Hessisches Ärzteblatt - Landesärztekammer Hessen
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Landesärztekammer Hessen K.d.ö.R. Hessisches Ärzteblatt 4 2010 Die Zeitschrift der Landesärztekammer Hessen April 2010 Auch im Internet: www.laekh.de 71. Jahrgang • Arbeitsausschuss „Palliativmedizin“ • Der Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993 – Vitalstatus und Mortalität 1993-2008 • „Lernwelt 2020“ – 40 Jahre Akademie für Ärztliche Fortbildung und Weiterbildung der LÄK Hessen • Bad Nauheimer Gespräch „Auf einmal bleibt die Welt stehen“ • Frühe Bindungserfahrung beeinflusst Genaktivität • Heilender Schimmel – die Entdeckung des Penicillins Ausschnitt eines Kirchenfensters der St. James’ Church in Paddington © Martin Glauert, Arzt für Innere Medizin, Kassel
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Hessisches Ärzteblatt Mit amtlichen Bekanntmachungen 4 | 2010 • 71. Jahrgang der Landesärztekammer Hessen K.d.ö.R. und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen K.d.ö.R. Impressum Herausgeber: Landesärztekammer Hessen Im Vogelsgesang 3, 60488 Frankfurt/M. Fon: 069 97672-0 Internet: www.laekh.de E-Mail: info@laekh.de Schriftleitung (verantwortlich): Editorial 208 Prof. Dr. Toni Graf-Baumann Vertreter des Präsidiums: Frank-Rüdiger Zimmeck Fortbildung verantwortlich für Mitteilungen der LÄK Hessen: Phytotherapeutisch bedeutsame Pflanzen in Hessen, Teil 12: Salbei 209 Frank-Rüdiger Zimmeck verantwortlich für Mitteilungen der Akademie: Prof. Dr. Ernst-Gerhard Loch Landesärztekammer Hessen stellt ihre Gremien vor Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Arbeitsausschuss „Palliativmedizin“ 210 Katja Möhrle, M. A. Aktuelles Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Erika Baum, Biebertal Der Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993 – Karl Matthias Roth, Wiesbaden Vitalstatus und Mortalität 1993-2008 211 Dr. med. Alfred Halbsguth, Frankfurt Prof. Dr. med. Dietrich Höffler, Darmstadt Landesärztekammer Hessen Dr. med. Georg Holfelder, Frankfurt Dr. med. Siegmund Kalinski, Frankfurt „Lernwelt 2020“ – 40 Jahre Akademie für Ärztliche Fortbildung und Dr. med. Norbert Löschhorn, Seeheim-Jugenheim Weiterbildung der LÄKH 217 Prof. Dr. med. Peter Osswald, Hanau Prof. Dr. med. Konrad Schwemmle, Gießen „Priorisierung in der Medikation – Therapien bei Multimorbidität 220 Dr. med. Gösta Strasding, Frankfurt Bad Nauheimer Gespräch – „Auf einmal bleibt die Welt stehen“ 221 PD Dr. med. Oskar Zelder, Marburg Dr. med. Walter Schultz-Amling, Hofheim Fortbildung Arzt- und Kassenarztrecht: Dr. Katharina Deppert, Frühe Bindungserfahrung beeinflusst Genaktivität 223 Gutachter- und Schlichtungsstelle Manuel Maier, Leiter der Rechtsabteilung Medizinhistorisches Anschrift der Redaktion: Heilender Schimmel – die Entdeckung des Penicillins 230 Angelika Kob Im Vogelsgesang 3, 60488 Frankfurt/M. Fon: 069 97672-147, Fax: 069 97672-247 Akademie für Ärztliche Fortbildung und Weiterbildung, Bad Nauheim 235 E-Mail: angelika.kob@laekh.de Redaktionsschluss: Carl-Oelemann-Schule, Bad Nauheim 241 fünf Wochen vor Erscheinen Verlag, Anzeigenleitung und Vertrieb: Einladung der Gemeinsamen Fachtagung der LÄK Hessen und Leipziger Verlagsanstalt GmbH der LPPKJP Hessen 243 Paul-Gruner-Straße 62, 04107 Leipzig Fon: 0341 710039-90, Fax: 0341 710039-74 u. -99 Internet: www.l-va.de Fortbildung Sicherer Verordnen 245 E-Mail: lk@l-va.de Arzt- und Kassenarztrecht Verlagsleitung: Dr. Rainer Stumpe Este Hilfe durch zufällig am Unfallort anwesenden Arzt 246 Anzeigendisposition: Livia Kummer Von hessischen Ärztinnen und Ärzten 248 Fon: 0341 710039-92 E-Mail: lk@l-va.de Bekanntmachungen der Landesärztekammer Hessen 249 Druck: Bekanntmachungen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen 259 Messedruck Leipzig GmbH An der Hebemärchte 6, 04316 Leipzig Bücher 261 Layout-Design: Kathrin Artmann, Heidesheim Mit dem Einreichen eines Beitrages zur Veröffentlichung überträgt der Autor das Recht, den Beitrag in gedruck- in Zusammenarbeit mit der LÄK Hessen ter und in elektronischer Form zu veröffentlichen auf die Schriftleitung des „Hessischen Ärzteblattes“. Das Hes sische Ärzteblatt ist in seiner gedruckten und in der elektronischen Ausgabe durch Urheber- und Verlagsrechte Zzt. ist Anzeigenpreisliste 2010 vom 1.1.2010 gültig. geschützt. Das Urheberrecht liegt bei namentlich gezeichneten Beiträgen beim Autor, sonst bei der Landes Bezugspreis / Abonnementspreise: ärztekammer Hessen bzw. bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Alle Verwertungsrechte der gedruck- Der Bezugspreis im Inland beträgt 115,00 (12 Aus ten und der elektronischen Ausgaben sind der Leipziger Verlagsanstalt GmbH übertragen. Kopien in körperlicher gaben), im Ausland 115,00 zzgl. Versand. Kündigung und nichtkörperlicher Form dürfen nur zu persönlichen Zwecken angefertigt werden. Gewerbliche Nutzung ist des Bezugs 2 Monate vor Ablauf des Abonnements. Für nur mit schriftlicher Genehmigung durch die Leipziger Verlagsanstalt GmbH möglich. Anzeigen und Fremdbei die Mitglieder der Landesärztek ammer Hessen ist der lagen stellen allein die Meinung der dort erkennbaren Auftraggeber dar. Für unverlangt eingesandte Manuskrip Bezugspreis durch den Mitg liedsbeitrag abgegolten. te, Besprechungsexemplare usw. übernimmt die Schriftleitung keine Verantwortung. Vom Autor gezeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Schriftleitung wieder. Die Veröffentlichung der Beiträge „Sicherer ISSN: 0171-9661 Verordnen“ erfolgt außerhalb der Verantwortung der Schriftleitung und des Verlages. 207
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Editorial Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wer sich stet s im die Lage, Diagnosen zu stellen und geeig- uns als ärztliche Selbstverwaltung dafür Hamsterrad dreht und nete Behandlungswege einzuschlagen. Hier stark machen, dass sowohl angestellte als keine Möglichkeit des liegt auch der Kern der ärztlichen Freibe- auch niedergelassene Ärztinnen und Ärz- Ausstiegs sieht, wird ruflichkeit begründet – in der Möglichkeit te in der Lage sind, Beruf und Privatleben unzufrieden. Das gilt zur freien Entscheidung über Planung und miteinander zu verbinden. in besonderem Maße Durchführung einer individuellen Diagnos auch für Ärztinnen tik und Therapie unserer Patienten. Dar- Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass und Ärzte, die sich in auf sollten wir stolz sein und zugleich alles beide – stationär und ambulant tätige Ärz- Dr. med. Gottfried von den vergangenen Jah- daran setzen, diese Freiberuflichkeit gegen tinnen und Ärzte – einem freien Beruf an- Knoblauch zu Hatzbach ren einer zunehmend Angriffe von Außen zu verteidigen. gehören. Freiberuflichkeit zeichnet sich (Bild pop) ökonomisch orientier u.a. durch eigenverantwortliches Handeln ten Gesundheitspolitik gegenüber sahen. Allerdings