CLB Chemie in Labor und Biotechnik
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CLB Analytik Biotechnik Optimierte Prozesse Komplexe Materialien Maßgeschneiderte Moleküle Menschen und Chemie Chemie in Labor und Biotechnik Aus- und Weiterbildung Geschmacksrezeptoren EU-Chemikalienpolitik Liebigs Fehlleistung Ionenchromatographie-Praxis 03 / 2003 D 2046 E
CLB-Geschichte Für textile Zwecke verwendete man noch vor 100 Jahren fast ausschließlich Natur- (Fortsetzung auf Umschlagseite 3) fasern. Hierher gehören die Proteinfasern Wolle und Seide sowie die natürlichen Cellulosefasern wie Baumwolle, Flachs und Hanf. Eine der wichtigsten künstlichen Cellulosefasern, die Viskose, war 1892 entdeckt worden. 1927 betrug der Anteil an Reyon1 nur etwa zwei Prozent, 1947 bereits 18 Prozent. Vollständig künstliche Fasern gibt es etwa seit Mitte der 1930er Jahre (siehe nebenstehenden Artikel). Heute gibt es kaum grundsätzliche Neuerungen bezüglich der Fasermaterialien (Polyamid, Polyester) wohl aber gewaltige Fortschritte bei den Funktionalitäten von Geweben, wie zum Beispiel Elastizität oder Atmungsakti- vität. In die Zukunft völlig neuer Fasern, die beispielsweise aus Kohlenstoffnanoröhr- chen bestehen oder wie ein photonischer Kristall aufgebaut sein könnten, weist der Artikel in dieser CLB ab Seite 104. 1 Bis 1950 nannte man alle auf Cellulosegrund- lage gesponnenen endlosen Textilfasern Kunstseide. Das dann in Anlehnung an den Sprachgebrauch in anderen Ländern übliche „Reyon“ konnte sich in Deutschland nicht recht durchsetzen, wird aber in CLB-Artikeln von 1951 verwendet. U2 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003
Liebe CLB-Leserin, lieber CLB-Leser, die geplante neue europäisch Chemikalienpolitik Bei dem Artikel über Geschmacksrezeptoren (ab stößt bei der Industrie nicht gerade auf Gegenlie- S. 88) habe ich mir überlegt, ob ich nicht einen be, sollen mit ihrer Einführung doch Zusatzkos- Hinweis machen sollte: „Achtung, dieser Artikel ten in Milliardenhöhe auf Chemieproduzenten kann Informationen enthalten, die missbräuchlich zukommen (siehe Artikel S. 96 ff). Unbestrittten Verwendung in bösen Nutzungen finden könn- ist der Zweck des neuen REACH-Systems: Es soll ten!“ Schließlich haben sich in dem zur Zeit ver- die menschliche Gesundheit und die Umwelt stärkenden Klima restriktiver Informationspolitik schützen. Die Komplexität der notwendigen An- doch etliche Verleger und Chefredakteure von nahmen, die Vielfalt der Chemikalien lässt aber Wissenschaftsmagazinen wie auch „Nature“ und eben genügend Raum für Streitfragen. „Science“ zur „Verantwortung von Wissenschaft und nationaler Sicherheit“ bekannt. Danach Sicherlich ist es einfacher, den sollen sicherheitsrelevante Publikationen einer amerikanischen Weg zu gehen: Kontrolle unterzogen werden. Sollte das poten- Während man in Europa gemäß tielle Risiko eines Manuskripts größer sein als des Vorsorgeprinzips von einer der gesellschaftliche Nutzen, behalten sich die grundsätzlichen Gefährlichkeit Herausgeber vor, den Beitrag zu modifizieren der Stoffe ausgeht, ist die An- oder zurückzuweisen. Ein Maulkorb für die Wis- nahme der Ungefährlichkeit senschaft also! Vielleicht sollte man seine Süß- von Stoffen Grundlage der US- stoffrezeptoren, die in dem Artikel beschrieben Chemikalienpolitik. Einfaches werden, doch einmal etwas überreizen, damit amerikanisches Politikerden- man den ganzen Unmut herausbrechen kann, ken hat uns allerdings gerade der sich bei dem Betrachten jetziger politischer wiederum einen Irak-Krieg be- Tendenzen ansammelt. Oder man gibt sich we- schert, der die vielschichtigen nigstens den euphorisierenden Effekten hin, die Vorstellungen und Anforderun- der Schokolade nachgesagt werden. gen der meisten Menschen der Welt außen vor lässt. Damit tritt Zumindest eine wichtige positive Nachricht sie das aufkeimende Pflänzchen kann man in diesen Tagen verzeichnen. Nach einer Weltgerechtigkeit, die Schreckensmeldungen über Kürzungen der For- langfristig zu Verlässlichkeit und Sicherheit schungsförderungen durch die Bundesregierung führen soll – den Grundlagen des allgemeinen Ende des letzten Jahres konnten Forschungsor- Wohlstandes – mit Füßen. Dem alten, gerad- ganisationen jetzt die Ankündigung von Bundes- linigen Schweizer Nationalepos von Schiller kanzler Gerhard Schröder begrüßen, dass ihre Wilhelm Tell folgt amerikanische Politik ja auch Etats ab 2004 um jährlich drei Prozent erhöht im Umweltschutz: Simpel nimmt sie für sich das werden sollen. Vielleicht sollten die Forschungs- vor mehr als 200 Jahren wohl gültige Zitat „Der institute noch schnell ein paar brandneue Geräte Starke ist am mächtigsten allein“ noch immer in den USA kaufen. In den 80er Jahren konn- in Anspruch. Sie verweigert die Unterschrift ten US-Firmen ihre Gaschromatographen und unter das Kyoto-Protokoll zur Verminderung Massenspektrographen selbst in Westdeutsch- des Treibhausgas-Ausstoßes. Dann kann man ja land nur mit ausdrücklicher Zustimmung der wohl nicht für entsprechende Umweltbelastun- US-Regierung verkaufen, nachdem der Käufer gen belangt werden – wie auch nicht allgemein für würdig befunden wurde... völkerrechtlich, bleibt man dem internationalen Gerichtshof in den Haag fern... Über neue Trends Ihr zum Umweltschutz und zu nachhaltiger Chemie Editorial berichtet in dieser Ausgabe ab Seite 100 Prof. Wolfgang Hasenpusch. CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003 81
INHALT Menschliche Geschmacksrezeptoren Aufsätze Warum Süßes süß schmeckt ___________________________________ 88 Liebig und die entgangene Entdeckung des Elementes Brom „Schlampige Untersuchungen“ _________________________________ 92 Europäische Chemikalienpolitik und deutsche Unternehmen Streit um geplantes REACH-System _____________________________ 96 Vom Umgang mit den Ressourcen unserer Erde Nachhaltige Chemie _________________________________________ 100 Editorial ___________________________________________________ 81 Rubriken Impressum _________________________________________________ 83 F & E im Bild ________________________________________________ 83 Unternehmen _______________________________________________ 84 Personalia __________________________________________________ 86 Förderungen / Preise _________________________________________ 87 Umschau Gentechnik und Nano-Materialien im Einsatz für neue Gewebe Spannende Fasern __________________________________________ 104 Patentanmeldung in der Femtosekundenanalytik