Grundschule aktuell - Schulstart - was Kinder jetzt brauchen - Zeitschrift des Grundschulverbandes Heft 155 - Grundschulverband eV
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www.grundschulverband.de · September 2021 · D9607F Grundschule aktuell Zeitschrift des Grundschulverbandes · Heft 155 Schulstart – was Kinder jetzt brauchen
Inhalt Tagebuch Neue Unterrichtsformen zu gestalten, wenn der „normale“ S. 2 Ich bin dabei, weil … (G. Klenk) Schulalltag nicht mehr möglich ist, ist eine b esondere Herausforderung. Im Artikel von Franziska Milke und Maren Vialon erfahren sie viel über den Lernort Sanssouci Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen in Potsdam. Wahrscheinlich finden sich auch ähnliche Orte S. 3 Der Schulanfang an der Winterhuder in Ihrer Nähe. Seite 6–8 Reformschule (L. Koch) S. 5 Mit zuversichtlichem Blick auf das neue Schuljahr (H. Fischer) S. 6 Lernorte entdecken: Im Park Sanssouci in Potsdam (F. Milke, M. Vialon) S. 8 Was wir uns wünschen und was wir schon können (S. Gruschke) S. 9 Spielraum Schriftsprache (I. Herklotz) S. 13 LeOn – Lernbegleitung Online (C. Barnick, H. Hegemann-Fonger, H. Hußing) S. 18 Inklusionssensible Bildungsmaterialien als „Must-have“ (M. Vogt, K. Andersen, A. Bagger, V. Macchia, C. Bierschwale) S. 22 Phänomene am Schulanfang (Anke Weber, Markus Peschel, Pascal Kihm, Marie Fischer, Theresa Dahm) S. 24 Klassengemeinschaften beziehungsreich gestalten (A. Weber) S. 28 Den Übergang mit Spaß gestalten (S. Döding) S. 31 Der Start in den Beruf aus der Perspektive von Seiteneinsteiger:innen (G. Breidenstein, L. Doleschal, W. Grohmann, A. Henning-Mohr, M. Ritter) Aus der Forschung Impressum S. 35 Silben-Analyse von Anfang an? (H. Brügelmann, E. Brinkmann) GRUNDSCHULE AKTUELL, die Zeitschrift des Grundschulverbandes, erscheint vierteljährlich und wird allen Mitgliedern zugestellt. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten. Rundschau Das einzelne Heft kostet 9,00 € (inkl. Versand innerhalb Deutschlands); für Mitglieder und ab 10 Exemplaren 5,00 €. S. 39 Aktuelle Herausforderungen für den Verlag: Grundschulverband e. V., Niddastraße 52, 60329 Frankfurt / Main, Grundschulverband (E. Bohn) Tel. 0 69 / 77 60 06, Fax: 0 69 / 7 07 47 80, S. 40 Wie Bildung für nachhaltige Entwicklung in www.grundschulverband.de, info@grundschulverband.de der Grundschule gelebt werden kann Herausgeber: Der Vorstand des Grundschulverbandes (U. Oltmanns, W. Schwinger, L. Denks) Redaktion: michael.toepler@grundschulverband.de S. 43 Zur ‚endlosen‘ Debatte um den Übergang aus Fotos und Grafiken: Katrin Gamerschlag / smakdesign.de (Titel), AdobeStock/arts (S. 31), Autorinnen und Autoren (soweit nicht anders der Grundschule in die weiterführenden Schulen vermerkt) (K. Klemm) Herstellung: novuprint Agentur GmbH, 30175 Hannover S. 44 Der Begriff „Schutzkonzept“ führt in die Irre Anzeigen: Grundschulverband e. V., Tel. 0 69 / 77 60 06, (H.-J. Voß, M. Urban) info@grundschulverband.de Druck: WKS Print Partner GmbH, 34587 Felsberg S. 46 Nachruf auf Gerhard Sennlaub (H. Brügelmann) ISSN 1860-8604 / Bestellnummer: 6099 Beilage: TOUSSINI-Circus mobile Landesgruppen aktuell – unter anderem: S. 47 Baden-Württemberg: Online-Tagung und In manchen Beiträgen dieser Zeitschrift bringen Autorinnen und Autoren Neuwahlen in der Pandemie ihr Bemühen um eine gendersensible Sprache durch besondere schrift- sprachliche Zeichen zum Ausdruck. Da es zurzeit keine allgemein anerkannte S. 48 Bremen: „Junger Grundschulverband“ gegründet Lösung für das Problem „gendersensibler“ (Schrift-)Sprache gibt, verwendet S. 49 Niedersachsen: Gespräche im Kultusministerium jede Autorin und jeder Autor ihre oder seine bevorzugte Form. GS aktuell 155 • September 2021
Diesmal Den Kindern einen guten Start ermöglichen Der Junge Grundschulverband Bremen hat das Projekt LeOn – Lernbegleitung Liebe Leser:innen, Online ins Leben gerufen. Ähnliche In- diese Ausgabe beschäftigt sich mit dem Schulstart nach den itiativen hat es vielleicht auch in Ihrem Sommerferien – für manche Kinder in die erste, für viele Bundesland gegeben, die Erfahrungen andere in eine der Folgeklassen an den Grundschulen. Die aus Bremen sind sicher auch für künf- Startbedingungen sind auf jeden Fall sehr unterschiedlich, je tige Projekte in Ihrer Nähe von Interes- nach den dann geltenden Regeln zum Gesundheitsschutz und se. Alternativen zum Präsenzunterricht den jeweiligen Bedingungen an den Schulen vor Ort. In die- oder Ergänzungen sollten überall „in ser Ausgabe richten wir den Blick auf einige zentrale Punk- der Schublade liegen“. Seite 13–17 te, die in jedem Schuljahr wichtig sind, wie etwa der Aufbau und die Gestaltung von Klassengemeinschaften, interessante Zugänge zu Themen aus der Lebenswelt der Kinder im Sach- Im Artikel „Phänomene am Schulanfang“ stellt ein unterricht oder gute Wege zum Erwerb und zur weiteren Ent- Team der Universität des Saarlandes vor, wie natürliche wicklung der Schriftsprache. Erscheinungen eine wichtige Rolle im Sachunterricht Außerdem wird das Lernen außerhalb der Schule als wich- spielen können und eröffnen so wichtige didaktische tige Alternative vorgestellt und viele Anregungen werden be- Wege für den Zugang zu naturwissenschaftlichen nannt. Nicht zuletzt kommen Kinder mit ihren Wünschen Inhalten. Seite 22–23 und Erwartungen an die Schule zu Wort. Bei allen Verände- rungen in den letzten Monaten bleiben wesentliche Einsichten bestehen: Kindern müssen vielfältige Lernangebote gemacht werden und individuelle Wege müssen kompetent begleitet werden. Das brauchen alle Kinder – gerade jetzt! Einen besonderen Blick auf die Durchführung von Online-Unterstützung für Schüler:innen bietet das Projekt LeOn des Jungen Grundschulverbandes aus Bremen. Die dort gesammelten Erfahrungen sind sicher hilfreich für andere Projekte zur Gestaltung verschiedener Möglichkeiten außer- halb eines Präsenzunterrichtes, der vielleicht auch im kom- menden Schuljahr nicht überall dauerhaft gewährleistet sein wird. Für die individuelle Unterstützung sind besondere Lern- materialien erforderlich, die nicht unbedingt schon alle zur Verfügung stehen. Mit der Frage nach der Qualität von inklu- siven Lehr- und Lernmaterialien setzt sich das Team um Frau In unserer Rubrik „Aus der Forschung“ geben uns Hans Prof. Vogt auseinander. Ich würde mich sehr freuen, wenn der Brügelmann und Erika Brinkmann einen hochinteressan- Austausch zwischen Forschenden und Lehrenden mit diesem ten Einblick in wichtige Fragen des Anfangsunterrichtes Artikel noch weiter befördert werden kann. im Lesen und Schreiben. Sie setzen sich kritisch mit dem Neben dem Inhalt ist dieses Mal auch die Form der Ver- silbenanalytischen Modell auseinander und liefern einen breitung unserer Zeitschrift bemerkenswert: Diese Ausga- wichtigen Beitrag zu der immer wieder aufflammenden be steht als kostenloser Download für alle Interessierten auf Debatte, wie Kinder den Zugang zur Schriftsprache er- unserer Homepage zur Verfügung und wird danach wie ge- langen sollten. Seite 35–38 wohnt in gedruckter Form an all unsere Mitglieder verschickt. Zum einen stehen Ihnen die Inhalte unseres „Septemberhef- tes“ so sehr früh zur Verfügung, idealerweise können Sie die Anregungen bereits vor Ihrem Start in das neue Schuljahr le- sen und in Ihren Teams über diese diskutieren. Zum ande- ren können Menschen, die (noch) nicht Mitglied im Grund- schulverband sind, einen Eindruck gewinnen, ob sie vielleicht dauerhaft unsere Zeitschrift bekommen und die Arbeit des Verbandes unterstützen möchten. Ich lade Sie herzlich ein, Mitglied zu werden! Ich wünsche Ihnen eine gute, erholsame Sommerzeit und einen erfolgreichen Start in das neue Schuljahr. www. grundschule-aktuell.info Michael Töpler Hier finden Sie Informationen zu „Grundschule aktuell“ und hier das Archiv der Zeitschrift: www. grundschulverband.de/archiv/ GS aktuell 155 • September 2021 1