lässt sich nicht leugnen, dass aus – dies muss auch in der ärztlichen Ärztliche Leistungen, aber auch die Leistun sich die Zeiten und damit auch die Lebens- Fortbildung hervorgehoben werden. Fort- gen anderer Gesundheitsberufe, wurden einstellung junger Ärztinnen und Ärzte bildung ist Bestandteil der ärztlichen Be- und werden noch immer in erster Linie als gewandelt haben. Der ärztlichen Freiberuf rufsausübung; ihr Ziel sind Erhalt und Kostenfaktor betrachtet. Kein Wunder also, lichkeit steht nicht nur wachsende staat- Weiterentwicklung ärztlicher Kompetenz. dass der ärztliche Nachwuchs den Ein- liche Regulierung, sondern auch eine ver Deshalb ist es von entscheidender Bedeu- stieg in die kurative Medizin scheut. Und änderte Daseinsperspektive der nachwach tung, dass jeder Arzt seinen individuellen dies, obwohl der Arztberuf eigentlich eine senden Generation gegenüber. Verdruss Fortbildungsbedarf erkennt und auf dieser ganz wunderbare Profession ist. über Kostendruck im Gesundheitswesen Grundlage geeignete Fortbildungsmaßnah auf der einen und Ansprüche an die Lebens men wählt. Das Zählen von Fortbildungs- Wir sind keine Leistungserbringer, wie die gestaltung auf der anderen Seite bewir- punkten ist dabei notwendige Pflicht, darf Politik uns weismachen will, sondern Ärz- ken, dass viele junge Ärztinnen und Ärzte aber nicht im Zentrum der Fortbildung ste- tinnen und Ärzte. Und die Menschen, mit zunehmend weniger Interesse daran ha- hen. Es geht vielmehr darum, das eigene denen wir tagtäglich zu tun haben und die ben, sich selbstständig zu machen, wirt- Wissen, die ärztliche Kompetenz also, zu uns ihr Vertrauen schenken, sind keine schaftliche Verantwortung zu übernehmen erhalten und kontinuierlich weiterzuent- Kunden, sondern Patientinnen und Patien und damit ärztliche Freiberuflichkeit in wickeln. Nur so können wir Ärztinnen und ten. Um sie versorgen zu können, haben ihrer ursprünglichsten Form zu leben. Ärzte auch in Zukunft Freiberuflichkeit und wir sowohl Studium als auch Weiterbildung „Der niedergelassene Arzt, der sich Tag Eigenverantwortung bewahren. absolviert und bilden uns lebenslang fort. und Nacht für seine Patienten einsetzt, Wichtig ist, dass uns unsere ärztliche Tä- Freiwillig und seit einigen Jahren auch mit stirbt aus,“ erklärte Professor Dr. med. tigkeit wieder Freude macht und es uns der staatlichen Auflage einer Fortbildungs Jörg-Dietrich Hoppe kürzlich. Dafür ent gelingt, auch in Medizinstudierenden und pflicht. wickele sich verstärkt eine Angestellten- jungen Ärztinnen und Ärzten die Begeiste- Eine Kernaufgabe der Landesärztekammer mentalität unter Kolleginnen und Kollegen. rung am Arztberuf zu wecken. Dafür setze Hessen besteht darin, die Fortbildung ihrer Eine Tendenz, gegen die prinzipiell nichts ich mich ein! Mitglieder zu fördern. Ein erfolgreiches einzuwenden ist, zumal sie die Möglich- Beispiel für die qualitativ hochwertige keit flexibler Arbeitsgestaltung und Ver- Ihr Vermittlung von Fortbildung und Weiter- einbarkeit von Beruf und Familie in sich bildung ist die Akademie der Landesärzte- birgt. Diese ist zwar auch im niedergelas- kammer Hessen in Bad Nauheim, die Ende senen Bereich zu realisieren, aber häufig Februar ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert nur unter beträchtlichem Aufwand oder hat (siehe Seite 217). Profundes Fachwis- im Rahmen von Praxisgemeinschaften. Es Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach sen versetzt uns Ärztinnen und Ärzte in ist daher dringend erforderlich, dass wir Präsident 208
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Fortbildung Phytotherapeutisch bedeutsame Pflanzen in Hessen Teil 12: Salbei (Salvia officinalis L.) Alexander H. Jakob (salvare: heilen) und galt historisch als gen in Form von Lösungen und Tabletten vielfältig und universell einzusetzendes zurückgreifen. Heilmittel. Die übermäßige und längerfristige Anwen dung des Salbeis kann nicht empfohlen Heutzutage reduziert sich allerdings der werden, da vermutlich toxische Bestand- Einsatz auf seine antimikrobielle und se- teile zu Nebenwirkungen wie Krämpfen kretionshemmende, sowie schweißhem- und Hitze-, sowie Schwindelgefühlen füh- mende Wirkung, wofür vor allem seine ren können. Blätter genutzt werden. Anschrift des Verfassers Salbei Teezubereitungen der Blätter werden häu- Dr. med. Alexander H. Jakob fig als Spülungen bei Entzündungen im Facharzt für Allgemeinmedizin Eigentlich aus dem Mittelmeerraum stam- Mund- und Rachenraum, aber auch inner- – Naturheilverfahren – mend, findet sich der Salbei aus der Fami- lich bei Verdauungsbeschwerden und ver- – Akupunktur – lie der Lippenblütler auch in hiesigen Gär- mehrter Schweißneigung eingesetzt. Ne- Stierstädter Straße 8a ten. Er trägt schon in seinem Namen den ben den Teezubereitungen kann man aber 61350 Bad Homburg v.d.H. Hinweis auf den Einsatz als Arzneipflanze auch auf standardisierte Fertigzubereitun- E-Mail: drjakob@gmx.de Delegiertenversammlung appelliert an Solidarität der Ärzteschaft Gegenseitige Unterstützung niedergelassener Ärzte und Klinikärzte bei Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen gefordert Ohne Einschränkung hat die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer am 28. November 2009 an die innerärztliche Solidarität appelliert. Die Delegierten spra- chen sich einstimmig für eine gegenseitige Unterstützung von niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten bei Streiks oder streikähnlichen Maßnahmen zur Verbesserung ärzt- licher Arbeitsbedingungen aus. Der Einsatz niedergelas- sener Ärzte als Streikbrecher bei Protestaktionen an Kli- niken wurde ebenso abgelehnt wie das Unterlaufen von Aktionen Niedergelassener durch Klinikärzte. „Gemein- sam sind wir stärker,“ hieß es in einer Erklärung des Ärz- teparlaments. LÄK 209
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Landesärztekammer Hessen stellt ihre Gremien vor Arbeitsausschuss „Palliativmedizin“ Der Arbeitsausschuss „Palliativmedizin*“ Dem Arbeitsausschuss „Palliativmedizin“ gehören derzeit an: der Landesärztekammer Hessen (LÄKH) Name / Fachgebiet Ort wird für jeweils fünf Jahre vom Präsidium Dr. med. Angelika Berg Zentrum für Palliativmedizin am der LÄKH gewählt und beschäftigt sich (Anästhesiologie) Markus-Krankenhaus in Frankfurt hauptsächlich mit der landesweiten Struk- Dr. med. Hans-Peter Böck Niedergelassen in Offenbach turentwicklung und der flächendeckenden (Hämatologie und Onkologie) Belegarzt im Maingau Krankenhaus Versorgung von palliativmedizinischen Leis Dr. med. Maria Haas-Weber Niedergelassen in Hanau tungen. Er organisiert Informationsveran- (Allgemeinmedizin) staltungen zum Thema „Palliativmedizin“ Dr. med. Gisela Illies Niedergelassen in Hanau und berät die LÄKH in Fragen der Palliativ- (Allgemeinmedizin) versorgung sowie der einschlägigen Fort- Prof. Dr. med. Elke Jäger Krankenhaus