Krümmungsprofile von Wellenfronten ermitteln__________________ 108 Enzyme machen Holzfaserstoffe umweltfreundlicher Hydrolasen ersetzen Klebstoffe _______________________________ 109 Forschung und Technik ______________________________________ 110 Software __________________________________________________ 112 Wirtschaft _________________________________________________ 113 Literatur / Multimedia _______________________________________ 114 Service ___________________________________________________ 115 Neue Produkte _____________________________________________ 116 Bezugsquellenverzeichnis ____________________________________ 119 Moderne Ionenanalytik (Teil 3): Ionenchromatographie CLB-Memory Stationäre / mobile Phasen – Praxis Wasseranalytik_______________ M17 Frische Brise in den Universitäten Unis wählen Studis – Bachelor im Aufwind ______________________ M23 Fragen zu Grundlagen der Chemie _____________________________ M24 82 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003
F & E im Bild Revolutionäre Displays kommen Größere Displays für kleinere mobile Geräte wird es in naher Zukunft geben. Das „Paperlike Display“, das Siemens auf der CeBIT 2003 zeigte, ist flexibel, ja sogar aufrollbar und nicht dicker als einen halben Millimeter (großes Bild: Siemens). Es lässt sich damit in kleinste Geräte integrieren, denen niemand diese überproportionale Anzeigengröße zutrauen würde. Damit eignet es sich zum Beispiel für Straßenkarten, E-Mails oder eine elektronische Zeitung. Der wesentliche Vorteil gegenüber einem klassischen Printmedium liegt darin, dass das flexible Display stets aktuelle Informationen anzeigt, die ständig durch einen Server und mit moderner Kommunikationstechnik auch drahtlos auf den neuesten Stand gebracht werden. Und noch eine Neuigkeit zu Displays, die wir moderner Chemie verdanken: Der taiwanische LCD-Hersteller Chi Mei Optoelectronics (CMO) hat nach eigenen Angaben das derzeit größte organische Display gefertigt (kleines Bild: CMO). Der Prototyp des 20-Zoll-OLED wurde zusammen mit den IBM Research Laboratories entwickelt. CMO und IBM Japan gründeten vor rund zwei Jahren das Joint Venture International Display Technology. Eine Besonderheit des 20“-OLED: Die Transistoren zur Ansteuerung der organischen Leuchtschichten sind aus amorphem Silizium. Bisher nutzt man inOLEDs polykristallines Silizium, das eine höhere Elektronenbeweglichkeit hat. Amorphes Silizium lässt sich jedoch einfacher und damit kostengünstiger großflächig herstellen. Da auch herkömmliche Flüssigkristallschirme Pixeltransistoren aus a-Silizium nutzen, könnte das OLED von IDTech zudem auf den vorhandenen LCD-Produktionslinien gefertigt werden. Nachteil bisher: Die geringe Lebensdauer... Impressum CLB Chemie in Labor und Biotechnik Ständige Mitarbeiter: Layout und Satz: Anzeigenpreisliste: Dr. Mechthild Kässer, Diekholzen; Hans Agentur & Verlag Rubikon Nr. 42 vom 1.1.2002. Bei Nichterscheinen Verlag: Dietrich Martin, Köln; Dr. Uta Neubau- Druck: Printec Offset, Ochshäuser Straße durch Streiks o. Störung durch höhere Ge- Agentur & Verlag Rubikon er, Bad Soden; Dr. Ognian Serafimov, 45, 34123 Kassel walt besteht kein Anspruch auf Lieferung. für technische und wissenschaftliche Konstanz; Jürgen Wagner, Weinheim; Fachinformation Hans-G. Winkler, Meyenfeld; Dr. Röbbe CLB erscheint monatlich. Die Zeitschrift und alle in ihr enthalte- Rolf Kickuth Wünschiers, Köln. nen einzelnen Beiträge und Abbildun- Anschrift: Bezugspreise: gen sind urheberrechtlich geschützt. CLB, Agentur & Verlag Rubikon VBTA-Verbandsmitteilungen: CLB Chemie in Labor und Biotechnik mit Jede Verwertung außerhalb der engen Bammentaler Straße 6–8 Thomas Wittling, Raiffeisenstraße 41, der Beilage „CLB-MEMORY“. Einzelheft Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist 69251 Gaiberg bei Heidelberg 86420 Diedorf, – außerhalb des Abonnements – 8,60 ohne Zustimmung des Verlags unzuläs- Deutschland Telefon (0821)327-2330 Euro, im persönlichen Abonnement jähr- sig und strafbar. Das gilt insbesondere e-Mail: redaktion@clb.de Fax (08 23 8) 96 48 50 lich 87 Euro zuzüglich Versandkosten; für Vervielfältigungen, Übersetzungen, e-Mail: info@vbta.de ermäßigter Preis für Schüler, Studenten Mikroverfilmungen und die Einspeiche- Herausgeber: und Auszubildende (nur gegen Vorlage rung und Verarbeitung in elektronischen Dr. Dr. U. Fitzner, Düsseldorf · Prof. Dr. Anzeigenberatung: der Bescheinigung) jährlich 67,10 Eu- Systemen. W. Fresenius, Taunusstein · Prof. Dr. Lutz Krampitz ro zuzüglich Versandkosten, inkl. 7% Für die Rückgabe unverlangt eingesand- K.-H. Koch, Dortmund · Priv. Doz. Dr. Am Schützenhaus 8, 47055 Duisburg MWSt. Ausland sowie Firmenabonne- ter Buchbesprechungsexemplare kann H.-M. Kuß, Duisburg · Prof. Dr. Georg Telefon (02 03) 73 85-1 64 ments (Staffelpreisliste nach Anzahl) auf keinerlei Gewähr übernommen werden. Schwedt, Clausthal-Zellerfeld · Prof. Dr. Fax (02 03) 73 85-1 65 Anfrage. Bezug durch den Buchhandel G. Weichbrodt, Aalen · Prof. Dr. G. Wer- e-Mail: anzeigen@clb.de und den Verlag. Das Abonnement ver- ISSN 0943-6677 ner, Leipzig. längert sich jeweils um ein weiteres Jahr, Abonnentenbetreuung: falls nicht 8 Wochen vor Ende des Be- Redaktion: Natalia Khilian zugsjahres Kündigung erfolgt. Rolf Kickuth (RK, verantwortlich; CLB, Agentur & Verlag Rubikon Erfüllungsort ist Heidelberg. Mitglieder e-Mail: kickuth@clb.de), Bammentaler Straße 6–8 des VDC sowie des VBTA erhalten CLB Dr. Maren Bulmahn (MB, 69251 Gaiberg bei Heidelberg zu Sonderkonditionen. e-Mail: bulmahn@clb.de) Telefon (0 62 23) 97 07 43 Telefon (0 62 23) 97 07 43 Fax (0 62 23) 97 07 41 Fax (0 62 23) 97 07 41 e-Mail: service@clb.de CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003 83
