INFO - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

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INFO                        02/2012

SCHWERPUNKT
Für mehr
BIldungsgerechtigkeit 3

VORDENKEN
Wieviel Ungleichheit
verträgt die Demo-
kratie?              16

MITWIRKEN
Vier Szenarien für die
Zukunft des Euro       26

TEILHABEN
Soziale Absicherung
von Künstlern und
Kreativen           44

VERNETZEN
Eröffnung der neuen
FES-Vertretung
in Athen            46
INFO - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
2     APRIL ­– MAI – JUNI – JULI 2012

            Inhalt
                     FES-INFO 2/2012                                                              TEXT­BEI­TRÄ­GE
                                                                                                  IN DIE­SER AUS­GA­BE
                                                                                                  Merin Abbass, Henrike Allendorf, Joanna
                     SCHWERPUNKT                                                                  Andrychowicz, Christine Arbogast, Jörg
                                                                                                  Bergstermann, Jakob Birkenhäger, Ruth
                     Bildungschancen nicht verlieren:
                                                                                                  Brandherm, Matthes Buhbe, Agata
                     Plädoyer für eine nationale Bildungsstrategie ....................3          Chroboczek, Oliver Dalichau, Olena
                     Gemeinsame Lösungen finden:                                                  Davlikanova, Christian Denzin, Uta Dirksen,
                     Die Arbeit des „Netzwerk Bildung“....................................4       Simon Dreß, Sina Dürrenfeldt, Felix Eikenberg,
                                                                                                  Matthias Eisel, Roland Feicht, Keshia Fredua-
                     Bildungsanspruch als Leitmotiv:                                              Mensah, Martin Gräfe, Constantin Grund,
                     Historischer Rückblick auf den                                               Enrico Günther, Björn Hacker, Frank Hantke,
                     sozialdemokratischen Aufstiegswillen ..............................15        Jan Heidemanns, Tina Hennecken, Stephanie
                                                                                                  Hepper, Ralf Hexel, Daniela Iller, Marei John-
        Vordenken    GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT /                                              Ohnesorg, Friederike Kamm, Christos
                     S O Z I A L E D E M O K R AT I E                                             Katsioulis, Nicole Katsioulis, Anne Klein, Ursula
                                                                                                  Koch-Laugwitz, Kai Kolwitz, Alberto
                     Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie?                               Koschützke, Eszter Kovats, Annette Lohmann,
                     Sommeruniversität der FES in Potsdam ............................16          Ralf Melzer, Galyna Meshcheryakova, Katja
                     Wohin geht Südafrika?                                                        Meyer, Anja Minnaert, Dietmar Molthagen,
                                                                                                  Kerstin Ott, Tim O. Petschulat, Robert Philipps,
                     Autumn School für politischen Nachwuchs .....................20              Johannes Platz, Jochen Reeh-Schall, Benjamin
                     Verbieten oder nicht verbieten?                                              Reichenbach, Simone Reperger, Stefanie
                     Zum Umgang mit rechtsextremen Vereinigungen.............23                   Ricken, Ingrid Ross, Matthias Ruschke, Lena
                                                                                                  Schick, Catrina Schläger, Axel Schmidt, Katrin
                     Mit Erfolg in die Kommunalpolitik:                                           Schömann, Janett-Li Schrader, Markus
                     Seminarreihe der KommunalAkademie............................24              Schreyer, Philip Schunke, Bastian Sendhardt,
                                                                                                  Markus Sievers, Sebastian Sperling, Susanne