Nordwest in Frankfurt und Weiterbildung. Dem Arbeitsausschuss (Hämatologie und Onkologie) „Palliativmedizin“ gehören derzeit zehn Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatz- Niedergelassen in Marburg Mitglieder an (siehe Kasten). Als Vorsit- bach Präsident der LÄKH zende des Arbeitsausschusses „Palliativ- (Innere Medizin) medizin“ wurde in der konstituierenden Dr. med. Elisabeth Lohmann Vorsitzende, Zentrum für Palliativ- Sitzung am 8. Dezember 2008 Dr. med. (Allgemeinmedizin) medizin im Markus-Krankenhaus in Elisabeth Lohmann gewählt. Frankfurt Dr. med. Bernd Oliver Maier Dr. Horst-Schmidt-Kliniken, Abteilung Ein Themenschwerpunkt im Jahr 2009 (Innere Medizin) Palliativmedizin in Wiesbaden war die Spezialisierte ambulante Palliativ- Dr. med. Wolfgang Spuck Stv. Vorsitzender, Rotes Kreuz versorgung (SAPV), die seit 2007 gesetz- (Innere Medizin) Krankenhaus in Kassel lich verankert ist. Der Ausschuss und die Dr. med. Eckhard Starke Niedergelassen in Offenbach Ständige Konferenz „Palliativmedizin“ der (Allgemeinmedizin) LÄKH – sie steht allen palliativ Engagier- ten offen und zählt mittlerweile über 40 den Vereinbarungen zur Umsetzung der heit (ehemals Hessisches Sozialministe Mitglieder – beschäftigten sich mit der SAPV gemeinsam unterstützt. rium) bei der Konzepterarbeitung für die Ums etzung der SAPV. Einen weiteren Errichtung einer Stiftungsprofessur „Pal- Aufgabenschwerpunkt stellte das Ziel dar, In diesem Jahr findet bereits die 5. Fachta- liativmedizin“ in Hessen beraten. Diesem eine angemessene Honorierung für die gung zur palliativen Versorgung statt. Da- Konzept hat das Präsidium der LÄKH zu- allgemeine ambulante Palliativversorgung bei wollen sich die Landesarbeitsgemein- gestimmt. Ein Antrag zur Errichtung einer zu erreichen, die von niedergelassenen All schaft Hospize, die Hessische Arbeitsge- Stiftungsprofessur „Palliativmedizin“ in gemeinärzten/innen und Fachärzten/innen meinschaft für Gesundheitserziehung und Hessen wurde eingereicht. geleistet wird. der Arbeitsbereich KASA in einer Koope- rationsveranstaltung dem Thema „Qua In Hessen verfügen insgesamt 492 Ärztin- Durch die regelmäßigen Fachtagungen zur lifizierung – Ziel: Wie kann eine gemein nen und Ärzte über die Zusatzbezeich- palliativen Versorgung in Bad Nauheim same, fachübergreifende Fortbildung aus nung „Palliativmedizin“. Davon sind 195 und die Sitzungen der Ständigen Konfe- sehen?“ widmen. Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus und renz „Palliativmedizin“ wird allen Berufs- Des Weiteren wurde eine Arbeitsgruppe 252 Ärztinnen und Ärzte niedergelassen gruppen, die in der Palliativmedizin auf Stiftungsprofessur „Palliativmedizin“ ge- tätig. einander treffen, die Möglichkeit zum In- gründet, der vier Mitglieder angehören. formationsaustausch gegeben. Bei zahl- Die Arbeitsgruppe hat das Hessische Mi- Olaf Bender reichen Diskussionen und Gesprächen wur nisterium für Arbeit, Familie und Gesund- Miriam Mißler * Palliativmedizin beinhaltet die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Le- benserwartung, die nicht mehr auf eine kurative Behandlung ansprechen. Schmerzlinderung und Beherrschung von Krankheitsbeschwerden stehen im Vordergrund der Behandlung. 210
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Aktuelles Der Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993 – Vitalstatus und Mortalität 1993-2008 Heudorf U*, Cholmakow-Bodechtel C**, Bendelack T**, Blettner M *** Im Jahre 1993 ereignete sich in Frankfurt am Main einer der schwersten Chemie- Störfälle in der Geschichte der Bundesre- publik Deutschland. Über den Störfall und die Ergebnisse zu akuten und subakuten Gesundheitsfolgen war mehrfach im Hes- sischen Ärzteblatt berichtet worden (1-5). Nachfolgend soll über die vor kurzem ab- geschlossene Vitalstatuserhebung und Mortalitätsanalyse 1993-2008 berichtet werden. Der ausführliche Bericht kann im Internet eingesehen oder im Amt für Ge- sundheit der Stadt Frankfurt am Main be- stellt werden (6). Der Störfall – kurzer Rückblick In Folge einer Reihe von Bedienungsfeh- lern im Werk Griesheim der Hoechst AG wurden bei der Synthese von o-Nitroanisol aus o-Nitrochlorbenzol am 22. Februar 1993 etwa 11,8 Tonnen eines chemischen Ge- mischs von zunächst unbekannter Zusam- mensetzung freigesetzt (vorwiegend Nitro aromaten und verschiedene Azoverbin- dungen; Hauptkontaminant o-Nitroanisol). Ein Teil dieses Gemisches schlug sich in einigen Straßen eines nahegelegenen Wohn gebiets mit etwa 2.000 Bewohnern nieder (Abb. 1: Folgende Straßen sind in dem Ex- positionskegel vorhanden: Am Börnchen, Bruno-Stürmer-Straße, Ferdinand-Dirichs- Weg, Harthweg, Henriette-Fürth-Straße, Abb. 1: Bodenbelastungen in Schwanheim nach dem Störfall der Höchst AG vom 22.2.1993 – „Kegel“ Im Hirschländchen, Rheinlandstraße, Sauer ackerweg). Waschen der Hausdächer, Sandstrahlen heitliche Störungen bei 83 Erwachsenen Umfassende Sanierungsarbeiten – Reini- der Gehwege und Abtragen der obersten und 15 Kindern im Zusammenhang mit gung glatter Oberflächen wie Fenster, Aus Schicht der Straße – waren innerhalb von dem Störfall ein: bei Erwachsenen waren tausch des Spielsandes in Sandkästen, vier Wochen abgeschlossen (2, 7). vornehmlich Reizungen der Nase und des Abtragung der oberflächlichen Boden- Rachens, der Augen und Haut sowie Kopf- schichten in den betroffenen Kleingärten, Dokumentation von akuten schmerzen beobachtet worden, während Rückschneiden von Bäumen und Büschen, und subakuten Symptomen bei Kindern Übelkeit/Erbrechen und Haut- nach dem Störfall reizungen eher im Vordergrund standen. * Amt für Gesundheit der Stadt Frankfurt am Main ** TNS Healthcare GmbH, München In den ersten Wochen nach dem Störfall Alle Symptome waren rasch wieder abge- *** IMBEI, Universitätsmedizin, Mainz gingen Ärzte-Meldungen über gesund- klungen (3, 8). Die in der Literatur be- 211