Unternehmen Künftig spezieller Fokus auf China NACHRICHTEN & NOTIZEN Der Vorstand der Gene Scan Europe AG hat Wacker seit 20 Jahren in Asien mit der Eurofins Scientific S.A., Brüssel Nantes, eine Vereinbarung über die Abgabe eines öffentli- chen Übernahmeangebots getroffen. Eurofins ist ein international tätiges Unternehmen für bioanalytische W acker feiert in Tokio das 20jährige Bestehen seiner ersten Niederlassung spezieller Fokus liege dabei auf China. In Japan produziert das Un- Dienstleistungen im Bereich Lebensmittel, Pharma und im asiatisch-pazifischen Raum. ternehmen Halbleiterprodukte Umwelt. Der Vorstand von Gene Scan erwartet weit- 1983 startete der Konzern und Silicone. Die Wacker NSCE reichende Synergien für beide Gesellschaften, haupt- in Tokio. Inzwischen verfügt Corporation, ein Joint Venture sächlich auf dem Gebiet der GMO-Analyse aber auch Wacker über sechs Produkti- der Wacker Siltronic AG und der für die Biochip-basierten Dienstleistungen der Phar- onsstandorte in Indien, Japan, Nippon Steel Corporation, fertigt makogenetik und Toxikologie. Malaysia und Singapur. Sieben in Hikari Wafer in Durchmessern Roche und Genentech, Inc. erhalten das Patent technische und mehr als 20 von 150 bis 300 Millimetern. Die vom US-amerikanischen Patentamt (PTO) für ent- Verkaufsbüros unterstützen Oberflächenveredelung von Silici- scheidende Verfahrensschritte bei der Herstellung von Kunden vor Ort. Mit über 1700 umscheiben und das Ziehen von rekombinanten Interferon alfa. Das Biomolekül dient Mitarbeitern erwirtschaftete 150 bis 300 Millimeter Kristallen zur Behandlung von Krebs und Hepatitis C. Betroffen der Konzern im Asien-Pazifik- erfolgen auch dort. sind die Interferon alfa Arzneimittel Pegasys (Peginter- Raum im Geschäftsjahr 2001 Die Wacker Asahikasei Silicone feron alfa-2a) und Roferon-A (Interferon alfa-2a). Der mehr als 500 Millionen Euro. Co. ist ein Joint Venture zwischen Patentschutz gilt bis zum 19. November 2019. Dies entspricht fast 20 Prozent der Wacker-Chemie GmbH und der Die Europroteome AG in Hennigsdorf bei Ber- des Konzernumsatzes. Asahi Kasei Corp. und der viert- lin übernimmt die volle unternehmerische Füh- In der Region Asien-Pazifik ins- größte Siliconproduzent in Asien. rung der Phase-it Intelligent Solutions AG, einer gesamt erwartet der Konzernchef Am Produktionsstandort Akeno, Ausgründung aus dem Deutschen Krebsforschungs- Dr. Peter-Alexander Wacker für etwa 100 Kilometer nordöstlich zentrum. Die Transaktion, die das Ergebnis der bereits die Chemieaktivitäten während von Tokio, verfügt Wacker über länger bestehenden Kooperation zwischen beiden der nächsten Jahre ein überdurch- Produkt- und Verfahrensentwick- Unternehmen ist, soll die Kompetenzen von Euro- schnittliches Marktwachstum im lung, technischen Service, sowie proteome in der Entwicklung neuer Krebsdiagnostika zweistelligen Prozentbereich. Ein Produktion und Lagerhaltung. und -therapeutika um moderne Methoden zur Identi- fizierung neuer Muster von Biomarkern für spezifische Patientengruppen ergänzen. Die Merck KGaA hat sich entschlossen, ihre weiteren Planungen für eine neue großtechnische Geschäft mit Cyaniden Bioanalytik in China Anlage zur Herstellung therapeutischer Proteine auf Eine Ausgründung aus dem Pro- den Standort Jena in Thüringen zu konzentrieren. In duktbereich Bergbauchemikalien der geplanten Anlage soll die neueste Generation bio- des Geschäftsbereichs Bleich- & logischer Wirkstoffe zur Krebsbehandlung hergestellt Wasserchemie der Degussa AG werden. Die rund 300 Millionen Euro teure Investition ist die neue Cyplus GmbH. Das würde insgesamt rund 260 neue Arbeitsplätze und 20 Unternehmen beliefert mit rund Ausbildungsplätze schaffen. Die endgültige Entschei- 100 Mitarbeitern Kunden in den dung zum Bau der Anlage steht allerdings noch aus. Branchen Bergbau, chemisch-phar- Die Celanese AG hat von der Chinesischen mazeutische Industrie und Ober- Regierung die Genehmigung zur Errichtung einer flächenbehandlung mit Cyaniden. Berthold Technologies hat einen Essigsäure-Anlage erhalten. Als Standort wird der Weltweit geht der größte Anteil neuen Distributionspartner in Nanjing Chemical Industry Park in der Provinz Jiangsu an Cyaniden in den Bergbau. Rund China: Cold Springs, der bisherige im Osten Chinas dienen. Für die Anlage ist eine Jahres- 70 Prozent werden hier zur Gewin- Vertriebspartner für Taiwan, hat kapazität von 600 000 Tonnen vorgesehen. Celanese nung von Gold aus Erz eingesetzt. in Peking und Shanghei Vertriebs- erwartet den Start der Produktion ab Ende 2005. Ein weiterer großer Anteil der Cy- und Serviceniederlassungen ge- Die Degussa AG überführt ihr Projekthaus Nano- anidproduktion geht in die chemi- gründet. Laut Berthold Breitkopf, materialien in die „Degussa Advanced Nanomateri- sche Industrie, unter anderem zur Geschäftsbereichsleiter Bioana- als“, die sich mit derzeit 20 Mitarbeitern bis 2006 Herstellung von Aminosäuren oder lytische Instrumente, hat unter als profitable Geschäftseinheit etablieren soll. Dazu pharmazeutischen Wirkstoffen. In anderem das profunde Fachwissen stellen die Degussa-Corporate-Venture-Gesellschaft der Oberflächenbehandlung wer- der Mitarbeiter von Cold Springs Creavis Technologies & Innovation und der Degussa- den mit Hilfe von Cyaniden sowohl Berthold Technologies zu einem Geschäftsbereich Aerosil & Silanes in den nächsten vier Metalle mit anderen Metallen der Marktführer im Bereich Lumi- Jahren bis zu 25 Millionen Euro zur Verfügung. beschichtet als auch Stahl an der neszenz- und Fluoreszenzgeräte in Oberfläche gehärtet. Taiwan gemacht. 84 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003
Unternehmen Zuwachs im Ausland und Umsatzeinbußen im Inland bei Jumo Flachmembranglas für robuste pH-Elektroden E in durchwachsenes Ge- schäftsjahr haben die über 1600 Mitarbeiter der M. K. Russland hat kürzlich ein erstes Au- ßenbüro in Perm eröffnet. In China hat man zusätzliches Personal für Juchheim GmbH & Co (Jumo) die Temperaturfühlerproduktion hinter sich. Die Ergebnisse des eingestellt. Vorgefertigte Teile vergangenen Jahres und geplan- liefert das Werk Fulda an. In China te Produktneueinführungen baut man diese ausschließlich für stellte das Unternehmen kürz- den dortigen Markt zusammen lich in Fulda vor. Die Produkte – ein Reimport finde nicht statt, des ursprünglich reinen Ther- wie Bernhard Juchheim, geschäfts- mometerherstellers reichen führender Gesellschafter des Un- heute von Einbauthermostaten ternehmens, betonte. für die Heizungstechnik über Die pH-Elektrodenherstellung Bildschirmschreiber zur FDA- hat bei Jumo eine lange Traditi- Gegenüber dem Geschäftsjahr 2001 ist der Umsatz von Jumo Fulda um rund acht Prozent zurückgegangen. Die konformen Datenaufzeichnung on. Auch heute entwickelt man ausländischen Tochtergesellschaften konnten ihren Umsatz bis zu fluoridtoleranten pH- die Glasmembranrezepturen im gegenüber 2001 um über zwei Prozent steigern. Der gesamte Elektroden. eigenen Hause und beschäftigt Exportanteil 2002 betrug 33,5 Prozent. Für das Geschäftsjahr Ähnlich dem bundesweiten Glasbläser, die an einer ständi- 2003 kündigt die Jumo-Gruppe einen Gesamtumsatz von 148 Rückgang bei Produktion und