm)                                            Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover
S. 44   Der Begriff „Schutzkonzept“ führt in die Irre         Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 0 69 / 77 60 06,
        (H.-J. Voß, M. Urban)                                 info@grundschulverband.de
                                                              Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg
S. 46   Nachruf auf Gerhard Sennlaub (H. Brügelmann)
                                                              ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6099
                                                              Beilage: TOUSSINI-Circus mobile
 Landesgruppen aktuell – unter anderem:
S. 47   Baden-Württemberg: Online-Tagung und                    In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren
        Neuwahlen in der Pandemie                           ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch ­be­son­dere schrift-
                                                            sprachliche Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte
S. 48   Bremen: „Junger Grundschulverband“ gegründet
                                                            Lösung für das Problem „gendersen­sibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet
S. 49   Niedersachsen: Gespräche im Kultusministerium       jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form.

            GS aktuell 155 • September 2021
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Diesmal

                                                             Den Kindern einen guten Start ermöglichen
 Der Junge Grundschulverband Bremen
 hat das Projekt LeOn – Lernbegleitung
                                                             Liebe Leser:innen,
 Online ins Leben gerufen. Ähnliche In-
                                                             diese Ausgabe beschäftigt sich mit dem Schulstart nach den
 itiativen hat es vielleicht auch in Ihrem
                                                             Sommerferien – für manche Kinder in die erste, für viele
 Bundesland gegeben, die Erfahrungen
                                                             andere in eine der Folgeklassen an den Grundschulen. Die
 aus Bremen sind sicher auch für künf-
                                                             Startbedingungen sind auf jeden Fall sehr unterschiedlich, je
 tige Projekte in Ihrer Nähe von Interes-
                                                             nach den dann geltenden Regeln zum Gesundheitsschutz und
 se. Alternativen zum Präsenzunterricht
                                                             den jeweiligen Bedingungen an den Schulen vor Ort. In die-
 oder Ergänzungen sollten überall „in
                                                             ser Ausgabe richten wir den Blick auf einige zentrale Punk-
 der Schublade liegen“.        Seite 13–17
                                                             te, die in jedem Schuljahr wichtig sind, wie etwa der Aufbau
                                                             und die Gestaltung von Klassengemeinschaften, interessante
                                                             Zugänge zu Themen aus der Lebenswelt der Kinder im Sach-
 Im Artikel „Phänomene am Schulanfang“ stellt ein            unterricht oder gute Wege zum Erwerb und zur weiteren Ent-
 Team der Universität des Saarlandes vor, wie ­natürliche    wicklung der Schriftsprache.
 ­Erscheinungen eine wichtige Rolle im Sachunterricht           Außerdem wird das Lernen außerhalb der Schule als wich-
  spielen können und eröffnen so wichtige didaktische        tige Alternative vorgestellt und viele Anregungen werden be-
  Wege für den Zugang zu naturwissenschaftlichen             nannt. Nicht zuletzt kommen Kinder mit ihren Wünschen
  ­Inhalten.                                Seite 22–23      und Erwartungen an die Schule zu Wort. Bei allen Verände-
                                                             rungen in den letzten Monaten bleiben wesentliche Einsichten
                                                             bestehen: Kindern müssen vielfältige Lernangebote gemacht
                                                             werden und individuelle Wege müssen kompetent begleitet
                                                             werden. Das brauchen alle Kinder – gerade jetzt!
                                                                Einen besonderen Blick auf die Durchführung von
                                                             ­Online-Unterstützung für Schüler:innen bietet das Projekt
                                                             LeOn des Jungen Grundschulverbandes aus Bremen. Die dort
                                                             gesammelten Erfahrungen sind sicher hilfreich für andere
                                                             Projekte zur Gestaltung verschiedener Möglichkeiten außer-
                                                             halb eines Präsenzunterrichtes, der vielleicht auch im kom-
                                                             menden Schuljahr nicht überall dauerhaft gewährleistet sein
                                                             wird. Für die individuelle Unterstützung sind besondere Lern-
                                                             materialien erforderlich, die nicht unbedingt schon alle zur
                                                             Verfügung stehen. Mit der Frage nach der Qualität von inklu-
                                                             siven Lehr- und Lernmaterialien setzt sich das Team um Frau
 In unserer Rubrik „Aus der Forschung“ geben uns Hans        Prof. Vogt auseinander. Ich würde mich sehr freuen, wenn der
 Brügelmann und Erika Brinkmann einen hochinteressan-        Austausch zwischen Forschenden und Lehrenden mit diesem
 ten Einblick in wichtige Fragen des Anfangsunterrichtes     Artikel noch weiter befördert werden kann.
 im Lesen und Schreiben. Sie setzen sich kritisch mit dem       Neben dem Inhalt ist dieses Mal auch die Form der Ver-
 silbenanalytischen Modell auseinander und liefern einen     breitung unserer Zeitschrift bemerkenswert: Diese Ausga-
 wichtigen Beitrag zu der immer wieder aufflammenden         be steht als kostenloser Download für alle Interessierten auf
 Debatte, wie Kinder den Zugang zur Schriftsprache er-       unserer Homepage zur Verfügung und wird danach wie ge-
 langen sollten.                               Seite 35–38   wohnt in gedruckter Form an all unsere Mitglieder verschickt.
                                                             Zum einen stehen Ihnen die Inhalte unseres „Septemberhef-
                                                             tes“ so sehr früh zur Verfügung, idealerweise können Sie die
                                                             Anregungen bereits vor Ihrem Start in das neue Schuljahr le-
                                                             sen und in Ihren Teams über diese diskutieren. Zum ande-
                                                             ren können Menschen, die (noch) nicht Mitglied im Grund-
                                                             schulverband sind, einen Eindruck gewinnen, ob sie vielleicht
                                                             dauerhaft unsere Zeitschrift bekommen und die Arbeit des
                                                             Verbandes unterstützen möchten. Ich lade Sie herzlich ein,
                                                             Mitglied zu werden!
                                                                Ich wünsche Ihnen eine gute, erholsame Sommerzeit und
                                                             einen erfolgreichen Start in das neue Schuljahr.
www.
       grundschule-aktuell.info                                                                             Michael Töpler
Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“
und hier das Archiv der Zeitschrift:
www.
       grundschulverband.de/archiv/

                                                                               GS aktuell 155 • September 2021          1
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Tagebuch

