HILFSWERK MAGAZIN - WIR FEIERN 30 Jahre Hilfswerk SELBSTSTÄNDIG in jedem Alter VIELFALT in der Simultania
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HILFSWERK MAGAZIN RUND UMS LEBEN AUS DEM HILFSWERK STEIERMARK 01/22 Ausgabe WIR FEIERN 30 Jahre Hilfswerk • SELBSTSTÄNDIG in jedem Alter • VIELFALT in der Simultania
Liebe Leserin, Lieber Leser, Selbstständigkeit ist ein zentraler Begriff in der Kultur des Hilfswerks. Wir wollen nicht nur unsere Kund:innen dabei unterstützen, ihre Selbst- ständigkeit zu entwickeln und zu bewahren. Wir wollen auch unseren Mitarbeiter:innen die Möglichkeit geben, ihre Arbeit in möglichst gro- ßer Eigenverantwortung tun zu können. Wir sind davon überzeugt, dass Selbstständigkeit und Verantwortlichkeit in Zukunft mehr Gewicht gewinnen müssen. Hätten nicht so viele engagierte Menschen vor 30 Jahren in verschiede- nen Regionen die Idee der direkten Unterstützung von Menschen auf- gegriffen und diese über Jahre verfolgt, würde das Hilfswerk heute mit über 1.100 Mitarbeiter:innen und über 8.000 betreuten Menschen nicht zu den größten Sozialorganisationen des Landes zählen. Diese Werte und die Besinnung darauf, dass der Sinn einer Tätigkeit nur durch das Zutrau- en der kompetenten Erfüllung einer übertragenen Aufgabe entstehen kann, werden für die Arbeitswelten und für unsere Gesellschaften immer wichtiger werden. In einer Welt der Normierung und der Evaluation wird sich der Mensch nicht wiederfinden. Die Identifi- kation mit sich und seinem Tun liegt in der direk- ten Interaktion mit Menschen, liegt in der Vielfalt der individuellen Lösungen für diese Menschen. Es wird Mut brauchen, diese Freiräume zu schaf- fen. Aber ich bin überzeugt davon, dass es diesen Weg gibt - und dass wir ihn gehen müssen. GERALD MUSSNIG GESCHÄFTSFÜHRER DES HILFSWERK STEIERMARK 30 Jahre Hilfswerk Wir feiern heuer einen runden Geburtstag und haben in dieser Ausgabe deshalb noch mehr Stimmen rund um das Hilfswerk zu Wort kommen lassen. Zusätzlich dreht sich dieses Magazin um ein Leitthe- ma, welches uns seit dem Start begleitet: Die Selbstständigkeit. 2 33
Wie schön ist 6 Neuigkeiten aus dem Hilfswerk 8 Leitartikel Auf eigenen Füßen stehen die Vielfalt? 12 Was wirklich zählt Das weiß eine 102-Jährige Ein Besuch in der Simultania ab Seite 24 16 Teil eines Ganzen Glückwünsche von Gemeindevertreter:innen 12 Inhalt 18 Selbstbestimmte Jugend Interview mit Streetworker Roland Knausz Selbstständig Ein Tag 22 30 Jahre Hilfswerk Frau Hake ist 102, ihre Tochter 80, DGKP Conny 38. Wie wichtig ist ihnen ein selbstständiges Leben und was bedeutet das für die drei? mit Birgit Unsere Meilensteine 24 Wie schön ist die Vielfalt 18 Zu Besuch bei Zu Besuch in der Simultania 34 der Tagesmutter 28 Vorurteile ade Andrea Descovich über (Ent-)Stigmatisierung 32 Selbstständigkeit fördern Tipps von einer Nachmit- Ute Kollmann im Portrait auf Seite 37 34 tagsbetreuerin Reportage Ein Tag mit Tagesmutter Selbstbewusst Birgit Strahlhofer Roland Knausz begleitet Jugendliche bei ih- rem Schritt ins Erwachsenenleben. Was dabei 36 Service zählt, haben wir mit ihm besprochen. Auf eigenen Angebote aus dem Hilfswerk 37 Mitarbeiterin im Portrait Füßen stehen Ab Seite 8 38 Dipl. Sozialbetreuerin Ute Anekdoten Mitarbeiter:innen über 30 Jahre Hilfswerk Steiermark 32 IMPRESSUM 40 Interview Medieninhaber und Herausgeber: Hilfswerk Steiermark GmbH Redaktionsadresse: Hilfswerk Steiermark GmbH, Marketing Landesge- Martina Genser-Medlitsch schäftsstelle, Paula-Wallisch-Straße 9, 8055 Graz, Tel. 0316/81 31 81, E-Mail: office@hilfswerk-steiermark.at Bildnachweis, Fotos & Vektoren: Freepik (Seiten 1/Degroote.stock, 11/user2125086, 22-23/iwat1929, 33/dekazigzag), Unsplash (19/Tamas Pap, 20/Hans Isaacson) Gesamtaufla- ge: 4.000 Stück Vertrieb: 90 % persönlich adressierte Sendungen Offenlegung: www.hilfswerk.at/ steiermark/impressum/ Layout/Produk- spricht über KEEP BALANCE Selbstvertrauen tion: Hilfswerk Steiermark GmbH, Landesgeschäftsstelle, Paula-Wallisch-Straße 9, 8055 Graz Druck: Medienfabrik Graz, Dreihackengasse 20, 8020 Graz Widerruf: Ich bin mit der regelmäßigen Zusendung des Hilfswerk Magazins einverstanden. Diese Einwilligung kann ich jederzeit 42 Kolumne Dass aus den eigenen Kindern selbstbewuss- per E-Mail an office@hilfswerk-steiermark.at oder mittels Brief an das Hilfswerk Steiermark, Paula-Wallisch-Straße 9, 8055 Graz, widerrufen. te Erwachsene werden - wer wünscht sich das DGKP Ulli Wechtitsch über nicht? Ein Artikel der Nachmittagsbetreuung. das Streiten 4 5
Neuigkeiten Wir haben eine neue Betriebsrat-Vorsitzende! 30 Jahre Hilfswerk Steiermark „Meine neue Aufgabe beginne ich mit der Zuversicht, dass unsere Hilfswerk-Familie weiterhin ein Ort der Menschlichkeit, der Sicherheit und der Wärme bleibt.“ Mit einem lachenden und einem weinenden Auge haben wir Gabriele Winkler Anfang des Jahres in die Pension verabschiedet. Ihren Platz als Vorsitzende im Betriebsrat nimmt Daniela Taferl ein – seit 2014 bei uns Dieser Geburtstag ist nur durch die vielen Menschen möglich, die im Hilfswerk tätig und voller Vorfreude auf ihre neue an unserer Seite sind. An alle Unterstützer:innen, Kund:innen und Aufgabe. Wir freuen uns auch! Daniela Taferl Gabriele Winkler ganz besonders an unsere Mitarbeiter:innen: Danke - Ihr seid der Grund zu feiern! Die Hilfswerk-Ideenwerkstatt Wie war das damals, als alles begann? Was hat Fachberichte sich geändert, was ist gleich geblieben? Wel- Expertise ist gefragt! Anfang des Jahres fand die erste Ideenwerkstatt für alle Einrichtungen Was passiert in der Arbeit in den Psychosozia- che Mitarbeiter:innen sind schon seit Anbeginn aus dem Kinderbetreuungsbereich statt. Die Mitarbeiter:innen haben somit die Möglichkeit, len Diensten, wodurch kann digitale Demenz dabei? Anlässlich unseres 30-jährigen Jubilä- ihren eigenen Fachbereich mitzugestalten - und ihre Vorschläge zum täglichen Ablauf, zu bei Kindern und Jugendlichen entstehen, was ums entstehen bis Ende des Jahres zahlreiche Organisation und Bildungspartnerschaften oder aktuellen Regelungen einzubringen. ist eine Community Nurse und wie funktioniert Schwerpunkt Inhalte auf unserer Webseite. Zeitmanagement? 30 Jahre Hilfswerk bedeutet 30 Jahre Wissensaufbau, Service und Unterstüt- Podcast zung. Das alles gibt es online nachzulesen. Gerald Mussnig spricht als Hilfswerk-Geschäfts- führer schon in der ersten Podcast-Staffel über Zum Online-Schwerpunkt die Anfänge des Hilfswerks in der Steiermark. In Einfach Hilfswerk-Steiermark-Website aufrufen: Generationenwohnen einer anderen Folge erklärt DGKP Isabella, mit welchen Hürden die Hauskrankenpflege zu Be- www.hilfswerk.at/steiermark oder QR-Code einscannen. Hier finden sich auch alle Artikel Ein Ort, an dem Jung und Alt zusammenleben ginn konfrontiert war und wie diese erfolgreich und Interviews dieses Magazins in voller Länge. und von der gegenseitigen Gesellschaft profitie- bezwungen wurden. Weitere Folgen sind im ren – das war das Motiv für die Entstehung des Entstehen und können online angehört werden. Mehrgenerationwohnen-Projekts in Kainbach. In optimaler Lage entstehen barrierefreie Wohnun- Interviews gen, welche die Bedürfnisse unterschiedlichster Teams, Netzwerkpartner:innen, Hilfswerk-Urge- Lebensumstände berücksichtigen – von Singles steine und viele weitere stehen im Laufe des Ju- über Familien bis hin zu Senior:innen. Das Projekt biläumjahres Rede und Antwort und erzählen wird vom Hilfswerk Steiermark initiiert. Das hat so manche Anekdote aus dem Hilfswerk Steier- Vorteile: Die Versorgung mit Pflegedienstleistun- mark. gen der Mobilen Dienste Kainbach wird ebenso Hier entstehen die Wohnungen ermöglicht wie die Verfügbarkeit von „Startwoh- nungen“ für Mitarbeiter:innen des Hilfswerks. 6 7