        Mitwirken    W I R T S C H A F T, A R B E I T, S O Z I A L E S                            Stollreiter, Stephan Thalhofer, Markus Trömmer,
                     Vier Szenarien für die Zukunft des Euro:                                     Britta Utz, Eva Váry, Ringo Wagner, Julia Walter,
                                                                                                  Anna-Lena Werner, Christof Wittmaack, Meik
                     Paneuropäischer Austausch..............................................26
                                                                                                  Woyke, Nicole Zeuner, Harald Zintl
                     Kein Erfolgsmodell:
                     Niedriglohnsektor in Deutschland.....................................33
                     Jobmotor oder Standortrisiko?
                     Diskussion über die Energiewende in Deutschland...........35
                     Ein Labor für grüne Technologien:
                     Staatspräsidentin von Costa Rica in der FES......................36          IMPRESSUM
                                                                                                  He­raus­ge­ber:
         Teilhaben   I N T E G R AT I O N , B I L D U N G , K U LT U R                            Fried­rich-Ebert-Stif­tung
                     Gegen Legendenbildung und Verharmlosung:                                     Kom­mu­ni­ka­ti­on und Grund­satz­fra­gen
                     Rückschau auf die DDR im 23. Bautzen-Forum.................38                Go­des­ber­ger Al­lee 149
                                                                                                  D-53175 Bonn
                     Brotlos durchs ganze Leben?                                                  Te­le­fon: 0228/883–0
                     Soziale Absicherung von Künstlern und Kreativen............41                In­ter­net: www.fes.de
                     Anerkennung und Respekt:                                                     E-Mail: pres­se@fes.de
                     Mehr Toleranz durch Sport...............................................42
                                                                                                  Re­dak­ti­on: Pe­ter Do­nais­ki,
                                                                                                  Pres­se­stel­le Ber­lin
        Vernetzen    E U R O PA U N D D I E W E LT
                                                                                                  Hi­ro­shi­ma­stra­ße 17, D-10785 Ber­lin
                     Am Ursprung der Demokratie:                                                  Te­le­fon: 030/269 35–7038
                     FES mit neuer Vertretung in Athen...................................46       Te­le­fax: 030/269 35–9244
                                                                                                  E-Mail: pe­ter.do­nais­ki@fes.de
                     Warten auf die Demokratiedividende:
                     Dialogprogramm mit ägyptischen Sozialdemokraten........48                    Satz, Lay­out, Herstellung:
                     Fluch oder Segen?                                                            Pub­lix, H. Eschen­bach, Ber­lin
                     Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum..............51                  Druck: Saarländische Druckerei &
                                                                                                  Verlag GmbH, Saarwellingen
                     Kontinent des 21. Jahrhunderts? Lateinamerikas                               Foto auf der Titelseite und auf Seite 2:
                     Gewerkschaften für nachhaltige Entwicklung ..................57              Aleksandar Jocic - Fotolia.com
                                                                                                  Ti­telgestaltung / Montage:
                     Kritischer Freund:
                                                                                                  Wolfgang Rabe, Berlin
                     40 Jahre Chinesisch-Deutsche Beziehungen.....................58
                                                                                                  Prin­ted in Ger­ma­ny, August 2012
                     PUBLIKATIONEN                                                                Ge­druckt auf 90 g matt ge­stri­chen
                     Neue Publikationen der FES..............................................61   ISSN 0942-1351