Ich bin dabei, weil …

                        Gabriele Klenk                          arbeit im Sachunterricht“. Wir waren begeistert davon, dass
                        seit 1996 Mitglied                      wir wirklich „Schule neu denken“ konnten und damit nicht
                        im Grundschul­verband                   alleine waren. Uns wurde bewusst, dass die Jahrgangsmi-
                                                                schung und die Inklusion nur eine logische Folge von die-
                                                                ser „Sicht“ war. Und so machte ich meine ersten Erfahrun-
                                                                gen als Lehrerin mit jahrgangsgemischten Klassen, die ich
                                                                begeistert weitergab. Innerhalb der Lehrerbildung konnten
                                                                wir plötzlich viele Menschen erreichen mit „Grundschul-
                                                                verbandsideen“, die auch unsere eigenen waren. In Arbeits-
                                                                kreisen, in Lehrplankommissionen und bei Grundschulta-
                                                                gen der Landesgruppe erreichten „wir im GSV“ plötzlich
Vor über 25 Jahren war ich auf einem Grundschultag in           sehr viele Lehrkräfte und ganze Studienseminare wollten
einem Workshop „Jeder kann jeden Tag anfangen, seine            dazukommen. Wir luden namhafte Referent*innen ein, die
Schule zu ändern“. Die Referentin hatte Fotos ihrer Schu-       uns alle begeisterten und die wir eigentlich nur aus Bü-
le dabei, die sie groß auf einer Leinwand präsentierte und      chern kannten. Als Schulleiterin brachte ich meine Visio-
dazu erzählte. Es war die damalige Landesgruppenvor-            nen mit den „7 Prüfsteinen für eine moderne GS“ ein. „Mit
sitzende des Grundschulverbandes, von dem ich bislang           Kindern Schule machen“, „Mehr Bildungszeit für Kinder“,
nichts wusste, obwohl ich eine leidenschaftliche Grund-         „Individuell fördern – Gemeinsamkeit stärken“, „Kein Kind
schullehrerin war.                                              beschämen“ sind nur einige davon. Wir waren davon über-
   Von der ersten Minute an war mir klar: Da ist endlich so     zeugt und wollten Überzeugungsarbeit bei anderen leis-
eine Lehrerin, die genau so denkt wie ich. Eine Lehrerin,       ten. Im Laufe der Zeit gewannen wir immer mehr Lehr-
die dieselbe Haltung gegenüber Kindern hat, wie ich. Eine       kräfte dafür, sich mit einer Mitgliedschaft im GSV zu ihrer
Lehrerin, die Mut macht, diese Haltung zu leben, und die        eigenen Haltung zu bekennen und andere davon zu über-
mir bestätigt, dass es richtig sei, vom Kind aus zu denken      zeugen. Heute kämpfe ich mit meinem Landesgruppenvor-
und nicht vom „Stoff “.
   Ich war also nicht allein mit dieser Haltung, es gab davon
noch viele Lehrkräfte und diese hatten sich zusammenge-
funden in einem bundesweiten Verband, der sogar in Bay-
ern eine Landesgruppe hatte. Die Haltung war mir ver-
traut, der Name unbekannt: Grundschulverband. Ich war
hellhörig geworden und sofort begeistert. Natürlich woll-
te ich über mein Kollegium hinaus mit Gleichgesinnten in
einen Austausch kommen. So gründeten wir – drei Kolle-
ginnen aus drei verschiedenen Schulen – eine Regional-
gruppe Mittelfranken im GSV, die es bis heute noch gibt.
Als neues Mitglied im GSV staunte ich immer wieder über
die Zeitschrift „Grundschule aktuell“, die mit ihren Arti-
keln genau meine Einstellung zur Grundschule traf und           stand in Bayern in Gesprächen mit dem Staatsministerium
die mir plötzlich Argumente lieferte für meine Diskussio-       weiterhin für ein Verständnis der Grundsätze einer kin-
nen. Mit „Teamarbeit in der GS“, „Alltag im offenen Unter-      dergerechten und zukunftsfähigen Grundschule, die in den
richt“, “Lernwerkstätten“ usw. waren es vor 25 Jahren Bü-       Standpunkten des GSV aufgezeigt sind.
cher, vom GSV herausgegeben, die meine Arbeit immer                Ja, genau deshalb bin ich im Grundschulverband, weil
mehr unterstützten, deren Inhalte aber für Bayern in weiter     ich es selbst erlebt habe: Jeder kann jeden Tag anfangen,
Zukunft schienen. Im Laufe der Zeit sammelten wir inner-        seine Grundschule mitzugestalten. Das will ich nicht al-
halb unserer Regionalgruppe immer mehr Lehrkräfte um            leine tun, sondern gemeinsam mit vielen Menschen ver-
uns und stellten fest: Es gab auch in Bayern viele Lehrkräf-    schiedener Altersgruppen und vielen verschiedenen Ideen
te, die diese Haltung hatten. In regelmäßigen Treffen plan-     in einem starken Verband, der seine Stimme für die Kin-
ten wir damals Unterricht zu „Lesen ohne Fibel“, „Eigen-        der, deren Lehrkräfte und Eltern in der Grundschule dazu
produktionen im Mathematikunterricht“ oder „Werkstatt-          erhebt. Für: KINDER – LERNEN – ZUKUNFT.

2       GS aktuell 155 • September 2021
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

 Die Schule aus vielen
­Perspektiven betrachten
    Wenn es um den Start in die Schule geht, treffen viele Er-   an anderen Lernorten, es geht um Sprache und Schrift.
    wartungen und Hoffnungen aufeinander – von Kindern,          ­Kinder benennen ihre Wünsche an die Schule.
    Lehrkräften, Eltern und vielen weiteren Erwachsenen aus       Wenn es uns gelingt, immer wieder die Perspektiven der
    der Schule oder aus den Familien.                             Kinder zu erfahren und in den Mittelpunkt zu stellen, dann
    Es ist wichtig, dass wir über diese Erwartungen aneinan-      wird Schule immer mehr zu einem Lebens- und Lernort, in
    der und die Hoffnungen für uns und die uns anvertrauten       dem alle Kinder angenommen werden und sich gut entwi-
    Kinder sprechen.                                              ckeln können.
    Wir schauen in den ersten Texten unseres Schwerpunktes                                                   Michael Töpler
    auf das Ankommen in der Grundschule und den Schritt
    wieder hinaus. Es geht um das Lernen in der Schule und

Lisa Martje Koch

Der Schulanfang an der Winterhuder Reformschule
„Ihr seid herzlich willkommen und ihr werdet sehen,
hier bei uns ist es schön!“

F
       ragt man Erwachsene nach ihrer      tet allen Kindern in den Lerngruppen          keit als wichtigstes Element von Anfang
       Schulzeit, so wird schnell klar,    Gelegenheit zu wachsen; Rollen werden         an, auch bei Gesprächen mit den vier-
       dass sich viele an ihren Schulan-   neudefiniert und gefunden.                    einhalbjährigen Kindern und dem Tag
fang erinnern.                                Dieser Prozess wird von uns Lehr-          der offenen Tür. Die Kinder können bei
   Als Schulkind kommt man das ers-        kräften aktiv gestaltet, wir sprechen ge-     allem dabei sein, müssen es aber nicht.
te Mal unmittelbar mit einer staatli-      meinsam darüber, wie ihr erster Schul-           Vor dem Schulstart bieten wir den
chen Institution in Berührung, wo die      tag war, welche (­ Vor-) Freuden und wel-     Sonnenblumenkindern einen Schnup-
Teilnahme verpflichtend ist, was für       che Sorgen sie im Gepäck hatten, um da-       pertag in einer Kleingruppe an. Wir Pä-
die Bildungskarriere, aber auch für die    raus gemeinsam zu entwickeln, wie wir         dagog*innen machen uns an dem Tag
Wahrnehmung als Akteur*in in der Ge-       in diesem Jahr unseren Sonnenblumen-          für die Zuteilung zu den Lerngruppen
sellschaft von Bedeutung ist. Man er-      kindern einen schönen Start bescheren         ein Bild von den Kindern. Direkt vor
fährt sich in dieser exemplarischen Ge-    wollen.                                       den Sommerferien gibt es einen Ken-
sellschaft im besten Fall als sicher und                                                 nenlerntag in der neuen Gruppe. Die
selbstwirksam. Vertrauen ist dafür Vo-     Vor der Einschulung                           Kinder holen die Sonnenblumenkin-
raussetzung; zu dem Vertrauensspan-                                                      der vor dem Gebäude ab. Danach dür-
nungsfeld gehören neben den Kindern        Fragt man Kinder, was sie von der Schu-       fen die Kinder in den meisten Grup-
und den Pädagog*innen auch die Eltern.     le erwarten, sind die G
                                                                 ­ efühle gemischt;      pen zunächst den Raum erkunden, et-
   In unserer Primarstufe werden Kinder    es paaren sich Vorfreude und Motiva-          was malen, spielen oder bauen. Dabei
von der Vorschule (Jahrgang null) bis      tion mit Ängsten und Unsicherheiten           ist der Kontakt in einer Kleingruppe für
Jahrgang vier gemeinsam in jahrgangs-      (Werde ich Freunde finden? Was wird           den Hemmungsabbau ein wichtiges Ele-
gemischten Lerngruppen zusammenge-         in der neuen Schule von mir erwartet?).       ment, bevor sich im Kreis mit allen ge-
fasst. Vier Lerngruppen bilden ein Farb-   Kinder stehen in dieser Situation unter       troffen wird.
team. Die Einschulungen werden in den      besonderem Stress und Druck. Daher ist           Dann bereitet sich die Lerngruppe auf
Farbteams organisiert. Die Einschulung     es uns ein Anliegen, Hemmungen vom            ihre Sonnenblumenkinder vor; die Gro-
unserer Sonnenblumenkinder, so nen-        ersten Kontakt an abzubauen. Dabei            ßen können Paten für die Jüngeren wer-
nen wir unsere Neuankömmlinge, bie-        gilt für uns das Prinzip der Freiwillig-      den – eine äußerst beliebte Aufgabe.