gen Verbesserung der Elektroden Millionen Euro an. Dies bedeutet eine Umsatzsteigerung von Umsatz in der Elektrotechnik- und arbeiten. Bereits seit fünf Jahren rund vier Prozent (Grafik: Jumo). Elektronikindustrie verzeichnete besteht der Gelelektrolyt der das Unternehmen Umsatzeinbußen Einstabmessketten aus KCl-Gel dustrie in Ätzbädern zum Einsatz im Inland. Im Ausland hingegen ge- und enthält kein Acrylamid mehr. kommt, hat laut Jumo eine etwa 17 lang ein Zuwachs im Umsatz. Jumo Neueste Produkte sind eine Hoch- mal höhere Bruchfestigkeit als her- Frankreich feierte 25jähriges Be- temperatur- und eine besonders kömmliche Kugelmembranen und stehen, Jumo Schweden gründete fluoridtolerante pH-Messkette. besteht aus einer Glasmischung, im letzten Jahr ein Tochterunter- Diese Flachmembranglaselektrode, die bis 1000 Milligramm pro Liter nehmen in Norwegen und Jumo die beispielsweise in der Chip-In- HF fluoridbeständig ist. MB Kooperationsvertrag Hochreine Chemikalien Die Borchers GmbH, im Bayer-Konzern der Spezialist gegen Krebs für die Elektronik für Lackadditive, hat in Langenfeld ein neues Gebäude bezogen und ist ab sofort unter folgender Anschrift zu Tubulysine sind spezielle Peptide, Die europäischen Aktivitäten für erreichen: die auf Mikrotubuli wirken, die die Halbleiterindustrie der Merck beispielsweise wichtig für die Zell- KGaA sind in einen rechtlich eigen- teilung sind. Myxobakterien, aus ständigen Teilkonzern überführt Borchers GmbH denen Tubulysine isolierbar sind, worden. Die deutsche Tochterge- Berghausener Str. 100 hat Prof. Dr. Hans Reichenbach, sellschaft dieser Holding, Merck D- 40764 Langenfeld damals Leiter der Naturstoffbi- Electronic Chemicals GmbH, hat Tel 02173 3926666 ologie der Gesellschaft für Bio- mit rund 50 Mitarbeitern ihre technologische Forschung (GBF), Geschäftstätigkeit aufgenommen. Braunschweig, in einem Kompost- Merck hat mit Elektronikchemi- haufen des Botanischen Gartens kalien – einer von fünf Sparten Auf einem etwa 2500 Quadratmeter großen Gelände Freiburg entdeckt. Ziel der Koope- im Unternehmensbereich Chemie entstand ein Neubau mit vier Etagen und insge- ration der GBF mit dem Münchner – in 2002 weltweit einen Umsatz samt 1600 Quadratmetern Labor- und Bürofläche. Biotechnologie-Unternehmen Mor- von 192 Millionen Euro erzielt. Im Erdgeschoss befinden sich die Labors der Pro- phochem ist die Entwicklung neuer Das Geschäft umfasst Prozess- duktentwicklung, darüber im ersten Stock die der Mittel gegen Krebs. Morphochem chemikalien von hoher Reinheit, Anwendungstechnik (Das Foto zeigt einen Blick in das erhält die Rechte zur Nutzung der die Kunden der Halbleiterindus- Labor der Anwendungstechnik). In den beiden oberen Forschungsergebnisse der GBF, die trie unter Reinraumbedingungen Stockwerken sind die Büros der Geschäftsleitung, von GBF Projektmittel sowie Lizenzein- vorwiegend zur Herstellung von Verkauf, Rechnungswesen und Verwaltung. nahmen aus der Vermarktung. Microchips einsetzen. CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003 85
Personalia CELANESE Der Vorstand der Der Hamburger Chemieprofessor Der Gründer und CEO von Free- Celanese AG hat Lyndon Cole Dr. Walter Kaminsky hat den man Technology Reg Freemann zum Präsidenten von Ticona, dem mit 7500 Euro erhielt einen Smart Achievement- Unternehmen für Technische dotierten Her- Preis vom britischen Ministerium Kunststoffe von Celanese, ernannt. mann-Stau- für Handel und Industrie. Mit Außerdem wird er zugleich den dinger-Preis dem Preis werden die Leistungen Cole neu gebildeten Growth Excellence der Gesellschaft anerkannt, die das Unternehmen Council leiten. Cole, der noch Deutscher Che- hinsichtlich seiner Geschäftsent- Präsident von Celanese Chemi- miker (GDCh) wicklung erbracht hat, seit es in cals ist, übernimmt seine neuen erhalten. Kaminsky wird für die den Jahren 1996 und 1997 die Aufgaben am 1. April 2003. Entwicklung homogener Kataly- Smart und Spur-Finanzierung satoren zur Polymerisation von erhielt. DEGUSSA Neue Mitglieder im Olefinen geehrt. Seine Arbeiten Aufsichtsrat sind der Vorstands- hätten maßgeblich zur stürmischen vorsitzende der RAG AG, Karl Entwicklung polymerisationsakti- Starzacher sowie die RAG-Vor- ver Katalysatoren beigetragen, die stände Ulrich Weber und Dr. die moderne Polymersynthese rich- Peter Schörner. Neuer Aufsichts- tungsweisend geprägt hat, heißt es ratsvorsitzender ist Starzacher. Er in der Verleihungsurkunde. Starzacher übernahm dieses Amt von Prof. Wilhelm Simson, Vorsitzender des Vorstands der E.ON AG, der dem Der Chemiker Dr. Wolf-Dieter Prof. Dr. Richard A. Lerner (64) Degussa-Aufsichtsrat weiterhin Schubert, Wissenschaftler der und Prof. Dr. Peter G. Schultz angehört. Gesellschaft für (46) erhielten den Paul Ehrlich Biotechnologi- und Ludwig Darmstaedter- CLARIANT Der Verwaltungsrat sche Forschung Preis. Die Auszeichnung ist mit hat Roland Lösser (60) als Nach- (GBF), erhielt 65 000 Euro dotiert. Die Preisträ- folger von Reinhard Handte zum den Max-von- ger werden für ihre Leistungen CEO ernannt. Handte hatte darum Laue-Preis. auf dem Gebiet der Immunologie gebeten, ihn von seinen Funktio- Diese Auszeich- ausgezeichnet. Lerner und Schultz nen als CEO und Verwaltungsrat nung verleiht die Deutsche Ge- forschen am Scripps Research Ins- abzuberufen. sellschaft für Kristallographie an titute im südkalifornischen La Jolla Lösser Nachwuchswissenschaftler, die bei und haben katalytische Antikörper der Aufklärung von Molekül-Struk- entdeckt und hergestellt. Diese turen besondere Erfolge erzielt spezielle Sorte Antikörper kann EHRUNGEN haben. Schubert untersucht unter chemische Reaktionen im Körper anderem den Zusammenhang zwi- beschleunigen und wirkt ähnlich Der Augsburger Physiker Prof. Dr. schen Struktur und Funktion von den Enzymen. Achim Wixforth und die Firma biologischen Eiweiß-Molekülen. Advalytix AG haben jetzt den erstmals für die beste Innovation Den Forschungspreis der BMS- im Bereich der Nanobiotechno- Im Sommersemester 1998 wurde Stiftung in Höhe von 500 000 logie verliehenen Bio Trends an der Universität Ulm ein von Dollar hat Prof. Dr. Ralf Bar- Wixforth Award erhalten. Kern der mit Prof. Dr. Klaus Gietzen und tenschlager (links) vom Hygiene- 5000 Euro prämierten Technik Prof. Dr. Peter Gierschik betreu- Institut des Universitätsklinikums sind Nanopumpen, die Reagenzien tes Pilotprojekt zur Einführung des Heidelberg für seine wissenschaft- berührungsfrei und ohne bewegli- problemorientierten Lernens in liche Arbeit zum Hepatitis-C-Virus che Teile auf der Oberfläche von der Pharmakologie und Toxikolo- erhalten. Überreicht wurde die Eh- Chips positionieren können. Das gie begonnen. In Kleingruppen rung von Richard Colonno (rechts), gelingt mit Hilfe von Oberflächen- lernen die Studierenden anhand Vizepräsident im Forschungsbe- wellen, die durch hochfrequente von realitätsnahen Fallbeispielen reich der Pharmazeutischen Firma elektrische Impulse auf dem Chip praxisnah. Dabei liegt ein beson- Bristol-Myers Squibb (BMS). angeregt werden. Diese Wellen derer Akzent auf gemeinsamem, breiten sich über das Substrat aus selbständigem Wissenserwerb. und transportieren dabei Flüssig- Die Autoren des Lernprojekts keiten und Feststoffe über den haben nun den mit 20 500 Euro Chip. Integrierte Sensoren gestat- ausgestatteten Baden-Württem- ten zusätzlich eine Auswertung der bergischen Landeslehrpreis Experimente. 