Auf Selbst·stän·dig·keit /Sélbständigkeit/ Substantiv, feminin [die] "seine Selbstbeständigkeit wahren, erringen" eigenen B ereits als Kinder besitzen wir einen natürlichen Drang, selbstständig zu werden. Selbständigkeit ist jedoch nichts, was uns von Eltern oder Erzie- hungsberechtigten anerzogen werden kann. Zutrauen unseres Gegenübers damit bestärken. Damit helfen wir den Menschen um uns herum aktiv dabei, ihre Fähigkeiten zu entdecken, egal wie klein oder groß sie sind. Füßen Dementsprechend kann die Entwicklung der 2. EIGENINITIATIVE ZULASSEN Selbstständigkeit nur zugelassen und unter- Unser ganzes Leben lang haben wir Ideen oder stützt werden. Von Expert:innen-Seite gibt es bringen neue Vorschläge in unsere Umge- zahlreiche Tipps, wie dieses Entwickeln bestärkt bung ein. Und das ist großartig. Ideen sollten werden kann. Doch gelten diese Punkte tat- besprochen werden und Diskussionsräume sächlich nur für Kinder? Sehen wir uns ein paar eröffnen, inwiefern unsere geistigen Bauwerke dieser Empfehlungen unter dem Aspekt an, umsetzbar sind. Vielleicht möchte ein Kind das dass Selbstständigkeit zwar errungen werden alte Smartphone auseinanderschrauben, um muss, aber dennoch auch etwas ist, das es bis zu verstehen was sich darin verbirgt. Im Job ins hohe Alter zu bewahren gilt. möchte der:die neue Kolleg:in alte Strukturen aufbrechen. Werden sie sich von Sätzen wie: 1. FREIRÄUME SCHAFFEN UND ZEIT „Das nehmen wir jetzt nicht auseinander, das wird entsorgt.“ oder „Das ist seit 20 Jahren so, FÜR NEUE ENTDECKUNGEN stehen das wurde immer so gemacht.“ aus der Ruhe Menschen brauchen Freiräume und Zeit, um bringen lassen oder noch schlimmer, lernen Entdeckungen zu machen, um ihre Umgebung sie, dass ihre Ideen keinen Platz haben? Was zu erkunden und um etwas Neues zu lernen. werden wir zum Nachbarn sagen, wenn er sei- Unser Umfeld wird sich dabei immer Sorgen nen 100. Geburtstag auf Safari im Dschungel machen, dass etwas passiert. Wenn wir das feiern möchte? Stempeln wir es als Utopie ab erste Mal an einem Baum hochklettern, wenn oder helfen wir ihm dabei, seine Familie um wir als Erwachsene einen Berg besteigen oder Unterstützung zur Verwirklichung seiner Vor- als ältere Menschen eine neue Sportart lernen stellungen zu bitten? möchten. Menschen, denen wir wichtig sind, machen sich Sorgen. In diesem Zusammen- hang hören wir Sätze wie: „Dafür bist du zu 3. ENTSCHEIDUNGEN TREFFEN klein.“, „Hast du die richtige Ausrüstung dafür Selbstständigkeit bedeutet, Entscheidungen zu und den Wetterbericht angesehen?“ bis hin zu treffen, mit allen einhergehenden Konsequen- „Bist du dafür nicht zu alt?“. Was wir versuchen zen. Entscheidungen treffen zu können muss können ist, unsere eigenen Ängste ein bisschen nicht nur geübt sein, es muss uns auch erlaubt zurückzuschrauben. Wir können der Person, die sein, von klein an. Die Frage „Wen möchte ich wir lieben, Vertrauen schenken und das eigene zu meiner Geburtstagsfeier einladen?“ wird uns 8 9
Jede Entscheidung legt den Grundstein für den weiteren Verlauf unserer Geschichte. vielleicht ein Leben lang beschäftigen, auch 5. MUT MACHEN UND RÜCKHALT wenn die Gäste am Tisch sich immer wieder GEBEN verändern. Wenn wir Tag für Tag lernen, klei- Es gibt in unserem Leben Augenblicke, in denen ne Entscheidungen, die uns betreffen, zu wir Trost und Zuspruch benötigen, jemanden fällen, wird uns dieser Vorgang Schritt für der uns fest umarmt. Berührungen, wie ein Schritt leichter fallen. Wir können damit unsere Schulterklopfen oder ein sanftes Händedrü- Selbstkompetenz stärken und unser Wachs- cken, vermitteln uns Rückhalt von außen und tum fördern. Denn jede Entscheidung legt den helfen uns, gestärkt weiterzumachen. Jemand Grundstein für den weiteren Verlauf unserer der an uns glaubt, hilft uns über trostlose Geschichte. Momente hinweg und gibt uns die notwendi- ge Rückendeckung um zu Selbstständigkeit 4. SCHEITERN UND KONFLIKTE zu gelangen. „Ich glaube an dich.“, „Du kannst ZULASSEN alles schaffen, was du dir vorgenommen hast.“, Wir alle haben mit ziemlicher Sicherheit schon „Du bist genau richtig, so wie du bist.“ sind nur Entscheidungen in unserem Leben getroffen, einige jener Sätze, die wir sowohl als Kinder als die wir rückblickend als falsch oder im besten auch als Erwachsene gerne hören. Denn bei Fall als lehrreich einstufen würden. Doch gerade aller Selbstständigkeit ist es dennoch schön zu Fehlschläge bieten uns einen wichtigen Bau- wissen, dass jemand da ist, der uns unterstützt. stein auf unserem Weg zur Selbstständigkeit. Es ist in Ordnung, wenn Projekte nicht sofort gelingen, wenn wir Fehler machen oder etwas Selbstständigkeit ist ein natürlicher Drang. Und Unpassendes sagen. Wichtig ist, wie wir damit einmal errungen, möchten wir sie so lange umgehen und ob wir von unserem Umfeld die es geht beibehalten. Um dies für uns selbst Möglichkeiten erhalten, damit umgehen zu und unser Umfeld zu ermöglichen, können dürfen. Denn andere Menschen können uns wir versuchen achtsamer mit uns und ande- bestimmte Dinge nicht abnehmen, egal wie ren umzugehen. Überlegen wir, wann und ob sehr sie uns lieben. Gespräche und Situationen Sätze wie „Das kannst du noch nicht.“ oder „Das reflektieren, Emotionen ausdrücken oder sich kannst du nicht mehr.“ wirklich angebracht entschuldigen: Indem wir selbst Lösungen fin- sind. Selbstständigkeit kann uns niemand bei- den haben wir nicht nur Erfolgserlebnisse, auf bringen und gleichzeitig tragen gerade jene, die wir zurückblicken können, sondern stärken die uns am nächsten sind, den größten Teil auch unsere Empathie. dazu bei. Leitartikel: Alexandra Pack 10 11