                                                                                       GS aktuell 155 • September 2021         3
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

Der Einschulungstag                           ausgesucht hast“). Es folgen gruppen-
                                              spezifische Angebote: Glückssteine dür-
Die Einschulungen werden von den              fen aus einem Sandberg geborgen und
Kindern gestaltet, von der Einladung,         mitgenommen werden, selbstgebastelte
der Begrüßung (in unterschiedlichen           Schultüten mit Wünschen für die Schul-
Sprachen) über die Moderation und die         zeit oder Willkommenskarten – diese
Programmpunkte bis zur Verabschie-            Besonderheiten werden von den Kindern
dung der Lerngruppen in ihre Grup-            der Lerngruppen vorher ausgesucht.
penräume. An unserer Schule gibt es             Es gibt bei uns generell keine Haus-
eine Tradition für solche Festgestaltung;     aufgaben, in einigen Gruppen gibt es be-
                                                                                            Lisa Martje Koch
monatlich gibt es bei uns eine Monats-        wusst eine kleine Aufgabe am Einschu-
                                                                                            absolvierte ihren Vorbereitungsdienst
feier, bei der verschiedenste Arbeits-        lungstag, die freiwillig erledigt werden
                                                                                            an der Winterhuder Reformschule.
ergebnisse vorgestellt und gewürdigt          und den Kindern am nächsten Tag als
                                                                                            Seit 2018 ist sie dort Lerngruppen-
sowie gemeinsam gesungen wird. Zu             Mittel für die erleichterte Kontaktauf-
                                                                                            leitung und seit 2019 Fachleitung
den ritualisierten Elementen der Ein-         nahme zur Lehrkraft dienen darf. Zum
                                                                                            Deutsch für die Jahrgänge eins bis
schulung gehören vier Lieder: „Ihr seid       Abschied werden in allen Gruppen
                                                                                            sieben.
herzlich willkommen“, „Trau dich ran“,        Fotos erstellt.
„Gute Frage, nächste Frage“ und als
Abschluss „Unser Kreis, der sei offen“.       Ankunft in der Lerngruppe
Die kurze Rede der Schulleitung hat als                                                    Lernen am Schulanfang
wichtigste Aussage: „Wir sind gespannt        „Ich habe gemerkt, dass ich keine Angst
darauf, was ihr schon alles gelernt habt      haben muss, dass Mama in der Schule          „Ich lobe die Schule, weil ich hier machen
und könnt und freuen uns auf eure             nicht bei mir ist, weil ich Trost bei mei-   kann, was ich möchte und nicht zum
Neugier. Hier gibt es viel zu entdecken       nen Paten gefunden habe“ (Zitat einer        Arbeiten gezwungen werde“ (Zitat eines
und zu erleben.“ Mit veralteten Ansich-       Zweitklässlerin, die über ihren Schulan-     Vorschülers, der bereits leidenschaftlich
ten über Schule, wie „heute beginnt der       fang spricht).                               im 20er-Zahlenraum rechnet).
Ernst des Lebens“ wird an dieser Stelle          In den kommenden Wochen finden               Kolleg*innen, die von Regelschulen zu
ganz bewusst gebrochen.                       sich die Schulanfänger*innen in der          unserer Schule kommen, beschreiben als
   Den Sonnenblumenkindern werden             neuen Gruppe und Lebenssituation ein.        größten Unterschied zu dem zuvor Ge-
von ihren Paten Sonnenblumen über-            Das braucht Zeit; daher beginnt bei uns      lernten und Praktizierten: das Loslassen
reicht. Die Paten rufen ihre Schützlinge      die Prozessbegleitung vorher und bleibt      der Kinder. Beim Schulanfang zeigt sich
mit Namen auf. Trauen sich die Kinder         weiter Thema – eine notwendige Voraus-       die besondere Herausforderung unseres
nicht, gehen die Paten zu den Kindern         setzung für soziales Lernen und fachli-      Lernsystems am besten; wir benötigen
an deren Platz und ermutigen sie mit-         ches Lernen, das erst durch Sicherheit       Vertrauen in die Kinder, die selbst wis-
zukommen, während das nächste Kind            und Vertrauen gelingen kann. Dieser          sen, was sie wollen. Wir fungieren von
aufgerufen wird. Dieses Vorgehen wirkt        Prozess wird durch gruppendynamische         Beginn an als Begleiter*innen, die den
entlastend für ängstliche Kinder, da der      Spiele und gemeinsame Reflexionen im         Kindern Material anbieten, unter dem
Fokus von ihnen abgelenkt wird. Der           Kreis unterstützt.                           die Kinder ihre ­Arbeitsschwerpunkte
Kontakt wird gestaffelt, vom Einzelkon-          Dabei wirken die Paten emotional ent-     selbst wählen.
takt zur Kleingruppe in die Großgruppe,       lastend für die Kinder, zeigen ihnen al-        Alle arbeiten mit individualisierten
sodass Selbstsicherheit im Kontakt lang-      les (von der Toilette über die Sporthalle    Arbeitsplänen und in Kleingruppen an
sam wachsen kann. Daher entscheiden           bis zu Pausenangeboten), geben bei Be-       freien Projekten. Alle machen und kön-
sich viele Kolleg*innen nach dem An-          darf Hilfestellung (z. B. beim Umziehen)     nen Unterschiedliches. So bleibt der
kommen in der Aula für einen offenen          und entlasten so auch die Lehrkraft. Da-     Selbstwert erhalten, weil es keine Ver-
Beginn in der Lerngruppe. Das heißt, die      bei beziehen sie uns Pädagog*innen ggf.      gleiche gibt. Negativen Selbstbildern
Paten zeigen, was es im Lerngruppen-          mit ein.                                     kann so konstruktiver begegnet werden.
raum zu entdecken gibt, bevor wir uns            Die wichtigste Hürde der ersten drei      In kleinen Kreisen zeigen die Lehrkräf-
zum Ende der Einschulung in einem kur-        Wochen ist, emotional abgeholt zu wer-       te neues Material, sodass die Kinder An-
zen Kreis mit kleiner Vorstellung, einem      den – dazu gehört auch, ob Kinder Früh-      satzpunkte haben, aber es gilt auch hier
gemeinsamen Spiel und/oder Lied tref-         stück dabei haben bzw. die Kinder ihres      das Prinzip der Freiwilligkeit.
fen. Kinder, die mögen, stellen sich vor,     sonst teilen werden, um Fürsorge und            Aufholen ist schnell möglich, denn
andere werden durch ihre Paten vorge-         Halt zu geben. Selbstverständlich wird       intrinsisch motiviert kommen wir zügig
stellt. Für die Vorstellungsrunde bietet      in solchen Fällen schnell Kontakt zu den     voran. Selbstverständlich obliegt es uns
sich ein Medium an, das stillen Kindern       Eltern gesucht.                              als Lehrkräften, den Blick auf die Lern-
ermöglicht, zumindest etwas zu zeigen,           Der Kennenlernprozess kann durch          entwicklung zu haben und die Lernbe-
wenn sie nichts sagen möchten. Ich nutze      ein Bilderbuch und kleine Gestaltungs-       gleitung aktiv zu unterstützen.
dafür gerne Schleichtiere („Such dir ein      aufgaben begleitet werden (Buchtipp:            Kinder haben anfangs Erwartungen
Tier aus, das zu dir passt. Vielleicht ver-   Das große Buch der Familie. Du gehörst       an die Schule, die häufig von (Groß-)
rätst du uns später, warum du das Tier        dazu).                                       Eltern geprägt sind (Ernst des Lebens,