FES   I N F O          2 / 2 0 1 2
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SCHWERPUNKT             3

            FÜR MEHR
BILDUNGSGERECHTIGKEIT

BILDUNGSCHANCEN NICHT VERLIEREN                                                                         Konferenz

P L Ä D O Y E R F Ü R E I N E N AT I O N A L E B I L D U N G S S T R AT E G I E
Für Bildung sind die Länder zuständig. Wer aber       den sozialen Schichten, sondern auch zwischen
übernimmt länderübergreifend Verantwortung            Bundesländern.
für Bildungsfragen? Im Bereich der Inklusion          Diese Auswirkungen des Föderalismus erfor-
oder beim Rechtsanspruch für einen Kitaplatz          derten einen zusätzlichen parteiübergreifenden
ab 2013 wurden auf nationaler Ebene Verpflich-        bildungspolitischen Konsens – eine nationale
tungen eingegangen. Der Grundsatz der Gleich-         Bildungsstrategie.
wertigkeit der Lebensverhältnisse muss gesichert      Symptomatisch für die Unterschiede zwischen
werden. Vielfalt ist kein Wert an sich, wenn dabei    den Ländern sind Kindergartenzeiten, die in
Bildungschancen verloren gehen und Übergänge          einem Land für ein Jahr, in einem anderen für
erschwert werden.                                     drei Jahre kostenlos sind und in einem dritten
Ein überzeugendes Plädoyer für eine nationale         Land von der sozialen Lage der Eltern abhängen.
Bildungsstrategie hielt Prof. Dr. Jutta Allmen-       In jedem Bundesland werden andere Sprach-
dinger, Präsidentin des Wis-
senschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung,      bei   einer
Konferenz des Netzwerk Bil-
dung der FES. Aus ihrer Sicht
kann „von einer Bildungsrepu-
blik Deutschland keine Rede
sein“, sie gleiche eher „einer
Kleinstaaterei“. Sie bemängel-
te Unterschiede im Ausmaß
der absoluten Bildungsarmut,                                                                            Netzwerk Bildung
                                                                                                        der FES: Konferenz
in Bildungsergebnissen und
                                                                                                        in Berlin
–chancen nicht nur zwischen                                                                             (Foto: Bollhorst)

                                                                                       2 / 2 0 1 2            I N F O        FES
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4     SCHWERPUNKT

                     tests eingesetzt, um Förderbedarf vor Beginn der    Bei der Entwicklung von länderübergreifenden
                     Grundschule zu ermitteln. Gelungener Wettbe-        Strategien und Prioritäten könnte die 2005 ein-
                     werbsföderalismus sieht anders aus.                 geführte nationale Bildungsberichterstattung ei-
                     Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär a. D.       nen hilfreichen Beitrag leisten. Bisher enthalten
                     im BMBF, konstatierte einen „wachsenden             die Berichte jedoch keine ausdrücklichen Emp-
                     Widerspruch zwischen einem Bewusstseins-            fehlungen und die Länder verhindern außerdem
                     wandel in der Öffentlichkeit und fehlender          Vergleiche der Bundesländer durch die empi-
                     Handlungsbereitschaft bei den politisch Verant-     rische Bildungsforschung. Auf die uneinheitliche
                     wortlichen“. Vor diesem Hintergrund wurde bei       Schulstatistik wies Prof. Allmendinger hin. So sei
                     der Konferenz die Einrichtung eines „Bildungs-      z. B. nicht genau bekannt, wie viele Kinder mit
                     rats“ in Anlehnung an den Wissenschaftsrat vor-     Lernbehinderung es in den einzelnen Bundes-
                     geschlagen, in einem Zweikammersystem mit           ländern gibt. Die Konferenz hat gezeigt, dass es
                     einer Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlerinnen        Bereiche der Bildungspolitik gibt, die auf natio-
                     und Wissenschaftler und Persönlichkeiten des        naler Ebene abgestimmt und einvernehmlich ge-
                     öffentlichen Lebens sowie einer Arbeitsgruppe       regelt werden sollten. Angesichts der Bedeutung
                     aus politisch Verantwortlichen aus Bund und         des Bildungserfolgs für die Zukunft ist es kein
                     Ländern. Dazu müssten allerdings die Schranken      akzeptabler Zustand, wenn dieser von dem Bun-
                     für finanzielle Bundesförderungen im Bildungs-      desland abhängt, in dem ein Kind aufwächst.
                     bereich, das sogenannte „Kooperationsverbot“,       Vielfalt darf nicht dazu führen, dass Bildungs-
                     aufgehoben werden.                                  chancen verloren gehen.

