Hessisches Ärzteblatt - Landesärztekammer Hessen

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Hessisches Ärzteblatt - Landesärztekammer Hessen
Landesärztekammer Hessen K.d.ö.R.

Hessisches
Ärzteblatt
                                                                             4 2010
Die Zeitschrift der Landesärztekammer Hessen                             April 2010
Auch im Internet: www.laekh.de                                         71. Jahrgang

                                               • Arbeitsausschuss
                                                 „Palliativmedizin“

                                               • Der Störfall der Hoechst AG
                                                 vom 22. Februar 1993 –
                                                 Vitalstatus und Mortalität
                                                 1993-2008

                                               • „Lernwelt 2020“ – 40 Jahre
                                                 Akademie für Ärztliche
                                                 Fortbildung und Weiterbildung
                                                 der LÄK Hessen

                                               • Bad Nauheimer Gespräch
                                                 „Auf einmal bleibt die
                                                 Welt stehen“

                                               • Frühe Bindungserfahrung
                                                 beeinflusst Genaktivität

                                               • Heilender Schimmel –
                                                 die Entdeckung des Penicillins

                                               Ausschnitt eines Kirchenfensters der
                                               St. James’ Church in Paddington
                                                 © Martin Glauert, Arzt für Innere Medizin, Kassel
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
Hessisches Ärzteblatt
Mit amtlichen Bekanntmachungen                                                                                                     4 | 2010 • 71. Jahrgang
der Landesärztekammer Hessen K.d.ö.R.
und der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen K.d.ö.R.

Impressum
Herausgeber:
Landesärztekammer Hessen
Im Vogelsgesang 3, 60488 Frankfurt/M.
Fon: 069 97672-0
Internet: www.laekh.de
E-Mail: info@laekh.de
Schriftleitung (verantwortlich):                          Editorial                                                                                                  208
Prof. Dr. Toni Graf-Baumann
Vertreter des Präsidiums: Frank-Rüdiger Zimmeck           Fortbildung
verantwortlich für Mitteilungen der LÄK Hessen:           Phytotherapeutisch bedeutsame Pflanzen in Hessen, Teil 12: Salbei                                           209
Frank-Rüdiger Zimmeck
verantwortlich für Mitteilungen der Akademie:
Prof. Dr. Ernst-Gerhard Loch
                                                          Landesärztekammer Hessen stellt ihre Gremien vor
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit:                        Arbeitsausschuss „Palliativmedizin“                                                                         210
Katja Möhrle, M. A.
                                                          Aktuelles
Wissenschaftlicher Beirat:
Prof. Dr. med. Erika Baum, Biebertal                      Der Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993 –
Karl Matthias Roth, Wiesbaden                             Vitalstatus und Mortalität 1993-2008                                                                         211
Dr. med. Alfred Halbsguth, Frankfurt
Prof. Dr. med. Dietrich Höffler, Darmstadt
                                                           Landesärztekammer Hessen
Dr. med. Georg Holfelder, Frankfurt
Dr. med. Siegmund Kalinski, Frankfurt                     „Lernwelt 2020“ – 40 Jahre Akademie für Ärztliche Fortbildung und
Dr. med. Norbert Löschhorn, Seeheim-Jugenheim
                                                           Weiterbildung der LÄKH                                                                                     217
Prof. Dr. med. Peter Osswald, Hanau
Prof. Dr. med. Konrad Schwemmle, Gießen                   „Priorisierung in der Medikation – Therapien bei Multimorbidität                                            220
Dr. med. Gösta Strasding, Frankfurt
                                                           Bad Nauheimer Gespräch – „Auf einmal bleibt die Welt stehen“                                               221
PD Dr. med. Oskar Zelder, Marburg
Dr. med. Walter Schultz-Amling, Hofheim
                                                          Fortbildung
Arzt- und Kassenarztrecht:
Dr. Katharina Deppert,                                    Frühe Bindungserfahrung beeinflusst Genaktivität                                                            223
Gutachter- und Schlichtungsstelle
Manuel Maier, Leiter der Rechtsabteilung                  Medizinhistorisches
Anschrift der Redaktion:                                  Heilender Schimmel – die Entdeckung des Penicillins                                                         230
Angelika Kob
Im Vogelsgesang 3, 60488 Frankfurt/M.
Fon: 069 97672-147, Fax: 069 97672-247
                                                            Akademie für Ärztliche Fortbildung und Weiterbildung, Bad Nauheim                                         235
E-Mail: angelika.kob@laekh.de
Redaktionsschluss:                                          Carl-Oelemann-Schule, Bad Nauheim                                                                         241
fünf Wochen vor Erscheinen
Verlag, Anzeigenleitung und Vertrieb:                     Einladung der Gemeinsamen Fachtagung der LÄK Hessen und
Leipziger Verlagsanstalt GmbH
                                                          der LPPKJP Hessen                                                                                           243
Paul-Gruner-Straße 62, 04107 Leipzig
Fon: 0341 710039-90, Fax: 0341 710039-74 u. -99
Internet: www.l-va.de                                     Fortbildung   Sicherer Verordnen                                                                            245
E-Mail: lk@l-va.de
                                                          Arzt- und Kassenarztrecht
Verlagsleitung:
Dr. Rainer Stumpe                                         Este Hilfe durch zufällig am Unfallort anwesenden Arzt                                                      246
Anzeigendisposition:
Livia Kummer
                                                          Von hessischen Ärztinnen und Ärzten                                                                        248
Fon: 0341 710039-92
E-Mail: lk@l-va.de                                        Bekanntmachungen der Landesärztekammer Hessen                                                               249
Druck:                                                    Bekanntmachungen der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen                                                    259
Messedruck Leipzig GmbH
An der Hebemärchte 6, 04316 Leipzig
                                                          Bücher                                                                                                      261
Layout-Design:
Kathrin Artmann, Heidesheim                               Mit dem Einreichen eines Beitrages zur Veröffentlichung überträgt der Autor das Recht, den Beitrag in gedruck-
in Zusammenarbeit mit der LÄK Hessen                      ter und in elektronischer Form zu veröffentlichen auf die Schriftleitung des „Hessischen Ärzteblattes“. Das Hes­­
                                                          sische Ärzteblatt ist in seiner gedruckten und in der elektronischen Ausgabe durch Urheber- und Verlagsrechte
Zzt. ist Anzeigenpreisliste 2010 vom 1.1.2010 gültig.     geschützt. Das Urheberrecht liegt bei namentlich gezeichneten Beiträgen beim Autor, sonst bei der Landes­
Bezugspreis / Abonnementspreise:                          ärztekammer Hes­sen bzw. bei der Kassenärztlichen Ver­ei­­nigung Hessen. Alle Verwertungsrechte der gedruck-
Der Bezugspreis im Inland beträgt 115,00  (12 Aus­       ten und der elektronischen Ausgaben sind der Leipziger Verlagsanstalt GmbH übertragen. Kopien in körperlicher
ga­­ben), im Ausland 115,00  zzgl. Versand. Kündigung    und nichtkörperlicher Form dürfen nur zu persönlichen Zwecken angefertigt werden. Gewerbliche Nutzung ist
des Bezugs 2 Monate vor Ablauf des Abonnements. Für       nur mit schriftlicher Genehmigung durch die Leipziger Verlagsanstalt GmbH möglich. Anzeigen und Fremd­bei­
die Mitglieder der Landes­­ärzte­k ammer Hessen ist der   lagen stellen allein die Meinung der dort erkennbaren Auftraggeber dar. Für unverlangt eingesandte Ma­­nu­skrip­
Bezugspreis durch den Mit­g lieds­­beitrag abgegolten.    te, Besprechungsexemplare usw. übernimmt die Schriftleitung keine Verantwortung. Vom Autor gezeichnete
                                                          Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Schriftleitung wieder. Die Ver­öffent­li­chung der Beiträge „Sicherer
ISSN: 0171-9661                                           Verordnen“ erfolgt außerhalb der Verantwortung der Schriftleitung und des Ver­lages.