WAS WIRKLICH ZÄHLT 102 Jahre. Wer so ein hohes Alter erreicht, freundliche Menschen um sich hat und ohne Schmerzen im eigenen Zuhause leben darf, kann sich wirklich glücklich schätzen. Wie Frau Hake aus Turnau. FRAU HAKE, 102 IN DER STUBE IHRES HAUSES IN TURNAU Im Gespräch mit ihr, ihrer Tochter Hedda Mernig und DGKP Cornelia Eder finden wir die Ge- heimnisse des Lebens heraus: Wie man so alt wird, was das Wichtigste im Leben ist und warum es besser ist, manche Dinge auszublenden. S chon beim ersten Partner in Pension ging, wur- weitgehend selbstständig: Mutter um die Schmerzfrei- „Da musst du raus, ob du willst Aber sie hat die Gabe, alles Un- Schritt in das kleine de das Ferienhaus in Turnau Umziehen, Toilettenbesuche heit. Doch Sorgen sind der- oder nicht“, sagt Frau Hake. angenehme zu verdrängen. So Haus mitten in Turnau, zur Hauptheimat. Die beiden und auch Zubettgehen geht zeit unangebracht. Denn auch Das Spazierengehen hält fit, weit, dass sie sich gar nicht er- fühlt man sich wohl. haben viel gesehen, hatten ein alleine – jedoch nicht so früh, während sie selbst krankheits- zusätzlich hilft ein starker Wil- innern kann.“ „Aso? Das weiß Ein herzlicher Empfang von gutes Leben, Ansehen in der wie man es von älteren Men- bedingt nicht zuhause war, le und Freude am Leben. ich gar nicht!“, wirft Frau Hake Frau Mernig trägt dazu we- Gesellschaft – etwas, was zur schen gewohnt ist. Bis halb 11 fand sich eine Lösung durch ein. Im Gespräch mit ihr merkt sentlich bei. In der Stube ist damaligen Zeit nicht selbst- Uhr ist sie meistens munter, die flexible Betreuung der Mo- man, sie fokussiert sich gerne es wohlig warm, durch die verständlich war, wie uns Frau wenn der erste Hilfswerk-Be- bilen Dienste - die während "Sie hat die Gabe, auf das Positive, das Schöne große Fensterfront sieht man Hake berichtet. Und auch für such um 8 Uhr kommt, steht dieser Zeit um einen abendli- im Alltag. Und das gibt es ih- die umliegende Bergwelt, im das Leben, das sie heute führt, sie auf. So nimmt sie für sich chen Besuch erweitert wurde. Unangenehmes rer Meinung nach zur Genüge: Vogelhäuschen davor knab- ist sie dankbar. noch richtig viel vom Tag mit. Zwischendurch wurde durch „Ich war eigentlich immer zu- bert ein Specht an ein paar einen Sturz der Mutter auch zu verdrängen." frieden.“ Körnchen. Ein wunderbar idyl- „Dass wir hier so leben kön- Frau Mernig kümmert sich mehr Pflege benötigt, ihr Zu- lisches Bild, ein wunderschö- nen, ist nur durch das Hilfs- liebevoll um ihre Mutter. stand hat sich aber mittlerwei- Mit 102 Jahren noch wohlauf nes Zuhause. Und Frau Hake werk möglich.“ Eines war ihr immer klar: So- le wieder gebessert. Ja, auch Wofür bewundert Frau Mer- zu sein, ist selten. ist froh, dass sie hier lebt, ge- sagt Frau Mernig, die Tochter lange es möglich ist, bleibt ihre im hohen Alter ist Besserung nig Ihre Mutter? Das weiß Conny Eder, DGKP meinsam mit ihrer Tochter, der 102-Jährigen. Durch die Mutter zu Hause. Die Beden- möglich. Frau Hake ist moti- „Sie hat es nicht gern, wenn am Stützpunkt in Aflenz und ihrem Schwiegersohn und ei- täglichen Besuche der Mobi- ken der Tochter waren groß, viert, selbstständig zu bleiben. ich das sage, aber ich bin ein eine der Hilfswerk-Mitarbei- nem Mops namens Emma. len Dienste ist sie als pflegende dass sie irgendwann selbst uneheliches Kind. Das war da- ter:innen, die Frau Hake häufig Angehörige freier. Die kör- nicht mehr fähig ist, Pflege zu Ob es ein Geheimnis gibt, mals in der Kriegszeit nicht betreut. Ihrer Erfahrung nach Seit einigen Jahren ist das perliche Pflege wird von den leisten. Denn im Gegensatz wie man so gesund altert? leicht, aber sie hat es gemeis- sind pflegebedürftige Perso- kleine Dorf im Aflenzer Be- Mitarbeiter:innen des Stütz- zu Frau Hake zwickt’s bei der Vielleicht ist es der wichtige tert. Damals gab es keine Hil- nen heutzutage selbststän- cken ihr Zuhause. punktes in Aflenz übernom- 80-Jährigen schon ab und zu, Begleiter, welcher schon ein fen, sie musste arbeiten, das diger als früher. Die meisten Davor war es Wien, erst als ihr men, ansonsten ist Frau Hake manchmal beneidet sie ihre Leben lang da war: Der Hund. war sicher eine harte Zeit. möchten so lange wie möglich 12 13
"Wir profitieren viel voneinander im Team." DGKP CONNY EDER EIN DREAMTEAM: CONNY EDER MIT DER 102-JÄHRIGEN UND IHRER TOCHTER zu Hause bleiben und die Aus- den eigenen vier Wänden hat, einig: Ein Leben in Selbststän- sicht darauf spornt sie an sich zählt auch dazu. Conny weiß digkeit ist viel wert. Was ist um sich selbst zu kümmern. das zu schätzen. für die drei aber wirklich das Was ist für euch Auf dem Land hat man den zusätzlichen Vorteil, dass das soziale Netzwerk dichter ist. Mal schaut ein Nachbar vor- Apropos Selbstständigkeit: Die Mitarbeiter:innen der Mo- bilen Dienste fördern diese Wichtigste? „Dass alles so läuft, wie es jetzt läuft. Wenn es so bleibt bin ich das Wichtigste bei, mal bringen Bekannte den Einkauf. Dieses „Zusam- menhelfen“ macht es für viele erst möglich, eigenständig zu nicht nur bei den Kund:innen, sie leben sie auch selbst in der Ausübung ihrer Tätigkeit. In der Hauskrankenpflege ist zufrieden.“, sagt Frau Mernig. „Die Gesundheit von mir und meiner Familie. Zeit für mich im Leben? leben. Eines spürt man immer, wenn man Hilfe leistet: Dank- man alleine bei den Kund:in- nen vor Ort, daher ist es umso wichtiger, sich auf die eige- nen Kompetenzen zu verlas- zu haben. Ein sicherer Arbeits- platz. Und, dass meine Kinder das auch in ihrer Zukunft ha- ben.“, meint Hilfswerk-DGKP barkeit. sen und diese zu stärken. „Das Conny. Conny hat das oft schon wahr- lernt man. Und wir profitieren 3 FRAUEN, 3 ALTERSSTUFEN, genommen. Nicht zuletzt des- viel voneinander im Team, wir Und was sagt Frau Hake, die- 3 BESCHEIDENE ANTWORTEN. halb erfüllt sie die Arbeit in der sprechen uns ab und tauschen jenige mit der meisten Le- Hauskrankenpflege, im Ver- Erfahrungen aus.“ benserfahrung dazu? gleich zu ihren früheren Tä- „Dass alles so bleibt wie es ist.“ tigkeiten bei Ärzten oder im Was zählt denn wirklich im Punkt. Möglicherweise ist ge- stationären Dienst, am meis- Leben, gerade im Alter? nau diese bescheidene Zu- ten. Die Zeit, die man für die Bei einem sind sich Conny, friedenheit der Schlüssel zu Betreuung von Kund:innen in Frau Mernig und Frau Hake einem langen Leben. 14 15 15
Gemeinschaft Teil einer Wir haben Geburtstagsglückwünsche gesammelt: Vertreter aus steirischen Gemeinden über den Stellenwert des Hilfswerks in ihrer Heimat. Siegfried Neuhold, Bürgermeister in "Die Simultania ist ein Ort, an dem Pirching am Kund:innen sich zuhause fühlen und die Engelbert Traubenberg Chance bekommen, eigene Talente zu Gerhard Huber, Bür- entwickeln. Hier findet man herzerwär- Rohrer, phy germeister in "Das Hilfswerk Bürger- gra mende Zuwendung von den Kund:in- ist eine wichtige to Mooskirchen nen und ich wünsche mir, dass diese meister in ho rP Einrichtung, um zukünftig auch der Einrichtung selbst St. Veit in ©Daniel Na gle "Für unsere Ge- Menschen mit entgegengebracht wird. Schon zu Be- der Süd- meinde ist das gesundheitlichen Problemen zu Hause ginn der Gründung merkte man Unter- steiermark Franz Platzer, Oberst Johannes Hilfswerk ein Segen, zu unterstützen. Schön finde ich, dass stützung von allen Seiten: Man kann von Bürgermeister in Fally, Gründungs- weil wir kranken und betagten den Klient:innen der Tagesstruktur den Leuten etwas verlangen, wenn man "Seit 2018 haben wir für un- Heiligenkreuz am mitglied der Bewohnern so rasch und kompe- vertrauensvolle Aufgaben übertragen