       Gastbeitrag
                     GEMEINSAME LÖSUNGEN FINDEN
                     DIE ARBEIT DES „NETZWERK BILDUNG“

                     Das „Netzwerk Bildung“ der Friedrich-Ebert-Stiftung besteht inzwischen seit 2004. Ute Erdsiek-Rave,
                     schleswig-holsteinische Kultusministerin a. D., hat im November 2011 die Moderation des „Netzwerk Bil-
                     dung“ von Prof. Rolf Wernstedt übernommen. Sie war von Beginn an bei den Veranstaltungen des Netzwerks
                     dabei und berichtet über die damaligen und heutigen Ziele und Erfolge der Arbeit:

                     „Aktuelle Herausforderungen an die Bildungs-                                          tionär gewor-
                     politik – unter diesem Motto stand die erste                                          den ist.
                     Veranstaltung des ‚Netzwerk Bildung‘ am 30.                                           Ich halte es für
                     April 2004. Lässt dieses Thema überhaupt eine                                         ein     soziales
                     Bundes- und eine Ländersicht zu, habe ich da-                                         Netzwerk – al-
                     mals in meinem Beitrag gefragt. Zur Erinnerung:                                       lerdings eines
                     Die Diskussion um die Neuordnung der Kompe-                                           in dem nicht
                     tenzen in der Bildungspolitik war seinerzeit in                                       stündlich Ba-
                     vollem Gange – aber noch nichts war beschlos-                                         nalitäten mit-
                     sen.                                                                                  geteilt, son-
                     Vor diesem Hintergrund war es weitsichtig und       dern viermal jährlich reale Begegnung stattfindet
                     auch überfällig, in der Friedrich-Ebert-Stiftung    und Persönliches wie Politisches ausgetauscht
                     ein Forum zu schaffen, in dem Akteure aus Bund,     wird; und ein politisches Netzwerk gleicherma-
                     Ländern,     Wissenschaft,    gesellschaftlichen    ßen: keines, in dem Karrieren geplant und poli-
                     Gruppen zusammentreffen und die bildungs-           tische Absprachen getroffen werden, aber eines,
                     politischen Herausforderungen diskutieren, Po-      das den kontinuierlichen Dialog fördert und in
                     sition beziehen und die Ergebnisse der Öffent-      dem auf hohem Niveau diskutiert wird.
                     lichkeit präsentieren können. Die Bezeichnung       Die Ergebnisse, die wissenschaftlichen wie poli-
                     dieses Forums als ‚Netzwerk Bildung’ war und ist    tischen Beiträge werden in einer eigenen Reihe
                     Programm, auch wenn dieser Begriff inzwischen       publiziert, die hoch nachgefragt wird, weil die
                     diffus und in seinem Gebrauch schon fast infla-     Themen aktuell sind und aus unterschiedlichs-

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INFO - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
SCHWERPUNKT     5

ter Sicht beleuchtet werden. Alle Bände zusam-       und Bildungsweg verringert. Damit soll auch ge-
mengenommen ergeben fast so etwas wie eine           sagt werden, dass weder Themen noch Beiträge
Geschichte der Bildungspolitik in den letzten        beliebig im luftleeren Raum schweben. Das Ko-
zehn Jahren.                                         ordinatensystem ist klar, aber es schließt Kontro-
Dabei fällt auf: Die großen Themen sind immer        versen über die richtigen Wege nicht aus.
noch und immer wieder auf der Tagesordnung.          Der Anspruch des ‚Netzwerk Bildung’ ist hoch.
Die Schulstrukturfrage, Integration und Inklu-       Wir wollen nicht nur Positionen entwickeln,
sion, der neue Stellenwert der frühkindlichen        sondern auch die politische Entwicklung beein-
Bildung, die Probleme des Bildungsföderalismus       flussen. Und wir plädieren mit Nachdruck für
und als überragendes Thema die Herausforde-          mehr Austausch, mehr gemeinsame Lösungen,
rung vor allem an die Sozialdemokratie, für ein      mehr Zusammenarbeit in der Bildungspolitik.
gerechtes, durchlässiges Bildungssystem zu sor-      Im besten Fall entstehen diese gemeinsamen Lö-
gen, das die Abhängigkeit zwischen Herkunft          sungen auch durch unsere Arbeit.“

KONSENS ÜBER BILDUNGSMINIMUM                                                                               Publikation