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Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

in der Schule lernst du Lesen, Schreiben      auch ihnen nicht immer leicht, ihre Kin-       die Basis für Lösungen von schwierigen
und Rechnen), und voller Verwunde-            der loszulassen und sich dem sozialen          Situationen (bei Lernschwierigkeiten
rung stellen sie bei uns fest, dass ­Schule   Druck (besonders durch Gespräche mit           und Erziehungsfragen).
mehr ist – nämlich soziales Lernen und        Eltern von Kindern anderer Schulen)               Wenn sich ein Sonnenblumenkind am
der eigenen Neugier zu folgen. Das Ler-       zu entziehen. Tür-und-Angel-Gesprä-            zweiten Schultag bei seinem Paten ein-
nen geschieht ganz automatisch. Die           che in der Anfangsphase sind organisch         hakt mit den Worten „Ach, so lässt es
Motivation und Freude der Kinder blei-        und unkompliziert organisierbar. Eltern        sich leben“ (Beobachtung einer Kollegin
ben erhalten.                                 brauchen Anerkennung ihrer Themen              am Schulanfang letzten Jahres) oder sich
                                              und von uns Pädagog*innen ein ehrli-           ein Kind im vierten Jahrgang mit einem
Elternkontakt am Schulanfang                  ches, wohlwollendes, klares, authenti-         Brief verabschiedet, in dem steht „Dan-
                                              sches und wertebasiertes Auftreten. Die        ke, dass du immer an mich geglaubt hast.
Zu dem Vertrauensspannungsfeld gehö-          Sichtbarkeit des Austausches ist auch          Bleib, wie du bist!“, dann wissen wir, der
ren auch die Eltern. Viele Eltern ent-        für die Kinder wichtig. Sie verdeutlicht,      Schulanfang und die damit verbundene
scheiden sich aktiv, ihre Kinder in unser     dass wir als Pädagog*innen eine Zuge-          Primarstufenzeit bleiben so in der Erin-
Lernsystem zu schicken, aber es fällt         hörigkeit zu ihrem Leben haben. Sie ist        nerung, wie wir es uns wünschen.

Hannes Fischer

Mit zuversichtlichem Blick auf das neue Schuljahr
Sechstklässler reflektieren die Grundschulzeit

I
    n der Diskussion um das neue Schul-       zeit während Phasen des Distanzunter-
    jahr und um die Auswirkungen der          richts mit der im Präsenzunterricht
    Pandemie wird immer wieder eine           vergleichen sowie Vor- und Nachteile
defizitäre Sicht auf unsere SchülerInnen      des Distanz- bzw. Wechselunterrichts
dargestellt, die sich in Gänze nicht mit      benennen. Im letzten Schritt sollten die
den Beobachtungen in meiner 6. Klasse         SchülerInnen ihre Lernerfahrungen im
deckt. Sicherlich haben sich über die Pan-    Distanzlernen, ihre Erwartungen an den
demie bei den SchülerInnen Defizite im        zukünftigen Unterricht, die LehrerInnen
Lernen entwickelt. So konnten doch die        und MitschülerInnen sowie ihre Wün-
sozialen Kompetenzen in den neuen             sche zum neuen Schuljahr reflektieren.
                                                                                              Hannes Fischer
Unterrichtsmodellen des Distanz- bzw.         Die Ergebnisse deckten sich weitestge-
                                                                                              wurde 1984 in Coburg geboren.
Wechselunterrichts und mit dem                hend mit meinen Vermutungen, hielten
                                                                                              Nach seinem Abitur an einem mu-
Abstandsgebot nicht ausreichend vermit-       aber auch neue Erkenntnisse bereit.
                                                                                              sischen Gymnasium absolvierte er
telt und geübt werden. Ebenso war die            Nach der Auswertung der Schülerant-
                                                                                              seinen Zivildienst an einer Schule
Vermittlung von neuen Unterrichtsinhal-       worten wurde deutlich, dass diejenigen
                                                                                              mit dem Förderschwerpunkt geistige
ten erschwert sowie der Lernprozess von       SchülerInnen erfolgreich lernten, welche
                                                                                              Entwicklung und entschied sich im
der direkten Unterstützung durch die          die Fähigkeiten mitbrachten, das eigene
                                                                                              ­Anschluss für ein Lehramtsstudium an
Lehrkräfte weitestgehend losgelöst. Den-      Lernen selbst zu organisieren, was ein
                                                                                               der Universität Würzburg.
noch konnten sich einige meiner Schüler-      hohes Maß an Selbstständigkeit erfor-
                                                                                               Seit 2014 arbeitet er als Grundschul-
Innen sehr viel besser auf die veränderten    derte. SchülerInnen, die dabei die Mög-
                                                                                               lehrer für Englisch und Musik an einer
Bedingungen einstellen als andere, ihren      lichkeit der Unterstützung nutzen konn-
                                                                                               brandenburgischen Grundschule. Zum
Lernprozess optimieren und sehr erfolg-       ten, auch wenn sie nicht immer benötigt
                                                                                               Grundschulverband stieß er im Jahre
reich auch neue und schwierige Lernin-        wurde, profitierten, in meinen Augen,
                                                                                               2018 und engagiert sich seither im Vor-
halte selbstständig erarbeiten.               besonders von der Beschäftigung mit
                                                                                               stand der Landesgruppe Brandenburg.
   Dies ließ die Frage nach den Grün-         dem eigenen Lernprozess. Dadurch wur-
den aufkommen und führte mich zu der          de die Selbstkompetenz weiterentwickelt
Idee, diesen mit Hilfe einer Schülerbe-       und die Selbstwirksamkeit gestärkt. „Ich
fragung nachzuspüren. Die SchülerIn-          habe gemerkt, dass ich manches schnel-         beim Lernen alleine bzw. weniger Ab-
nen sollten den Grad der Unterstützung        ler und manches langsamer lerne.“ Oder:        lenkung beim Lernen in kleineren Lern-
und der Selbstständigkeit im Arbei-           „Ich weiß jetzt, wie ich alleine am besten     gruppen und die Möglichkeiten, die das
ten auf einer Skala mit vier Wahlmög-         lernen kann.“                                  digitale Lernen bietet, Wissen selbst-
lichkeiten von sehr hoch bis gering ein-         Von den SchülerInnen wurde weiter-          ständig zu erarbeiten, positiv auf ihr
schätzen. Weiterhin sollten sie ihre Lern-    hin hervorgehoben, dass sich die Ruhe          Lernen ausgewirkt hat. Dadurch konn-

                                                                                           GS aktuell 155 • September 2021               5
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

ten die SchülerInnen ihre Medienkom-               Das Ende der sechsjährigen Grund-         und netten MitschülerInnen, die „cool“,
petenz weiter ausbauen („Ich nehme mit,         schulzeit meiner Klasse war Anlass,          aber auch „ruhig und unterstützend“ im
dass man mehr mit dem Internet arbeiten         einen Blick auf die 7. Klasse zu werfen.     Lernen sein sollen, durchweg geäußert.
kann“) und ihre Lernprozesse effektiver         Die Erwartungen der SchülerInnen an          Die Schule, die Lehrkräfte und die eige-
gestalten, was sich oft sogar positiv auf die   ihre neuen Schulen, den Unterricht und       ne Klasse sind wichtige Teile des sozia-
Lernzeit auswirkte, die für ein erfolgrei-      ihre Lehrer lassen die Arbeitsfelder er-     len Rasters, über das GrundschülerIn-
ches Lernen aufgewendet werden muss-            kennen, die es schneller denn je anzuge-     nen verfügen, daher begrüße ich es sehr,
te („Im Homeschooling konnte man seinen         hen gilt. So erwarten meine SchülerIn-       dass uns vom Bildungsministerium des
Tag selber gestalten. Man hat auch mehr         nen neben praxisorientiertem und span-       Landes Brandenburg mit der Organi-
Ruhe und Zeit für die Aufgaben gehabt“).        nendem Unterricht auch, dass das digi-       sation des neuen Schuljahres die Zeit
   Einen Vorteil in den Phasen des Dis-         tale Lernen fest im Unterricht verankert     gegeben wird, ohne Druck in Form von
tanzlernens, der zu einer höheren Leis-         wird und die neuen digitalen Lernfor-        Klassenarbeiten und mit der Bitte, bei
tungsfähigkeit geführt haben könnte, sa-        men zum Schulalltag werden. „Ich möch-       der Leistungsbewertung „pädagogisches
hen die SchülerInnen auch in dem Fakt,          te an der neuen Schule mehr mit digitalen    Augenmaß zu wahren“, um den Schüler-
dass sie ausschlafen konnten. Zunächst          Medien arbeiten.“ Ebenso wird erwartet,      Innen ein „behutsames Einleben in den
eine triviale Forderung, doch wenn man          dass den SchülerInnen, die Unterstüt-        regulären Schulbetrieb“ zu ermögli-
die Aussagen der Schlafforschung und            zung bekommen, die sie benötigen, „al-       chen, eine funktionierende Klassenge-
die aktuelle Diskussion um einen spä-           les genau erklärt wird“ und dass „die Leh-   meinschaft etablieren, auch mehrtägi-
teren Schulanfang betrachtet, erscheint         rer auf alle eingehen“.                      ge Schulfahrten unternehmen und den
dieser Punkt der SchülerInnen als wich-            Für mich und meine SchülerInnen           Schwerpunkt auf das soziale Miteinan-
tiger denn je. Doch nicht nur der späte-        bleibt im Moment nur zu hoffen, dass die     der an Schule legen zu können.
re Schulbeginn wurde thematisiert, auch         dafür nötigen Rahmenbedingungen durch           Wenn es geschafft wird, die richtigen
die Möglichkeit „den Stundenplan selbst         die Digitalpakte und mit dem „Aktions-       Personen in ausreichender Zahl an die
zu schreiben“, also selbst zu entscheiden,      und Aufholprogramm“ schnell und unbü-        Schulen zu bringen, bin ich zuversicht-
wie viel und wann man etwas macht,              rokratisch geschaffen werden können.         lich, dass durch die beschriebenen Maß-
wurde von den SchülerInnen als gro-                Außerdem konnten meine Schüler-           nahmen auch die SchülerInnen wieder
ßer Motivationsfaktor beim Lernen in            Innen Wünsche für das neue Schul-            Anschluss finden, die sich während der
Distanz beschrieben. Den SchülerInnen           jahr äußern. Hier wird deutlich, was die     Pandemie „mehr Zeit zum Selbststän-
diese Freiheiten im System Schule zu er-        SchülerInnen während des Distanzler-         digwerden“ gewünscht hätten oder die
möglichen, erscheint mir neben der Di-          nens am meisten vermisst haben: die so-      „nicht immer alles mit dem Lehrer bespre-
gitalisierung eine weitere Herausforde-         zialen Kontakte und Berührungspunkte.        chen konnten, sondern erst eine Mail oder
rung für unser Bildungssystem.                  So wird der Wunsch nach Klassenfahrten       so schreiben mussten“. 