ihnen dafür etwas zurück gibt, das nicht sere neue Kinderkrippe auch Waasen Simultania tent Hilfe bieten können. Für die werden, wie die Pflege der Grünanlage Geld ist." den organisatorischen und Zukunft wünsche ich den Ver- rund um die Einrichtung in Pirching. pädagogischen Bereich in "Das Hilfswerk Stei- antwortlichen gutes Gespür bei Ich wünsche, dass den Psychosozialen die erfahrenen Hände des ermark ist ein ver- der Beurteilung der Sorgen der Diensten, wie bisher, Hilfswerk Steiermark gelegt lässlicher Partner, Josef Ober, Bürgermeister in Feldbach Kund:innen, die Freude, immer fachlich qualifiziertes Personal für - zur vollsten Zufriedenheit wenn es darum bestens ausgebildetes Personal zu ihren wichtigen Auftrag zur Verfügung der Gemeinde, der Eltern geht, die Sozialen "Das Hilfswerk ist unverzichtbarer Dienst- haben und viel Kraft, um gemein- steht." und vor allem der Kinder. Für Dienste im ISGS- leister für Jung und Alt, besonders in sam mit den Gemeinden allen He- schwierigen Lebenssituationen. Dank mich ist das Hilfswerk ein un- Sprengel Leibnitz- rausforderungen zu begegnen." und Anerkennung geht an Frau Andrea verzichtbarer Begleiter in der Nord, die Nachmit- Andreas Spari, Bürger- Descovich und ihr gesamtes Team der Kinderbetreuung. Ich wün- tagsbetreuung am meister in Hitzendorf Psychosozialen Dienste!" sche allen Mitarbeiter:innen Pflichtschulzent- Volker Vehovec, auch in Zukunft viel Freude rum und die Feri- Bürgermeister "Das Hilfswerk Steier- bei der wertvollen und wich- enbetreuung in der in Empersdorf mark ist für unsere tigen Aufgabe für unsere Ge- Marktgemeinde zu obl Gemeinde eine unver- "Das Hilfswerk Steiermark ist für unsere sellschaft!" stellen." St r "Das Hilfswerk zichtbare und wertvolle Stadt und die Region eine ganz bedeu- ta is hr ©C Steiermark ist Einrichtung geworden. Sie tende soziale Einrichtung. Von der Haus- ein verlässlicher ermöglicht die beste Pflege in gewohn- krankenpflege über die Kinderbetreu- Matthias Hitl, Bürgermeister in Partner, der uns ein ter Umgebung. Für die Zukunft wün- ung bis zu den psychosozialen Diensten Kainbach Rundum-Sorglospaket in der Kin- sche ich weiterhin viel Energie, um die sichert die Einrichtung mit ihren um- derbetreuung garantiert. Für die Anforderungen im Pflegebereich so fangreichen Leistungen Lebensquali- "Das Hilfswerk ist uns eine großarti- Zukunft wünsche ich viel Erfolg - souverän und professionell wie bisher zu Franz Jost, tät. Unverzichtbar für uns alle, wünsche ge Unterstützung im Sozialbereich bleibt so menschlich und herzlich, bewerkstelligen. Und dass weiterhin der Bürgermeister ich dem Hilfswerk das Allerbeste für die - ich wünsche weiterhin so tolle und wie wir euch kennen und schätzen!" Mensch im Mittelpunkt steht." in Fürstenfeld weitere Zukunft." kompetente Mitarbeiter:innen!" Johann Schmid, Bürgermeister in St. Johann im Saggautal Regina Schrittwieser, Bürgermeisterin in Krieglach "Das Hilfswerk Steiermark ist für unsere Gemeinde und die Region eine sehr "Zum 30-jährigen Jubiläum meine herzlichsten Glückwünsche, verbunden mit wichtige Betreuungseinrichtung, da die zu pflegenden Personen in ihrem einem großen DANKE an alle, die sich in diesen 30 Jahren für unsere Mitmen- gewohnten Umfeld und bei ihrer Familie bleiben können. Für die Zukunft schen eingesetzt haben. Für die Zukunft wünsche ich alles Gute, viel Kraft und wünsche ich weiterhin so ein kompetentes und liebevolles Team sowie viel eine solide gesetzliche Grundlage für die Pflege und alle, die in der Pflege ihren Erfolg!" wertvollen Dienst verrichten." 16 17
Selbst- bestimmung Ein Gespräch mit Roland Knausz, Teamleiter der Streetwork Süd- zwischen oststeiermark. Selbstbestimmung begleitet uns ein Leben zwei Welten lang. Als Kind erlernen wir sie, im Alter wol- len wir sie so lange wie möglich bewahren. Was passiert in der Jugend? Sehr, sehr viel. Einerseits die Pubertät als starke hormonelle Entwicklung. Gleichzeitig verän- dern sich die Denkprozesse, es kommen neue Interessen hinzu. Entscheidungen stehen an, wie das Herausfinden des Schul- oder Be- man als Elternteil perfekt sein muss. Ganz im rufsweges. Es werden wichtige Erfahrungen Gegenteil: Kritikfähigkeit, Neugierde und Inter- gemacht, was Liebe betrifft. Jugendliche am esse der Eltern sind viel wichtiger. Land machen in dieser Zeit einen Mopedfüh- rerschein, der sie selbstbestimmter werden Wie fördert Streetwork die Selbstbestim- lässt. Zu Hause wird viel mit den Eltern ausver- mung von Jugendlichen? handelt – vom Ausgehen über Verhaltensregeln bis zur Mitarbeit im Haushalt. Und gerade der Wir bieten unterschiedliche Workshops in Was spielt sich ab im Kopf von Jugendlichen, Freundeskreis ist enorm wichtig - die Möglich- keit, mit Gleichaltrigen in Kontakt zu treten, der Schulen an, zu Themen wie Sucht, Mobbing oder Empowerment, um die Jugendlichen zu die sich auf ihrem Weg vom Kind zum jungen Austausch, die Behauptung Anderen gegen- über. informieren. Viel passiert auch in Einzelbera- tungen, in denen wir über Rechte und Pflichten aufklären, zum Experimentieren anregen und Erwachsenen befinden? Wie wichtig ist es, dass Jugendliche eigene Erfahrungen und Fehler machen? gemeinsam über Erfahrungen reflektieren. Ge- rade in dieser Reflexion ist der Austausch mit Erwachsenen, die helfen, das Erlebte einzuord- Sehr – vor allem ist es wichtig, dass sie viel nen, wichtig. ausprobieren dürfen, das ist leider nicht selbst- verständlich. Manchen Eltern fällt es schwer, die Dürfen die Jugendlichen dabei auch schon Kontrolle abzugeben, dadurch engen sie ihre Kinder ein. Andere unterstützen zu wenig oder selbst mitbestimmen? sind überfordert. Ein angemessener Umgang Ja, der Grad der Selbstbestimmung bei unseren und ein „gutes Gespür“ sind der Schlüssel, damit Jugendprojekten ist hoch. Ein wichtiges Ele- sich Kinder zu eigenständigen Persönlichkeiten ment ist dennoch, dass wir regulierend wirken, entwickeln können. Das heißt keinesfalls, dass das heißt, wir lassen die Jugendlichen nicht 18 19