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Aktuelles „Es wurden keine Hinweise auf schwere Erkrankungen gefunden. Milde Formen der atopischen Dermatitis wurden bei den 6-12 Jahre alten Kindern, nicht jedoch bei den Kindern unter 6 Jahren etwas häufiger gefunden. Es gibt Hinweise, dass Symp tome des asthmatischen Komplexes et- was häufiger aufgetreten sind“. Der Ver- dacht auf vermehrte Häufigkeit von asthma typischen Symptomen und atopischer Der matitis wurde in den schulärztlichen Ein- schulungsuntersuchungen retro- und pros pektiv für die Jahre 1991-1998 überprüft. Insgesamt wurde kein statistisch abge sicherter Hinweis auf eine höhere Erkran- kungsrate an Asthma und Ekzem bei den Schwanheimer Kindern im Vergleich zu den Gleichaltrigen aus Frankfurt erhalten (4). Abb. 2: Einteilung der Studienpopulation nach Wohngebieten (“Zonen”) Quelle: Eigene Bearbeitung nach BIPS, Expositionsregister (Anlage 1 Karte und Straßenverzeichnis des Erhebungsgebietes) Ein Teil der freigesetzten Substanzen sind als krebserregende im Tierversuch einge- schriebenen substanzspezifischeren Wir- Dabei wurden die akuten und subakuten stuft (9-11), weshalb beschlossen wurde, kungen wie neurotoxische und kardiale Symptome bestätigt, aber keine klaren Hin- Untersuchung zur Krebsinzidenz bei den und insbesondere hämatologische Symp- weise auf Langzeitfolgen angegeben. Exponierten durchzuführen. Angesichts tome wie Methämoglobinämie wurden nicht der noch nicht ausreichenden Vollständig- beobachtet (1). Zwischen 1993 und 2001 Die 1994/5 durchgeführten Untersuchun- keit des Hessischen Krebsregisters konn- wurden zusammen mit der Landesärzte- gen von Kindern aus Schwanheim auf te der für 2003, also zehn Jahre nach dem kammer Hessen vier standardisierte Um- Symptome der Haut und der Atemwege Störfall vorgesehene Abgleich zwischen fragen bei mehreren Hundert niedergelasse ergaben nach Zusammenfassung der Gut- Expositionsregister und Krebsregister nicht nen Ärzten in Frankfurt durchgeführt (5, 8). achter folgende wesentliche Ergebnisse: vorgenommen werden. Vor diesem Hinter- grund wurde beschlossen, eine Vitalsta Tabelle 1: Ergebnisse der Vitalstatuserhebung in der Studienpopulation tusrecherche und Mortalitätsanalyse durch Fallzahl 20.170 100 % führen zu lassen. Nach Ausschreibung wur- Lebend 16.278 80,7 % de TNS Healthcare GmbH mit der Untersu- Verstorben ermittelt 3.200 15,9 % chung beauftragt. verstorben, Todesursache liegt vor 3.111 15,4 % verstorben, ohne bekannte Todessursache 43 0,2 % Vitalstatusrecherche verstorben im Ausland 46 0,2 % und Mortalitätsanalyse Vitalstatus nicht ermittelbar 692 3,4 % 1993-2008 Für alle Personen, die laut Melderegister- ins Ausland verzogen 452 2,2 % auskunft zum Zeitpunkt des Störfalls in unbekannt verzogen 210 1,0 % den Stadtgebieten Schwanheim und Gold- abgemeldet von Amts wegen, ohne festen stein (Abb. 2) als „wohnhaft“ gemeldet Wohnsitz, Identität nicht eindeutig, waren (Studienpopulation), wurde in den Auskunftssperre, etc. 30 0,0 % Jahren 2008/9 der Vitalstatus und für die Gesamt 20.170 100 % Verstorbenen der Zeitpunkt des Todes 212
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Aktuelles Tabelle 2: Altersstandardisierte Todesursachenstatistik der häufigsten Todesursachen sowie ausge- mehrfachem Nachfassen. Die Todesursa- wählter Krebstodesursachen in der Studienpopulation im Vergleich zur Standardbevölkerung Hessen chen lagen in drei unterschiedlichen For- Todesursache Studien Standard- men vor, die für die Datenanalyse einheit- (kategorisiert) population bevölkerung lich auf die WHO-Klassifikation ICD 10 ge (N=3.200) Hessen 1987 (N=59.137) bracht werden mussten: Die Diagnosen in Klartextform wurden an das Statistische Herz-Kreislauf-Erkrankungen 40,8 % 41,2 % Landesamt des Freistaates Sachsen ge- Bösartige Neubildungen 25,6 % 25,8 % schickt und vom dortigen Personal ver- Übrige und keine Angabe 33,6 % 33,0 % codet. Waren die Todesursachen nach Einzelne bösartige Neubildungen im einzelnen: dem alten Standard ICD 9 vercodet, wur- C34: Bösartige Neubildungen der Bronchien und Lunge 5,03 % 4,78 % den sie mit Hilfe eines Umsetzungspro- C18: Bösartige Neubildungen des Dickdarms 1,84 % 2,28 % gramms in die neuere Version ICD 10 C20: Bösartige Neubildungen des Rektum 0,95 % 0,87 % transformiert. Diagnosen, die bereits den C67: Bösartige Neubildungen der Harnblase 0,72 % 0,60 % ICD 10-Code aufwiesen, wurden so über- nommen. C71: Bösartige Neubildungen der ZNS 0,49 % 0,64 % C64: Bösartige Neubildungen der Niere 0,52 % 0,58 % Die offizielle Todesursachenstatistik (12) für Deutschland im Jahr 2005 diente als und die Todesursache ermittelt und mit Die Vitalstatuserhebung wurde erfolgreich Anhaltspunkt für die Bildung von drei Ka- dem statistischen Modell der Cox-Regres- abgeschlossen; für weniger als 3,4 % der tegorien, unter denen sich alle Todesursa- sion der Zusammenhang zwischen Expo- Studienpopulation konnten keine genauen chen subsumieren lassen, nämlich: Krank- sition und Sterblichkeit unter Berücksich- Angaben gefunden werden. Dieser Pro- heiten des Herz-Kreislauf-Systems, einschl. tigung der wichtigsten Einflussgrößen Al- zentsatz liegt deutlich besser als die für Myocardinfarkt (I00-I99), bösartige Neu- ter und Geschlecht untersucht. Follow-up Studien geforderten maximal bildungen insgesamt (C00-C97) und rest- 5 % „Lost to follow up“ (Tab. 1). liche Todesursachen (Tab. 2). Insgesamt waren 20.170 Personen im Da- tensatz enthalten, darunter 8.068 Perso- Zur Ermittlung der genauen Todesursache Die Krebssterblichkeit wurde weiter diffe- nen, die ohne Unterbrechung unter der- der 3.200 Verstorbenen wurden insge- renziert, um auch die Sterblichkeit an selben Adresse gemeldet waren, 4.926 samt 274 Gesundheitsämter um Auskunft Krebserkrankungen bestimmter Organe Personen waren innerhalb Frankfurts um- der Todesursachen gebeten, teilweise mit darstellen zu können. Einige der bei dem gezogen, 4.524 Personen waren von Frank furt weggezogen und 2.648 Personen wa ren mittlerweile in Frankfurt verstorben. Für die Vitalstatuserhebung der aus Frank furt Verzogenen wurden Melderegisteran- fragen zur Ermittlung der letzten bekann- ten Wohnadresse bei den Einwohnermel- deämtern eingereicht und dieser Vorgang so oft wiederholt, bis der Vitalstatus aller Personen als lebend, verstorben oder nicht weiter ermittelbar abschließend dokumen tiert war. Dabei wurden in insgesamt sie- ben Erhebungswellen 5.908 Melderegister- anfragen bei bundesweit 1.144 Ämtern gestellt (Rückfragen und Wiederholungs- anfragen nicht eingerechnet). 213
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Aktuelles Störfall freigesetzten Verbindungen hat- desursachen durch bösartige Erkrankun- und Sozialmedizin (BIPS) in Zonen zurück- ten sich im Tierversuch als karzinogen gen wichen für alle ICD Positionen in der gegriffen. Innerhalb einer Zone wurde erwiesen (9, 10). Aufgrund einer entspre- Größenordnung nur geringfügig voneinan eine einheitliche Exposition angenommen chenden Stellungnahme des Gutachters der ab. Sie liegen im Bereich von 0,06 Pro (Abb. 2). im Jahr 1996 in Bezug auf die ausgetrete- zentpunkten für C 64 (Bösartige Neubil- nen Schadstoffe (11) wurde festgelegt, die dungen der Niere) bis 0,44 Prozentpunkte Das mit „Kegel“ bezeichnete Gebiet war bösartigen Neubildungen zu differenzie- für C18 (Bösartige Neubildungen des Dick- am stärksten durch den Störfallnieder- ren und in die Todesursachenanalyse auf- darms). schlag betroffen. Nur in diesem Gebiet zunehmen. Um einen besseren Vergleich konnte die Kontamination durch Boden- der Kohortensterblichkeit der Studienpo- Kein Hinweis auf höhere proben messtechnisch bzw. analytisch pulation mit der altersstandardisierten Sterblichkeit oder höhere nachgewiesen werden. Für die vorliegen- Mortalität der Bevölkerung Hessens zu Krebssterblichkeit bis zu de Auswertung