Tagebuch Ich bin dabei, weil … Gabriele Klenk arbeit im Sachunterricht“. Wir waren begeistert davon, dass seit 1996 Mitglied wir wirklich „Schule neu denken“ konnten und damit nicht im Grundschulverband alleine waren. Uns wurde bewusst, dass die Jahrgangsmi- schung und die Inklusion nur eine logische Folge von die- ser „Sicht“ war. Und so machte ich meine ersten Erfahrun- gen als Lehrerin mit jahrgangsgemischten Klassen, die ich begeistert weitergab. Innerhalb der Lehrerbildung konnten wir plötzlich viele Menschen erreichen mit „Grundschul- verbandsideen“, die auch unsere eigenen waren. In Arbeits- kreisen, in Lehrplankommissionen und bei Grundschulta- gen der Landesgruppe erreichten „wir im GSV“ plötzlich Vor über 25 Jahren war ich auf einem Grundschultag in sehr viele Lehrkräfte und ganze Studienseminare wollten einem Workshop „Jeder kann jeden Tag anfangen, seine dazukommen. Wir luden namhafte Referent*innen ein, die Schule zu ändern“. Die Referentin hatte Fotos ihrer Schu- uns alle begeisterten und die wir eigentlich nur aus Bü- le dabei, die sie groß auf einer Leinwand präsentierte und chern kannten. Als Schulleiterin brachte ich meine Visio- dazu erzählte. Es war die damalige Landesgruppenvor- nen mit den „7 Prüfsteinen für eine moderne GS“ ein. „Mit sitzende des Grundschulverbandes, von dem ich bislang Kindern Schule machen“, „Mehr Bildungszeit für Kinder“, nichts wusste, obwohl ich eine leidenschaftliche Grund- „Individuell fördern – Gemeinsamkeit stärken“, „Kein Kind schullehrerin war. beschämen“ sind nur einige davon. Wir waren davon über- Von der ersten Minute an war mir klar: Da ist endlich so zeugt und wollten Überzeugungsarbeit bei anderen leis- eine Lehrerin, die genau so denkt wie ich. Eine Lehrerin, ten. Im Laufe der Zeit gewannen wir immer mehr Lehr- die dieselbe Haltung gegenüber Kindern hat, wie ich. Eine kräfte dafür, sich mit einer Mitgliedschaft im GSV zu ihrer Lehrerin, die Mut macht, diese Haltung zu leben, und die eigenen Haltung zu bekennen und andere davon zu über- mir bestätigt, dass es richtig sei, vom Kind aus zu denken zeugen. Heute kämpfe ich mit meinem Landesgruppenvor- und nicht vom „Stoff “. Ich war also nicht allein mit dieser Haltung, es gab davon noch viele Lehrkräfte und diese hatten sich zusammenge- funden in einem bundesweiten Verband, der sogar in Bay- ern eine Landesgruppe hatte. Die Haltung war mir ver- traut, der Name unbekannt: Grundschulverband. Ich war hellhörig geworden und sofort begeistert. Natürlich woll- te ich über mein Kollegium hinaus mit Gleichgesinnten in einen Austausch kommen. So gründeten wir – drei Kolle- ginnen aus drei verschiedenen Schulen – eine Regional- gruppe Mittelfranken im GSV, die es bis heute noch gibt. Als neues Mitglied im GSV staunte ich immer wieder über die Zeitschrift „Grundschule aktuell“, die mit ihren Arti- keln genau meine Einstellung zur Grundschule traf und stand in Bayern in Gesprächen mit dem Staatsministerium die mir plötzlich Argumente lieferte für meine Diskussio- weiterhin für ein Verständnis der Grundsätze einer kin- nen. Mit „Teamarbeit in der GS“, „Alltag im offenen Unter- dergerechten und zukunftsfähigen Grundschule, die in den richt“, “Lernwerkstätten“ usw. waren es vor 25 Jahren Bü- Standpunkten des GSV aufgezeigt sind. cher, vom GSV herausgegeben, die meine Arbeit immer Ja, genau deshalb bin ich im Grundschulverband, weil mehr unterstützten, deren Inhalte aber für Bayern in weiter ich es selbst erlebt habe: Jeder kann jeden Tag anfangen, Zukunft schienen. Im Laufe der Zeit sammelten wir inner- seine Grundschule mitzugestalten. Das will ich nicht al- halb unserer Regionalgruppe immer mehr Lehrkräfte um leine tun, sondern gemeinsam mit vielen Menschen ver- uns und stellten fest: Es gab auch in Bayern viele Lehrkräf- schiedener Altersgruppen und vielen verschiedenen Ideen te, die diese Haltung hatten. In regelmäßigen Treffen plan- in einem starken Verband, der seine Stimme für die Kin- ten wir damals Unterricht zu „Lesen ohne Fibel“, „Eigen- der, deren Lehrkräfte und Eltern in der Grundschule dazu produktionen im Mathematikunterricht“ oder „Werkstatt- erhebt. Für: KINDER – LERNEN – ZUKUNFT. 2 GS aktuell 155 • September 2021
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen Die Schule aus vielen Perspektiven betrachten Wenn es um den Start in die Schule geht, treffen viele Er- an anderen Lernorten, es geht um Sprache und Schrift. wartungen und Hoffnungen aufeinander – von Kindern, Kinder benennen ihre Wünsche an die Schule. Lehrkräften, Eltern und vielen weiteren Erwachsenen aus Wenn es uns gelingt, immer wieder die Perspektiven der der Schule oder aus den Familien. Kinder zu erfahren und in den Mittelpunkt zu stellen, dann Es ist wichtig, dass wir über diese Erwartungen aneinan- wird Schule immer mehr zu einem Lebens- und Lernort, in der und die Hoffnungen für uns und die uns anvertrauten dem alle Kinder angenommen werden und sich gut entwi- Kinder sprechen. ckeln können. Wir schauen in den ersten Texten unseres Schwerpunktes Michael Töpler auf das Ankommen in der Grundschule und den Schritt wieder hinaus. Es geht um das Lernen in der Schule und Lisa Martje Koch Der Schulanfang an der Winterhuder Reformschule „Ihr seid herzlich willkommen und ihr werdet sehen, hier bei uns ist es schön!