                                                                                                                                                                                207
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
      Editorial

      Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

                            wer sich stet s im        die Lage, Diagnosen zu stellen und geeig-       uns als ärztliche Selbstverwaltung dafür
                            Hams­terrad dreht und     nete Behandlungs­wege einzuschlagen. Hier       stark machen, dass sowohl angestellte als
                            keine Möglichkeit des     liegt auch der Kern der ärztlichen Freibe-      auch niedergelassene Ärztinnen und Ärz-
                            Ausstiegs sieht, wird     ruflichkeit be­grün­det – in der Möglichkeit    te in der Lage sind, Beruf und Privatleben
                            unzufrieden. Das gilt     zur freien Ent­scheidung über Planung und       miteinander zu verbinden.
                            in besonderem Maße        Durchführung einer individuellen Diagnos­
                            auch für Ärztinnen        tik und Therapie unserer Patienten. Dar-        Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass
                            und Ärzte, die sich in    auf sollten wir stolz sein und zugleich alles   beide – stationär und ambulant tätige Ärz-
Dr. med. Gottfried von
                            den vergangenen Jah-      daran setzen, diese Freiberuflichkeit gegen     tinnen und Ärzte – einem freien Beruf an-
Knoblauch zu Hatzbach       ren einer zunehmend       Angriffe von Außen zu verteidigen.              gehören. Freiberuflichkeit zeichnet sich
(Bild pop)                  ökonomisch orientier­                                                     u.a. durch eigenverantwortliches Handeln
       ten Gesundheitspolitik gegenüber sahen.         Allerdings lässt sich nicht leugnen, dass      aus – dies muss auch in der ärztlichen
       Ärztliche Leistungen, aber auch die Leistun­    sich die Zeiten und damit auch die Lebens-     Fortbildung hervorgehoben werden. Fort-
       gen anderer Gesundheitsberufe, wurden           einstellung junger Ärztinnen und Ärzte         bildung ist Bestandteil der ärztlichen Be-
       und werden noch immer in erster Linie als       gewandelt haben. Der ärztlichen Freiberuf­     rufsausübung; ihr Ziel sind Erhalt und
       Kostenfaktor betrachtet. Kein Wunder also,      lichkeit steht nicht nur wachsende staat-      Weiterentwicklung ärztlicher Kompetenz.
       dass der ärztliche Nachwuchs den Ein-           liche Regulierung, sondern auch eine ver­      Deshalb ist es von entscheidender Bedeu-
       stieg in die kurative Medizin scheut. Und       än­derte Daseinsperspektive der nachwach­      tung, dass jeder Arzt seinen individuellen
       dies, obwohl der Arztberuf eigentlich eine      senden Generation gegenüber. Verdruss          Fortbildungsbedarf erkennt und auf dieser
       ganz wunderbare Profession ist.                 über Kostendruck im Gesundheitswesen           Grundlage geeignete Fortbildungsmaßnah­
                                                       auf der einen und Ansprüche an die Lebens­     men wählt. Das Zählen von Fortbildungs-
      Wir sind keine Leistungserbringer, wie die       gestaltung auf der anderen Seite bewir-        punkten ist dabei notwendige Pflicht, darf
      Politik uns weismachen will, sondern Ärz-        ken, dass viele junge Ärztinnen und Ärzte      aber nicht im Zentrum der Fortbildung ste-
      tinnen und Ärzte. Und die Menschen, mit          zunehmend weniger Interesse daran ha-          hen. Es geht vielmehr darum, das eigene
      denen wir tagtäglich zu tun haben und die        ben, sich selbstständig zu machen, wirt-       Wissen, die ärztliche Kompetenz also, zu
      uns ihr Vertrauen schenken, sind keine           schaftliche Verantwortung zu übernehmen        erhalten und kontinuierlich weiterzuent-
      Kunden, sondern Patientinnen und Patien­         und damit ärztliche Freiberuflichkeit in       wickeln. Nur so können wir Ärztinnen und
      ten. Um sie versorgen zu können, haben           ihrer ursprünglichsten Form zu leben.          Ärzte auch in Zukunft Freiberuflichkeit und
      wir sowohl Studium als auch Weiterbildung       „Der niedergelassene Arzt, der sich Tag         Eigenverantwortung bewahren.
      absolviert und bilden uns lebenslang fort.       und Nacht für seine Patienten einsetzt,        Wichtig ist, dass uns unsere ärztliche Tä-
      Freiwillig und seit einigen Jahren auch mit      stirbt aus,“ erklärte Professor Dr. med.       tigkeit wieder Freude macht und es uns
      der staatlichen Auflage einer Fortbildungs­      Jörg-Dietrich Hoppe kürzlich. Dafür ent­       gelingt, auch in Medizinstudierenden und
      pflicht.                                         wickele sich verstärkt eine Angestellten-      jungen Ärztinnen und Ärzten die Begeiste-
      Eine Kernaufgabe der Landesärztekammer           mentalität unter Kolleginnen und Kollegen.     rung am Arztberuf zu wecken. Dafür setze
      Hessen besteht darin, die Fortbildung ihrer      Eine Tendenz, gegen die prinzipiell nichts     ich mich ein!
      Mitglieder zu fördern. Ein erfolgreiches         einzuwenden ist, zumal sie die Möglich-
      Beispiel für die qualitativ hochwertige          keit flexibler Arbeitsgestaltung und Ver-      Ihr
      Vermittlung von Fortbildung und Weiter-          einbarkeit von Beruf und Familie in sich
      bildung ist die Akademie der Landesärzte-        birgt. Diese ist zwar auch im niedergelas-
      kammer Hessen in Bad Nauheim, die Ende           senen Bereich zu realisieren, aber häufig
      Februar ihr 40-jähriges Bestehen gefeiert        nur unter beträchtlichem Aufwand oder
      hat (siehe Seite 217). Profundes Fachwis-        im Rahmen von Praxisgemeinschaften. Es         Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach
      sen versetzt uns Ärztinnen und Ärzte in          ist daher dringend erforderlich, dass wir      Präsident

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4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
                                                                                                                     Fortbildung

Phytotherapeutisch bedeutsame Pflanzen in Hessen
Teil 12: Salbei (Salvia officinalis L.)   Alexander H. Jakob

                                               (salvare: heilen) und galt historisch als    gen in Form von Lösungen und Tabletten
                                               vielfältig und universell einzusetzendes     zurückgreifen.
                                               Heilmittel.                                  Die übermäßige und längerfristige An­wen­
                                                                                            dung des Salbeis kann nicht empfohlen
                                               Heutzutage reduziert sich allerdings der     werden, da vermutlich toxische Bestand-
                                               Einsatz auf seine antimikrobielle und se-    teile zu Nebenwirkungen wie Krämpfen
                                               kretionshemmende, sowie schweißhem-          und Hitze-, sowie Schwindelgefühlen füh-
                                               mende Wirkung, wofür vor allem seine         ren können.
                                               Blätter genutzt werden.
                                                                                            Anschrift des Verfassers
Salbei                                         Teezubereitungen der Blätter werden häu-     Dr. med. Alexander H. Jakob
                                               fig als Spülungen bei Entzündungen im        Facharzt für Allgemeinmedizin
Eigentlich aus dem Mittelmeerraum stam-        Mund- und Rachenraum, aber auch inner-       – Naturheilverfahren –
mend, findet sich der Salbei aus der Fami-     lich bei Verdauungsbeschwerden und ver-      – Akupunktur –
lie der Lippenblütler auch in hiesigen Gär-    mehrter Schweißneigung eingesetzt. Ne-       Stierstädter Straße 8a
ten. Er trägt schon in seinem Namen den        ben den Teezubereitungen kann man aber       61350 Bad Homburg v.d.H.
Hinweis auf den Einsatz als Arzneipflanze      auch auf standardisierte Fertigzubereitun-   E-Mail: drjakob@gmx.de

   Delegiertenversammlung appelliert
      an Solidarität der Ärzteschaft
          Gegenseitige Unterstützung
          niedergelassener Ärzte und
          Klinikärzte bei Maßnahmen
             zur Verbesserung der
         Arbeitsbedingungen gefordert
   Ohne Einschränkung hat die Delegiertenversammlung
   der Landesärztekammer am 28. November 2009 an die
   innerärztliche Solidarität appelliert. Die Delegierten spra-
   chen sich einstimmig für eine gegenseitige Unterstützung
   von niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten bei Streiks
   oder streikähnlichen Maßnahmen zur Verbesserung ärzt-
   licher Arbeitsbedingungen aus. Der Einsatz niedergelas-
   sener Ärzte als Streikbrecher bei Protestaktionen an Kli-
   niken wurde ebenso abgelehnt wie das Unterlaufen von
   Aktionen Niedergelassener durch Klinikärzte. „Gemein-
   sam sind wir stärker,“ hieß es in einer Erklärung des Ärz-
   teparlaments.

                                                          LÄK

                                                                                                                                        209
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
      Landesärztekammer Hessen stellt ihre Gremien vor