werden alle Personen erzielen, wurden die Studiendaten hin- 15 Jahre nach dem Störfall (n=2.049) die zum Zeitpunkt des Störfalls sichtlich der Alters- und Geschlechterver- In einem weiteren Schritt wurde unter- mit einer Adresse in dem mit „Kegel“ be- teilung gewichtet (Tab. 2). sucht, ob Menschen, die zum Zeitpunkt zeichneten Gebiet gemeldet waren, als des Störfalls in dem Gebiet wohnten, wel- exponiert gewertet. Das mit „Zentrum“ Altersstandardisierte ches offensichtlich dem gelben Regen bezeichnete Gebiet ist als ein „Sicher- allgemeine Sterblichkeit ausgesetzt war, ein höheres Sterberisiko heitsstreifen“ zu verstehen, der zu beiden und Krebssterblichkeit gut und insbesondere ein höheres Krebsrisiko Seiten an den Kegel angrenzt. Die Gebiete vergleichbar mit den Daten aufweisen als Nicht-Exponierte. Da – mit mit der Bezeichnung 2 West bzw. 2 Ost der Hessischen Bevölkerung Ausnahme der Humanbiomonitoringdaten sind „Randzonen“, die als deutlich weni- Tabelle 2 zeigt, dass sich die prozentualen von wenigen hundert Kindern (2, 14) – ger belastet kategorisiert wurden. Für die Anteile der Todesursachen nur wenig von kein individuelles Expositionsmaß für die weiteren Auswertungen werden die im denen der Standardbevölkerung Hessens vom Störfall betroffene Bevölkerung vor- Zentrum (n=3.525) und der Randzone unterscheiden. Der Anteil der Herz-Kreis- liegt, wurde die relative Lage des Wohn- (n=5.577) zum Zeitpunkt des Störfalls ge- lauftoten in der Studienpopulation liegt orts zur Quelle der Exposition als Indika- meldete Personen ebenfalls als exponiert um 0,4 Prozentpunkte unter dem der Stan tor für das Expositionsmaß verwendet. definiert. Die Gebiete 3 West und 3 Ost dardbevölkerung Hessen (13) und der der Hierfür wurde auf bestehende Einteilun- werden als „Referenzzonen“ in der Aus- Krebstoten um 0,2 Prozentpunkte niedri- gen des Expositionsgebiets durch das wertung herangezogen. Zum Zeitpunkt ger. Auch die prozentualen Anteile der To- Bremer Institut für Präventionsforschung des Störfalls in diesem Gebiet gemeldete Personen (n=8.579) wurden als nicht ex- poniert definiert. Die Auswertung erfolgte für 19.730 Perso- nen, da 440 Personen mit Meldeadressen außerhalb des definierten Untersuchungs- gebiets für diese Auswertungen nicht be- rücksichtigt werden konnten. In den ein- zelnen Gebieten wich die Altersstruktur teilweise von der der Referenzbevölkerung in Hessen ab. Um die Sterblichkeit zu ver- gleichen, musste deswegen eine Alters adjustierung vorgenommen werden. Bei den Männern lag die altersangepasste Sterblichkeit in den exponierten Regionen 214
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Aktuelles mit 13,6 % um 1,1 Prozentpunkte höher als Tabelle 3: Ergebnisse der Cox-Regression: Gesamt- und Krebssterblichkeit sowie Sterblichkeit an de finierten Krebserkrankungen in Zonen unterschiedlicher Exposition unter Berücksichtigung von Alter in den nicht exponierten Regionen (12,5 %). und Geschlecht Bei den Frauen lag die altersangepasste Tumorart N Hazard Ratio Hazard Ratio Hazard Ratio Sterblichkeit in den exponierten Regionen (Kegel) (Zentrum) (2 Ost/West) mit 13,5 % um 0,8 Prozentpunkte niedri- mit 95 % CL mit 95 % CL mit 95 % CL ger als die adjustierte Sterblichkeit bei Sterblichkeit gesamt 3.031 0,97 (0,86-1,10) 1,14 (1,03-1,25) 1,14 (1,04-1,24) nicht Exponierten (14,3 %). Zusammen- Sterblichkeit Krebs 778 0,88 (0,68-1,13) 1,15 (0,96-1,39) 1,10 (0,93-1,32) fassend lässt sich für die exponierten Ge- darunter biete keine statistisch signifikant erhöhte Darmkrebs 87 1,12 (0,58-2,17) 0,65 (0,33-1,25) 1,05 (0,63-1,75) Sterblichkeit feststellen. Harnorgane 28 0,79 (0,18-3,56) 1,61 (0,63-4,16) 1,51 (0,61-3,74) Leberkrebs 16 1,07 (0,23-5,06) 0,63 (0,14-2,99) 0,79 (0,21-2,99) Darüber hinaus wurde eine vergleichende Nierenkrebs 16 0,73 (0,09-6,02) 2,49 (0,80-7,73) 0,99 (0,25-3,97) Überlebensdaueranalyse der Exponierten und Nichtexponierten unter Berücksich Leukämie 33 0,34 (0,04-2,56) 1,75 (0,75-4,10) 1,60 (0,70-3,66) tigung von Alter und Geschlecht mit Hilfe Lunge/ Bronchien 153 0,94 (0,53-1,67) 1,18 (0,77-1,81) 1,28 (0,87-1,88) des Cox-Regressionsmodells gerechnet. ZNS 15 0,98 (0,21-4,51) 0,56 (0,12-2,58) 0,43 (0,09-2,01) Das Cox-Modell berechnet das Sterberisi- ko einer potentiell exponierten Personen und altersspezifische Unterschiede in den Cox-Modell im Kegel ein um 12,5 % gerin- gruppe im Vergleich zu Personen mit Wohn Regionen keinen Einfluss auf das Ergebnis geres, in den Zonen Zentrum und 2 Ost/ ort in nicht-exponierten Gebieten unter haben können. Die Hazard-Ratios für die West ein um 15,2 % bzw. 10,3 % höheres Berücksichtigung der Überlebenszeiten. Gesamtsterblichkeit, die Krebssterblichkeit Risiko an Krebs zu versterben als in der Das Risiko wird als „Hazard Ratio“ (HR) sowie die Sterblichkeit an ausgewählten Referenzzone 3 Ost/West (alle statistisch ausgedrückt. Eine HR=1,0 bedeutet, dass Krebsformen sind in Tab. 3 zusammenge- nicht signifikant). das Sterberisiko einer potentiell exponier- fasst. Dargestellt sind die Hazard-Ratios ten Person genau gleich dem Risiko einer in den Gebieten Kegel, Zentrum und Rand- Die Berechnungen der Cox-Modelle zeigen, nicht-exponierten Person ist. HR=1,5 be- zone im Vergleich mit der Referenzzone. dass es weder zwischen Gesamtsterblich- deutet, dass das Risiko einer potentiell keit noch Krebssterblichkeit und potentiell exponierten Person um das 1,5-fache hö- Die für Alter und Geschlecht adjustierten exponiertem Wohnort zum Zeitpunkt des her ist als das einer nicht-exponierten Ergebnisse der Cox-Regression zeigen im Störfall Hoechst einen eindeutigen signi- Person. Vergleich zur Referenzzone 3 Ost/West für fikanten Zusammenhang gibt. Somit kön- die Gesamtsterblichkeit im Kegel ein um nen keine statistisch gesicherten Unter- Für jede Person wird die Überlebenszeit 3 % leicht verringertes (statistisch nicht schiede der Sterblichkeit bis 15 Jahre nach beobachtet. Für diejenigen, die am Ende signifikant) und in den Regionen Zentrum dem Störfall zwischen der Personengrup- des Beobachtungszeitraums als „lebend“ und Randzone ein um ca. 13 % größeres pe, die zum Zeitpunkt des Störfalls in den recherchiert werden konnten, beträgt die (statistisch signifikant) Risiko zu verster- potentiell exponierten Gebieten wohnten Überlebenszeit (im Datensatz und bei Be- ben im Vergleich zur Referenzzone 3 Ost/ und derjenigen in den nicht-exponierten rechnungen auch als Risikozeit bezeich- West. Für die Krebssterblichkeit ergibt das Gebieten festgestellt werden. net) exakt 15 Jahre. Für die Personen, die den Vitalstatus „Lost-to-Follow-Up“ ha- ben, wurde für die Berechnung der Über- lebenszeit die letzte Information des letz- ten bekannten Vitalstatus herangezogen. In das Modell konnten Datensätze von 3.031 Todesfällen übernommen werden. Bei dem Cox-Modell wird für Alter und Ge- schlecht kontrolliert, so dass geschlechts- 215