“ F ragt man Erwachsene nach ihrer tet allen Kindern in den Lerngruppen keit als wichtigstes Element von Anfang Schulzeit, so wird schnell klar, Gelegenheit zu wachsen; Rollen werden an, auch bei Gesprächen mit den vier- dass sich viele an ihren Schulan- neudefiniert und gefunden. einhalbjährigen Kindern und dem Tag fang erinnern. Dieser Prozess wird von uns Lehr- der offenen Tür. Die Kinder können bei Als Schulkind kommt man das ers- kräften aktiv gestaltet, wir sprechen ge- allem dabei sein, müssen es aber nicht. te Mal unmittelbar mit einer staatli- meinsam darüber, wie ihr erster Schul- Vor dem Schulstart bieten wir den chen Institution in Berührung, wo die tag war, welche ( Vor-) Freuden und wel- Sonnenblumenkindern einen Schnup- Teilnahme verpflichtend ist, was für che Sorgen sie im Gepäck hatten, um da- pertag in einer Kleingruppe an. Wir Pä- die Bildungskarriere, aber auch für die raus gemeinsam zu entwickeln, wie wir dagog*innen machen uns an dem Tag Wahrnehmung als Akteur*in in der Ge- in diesem Jahr unseren Sonnenblumen- für die Zuteilung zu den Lerngruppen sellschaft von Bedeutung ist. Man er- kindern einen schönen Start bescheren ein Bild von den Kindern. Direkt vor fährt sich in dieser exemplarischen Ge- wollen. den Sommerferien gibt es einen Ken- sellschaft im besten Fall als sicher und nenlerntag in der neuen Gruppe. Die selbstwirksam. Vertrauen ist dafür Vo- Vor der Einschulung Kinder holen die Sonnenblumenkin- raussetzung; zu dem Vertrauensspan- der vor dem Gebäude ab. Danach dür- nungsfeld gehören neben den Kindern Fragt man Kinder, was sie von der Schu- fen die Kinder in den meisten Grup- und den Pädagog*innen auch die Eltern. le erwarten, sind die G efühle gemischt; pen zunächst den Raum erkunden, et- In unserer Primarstufe werden Kinder es paaren sich Vorfreude und Motiva- was malen, spielen oder bauen. Dabei von der Vorschule (Jahrgang null) bis tion mit Ängsten und Unsicherheiten ist der Kontakt in einer Kleingruppe für Jahrgang vier gemeinsam in jahrgangs- (Werde ich Freunde finden? Was wird den Hemmungsabbau ein wichtiges Ele- gemischten Lerngruppen zusammenge- in der neuen Schule von mir erwartet?). ment, bevor sich im Kreis mit allen ge- fasst. Vier Lerngruppen bilden ein Farb- Kinder stehen in dieser Situation unter troffen wird. team. Die Einschulungen werden in den besonderem Stress und Druck. Daher ist Dann bereitet sich die Lerngruppe auf Farbteams organisiert. Die Einschulung es uns ein Anliegen, Hemmungen vom ihre Sonnenblumenkinder vor; die Gro- unserer Sonnenblumenkinder, so nen- ersten Kontakt an abzubauen. Dabei ßen können Paten für die Jüngeren wer- nen wir unsere Neuankömmlinge, bie- gilt für uns das Prinzip der Freiwillig- den – eine äußerst beliebte Aufgabe. GS aktuell 155 • September 2021 3
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen Der Einschulungstag ausgesucht hast“). Es folgen gruppen- spezifische Angebote: Glückssteine dür- Die Einschulungen werden von den fen aus einem Sandberg geborgen und Kindern gestaltet, von der Einladung, mitgenommen werden, selbstgebastelte der Begrüßung (in unterschiedlichen Schultüten mit Wünschen für die Schul- Sprachen) über die Moderation und die zeit oder Willkommenskarten – diese Programmpunkte bis zur Verabschie- Besonderheiten werden von den Kindern dung der Lerngruppen in ihre Grup- der Lerngruppen vorher ausgesucht. penräume. An unserer Schule gibt es Es gibt bei uns generell keine Haus- eine Tradition für solche Festgestaltung; aufgaben, in einigen Gruppen gibt es be- Lisa Martje Koch monatlich gibt es bei uns eine Monats- wusst eine kleine Aufgabe am Einschu- absolvierte ihren Vorbereitungsdienst feier, bei der verschiedenste Arbeits- lungstag, die freiwillig erledigt werden an der Winterhuder Reformschule. ergebnisse vorgestellt und gewürdigt und den Kindern am nächsten Tag als Seit 2018 ist sie dort Lerngruppen- sowie gemeinsam gesungen wird. Zu Mittel für die erleichterte Kontaktauf- leitung und seit 2019 Fachleitung den ritualisierten Elementen der Ein- nahme zur Lehrkraft dienen darf. Zum Deutsch für die Jahrgänge eins bis schulung gehören vier Lieder: „Ihr seid Abschied werden in allen Gruppen sieben. herzlich willkommen“, „Trau dich ran“, Fotos erstellt. „Gute Frage, nächste Frage“ und als Abschluss „Unser Kreis, der sei offen“. Ankunft in der Lerngruppe Die kurze Rede der Schulleitung hat als Lernen am Schulanfang wichtigste Aussage: „Wir sind gespannt „Ich habe gemerkt, dass ich keine Angst darauf, was ihr schon alles gelernt habt haben muss, dass Mama in der Schule „Ich lobe die Schule, weil ich hier machen und könnt und freuen uns auf eure nicht bei mir ist, weil ich Trost bei mei- kann, was ich möchte und nicht zum Neugier. Hier gibt es viel zu entdecken nen Paten gefunden habe“ (Zitat einer Arbeiten gezwungen werde“ (Zitat eines und zu erleben.“ Mit veralteten Ansich- Zweitklässlerin, die über ihren Schulan- Vorschülers, der bereits leidenschaftlich ten über Schule, wie „heute beginnt der fang spricht). im 20er-Zahlenraum rechnet). Ernst des Lebens“ wird an dieser Stelle In den kommenden Wochen finden Kolleg*innen, die von Regelschulen zu ganz bewusst gebrochen. sich die Schulanfänger*innen in der unserer Schule kommen, beschreiben als Den Sonnenblumenkindern werden neuen Gruppe und Lebenssituation ein. größten Unterschied zu dem zuvor Ge- von ihren Paten Sonnenblumen über- Das braucht Zeit; daher beginnt bei uns lernten und Praktizierten: das Loslassen reicht. Die Paten rufen ihre Schützlinge die Prozessbegleitung vorher und bleibt der Kinder. Beim Schulanfang zeigt sich mit Namen auf. Trauen sich die Kinder weiter Thema – eine notwendige Voraus- die besondere Herausforderung unseres nicht, gehen die Paten zu den Kindern setzung für soziales Lernen und fachli- Lernsystems am besten; wir benötigen an deren Platz und ermutigen sie mit- ches Lernen, das erst durch Sicherheit Vertrauen in die Kinder, die selbst wis- zukommen, während das nächste Kind und Vertrauen gelingen kann. Dieser sen, was sie wollen. Wir fungieren von aufgerufen wird. Dieses Vorgehen wirkt Prozess wird durch gruppendynamische Beginn an als Begleiter*innen, die den entlastend für ängstliche Kinder, da der Spiele und gemeinsame Reflexionen im Kindern Material anbieten, unter dem Fokus von ihnen abgelenkt wird. Der Kreis unterstützt. die Kinder ihre Arbeitsschwerpunkte Kontakt wird gestaffelt, vom Einzelkon- Dabei wirken die Paten emotional ent- selbst wählen. takt zur Kleingruppe in die Großgruppe, lastend für die Kinder, zeigen ihnen al- Alle arbeiten mit individualisierten sodass Selbstsicherheit im Kontakt lang- les (von der Toilette über die Sporthalle Arbeitsplänen und in Kleingruppen an sam wachsen kann. Daher entscheiden bis zu Pausenangeboten), geben bei Be- freien Projekten. Alle machen und kön- sich viele Kolleg*innen nach dem An- darf Hilfestellung (z. B. beim Umziehen) nen Unterschiedliches. So bleibt der kommen in der Aula für einen offenen und entlasten so auch die Lehrkraft. Da- Selbstwert erhalten, weil es keine Ver- Beginn in der Lerngruppe. Das heißt, die bei beziehen sie uns Pädagog*innen ggf. gleiche gibt. Negativen Selbstbildern Paten zeigen, was es im Lerngruppen- mit ein. kann so konstruktiver begegnet werden. raum zu entdecken gibt, bevor wir uns Die wichtigste Hürde der ersten drei In kleinen Kreisen zeigen die Lehrkräf- zum Ende der Einschulung in einem kur- Wochen ist, emotional abgeholt zu wer- te neues Material, sodass die Kinder An- zen Kreis mit kleiner Vorstellung, einem den – dazu gehört auch, ob