D E B AT T E Ü B E R B I L D U N G S K A N O N
Was müssen wir wissen und was muss gelernt           sich schon früh von der sogenannten Stofffülle
werden, wenn Wissen und Informationen nahe-          verabschiedet und stattdessen mit Projektarbeit
zu unbegrenzt verfügbar sind?                        und fächerübergreifendem Unterricht die In-
Bildungsvermittlung ist Auftrag der Schule. Das,     halte der einzelnen Fächer verbunden.
was Kinder lernen sollen, ist mit Bildungsstan-      Aus Sicht von Prof. Heinz-Elmar Tenorth, Hum-
dards und Kompetenzzielen verknüpft. Brau-           boldt-Universität Berlin, ist ein Schulkanon auch
chen wir – darüber hinaus – noch eine (öffent-       jetzt     schon
liche) Debatte über Inhalte schulischer Bildung?     vo r h a n d e n :
Mit der Publikation „Bildungskanon heute“            „Die Kanon-
möchte das Netzwerk Bildung der Friedrich-           bildung und –
Ebert-Stiftung eine Debatte in dieser Richtung       umsetzung ist
anstoßen. 25 Autorinnen und Autoren nehmen           die kulturelle
Stellung, wie ein Bildungskanon heute aussehen       Funktion der
könnte. In vier Kapiteln werden Begründungen         Schule“. Prof.
und möglicher Nutzen eines Bildungskanons (1),       Jürgen Oel-
das zugrunde liegende Bildungsverständnis (2),       kers, Univer-
der durch Bildungsstandards entstandene infor-       sität Zürich,
melle Kanon (3) sowie die Umsetzung durch die        verweist auf
Schulpraxis (4) diskutiert.                          den „Mythos
Wie sollte ein solcher Kanon beschaffen sein?        Bildungsk a-
Es geht, so Ute Erdsiek-Rave, schleswig-holstei-     non“: Einen festgeschriebenen, verbindlichen
nische Bildungsministerin a. D., um die Defini-      Kanon habe es auch in der klassischen Bildung
tion eines Bildungsminimums, das ausbau- und         nie gegeben. Er plädiert für einen pragmatischen
anschlussfähig ist. Der Kanon sollte nach An-        Kanon als Konsens über das Minimum und
sicht des ehemaligen niedersächsischen Kultus-       für einen gemeinsamen Rahmen. Dieser Rah-
ministers Prof. Rolf Wernstedt nicht aus Perspek-    men müsse fachliche und überfachliche Kom-
tive der Fächer formuliert werden. Stattdessen       petenzen aufnehmen, er müsse den Schulen
sollten gesellschaftliche Kernfragen aufgegriffen    Spielraum lassen, er müsse zeitlich befristet und
werden, um so die Starrheit der Fächer aufzu-        revidierbar sein sowie die Chancen der neuen
lösen und im schulischen Alltag Zeit zu gewin-       Medien nutzen.
nen für Reflexionen und praktische Anwendung.
Dies bestätigt Ingrid Ahlrin, Leiterin der Helene-   P U B L I K AT I O N
Lange-Schule in Wiesbaden, während der Vor-          „Bildungskanon heute“: http://library.fes.de/pdf-
stellung des Buches: An ihrer Schule habe man        files/studienfoerderung/08990.pdf

                                                                                         2 / 2 0 1 2           I N F O   FES
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6       SCHWERPUNKT

      Einschätzungen
                       KONKRETE VERBESSERUNGEN LEISTEN
                       K O O P E R AT I O N S PA R T N E R K O M M E N T I E R E N D I E „ R E I H E H O C H S C H U L P O L I -
                       TIK“ UND DAS „NETZWERK EXZELLENZ AN DEUTSCHEN HOCHSCHULEN“.