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Aktuelles Wie geht es weiter? denzen zu untersuchen (4, 5) – durch Ab- 4. Heudorf U, Meireis H, Peters M, Hahn A: Der Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993 – Diese Ergebnisse bestätigen zunächst die gleich mit dem Hessischen Krebsregister, Vorliegende Erkenntnisse und weitere Pla- Bewertungen der unmittelbar nach dem sobald die ausreichende Vollzähligkeit ge nungen. Hessisches Ärzteblatt (2001) 62: 113- 115. Störfall befragten Gutachter und der Ex- geben sein wird. 5. Möhrle A, Peters M. Störfall der Hoechst AG pertengruppe, die angesichts der toxiko- vom Februar 1993: Umfrage bei den niederge- logischen Stoffeigenschaften einiger der lassenen Ärzten erbrachte keine Hinweise auf Literatur: chronische Symptome und Erkrankungen. Hes bei dem Chemiestörfall freigesetzten Subs sisches Ärzteblatt (2001) 62: 448. 1. Schuckmann F, Mayer D: Der Störfall im Hoechst- tanzen zwar von einem höheren Krebsrisi- 6. Cholmakow-Bodechtel C, Potthoff P, Bende Werk Griesheim. Toxikologische, arbeits- und lack T: Abschließende Gesundheitsuntersuchun ko der Exponierten ausgingen, das aller- umweltmedizinische Aspekte. Hessisches Ärz gen zum Störfall Hoechst von 1993. Amt für teblatt (1993) 54: 87-88. dings angesichts der Höhe, des Umfangs Gesundheit Frankfurt am Main (Hrsg). München 2. Heudorf U, Peters M: Der Hoechst-Störfall vom und Dauer der Belastungen epidemiolo- Dezember 2009. http://www.frankfurt.de/ Februar 1993. Ein Jahr danach. Hessisches sixcms/media.php/738/Stoerfall_1993.pdf gisch nicht darstellbar sein würde. Mit der Ärzteblatt (1994) 55: 77-78. 7. Heudorf U, Peters M: Der Störfall in der Fa. 3. Hahn A, Michalak H, Wolksi M, Heinemeyer G: hier vorgelegten Mortalitätsanalyse ist Hoechst AG vom 22. Februar 1993. Ausmaß Bewertung der Gesundheitsstörungen nach der Umweltbelastung und Sanierungsverlauf. jedoch gewissermaßen nur die „Spitze dem Störfall der Hoechst AG auf der Basis der Das Gesundheitswesen (1994) 56: 347-352. ärztlichen Mitteilungen bei Vergiftungen nach des Eisbergs“ zu erfassen. Insofern wird dem Chemikaliengesetz. Hessisches Ärzte- 8. Hahn A, Michalak H, Noack K, Heinemeyer G: Ärztliche Mitteilungen bei Vergiftungen nach weiterhin das Ziel verfolgt, die Krebsinzi- blatt (1994) 55: 87-88. § 16 e Chemikaliengesetz (Zeitraum 1990-1995) Zweiter Bericht der Dokumentations- und Be- wertungsstelle für Vergiftungen im Bundes institut für gesundheitlichen Verbraucher- schutz und Veterinärmedizin; Berlin 1996, S 44-45. 9. Heudorf U, Neumann H-G, Peters M: Der Stör- fall in der Fa. Hoechst AG vom 22. Februar 1993. 2. Gesundheitliche Bewertung. Das Ge- sundheitswesen (1994) 56: 405-410. 10. Neumann HG: Toxikologisches Gutachten zum Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993; 19. Oktober 1993 in Stadtgesundheitsamt: Der Störfall Hoechst AG vom 22. Februar 1993. Ein Jahr danach. Dokumentation, Frankfurt, Feb- ruar 1994; S. 53-66 11. Neumann HG: Gesundheitsuntersuchung Störfall Hoechst. In Stadtgesundheitsamt: Der Störfall Hoechst AG vom 22. Februar 1993; 22. Juli 1996 Expositionsregister des Bremer Instituts für Präventionsforschung und Sozial medizin. Geschichte und aktueller Sachstand, Frankfurt, Februar 2001. 12. Quelle: Stat. Bundesamt, gesundheitsstatisti ken@destatis.de 13. Als Quelle der Berechnungen wurde die alter- standardisierten Mortalitätsstatistiken des Statistischen Bundesamtes für Deutschland (www.destatis.de) verwendet. 14. Heudorf U, Peters M: Human-Biomonitoring nach einem schweren Chemiestörfall – Ergeb- nisse der Untersuchungen nach dem Störfall in der Hoechst AG vom 22. Februar 1993. Das Gesundheitswesen (1994) 56: 558-562. Korrespondenzadresse PD Dr. med. Ursel Heudorf Amt für Gesundheit Breite Gasse 28, 60313 Frankfurt E-Mail: ursel.heudorf@stadt-frankfurt.de 216
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Landesärztekammer Hessen „Lernwelt 2020“ – 40 Jahre Akademie für Ärztliche Fortbildung und Weiterbildung der Landesärztekammer Hessen zu Hatzbach, be- Weiterbildung: Mit Dipl.-Betriebswirt und tonte die zentrale MBA Carsten Hinze, dem Leiter des Future- Funktion der Akade Markets-Centers Information, Kommunika mie. Er bezeichnete tion und Medien, hatte die Akademie ein es als eine Kernauf- Mitglied der Gesellschaft für Wissensma- gabe der Landes- nagement gewinnen können. Anschaulich ärztekammer Hes- präsentierte er die technische und mediale sen, die Fortbildung Weiterentwicklung der nächsten zehn Jah- Professor Dr. Ernst-Gerhard Loch beim Vortrag über die Geschichte der ihrer Mitglieder zu re. Seine teils leicht futuristischen Über- Akademie (Foto: K. Baumann) unterstützen und zu spitzungen regten die Zuhörerschaft zu fördern. In der Aka- einem lebhaften Gedankenaustausch und Unter der Überschrift: „Lernwelt 2020 – demie werde diese Aufgabe beispielhaft zu Diskussionen an. Für die Akademie Zukunft der Fort- und Weiterbildung des umgesetzt. Dr. von Knoblauch sprach al- zeigte sich, dass ihr eingeschlagener Weg Arztes“ lud die Akademie für Ärztliche len Ehren- und Hauptamtlichen, die in den der richtige ist. Die früh eingeführten Fortbildung und Weiterbildung ihre Mit- vielen Jahren an dem Aufbau der Fort- und Lernformen des Blended Learning sowie glieder am 21. Februar zu einer besonde- Weiterbildungseinrichtung beteiligt waren, des E-Learning werden in ihrer Bedeu- ren Veranstaltung in der Reihe „Begeg- seinen Dank aus. tung steigen und sollen weiter ausgebaut nungen im Blauen Hörsaal“ ein. werden. Der Frontalunterricht wird zuneh- Die eigentliche Zeitreise begann mit dem mend anderen didaktischen Formen wei- Anlass war ein herausragendes Jubiläum: Rückblick auf 40 Jahre Akademie. Profes- chen. Auch die medialen Gegebenheiten Am 21. Februar 1970 beschloss die Dele sor Loch und Sigrid Blehle, Geschäftsfüh- werden sich verändern, wobei haptische giertenversammlung der Landesärztekam rerin der Akademie, präsentierten Gegen- Elemente ihren Wert nicht verlieren werden. mer die Gründung der Akademie. Heute stände aus der Geschichte der Akademie. Inwieweit alle vorgestellten technischen kann diese mit Stolz auf vierzig erfolgrei- Sie machten auf eindrucksvolle Weise deut Neuerungen im Alltag und im medizinischen che Jahre Fort- und Weiterbildung zurück- lich, wie der Modellcharakter der Akademie Bereich letztendlich Einzug in die Realität blicken. Der runde Geburtstag bot nun Ge im Laufe der Jahre zu ihrer Vorreiterrolle halten, bleibt sicherlich abzuwarten. legenheit zu einer kleinen Zeitreise durch avanciert ist. So hat sich das Veranstaltungs Im Anschluss an den Vortrag würdigte der die vergangenen Jahrzehnte. Musikalisch angebot parallel zur wissenschaftlichen und ehemalige Vorsitzende der Akademie, wurde die Reise von einem Gitarrentrio gesundheitspolitischen Entwicklung be- Professor