2003 erhalten. 86 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003
Förderungen / Preise Molekularbiologie Wissenschaft Gründungsengel Zum neunten Mal können sich ab Der „Lautenschläger Forschungs- „Business Angels“ sind in den USA sofort in Europa tätige Forscher preis“ zählt zu den höchst dotierten finanzstarke Unternehmer, die in- und Forscherinnen im Alter bis internationalen Wissenschaftsprei- teressiert sind, den Nachwuchs zu 35 Jahren um den Eppendorf sen (250 000 Euro). Bis zum 15. fördern und junge Unternehmen Award For Young European Inves- April können zum zweiten Mal auf ihrem Weg eine Zeit lang zu tigators bewerben. Der Preis ist internationale Spitzenforscher begleiten. In Deutschland betreut mit 15 000 Euro dotiert. Honoriert aller Disziplinen für den Preis das Braunschweiger „business an- werden auf molekularbiologischen nominiert werden. Mit dem Preis gel team“ Gründerunternehmen Methoden beruhende herausra- werden international anerkannte aus dem technologischen Umfeld. gende Leistungen auf dem Gebiet Wissenschaftler ausgezeichnet, Neben Know-how setzen die Men- der biomedizinischen Forschung. die der Universität Heidelberg in toren ihr Kapital, häufig in Form Die Anmeldefrist läuft bis zum wissenschaftlicher Kooperation einer Minderheitsbeteiligung, ein 30. Juni. verbunden sind. Weitere Informa- – natürlich im Hinblick auf eine Zum zweiten Mal verleihen die tionen unter www.lautenschlaeger- langfristig zu erwartende Rendite. Eppendorf AG und die Zeitschrift forschungspreis.uni-hd.de. www.business-angel-team.com. Science ihren jährlichen, mit 25 000 US-Dollar dotierten For- schungspreis für herausragende Beiträge zur neurobiologischen Forschung mit molekular- und zell- Förderung Brandenburger Existenzgründer biologischen Methoden. Die Be- werbungsfrist endet am 15. Juni. Weitere Informationen finden sich Gründungsnetzwerk unter www.eppendorf.com. D as Gründungsnetzwerk „Begin“ – Brandenburger Existenzgründer im Netzwerk Forschungseinrichtungen zu er- höhen. Begin startet nun, ergänzend Kunststoffindustrie – startet sein umfangreiches zu den gründungsbezogenen Sommersemesterprogramm an Lehrangeboten der Hochschulen, Die Arbeitsgemeinschaft Verstärk- Hochschulen und außeruniver- mit den ersten Informationsver- te Kunststoffe – Technische Verei- sitären Einrichtungen. anstaltungen zu Gründungsfragen, nigung e.V. (AVK-TV) vergibt den Begin ist ein Projekt der Universi- beispielsweise zu Themen wie Frei- AVK-TV Innovationspreis in den tät Potsdam, der Fachhochschulen beruflichkeit oder Förderprogram- Kategorien Anwendung, Umwelt Potsdam und Brandenburg sowie me. Die Studierenden können in und Hochschularbeit. Ziel des der Zukunftsagentur Brandenburg Assessment Centern und Projekten Innovationspreises ist die Förde- GmbH. Die Gründungsinitiative ist wie der Ideenwerkstatt „Braintool“ rung neuer industrieller Problem- 2002 als Sieger aus dem bundes- ihre Gründungsideen entwickeln lösungen durch Composites und weiten Wettbewerb „Exist Transfer sowie sich beim Gründerstamm- duroplastische Formmassen, die – Existenzgründungen aus Hoch- tisch „Beginer“ austauschen. Darstellung der Leistungen unserer schulen“ des Bundesministeriums Des Weiteren wird das Thema Branche im Umweltschutz, sowie für Bildung und Forschung hervor- Schutzrechte, Märkte, Ideen und die Förderung der Hochschularbeit gegangen. Das Brandenburgische Verwertung in Workshops und im Bereich der Verbundwerkstoffe Institut für Existenzgründung und Vorlesungen aufgegriffen. und duroplastischen Formteile. Mittelstandsförderung (BIEM) Parallel dazu sind die Grün- Nicht zuletzt soll durch diesen hat als übergeordnete Koordinati- dungsberatungen mit ihren Preis die Motivation von Spezia- onsstelle das Projektmanagement Standortmanager/innen an den listen auf diesen Gebieten geför- übernommen. Hochschulen bereits etabliert, um dert werden. Bewerbungen zum Ziel von Begin ist es, eine Kultur Gründungsinteressierte direkt Innovationspreis 2003 können zu der Selbstständigkeit (Unterneh- vor Ort beraten zu können, die folgenden Bereichen eingereicht mer in eigener Sache werden) an Gründungsidee zu schärfen oder werden: • Anwendung des Jah- den Hochschulen nachhaltig zu bei der Erstellung des Business- res, • Umweltpreis des Jahres, verankern, eine gründungsbezoge- plans zu helfen. Ab April 2003 • Hochschularbeit des Jahres. ne und -freundliche Infrastruktur stehen den Studierenden zusätz- Einsendeschluss für die Bewer- zu verfestigen und die Zahl der lich Gründerräume an den Hoch- bungsunterlagen ist der 10. Juni. Existenzgründungen sowohl aus schulen zu Verfügung. Weitere Nähere Angaben finden Sie unter brandenburgischen Hochschulen Informationen unter: www.begin- www.avk-tv.de. als auch aus außeruniversitären brandenburg.de. CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003 87