                          „Unsere Gesellschaft hat einen enormen                 Die Kombination aus Konferenzen und Pu-
                       Ausbildungsbedarf und einen wachsenden                blikationen sowie die Einbindung des Internets
                       Wissensbedarf durch Forschung. Hochschulen            hält Niels Hegewisch, Promotionsstipendiat
                       nehmen diese elementaren Aufgaben an. Für             der FES, ebenfalls für gut gelungen. Er hält je-
                       ihren Erfolg brauchen sie unsere Unterstützung        doch eine „größere Beteiligung von unmittelbar
                       und konstruktive Begleitung.“ So formuliert           Betroffenen“ für wünschenswert, da die Gä-
                       Dr. Hans-Gerhard Husung, Generalsekretär der          ste meist aus der Planungs- und Leitungsebene
                       Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, Hinter-           kommen. Auch Hans-Gerhard Husung erwähnt,
                       grund und Ziele der Arbeit in der ‚Reihe Hoch-        dass sich seine Erwartungen an die Mitarbeit
                       schulpolitik’ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihm       aus dem Kreis der Stipendiatinnen und Stipen-
                       geht es dabei darum, durch sein Engagement            diaten noch nicht voll erfüllt haben. Außerdem
                       Anregungen und Erfahrungen einzubringen               werden mehr Kontroversen gewünscht, da die
                       und sie im kritischen Diskurs mit anderen auf         laufenden Umwälzungen Licht- und Schatten-
                       den Prüfstand zu stellen. Dr. Eva-Maria Stan-         seiten haben, die sich in den Veranstaltungen
                       ge, sächsische Wissenschaftsministerin a. D.          auch widerspiegeln sollten. „So differenziert
                       ergänzt: „Mit der Exzellenzinitiative und der         sich die Hochschullandschaft immer weiter aus-
                       verstärkten Autonomie sind das Wissenschafts-         einander, damit gibt es Verlierer und Gewinner.
                       und Hochschulsystem in Bewegung geraten und           Wie gehen wir damit gesellschaftlich um?, fragt
                       in einem umwälzenden Veränderungsprozess.             Eva-Maria Stange.
                       Noch ist der Ausgang dieser Veränderung offen
                       und unkalkulierbar. Es ist für mich wichtig und           Auch aus Sicht von Swen Schulz, MdB, ist
                       notwendig, diesen Prozess zu begleiten und mit        eine kritische Begleitung der aktuellen Hoch-
                       zu gestalten.“                                        schulentwicklung nötig. Durch die Mischung
                                                                             aus Veranstaltungen und Publikationen wird
                           Für Prof. Dr. Jürgen Zöllner, Wissenschafts-      immer wieder „der Finger in die Wunden der
                       senator a. D. in Berlin, hat die „Reihe Hoch-         Hochschulpolitik gelegt“ und „den Problemen
                       schulpolitik“ „die Förderung von Lehre und            werden neue Ideen entgegengestellt“. Damit
                       Forschung, von Breite und Spitze der Wissen-          könne die Friedrich-Ebert-Stiftung „kritische
                       schaft gleichermaßen im Auge. Dieser Spagat           Wegbegleiterin sein und durch ihre Expertisen
                       ist unverzichtbar für die Wissensgesellschaft.        auch konkrete Verbesserungen im Sinne der so-
                       Nur dies kann Vorbild für eine zukunftsfähige         zialen Demokratie leisten“.
                       Politik sein“. Dies erfolgt durch Dialogveranstal-
                       tungen mit einem offenen Gedankenaustausch            Welche Themen werden im Hochschul- und
                       von Expertinnen und Experten verschiedenster          Wissenschaftssystem 2013 besonders wichtig?
                       Wissenschafts- und Zuständigkeitsbereiche.            Als zentrales Thema gilt die prekäre Beschäfti-
                       Dr. Nina Lemmens, Deutscher Akademischer              gung in der Wissenschaft. Eine Steigerung der
                       Austauschdienst, stellt in den Vordergrund, dass      Attraktivität des Arbeitsplatzes ‚Wissenschaft’
                       sich „aus den Vorträgen und Diskussionsrun-           im nationalen und internationalen Kontext
                       den in der Tat konkrete Empfehlungen ableiten         und Aufhebung des Stellenmangels sei dringend
                       lassen.“ Sie lobt das äußerst informierte, hohe       geboten. Alle erwähnen auch die Perspektiven
                       Niveau, mit einer lebendigen Positionsbestim-         nach 2017 – dem Auslaufen der Exzellenzini-
                       mung, die durch „die ausgereiften Texte in den        tiative – und in diesem Zusammenhang eine
                       Publikationen theoretisch gespiegelt und ver-         grundsätzliche Neuordnung der Finanzierung
                       tieft wird“. Positiv erwähnt wird auch, dass bei      des Wissenschaftssystems. Dazu gehören auch
                       den Konferenzen Expertinnen und Experten,             die verbesserte Grundfinanzierung der Hoch-
                       auch wenn sie nicht mehr im System sind und           schulen, die Zukunft des Hochschulpakts und
                       damit keine Eigeninteressen mehr haben, ihre          die Aufhebung des Kooperationsverbots. Wei-
                       reiche Erfahrung einbringen können.                   tere Themen sind die Internationalisierung der