Kinder Früh- satzpunkte haben, aber es gilt auch hier gemeinsamen Spiel und/oder Lied tref- stück dabei haben bzw. die Kinder ihres das Prinzip der Freiwilligkeit. fen. Kinder, die mögen, stellen sich vor, sonst teilen werden, um Fürsorge und Aufholen ist schnell möglich, denn andere werden durch ihre Paten vorge- Halt zu geben. Selbstverständlich wird intrinsisch motiviert kommen wir zügig stellt. Für die Vorstellungsrunde bietet in solchen Fällen schnell Kontakt zu den voran. Selbstverständlich obliegt es uns sich ein Medium an, das stillen Kindern Eltern gesucht. als Lehrkräften, den Blick auf die Lern- ermöglicht, zumindest etwas zu zeigen, Der Kennenlernprozess kann durch entwicklung zu haben und die Lernbe- wenn sie nichts sagen möchten. Ich nutze ein Bilderbuch und kleine Gestaltungs- gleitung aktiv zu unterstützen. dafür gerne Schleichtiere („Such dir ein aufgaben begleitet werden (Buchtipp: Kinder haben anfangs Erwartungen Tier aus, das zu dir passt. Vielleicht ver- Das große Buch der Familie. Du gehörst an die Schule, die häufig von (Groß-) rätst du uns später, warum du das Tier dazu). Eltern geprägt sind (Ernst des Lebens, 4 GS aktuell 155 • September 2021
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen in der Schule lernst du Lesen, Schreiben auch ihnen nicht immer leicht, ihre Kin- die Basis für Lösungen von schwierigen und Rechnen), und voller Verwunde- der loszulassen und sich dem sozialen Situationen (bei Lernschwierigkeiten rung stellen sie bei uns fest, dass Schule Druck (besonders durch Gespräche mit und Erziehungsfragen). mehr ist – nämlich soziales Lernen und Eltern von Kindern anderer Schulen) Wenn sich ein Sonnenblumenkind am der eigenen Neugier zu folgen. Das Ler- zu entziehen. Tür-und-Angel-Gesprä- zweiten Schultag bei seinem Paten ein- nen geschieht ganz automatisch. Die che in der Anfangsphase sind organisch hakt mit den Worten „Ach, so lässt es Motivation und Freude der Kinder blei- und unkompliziert organisierbar. Eltern sich leben“ (Beobachtung einer Kollegin ben erhalten. brauchen Anerkennung ihrer Themen am Schulanfang letzten Jahres) oder sich und von uns Pädagog*innen ein ehrli- ein Kind im vierten Jahrgang mit einem Elternkontakt am Schulanfang ches, wohlwollendes, klares, authenti- Brief verabschiedet, in dem steht „Dan- sches und wertebasiertes Auftreten. Die ke, dass du immer an mich geglaubt hast. Zu dem Vertrauensspannungsfeld gehö- Sichtbarkeit des Austausches ist auch Bleib, wie du bist!“, dann wissen wir, der ren auch die Eltern. Viele Eltern ent- für die Kinder wichtig. Sie verdeutlicht, Schulanfang und die damit verbundene scheiden sich aktiv, ihre Kinder in unser dass wir als Pädagog*innen eine Zuge- Primarstufenzeit bleiben so in der Erin- Lernsystem zu schicken, aber es fällt hörigkeit zu ihrem Leben haben. Sie ist nerung, wie wir es uns wünschen. Hannes Fischer Mit zuversichtlichem Blick auf das neue Schuljahr Sechstklässler reflektieren die Grundschulzeit I n der Diskussion um das neue Schul- zeit während Phasen des Distanzunter- jahr und um die Auswirkungen der richts mit der im Präsenzunterricht Pandemie wird immer wieder eine vergleichen sowie Vor- und Nachteile defizitäre Sicht auf unsere SchülerInnen des Distanz- bzw. Wechselunterrichts dargestellt, die sich in Gänze nicht mit benennen. Im letzten Schritt sollten die den Beobachtungen in meiner 6. Klasse SchülerInnen ihre Lernerfahrungen im deckt. Sicherlich haben sich über die Pan- Distanzlernen, ihre Erwartungen an den demie bei den SchülerInnen Defizite im zukünftigen Unterricht, die LehrerInnen Lernen entwickelt. So konnten doch die und MitschülerInnen sowie ihre Wün- sozialen Kompetenzen in den neuen sche zum neuen Schuljahr reflektieren. Hannes Fischer Unterrichtsmodellen des Distanz- bzw. Die Ergebnisse deckten sich weitestge- wurde 1984 in Coburg geboren. Wechselunterrichts und mit dem hend mit meinen Vermutungen, hielten Nach seinem Abitur an einem mu- Abstandsgebot nicht ausreichend vermit- aber auch neue Erkenntnisse bereit. sischen Gymnasium absolvierte er telt und geübt werden. Ebenso war die Nach der Auswertung der Schülerant- seinen Zivildienst an einer Schule Vermittlung von neuen Unterrichtsinhal- worten wurde deutlich, dass diejenigen mit dem Förderschwerpunkt geistige ten erschwert sowie der Lernprozess von SchülerInnen erfolgreich lernten, welche Entwicklung und entschied sich im der direkten Unterstützung durch die die Fähigkeiten mitbrachten, das eigene Anschluss für ein Lehramtsstudium an Lehrkräfte weitestgehend losgelöst. Den- Lernen selbst zu organisieren, was ein der Universität Würzburg. noch konnten sich einige meiner Schüler- hohes Maß an Selbstständigkeit erfor- Seit 2014 arbeitet er als Grundschul- Innen sehr viel besser auf die veränderten derte. SchülerInnen, die dabei die Mög- lehrer für Englisch und Musik an einer Bedingungen einstellen als andere, ihren lichkeit der Unterstützung nutzen konn- brandenburgischen Grundschule. Zum Lernprozess optimieren und sehr erfolg- ten, auch wenn sie nicht immer benötigt Grundschulverband stieß er im Jahre reich auch neue und schwierige Lernin- wurde, profitierten, in meinen Augen, 2018 und engagiert sich seither im Vor- halte selbstständig erarbeiten. besonders von der Beschäftigung mit stand der Landesgruppe Brandenburg. Dies ließ die Frage nach den Grün- dem eigenen Lernprozess. Dadurch wur- den aufkommen und führte mich zu der de die Selbstkompetenz weiterentwickelt Idee, diesen mit Hilfe einer Schülerbe- und die Selbstwirksamkeit gestärkt. „Ich fragung nachzuspüren. Die SchülerIn- habe gemerkt, dass ich manches schnel- beim Lernen alleine bzw. weniger Ab- nen sollten den Grad der Unterstützung ler und manches langsamer lerne.“ Oder: lenkung beim Lernen in kleineren Lern- und der Selbstständigkeit im Arbei- „Ich weiß jetzt, wie ich alleine am besten gruppen und die Möglichkeiten, die das ten auf einer Skala mit vier Wahlmög- lernen kann.“ digitale Lernen bietet, Wissen selbst- lichkeiten von sehr hoch bis gering ein- Von den SchülerInnen wurde weiter- ständig zu erarbeiten, positiv auf ihr schätzen. Weiterhin sollten sie ihre Lern- hin hervorgehoben, dass sich die Ruhe Lernen ausgewirkt hat. Dadurch konn- GS aktuell 155 • September 2021 5