Franziska Milke, Maren Vialon

Lernorte entdecken: Im Park Sanssouci in Potsdam
2953 Schritte in die vorbereitete Umgebung am Neuen Palais

N
        ach den Erfahrungen im ver-                Unser erster Weg führte uns zum Neu-      das Zeichnen von Details der Bildhau-
        gangenen Schuljahr, mit Schul-          en Palais. Der Weg dorthin hatte für die     erkunst und Architektur an und übten
        schließung, mit Lernen im               Kinder genau die richtige Länge – 2009       das genaue Hinsehen. Dadurch kamen
Wohn- und Kinderzimmer, Wechsel-                bis 2953 Einzelschritte - und so soll-       erste Fragen auf. Wen stellen diese Figu-
unterricht und Dauerlüften, mussten             te dieser Ort für lange Zeit unser zwei-     ren eigentlich dar? Warum haben einige
wir uns zu Beginn dieses Schuljahres            ter Lernort werden, an dem wir zweimal       von ihnen Tiere dabei oder sind selbst
eingestehen, dass „normaler“ Unterricht         pro Woche einen Vormittag verbringen         zu Teilen Tier, Pflanze, Stein ...? Die ers-
auch weiterhin nicht möglich sein wür-          würden. Und das Schloss mit seiner Um-       ten Kinder begannen, ihre eigenen Ge-
de. Wir beschlossen also, einen Großteil        gebung bot vielfältige Lernanlässe.          schichten dazu zu erfinden. Wir nah-
des Unterrichts der Klassen Mb und Mc              Die Gebäude mit den vielen sie um-        men die Schreibbücher mit zum Schloss.
nach draußen zu verlegen. Unsere Schu-          gebenden Statuen, die uns dort jedes         Wer noch schreiben lernte, lautierte
le ist die Montessori-Oberschule in             Mal erwarteten, kannten wir alle. Vom        und schrieb Wörter aus der Umgebung:
Potsdam-West. Unsere Gruppen sind               Schulweg oder von Spaziergängen. Zeit,       Schloss, Treppe, Laterne, Schildkröte,
jahrgangsgemischte Gruppen mit Kin-             sie einem genaueren Blick zu unterzie-       Krone. Einige Statuen wurden nachge-
dern aus den Klassenstufen 1, 2 und 3.          hen. Wir näherten uns zunächst durch         stellt, aus der Körperhaltung entwickel-

6           GS aktuell 155 • September 2021
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

                                                                                          Symmetrie ist. Auf beiden Seiten stehen
                                                                                          gleich viele Statuen in gleicher Anord-
                                                                                          nung. Und weil alle gezählten Statuen
                                                                                          dokumentiert werden sollten, muss-
                                                                                          ten wir einen Grundriss zeichnen. Um
                                                                                          diesen für alle verständlich zu machen,
                                                                                          bauten wir in der Schule ein Modell des
                                                                                          Schlosses aus den Kuben des Tausender-
                                                                                          kubus. Danach wollten fast alle einmal
                                                                                          versuchen, die Gartenansicht des Schlos-
                                                                                          ses als Ganzes zu zeichnen. Auffällig war,
                                                                                          dass der König, der all dies erbauen ließ,
                                                                                          für die Kinder weitgehend uninteressant
                                                                                          blieb. Ein König wie Friedrich II. ist we-
                                                                                          nig märchenhaft und das Bild des Mär-
                                                                                          chenkönigs zu entzaubern, passt nicht
                                                                                          für diese Altersstufe.
                                                                                             Inzwischen hatten wir eine Fülle an
                                                                                          möglichen Aufgaben für die Unter-
                                                                                          richtsgänge zum Schloss und ständig ka-
                                                                                          men durch die Fragen und Entdeckun-
                                                                                          gen der Kinder oder unsere Anregun-
                                                                                          gen neue hinzu. Im Herbst wurden bei-
                                                                                          spielsweise Blätter gesammelt, gepresst,
                                                                                          gezeichnet und bestimmt. Die Kinder
                                                                                          lernten, die verschiedenen Blattformen
                                                                                          zu benennen (viele sind symmetrisch).
                                                                                          Da bei jedem Unterrichtsgang min-
                                                                                          destens drei Erwachsene dabei waren,
                                                                                          konnten wir die Kinder in kleinen Grup-
                                                                                          pen begleiten und anleiten, verschiede-
                                                                                          ne Angebote machen. Timuçin Karakuş
                                                                                          bot Jonglieren, Musiklehrerin Katharina
                                                                                          Klucke barocke Tänze im Freundschafts-
                                                                                          tempel an. Immer mehr Kinder konnten
                                                                                          aber auch an dem immer vertrauter wer-
oben: Statue im Säulengang vor dem Neuen Palais im Original und ge-                       denden Ort bald selbstständig arbeiten.
zeichnet, unten: Frontansicht des Neuen Palais von der Gartenseite aus
                                                                                          Eine erstaunliche Beobachtung machten
                                                                                          wir Erwachsenen im späten Herbst, als
ten sich Rollen und daraus kleine Thea-     schen Mythologie gelesen, gezeichnet          wir zur Abwechslung einen langen Spa-
terszenen.                                  und dazu geschrieben.                         ziergang durch den Wildpark machten.
   Schließlich erzählte ich die Geschich-     Während wir die Statuen nach und            Es waren keine Aufgaben vorgegeben.
ten aus der griechischen Mythologie vor     nach immer besser kennenlernten, hat-         Die suchten sich die Kinder selbst. Sie
den entsprechenden Statuen. An der          ten einige Kinder mit Referendar Timu-        übertrugen ihr Verhalten aus dem Park
Gartenseite des Palais steht Daphne,        çin Karakuş begonnen, nach dem Weg            auf den Wald, der dadurch auch zum
die sich vor dem unerwünschten Wer-         von der Schule zum Schloss, auch das          Lernort wurde. Die Zahl gestapelter
ben Apollos in die Gestalt eines Lorbeer-   Schloss zu vermessen. Mit Schritt-, Fuß-      Baumstämme wurde geschätzt, gezählt
strauches flüchtet. Die Kinder fanden       und Metermaß wurde das Gebäude um-            und hochgerechnet. Bäume wurden
bald den unglücklich verliebten Apollo,     rundet. Nun stellte sich die Frage: Wie       untersucht. Im Gehen wurden Gedich-
der aus einiger Entfernung von einem        viele Statuen stehen hier eigentlich? Ei-     te und das Zählen im Binärsystem mit
Sockel im Garten auf Daphne schaut.         nige Kinder legten fest, was genau als        den Fingern geübt. Flechten und Moose
Auch Eros, der dieses Drama ausgeheckt      Statue gelten sollte (keine Büsten, kei-      wurden gesammelt und zum Mikrosko-
hat, steht in der Nähe.                     ne Tiere – die wurden von einer ande-         pieren mit in die Schule gebracht.
   Die Geschichte von Aphrodite und         ren Gruppe gezählt –, keine leeren Rüs-          Mit dem Frühling wurde der Wald zu
dem Zankapfel wurde von den Kindern         tungen). Sie schätzten, zählten und ad-       unserem neuen Lernort. Wir übten, uns
oft nacherzählt und -gespielt. In der       dierten – schriftlich oder mit Hilfe des      zu orientieren, lernten, an Weggabelun-
Schule wurde viel über weitere Held*in-     Markenspiels – in der Schule. Wie bei-        gen die Winkel zu benennen. Frühblü-
nen und Gött*innen aus der griechi-         läufig erkannten die Kinder dabei, was        her, Zitronenfalter und das allmähliche