"Wenn Jugendliche rebellieren, kann der Grund dafür sein, dass sie nicht die Freiheit erhal- ten, die für diese Lebensphase so "Es ist unser Credo, wichtig ist." Jugendliche zur Selbstbestimmung zu befähigen." ROLAND KNAUSZ IST DIPLOMSOZIALBETREUER, PSYCHOTHERAPEUT UND TEAMLEITER DER STREETWORK SÜDOSTSTEIERMARK. alleine, sondern bieten bedarfsorientiert Unter- stützung an, wo sie gebraucht wird. So ist das auch in der Arbeit mit Einzelnen: Manche brau- chen mehr Unterstützung, um selbstbestimmt zu leben, andere weniger. Da muss man auf das Individuum schauen. Wie kann man Selbstbestimmung aus ent- Selbstbestimmung zu fördern und meiner Mei- Ja, in unserem Job als Streetworker:innen wicklungspsychologischer Sicht betrachten? nung nach sollte dies durch „wohlwollendes sehen wir viele, die sich mit Selbstbestimmung Ja, aber man kann natürlich immer daran arbei- Assistieren“ passieren. Das heißt, als Erziehen- schwertun. Das sind Jugendliche mit perfekti- Schon als Kleinkind entwickeln sich Abhän- ten. Selbstbestimmung muss man als Mensch de:r sollte man Möglichkeiten anbieten, aber onistischen Zwängen, die Angst haben, etwas gigkeiten – man braucht eine andere Person schrittweise erlernen und je nach Altersphase das Kind selbst Erfahrungen sammeln lassen – falsch zu machen, solche mit stark schädigen- zur Unterstützung. Die Mutter zeigt dem Kind wird Unterstützung gebraucht. Eltern, Leh- um diese danach gemeinsam zu reflektieren. dem Suchtmittelkonsum oder Personen, die die Brust und das Kind wendet den Saugreflex rer:innen und das ganze soziale Umfeld tragen Was das Kind dadurch lernt, ist Differenzierung. ihre Gefühle nicht regulieren können und unter an. Durch die Wiederholung dieses Schemas dazu bei. Das Hilfswerk bietet gute Angebote, Depressionen leiden. Unser Job ist es, vor allem erlernt das Kind nicht nur sich zu ernähren, sondern auch auf sich aufmerksam zu machen, um in der Jugendarbeit oder in professionellen Was versteht man unter Differenzierung in diese Jugendlichen aufzusuchen, Lösungen für wenn es hungrig ist. Dabei ist es wichtig, dass Therapien daran zu arbeiten. Beispielsweise diesem Zusammenhang? ihre Probleme zu finden und somit ihre Ent- nach der Theorie des Psychoanalytikers Win- wicklung zu fördern. es ein verlässliches Gegenüber gibt, das richtig Ein einfaches Beispiel für Differenzierung ist die nicott, der in diesem Zusammenhang vom reagiert und die Selbstbestimmung des Kin- rot-grüne Ampel: Kinder erlernen die Fähigkeit, des fördert. Ist das nicht der Fall, bekommt das falschen Selbst spricht. Darunter versteht man Zum Schluss noch einmal zusammenge- die Anpassung des Kindes an fehlerhafte Erzie- diese Farben und ihre Bedeutung zu unter- Kind immer wieder das Falsche, dann wird es hung: Das Kind passt sich selbstverständlich an scheiden erst. Diese Differenzierungsfähigkeit, fasst: Was ist das Ziel von Streetwork? Probleme haben, Selbstbestimmung zu erler- also das Erkennen und Benennen von Unter- die Erwartungen und Forderungen der Umwelt Es ist unser Credo, Jugendliche zur Selbstbe- nen. Das ist bei Jugendlichen genauso: Wenn schieden, muss geübt werden. Erst wenn man an. Sind diese zu extrem, entsteht eine verscho- stimmung zu befähigen. Da geht es um die sie rebellieren, kann der Grund dafür sein, dass sie beherrscht, kann selbstständig gehandelt bene Persönlichkeit – ein sogenanntes „falsches allgemeinen Entwicklungsaufgaben wie Schu- sie zu Hause eingeengt werden und nicht die werden. Jugendliche probieren sie im Kleinen Selbst“. Daraus kann sich in der Folge sogar le, Freundschaften, Sexualität oder Ähnliches. Freiheit erhalten, die für ihre Lebensphase so und im Großen immer wieder aus: Sie suchen eine psychische Störung entwickeln. Wir sehen dabei natürlich, wenn etwas im Weg wichtig ist. nach der passenden Ausbildung, sie entwickeln steht – wie der Umgang zu Hause, Depres- Kann man überhaupt erziehen, ohne in eine Haltung zu Nikotin und Alkohol, sie erkun- sionen oder sonstige Probleme – und gehen Das heißt, ob man als Erwachsene:r selbst- den ihre Sexualität und vieles mehr. bestimmt ist, zeichnet sich schon in der eine gewisse Richtung zu lenken? darauf ein. Auf den Punkt gebracht, geht es uns aber schlicht darum, die Jugendlichen bei Erziehung ab. Nein, denn unser Elternhaus und unser Kultur- Kann Selbstbestimmung auch überfordern ihrem Schritt in die nächste Ebene zu unter- kreis prägen uns. In der Erziehung gilt es, die oder negative Auswirkungen haben? stützen: dem Erwachsenenleben. 20 21
30 Das Hilfswerk Steiermark ist 2022 Wie geht es weiter? Noch ein Grund mehr, in den besten Jahren. Teil des Teams zu sein: Wir können es kaum In den Mobilen Diensten erwarten, mit unseren wird die 36-Stunden- Mitarbeiter:innen Warum? Na, weil wir auf ein gemeinsam in die Jahre Woche eingeführt erfolgreiches Leben zurückbli- Zukunft zu starten. cken und in eine spannende Zu- kunft vorausschauen können. 2020 Dies waren die Highlights auf Die erste Betriebstagesmutter startet unserem 30-jährigen Weg. Hilfswerk 2021 Übernahme des Kindergartens in 2020 2018 Kitzeck Auszeichnung als familien- Verleihung der Urkunde freundlichster Arbeitgeber zur Führung des steiri- in der Sparte Soziales schen Landeswappens 1992 Unsere Geburtsstunde: 1993 - 1996 Die ersten Sozialstationen Aufbau von 22 Sozialstationen 2017 für Mobile Dienste und psy- für die Hauskrankenpflege 2016 Beginn der Kinder- und chosoziale Beratungsstel- Beginn der Betreuung Jugendpsychiatrischen len wurden gebaut. von gerontopsychiatrischen Versorgung Patient:innen 1997 Die ersten Tagesmüt- ter starten im Hilfswerk! 2015 Somit bieten wir jetzt Rekord! Erstmals 2012 sind über 1000 Mit- Verleihung des Gütesiegels für schon Pflege, Psycho- arbeiter:innen beim Ausbildungslehrgänge für Tages- soziale Dienste und Hilfswerk beschäf- eltern und Kinderbetreuer:innen 1997 Kinderbetreuung an. tigt. Anerkennung als Drogenberatungsstelle 2013 Eröffnung der Seniorentagesstätte 2012 1998 Eröffnung von neuen Eröffnung der Tagesstätte für in Markt Hartmannsdorf Seniorenwohnungen in psychisch kranke Menschen 2004 vielen Gemeinden in Feldbach Start des Palliativteams Fürstenfeld in Kooperation mit der KAGES 1998 2009 Start der Mobilen 2005 Einführung der mobilen Datener- Kinderkrankenpflege 2004 Simsalabim, die Simul- fassung mittels Handy für die Beginn der Mobilen tania Judenburg eröff- Mobilen Dienste 2000 Sozialpsychiatrischen net! Mehr zur Tages- 2006 Das Hilfswerk ist zwar erst Betreuung Beginn der Beratung 2001 stätte für Menschen mit 8 Jahre alt, aber die Ju- für pflegende Angehörige Eröffnung der ersten Beeinträchtigung findet gend ist uns schon jetzt beiden Kinderkrippen sich ab Seite 24. ein Anliegen: Streetwork und die ersten beiden Ju- gendzentren eröffnen. 2008 2004 Start des Angebots Start von Betreuten der 24h-Pflege 2001 Seniorenwohnungen 2007 Beginn der Nachmittags- Eröffnung des Vollzeitbetreuten betreuung an Schulen Wohnens in der Simultania 22 23