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen ten die SchülerInnen ihre Medienkom- Das Ende der sechsjährigen Grund- und netten MitschülerInnen, die „cool“, petenz weiter ausbauen („Ich nehme mit, schulzeit meiner Klasse war Anlass, aber auch „ruhig und unterstützend“ im dass man mehr mit dem Internet arbeiten einen Blick auf die 7. Klasse zu werfen. Lernen sein sollen, durchweg geäußert. kann“) und ihre Lernprozesse effektiver Die Erwartungen der SchülerInnen an Die Schule, die Lehrkräfte und die eige- gestalten, was sich oft sogar positiv auf die ihre neuen Schulen, den Unterricht und ne Klasse sind wichtige Teile des sozia- Lernzeit auswirkte, die für ein erfolgrei- ihre Lehrer lassen die Arbeitsfelder er- len Rasters, über das GrundschülerIn- ches Lernen aufgewendet werden muss- kennen, die es schneller denn je anzuge- nen verfügen, daher begrüße ich es sehr, te („Im Homeschooling konnte man seinen hen gilt. So erwarten meine SchülerIn- dass uns vom Bildungsministerium des Tag selber gestalten. Man hat auch mehr nen neben praxisorientiertem und span- Landes Brandenburg mit der Organi- Ruhe und Zeit für die Aufgaben gehabt“). nendem Unterricht auch, dass das digi- sation des neuen Schuljahres die Zeit Einen Vorteil in den Phasen des Dis- tale Lernen fest im Unterricht verankert gegeben wird, ohne Druck in Form von tanzlernens, der zu einer höheren Leis- wird und die neuen digitalen Lernfor- Klassenarbeiten und mit der Bitte, bei tungsfähigkeit geführt haben könnte, sa- men zum Schulalltag werden. „Ich möch- der Leistungsbewertung „pädagogisches hen die SchülerInnen auch in dem Fakt, te an der neuen Schule mehr mit digitalen Augenmaß zu wahren“, um den Schüler- dass sie ausschlafen konnten. Zunächst Medien arbeiten.“ Ebenso wird erwartet, Innen ein „behutsames Einleben in den eine triviale Forderung, doch wenn man dass den SchülerInnen, die Unterstüt- regulären Schulbetrieb“ zu ermögli- die Aussagen der Schlafforschung und zung bekommen, die sie benötigen, „al- chen, eine funktionierende Klassenge- die aktuelle Diskussion um einen spä- les genau erklärt wird“ und dass „die Leh- meinschaft etablieren, auch mehrtägi- teren Schulanfang betrachtet, erscheint rer auf alle eingehen“. ge Schulfahrten unternehmen und den dieser Punkt der SchülerInnen als wich- Für mich und meine SchülerInnen Schwerpunkt auf das soziale Miteinan- tiger denn je. Doch nicht nur der späte- bleibt im Moment nur zu hoffen, dass die der an Schule legen zu können. re Schulbeginn wurde thematisiert, auch dafür nötigen Rahmenbedingungen durch Wenn es geschafft wird, die richtigen die Möglichkeit „den Stundenplan selbst die Digitalpakte und mit dem „Aktions- Personen in ausreichender Zahl an die zu schreiben“, also selbst zu entscheiden, und Aufholprogramm“ schnell und unbü- Schulen zu bringen, bin ich zuversicht- wie viel und wann man etwas macht, rokratisch geschaffen werden können. lich, dass durch die beschriebenen Maß- wurde von den SchülerInnen als gro- Außerdem konnten meine Schüler- nahmen auch die SchülerInnen wieder ßer Motivationsfaktor beim Lernen in Innen Wünsche für das neue Schul- Anschluss finden, die sich während der Distanz beschrieben. Den SchülerInnen jahr äußern. Hier wird deutlich, was die Pandemie „mehr Zeit zum Selbststän- diese Freiheiten im System Schule zu er- SchülerInnen während des Distanzler- digwerden“ gewünscht hätten oder die möglichen, erscheint mir neben der Di- nens am meisten vermisst haben: die so- „nicht immer alles mit dem Lehrer bespre- gitalisierung eine weitere Herausforde- zialen Kontakte und Berührungspunkte. chen konnten, sondern erst eine Mail oder rung für unser Bildungssystem. So wird der Wunsch nach Klassenfahrten so schreiben mussten“. Franziska Milke, Maren Vialon Lernorte entdecken: Im Park Sanssouci in Potsdam 2953 Schritte in die vorbereitete Umgebung am Neuen Palais N ach den Erfahrungen im ver- Unser erster Weg führte uns zum Neu- das Zeichnen von Details der Bildhau- gangenen Schuljahr, mit Schul- en Palais. Der Weg dorthin hatte für die erkunst und Architektur an und übten schließung, mit Lernen im Kinder genau die richtige Länge – 2009 das genaue Hinsehen. Dadurch kamen Wohn- und Kinderzimmer, Wechsel- bis 2953 Einzelschritte - und so soll- erste Fragen auf. Wen stellen diese Figu- unterricht und Dauerlüften, mussten te dieser Ort für lange Zeit unser zwei- ren eigentlich dar? Warum haben einige wir uns zu Beginn dieses Schuljahres ter Lernort werden, an dem wir zweimal von ihnen Tiere dabei oder sind selbst eingestehen, dass „normaler“ Unterricht pro Woche einen Vormittag verbringen zu Teilen Tier, Pflanze, Stein ...? Die ers- auch weiterhin nicht möglich sein wür- würden. Und das Schloss mit seiner Um- ten Kinder begannen, ihre eigenen Ge- de. Wir beschlossen also, einen Großteil gebung bot vielfältige Lernanlässe. schichten dazu zu erfinden. Wir nah- des Unterrichts der Klassen Mb und Mc Die Gebäude mit den vielen sie um- men die Schreibbücher mit zum Schloss. nach draußen zu verlegen. Unsere Schu- gebenden Statuen, die uns dort jedes Wer noch schreiben lernte, lautierte le ist die Montessori-Oberschule in Mal erwarteten, kannten wir alle. Vom und schrieb Wörter aus der Umgebung: Potsdam-West. Unsere Gruppen sind Schulweg oder von Spaziergängen. Zeit, Schloss, Treppe, Laterne, Schildkröte, jahrgangsgemischte Gruppen mit Kin- sie einem genaueren Blick zu unterzie- Krone. Einige Statuen wurden nachge- dern aus den Klassenstufen 1, 2 und 3. hen. Wir näherten uns zunächst durch stellt, aus der Körperhaltung entwickel- 6 GS aktuell 155 • September 2021
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen Symmetrie ist. Auf beiden Seiten stehen gleich viele Statuen in gleicher Anord- nung. Und weil alle gezählten Statuen dokumentiert werden sollten, muss- ten wir einen Grundriss zeichnen. Um diesen für alle verständlich zu machen, bauten wir in der Schule ein Modell des Schlosses aus den Kuben des Tausender- kubus. Danach wollten fast alle einmal versuchen, die Gartenansicht des Schlos- ses als Ganzes zu zeichnen. Auffällig war, dass der König, der all dies erbauen ließ, für die Kinder weitgehend uninteressant blieb. Ein König wie Friedrich II. ist we- nig märchenhaft und das Bild des Mär- chenkönigs zu entzaubern, passt nicht für diese Altersstufe. Inzwischen hatten wir eine Fülle an möglichen Aufgaben für die Unter- richtsgänge zum Schloss und ständig ka- men durch die Fragen und Entdeckun- gen der Kinder oder unsere Anregun- gen neue hinzu. Im Herbst wurden bei- spielsweise Blätter gesammelt, gepresst, gezeichnet und bestimmt. Die Kinder lernten, die verschiedenen Blattformen zu benennen (viele sind symmetrisch). Da bei jedem Unterrichtsgang min- destens drei Erwachsene dabei waren, konnten wir die Kinder in kleinen Grup- pen begleiten und anleiten, verschiede- ne Angebote machen. Timuçin Karakuş bot Jonglieren, Musiklehrerin Katharina Klucke barocke Tänze im Freundschafts- tempel an. Immer mehr Kinder konnten aber auch an dem immer vertrauter wer- oben: Statue im Säulengang vor dem Neuen Palais im Original und ge- denden Ort bald selbstständig arbeiten. zeichnet, unten: Frontansicht des Neuen Palais von der Gartenseite aus Eine erstaunliche Beobachtung machten wir Erwachsenen im späten Herbst, als ten sich Rollen und daraus kleine Thea- schen Mythologie gelesen, gezeichnet wir zur Abwechslung einen langen Spa- terszenen. und dazu geschrieben. ziergang durch den Wildpark machten. Schließlich erzählte ich die Geschich- Während wir die Statuen nach und Es waren keine Aufgaben