                                                                                        GS aktuell 155 • September 2021           7
Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

Grünen der Stockwerke des Waldes be-          Fragen zu stellen und sich ihre Auf-
gleiteten die kosmischen Erzählungen          gaben – wie in der Schule – in ihrem
vom Kommen der Pflanzen und des               jeweiligen Umfeld selbst zu suchen.
­Lebens.                                      Vielen kam das auch beim Lernen zu
                                              Hause zugute.
In der öffentlichen Diskussion wird
jetzt immer wieder die Frage nach der         Auch wir Lehrer*innen haben uns mit
Möglichkeit von Unterricht im Freien          unserem Lernort, dem Park Sanssou-
gestellt und kontrovers diskutiert. Auch      ci, auseinandergesetzt, Fragen gestellt
wir sehen uns vor, während und nach           und viel darüber gelernt. Von der grie-
                                                                                          Franziska Milke (links)
jedem einzelnen Unterrichtsgang in            chischen Mythologie über die Person
                                                                                          franziska.milke@lk.brandenburg.de
der Rechtfertigungspflicht. Lernen die        Friedrichs II. bis zu einer Führung von
Kinder draußen genug? Und immer               Postcolonial Potsdam zur Geschichte         Maren Vialon (rechts)
wieder finden wir: ja. Sie haben gelernt,     und dem aktuellen Umgang mit dem            maren.vialon@lk.brandenburg.de
genau hinzuschauen, zu betrachten, zu         preußischen Kolonialismus.                  Beide leiten eine jahrgangsgemischte
zeichnen. Sie schreiben, schätzen, rech-         Die größte Bereicherung in diesem        Lerngruppe mit Kindern aus den Jahr-
nen. Sie haben ihr räumliches Vorstel-        Schuljahr war für mich jedoch die Zu-       gängen 1 bis 3
lungsvermögen geschult, gelernt, sich         sammenarbeit mit den Kolleg*innen, die
zu orientieren. Sie haben die Perspek-        Beobachtung der Kinder aus verschiede-      Die Montessori-Oberschule ist eine
tive gewechselt. Sie haben Symmet-            nen Perspektiven und der ständige Aus-      Oberschule mit Primarstufe.
rie und Winkel kennengelernt, kön-            tausch über den gemeinsamen Unter-          Wir sind staatliche Schule und Schule
nen verschiedene Pflanzen bestimmen.          richt. Mit unseren jeweiligen Kompe-        für gemeinsames Lernen.
Sie haben gelernt, das Wetter zu beob-        tenzen, Erfahrungen, Interessen und Ex-     www.potsdam-montessori.de/
achten und sich dem Wetter angemes-           pertisen konnten wir uns gegenseitig gut
sen zu kleiden. Und vor allem haben           ergänzen und so auch den Unterricht in
die Kinder gelernt, im Leben zu lernen,       den einzelnen Gruppen bereichern.

    Simone Gruschke

    Was wir uns wünschen und was wir schon können
    Zukünftige Erstklässler aus Brandenburg erzählen
    Die letzten Wochen des Schuljahres sind immer auch die          Jonas: „Lange Haare, die Füße mit Nägeln ein bisschen rot
    ersten Wochen für die Vorbereitung auf das neue Schul-          angemalt.“
    jahr. Familien und Kinder der zukünftigen ersten Klassen        Malte: „Nett und wie Papa!“
    werden zu persönlichen Gesprächen eingeladen, füllen            Elina: „Lieb, nicht so schimpfen … und keine schlechte Laune
    Fragebögen aus und Pädagogen besuchen die Vorschul-             haben.“
    gruppen in den Kinderhäusern und Kindergärten.                  Alana: „Ich wünsche mir, dass sie lieb ist und mir alles zeigt.“
      In Vorbereitung auf die Grundschule lernen sich alle ein
    gutes Stück kennen und tauschen sich zu ihren Wünschen          Wie wünschst du dir deine Schule?
    und Vorstellungen aus. Unsere Vorschulkinder machen              Wie möchtest du die Zeit dort verbringen?
    sich viele Gedanken und haben großartige Ideen, wie sie         Albert: „Fußball spielen, dass wir glücklich sind und schwere
    sich ihre Schule und ihre Lehrer wünschen.                      Sachen machen.“
      Hier einige Zitate:                                           Matilda: „Lesen und rechnen, dass wir was lernen.“
                                                                    Luca: „Spielen, rechnen, lesen. Gibt es einen Spielzeugtag?“
    Was wünscht du dir von deiner Lehrerin                          Moritz: „Fußball spielen, rechnen, lesen, gut lesen.“ –
    und wie sollte sie sein?                                        „Multiplikation und Division.“
    Matilda: „Eine Lehrerin, die mit mir arbeitet und nett ist.“    Julien: „Malen und Hausaufgaben machen, manchmal
    Moritz: „Sie soll machen, was ich will, und Kuchen backen       spielen und noch was, weiß ich aber nicht.“
    für uns.“                                                       Jonas: „Dass da ein Bild ist, eine Schule mit Regenbogen­
    Luca: „Helfen, wenn ich nichts weiß, und lieb und hilfsbereit   fenstern, da komm ich hin.“
    sein.“                                                          Malte: „Na, da spiele ich mit meinen Freunden und dann
    Albert: „Ein guter Torhüter sein und dass sie gesund bleibt.“   spiele ich, bis ich abgeholt bin.“

8           GS aktuell 155 • September 2021
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

Ina Herklotz

Spielraum Schriftsprache
Eine „Text-Werkstatt“ bietet Handlungsmöglichkeiten und
Materialien zum Nachdenken über Schrift und Sprache

N
         achhaltig wirksames Recht-        liche Teilhabe und Persönlichkeitsent-         Bildungsbiographie eines Kindes sicher
         schreibenlernen ist kind- und     wicklung (Lehrplan für die bayerische          richtungsweisend.
         zugleich normgeleitet: Von        Grundschule 2014)                                 „Lernen in Interaktion, Kooperation
Anfang an ist das eigenaktive Entdecken       Im Kontext eines konstruktivistischen       und Kommunikation ist der Schlüssel
der Kinder zu fördern und zugleich die     Lernbegriffs erleben sich Schülerinnen         für hohe Bildungsqualität“, formulie-
rechtschriftliche Norm als Arbeitspers-    und Schüler als aktive Mitgestalter ihres      ren die Bayerischen Leitlinien für Bil-
pektive einzubringen“ (Bartnitzky 2015,    Lernprozesses. Gerade auch Unterricht          dung und Erziehung bis zum Ende der
17).                                       in der Schuleingangsphase kann so ge-          Grundschulzeit.
                                           staltet sein, dass er vom ersten Schultag         Um ein Lernangebot im Bereich der
Motivation                                 an Chancen bietet, sich als Kind aktiv als     Schriftsprachentwicklung nun so zu ge-
                                           Konstrukteur seines Wissens erleben zu         stalten, dass es den Grundbedürfnissen
Der sprachlichen Bildung kommt in der      dürfen. Die Erfahrung, bereits als Schul-      von Kindern, sich anderen Menschen
Grundschule besondere Bedeutung zu.        anfänger an individuelle Vorerfahrungen        mitzuteilen, sich kreativ zu betätigen,
Lesen und Schreiben zu lernen ist eine     anknüpfen zu dürfen und angesproche-           Neues auszuprobieren und zu hinter-
der wichtigsten Aufgaben für Schulan-      ne Themenbereiche persönlich bedeut-           fragen und etwas Produktives zu tun
fänger und Grundlage für gesellschaft-     sam zu interpretieren, beeinflusst die         (Hagstedt/ Krauth 2014, 9) gerecht wird,