      Arbeitsausschuss „Palliativmedizin“

       Der Arbeitsausschuss „Palliativmedizin*“            Dem Arbeitsausschuss „Palliativmedizin“ gehören derzeit an:
       der Landesärztekammer Hessen (LÄKH)
                                                            Name / Fachgebiet                                     Ort
       wird für jeweils fünf Jahre vom Präsidium
                                                            Dr. med. Angelika Berg                                Zentrum für Palliativmedizin am
       der LÄKH gewählt und beschäftigt sich                (Anästhesiologie)                                     Markus-Krankenhaus in Frankfurt
       hauptsächlich mit der landesweiten Struk-
                                                            Dr. med. Hans-Peter Böck                              Niedergelassen in Offenbach
       turentwicklung und der flächendeckenden              (Hämatologie und Onkologie)                           Belegarzt im Maingau Krankenhaus
      Versorgung von palliativmedizinischen Leis­
                                                            Dr. med. Maria Haas-Weber                             Niedergelassen in Hanau
       tungen. Er organisiert Informationsveran-            (Allgemeinmedizin)
       staltungen zum Thema „Palliativmedizin“              Dr. med. Gisela Illies                                Niedergelassen in Hanau
       und berät die LÄKH in Fragen der Palliativ-          (Allgemeinmedizin)
       versorgung sowie der einschlägigen Fort-             Prof. Dr. med. Elke Jäger                             Krankenhaus Nordwest in Frankfurt
       und Weiterbildung. Dem Arbeitsausschuss              (Hämatologie und Onkologie)
      „Palliativmedizin“ gehören derzeit zehn               Dr. med. Gottfried von Knoblauch zu Hatz-             Niedergelassen in Marburg
       Mitglieder an (siehe Kasten). Als Vorsit-            bach                                                  Präsident der LÄKH
       zende des Arbeitsausschusses „Palliativ-             (Innere Medizin)
       medizin“ wurde in der konstituierenden               Dr. med. Elisabeth Lohmann                            Vorsitzende, Zentrum für Palliativ-
       Sitzung am 8. Dezember 2008 Dr. med.                 (Allgemeinmedizin)                                    medizin im Markus-Krankenhaus in
       Elisabeth Lohmann gewählt.                                                                                 Frankfurt
                                                            Dr. med. Bernd Oliver Maier                           Dr. Horst-Schmidt-Kliniken, Abteilung
      Ein Themenschwerpunkt im Jahr 2009                    (Innere Medizin)                                      Palliativmedizin in Wiesbaden
      war die Spezialisierte ambulante Palliativ-           Dr. med. Wolfgang Spuck                               Stv. Vorsitzender, Rotes Kreuz
      versorgung (SAPV), die seit 2007 gesetz-              (Innere Medizin)                                      Krankenhaus in Kassel
      lich verankert ist. Der Ausschuss und die             Dr. med. Eckhard Starke                               Niedergelassen in Offenbach
      Ständige Konferenz „Palliativmedizin“ der             (Allgemeinmedizin)
      LÄKH – sie steht allen palliativ Engagier-
      ten offen und zählt mittlerweile über 40             den Vereinbarungen zur Umsetzung der              heit (ehemals Hessisches Sozialministe­
      Mitglieder – beschäftigten sich mit der              SAPV gemeinsam unterstützt.                       rium) bei der Konzepterarbeitung für die
      Um­s etzung der SAPV. Einen weiteren                                                                   Errichtung einer Stiftungsprofessur „Pal-
      Aufgabenschwerpunkt stellte das Ziel dar,            In diesem Jahr findet bereits die 5. Fachta-      liativmedizin“ in Hessen beraten. Diesem
      eine angemessene Honorierung für die                 gung zur palliativen Versorgung statt. Da-        Konzept hat das Präsidium der LÄKH zu-
      allgemeine ambulante Palliativversorgung             bei wollen sich die Landesarbeitsgemein-          gestimmt. Ein Antrag zur Errichtung einer
      zu erreichen, die von niedergelassenen All­          schaft Hospize, die Hessische Arbeitsge-          Stiftungsprofessur „Palliativmedizin“ in
      gemeinärzten/innen und Fachärzten/innen              meinschaft für Gesundheitserziehung und           Hessen wurde eingereicht.
      geleistet wird.                                      der Arbeitsbereich KASA in einer Koope-
                                                           rationsveranstaltung dem Thema „Qua­              In Hessen verfügen insgesamt 492 Ärztin-
      Durch die regelmäßigen Fachtagungen zur              lifizierung – Ziel: Wie kann eine gemein­         nen und Ärzte über die Zusatzbezeich-
      palliativen Versorgung in Bad Nauheim                same, fachübergreifende Fortbildung aus­          nung „Palliativmedizin“. Davon sind 195
      und die Sitzungen der Ständigen Konfe-               sehen?“ widmen.                                   Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus und
      renz „Palliativmedizin“ wird allen Berufs-           Des Weiteren wurde eine Arbeitsgruppe             252 Ärztinnen und Ärzte niedergelassen
      gruppen, die in der Palliativmedizin auf­            Stiftungsprofessur „Palliativmedizin“ ge-         tätig.
      einander treffen, die Möglichkeit zum In-            gründet, der vier Mitglieder angehören.
      formationsaustausch gegeben. Bei zahl-               Die Arbeitsgruppe hat das Hessische Mi-                                           Olaf Bender
      reichen Diskussionen und Gesprächen wur­             nisterium für Arbeit, Familie und Gesund-                                        Miriam Mißler
      *
          Palliativmedizin beinhaltet die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Le-
          benserwartung, die nicht mehr auf eine kurative Behandlung ansprechen. Schmerzlinderung und Beherrschung von Krankheitsbeschwerden stehen im
          Vordergrund der Behandlung.

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                                                                                                                                     Aktuelles

Der Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993 –
Vitalstatus und Mortalität 1993-2008
Heudorf U*, Cholmakow-Bodechtel C**, Bendelack T**, Blettner M ***

Im Jahre 1993 ereignete sich in Frankfurt
am Main einer der schwersten Chemie-
Störfälle in der Geschichte der Bundesre-
publik Deutschland. Über den Störfall und
die Ergebnisse zu akuten und subakuten
Gesundheitsfolgen war mehrfach im Hes-
sischen Ärzteblatt berichtet worden (1-5).
Nachfolgend soll über die vor kurzem ab-
geschlossene Vitalstatuserhebung und
Mortalitätsanalyse 1993-2008 berichtet
werden. Der ausführliche Bericht kann im
Internet eingesehen oder im Amt für Ge-
sundheit der Stadt Frankfurt am Main be-
stellt werden (6).

Der Störfall – kurzer  Rückblick
In Folge einer Reihe von Bedienungsfeh-
lern im Werk Griesheim der Hoechst AG
wurden bei der Synthese von o-Nitroanisol
aus o-Nitrochlorbenzol am 22. Februar 1993
etwa 11,8 Tonnen eines chemischen Ge-
mischs von zunächst unbekannter Zusam-
mensetzung freigesetzt (vorwiegend Nitro­
aromaten und verschiedene Azoverbin-
dungen; Hauptkontaminant o-Nitroanisol).
Ein Teil dieses Gemisches schlug sich in
einigen Straßen eines nahegelegenen Wohn­
gebiets mit etwa 2.000 Bewohnern nieder
(Abb. 1: Folgende Straßen sind in dem Ex-
positionskegel vorhanden: Am Börnchen,
Bruno-Stürmer-Straße, Ferdinand-Dirichs-
Weg, Harthweg, Henriette-Fürth-Straße,               Abb. 1: Bodenbelastungen in Schwanheim nach dem Störfall der Höchst AG vom 22.2.1993 – „Kegel“
Im Hirschländchen, Rheinlandstraße, Sauer­
ackerweg).                                           Waschen der Hausdächer, Sand­strahlen           heitliche Störungen bei 83 Erwachsenen
Umfassende Sanierungsarbeiten – Reini-               der Gehwege und Abtragen der obersten           und 15 Kindern im Zusammenhang mit
gung glatter Oberflächen wie Fenster, Aus­           Schicht der Straße – waren inner­halb von       dem Störfall ein: bei Erwachsenen waren
tausch des Spielsandes in Sandkästen,                vier Wochen abgeschlossen (2, 7).               vornehmlich Reizungen der Nase und des
Abtragung der oberflächlichen Boden-                                                                 Rachens, der Augen und Haut sowie Kopf-
schichten in den betroffenen Kleingärten,            Dokumentation von akuten                        schmerzen beobachtet worden, während
Rückschneiden von Bäumen und Büschen,                und subakuten Symptomen                         bei Kindern Übelkeit/Erbrechen und Haut-
                                                     nach dem Störfall                               reizungen eher im Vordergrund standen.
*
    Amt für Gesundheit der Stadt Frankfurt am Main
**
    TNS Healthcare GmbH, München
                                                     In den ersten Wochen nach dem Störfall          Alle Symptome waren rasch wieder abge-
***
    IMBEI, Universitätsmedizin, Mainz                gingen Ärzte-Meldungen über gesund-             klungen (3, 8). Die in der Literatur be-
                                                                                                                                                      211
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      Aktuelles