vorgegeben. ten aus der griechischen Mythologie vor nach immer besser kennenlernten, hat- Die suchten sich die Kinder selbst. Sie den entsprechenden Statuen. An der ten einige Kinder mit Referendar Timu- übertrugen ihr Verhalten aus dem Park Gartenseite des Palais steht Daphne, çin Karakuş begonnen, nach dem Weg auf den Wald, der dadurch auch zum die sich vor dem unerwünschten Wer- von der Schule zum Schloss, auch das Lernort wurde. Die Zahl gestapelter ben Apollos in die Gestalt eines Lorbeer- Schloss zu vermessen. Mit Schritt-, Fuß- Baumstämme wurde geschätzt, gezählt strauches flüchtet. Die Kinder fanden und Metermaß wurde das Gebäude um- und hochgerechnet. Bäume wurden bald den unglücklich verliebten Apollo, rundet. Nun stellte sich die Frage: Wie untersucht. Im Gehen wurden Gedich- der aus einiger Entfernung von einem viele Statuen stehen hier eigentlich? Ei- te und das Zählen im Binärsystem mit Sockel im Garten auf Daphne schaut. nige Kinder legten fest, was genau als den Fingern geübt. Flechten und Moose Auch Eros, der dieses Drama ausgeheckt Statue gelten sollte (keine Büsten, kei- wurden gesammelt und zum Mikrosko- hat, steht in der Nähe. ne Tiere – die wurden von einer ande- pieren mit in die Schule gebracht. Die Geschichte von Aphrodite und ren Gruppe gezählt –, keine leeren Rüs- Mit dem Frühling wurde der Wald zu dem Zankapfel wurde von den Kindern tungen). Sie schätzten, zählten und ad- unserem neuen Lernort. Wir übten, uns oft nacherzählt und -gespielt. In der dierten – schriftlich oder mit Hilfe des zu orientieren, lernten, an Weggabelun- Schule wurde viel über weitere Held*in- Markenspiels – in der Schule. Wie bei- gen die Winkel zu benennen. Frühblü- nen und Gött*innen aus der griechi- läufig erkannten die Kinder dabei, was her, Zitronenfalter und das allmähliche GS aktuell 155 • September 2021 7
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen Grünen der Stockwerke des Waldes be- Fragen zu stellen und sich ihre Auf- gleiteten die kosmischen Erzählungen gaben – wie in der Schule – in ihrem vom Kommen der Pflanzen und des jeweiligen Umfeld selbst zu suchen. Lebens. Vielen kam das auch beim Lernen zu Hause zugute. In der öffentlichen Diskussion wird jetzt immer wieder die Frage nach der Auch wir Lehrer*innen haben uns mit Möglichkeit von Unterricht im Freien unserem Lernort, dem Park Sanssou- gestellt und kontrovers diskutiert. Auch ci, auseinandergesetzt, Fragen gestellt wir sehen uns vor, während und nach und viel darüber gelernt. Von der grie- Franziska Milke (links) jedem einzelnen Unterrichtsgang in chischen Mythologie über die Person franziska.milke@lk.brandenburg.de der Rechtfertigungspflicht. Lernen die Friedrichs II. bis zu einer Führung von Kinder draußen genug? Und immer Postcolonial Potsdam zur Geschichte Maren Vialon (rechts) wieder finden wir: ja. Sie haben gelernt, und dem aktuellen Umgang mit dem maren.vialon@lk.brandenburg.de genau hinzuschauen, zu betrachten, zu preußischen Kolonialismus. Beide leiten eine jahrgangsgemischte zeichnen. Sie schreiben, schätzen, rech- Die größte Bereicherung in diesem Lerngruppe mit Kindern aus den Jahr- nen. Sie haben ihr räumliches Vorstel- Schuljahr war für mich jedoch die Zu- gängen 1 bis 3 lungsvermögen geschult, gelernt, sich sammenarbeit mit den Kolleg*innen, die zu orientieren. Sie haben die Perspek- Beobachtung der Kinder aus verschiede- Die Montessori-Oberschule ist eine tive gewechselt. Sie haben Symmet- nen Perspektiven und der ständige Aus- Oberschule mit Primarstufe. rie und Winkel kennengelernt, kön- tausch über den gemeinsamen Unter- Wir sind staatliche Schule und Schule nen verschiedene Pflanzen bestimmen. richt. Mit unseren jeweiligen Kompe- für gemeinsames Lernen. Sie haben gelernt, das Wetter zu beob- tenzen, Erfahrungen, Interessen und Ex- www.potsdam-montessori.de/ achten und sich dem Wetter angemes- pertisen konnten wir uns gegenseitig gut sen zu kleiden. Und vor allem haben ergänzen und so auch den Unterricht in die Kinder gelernt, im Leben zu lernen, den einzelnen Gruppen bereichern. Simone Gruschke Was wir uns wünschen und was wir schon können Zukünftige Erstklässler aus Brandenburg erzählen Die letzten Wochen des Schuljahres sind immer auch die Jonas: „Lange Haare, die Füße mit Nägeln ein bisschen rot ersten Wochen für die Vorbereitung auf das neue Schul- angemalt.“ jahr. Familien und Kinder der zukünftigen ersten Klassen Malte: „Nett und wie Papa!“ werden zu persönlichen Gesprächen eingeladen, füllen Elina: „Lieb, nicht so schimpfen … und keine schlechte Laune Fragebögen aus und Pädagogen besuchen die Vorschul- haben.“ gruppen in den Kinderhäusern und Kindergärten. Alana: „Ich wünsche mir, dass sie lieb ist und mir alles zeigt.“ In Vorbereitung auf die Grundschule lernen sich alle ein gutes Stück kennen und tauschen sich zu ihren Wünschen Wie wünschst du dir deine Schule? und Vorstellungen aus. Unsere Vorschulkinder machen Wie möchtest du die Zeit dort verbringen? sich viele Gedanken und haben großartige Ideen, wie sie Albert: „Fußball spielen, dass wir glücklich sind und schwere sich ihre Schule und ihre Lehrer wünschen. Sachen machen.“ Hier einige Zitate: Matilda: „Lesen und rechnen, dass wir was lernen.“ Luca: „Spielen, rechnen, lesen. Gibt es einen Spielzeugtag?“ Was wünscht du dir von deiner Lehrerin Moritz: „Fußball spielen, rechnen, lesen, gut lesen.“ – und wie sollte sie sein? „Multiplikation und Division.“ Matilda: „Eine Lehrerin, die mit mir arbeitet und nett ist.“ Julien: „Malen und Hausaufgaben machen, manchmal Moritz: „Sie soll machen, was ich will, und Kuchen backen spielen und noch was, weiß ich aber nicht.“ für uns.“ Jonas: „Dass da ein Bild ist, eine Schule mit Regenbogen Luca: „Helfen, wenn ich nichts weiß, und lieb und hilfsbereit fenstern, da komm ich hin.“ sein.“ Malte: „Na, da spiele ich mit meinen Freunden und dann Albert: „Ein guter Torhüter sein und dass sie gesund bleibt.“ spiele ich, bis ich abgeholt bin.“ 8 GS aktuell 155 • September 2021