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SCHWERPUNKT       7

Hochschulen sowie die Gestaltung der engen          rung von Lern-, Lehr- und Forschungsmethoden
Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und             eine Rolle. Die Friedrich-Ebert-Stiftung wird
Forschungseinrichtungen. Aus Sicht der Studie-      auch weiterhin versuchen, aktuelle hochschul-
renden spielen außerdem der Wandel wissen-          politische Diskurse dieser Art aufzunehmen
schaftlichen Publizierens und die Modernisie-       oder anzustoßen.

ZEIT FÜR REFLEXIONEN                                                                                   FES-Studien-
                                                                                                       förderung
BEITRÄGE ZU MEHR BILDUNGSGERECHTIGKEIT DURCH
STUDIENFÖRDERUNG, BILDUNGS- UND HOCHSCHULPOLITIK
Der Einsatz für einen gerechten Zugang zu Bil-      be und gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das
dungschancen ist ein zentraler Gründungsauf-        Netzwerk von (ehemaligen) FES-Stipendiatinnen
trag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bereits 1926     und FES-Stipendiaten wie die bildungs- und
fasste das Jahrbuch der Deutschen Sozialdemo-       hochschulpolitischen Experten-Netzwerke tra-
kratie die Aufgaben der Stiftung zusammen: „Die     gen personell und ideell zur Erneuerung der So-
Friedrich-Ebert-Stiftung verfolgt den Zweck, jun-   zialen Demokratie bei.
gen, befähigten Proletariern Beihilfen für einen
Studiengang an staatlich anerkannten Instituten     Zusammen mit einem unabhängigen Auswahl-
zu geben.“ Seitdem hat die Friedrich-Ebert-Stif-    ausschuss werden gezielt begabte junge Men-
tung diesen nach wie vor aktuellen Auftrag fest-    schen ausgewählt, die Wissenschaft wie Politik
gehalten und ihn weiterentwickelt. Denn ange-       von morgen gestalten wollen und Soziale Demo-
sichts des gesellschaftlichen Wandels und der       kratie als Grundwerte- und Handlungskonzept
sich verändernden Hochschullandschaft stellen       weiterdenken. Mit einer materiellen wie ideellen
sich neue Fragen: Wie lassen sich Bildungsge-       Förderung sollen Stipendiatinnen und Stipendi-
rechtigkeit und Begabtenförderung zeitgemäß
verbinden? Was bedeutet heute Bildungsge-
rechtigkeit angesichts vielfältiger und prekärer
Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse? Wer
ist der qualifizierte und engagierte Nachwuchs,
der als Multiplikator die Werte der Sozialen De-
mokratie in die Gesellschaft trägt und Impulse
dazu liefert? Antworten auf diese Fragen wer-
den gemeinsam mit aktuellen und ehemaligen
Stipendiatinnen und Stipendiaten gesucht und
mit Vertrauensdozentinnen und -dozenten und
Mitgliedern des Auswahlausschusses formuliert
und umgesetzt.