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                                                                                                          Erkrankungen gefunden. Milde Formen
                                                                                                          der atopischen Dermatitis wurden bei den
                                                                                                         6-12 Jahre alten Kindern, nicht jedoch bei
                                                                                                          den Kindern unter 6 Jahren etwas häufiger
                                                                                                          gefunden. Es gibt Hinweise, dass Symp­
                                                                                                          tome des asthmatischen Komplexes et-
                                                                                                          was häufiger aufgetreten sind“. Der Ver-
                                                                                                          dacht auf vermehrte Häufigkeit von asthma­
                                                                                                          typischen Symptomen und atopischer Der­
                                                                                                          matitis wurde in den schulärztlichen Ein-
                                                                                                          schulungsuntersuchungen retro- und pros­
                                                                                                          pektiv für die Jahre 1991-1998 überprüft.
                                                                                                          Insgesamt wurde kein statistisch abge­
                                                                                                          sicherter Hinweis auf eine höhere Erkran-
                                                                                                          kungsrate an Asthma und Ekzem bei den
                                                                                                          Schwanheimer Kindern im Vergleich zu den
                                                                                                          Gleichaltrigen aus Frankfurt erhalten (4).
      Abb. 2: Einteilung der Studienpopulation nach Wohngebieten (“Zonen”)
      Quelle: Eigene Bearbeitung nach BIPS, Expositionsregister (Anlage 1 Karte und Straßenverzeichnis
      des Erhebungsgebietes)                                                                             Ein Teil der freigesetzten Substanzen sind
                                                                                                         als krebserregende im Tierversuch einge-
      schriebenen substanzspezifische­ren Wir-          Dabei wurden die akuten und subakuten            stuft (9-11), weshalb beschlossen wurde,
      kungen wie neurotoxische und kardiale             Symptome bestätigt, aber keine klaren Hin-       Untersuchung zur Krebsinzidenz bei den
      und insbesondere hämatologische Symp-             weise auf Langzeitfolgen angegeben.              Exponierten durchzuführen. Angesichts
      tome wie Methämoglobinämie wurden nicht                                                            der noch nicht ausreichenden Vollständig-
      beobachtet (1). Zwischen 1993 und 2001            Die 1994/5 durchgeführten Untersuchun-           keit des Hessischen Krebsregisters konn-
      wurden zusammen mit der Landesärzte-              gen von Kindern aus Schwanheim auf               te der für 2003, also zehn Jahre nach dem
      kammer Hessen vier standardisierte Um-            Symptome der Haut und der Atemwege               Störfall vorgesehene Abgleich zwischen
      fragen bei mehreren Hundert niedergelasse­        ergaben nach Zusammenfassung der Gut-            Expositionsregister und Krebsregister nicht
      nen Ärzten in Frankfurt durchgeführt (5, 8).      achter folgende wesentliche Ergebnisse:          vorgenommen werden. Vor diesem Hinter-
                                                                                                         grund wurde beschlossen, eine Vital­sta­
      Tabelle 1: Ergebnisse der Vitalstatuserhebung in der Studienpopulation
                                                                                                         tus­recherche und Mortalitätsanalyse durch­
       Fallzahl                                                                   20.170      100 %      führen zu lassen. Nach Ausschreibung wur-
       Lebend                                                                     16.278     80,7 %      de TNS Healthcare GmbH mit der Untersu-
       Verstorben ermittelt                                                        3.200     15,9 %      chung beauftragt.
       verstorben, Todesursache liegt vor                      3.111    15,4 %
       verstorben, ohne bekannte Todessursache                   43      0,2 %                           Vitalstatusrecherche
       verstorben im Ausland                                     46      0,2 %
                                                                                                         und Mortalitätsanalyse
       Vitalstatus nicht ermittelbar                                                 692      3,4 %
                                                                                                         1993-2008
                                                                                                         Für alle Personen, die laut Melderegister-
       ins Ausland verzogen                                     452      2,2 %
                                                                                                         auskunft zum Zeitpunkt des Störfalls in
       unbekannt verzogen                                       210       1,0 %                          den Stadtgebieten Schwanheim und Gold-
       abgemeldet von Amts wegen, ohne festen                                                            stein (Abb. 2) als „wohnhaft“ gemeldet
       Wohnsitz, Identität nicht eindeutig,                                                              waren (Studienpopulation), wurde in den
       Auskunftssperre, etc.                                     30      0,0 %
                                                                                                         Jahren 2008/9 der Vitalstatus und für die
       Gesamt                                                                     20.170      100 %      Verstorbenen der Zeitpunkt des Todes
212
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                                                                                                                                 Aktuelles

Tabelle 2: Altersstandardisierte Todesursachenstatistik der häufigsten Todesursachen sowie ausge-   mehrfachem Nachfassen. Die Todesursa-
wählter Krebstodesursachen in der Studienpopulation im Vergleich zur Standardbevölkerung Hessen
                                                                                                    chen lagen in drei unterschiedlichen For-
 Todesursache                                                   Studien­         Standard-          men vor, die für die Datenanalyse einheit-
 (kategorisiert)                                                population       bevölkerung
                                                                                                    lich auf die WHO-Klassifikation ICD 10 ge­­
                                                                (N=3.200)        Hessen 1987
                                                                                 (N=59.137)         bracht werden mussten: Die Diagnosen in
                                                                                                    Klartextform wurden an das Statistische
 Herz-Kreislauf-Erkrankungen                                       40,8 %           41,2 %
                                                                                                    Landesamt des Freistaates Sachsen ge-
 Bösartige Neubildungen                                            25,6 %           25,8 %
                                                                                                    schickt und vom dortigen Personal ver-
 Übrige und keine Angabe                                           33,6 %           33,0 %          codet. Waren die Todesursachen nach
 Einzelne bösartige Neubildungen im einzelnen:                                                      dem alten Standard ICD 9 vercodet, wur-
 C34: Bösartige Neubildungen der Bronchien und Lunge               5,03 %           4,78 %          den sie mit Hilfe eines Umsetzungspro-
 C18: Bösartige Neubildungen des Dickdarms                         1,84 %           2,28 %          gramms in die neuere Version ICD 10
 C20: Bösartige Neubildungen des Rektum                            0,95 %           0,87 %          transformiert. Diagnosen, die bereits den
 C67: Bösartige Neubildungen der Harnblase                         0,72 %           0,60 %          ICD 10-Code aufwiesen, wurden so über-
                                                                                                    nommen.
 C71: Bösartige Neubildungen der ZNS                               0,49 %           0,64 %
 C64: Bösartige Neubildungen der Niere                             0,52 %           0,58 %
                                                                                                    Die offizielle Todesursachenstatistik (12)
                                                                                                    für Deutschland im Jahr 2005 diente als
und die Todesursache ermittelt und mit            Die Vitalstatuserhebung wurde erfolgreich         Anhaltspunkt für die Bildung von drei Ka-
dem statistischen Modell der Cox-Regres-          abgeschlossen; für weniger als 3,4 % der          tegorien, unter denen sich alle Todesursa-
sion der Zusammenhang zwischen Expo-              Studienpopulation konnten keine genauen           chen subsumieren lassen, nämlich: Krank-
sition und Sterblichkeit unter Berücksich-        Angaben gefunden werden. Dieser Pro-              heiten des Herz-Kreislauf-Systems, einschl.
tigung der wichtigsten Einflussgrößen Al-         zentsatz liegt deutlich besser als die für        Myocardinfarkt (I00-I99), bösartige Neu-
ter und Geschlecht untersucht.                    Follow-up Studien geforderten maximal             bildungen insgesamt (C00-C97) und rest-
                                                  5 % „Lost to follow up“ (Tab. 1).                 liche Todesursachen (Tab. 2).
Insgesamt waren 20.170 Personen im Da-
tensatz enthalten, darunter 8.068 Perso-          Zur Ermittlung der genauen Todesursache           Die Krebssterblichkeit wurde weiter diffe-
 nen, die ohne Unterbrechung unter der-           der 3.200 Verstorbenen wurden insge-              renziert, um auch die Sterblichkeit an
selben Adresse gemeldet waren, 4.926              samt 274 Gesundheitsämter um Auskunft             Krebserkrankungen bestimmter Organe
Personen waren innerhalb Frankfurts um-           der Todesursachen gebeten, teilweise mit          darstellen zu können. Einige der bei dem
gezogen, 4.524 Personen waren von Frank­
 furt weggezogen und 2.648 Personen wa­
­ren mittlerweile in Frankfurt verstorben.
Für die Vitalstatuserhebung der aus Frank­
 furt Verzogenen wurden Melderegisteran-
 fragen zur Ermittlung der letzten bekann-
ten Wohnadresse bei den Einwohnermel-
 deämtern eingereicht und dieser Vorgang
so oft wiederholt, bis der Vitalstatus aller
Personen als lebend, verstorben oder nicht
weiter ermittelbar abschließend dokumen­
tiert war. Dabei wurden in insgesamt sie-
 ben Erhebungswellen 5.908 Melderegister-
anfragen bei bundesweit 1.144 Ämtern
gestellt (Rückfragen und Wiederholungs-
anfragen nicht eingerechnet).
                                                                                                                                                  213
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
      Aktuelles