Dr. med. Felix Anschütz, in einem der Musikschule Bad Nauheim einge- ständig erweitert. Eine Entwicklung, die persönlichen Grußwort die Fort- und Wei- rahmt, das 2010 mit dem 1. Preis von „Ju- dem Anspruch der Akademie entspricht, terbildungseinrichtung der Landesärzte- gend musiziert“ ausgezeichnet worden ist. Fort- und Weiterbildung immer auf quali- kammer. Das Grußwort des erkrankten Augenzwinkernd wies Professor Dr. med. tativ höchstem Niveau in Theorie und Pra- Psychotherapeuten Professor h.c. Dr. med. Ernst-Gerhard Loch, Vorsitzender des Vor- xis anzubieten: Unabhängig und ohne die Nossrat Peseschkian wurde von Professor standes der Akademie, in seiner Begrü- Berücksichtung von Interessen Dritter. Loch verlesen. Auch der Vorstand der Carl- ßung darauf hin, dass die große Resonanz Oelemann-Schule gratulierte. Die Veran- auf die Einladung eine Verlegung der Ver- Gemäß dem Zitat von Albert Einstein staltung klang mit regen Diskussionen anstaltung vom Blauen Hörsaal in den „Mehr als die Vergangenheit interessiert über die vergangenen 40 Jahre und den größten Raum des Fortbildungszentrums mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich Ausblick in die Zukunft aus. notwendig gemacht hatte. zu leben“ entwickelte anschließend der Referent des Tages seine Visionen einer Professor Dr. med. Ernst-Gerhard Loch Der Präsident der Landesärztekammer Lernwelt im Jahr 2020 mit dem besonde- Sigrid Blehle Hessen, Dr. med. Gottfried von Knoblauch ren Schwerpunkt der Ärztlichen Fort- und Sandra Bauer 217
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Landesärztekammer Hessen Interdisziplinäre Fortbildung für Allgemeinmediziner, Internisten und Pharmakologen aus Klinik und Praxis am 19. Mai 2010 in Bad Nauheim „Priorisierung in der Medikation – Therapien bei Multimorbidität“ Multimorbidität und Multimedikation tre- der Entlassungsmedikation im Kranken- Referenten über wahrgenommene Proble- ten mit zunehmendem Alter häufiger auf. haus zu einer Priorisierung mit einem op me in der ambulanten haus- und spezial- Sie sind im Rahmen des demographischen timierten Vorgehen in Therapie und Moni- ärztlichen, stationären sowie sektorüber- Wandels durch eine steigende Zahl von toring führen. greifenden Versorgung, entwickeln anhand Arztkontakten und Krankenhausaufenthal klinischer Fallbeispiele Lösungsansätze ten gekennzeichnet. Aktuell werden multimorbide ältere Pati- für die tägliche Praxis und erfahren in ei- Die Problematik der Multimedikation im enten jedoch häufig mit einer Vielzahl von nem abschließenden Ausblick von neuen Alter liegt vor allem in einer reduzierten Medikamenten behandelt. Und gerade All Konzepten, wie sie beispielsweise in der Verträglichkeit von Medikamenten begrün gemeinärzte und hausärztlich tätige Inter- PRIMUM-Studie des Instituts für Allgemein det, die mit einer erhöhten Gefahr von un nisten stehen dabei vor vielfältigen Prob- medizin (http://www.allgemeinmedizin. erwünschten Arzneimittelwirkungen und lemen, insbesondere, da sie die Verord- uni-frankfurt.de/forschung2/primum. unerwünschten Ereignissen einhergeht. nungen verschiedener Fachspezialisten html) gegenwärtig untersucht werden. Für den Einzelnen bedeuten sie Einbußen koordinieren, umfangreiche Entlassungs- an Lebensqualität und Funktionalität so- medikationen überprüfen und ihre Patien- Veranstaltung siehe Seite 235 wie ein erhöhtes Risiko für Hospitalisie- ten über eine lange Zeit betreuen. rung und Tod. Für die Versorgung multi- Dr. med. Gert Vetter, Leiter des Seminars, morbider Patienten wird daher eine durch- Außerdem führt eine unkontrollierte Multi Facharzt für Allgemeinmedizin, Lehrbeauf dachte, arzneimittelsparsame Verordnung medikation zu zunehmenden Kosten im tragter des Instituts für Allgemeinmedizin, mit patientenorientiertem (anstelle krank- Gesundheitswesen. Diese Kosten sind un- Frankfurt a.M. heitszentriertem) Ansatz gefordert. Klare nötig. Sie zu senken, wird als Herausfor- Referenten: Professor Dr. med. Sebastian therapeutische Ziele unter Berücksichti- derung für die Gesellschaft angesehen. Harder, Facharzt für klinische Pharmako gung von Nutzen und Risiken verfügbarer logie, Institut für Klinische Pharmakolo- Therapien sollen unter Einbeziehung der Ausgehend von einem Statusreport über gie/ZAFES und Dr. med. Christiane Muth, Patientenperspektive (Behandlungsziele, zentrale Probleme bei der Arzneimittel- MPH, Fachärztin für Innere Medizin, Insti- Präferenzen, Erwartungen) nicht nur in der verordnung im ambulanten Bereich disku- tut für Allgemeinmedizin, beide Johann Wolf ambulanten Versorgung, sondern auch bei tieren Teilnehmer mit interdisziplinären g ang Goethe-Universität, Frankfurt a.M. Europäische Tagung am 6. Mai 2010 Interpersonelle Gewalt und Interventionen im Gesundheitswesen Das europäische Jahr 2010 richtet sich gegen Armut und Aus- ganisation) und Professor Gene Feder von der Universität Bristol/ grenzung. Interpersonelle Gewalt – insbesondere Partnerge- England werden in die Thematik einführen. Europäische Refe- walt gegen Frauen – kann zu Armut und Ausgrenzung führen. rent/innen stellen im Anschluss die Situation in ihrem Land Die Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz bei interpersoneller dar. Abschließend werden auf einem Podium Strategien für Gewalt“ des Fachbereichs Pflege und Gesundheit der Hoch- eine Nachhaltigkeit von Interventionen in der Gesundheitsver- schule Fulda lädt im Rahmen der bundesweiten Europawoche sorgung diskutiert. (vom 2. bis 10. Mai) zu einer Tagung ein. Mit europäischen Ex- Veranstaltungsort ist das Hochschulzentrum – Fulda Transfer, pert/innen werden Strategien im Umgang mit sozialen- sowie Heinrich-von-Bibra-Platz 1b, Fulda. gesundheitlichen Folgen von Gewalt ausgetauscht. Dr. Claudia Garcia-Moreno als Vertreterin der WHO (Weltgesundheitsor- Weitere Information: Anna Grundel, Fon: 0661 9640619 220