Menschliche Geschmacksrezeptoren Warum Süßes süß schmeckt Mechthild Kässer, Barienrode Süßer Geschmack ist eine Eigenschaft, die sehr ver- schiedenartige Verbindungen auszeichnet. Außer Zucker schmecken viele andere Di- und Monosaccharide, Glycol und Zuckeralkohole süß, aber auch Aminosäuren, etwa Alanin oder Proteine wie der in der EU zugelassene Süß- stoff Thaumatin. Wenn man Chloroform – unvorschrifts- Abbildung 2: Modell der Verknüpfung zwischen süßem Stoff mäßig – mit dem Mund pipettiert, ist man überrascht; und seinem Rezeptor nach Shallenberger [1] auch diese wiederum gänzlich andere Substanz schmeckt süß. Und auch unter den synthetisch hergestellten Süßstoffen mit ihrer besonders großen Süßkraft finden dem menschlichen Rezeptor für Süßes erklären. Aus- sich Vertreter der unterschiedlichsten Stoffklassen, die mit gehend von Zuckern, sahen Shallenberger und Acree Zucker keinerlei Ähnlichkeit zu haben scheinen. [1] (1967) die Glykolgruppe als entscheidend für den süßen Geschmack an. Da innermolekulare Wechsel- Andere Geschmacksrichtungen sind eindeutig defi- wirkungen zwischen den Glykolgruppen einer solchen niert. Saurer Geschmack wird von protonierten Was- Substanz die Süßkraft offensichtlich schwächen, ver- sermolekülen H3O+ vermittelt, salziger von Ionen des muteten sie, dass ähnliche Kräfte zwischen Rezeptor NaCl oder anderer anorganischer Salze, und die neu und Glykol wesentlich für die Süße seien. Sie pos- eingeführte Geschmacksqualität Umami ist Peptiden tulierten daher ein verallgemeinerndes AH/B-System und Proteinen zugeordnet. Bei süß (und bitter) schme- das heisst ein Säure/Basen- oder Protonendonator/- ckenden Stoffen sind gemeinsame Merkmale nicht so acceptor-System als gemeinsames und unerlässliches leicht zu erkennen, aber auch sie müssen in bestimm- Strukturelement süßer Verbindungen. Dabei ist A ein ten molekularen Strukturen übereinstimmen, um mit saures und B ein basisches Zentrum, die etwa 0,25 dem Süß-Rezeptor in Wechselwirkungen treten zu bis 0,4 nm Abstand voneinander haben. Beide, A und können. Wie der viel zitierte Schlüssel müssen sie in B, sind elektronegative Atome (oft O oder N). Der das Rezeptorschloss passen. Es könnte natürlich auch Wasserstoff H ist kovalent an A gebunden und leicht mehrere Schlösser geben; dann müsste man Gruppen ablösbar. Diese Anordnung tritt mit einem ähnlich ähnlicher Schlüssel für ihr jeweiliges Schloss finden. gebauten, ebenfalls bifunktionalen Bereich des Re- Erkenntnisse über diese Zusammenhänge könnten zeptors – vermutlich einer Peptidgruppe – über zwei helfen, bei der Suche nach neuen Süßstoffen gezielter Wasserstoffbrücken in Kontakt. und erfolgreicher vorzugehen. Für einige süß schmeckende Verbindungen wurden die AH- und B-Gruppe angegeben (Abbildung 3). Kier Abbildung 1: Gemeinsame Strukturelemente süßer Stoffe [2] erweiterte Shallenbergers Modell zum AH/B/X- Welche Gemein- Modell (1972). Danach bildet die unpolare Gruppe X samkeit verbindet In den letzten Jahrzehnten entwickelten mehrere einen dritten Verknüpfungspunkt durch hydrophobe diese in der EU Forscher Vorstellungen, die auf molekularer Ebene Wechselwirkung mit dem Rezeptor. Sie liegt etwa zugelassenen die Wechselwirkungen zwischen süßen Stoffen und 0,35 nm von A und 0,55 nm von B entfernt und Süßstoffe? verstärkt die Süßkraft. Wo sie fehlt, wie zum Beispiel bei Glycin und Ethylenglykol, bleibt auch die Süßkraft gering (Abbildung 4). In zahlreichen Studien sammelten Wissenschaftler, beispielsweise um A. van der Heijden [3], H.-D. Belitz Die Autorin: Die promovierte Lebensmitttelchemikerin Dr. Mechthild Kässer begeistert sich für Themen der Biologie, Medizin, Biochemie und Gentechnik. Sie ist langjährige Korres- pondentin der CLB. 88 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003
Abbildung 3: Verbindungen unterschiedlicher chemischer Klassen und ihre AH- und B-Einheiten. AUFSÄTZE Abbildung 4 : Die für die Süße von Saccharin verantwortli- chen Molekülbereiche nach dem Modell von Kier [2]. [4, 5] und L. Kerckhoff [6] Daten, die beschreiben, wie Stellen AH, B, XH, G1-4 und D herstellen, schließen sich die Süße von Verbindungen ändert, wenn Substi- die Forscher Nofre und Tinti aus ihren Untersuchun- tuenten ausgetauscht und die Stereochemie variiert gen: An den Orten AH, B und XH, die auch bei den wird. Oft schlägt dabei der süße Geschmack in bitte- beiden früheren Modellen beschrieben wurden, hal- ren um oder verschwindet ganz oder süß-bittere Stoffe ten demnach ionische Bindekräfte den Süßstoff; und entstehen (Tabellen 1 und 2 und Abbildung 5). zwar bei AH und XH die Carboxylat-Gruppe aus Aspa- Das Multikontaktpunkte-Modell Tabelle 1: Einfluss der Stereochemie auf die Geschmacksqualität von Cyclamat- Nofre und Tinti [7] (1996) versuchten, das Schloss an Abkömmlingen [6]. Hand zahlreicher bekannter Schlüssel noch genauer zu beschreiben. Aus ihren Untersuchungen an mehre- ren Serien synthetisch hergestellter Süßstoffe folger- ten sie: Der Süß-Rezeptor besitzt außer AH, B und X wenigstens fünf weitere Haupt-Erkennungsbereiche, nämlich für mindestens acht verschiedene Bindungs- stellen süßer Stoffe. Diese Erkennungsbereiche des Rezeptors bestehen bis auf einen aus je zwei Unter- bereichen, so dass zusammen also 15 Stellen auf süße Substanzen reagieren. Je mehr Molekülgruppen mit den Erkennungsregionen des Rezeptors in Kontakt treten können, desto süßer schmeckt die Substanz. Dabei haben die einzelnen Erkennungsregionen un- terschiedlich starken Einfluss auf die Süßkraft. Der menschliche Rezeptor für Süßes besteht aus einem Protein, das einen für Geschmackstoffe zu- gänglichen Hohlraum umschließt. In diesen ragen Aminosäure-Seitenketten hinein und bieten definierte Kontaktpunkte für passende Moleküle. Welche Ami- nosäuren über ihre Seitenketten die Bindung an den CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003 89
Geschmacksrezeptoren Abbildung 5: raginsäure oder Glutaminsäure und bei B die proto- Geschmacksqua- nierte Aminogruppe -NH3+ eines Lysinrestes. Die vier lität (bi: bitter, G-Erkennungsregionen sind vermutlich Threoninreste sw: süß) und Erkennungs- -CH2OH CH3. Sie wirken durch Wasserstoffbrücken, schwellenwerte van der Waals-Kräfte und ihre räumliche Lage in Bezug (mmol/L) von auf AH und B. L-Valin, D-Valin, Das selbe gilt für den Kontaktpunkt D, der eine N-Methylvalin Serin- oder Threonin-Seitenkette sein könnte. und –prolin [5]. Wie kommt der Reiz zustande? Ein süßes Molekül, das in Wechselwirkung mit dem Rezeptor tritt, bewirkt eine Umlagerung der Bindungsverhältnisse und die Weitung der Prote- intasche. Im Ruhezustand (Abbildung 7) bestehen Abbildung 6: Wasserstoffbrücken zwischen den benachbarten Räumliche Anordnung und Aminosäure-Seitenketten, im durch ein Schlüsselmo- Bezeichnung der lekül angeregten Zustand ordnen sie sich zugunsten acht Erkennungs- von Wechselwirkungen zwischen süßer Substanz regionen des und Protein um (Abbildung 8). Nach der Aktivierung menschlichen und dem dadurch ausgelösten Reiz der Nervenzellen Rezeptors für stößt der Rezeptor das süße Molekül wieder aus und Süßes. schwingt in den Ruhezustand zurück, angetrieben von den