      Störfall freigesetzten Verbindungen hat-      desursachen durch bösartige Erkrankun-        und Sozialmedizin (BIPS) in Zonen zurück-
      ten sich im Tierversuch als karzinogen        gen wichen für alle ICD Positionen in der     gegriffen. Innerhalb einer Zone wur­­­de
      erwiesen (9, 10). Aufgrund einer entspre-     Größenordnung nur geringfügig voneinan­       eine einheitliche Exposition angenommen
      chenden Stellungnahme des Gutachters          der ab. Sie liegen im Bereich von 0,06 Pro­   (Abb. 2).
      im Jahr 1996 in Bezug auf die ausgetrete-     zentpunkten für C 64 (Bösartige Neubil-
      nen Schadstoffe (11) wurde festgelegt, die    dungen der Niere) bis 0,44 Prozentpunkte      Das mit „Kegel“ bezeichnete Gebiet war
      bösartigen Neubildungen zu differenzie-       für C18 (Bösartige Neubildungen des Dick-     am stärksten durch den Störfallnieder-
      ren und in die Todesursachenanalyse auf-      darms).                                       schlag betroffen. Nur in diesem Gebiet
      zunehmen. Um einen besseren Vergleich                                                       konnte die Kontamination durch Boden-
      der Kohortensterb­lichkeit der Studienpo-     Kein Hinweis auf höhere                       proben messtechnisch bzw. analytisch
      pulation mit der altersstandardisierten       Sterblichkeit oder höhere                     nachgewiesen werden. Für die vorliegen-
      Mortalität der Bevölkerung Hessens zu         Krebssterblichkeit bis zu                     de Auswertung werden alle Personen
      erzielen, wurden die Studiendaten hin-        15 Jahre nach dem Störfall                    (n=2.049) die zum Zeitpunkt des Störfalls
      sichtlich der Alters- und Geschlechterver-    In einem weiteren Schritt wurde unter-        mit einer Adresse in dem mit „Kegel“ be-
      teilung gewichtet (Tab. 2).                   sucht, ob Menschen, die zum Zeitpunkt         zeichneten Gebiet gemeldet waren, als
                                                    des Störfalls in dem Gebiet wohnten, wel-     exponiert gewertet. Das mit „Zentrum“
      Altersstandardisierte                         ches offensichtlich dem gelben Regen          bezeichnete Gebiet ist als ein „Sicher-
      allgemeine Sterblichkeit                      ausgesetzt war, ein höheres Sterberisiko      heitsstreifen“ zu verstehen, der zu beiden
      und Krebssterblichkeit gut                    und insbesondere ein höheres Krebsrisiko      Seiten an den Kegel angrenzt. Die Gebiete
      vergleichbar mit den Daten                    aufweisen als Nicht-Exponierte. Da – mit      mit der Bezeichnung 2 West bzw. 2 Ost
      der Hessischen Bevölkerung                    Ausnahme der Human­biomonitoringdaten         sind „Randzonen“, die als deutlich weni-
      Tabelle 2 zeigt, dass sich die prozentualen   von wenigen hundert Kindern (2, 14) –         ger belastet kategorisiert wurden. Für die
      Anteile der Todesursachen nur wenig von       kein individuelles Expositionsmaß für die     weiteren Auswertungen werden die im
      denen der Standardbevölkerung Hessens         vom Störfall betroffene Bevölkerung vor-      Zentrum (n=3.525) und der Randzone
      unterscheiden. Der Anteil der Herz-Kreis-     liegt, wurde die relative Lage des Wohn-      (n=5.577) zum Zeitpunkt des Störfalls ge-
      lauftoten in der Studienpopulation liegt      orts zur Quelle der Exposition als Indika-    meldete Personen ebenfalls als exponiert
      um 0,4 Prozentpunkte unter dem der Stan­      tor für das Expositionsmaß verwendet.         definiert. Die Gebiete 3 West und 3 Ost
      dardbevölkerung Hessen (13) und der der       Hierfür wurde auf bestehende Einteilun-       werden als „Referenzzonen“ in der Aus-
      Krebstoten um 0,2 Prozentpunkte niedri-       gen des Expositionsgebiets durch das          wertung herangezogen. Zum Zeitpunkt
      ger. Auch die prozentualen Anteile der To-    Bremer Institut für Präventionsforschung      des Störfalls in diesem Gebiet gemeldete
                                                                                                  Personen (n=8.579) wurden als nicht ex-
                                                                                                  poniert definiert.

                                                                                                  Die Auswertung erfolgte für 19.730 Perso-
                                                                                                  nen, da 440 Personen mit Meldeadressen
                                                                                                  außerhalb des definierten Untersuchungs-
                                                                                                  gebiets für diese Auswertungen nicht be-
                                                                                                  rücksichtigt werden konnten. In den ein-
                                                                                                  zelnen Gebieten wich die Altersstruktur
                                                                                                  teilweise von der der Referenzbevölkerung
                                                                                                  in Hessen ab. Um die Sterblichkeit zu ver-
                                                                                                  gleichen, musste deswegen eine Alters­
                                                                                                  adjustierung vorgenommen werden.

                                                                                                  Bei den Männern lag die altersangepasste
                                                                                                  Sterblichkeit in den exponierten Regionen
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                                                                                                                                  Aktuelles

mit 13,6 % um 1,1 Prozentpunkte höher als     Tabelle 3: Ergebnisse der Cox-Regression: Gesamt- und Krebssterblichkeit sowie Sterblichkeit an de­­
                                              fi­nier­ten Krebserkrankungen in Zonen unterschiedlicher Exposition unter Berücksichtigung von Alter
in den nicht exponierten Regionen (12,5 %).   und Geschlecht
Bei den Frauen lag die altersangepasste
                                               Tumorart                     N        Hazard Ratio         Hazard Ratio         Hazard Ratio
Sterblichkeit in den exponierten Regionen                                              (Kegel)             (Zentrum)           (2 Ost/West)
mit 13,5 % um 0,8 Prozentpunkte niedri-                                              mit 95 % CL          mit 95 % CL           mit 95 % CL
ger als die adjustierte Sterblichkeit bei      Sterblichkeit gesamt       3.031     0,97 (0,86-1,10)      1,14 (1,03-1,25)     1,14 (1,04-1,24)
nicht Exponierten (14,3 %). Zusammen-          Sterblichkeit Krebs         778      0,88 (0,68-1,13)      1,15 (0,96-1,39)     1,10 (0,93-1,32)
fassend lässt sich für die exponierten Ge-
                                               darunter
biete keine statistisch signifikant erhöhte
                                               Darmkrebs                    87      1,12 (0,58-2,17)     0,65 (0,33-1,25)      1,05 (0,63-1,75)
Sterblichkeit feststellen.
                                               Harnorgane                   28      0,79 (0,18-3,56)      1,61 (0,63-4,16)     1,51 (0,61-3,74)
                                               Leberkrebs                   16      1,07 (0,23-5,06)     0,63 (0,14-2,99)     0,79 (0,21-2,99)
Darüber hinaus wurde eine vergleichende
                                               Nierenkrebs                  16     0,73 (0,09-6,02) 2,49 (0,80-7,73) 0,99 (0,25-3,97)
Überlebensdaueranalyse der Exponierten
und Nichtexponierten unter Berücksich­         Leukämie                     33     0,34 (0,04-2,56)      1,75 (0,75-4,10)     1,60 (0,70-3,66)
tigung von Alter und Geschlecht mit Hilfe      Lunge/ Bronchien            153      0,94 (0,53-1,67)      1,18 (0,77-1,81)     1,28 (0,87-1,88)
des Cox-Regressionsmodells gerech­net.         ZNS                          15      0,98 (0,21-4,51)     0,56 (0,12-2,58)     0,43 (0,09-2,01)
Das Cox-Modell berechnet das Sterberisi-
ko einer potentiell exponierten Personen­     und altersspezifische Unterschiede in den          Cox-Modell im Kegel ein um 12,5 % gerin-
grup­pe im Vergleich zu Personen mit Wohn­    Regionen keinen Einfluss auf das Ergebnis          geres, in den Zonen Zentrum und 2 Ost/
­ort in nicht-exponierten Gebieten unter      haben können. Die Hazard-Ratios für die            West ein um 15,2 % bzw. 10,3 % höheres
Berücksichtigung der Überlebenszeiten.        Gesamtsterblichkeit, die Krebssterblichkeit        Risiko an Krebs zu versterben als in der
Das Risiko wird als „Hazard Ratio“ (HR)       sowie die Sterblichkeit an ausgewählten            Referenzzone 3 Ost/West (alle statistisch
ausgedrückt. Eine HR=1,0 bedeutet, dass       Krebsformen sind in Tab. 3 zusammenge-             nicht signifikant).
das Sterberisiko einer potentiell exponier-   fasst. Dargestellt sind die Hazard-Ratios
ten Person genau gleich dem Risiko einer      in den Gebieten Kegel, Zentrum und Rand-           Die Berechnungen der Cox-Modelle zeigen,
nicht-exponierten Person ist. HR=1,5 be-      zone im Vergleich mit der Referenzzone.            dass es weder zwischen Gesamtsterblich-
deutet, dass das Risiko einer potentiell                                                         keit noch Krebssterblichkeit und potentiell
exponierten Person um das 1,5-fache hö-     Die für Alter und Geschlecht adjustierten            exponiertem Wohnort zum Zeitpunkt des
her ist als das einer nicht-exponierten     Ergebnisse der Cox-Regression zeigen im              Störfall Hoechst einen eindeutigen signi-
Person.                                     Vergleich zur Referenzzone 3 Ost/West für            fikanten Zusammenhang gibt. Somit kön-
                                            die Gesamtsterblichkeit im Kegel ein um              nen keine statistisch gesicherten Unter-
Für jede Person wird die Überlebenszeit 3 % leicht verringertes (statistisch nicht               schiede der Sterblichkeit bis 15 Jahre nach
beobachtet. Für diejenigen, die am Ende signifikant) und in den Regionen Zentrum                 dem Störfall zwischen der Personengrup-
des Beobachtungs­zeitraums als „lebend“ und Randzone ein um ca. 13 % größeres                    pe, die zum Zeitpunkt des Störfalls in den
recherchiert werden konnten, beträgt die (statistisch signifikant) Risiko zu verster-            potentiell exponierten Gebieten wohnten
Überlebenszeit (im Datensatz und bei Be- ben im Vergleich zur Referenzzone 3 Ost/                und derjenigen in den nicht-exponierten
rechnungen auch als Risikozeit bezeich- West. Für die Krebssterblichkeit ergibt das              Gebieten festgestellt werden.
net) exakt 15 Jahre. Für die Personen, die
den Vitalstatus „Lost-to-Follow-Up“ ha-
ben, wurde für die Berechnung der Über-
lebenszeit die letzte Information des letz-
ten bekannten Vitalstatus herangezogen.
In das Modell konnten Datensätze von
3.031 Todesfällen übernommen werden.
Bei dem Cox-Modell wird für Alter und Ge-
schlecht kontrolliert, so dass geschlechts-
                                                                                                                                                     215
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      Aktuelles