Wie schön FÜR SABRINA UND IHRE KOLLEG:INNEN IN DER SIMULTANIA KOMMT DER SPASS NIE ZU KURZ. ist die Eines spürt man in der Simultania Liechtenstein sofort, wenn sich die Tür öffnet: Menschlichkeit. Reine Beschäftigungstherapie und blindes Arbeiten nach pädagogischen Richt- linien sind hier fehl am Platz. Die Mitarbeiter:innen haben die Mission Vielfalt! der Simultania verinnerlicht, jede:r Einzelne trägt sie auch nach einem Arbeitstag noch mit hinaus. Dass die Simultania ein Ort der Begegnun- sionelle Arbeit ist natürlich wichtig, aber man gen ist, machte sich beim runden Tisch mit 7 hat sofort gemerkt, dass „Echt-sein“ gefragt ist, Team-Mitgliedern bemerkbar: Oft läutet es an du musst hier keine Show abziehen. Hier darfst der Tür, Besucher betreten die helle Aula des du Mensch sein. Wohnhauses, treffen sich für die Besprechung Gorana: Genau, ich bin ich. Die Arbeit ist sicher wichtiger Themen oder kommen einfach so auf wichtig, aber man darf sie auch mit Spaß ver- einen Kaffee vorbei. Viele kennen die Bewoh- binden, man darf man selbst sein. Das schafft ner:innen bereits, es wird gescherzt, getratscht eine besondere Energie und die spürt man, und gelacht. Man merkt: Es sind nicht nur leere wenn man reingeht. Floskeln, wenn die Mitarbeiter:innen sagen, Tamara: Hier kommen alle zusammen, wie sie man darf hier sein, wie man ist. Dazu gehört die sind, ob Kund:innen oder Mitarbeiter:innen. In gegenseitige Akzeptanz, die Offenheit gegen- anderen Einrichtungen wird oft das Essenziel- über Neuem und die Freiheit, selbstbestimmt le, das unsere Arbeit ausmacht, vergessen: Dass zu leben. Ein Gespräch über alles, was die Si- wir alle Menschen sind. Jede:r mit individuellen multania Liechtenstein ausmacht. Stärken und Schwächen. Genau das macht un- sere Vielfalt aus. ZUM AUFWÄRMEN EINE FRAGE IN DIE RUNDE: WAS BEDEUTET DIE SIMULTANIA FÜR EUCH? WELCHE ROLLE SPIELT SELBSTBESTIMMUNG - FÜR EUCH IN EURER ARBEIT UND AUCH FÜR Von Fehlern, Menschlichkeit und Gorana: Vielfalt. Bernd: Und Freiheit in der Arbeit. DIE KUND:INNEN? Unterschieden, die es nicht geben sollte. Gorana: Genau. Wir können viel selbst bestim- men, es gibt kein starres Konzept. Gorana: Selbstständigkeit ist wichtig und steht bei uns allen im Fokus. Man merkt auch, dass Anna: Ich war zuvor in anderen Tagesstätten, das Selbstbewusstsein der Kund:innen steigt, in denen Richtlinien und starre pädagogische wenn sie eigene Entscheidungen treffen. Prinzipen wichtig waren. Als ich nach Juden- Tamara: Wir ermöglichen Selbstbestimmung, burg zog und die SIM betrat, war es anders. wo immer es geht. Wir gehen auf Bedürfnisse Hier steht das Herz im Mittelpunkt. Die profes- ein, nehmen Wünsche ernst und hören zu. 24 25
"Je weniger ich eingreifen muss, desto besser ist meine Arbeit. " GEGENSEITIGE AKZEPTANZ IST VORAUSSETZUNG IN FÜR BERND STEHT DIE FÖRDERUNG DER DER SIMULTANIA. DAS GILT SOWOHL FÜR DAS TEAM SELBSTBESTIMMUNG GANZ OBEN. ALS AUCH FÜR ALLE KUND:INNEN. GORANA SCHÄTZT DIE VIELFALT Anna: Viele kennen das ja noch nicht. Wir Ingrid: Wir schaffen die Struktur, an denen sich Gorana: Fehler sind menschlich und wir alle sagen „Das magst du nicht, das ist dir zu scharf.“ haben Kund:innen, die nicht sprechen können die Kund:innen orientieren können. Und da gibt hier sind Menschen. Da gibt es keinen Unter- Woher sollte ich wissen, dass es zu scharf für ihn und dadurch noch nie richtig gehört wurden. es Regeln – für alle, auch für das Personal. Ich schied zwischen uns Betreuer:innen und den ist, wenn er es nie probiert hat? Da fangen wir damit an, ihnen einfach nur die kann ja auch nicht alles frei entscheiden und Kund:innen. Tamara: Ich denke es ist ganz wichtig, dass wir Wahl zwischen zwei Joghurts zu geben. Und muss mich an meine Dienstzeiten, meine Auf- ihnen bei uns Möglichkeiten bieten, neue Er- man merkt, da passiert etwas. Sie lernen „Mein gaben, eben an meinen Rahmen halten. In der GORANA HAT ES ANGESPROCHEN, ES GIBT fahrungen zu sammeln. Blick hat eine Wirksamkeit, ich kann selbst Gruppe gibt es genauso Regeln, die einzuhal- KEINEN UNTERSCHIED UND TROTZDEM bestimmen.“ Da blühen sie auf, da fängt die ten sind. HAT JEDE PERSON ANDERE BEDÜRFNISSE. WIE SCHWER IST DER PROZESS VOM Charakterbildung an, die für uns so grundle- Bernd: Jede:r muss sich bewusst sein: Mein Tun WIE GEHT MAN MIT DIESER VIELFALT UM? LOSLÖSEN VON ZUHAUSE BIS ZUR SELBST- gend ist. hat Konsequenzen. Das vermitteln wir. STÄNDIGKEIT IN DER SIM? Sabrina: Selbstständigkeit bedeutet für mich, Gorana: Man kann so viel Neues mit unse- dass die Kund:innen ihren Alltag weitgehend IHR HABT AUCH KUND:INNEN, DIE SICH ren Kund:innen ausprobieren, Dinge die man Ute: In der Tagesstätte hat man den Wechsel eigenständig bewältigen können. Natürlich SCHWER MITTEILEN KÖNNEN. WIE FIN- ihnen womöglich gar nicht zugemutet hätte. zwischen hier und dem Zuhause der Kund:in- mit meiner Unterstützung, aber das heißt nicht, DET MAN DAS RICHTIGE MASS ZWISCHEN Viele sehen nur die Behinderung, aber dahin- nen viel stärker, im Wohnhaus ist das anders. dass ich jeden Schritt überwache. Für mich ist SELBSTSTÄNDIGKEIT UND UNTERSTÜT- ter steckt so viel mehr. Wenn Menschen von zu Hause ausziehen und es ein guter Arbeitstag, wenn ich mich zurück- ZUNG? Ingrid: Die Behinderung steht für viele im hierher kommen, erleben sie zum ersten Mal, nehmen kann. Vordergrund, die nicht mit Menschen mit Be- dass sie auf eigenen Beinen stehen können. Bernd: Genau. Wenn ich weniger eingreifen Ingrid: Einen gewissen Rahmen hat man ja, einträchtigungen zu tun haben. Die sehen Das Umfeld macht die Menschen eigenständi- muss, bedeutet das für mich, dass meine Arbeit durch Biographiearbeit, Empfehlungen von zu- diese und haben oft Mitleid. ger, sie dürfen sich komplett neu erfahren. Im passt, weil die Kund:innen selbstständig durch hause oder von Lehrer:innen. Dieser Austausch Gorana: Das gilt auch für die Eltern. Die halten Wohnhaus haben sie erstmals ein Zimmer für den Tag gehen. ist wichtig, alles andere erreicht man durch Ver- viel zu oft die schützende Hand über ihre Kin- sich allein, sie müssen nicht essen, wenn alle such und Wirkung. der, dabei ist das nicht notwendig. Das fängt essen, sie dürfen anziehen, was sie wollen. HAT SELBSTBESTIMMUNG GRENZEN? schon beim Essen an, wir hören so oft: „Die Tamara: Natürlich ist der Loslösungsprozess WIE WICHTIG IST ES, FEHLER ZU ERLAUBEN? Mama hat gesagt, ich mag das nicht.“ Erst auch vonseiten der Eltern nicht einfach, was Sabrina: Ja. Es gibt Situationen, da kann man letztens war das bei einem Kunden in unserer total verständlich ist. nicht einfach zuschauen und muss eingreifen. Ute: Das musste ich selbst erst lernen. Zu Be- Gruppe der Fall. Als er es dann doch probiert Bernd: Das Loslassen ist hart, weil sich Eltern Tamara: Man muss eben das Mittelmaß finden. ginn hätte ich sicher noch öfter eingegriffen, hat, hat er gesagt: „Jetzt muss ich der Mama Sorgen machen. Aber man muss auch mal Feh- Gorana: Selbstbestimmung heißt nicht, alles mittlerweile weiß ich, dass es ok ist, wenn das sagen, dass ich das zuhause auch mal essen ler zulassen, dadurch lernen Kinder. Wenn das zuzulassen. Wir begleiten unsere Kund:innen Essen anbrennt oder wenn Kund:innen mal län- möchte!". Loslassen von den Eltern aus nicht kommt, ist im Leben, erleichtern ihnen Entscheidungen, ger für etwas brauchen. Das macht auch mit Bernd: Genau, vieles wird von vornherein ab- es schwierig. Und selbst wenn Eltern dazu be- indem wir informieren und Möglichkeiten einem selbst etwas. gewiesen. Wenn ich mit einem Kunden essen reit sind, fehlen oft die Möglichkeiten. Weil das bieten, aber es gibt gewisse Rahmenbedingun- Tamara: Für uns alle ist es ein Lernprozess. Es ist gehe und er möchte was Scharfes bestellen, Angebot sehr begrenzt ist und die betreuten gen, an die wir uns halten müssen. wichtig, Fehler zuzulassen. lasse ich ihn das probieren. Ich kann nicht Wohnplätze schnell vergriffen sind. 26 27