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Landesärztekammer Hessen „Auf einmal bleibt die Welt stehen“ Bad Nauheimer Gespräch über neue gesetzliche Regelungen in der Pränatalmedizin/ Hoher Beratungsaufwand stößt auf Kritik „Man denkt sich, dass die Untersuchung Totgeborene und 110.000 Schwangerschafts entgegen zu wirken, sagte die Kölner Pro- Routine ist. Aber auf einmal bleibt die abbrüche registriert. Darüber hinaus wur- fessorin. Seit In-Kraft-Treten der neuen Welt stehen!“: Mit diesem Zitat einer Pa den ca. 1,5 Mio Ultraschalluntersuchun- gesetzlichen Regelung müssen zwischen tientin, die gerade erfahren hat, dass ihr gen, ca. 75.000 invasive Pränataldiagnos- der Diagnose und der schriftlichen Fest- ungeborenes Kind behindert ist, machte tiken und ca. 50.000 auffällige Befunde stellung der Indikation zur Abtreibung Professor Dr. med. Christiane Woopen gemeldet. Jüngste Schlagzeilen von einem mindestens drei Tage liegen. Auch wenn gleich zu Beginn des jüngsten „Bad Nau- auffälligen Rückgang der Schwangerschafts Beratung und Bedenkzeit nichts an dem heimer Gesprächs“ die schockierende abbrüche konnte die Referentin nicht be- Dilemma änderten, in dem sich die Schwan Wucht der Diagnose deutlich. Was ist in stätigen: „Das ist dummes Zeug.“ Zwar gere nach der Diagnose einer Behinde- dieser Situation zu tun? Welche Entschei- seien die Zahlen von 1990 bis 2008 gesun- rung befinde, könnten Automatismen, die dungen sind zu treffen? Steht am Ende der ken, zugleich seien aber auch die Geburten zur sofortigen Abtreibung führten, verhin- Entschluss zum medizinisch-sozial indizier zurückgegangen. Der Großteil der Abbrüche dert werden, erklärte Woopen. Das neue ten Schwangerschaftsabbruch? Diesen finde zwischen der 13. und 23. Woche statt. Schwangerschaftskonfliktgesetz messe Fragen ging die Kölner Professorin für Ge- der interdisziplinären Kooperation große schichte und Ethik der Medizin, Leiterin Interdisziplinäre Bedeutung bei, da sowohl die Planung der der Forschungsstelle Ethik und stellver- Zusammenarbeit Zukunft als auch die mögliche Gestaltung tretende Vorsitzende des Deutschen Nati- Beispiel Trisonomie 21: „Alle redeten auf des Abschiedes vom Kind eine Ergänzung onalen Ethikrates, in ihrem Vortrag mit mich ein. Ich konnte mein Kind nicht durch andere Disziplinen und psychosozi- dem Titel „Pränatalmedizin – Neue gesetz schützen“, zitierte Woopen eine Patientin, ale Beratungssysteme wichtig machten. liche Regelungen und ihre Auswirkungen“ bei deren ungeborenem Kind das Down- nach. Woopen hat beratend an den ge- Syndrom diagnostiziert worden war. Für Seit Beginn diesen Jahres müssen die un- setzlichen Änderungen in der Pränatalme- viele Frauen breche nach der Amniozentese tersuchende Ärztin oder der untersuchen- dizin mitgewirkt. Am 1. Januar 2010 ist das eine Welt zusammen. Man müsse daher de Arzt daher nicht nur selbst ausführlich geänderte Schwangerschaftskonfliktgesetz viel früher beraten, um Panikreaktionen beraten, sondern Ärzte zur Beratung hin- in Kraft getreten; vier Wochen später, am 1. Februar, folgte das neue Gendiagnostik- gesetz. Beide Gesetze erweitern die Bera- tungspflichten des Arztes vor und nach den Untersuchungen erheblich. So verpflichten die neuen Regelungen des Schwangerschaftskonfliktgesetzes Ärztin nen und Ärzte dazu, schwangeren Frauen vor und nach einer Diagnose, die nach geltendem Recht einen Schwangerschafts abbruch nach der 12. Schwangerschafts- woche erlaubt, ausführlich und ergebnis- offen zu beraten. Woopen zeigte Verständ nis für die Kritik vieler Gynäkologen an dem hohen zusätzlichen Aufwand, bezeich nete die intensiven Beratungen jedoch als sinnvoll. Eine Überzeugung, die sie auch mit Zahlen belegte: Im Jahr 2008 wurden insgesamt 680.000 Lebendgeborene, 2.400 221
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt Landesärztekammer Hessen zuziehen, die bereits über Erfahrungen seien verunsichert, wollten die ausführ versäumte Beratungspflichten mit Ord- mit der diagnostizierten Gesundheitsschä liche Beratungen oft gar nicht in Anspruch nungsgeld geahndet werden. Damit werde digung bei geborenen Kindern verfügen. nehmen und wunderten sich darüber, alles der Arztberuf kriminalisiert. Während ein Außerdem sind die Ärztin oder der Arzt schriftlich mit ihrer Unterschrift bestätigen Krankenhausarzt im Publikum Woopens verpflichtet, Kontakte zu psychosozialen zu müssen. Auch Dr. med. Klaus König, Einschätzung beipflichtete, dass in der Beratungsstellen, zu Selbsthilfegruppen Landesvorsitzender Hessen und 2. Vorsit- Vergangenheit nicht flächendeckend die und Behindertenverbänden zu vermitteln. zender des Bundesvorstandes des Berufs- gleiche hohe Qualität bei der Beratung fest „Das ist mühsam, macht aber Sinn,“ argu- verbandes der Frauenärzte, wandte sich zustellen gewesen sei, nannten andere mentierte Woopen. Denn die betroffenen gegen die Fülle der Papiervorlagen und Ärzte den jetzt geforderten Beratungsauf- Frauen interessierten sich nicht in erster forderte ein einheitliches Formular. Bei wand schlichtweg „unrealistisch“. Auf Em Linie für medizinische Details, sondern auffälligen Befunden habe man schon vor pörung stieß die Erwartung des Gesetzge- vor allem für die Auswirkungen auf den In-Kraft-Treten des Gesetzes ausführlich bers, dass die zusätzlichen Leistungen Lebensalltag: „Was bedeutet die Behinde- beraten, berichtete ein niedergelassener ohne zusätzliche Bezahlung zu erbringen rung für mein Kind, welcher Aufwand Frauenarzt. „Wunderbar, wenn dies bei seien. Woopen räumte ein, dass die neuen kommt auf mich zu?“ Die Medizinethikern Ihnen immer schon so war“, entgegnete gesetzlichen Regelungen noch einige Un- betonte zugleich die Notwendigkeit, dass Woopen. Die Erfahrung zeige jedoch, dass klarheiten enthielten, denen nachgegan- sich auch jene Berufsgruppen, die in die dies nicht überall der Fall gewesen sei. Im gen werden müsse. Sie zeigte sich jedoch psychosoziale Beratung eingebunden seien, Übrigen: Wenn er und viele seiner Kolle- davon überzeugt, dass sich die neuen Re- fortbilden. Eine Forderung, die man aller- gen die eigenen Patientinnen seit jeher gelungen nach den anfänglichen Schwie- dings nicht an Selbsthilfe- und Behinder- optimal behandelten – was ändere sich rigkeiten bewähren würden. Auch ihr tengruppen richten könne. dann durch das neue Gesetz? Es sei die Schlusswort klang tröstlich: Bei aller De- Flut an Formularen, die nun zu einem regel tailversessenheit rechtlicher Regelungen Verunsicherte Patientinnen rechten Formularkrieg führe und nicht zu könne kein Gesetz der Welt das umfassen, und Formularflut bewältigen sei, lautete die Antwort. was eine gelungene Arzt-Patienten-Bezie- „Riesiger Aufwand“, „völliges Chaos“, hung ausmache. „Nötigung“ – so urteilten viele Gynäkolo- „Das ist von uns Niedergelassenen über- gen unter den Zuhörern über die neuen haupt nicht zu leisten,“ bestätigte eine gesetzlichen Regelungen. Die Patientinnen Ärztin und kritisierte darüber hinaus, dass Katja Möhrle 9. Gersfelder Gesundheitstage in Stadthalle und Schlosspark Gersfeld am Samstag/Sonntag, 8./9. Mai 2010, 9:30 bis 18:00 Uhr Überregionale Publikumsveranstaltung rund um die Naturheilkunde und gesunde natürliche Lebensweise. Medizinisches Vortragsforum u.a. mit Benediktinermönch Pater Anselm Grün, großer Gesundheits- markt (ca. 60 Aussteller), naturheilkundliche Gesundheitsprüfungen, Sport-Schnupperkurse, Gewinnspiel, Vollwert-Snacks, Kaffee/Kuchen u.v.m. Eintritt zum Gesundheitsmarkt und vielen Veranstaltungen frei. Eintritt in das Vortragsforum 10 Euro/Tag. Veranstalter: Schlosspark-Klinik Gersfeld und Gesellschaft zur Ent- wicklung und Förderung der Naturheilkunde e.V. Informationen und Programm über TextDesign Tonya Schulz GmbH, Fon: 09777 3235 oder unter www.gersfelder-gesundheitstag.de 222
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