      Wie geht es weiter?                            denzen zu untersuchen (4, 5) – durch Ab-            4. Heudorf U, Meireis H, Peters M, Hahn A: Der
                                                                                                             Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993 –
      Diese Ergebnisse bestätigen zunächst die      gleich mit dem Hessischen Krebsregister,                 Vorliegende Erkenntnisse und weitere Pla-
      Bewertungen der unmittelbar nach dem           sobald die ausreichende Vollzähligkeit ge­              nungen. Hessisches Ärzteblatt (2001) 62: 113-
                                                                                                             115.
      Störfall befragten Gutachter und der Ex-      ­geben sein wird.
                                                                                                         5. Möhrle A, Peters M. Störfall der Hoechst AG
      pertengruppe, die angesichts der toxiko-                                                               vom Februar 1993: Umfrage bei den niederge-
      logischen Stoffeigenschaften einiger der                                                               lassenen Ärzten erbrachte keine Hinweise auf
                                                    Literatur:                                               chronische Symptome und Erkrankungen. Hes­
      bei dem Chemiestörfall freigesetzten Subs­                                                             sisches Ärzteblatt (2001) 62: 448.
                                                    1. Schuckmann F, Mayer D: Der Störfall im Hoechst-
      tanzen zwar von einem höheren Krebsrisi-                                                           6. Cholmakow-Bodechtel C, Potthoff P, Bende­
                                                       Werk Griesheim. Toxikologische, arbeits- und
                                                                                                             lack T: Abschließende Gesundheitsuntersuchun­
      ko der Exponierten ausgingen, das aller-         umweltmedizinische Aspekte. Hessisches Ärz­
                                                                                                             gen zum Störfall Hoechst von 1993. Amt für
                                                       teblatt (1993) 54: 87-88.
      dings angesichts der Höhe, des Umfangs                                                                 Gesundheit Frankfurt am Main (Hrsg). München
                                                    2. Heudorf U, Peters M: Der Hoechst-Störfall vom
      und Dauer der Belastungen epidemiolo-                                                                  Dezember 2009. http://www.frankfurt.de/
                                                       Februar 1993. Ein Jahr danach. Hessisches
                                                                                                             sixcms/media.php/738/Stoerfall_1993.pdf
      gisch nicht darstellbar sein würde. Mit der      Ärzteblatt (1994) 55: 77-78.
                                                                                                         7. Heudorf U, Peters M: Der Störfall in der Fa.
                                                    3. Hahn A, Michalak H, Wolksi M, Heinemeyer G:
      hier vorgelegten Mortalitätsanalyse ist                                                                Hoechst AG vom 22. Februar 1993. Ausmaß
                                                       Bewertung der Gesundheitsstörungen nach
                                                                                                             der Umweltbelastung und Sanierungsverlauf.
      jedoch gewissermaßen nur die „Spitze             dem Störfall der Hoechst AG auf der Basis der
                                                                                                             Das Gesundheitswesen (1994) 56: 347-352.
                                                       ärztlichen Mitteilungen bei Vergiftungen nach
      des Eisbergs“ zu erfassen. Insofern wird         dem Chemikaliengesetz. Hessisches Ärzte-
                                                                                                         8. Hahn A, Michalak H, Noack K, Heinemeyer G:
                                                                                                             Ärztliche Mitteilungen bei Vergiftungen nach
      weiterhin das Ziel verfolgt, die Krebsinzi-      blatt (1994) 55: 87-88.
                                                                                                             § 16 e Chemikaliengesetz (Zeitraum 1990-1995)
                                                                                                             Zweiter Bericht der Dokumentations- und Be-
                                                                                                             wertungsstelle für Vergiftungen im Bundes­
                                                                                                             ins­titut für gesundheitlichen Verbraucher-
                                                                                                             schutz und Veterinärmedizin; Berlin 1996,
                                                                                                             S 44-45.
                                                                                                         9. Heudorf U, Neumann H-G, Peters M: Der Stör-
                                                                                                             fall in der Fa. Hoechst AG vom 22. Februar
                                                                                                             1993. 2. Gesundheitliche Bewertung. Das Ge-
                                                                                                             sundheitswesen (1994) 56: 405-410.
                                                                                                         10. Neumann HG: Toxikologisches Gutachten zum
                                                                                                             Störfall der Hoechst AG vom 22. Februar 1993;
                                                                                                             19. Oktober 1993 in Stadtgesundheitsamt: Der
                                                                                                             Störfall Hoechst AG vom 22. Februar 1993. Ein
                                                                                                             Jahr danach. Dokumentation, Frankfurt, Feb-
                                                                                                             ruar 1994; S. 53-66
                                                                                                         11. Neumann HG: Gesundheitsuntersuchung
                                                                                                             Störfall Hoechst. In Stadtgesundheitsamt: Der
                                                                                                             Störfall Hoechst AG vom 22. Februar 1993;
                                                                                                             22. Juli 1996 Expositionsregister des Bremer
                                                                                                             Instituts für Präventionsforschung und Sozial­
                                                                                                             medizin. Geschichte und aktueller Sachstand,
                                                                                                             Frankfurt, Februar 2001.
                                                                                                         12. Quelle: Stat. Bundesamt, gesundheitsstatisti­
                                                                                                             ken@destatis.de
                                                                                                         13. Als Quelle der Berechnungen wurde die alter-
                                                                                                             standardisierten Mortalitätsstatistiken des
                                                                                                             Statistischen Bundesamtes für Deutschland
                                                                                                             (www.destatis.de) verwendet.
                                                                                                         14. Heudorf U, Peters M: Human-Biomonitoring
                                                                                                             nach einem schweren Chemiestörfall – Ergeb-
                                                                                                             nisse der Untersuchungen nach dem Störfall
                                                                                                             in der Hoechst AG vom 22. Februar 1993. Das
                                                                                                             Gesundheitswesen (1994) 56: 558-562.

                                                                                                         Korrespondenzadresse
                                                                                                         PD Dr. med. Ursel Heudorf
                                                                                                         Amt für Gesundheit
                                                                                                         Breite Gasse 28, 60313 Frankfurt
                                                                                                         E-Mail: ursel.heudorf@stadt-frankfurt.de
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4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
                                                                                                    Landesärztekammer Hessen