elektrostatischen Kräften zwischen den polaren oder ionischen Erkennungsbereichen. Dieses von Nofre und Tinti aufgestellte Modell des Süßrezeptors spricht sehr dafür, dass der Mensch nur diesen einen Rezeptortyp für Süßes besitzt. Zucker (Saccharose) ist als Disaccharid ein relativ Abbildung 7: Schematische großes Molekül. Es passt ausgezeichnet in die Pro- Darstellung des teintasche und tritt mit 14 Erkennungspunkten des Süßrezeptors im Rezeptorproteins in Wechselwirkungen. Dies erklärt Ruhezustand. auch die hohe Selektivität des Rezeptors für das in der Natur weit verbreitete Molekül. Dennoch ist Zucker nicht ungewöhnlich süß. Ursachen sind die fehlende Wechselwirkung mit D, Mangel an ionischen Grup- pen, die geringe Affinität seiner polaren Hydroxyl- gruppen als Wasserstoff-Akzeptoren und -Donatoren und der geringe Einfluss seiner sterisch wirksamen Bereiche (Abbildung 9). Tabelle 2: Einfluss der Stereochemie des Restes R auf die Geschmacksqualität von Alitam-Abkömmlingen [6]. Abbildung 8: Aktivierter Zustand eines Teils des Süß- rezeptors durch Wechselwirkun- gen mit einem süßen Stoff (z. B. Saccharose) an 14 Erkennungspunk- ten. 90 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003
Als Beispiel für eine äußerst süß schmeckende Substanz sei Lugdunam genannt. Sie übertrifft die Süße von Saccharose um das 225 000fache. Ihre Kontaktpunkte am Rezeptor sind B1, B2, AH2, XH1, G1, E1, G2, E2, G4, und D (Abbildung 10). Ihre Ähnlichkeit mit Alitam, einem ebenfalls sehr starken, in den USA AUFSÄTZE zugelassenen Süßstoff, und Aspartam ist nicht zu übersehen. (Abbildung 12). Abbildung 9: Saccharose und die Erkennungs- bereiche des Rezeptors [7]. Abbildung 10: Lugdunam und die Erkennungs- bereiche des Rezeptors [7]. Abbildung 12: Alitam und Aspartam und die Erkennungsbe- reiche des Rezeptors. Abbildung 11: Modell der Proteintasche des Süßrezeptors nach Kerckhoff [6] mit Alitam- Derivaten. Literatur Süßkraft: nerven verbunden und geben den Reiz, der Süßungsgrad: Verhältnis der Konzentration durch den Kontakt mit einem Geschmacks- [1] R. S. Shallenberger, T. E. Acree: einer Saccharoselösung zu einer Süßstofflö- stoff entstanden ist, über eine Nervenfaser Nature (1967) 216, 480-482 sung der selben Süße. Da die Geschmacks- als schnelle Sequenz elektrischer Entladungen [2] L. B. Kier, J. Pharm. Soc. (1972) 61, empfindung subjektiv ist, sind die Werte nicht an das Gehirn weiter. Die Wiederholungs- 1394-1397 exakt. frequenz der Potentiale gibt die Stärke des [3] A. van der Heijden, H. van der Wel, Geschmacks wieder. Jede Sinneszelle kann H.G. Peer: Chem. Senses (1985) Geschmackssinn: im Prinzip alle vier Geschmacksqualitäten in 10, 73-88 Jede Geschmacksempfindung beginnt auf der unterschiedlicher Intensität wahrnehmen. An [4] H.-D. Belitz, H. Rohse, W. Stempfl, Zunge. Die im Speichel gelösten Substanzen Spitze, Rand und Grund der Zunge finden wir H. Wieser: Lebensmittelchem.Geric gelangen u. a. auch in Vertiefungen der Zun- aber Gruppen von Geschmacksknospen, die htl.Chem. (1987) 41 77-82 genoberfläche, die sogenannten Geschmacks- vornehmlich auf eine Geschmacksrichtung [5] H.-D. Belitz, W. Chen, H. Jugel, W. knospen. Sie sind die eigentlichen Organe, spezialisiert sind. Stempfl, R. Treleano, H. Wieser: mit denen wir die vier Hauptgeschmacks- Auf der Zunge sind die Geschmacksknos- Chem & Ind (1983) 1, 23-26 richtungen süß, sauer, salzig und bitter pen auf den so genannten Papillen angeord- [6] L. Kerckhoff “Zur Synthese enanti- wahrnehmen. In den Geschmacksknospen, net, von denen einige, die Zungenwarzen, omerenreiner Süßstoffe vom Cycla- die ungefähr 0,07 Millimeter hoch und 0,05 wie kleine, mit bloßem Auge sichtbare Pilze mat- und Alitam-Typ”: Dissertation Millimeter breit sind, befinden sich jeweils aussehen. Die Zahl der Geschmacksknospen Münster 1997 zwischen 15 und 40 Sinneszellen. Sie sind nimmt im Lauf unseres Lebens stetig von [7] C. Nofre, J. M. Tinti: Food Chem an ihrer Basis direkt mit den Geschmacks- 10 000 auf 1000 bis 2000 ab. (1996) 56, 263-274 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003 91
Liebig und die entgangene Entdeckung des Elementes Brom „Schlampige Untersuchungen“ Georg Schwedt, TU Clausthal Am 26. Mai 1824 wurde Justus Liebig, Sohn des Materialisten Johann Georg Liebig in Darmstadt, gerade 21 Jahre jung zum außerordentlichen Professor der Chemie und Pharmazie an der hessisch-darmstädtischen Landesuniversität Gießen ernannt. Ein Jahr später publizierte er seine „Chemische Untersuchung der Sole zu Salzhausen“. Bad Salzhausen, 1970 mit zahlreichen anderen Ge- meinden mit dem bereits um 800 erwähnten Nidda zusammengeschlossen, zählt zu den ältesten Solebä- dern Deutschlands. Aus einer Schenkungsurkunde von 1187 geht hervor, dass es als Salzhusen vom Grafen Bertold von Nidda in den Besitz des Johanniterordens gelangte. Das Sieden mit zwei Pfannen betrieb um 1500 der Pfänner Ludewig Knott, die ersten Quellen erbohrte 1593 der Amtmann von Nidda Roland Krug, der auch ein Gradierwerk errichten ließ. 1729 kam das Solebad in den Besitz der Landgrafen von Hessen. Unter dem Salinendirektor Johann Wilhelm Langsdorff wurden jährlich bis zu 4500 Zentner Salz gefördert. Abbildung 1: Liebig – noch als Student – im Alter von etwa 1826 entstand das erhalten gebliebene stattliche 20 Jahren. Kurhaus im zur gleichen Zeit im Landschaftsgartenstil angelegten Kurpark. Die Entwürfe stammen von dem bedeutenden hessisch-darmstädtischen Baumeister als mit Wasserstoff, als Hydrojodsäure [HI] zugegen Georg Moller (1784-1852). 1860 wurde die Salzge- war, und man weiß, dass wenn einer Flüssigkeit, wo- winnung aus Gründen der Unrentabilität eingestellt, rin sich diese Säure befindet, Stärke und verdünnte der Kurbetrieb blieb bestehen (1). Salpetersäure zugesetzt wird, eine intensiv blaue Farbe entsteht, die eine Zusammensetzung des Jods, aus der, Liebig und die Sole von Salzhausen durch die Salpetersäure zersetzten Hydrojodsäure, mit Stärke darstellt. 