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen Ina Herklotz Spielraum Schriftsprache Eine „Text-Werkstatt“ bietet Handlungsmöglichkeiten und Materialien zum Nachdenken über Schrift und Sprache N achhaltig wirksames Recht- liche Teilhabe und Persönlichkeitsent- Bildungsbiographie eines Kindes sicher schreibenlernen ist kind- und wicklung (Lehrplan für die bayerische richtungsweisend. zugleich normgeleitet: Von Grundschule 2014) „Lernen in Interaktion, Kooperation Anfang an ist das eigenaktive Entdecken Im Kontext eines konstruktivistischen und Kommunikation ist der Schlüssel der Kinder zu fördern und zugleich die Lernbegriffs erleben sich Schülerinnen für hohe Bildungsqualität“, formulie- rechtschriftliche Norm als Arbeitspers- und Schüler als aktive Mitgestalter ihres ren die Bayerischen Leitlinien für Bil- pektive einzubringen“ (Bartnitzky 2015, Lernprozesses. Gerade auch Unterricht dung und Erziehung bis zum Ende der 17). in der Schuleingangsphase kann so ge- Grundschulzeit. staltet sein, dass er vom ersten Schultag Um ein Lernangebot im Bereich der Motivation an Chancen bietet, sich als Kind aktiv als Schriftsprachentwicklung nun so zu ge- Konstrukteur seines Wissens erleben zu stalten, dass es den Grundbedürfnissen Der sprachlichen Bildung kommt in der dürfen. Die Erfahrung, bereits als Schul- von Kindern, sich anderen Menschen Grundschule besondere Bedeutung zu. anfänger an individuelle Vorerfahrungen mitzuteilen, sich kreativ zu betätigen, Lesen und Schreiben zu lernen ist eine anknüpfen zu dürfen und angesproche- Neues auszuprobieren und zu hinter- der wichtigsten Aufgaben für Schulan- ne Themenbereiche persönlich bedeut- fragen und etwas Produktives zu tun fänger und Grundlage für gesellschaft- sam zu interpretieren, beeinflusst die (Hagstedt/ Krauth 2014, 9) gerecht wird, Elina: „Ganz viel machen, schreiben, Schulaufgaben machen lung bekomme. So ein großes, da ist ein Einhorn drauf und und machen, was der Lehrer sagt.“ da unten ist ’ne Spitze und da ist was drin, ein bisschen Alana: „Ich möchte basteln und schön werden und arbeiten, Naschi und so.“ in meinem Logbuch.“ Alana: „Frühstück, mein Logbuch und noch meine Schul Dave: „Dass die Schule gesund ist, dass kein Corona ist und mappe.“ dass die Schule schön aussieht.“ „Schreiben, lernen, dass ich Dave: „Mappe, Stifte.“ schlau bin.“ Matthea: „Trinken und Essen und das wars schon.“ Matthea: „Dass die hübsch aussieht.“ „Ich möchte nur ein Luiz: „Einen Schulrucksack, eine Mappe und einen Taschen bisschen Zeit da sein.“ rechner. Luiz: „Lernen. Buchstaben und Zahlen und Lesen lernen. Basteln. Kann man da auch Autos malen?“ Simone Gruschke Was bringst du mit in die Schule? Pädagogische Leiterin der IBiS GmbH Emma: „Schultasche, Brotdose und Bücher.“ Albert: „Freude am Rechnen, meinen BVB-Rucksack.“ IBiS ist die Integrative Bildungsstätten GmbH. Matilda: „Ich kann schon rechnen.“ Sie ist Träger der Montessori-Grundschule Neuruppin, der Luca: „Einen Apfel, Trauben sind gesund.“ IBiS Grundschule »Maria Montessori« Wittenberge sowie Träger Alana: „Ich kann auf Deutsch und Englisch zählen, kann von drei Kinderhäusern und zwei Kitas in Wittenberge, Perleberg englische Worte, zählen auf Englisch bis 29.“ und Neuruppin. Die IBiS GmbH ist eine Tochtergesellschaft der Lebenshilfe Prignitz Julien: „Autos, mein Boot und ein Polizeiauto, Hausaufgaben e. V. und ein fester Bestandteil eines Unternehmensverbundes, der und Bücher von Mathe.“ Betreuung, Erziehung, Bildung und Beschäftigung für Menschen Jonas: „Also eine Mappe hab ich mit, eine Fußballmappe mit unterschiedlichen individuellen Entwicklungswegen und und Essen und Trinken, ein Sandwich und Wasser und mein Bedarfen anbietet. Hausaufgabenheft.“ Malte: „Blätter, die man abgeben kann und da drauf lernen kann.“ Elina: „Meine Schulmappe, meinen Einhorn-Rucksack, wo die Stifte rein kommen. So ein Dings, dass ich zur Einschu GS aktuell 155 • September 2021 9
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen liegt die Entscheidung für ein offenes den integrativen Gedanken des Deutsch- und wird sowohl durch analytische als Unterrichtskonzept, das „thematischen unterrichts zu betonen. Das Lernfeld des auch synthetische Elemente unterstützt Spielraum eröffnet“ auf der Hand. „... die Schriftspracherwerbs in der Eingangs- und gefördert. Untersuchungen zur Begegnung des Kindes mit der (Schrift-) stufe bildet in Konsequenz keinen ge- Schreibentwicklung zeigen, dass Kin- Sprache und die Unterstützung der Ent- sonderten Kompetenzbereich und stellt der nicht einzelne Wortbilder lernen, deckung sprachlicher Strukturen durch sich gegenseitig bedingende Prozesse sondern gerade zu Beginn des Lernpro- das Kind“ (Jeuk/ Schäfer 2017, 118) ste- des Lesen- und Schreibenlernens in den zesses jedes Wort durch das Schreiben hen somit im Mittelpunkt der Überle- Mittelpunkt. neu konstruieren (Sommer-Stumpen- gungen zur Unterrichtsplanung. horst 2015, 108). Neu erworbene Vor- Grundlagen stellungen über Schreibweisen werden Die Entscheidung für die Bezeichnung im Laufe des Lernprozesses in indivi- „Text-Werkstatt“ basiert auf der Grund- „Sinn des Schreibens ist es, für sich duelle Schreibungen integriert (Spiegel lage eines Verständnisses von Text, das selbst etwas festzuhalten (zu merken) 2020, 1). über die Vorstellung einer inhaltlich und/oder anderen etwas mitzuteilen. Als Konstruktionsprinzipien werden zusammenhängenden Folge von Aussa- Sinn des Lesens ist es, sich zu erinnern hier die grundlegenden Rechtschreib- gen hinausgeht. Ein Textbegriff im wei- (das selbst Geschriebene) und/oder prinzipien angewandt, die sich im Kon- teren Sinne umfasst alle medial vermit- etwas von anderen zu erfahren (Som- zept der Textwerkstatt als eine tragen- telten Texte, also nicht zwangsläufig nur mer-Stumpenhorst 2015, 110).“ In der de Komponente finden. Die Stufen des gedruckte Buchstabenschrift, sondern Anfangsphase des Schriftspracherwerbs Schriftspracherwerbs bilden die zweite ebenso auch Bilder bzw. Bild-Text-Kom- erfassen Kinder den Zeichencharakter Komponente und werden im Zusam- binationen und Hörtexte. Eingeschlos- der Schrift und nehmen die Laut- und menhang mit dem erweiterten Textbe- sen wird auch ganz bewusst der han- Silbenstruktur der gesprochenen Spra- griff in Form der Arbeitsmaterialien auf delnde Umgang mit den Medien selbst che bewusst wahr. Sie bauen Wörter auf Buchstaben- bzw. Laut- Wort- und Satz- (Lehrplan für die bayerische Grund- und stellen Beziehungen zwischen den ebene repräsentiert. schule 2014, 42 ff). entsprechenden Buchstaben und Buch- In der Unterrichtspraxis steht den Die Materialien in der „Text-Werk- stabengruppen her. Nach dem anfängli- Schülerinnen und Schülern infolgedes- statt“ ermöglichen den aktiven Umgang chen Lautieren und Erlesen unterteilen sen als Material „Text“ in all seinen Aus- mit vielgestaltigen und herausfordern- die Schülerinnen und Schüler Wörter prägungen zur Verfügung: Bildkarten, den Angeboten aus dem Bereich Schrift zunehmend in Einheiten wie Vorsilben, die Anlauttabelle, Buchstabenstempel, und Sprache. Die vier Kompetenzberei- Nachsilben oder häufige Wortstämme silbisch geschriebene Wörter, Wortkar- che Sprechen und Zuhören, Lesen – mit und erfassen schließlich wiederkehren- ten mit lauttreuen Wörtern, ebenso mit Texten und weiteren Medien umgehen, de Wortteile, Signalgruppen und Wort- Wörtern mit rechtschriftlichen Beson- Schreiben sowie Sprachgebrauch und bausteine (Lehrplan für die bayerische derheiten, Wörterlisten, Wörterbücher, Sprache untersuchen und reflektieren Grundschule 2014, 42 ff). Der Pro- Satzkarten und kleine Büchlein mit zu- werden miteinander verknüpft und be- zess des Schriftspracherwerbs verläuft sammenhängenden Texten. Als äußerst wusst in Zusammenhang gestellt, um allerdings bei jedem Kind individuell variabel erweist sich die Bereitstellung von Zeitschriften bzw. ausrangierten Bü- chern, aus denen die Schülerinnen und Schüler Text und Bilder ausschneiden dürfen. Hörtexte in Form von gespro- chenen Anlauten, Silben und Wörtern könnten ergänzend einbezogen werden. Zur Bearbeitung nutzen die Kinder geeignete Werkzeuge, also das phono- logische, das silbische, das morpholo- gische und das grammatische Prinzip. Diese werden durch die Symbole aus der Freiburger Rechtschreibschule, die sogenannten FRESCH-Symbole Sprech- schwingen, Weiterschwingen, Ableiten und Merken (Renk / Brezing 2015, 84), veranschaulicht. Ebenso werden die Strategien um Wortbaustein und Groß- und Kleinschreibung in Anlehnung an das Lehrwerk Zebra erweitert. Sehr hilf- reich ist es hier, den Kindern die Sym- bole auch als Stempel zur Verfügung zu Materialien Text stellen. 10 GS aktuell 155 • September 2021