„Lernwelt 2020“ – 40 Jahre Akademie für
 Ärztliche Fortbil­dung und Weiterbildung der
 Landesärztekammer Hessen
                                                                          zu Hatzbach, be-        Weiterbildung: Mit Dipl.-Betriebswirt und
                                                                          tonte die zentrale      MBA Carsten Hinze, dem Leiter des Future-
                                                                          Funktion der Aka­de­­   Markets-Centers Information, Kommunika­
                                                                          mie. Er bezeichnete     tion und Medien, hatte die Akademie ein
                                                                          es als eine Kernauf-    Mitglied der Gesellschaft für Wissensma-
                                                                          gabe der Landes-        nagement gewinnen können. Anschaulich
                                                                          ärztekammer Hes-        präsentierte er die technische und mediale
                                                                          sen, die Fortbildung    Weiterentwicklung der nächsten zehn Jah-
Professor Dr. Ernst-Gerhard Loch beim Vortrag über die Geschichte der
                                                                          ihrer Mitglieder zu     re. Seine teils leicht futuristischen Über-
Akademie                                              (Foto: K. Baumann)  unterstützen und zu     spitzungen regten die Zuhörerschaft zu
                                                                          fördern. In der Aka-    einem lebhaften Gedankenaustausch und
Unter der Überschrift: „Lernwelt 2020 – demie werde diese Aufgabe beispielhaft                    zu Diskussionen an. Für die Akademie
Zukunft der Fort- und Weiterbildung des umgesetzt. Dr. von Knob­lauch sprach al-                  zeigte sich, dass ihr eingeschlagener Weg
Arztes“ lud die Akademie für Ärztliche len Ehren- und Hauptamtlichen, die in den                  der richtige ist. Die früh eingeführten
Fortbildung und Weiterbildung ihre Mit- vielen Jahren an dem Aufbau der Fort- und                 Lernformen des Blended Learning sowie
glieder am 21. Februar zu einer besonde- Weiterbildungseinrichtung beteiligt waren,               des E-Learning werden in ihrer Bedeu-
ren Veranstaltung in der Reihe „Begeg- seinen Dank aus.                                           tung steigen und sollen weiter ausgebaut
nungen im Blauen Hörsaal“ ein.                                                                    werden. Der Frontalunterricht wird zuneh-
                                                   Die eigentliche Zeitreise begann mit dem       mend anderen didaktischen Formen wei-
Anlass war ein herausragendes Jubiläum: Rückblick auf 40 Jahre Akademie. Profes-                  chen. Auch die medialen Gegebenheiten
Am 21. Februar 1970 beschloss die Dele­ sor Loch und Sigrid Blehle, Geschäftsfüh-                 werden sich verändern, wobei haptische
gier­­tenversammlung der Landesärztekam­ rerin der Akademie, präsentierten Gegen-                 Elemente ihren Wert nicht verlieren werden.
mer die Gründung der Akademie. Heute stände aus der Geschichte der Akademie.                      Inwieweit alle vorgestellten technischen
 kann diese mit Stolz auf vierzig erfolgrei- Sie machten auf eindrucksvolle Weise deut­           Neuerungen im Alltag und im medizinischen
 che Jah­re Fort- und Weiterbildung zurück- lich, wie der Modellcharakter der Akademie            Bereich letztendlich Einzug in die Realität
 blicken. Der runde Geburtstag bot nun Ge­ im Laufe der Jahre zu ihrer Vorreiterrolle             halten, bleibt sicherlich abzuwarten.
­legenheit zu einer kleinen Zeitreise durch avanciert ist. So hat sich das Veranstaltungs­        Im Anschluss an den Vortrag würdigte der
 die vergangenen Jahrzehnte. Musikalisch angebot parallel zur wissenschaft­lichen und             ehemalige Vorsitzende der Akademie,
wurde die Reise von einem Gitarrentrio gesundheitspolitischen Entwicklung be-                     Professor Dr. med. Felix Anschütz, in einem
 der Musikschule Bad Nauheim einge- ständig erweitert. Eine Entwicklung, die                      persönlichen Grußwort die Fort- und Wei-
rahmt, das 2010 mit dem 1. Preis von „Ju- dem Anspruch der Aka­de­mie entspricht,                 terbildungseinrichtung der Landesärzte-
gend musiziert“ ausgezeichnet worden ist. Fort- und Weiterbildung immer auf quali-                kammer. Das Grußwort des erkrankten
Augenzwinkernd wies Professor Dr. med. tativ höchstem Niveau in Theorie und Pra-                  Psychotherapeuten Professor h.c. Dr. med.
Ernst-Gerhard Loch, Vorsitzender des Vor- xis anzubieten: Unabhängig und ohne die                 Nossrat Peseschkian wurde von Professor
standes der Akademie, in seiner Begrü- Berücksichtung von Interessen Dritter.                     Loch verlesen. Auch der Vorstand der Carl-
 ßung darauf hin, dass die große Resonanz                                                         Oelemann-Schule gratulierte. Die Veran-
auf die Einladung eine Verlegung der Ver- Gemäß dem Zitat von Albert Einstein                     staltung klang mit regen Diskussionen
anstaltung vom Blauen Hörsaal in den „Mehr als die Vergangenheit interessiert                     über die vergangenen 40 Jahre und den
größten Raum des Fortbildungszentrums mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich                   Ausblick in die Zukunft aus.
notwendig gemacht hatte.                           zu leben“ entwickelte anschließend der
                                                   Referent des Tages seine Visionen einer          Professor Dr. med. Ernst-Gerhard Loch
Der Präsident der Landesärztekammer Lernwelt im Jahr 2020 mit dem besonde-                                                    Sigrid Blehle
Hessen, Dr. med. Gottfried von Knoblauch ren Schwerpunkt der Ärztlichen Fort- und                                            Sandra Bauer
                                                                                                                                                217
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
      Landesärztekammer Hessen

      Interdisziplinäre Fortbildung für Allgemeinmediziner, Internisten und Pharmakologen
      aus Klinik und Praxis am 19. Mai 2010 in Bad Nauheim

  „Priorisierung in der Medikation –
  Therapien bei Multimorbidität“
      Multimorbidität und Multimedikation tre-      der Entlassungsmedikation im Kranken-        Referenten über wahrgenommene Proble-
      ten mit zunehmendem Alter häufiger auf.       haus zu einer Priorisierung mit einem op­    me in der ambulanten haus- und spezial-
      Sie sind im Rahmen des demographischen        ti­mierten Vorgehen in Therapie und Moni-    ärztlichen, stationären sowie sektorüber-
      Wandels durch eine steigende Zahl von         toring führen.                               greifenden Versorgung, entwickeln anhand
      Arztkontakten und Krankenhausaufenthal­                                                    klinischer Fallbeispiele Lösungsansätze
      ten gekennzeichnet.                           Aktuell werden multimorbide ältere Pati-     für die tägliche Praxis und erfahren in ei-
      Die Problematik der Multimedikation im        enten jedoch häufig mit einer Vielzahl von   nem abschließenden Ausblick von neuen
      Alter liegt vor allem in einer reduzierten    Medikamenten behandelt. Und gerade All­      Konzepten, wie sie beispielsweise in der
      Verträglichkeit von Medikamenten begrün­      gemeinärzte und hausärztlich tätige Inter-   PRIMUM-Studie des Instituts für Allgemein­
       det, die mit einer erhöhten Gefahr von un­   nisten stehen dabei vor vielfältigen Prob-   medizin (http://www.allgemeinmedizin.
      ­erwünschten Arzneimittelwirkungen und        lemen, insbesondere, da sie die Verord-      uni-frankfurt.de/forschung2/primum.
      unerwünschten Ereignissen einhergeht.         nungen verschiedener Fachspezialisten        html) gegenwärtig untersucht werden.
      Für den Einzelnen bedeuten sie Einbußen       koordinieren, umfangreiche Entlassungs-
      an Lebensqualität und Funktionalität so-      medikationen überprüfen und ihre Patien-       Veranstaltung siehe Seite 235
      wie ein erhöhtes Risiko für Hospitalisie-     ten über eine lange Zeit betreuen.
      rung und Tod. Für die Versorgung multi-                                                    Dr. med. Gert Vetter, Leiter des Seminars,
      morbider Patienten wird daher eine durch-     Außerdem führt eine unkontrollierte Multi­   Facharzt für Allgemeinmedizin, Lehrbeauf­
       dachte, arzneimittelsparsame Verordnung      medikation zu zunehmenden Kosten im           tragter des Instituts für Allgemeinmedizin,
      mit patientenorientiertem (anstelle krank-    Gesundheitswesen. Diese Kosten sind un-      Frankfurt a.M.
       heitszentriertem) Ansatz gefordert. Klare    nötig. Sie zu senken, wird als Herausfor-     Referenten: Professor Dr. med. Sebas­tian
      therapeutische Ziele unter Berücksichti-      derung für die Gesellschaft angesehen.        Harder, Facharzt für klinische Phar­mako­
      gung von Nutzen und Risiken verfügbarer                                                     logie, Institut für Klinische Pharmakolo-
      Therapien sollen unter Einbeziehung der       Ausgehend von einem Statusreport über        gie/ZAFES und Dr. med. Christiane Muth,
      Patientenperspektive (Behandlungsziele,       zentrale Probleme bei der Arzneimittel-      MPH, Fachärztin für Innere Medizin, Insti-
      Präferenzen, Erwartungen) nicht nur in der    verordnung im ambulanten Bereich disku-       tut für Allgemeinmedizin, beide Johann Wolf­
      ambulanten Versorgung, sondern auch bei       tieren Teilnehmer mit interdisziplinären     ­g ang Goethe-Universität, Frankfurt a.M.

                                            Europäische Tagung am 6. Mai 2010
                    Interpersonelle Gewalt und Interventionen im Gesundheitswesen
        Das europäische Jahr 2010 richtet sich gegen Armut und Aus-       ganisation) und Professor Gene Feder von der Universität Bristol/
        grenzung. Interpersonelle Gewalt – insbesondere Partnerge-        England werden in die Thematik einführen. Europäische Refe-
        walt gegen Frauen – kann zu Armut und Ausgrenzung führen.         rent/innen stellen im Anschluss die Situation in ihrem Land
        Die Arbeitsgruppe „Gesundheitsschutz bei interpersoneller         dar. Abschließend werden auf einem Podium Strategien für
        Gewalt“ des Fachbereichs Pflege und Gesundheit der Hoch-          eine Nachhaltigkeit von Interventionen in der Gesundheitsver-
        schule Fulda lädt im Rahmen der bundesweiten Europawoche          sorgung diskutiert.
        (vom 2. bis 10. Mai) zu einer Tagung ein. Mit europäischen Ex-
                                                                          Veranstaltungsort ist das Hochschulzentrum – Fulda Transfer,
        pert/innen werden Strategien im Umgang mit sozialen- sowie
                                                                          Heinrich-von-Bibra-Platz 1b, Fulda.
        gesundheitlichen Folgen von Gewalt ausgetauscht. Dr. Claudia
        Garcia-Moreno als Vertreterin der WHO (Weltgesundheitsor-         Weitere Information: Anna Grundel, Fon: 0661 9640619

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„Auf einmal bleibt die Welt stehen“
Bad Nauheimer Gespräch über neue gesetzliche Regelungen in der Pränatalmedizin/
Hoher Beratungsaufwand stößt auf Kritik