Elina: „Ganz viel machen, schreiben, Schulaufgaben machen       lung bekomme. So ein großes, da ist ein Einhorn drauf und
und machen, was der Lehrer sagt.“                               da unten ist ’ne Spitze und da ist was drin, ein bisschen
Alana: „Ich möchte basteln und schön werden und arbeiten,       Naschi und so.“
in meinem Logbuch.“                                             Alana: „Frühstück, mein Logbuch und noch meine Schul­
Dave: „Dass die Schule gesund ist, dass kein Corona ist und     mappe.“
dass die Schule schön aussieht.“ „Schreiben, lernen, dass ich   Dave: „Mappe, Stifte.“
schlau bin.“                                                    Matthea: „Trinken und Essen und das wars schon.“
Matthea: „Dass die hübsch aussieht.“ „Ich möchte nur ein        Luiz: „Einen Schulrucksack, eine Mappe und einen Taschen­
bisschen Zeit da sein.“                                         rechner.
Luiz: „Lernen. Buchstaben und Zahlen und Lesen lernen.
Basteln. Kann man da auch Autos malen?“
                                                                 Simone Gruschke
Was bringst du mit in die Schule?                                Pädagogische Leiterin der IBiS GmbH
Emma: „Schultasche, Brotdose und Bücher.“
Albert: „Freude am Rechnen, meinen BVB-Rucksack.“                IBiS ist die Integrative Bildungsstätten GmbH.
Matilda: „Ich kann schon rechnen.“                               Sie ist Träger der Montessori-Grundschule Neuruppin, der
Luca: „Einen Apfel, Trauben sind gesund.“                        IBiS Grundschule »Maria Montessori« Wittenberge sowie Träger
Alana: „Ich kann auf Deutsch und Englisch zählen, kann           von drei Kinderhäusern und zwei Kitas in Wittenberge, Perleberg
englische Worte, zählen auf Englisch bis 29.“                    und Neuruppin.
                                                                 Die IBiS GmbH ist eine Tochtergesellschaft der Lebenshilfe Prignitz
Julien: „Autos, mein Boot und ein Polizeiauto, Hausaufgaben
                                                                 e. V. und ein fester Bestandteil eines Unternehmensverbundes, der
und Bücher von Mathe.“
                                                                 Betreuung, Erziehung, Bildung und Beschäftigung für Menschen
Jonas: „Also eine Mappe hab ich mit, eine Fußballmappe
                                                                 mit unterschiedlichen individuellen Entwicklungswegen und
und Essen und Trinken, ein Sandwich und Wasser und mein
                                                                 Bedarfen anbietet.
Hausaufgabenheft.“
Malte: „Blätter, die man abgeben kann und da drauf lernen
kann.“
Elina: „Meine Schulmappe, meinen Einhorn-Rucksack, wo
die Stifte rein kommen. So ein Dings, dass ich zur Einschu­

                                                                                        GS aktuell 155 • September 2021                9
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

liegt die Entscheidung für ein offenes       den integrativen Gedanken des Deutsch-     und wird sowohl durch analytische als
Unterrichtskonzept, das „thematischen        unterrichts zu betonen. Das Lernfeld des   auch synthetische Elemente unterstützt
Spielraum eröffnet“ auf der Hand. „... die   Schriftspracherwerbs in der Eingangs-      und gefördert. Untersuchungen zur
Begegnung des Kindes mit der (Schrift-)      stufe bildet in Konsequenz keinen ge-      Schreibentwicklung zeigen, dass Kin-
Sprache und die Unterstützung der Ent-       sonderten Kompetenzbereich und stellt      der nicht einzelne Wortbilder lernen,
deckung sprachlicher Strukturen durch        sich gegenseitig bedingende Prozesse       sondern gerade zu Beginn des Lernpro-
das Kind“ (Jeuk/ Schäfer 2017, 118) ste-     des Lesen- und Schreibenlernens in den     zesses jedes Wort durch das Schreiben
hen somit im Mittelpunkt der Überle-         Mittelpunkt.                               neu konstruieren (Sommer-Stumpen-
gungen zur Unterrichtsplanung.                                                          horst 2015, 108). Neu erworbene Vor-
                                             Grundlagen                                 stellungen über Schreibweisen werden
Die Entscheidung für die Bezeichnung                                                    im Laufe des Lernprozesses in indivi-
„Text-Werkstatt“ basiert auf der Grund-      „Sinn des Schreibens ist es, für sich      duelle Schreibungen integriert (Spiegel
lage eines Verständnisses von Text, das      selbst etwas festzuhalten (zu merken)      2020, 1).
über die Vorstellung einer inhaltlich        und/oder anderen etwas mitzuteilen.           Als Konstruktionsprinzipien werden
zusammenhängenden Folge von Aussa-           Sinn des Lesens ist es, sich zu erinnern   hier die grundlegenden Rechtschreib-
gen hinausgeht. Ein Textbegriff im wei-      (das selbst Geschriebene) und/oder         prinzipien angewandt, die sich im Kon-
teren Sinne umfasst alle medial vermit-      etwas von anderen zu erfahren (Som-        zept der Textwerkstatt als eine tragen-
telten Texte, also nicht zwangsläufig nur    mer-Stumpenhorst 2015, 110).“ In der       de Komponente finden. Die Stufen des
gedruckte Buchstabenschrift, sondern         Anfangsphase des Schriftspracherwerbs      Schriftspracherwerbs bilden die zweite
ebenso auch Bilder bzw. Bild-Text-Kom-       erfassen Kinder den Zeichencharakter       Komponente und werden im Zusam-
binationen und Hörtexte. Eingeschlos-        der Schrift und nehmen die Laut- und       menhang mit dem erweiterten Textbe-
sen wird auch ganz bewusst der han-          Silbenstruktur der gesprochenen Spra-      griff in Form der Arbeitsmaterialien auf
delnde Umgang mit den Medien selbst          che bewusst wahr. Sie bauen Wörter auf     Buchstaben- bzw. Laut- Wort- und Satz-
(Lehrplan für die bayerische Grund-          und stellen Beziehungen zwischen den       ebene repräsentiert.
schule 2014, 42 ff).                         entsprechenden Buchstaben und Buch-           In der Unterrichtspraxis steht den
   Die Materialien in der „Text-Werk-        stabengruppen her. Nach dem anfängli-      Schülerinnen und Schülern infolgedes-
statt“ ermöglichen den aktiven Umgang        chen Lautieren und Erlesen unterteilen     sen als Material „Text“ in all seinen Aus-
mit vielgestaltigen und herausfordern-       die Schülerinnen und Schüler Wörter        prägungen zur Verfügung: Bildkarten,
den Angeboten aus dem Bereich Schrift        zunehmend in Einheiten wie Vorsilben,      die Anlauttabelle, Buchstabenstempel,
und Sprache. Die vier Kompetenzberei-        Nachsilben oder häufige Wortstämme         silbisch geschriebene Wörter, Wortkar-
che Sprechen und Zuhören, Lesen – mit        und erfassen schließlich wiederkehren-     ten mit lauttreuen Wörtern, ebenso mit
Texten und weiteren Medien umgehen,          de Wortteile, Signalgruppen und Wort-      Wörtern mit rechtschriftlichen Beson-
Schreiben sowie Sprachgebrauch und           bausteine (Lehrplan für die bayerische     derheiten, Wörterlisten, Wörterbücher,
Sprache untersuchen und reflektieren         Grundschule 2014, 42 ff). Der Pro-         Satzkarten und kleine Büchlein mit zu-
werden miteinander verknüpft und be-         zess des Schriftspracherwerbs verläuft     sammenhängenden Texten. Als äußerst
wusst in Zusammenhang gestellt, um           allerdings bei jedem Kind individuell      variabel erweist sich die Bereitstellung
                                                                                        von Zeitschriften bzw. ausrangierten Bü-
                                                                                        chern, aus denen die Schülerinnen und
                                                                                        Schüler Text und Bilder ausschneiden
                                                                                        dürfen. Hörtexte in Form von gespro-
                                                                                        chenen Anlauten, Silben und Wörtern
                                                                                        könnten ergänzend einbezogen werden.