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen Anlaute hören und aufschreiben Wörter in Prospekten entdecken, die nur große Buchstaben haben Schwierige Stellen markieren und rechtschriftlich erklären Großschreibung aus dem Zusammenhang mit der Wortart erklären Exemplarische Arbeitsergebnisse Gemeinschaftsarbeit: Wörter zu S und Sch sammeln. Hier wird Heterogenität besonders deutlich: Jedes Kind kann Textmaterial auf individuellem Niveau wählen. GS aktuell 155 • September 2021 11
Thema: Schulstart – was Kinder jetzt brauchen Mit grundlegenden Arbeitstechniken Vorhaben, z. B. „Ich suche heute Bilder Immer wieder stellen einzelne Schüle- wie dem Markieren der Vokale bzw. mit dem gleichen Anlaut und male und rinnen und Schüler ihre Arbeitsergeb- rechtschriftlicher Besonderheiten oder schreibe dazu“ oder „Ich schneide aus nisse der gesamten Lerngruppe vor. Sie einer mehrschrittigen Arbeitstechnik der Zeitschrift Wörter aus, die zwei Sil- berichten über ihr Vorgehen, benennen zum richtig Abschreiben sollten die ben haben“. Der gemeinsame Start ist mir Lernfortschritt und Nachdenkenswertes Schülerinnen und Schüler vertraut sein. wichtig, weil es an dieser Stelle sehr gut und holen sich von den Mitschülerin- Zur Unterstützung können hier Symbol- möglich ist, einzelne Kinder z. B. bei der nen und Mitschülern Rückmeldung ein. kärtchen für die Hand der Kinder oder Auswahl des Textwerkzeuges zu unter- An dieser Stelle wird auch die Weiter- Veranschaulichungen in Form eines Pla- stützen, und auch, um Fachvokabular zu arbeit angedacht und das Kind formu- kates im Klassenzimmer dienen. festigen. Zudem erhalte ich als Lehrkraft liert seinen nächsten Lernschritt. Eben- und selbstverständlich auch die Kinder so wird die Lehrkraft in diesem Kontext Lernwege einen Überblick über die verschiedenen beratend tätig, nachdem sie den indivi- Arbeitsschwerpunkte. Oft entsteht dann duellen Lernstand des Kindes gut kennt Methoden im Anfangsunterricht inte- der Wunsch nach Zusammenarbeit oder und entsprechende Anregungen zur grieren unterschiedliche Zugänge zur es ergeben sich Anknüpfungspunkte, die Förderung geben kann. Viele Kinder Schrift und berücksichtigen die per- partnerschaftlich oder gruppenweise in reflektieren in dieser intensiven Pha- sönlichen Lernvoraussetzungen und der Weiterarbeit verfolgt werden können. se ihre Arbeit sehr selbstkritisch und Entwicklungen, um jedem Kind mög- Nicht zuletzt verleiht der kurze persön- erhalten zudem Ideen für eigenes Arbei- lichst gerecht zu werden. Die Materia- liche Beitrag der Arbeit Verbindlichkeit ten. Die Heterogenität der Lerngrup- und Kontinuität und trägt zur Rhythmi- pe wird hier explizit zur Chance. Daher sierung des Unterrichtsgeschehens bei. bietet sich das Konzept gerade auch für jahrgangskombinierte Klassen an. Als Handlungsmöglichkeiten ergeben sich beispielsweise: Fazit – zu Bildkarten sprechen – zur Anlauttabelle passende Bilder Immer wenn Vorerfahrungen und ausschneiden Eigentätigkeit der Kinder ins Zentrum – eine eigene Anlauttabelle entwickeln gerückt werden, entsteht eine tragfä- – eigene Wörter zu einem Anlaut hige Basis für Kommunikation. Eine malen, schreiben, ausschneiden Kommunikation, die individuelle Lern- Ina Herklotz – Silbenbögen zeichnen und Wörter zu wege zum Thema macht, die jedes ein- ist Seminarrektorin im Regierungs den Bildkarten stempeln oder schrei- zelne Kind ernst- und wahrnimmt und bezirk Mittelfranken. Einer ihrer ben eine Kommunikation, die auf fachli- Arbeitsschwerpunkte liegt im Bereich – rechtschriftlich schwierige Stellen chem Hintergrund basiert. Dieser Aus- jahrgangskombinierten Lernens, markieren und passendes Recht- tausch gibt die Möglichkeit, miteinan- insbesondere in der Eingangsstufe. schreibprinzip zuordnen der und voneinander zu lernen und die – Groß- und Kleinschreibung erfor- Textwerkstatt gemeinsam mit den Kin- lien in der Textwerkstatt bieten vielfälti- schen dern weiterzudenken. Nicht zuletzt ist ge Sprachlernmöglichkeiten und machen – Wörter zu einem Rechtschreibprin- es nach meiner Erfahrung die Lehrkraft, unterschiedliche Lernwege möglich. Am zip sammeln die durch die Initiativen und häufig Beginn der Lernzeit steht für die Kinder – Texte in Hinblick auf Rechtschreib- unerwartete Kreativität der Kinder viel- die Auswahl von Material und Textwerk- prinzipien untersuchen fach bereichert wird. zeug. In gemeinsamer Runde formuliert – Technik des Abschreibens üben jede Schülerin bzw. jeder Schüler sein (siehe Beispiele auf S. 11) Literatur Bartnitzky, H. (2015): Rechtschreiben in der Arbeitsheft Sprache 1./2. Schuljahr: Klett Beiträge zur Reform der Grundschule. Diskussion. In: Grundschule aktuell, H. 132, Verlag Frankfurt am Main: Grundschulverband e. V. 17. Hagstedt, H./Krauth, I.M. (2014): Mit Sommer-Stumpenhorst, N. (2015): Die Bayerisches Staatsministerium für Bildung Lernwerkstätten Schule entwickeln. In: Rechtschreibwerkstatt. In: Brinkmann, E.: und Kultus, Wissenschaft und Kunst: Hagstedt, H./Krauth, I.M. (Hrsg.): Lernwerk- Rechtschreiben in der Diskussion. Beiträge Bayerische Leitlinien für die Bildung und stätten. Potentiale für Schulen von morgen. zur Reform der Grundschule. Frankfurt am Erziehung von Kindern bis zum Ende der Beiträge zur Reform der Grundschule. Main: Grundschulverband e.V. Grundschulzeit, München 2014. Frankfurt am Main: Grundschulverband e. V. Spiegel, U. (2020): Der Lernbereich Richtig Bayerisches Staatsministerium für Bildung Jeuk, S./Schäfer, J. (2017): Schriftsprache Schreiben im LehrplanPLUS. In: G. und Kultus, Wissenschaft und Kunst: erwerben. Berlin: Cornelsen Verlag Stückl/M. Wilhelm: Lehren und Lernen in Lehrplan für die bayerische Grundschule, Renk, G.J./ Brezing, H. (2015): FRESCH der bayerischen Grundschule. Kommentare München 2014. Freiburger Rechtschreibschule. In: Brink- und Unterrichtshilfen zum LehrplanPLUS Brettschneider, S. u.a. (ab 2017): Zebra. mann, E.: Rechtschreiben in der Diskussion. Grundschule. Köln: Wolters Kluwer 12 GS aktuell 155 • September 2021
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