„Man denkt sich, dass die Untersuchung Totgeborene und 110.000 Schwangerschafts­         entgegen zu wirken, sagte die Kölner Pro-
 Routine ist. Aber auf einmal bleibt die abbrüche registriert. Darüber hinaus wur-       fessorin. Seit In-Kraft-Treten der neuen
 Welt stehen!“: Mit diesem Zitat einer Pa­ den ca. 1,5 Mio Ultraschalluntersuchun-       gesetzlichen Regelung müssen zwischen
 tientin, die gerade erfahren hat, dass ihr gen, ca. 75.000 invasive Pränataldiagnos-    der Diagnose und der schriftlichen Fest-
 ungeborenes Kind behindert ist, machte tiken und ca. 50.000 auffällige Befunde          stellung der Indikation zur Abtreibung
 Professor Dr. med. Christiane Woopen gemeldet. Jüngste Schlagzeilen von einem           mindestens drei Tage liegen. Auch wenn
 gleich zu Beginn des jüngsten „Bad Nau- auffälligen Rückgang der Schwanger­schafts­     Beratung und Bedenkzeit nichts an dem
 heimer Gesprächs“ die schockierende abbrüche konnte die Referentin nicht be-            Dilemma änderten, in dem sich die Schwan­
 Wucht der Diagnose deutlich. Was ist in stätigen: „Das ist dummes Zeug.“ Zwar           gere nach der Diagnose einer Behinde-
 dieser Situa­tion zu tun? Welche Entschei- seien die Zahlen von 1990 bis 2008 gesun-    rung befinde, könnten Automatismen, die
 dungen sind zu treffen? Steht am Ende der ken, zugleich seien aber auch die Geburten    zur sofortigen Abtreibung führten, verhin-
 Entschluss zum medizinisch-sozial indizier­ zurückgegangen. Der Großteil der Abbrüche   dert werden, erklärte Woopen. Das neue
 ten Schwan­gerschaftsabbruch? Diesen finde zwischen der 13. und 23. Wo­che statt.       Schwangerschaftskonfliktgesetz messe
 Fragen ging die Kölner Professorin für Ge-                                              der interdisziplinären Kooperation große
 schichte und Ethik der Medizin, Leiterin Interdisziplinäre                              Bedeutung bei, da sowohl die Planung der
 der Forschungsstelle Ethik und stellver- Zusammenarbeit                                 Zukunft als auch die mögliche Gestaltung
 tretende Vorsitzende des Deutschen Nati- Beispiel Trisonomie 21: „Alle redeten auf      des Abschiedes vom Kind eine Ergänzung
 onalen Ethikrates, in ihrem Vortrag mit mich ein. Ich konnte mein Kind nicht            durch andere Disziplinen und psychosozi-
 dem Titel „Pränatalmedizin – Neue gesetz­ schützen“, zitierte Woopen eine Patientin,    ale Beratungssysteme wichtig machten.
 liche Regelungen und ihre Auswirkungen“ bei deren ungeborenem Kind das Down-
 nach. Woopen hat beratend an den ge- Syndrom diagnostiziert worden war. Für             Seit Beginn diesen Jahres müssen die un-
 setzlichen Änderungen in der Pränatalme- viele Frauen breche nach der Amniozentese      tersuchende Ärztin oder der untersuchen-
 dizin mitgewirkt. Am 1. Januar 2010 ist das eine Welt zusammen. Man müsse daher         de Arzt daher nicht nur selbst ausführlich
 geänderte Schwan­gerschaftskon­fliktge­setz viel früher beraten, um Panikreaktionen     beraten, sondern Ärzte zur Beratung hin-
 in Kraft getreten; vier Wochen später, am
1. Feb­ruar, folgte das neue Gendiagnostik-
 gesetz. Beide Gesetze erweitern die Bera-
 tungspflichten des Arztes vor und nach
 den Untersuchungen erheblich.

So verpflichten die neuen Regelungen des
Schwangerschaftskonfliktgesetzes Ärztin­
nen und Ärzte dazu, schwangeren Frauen
vor und nach einer Diagnose, die nach
geltendem Recht einen Schwangerschafts­
abbruch nach der 12. Schwangerschafts-
woche erlaubt, ausführlich und ergebnis-
offen zu beraten. Woopen zeigte Verständ­
nis für die Kritik vieler Gynäkologen an
dem hohen zusätzlichen Aufwand, bezeich­
nete die intensiven Beratungen jedoch als
sinnvoll. Eine Überzeugung, die sie auch
mit Zahlen belegte: Im Jahr 2008 wurden
insgesamt 680.000 Lebendgeborene, 2.400
                                                                                                                                      221
4 2010 • Hessisches Ärzteblatt
      Landesärztekammer Hessen

       zuziehen, die bereits über Erfahrungen       seien verunsichert, wollten die ausführ­        versäumte Beratungspflichten mit Ord-
       mit der diagnostizierten Gesundheitsschä­    liche Beratungen oft gar nicht in Anspruch      nungsgeld geahndet werden. Damit werde
       digung bei geborenen Kindern verfügen.       nehmen und wunderten sich darüber, alles        der Arztberuf kriminalisiert. Während ein
       Außerdem sind die Ärztin oder der Arzt       schriftlich mit ihrer Unterschrift bestätigen   Krankenhausarzt im Publikum Woopens
       verpflichtet, Kontakte zu psychosozialen     zu müssen. Auch Dr. med. Klaus König,           Einschätzung beipflichtete, dass in der
       Beratungsstellen, zu Selbsthilfegruppen      Landesvorsitzender Hessen und 2. Vorsit-        Vergangenheit nicht flächendeckend die
       und Behindertenverbänden zu vermitteln.      zender des Bundesvorstandes des Berufs-         gleiche hohe Qualität bei der Beratung fest­
      „Das ist mühsam, macht aber Sinn,“ argu-      verbandes der Frauenärzte, wandte sich          zustellen gewesen sei, nannten andere
       mentierte Woopen. Denn die betroffenen       gegen die Fülle der Papiervorlagen und          Ärzte den jetzt geforderten Beratungsauf-
       Frauen interessierten sich nicht in erster   forderte ein einheitliches Formular. Bei        wand schlichtweg „unrealistisch“. Auf Em­
       Linie für medizinische Details, sondern      auffälligen Befunden habe man schon vor         pörung stieß die Erwartung des Gesetzge-
       vor allem für die Auswirkungen auf den       In-Kraft-Treten des Gesetzes ausführlich        bers, dass die zusätzlichen Leistungen
       Lebensalltag: „Was bedeutet die Behinde-     beraten, berichtete ein niedergelassener        ohne zusätzliche Bezahlung zu erbringen
       rung für mein Kind, welcher Aufwand          Frauenarzt. „Wunderbar, wenn dies bei           seien. Woopen räumte ein, dass die neuen
       kommt auf mich zu?“ Die Medizinethikern      Ihnen immer schon so war“, entgegnete           gesetzlichen Regelungen noch einige Un-
       betonte zugleich die Notwendigkeit, dass     Woopen. Die Erfahrung zeige jedoch, dass        klarheiten enthielten, denen nachgegan-
       sich auch jene Berufsgruppen, die in die     dies nicht überall der Fall gewesen sei. Im     gen werden müsse. Sie zeigte sich jedoch
       psychosoziale Beratung eingebunden seien,    Übrigen: Wenn er und viele seiner Kolle-        davon überzeugt, dass sich die neuen Re-
       fortbilden. Eine Forderung, die man aller-   gen die eigenen Patientinnen seit jeher         gelungen nach den anfänglichen Schwie-
       dings nicht an Selbsthilfe- und Behinder-    optimal behandelten – was ändere sich           rigkeiten bewähren würden. Auch ihr
       tengruppen richten könne.                    dann durch das neue Gesetz? Es sei die          Schluss­wort klang tröstlich: Bei aller De-
                                                    Flut an Formularen, die nun zu einem regel­     tailversessenheit rechtlicher Regelungen
      Verunsicherte Patientinnen                    rechten Formularkrieg führe und nicht zu        könne kein Gesetz der Welt das umfassen,
      und Formularflut                              bewältigen sei, lautete die Antwort.            was eine gelungene Arzt-Patienten-Bezie-
      „Riesiger Aufwand“, „völliges Chaos“,                                                         hung ausmache.
      „Nötigung“ – so urteilten viele Gynäkolo- „Das ist von uns Niedergelassenen über-
       gen unter den Zuhörern über die neuen haupt nicht zu leisten,“ bestätigte eine
       gesetzlichen Regelungen. Die Patientinnen Ärztin und kritisierte darüber hinaus, dass                                         Katja Möhrle

                                                                                          9. Gersfelder Gesundheitstage
                                                                                           in Stadthalle und Schlosspark Gersfeld
                                                                                    am Samstag/Sonntag, 8./9. Mai 2010, 9:30 bis 18:00 Uhr

                                                                               Überregionale Publikumsveranstaltung rund um die Naturheilkunde
                                                                               und gesunde natürliche Lebensweise. Medizinisches Vortragsforum
                                                                               u.a. mit Benediktinermönch Pater Anselm Grün, großer Gesundheits-
                                                                               markt (ca. 60 Aussteller), naturheilkundliche Gesundheitsprüfungen,
                                                                               Sport-Schnupperkurse, Gewinnspiel, Vollwert-Snacks, Kaffee/Kuchen
                                                                               u.v.m. Eintritt zum Gesundheitsmarkt und vielen Veranstaltungen
                                                                               frei. Eintritt in das Vortragsforum 10 Euro/Tag.
                                                                               Veranstalter: Schlosspark-Klinik Gersfeld und Gesellschaft zur Ent-
                                                                               wicklung und Förderung der Naturheilkunde e.V.
                                                                               Informationen und Programm über TextDesign Tonya Schulz GmbH,
                                                                               Fon: 09777 3235 oder unter www.gersfelder-gesundheitstag.de

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