                                                                                        Zur Bearbeitung nutzen die Kinder
                                                                                        geeignete Werkzeuge, also das phono-
                                                                                        logische, das silbische, das morpholo-
                                                                                        gische und das grammatische Prinzip.
                                                                                        Diese werden durch die Symbole aus
                                                                                        der Freiburger Rechtschreibschule, die
                                                                                        sogenannten FRESCH-Symbole Sprech-
                                                                                        schwingen, Weiterschwingen, Ableiten
                                                                                        und Merken (Renk / Brezing 2015, 84),
                                                                                        veranschaulicht. Ebenso werden die
                                                                                        Strategien um Wortbaustein und Groß-
                                                                                        und Kleinschreibung in Anlehnung an
                                                                                        das Lehrwerk Zebra erweitert. Sehr hilf-
                                                                                        reich ist es hier, den Kindern die Sym-
                                                                                        bole auch als Stempel zur Verfügung zu
Materialien Text                                                                        stellen.

10         GS aktuell 155 • September 2021
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

Anlaute hören und aufschreiben        Wörter in Prospekten entdecken, die nur große Buchstaben haben

                                      Schwierige Stellen markieren und rechtschriftlich erklären

Großschreibung aus dem Zusammenhang
mit der Wortart erklären

     Exemplarische
     Arbeitsergebnisse

                                      Gemeinschaftsarbeit: Wörter zu S und Sch sammeln. Hier wird
                                      Heterogenität besonders deutlich: Jedes Kind kann Textmaterial auf
                                      individuellem Niveau wählen.

                                                                 GS aktuell 155 • September 2021           11
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen

  Mit grundlegenden ­Arbeitstechniken          Vorhaben, z. B. „Ich suche heute Bilder        Immer wieder stellen einzelne Schüle-
wie dem Markieren der Vokale bzw.              mit dem gleichen Anlaut und male und           rinnen und Schüler ihre Arbeitsergeb-
rechtschriftlicher Besonderheiten oder         schreibe dazu“ oder „Ich schneide aus          nisse der gesamten Lerngruppe vor. Sie
einer mehrschrittigen Arbeitstechnik           der Zeitschrift Wörter aus, die zwei Sil-      berichten über ihr Vorgehen, benennen
zum richtig Abschreiben sollten die            ben haben“. Der gemeinsame Start ist mir       Lernfortschritt und Nachdenkenswertes
Schülerinnen und Schüler vertraut sein.        wichtig, weil es an dieser Stelle sehr gut     und holen sich von den Mitschülerin-
Zur Unterstützung können hier Symbol-          möglich ist, einzelne Kinder z. B. bei der     nen und Mitschülern Rückmeldung ein.
kärtchen für die Hand der Kinder oder          Auswahl des Textwerkzeuges zu unter-           An dieser Stelle wird auch die Weiter-
Veranschaulichungen in Form eines Pla-         stützen, und auch, um Fachvokabular zu         arbeit angedacht und das Kind formu-
kates im Klassenzimmer dienen.                 festigen. Zudem erhalte ich als Lehrkraft      liert seinen nächsten Lernschritt. Eben-
                                               und selbstverständlich auch die Kinder         so wird die Lehrkraft in diesem Kontext
Lernwege                                       einen Überblick über die verschiedenen         beratend tätig, nachdem sie den indivi-
                                               Arbeitsschwerpunkte. Oft entsteht dann         duellen Lernstand des Kindes gut kennt
Methoden im Anfangsunterricht inte-            der Wunsch nach Zusammenarbeit oder            und entsprechende Anregungen zur
grieren unterschiedliche Zugänge zur           es ergeben sich Anknüpfungspunkte, die         Förderung geben kann. Viele Kinder
Schrift und berücksichtigen die per-           partnerschaftlich oder gruppenweise in         reflektieren in dieser intensiven Pha-
sönlichen Lernvoraussetzungen und              der Weiterarbeit verfolgt werden können.       se ihre Arbeit sehr selbstkritisch und
Entwicklungen, um jedem Kind mög-              Nicht zuletzt verleiht der kurze persön-       erhalten zudem Ideen für eigenes Arbei-
lichst gerecht zu werden. Die Materia-         liche Beitrag der Arbeit Verbindlichkeit       ten. Die Heterogenität der Lerngrup-
                                               und Kontinuität und trägt zur Rhythmi-         pe wird hier explizit zur Chance. Daher
                                               sierung des Unterrichtsgeschehens bei.         bietet sich das Konzept gerade auch für
                                                                                              jahrgangskombinierte Klassen an.
                                               Als Handlungsmöglichkeiten ergeben
                                               sich beispielsweise:                           Fazit
                                               – zu Bildkarten sprechen
                                               – zur Anlauttabelle passende Bilder            Immer wenn Vorerfahrungen und
                                                  ausschneiden                                Eigentätigkeit der Kinder ins Zentrum
                                               – eine eigene Anlauttabelle entwickeln         gerückt werden, entsteht eine tragfä-
                                               – eigene Wörter zu einem Anlaut                hige Basis für Kommunikation. Eine
                                                  malen, schreiben, ausschneiden              Kommunikation, die individuelle Lern-
 Ina Herklotz
                                               – Silbenbögen zeichnen und Wörter zu           wege zum Thema macht, die jedes ein-
 ist Seminarrektorin im Regierungs­
                                                  den Bildkarten stempeln oder schrei-        zelne Kind ernst- und wahrnimmt und
 bezirk Mittelfranken. Einer ihrer
                                                  ben                                         eine Kommunikation, die auf fachli-
 Arbeitsschwerpunkte liegt im Bereich
                                               – rechtschriftlich schwierige Stellen          chem Hintergrund basiert. Dieser Aus-
 jahrgangskombinierten Lernens,
                                                  markieren und passendes Recht-              tausch gibt die Möglichkeit, miteinan-
 insbesondere in der Eingangsstufe.
                                                  schreibprinzip zuordnen                     der und voneinander zu lernen und die
                                               – Groß- und Kleinschreibung erfor-             Textwerkstatt gemeinsam mit den Kin-
lien in der Textwerkstatt bieten vielfälti-       schen                                       dern weiterzudenken. Nicht zuletzt ist
ge Sprachlernmöglichkeiten und machen          – Wörter zu einem Rechtschreibprin-            es nach meiner Erfahrung die Lehrkraft,
unterschiedliche Lernwege möglich. Am             zip sammeln                                 die durch die Initiativen und häufig
Beginn der Lernzeit steht für die Kinder       – Texte in Hinblick auf Rechtschreib-          unerwartete Kreativität der Kinder viel-
die Auswahl von Material und Textwerk-            prinzipien untersuchen                      fach bereichert wird. 
zeug. In gemeinsamer Runde formuliert          – Technik des Abschreibens üben
jede Schülerin bzw. jeder Schüler sein         (siehe Beispiele auf S. 11)

Literatur
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17.                                            Hagstedt, H./Krauth, I.M. (2014): Mit          Sommer-Stumpenhorst, N. (2015): Die
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Bayerische Leitlinien für die Bildung und      stätten. Potentiale für Schulen von morgen.    zur Reform der Grundschule. Frankfurt am
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München 2014.                                  Freiburger Rechtschreibschule. In: Brink-      und Unterrichtshilfen zum LehrplanPLUS
Brettschneider, S. u.a. (ab 2017): Zebra.      mann, E.: Rechtschreiben in der Diskussion.    Grundschule. Köln: Wolters Kluwer

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