das? Bei uns würde man sofort fragen, ob man DAS IST POSITIVER TEAM-SPIRIT! helfen kann, weil man davon ausgeht, dass sie es alleine nicht schafft. Gorana: Weil sie gleich abgestempelt werden würde. DAS HEISST, WENN WIR NICHT SO SEHR KLASSIFIZIEREN WÜRDEN, WÜRDE MAN DIE UNTERSCHIEDE GAR NICHT WAHRNEH- MEN - UND ES GÄBE MEHR TOLERANZ. Gorana: Unsere Kunden leben es eigentlich vor: Wir haben zum Beispiel einen, der gerne redet und oftmals lauter ist. Eine andere Kundin kann damit nicht so gut umgehen. Aber sie kommen zurecht – entweder geht sie oder er geht aus dem Raum, aber sie tolerieren sich. Es kommt dadurch nicht zu großen Reibereien. Bernd: Es gibt natürlich schon auch Streit, wie bei uns allen. Wir müssen ja auch nicht immer "Die Menschen hier lernen: Mein mit jedem auskommen. Und wenn jemand grantig oder genervt ist, darf er es auch sagen. Blick hat Wirksamkeit. Und da Solange es im Rahmen bleibt ist das ja ok. Foto von Reini & Plo fängt die Charakterbildung an." HAT DIE TOLERANZ AUCH MAL GRENZEN? ANNA Ingrid: Ja und zwar dann, wenn einer vor dem anderen Angst hat. Oder wenn eigene Schmer- zen, physisch oder psychisch, beginnen. DER GRUNDSTEIN FÜR DIE ERRICHTUNG Tamara: Dann ist es unsere Aufgabe, sensibel DER SIMULTANIA WURDE DURCH DAS VOR- zu reagieren. Und einzuschreiten, wenn es not- STANDSMITGLIED DI LUITPOLD LIECHTEN- wendig ist – auch wenn es uns selbst betrifft. STEIN IN FORM EINER GRUNDSTÜCKS- Ingrid: Selbstschutz vor Fremdschutz gilt SCHENKUNG GELEGT. VIEL PASSIERT ALSO SCHON ZUHAUSE. Anna: Es fehlt auch viel an Aufklärung und In- immer. Wenn es mir schlecht geht, kann ich DENKT IHR, DASS DIE GESELLSCHAFT ALL- formation. Viele sind unsicher, wie man mit meine Kund:innen auch nicht richtig betreu- GEMEIN TOLERANTER SEIN KÖNNTE? besonderen Bedürfnissen umgehen soll. Sabrina: Weil Menschen mit Behinderung gar en. Man hat als Mensch auch nicht unendliche Ein Haus der Ressourcen, man kann nicht alles aushalten. Bernd (lacht): Ja. nicht wirklich sichtbar sind. Wenn wir inklusiver Bei uns in der Gruppe haben wir ausgemacht: Menschlichkeit Tamara: Absolut. Obwohl man glaubt, es müss- wären, hätte man auch mehr Schnittpunkte. Wenn jemand überlastet ist, kann man sich aus te mittlerweile anders sein, stößt man so oft Ute: Genau. Der perfekte Zustand wäre, wenn der Situation rausnehmen und beispielsweise Reinhard Kollmann und Helmuth auf Blockaden. Wie vorhin gesagt, die Leute es unser Berufsbild nicht brauchen würde. eine Runde spazieren gehen. Wir haben da ein Ploschnitznigg haben 2004 mit sehen oft nur die Behinderung. Aber wo ist der Es ist eigentlich falsch, dass es ein eigenes Ventil geschaffen. der Errichtung der Tagesstätte Mensch? Wohnhaus, eine eigene Tagesstätte gibt. Das Bernd: Ich bin auch froh, dass wir nichts produ- den Grundstein für die SIM gelegt. Richtige wäre eine Welt, in der unsere Kund:in- zieren, sonst hätten wir immer Druck und die Die Simultania wurde als Ort der WAS BRAUCHT ES, DAMIT DIE GESELL- nen in einem normalen Wohnhaus leben, einer pädagogische Arbeit müsste hintenangestellt Menschlichkeit errichtet - mit vielen SCHAFT TOLERANTER WIRD? normalen Arbeit nachgehen könnten. Mit pro- werden. Wir können zu unseren Kund:innen helfenden Händen die genau diese fessioneller Unterstützung natürlich… sagen: Ich merke du brauchst eine Auszeit, Menschlichkeit gezeigt haben. Ingrid: Die richtige Erziehung. Von klein auf Gorana: …und Bezahlung! nehmen wir uns die und verbringen den Tag sollte vermittelt werden, dass Menschen mit Ingrid: Derzeit nimmt ja kaum ein Betrieb frei- einfach woanders, vielleicht auch nur zu zweit. Heute besitzt der Verein Simultania Behinderung genau so sind wie du und ich. willig Menschen mit Behinderung auf. Es ist für Gorana: Wir leben das hier auch, wir schauen Liechtenstein eine verbaute Fläche Die Kinder bei uns (Anm.: Im SIM-Gebäude gibt sie unmöglich „normal“ zu arbeiten. aufeinander. von 4000 m² und eine Freifläche von es auch eine Kinderkrippe) tun sich da sicher Sabrina: Da sind wir weit weg von Integrati- 1000 m². Die Hilfswerk Steiermark leichter, da der Kontakt mit den Menschen in on. Auch wenn das oft so schön betont wird DAS SPÜRT MAN. GmbH ist vom Land Steiermark an- der Simultania immer gegeben ist. - wo bitte sind Menschen mit Behinderung erkannter Träger der Einrichtung Ute: Dieser Kontakt ist für andere leider nicht integriert? In unserer Welt wird alles schön auf- und für den gesamten Betrieb in immer verfügbar. Es ist etwas komplett an- geteilt. Erste Klasse, zweite Klasse, VIP und so wirtschaftlichen und rechtlichen Be- Danke an die Gesprächsteilnehmer:innen: deres, wenn man unsere Kund:innen hier in weiter. Wir werden alle klassifiziert. langen verantwortlich. Bernd Galler, Gorana Lucic (Fach-Sozialbetreuer:innen der Simultania erlebt, als sie flüchtig beim Ute: In vielen Ländern funktioniert das schon in der Tagesstätte), Ute Kollmann (Diplom-Sozial- Einkaufen zu treffen. Es braucht schon mehr Er- besser. Ich war in Irland und mir ist aufgefallen, betreuerin im Wohnhaus), Ingrid Brunner, Sabrina Mehr zur Simultania: fahrung, um zu merken, dass sie nicht anders dass eine Frau mit Down-Syndrom am Straßen- Ornigg, Tamara Perner (Diplom-Sozialbetreuerinnen www.simultania.at als alle anderen Menschen sind. rand steht und auf ein Taxi wartet. Wie cool ist in der Tagesstätte) und Anna Schöner (B.Ed.) 28 29
Die Fachbereichsleitung der psychosozialen Dienste über Vorurteile gegenüber psychischen Erkrankungen. IST DAS SO? S eit 30 Jahren arbeite ich im psychosozia- Arbeitsleistung in Verbindung gebracht wird. Was kann man selbst, beziehungsweise eine psychosoziale Beratungseinrichtung. Bei len Bereich. Seit 30 Jahren beschäftige ich Für mich stellt sich die Frage, wie es sich mit was kann die Gesellschaft tun, um Vorur- starken Zahnschmerzen würden Sie doch auch mich gemeinsam mit meinen Kolleg:in- anderen Diagnosen wie Depression, Schizo- teile gegenüber psychischen Erkrankun- sofort einen Zahnarzt aufsuchen. Je schneller nen mit den Fragestellungen: Sind psychische phrenie, Persönlichkeitsstörungen verhält. Ken- gen abzubauen? sich Betroffene mitteilen, desto schneller kön- Erkrankungen nach wie vor mit einem Stigma- nen wir auch hier Hintergründe und genaue nen gezielte Behandlungen geboten werden. ta, also einem negativen Vorurteil, belegt? Sind Definitionen? Wissen wir, warum man von die- Als Mitmenschen sollten wir einmal unser „Wer- Sprechen Sie über Ihre Erkrankung. Erklären psychische Erkrankungen körperlichen Erkran- sen Erkrankungsformen betroffen ist? Ich traue te-Schubladendenken“ infrage stellen. Schub- Sie Freunden und Bekannten, was gerade bei kungen gleichgestellt? Werden Menschen mit mich zu behaupten, dass wir das nicht bezie- laden sollten immer wieder entrümpelt und Ihnen passiert. psychischen Erkrankungen anders behandelt? hungsweise nur zu einem kleinen Teil tun. Viele geleert werden. Überdenken Sie Ihr eigenes Wertemuster Wir als Psychosoziale