1825 publizierte Liebig, der in Gießen noch mit er- Wenn die Sole oder die Mutterlauge auf diese Weise heblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, in dem behandelt wurden, so bildete sich diese blaue Farbe von seinem Lehrer Kastner herausgegebenen „Archiv nicht. Bei der Mutterlauge erzeugten sich braune Flo- für die gesammte Naturkunde“ (V. Band, S. 459) seine cken, welche zu Boden vielen. Analysenergebnisse der Sole zu Salzhausen. Er fand In Salzhausen hat sich Liebig mehrere Jahre enga- neben Natrium-, Magnesium- und Calciumchlorid und giert – mit vor allem kommerziellen Absichten. In Calciumsulfat 77 Milligramm je Kilogramm Natrium- einem Brief vom 23. Juli 1825 an Schleiermacher iodid. Bei der Anwendung der von einem seiner Lehrer schlug Liebig folgendes vor: in Paris entdeckten Iod-Stärke-Reaktion (1814 durch Bei Gelegenheit der Analyse der Sole zu Salzhausen Gaultier de Claubry, in dessen Laboratorium Liebig als habe ich dem Finanzminister vorgeschlagen, die abfal- Student gearbeitet hatte) stellt er jedoch fest: lende Mutterlauge auf Salzsäure und Bittersalz (Mag- Es war nicht wahrscheinlich, dass das Jod in der nesiumsulfat) zu benutzen, vor einiger Zeit habe ich Soole oder im Wasser in einer anderen Verbindung nun den Auftrag erhalten, zu Salzhausen eine Fabrik von Salzsäure und Bittersalz einzurichten, welche auf das Geringste angeschlagen dem Staate einen Gewinn von 2000-3000 fl. (fl.: Florin, Gulden – ursprünglich Gold-, seit 1500 Silbermünze. Liebigs Jahresgehalt be- Der Autor trug 1825 300 fl.) abwerfen wird. Ich bin vor 14 Tagen Der Buchautor und Mitherausgeber der CLB, Prof. Dr. Georg selbst in Salzhausen gewesen, es ist wirklich schade, Schwedt, ist seit 1987 Professor für Anorganische und Analytische dass die Badeanstalt nicht gleich im Anfange weiter Chemie an der Technischen Universität Clausthal. ausgedehnt worden ist, indem die Leute, welche täg- 92 CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003
lich ankommen, kaum unterzubringen sind, und noch er eine Apotheke in Montpellier, ab 1842 wirkte er täglich Bestellungen auf Wohnungen einlaufen, welche als Professor für Chemie an der Sorbonne in Paris, nicht angenommen werden können, indem kein Platz ab 1851 an der Französischen Akademie und 1868 mehr für Badegäste da ist. Man kann über die wirk- wurde er zum Generalinspekteur des französischen lich merkwürdigen Wirkungen dieser Sole nicht den Unterrichtswesens ernannt. Als Liebig aus München mindesten Zweifel hegen, ich habe mich selbst durch 1867 als offizieller Vertreter des Königreichs Bayern AUFSÄTZE den Augenschein überzeugt, dass Leute durch 20-30 an der Weltausstellung in Paris teilnahm, brachte Ba- Bäder, nachdem sie vorher in Wiesbaden und Ems lard bei einem Diner in der Akademie einen Toast auf vergeblich gebadet hatten, in Salzhausen vollkommen Liebig aus, worüber Liebig seinem Freund Wöhler in wiederhergestellt worden sind. Die Einrichtungen sind Göttingen in einem Brief mit großer Freude berichtete im übrigen recht zweckmäßig, man lebt in Salzhausen (2). recht angenehm und wohlfeil. Liebigs Schüler James Sheridan Muspratt (1821- Anfänglich hatten Liebigs Bemühungen in Salz- 1871) aus Liverpool, der 1843-1845 bei Liebig in hausen auch Erfolg. Täglich wurden zwei Zentner Gießen studierte und 1845/46 in Liverpool in der in Salzsäure und ebenso viel an Bittersalz erzeugt. Familienbesitz befindlichen Sodafabrik mit der Her- Aber schon bald traten Schwierigkeiten im Absatz stellung von Liebigs Patentdünger begann, schrieb in der Salzsäure auf. Liebig denkt an eine Angliederung seinem mehrbändigen Handbuch (deutsche Ausgabe einer Leimfabrik. Am 14. April 1828 schreibt er: Bei 1865) über die Entdeckung des Broms: meiner kürzlichen Anwesenheit in Salzhausen habe ich „Brom ist einer von den Körpern, die in der Natur die Fabrikation von Glaubersalz (Natriumsulfat) ange- verbreitet, aber stets nur in sehr geringer Menge ordnet. Weiterhin plante er die Fabrikation von Soda, vorkommen. Es wurde 1826 zuerst von Balard in der von Chlorkalk und von Knochenleim. Dazu schrieb Mutterlauge des Seewassers entdeckt und von ihm als O. Lentz: „Diesem Vorschlag lagen die Resultate von ein einfacher Körper beschrieben. Er nannte es Mu- fünf Versuchen zugrunde. Damit ergaben sich für ride, sein Name wurde aber bald in Brom, von (bro- Salzhausen ganz neue Perspektiven, die bei ihrer mos), der Gestank, wegen seines charakteristischen Verwirklichung den Kurbetrieb unmöglich gemacht Geruchs verwandelt. In allen seinen Eigenschaften hätten. Liebig mag bei seinen Versuchen um manche und seinem Verhalten hat es die größte Aehnlichkeit Erkenntnis reicher geworden sein, aber für das Bad mit dem Jod und Chlor. (…) Seine Quantität variiert war das Erliegen des Liebigschen Unternehmens ein in Quellen sehr bedeutend, von kaum nachweisbaren Gewinn.“ – s. in (1). 1835 hielt sich Liebig im Juni Spuren bis zu namhaften Mengen. Die reichsten Was- und Juli auch zur Kur in Salzhausen auf. 1928 wurde ser sind die der Saline Neusalzwerk bei Minden und zur Erinnerung an Liebigs Wirken eine Gedenktafel Kreuznach…“ (3). an einem Basaltsteinbau angebracht, der auf alten Plä- 1825 untersuchte Liebig auch die Sole von Kreuz- nen als Bittersalzfabrik und Laboratorium aufgeführt nach. In einem Brief vom 30. März 1825 an den Ka- Abbildung 2: war. Hier soll Liebig außer den Analysen auch andere binettsekretär Schleiermacher in Darmstadt schrieb Liebigs Laborato- Experimente durchgeführt haben. In seinem Inneren er u.a.: rium, ein ehema- hatte es sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem viel Die Mutterlauge der Sole zu Kreuznach habe ich liges Wachthaus größeren Laboratorium Liebigs in Gießen, das als Er- aufs neue untersucht und finde, dass ihr Gehalt an Jo- der Garnison weiterungsbau 1842 entstand. dium den der Sole zu Salzhausen um ein Bedeutendes Gießen, in einer zeitgenössischen übertrifft. Darstellung. Die Entdeckung des Broms durch Balard Liebig hatte mit dieser Beschreibung die Bildung des zu dieser Zeit noch unbekannten Elementes Brom aus dem Bromid beschrieben, jedoch trotz seiner richti- gen Beobachtungen nicht erkannt, dass es sich um ein dem Iod ähnliches Element, aber eben nicht um Iod handelte. Diese Entdeckung beziehungsweise Schluss- folgerung sollte ein Jahr später, 1826, dem französi- schen Apotheker Antoine-Jérôme Balard (1802-1876) gelingen. Auch glaubte Liebig, bei der Umsetzung mit Silbernitrat das schwer lösliche Silberiodid erhalten zu haben. Balard, Sohn eines Weinbauers, stammte aus Montpellier, ließ sich ab 1819 zum Apotheker ausbilden und arbeitete gleichzeitig als Vorlesungs- assistent für Chemie an der École de Pharmacie und an der Faculté des Sciences. Er studierte an der letzteren Chemie und Physik und graduierte im Jahr seiner Entdeckung in Pharmazie. Zunächst eröffnete CLB Chemie in Labor und Biotechnik, 54. Jahrgang, Heft 03/2003 93
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