Diens- Zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit in die- Erkrankungsformen sind nach wie vor mit Vor- urteilen belegt und und deren Stigmatisierung und Ihr Wissen, holen Sie sich "Schubladen sollten te bemühen uns, auch in Informationen und vor allem, sem Bereich war dies definitiv so. Betroffene manifestiert sich in unterschiedlichsten Ausprä- sprechen sie mit Betroffe- immer wieder Zukunft über psychische Er- krankungen zu informieren Menschen versteckten sich mit ihrer Erkran- gungsformen: kung. Sie trauten sich nicht zum Arzt, sie hatten nen. Bei einer körperlichen Erkrankung eines Bekannten entrümpelt und und Angehörige gut zu bera- ten, aber vor allem: Betroffe- Hemmungen, den Weg in eine Beratungsstelle Formen der Stigmatisierung von Personen zu suchen – man könnte ja gesehen werden. Lei- mit psychischer Erkrankung fragt man ja auch: Wie geht geleert werden." nen rasch Unterstützung zu der wurden damals tatsächlich viele Menschen, es Dir? Was hast Du genau? bieten. ● Direkte Stigmatisierung: Werden Betrof- die im Wertesystem keinen Platz fanden, stig- Warum hast Du das? Wie kann ich Dir helfen? fene direkt und persönlich verurteilt, wie es matisiert. Zahlreiche Unwahrheiten über psychi- beispielsweise bei der Ablehnung am Ar- Auch bei Personen mit psychischen Erkrankun- Psychische Erkrankungen betreffen alle sche Erkrankungen waren im Umlauf. Auch mir beitsplatz oder von bestimmten Gruppen gen sollte man dies tun. Altersgruppen. Also lassen Sie uns darü- selbst begegneten viele mit einem Unverständ- passiert, spricht man von direkter Stigma- ber reden! nis, wenn ich über meinen Beruf sprach. tisierung. Betroffene sollten sich nicht weiter selbst dis- Das Psychosoziale Zentrum in Feldbach bietet rasche und ● Strukturelle Stigmatisierung: Hier liegt eine kriminieren. Wenn Sie ein psychisches Unwohl- unbürokratische Hilfe bei psychischen und psychosozia- In den letzten 30 Jahren haben sich nicht nur systematische Ungleichbehandlung vor. sein empfinden, holen Sie sich so rasch wie len Problemen, Abhängigkeitserkrankungen oder Krisen: die Vorurteile gegenüber psychischen Krank- Das passiert unter anderem bei Therapie- möglich ärztlichen Rat oder wenden Sie sich an www.hilfswerk.at/steiermark/psychosoziale-dienste heiten verändert, sondern auch die Diagnosen, angeboten oder der Übernahme von Kos- vor allem seit sich der Begriff „Burn-out“ durch- ten einer psychischen Therapie. Körperliche gesetzt hat. Fast jeder von uns kennt Burn-out, Behandlungen sind häufig im Vorteil - bei fast jeder weiß, was es bedeutet. Der Begriff ist eine Diagnose unserer leistungsorientierten einem gebrochenen Bein wird nie infrage Die Autorin gestellt, ob es gegipst wird oder nicht. Gesellschaft, er wurde zum Inbegriff von hoch ● Selbstdiskriminierung: Nicht zu verges- Mag. Andrea Descovich ist Fachbereichsleitung der Psychsosozialen Dienste und mittlerweile motivierten Menschen – sogenannten „Arbeits- sen ist die letzte Form der Stigmatisierung. seit 30 Jahren ein Teil des Hilfswerk Steiermark. Ausgehend vom Start im Jahr 1992 half sie, tieren“ – die für ihre Arbeit und ihre Aufgaben Dabei werden die Vorurteile als Ergebnis die Psychosozialen Dienste steiermarkweit zu etablieren. Mindestens genau so lange spricht brennen und dadurch ausbrennen. Burn-out sie sich gegen das Unverständnis und die Vorurteile gegen psychisch erkrankte Personen aus. unserer Sozialisation und unseres (leistungs- wird in unserer Gesellschaft akzeptiert – viel- orientierten) Wertesystems in Bezug auf leicht auch gerade, weil es mit einer gewissen eine Erkrankung gegen sich selbst gerichtet. 30 31
Selbstständigkeit FÖRDERT Selbstvertrauen Erziehung und deren Ziele sind immer individuell anzusehen. Sie basieren auf den Erfahrun- gen, Kenntnissen und Fähigkeiten – des Erziehenden und des Erzogenen. Ein Universalrezept für gelungene Erziehung gibt es also nicht. Aber Erfahrungswerte von Menschen, die sich jeden Tag um nichts anderes kümmern: um das Wohl unserer Kinder. Ein Beitrag aus der Nachmittagsbetreuung. IM GRUNDE WÜNSCHEN WIR UNS ALLE DASSELBE: UNSERE KINDER SOLLEN GLÜCKLICHE UND SELBST- BEWUSSTE ERWACHSENE WERDEN. Freiräume, die Kinder selbst gut schaffen kön- Zu Grenzen gehören Regeln. Auch diese sind UND WIE WERDEN KINDER DADURCH nen und die nicht überfordern, tragen zur positiv zu sehen, denn sie begünstigen ein har- SELBSTSTÄNDIG? Förderung von Selbstsicherheit und zur Ent- monisches Miteinander und haben eine Weg- wicklung von Selbstbewusstsein bei. Je selbst- weiserfunktion im Alltag. Werden Regeln nicht Indem wir sie loben und ermutigen, fördern, Karin Gerstl, aber nicht überfordern, Regeln vorgeben und Freizeit- ständiger Kinder werden, desto wichtiger sind eingehalten, sollten den Kindern die Konse- Probleme selbst lösen lassen. Wir wissen, wann gegenseitiges Vertrauen und klare Vereinba- quenzen bewusst sein – wohl wissend, dass pädagogin Grenzen gesetzt werden müssen und kommu- rungen. wir in der Rolle der Betreuenden auch mal ein nizieren diese, wenn es notwendig ist. Übermä- Auge zudrücken dürfen. ßiger Druck und zu viel Kontrolle können oft WIE SCHAFFT MAN DIESEN BALANCEAKT überfordernd wirken. Ein Zitat der Reformpäd- ZWISCHEN FREIHEIT UND GRENZEN? Karin Gerstl ist als Freizeitpädagogin in der WIE FÖRDERN WIR IN DER NACHMITTAGS- agogin Maria Montessori kann dabei Wegwei- Positive Grenzen haben nichts mit Erziehung Nachmittagsbetreuung in einer Ganztags- BETREUUNG DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT AUF ser sein: oder gar Bestrafung zu tun. Sie unterstützen schule tätig. Sie ermutigt täglich Kinder auf NATÜRLICHE WEISE? ein differenziertes Denken und erweitern so- dem Weg zur Selbstständigkeit. Weitere gar eigene Handlungsmöglichkeiten. Dadurch ● Wir gewähren Freiraum, indem wir die Kin- "Hilf mir, es selbst zu tun. Zeige mir, wie es geht. Ziele in der pädagogischen Arbeit sind die lernen Kinder die Bedürfnisse anderer wahrzu- der entdecken lassen Stärkung des Vertrauens in die eigenen Fä- Tu es nicht für mich. Ich kann und will es allein nehmen, sie zu akzeptieren und zu respektie- ● Wir begrüßen Eigeninitiative higkeiten, die Vermittlung von Wertschät- ● Wir lassen die Kinder Entscheidungen tref- tun. Hab Geduld, meine Wege zu begreifen. Sie ren. zung und Respekt, die Förderung von Krea- fen und nehmen ihnen nicht alles ab sind vielleicht länger, vielleicht brauche ich mehr tivität, Individualität und sozialem Mitein- ● Wir übertragen den Kindern Verantwortung Zeit, weil ich mehrere Versuche machen will. Mute ander. Und ganz besonders: Das Schaffen In der schulischen Betreuung halten wir uns ● Wir lassen die Kinder kleine Konflikte selbst mir Fehler und Anstrengung zu, denn daraus kann einer Atmosphäre, in der Kinder sich wohl an die Stop-Regel, wenn etwas über die eigenen und geborgen fühlen. lösen ich lernen." Grenzen geht („Stop, das mag ich nicht“). ● Wir vermitteln Schutz und Geborgenheit 32 33
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