Heute leistet die FES-Studienförderung Beiträge
zu drei konkreten Zielen:
• Förderung des wissenschaftlichen und poli-
   tischen Nachwuchses für Soziale Demokratie
• Überwindung sozial bedingter Bildungs-
   barrieren
• Politische Beratung und Schaffung von Dis-
   kussionsräumen für Bildungs- und
   Hochschulpolitik                                 aten auf ihrem Weg zu einem überdurchschnitt-
                                                    lichen Studienabschluss unterstützt werden.
Die Grundsätze der Studienförderung leiten sich     Gefördert werden Studierende in Erst- oder Ma-
aus den übergreifenden Zielen der Friedrich-        sterstudiengängen sowie Promovierende, die in
Ebert-Stiftung ab: Förderung politischer Teilha-    Deutschland leben oder für das Studium nach

                                                                                      2 / 2 0 1 2          I N F O    FES
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8      SCHWERPUNKT

                     Deutschland gekommen sind. Ihnen werden             zentinnen und -dozenten und nicht zuletzt zum
                     Räume der persönlichen Weiterentwicklung,           politischen Umfeld stärken.
                     der vielfältigen Vernetzung, der politischen Bil-   Gefördert werden insbesondere Erstakademiker
                     dung und der kritischen Diskussion angeboten.       und junge Menschen mit Migrationsgeschichte.
                     Diesem Ziel dient ein breit gefächertes Semi-       Ihnen wird ein Netzwerk geboten, das getragen
                     narprogramm, das sowohl (gesellschaftliches)        ist von den Grundgedanken der Gleichberechti-
                     Fachwissen als auch persönliche, soziale und        gung und Diversität. Zudem werden politische
                     politische Handlungskompetenzen vermittelt          Entscheidungsträger beraten und Möglichkeiten
                     und Berufsorientierung unterstützt. Wir verste-     zur kontroversen Auseinandersetzung mit aktu-
                     hen unser Seminarprogramm als Teil unserer          ellen Entwicklungen in der Bildungs- und Hoch-
                     politischen Bildungsarbeit. Die Stipendiatinnen     schulpolitik geschaffen.
                     und Stipendiaten sollen zudem in ihrer Rolle als
                     Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch        FES-STUDIENFÖRDERUNG 2011
                     Kontakte zur Stiftung, zu ehemaligen Stipen-        2.600 geförderte Stipendiatinnen und Stipendiaten,
                     diatinnen und Stipendiaten, zu Vertrauensdo-        466 Neuaufnahmen, 18.000 Ehemalige

      Empfehlungen
                     PLAGIATSFÄLLE IN DER WISSENSCHAFT
                     ZUR QUALITÄTSSICHERUNG AN HOCHSCHULEN
                     Wie wird an Hochschulen mit Plagiatsfällen um-      Margret Wintermantel, definiert darin die ganze
                     gegangen? Gibt es Ansprechpartnerinnen und          Bandbreite wissenschaftlichen Fehlverhaltens:
                     Ansprechpartner und ein etabliertes Verfahren       Vom Erfinden und Verfälschen von Daten über
                     bei Verdachtsfällen? Auf Grundlage einer Konfe-     die Verletzung geistigen Eigentums bis zur Be-
                     renz Ende 2011 ist eine Publikation entstanden,     einträchtigung der Forschungstätigkeit anderer.
                     die Empfehlungen enthält, in welchem Verhält-       Sie plädiert für eine Kultur des Vertrauens und
                     nis Vertrauen und Kontrolle stehen sollten und      der frühen Vermittlung wissenschaftlicher Stan-
                     wie die Qualitätssicherung an Hochschulen           dards an Studierende. Die Verantwortung für die
                     verbessert werden kann. Die damalige Präsiden-      Qualitätssicherung liege in erster Linie bei je-
                     tin der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr.       dem Einzelnen für das eigene wissenschaftliche
                                                                         Werk, aber auch bei der Hochschule und den Be-
                                                                         treuerinnen und Betreuern.
                                                                         Während manche auf Transparenz und klare Ver-
                                                                         fahrensrichtlinien setzen, betonen andere die
                                                                         Notwendigkeit eines engen Betreuungsverhält-
                                                                         nisses. Die Empfehlungen von Wissenschaftsrat,
                                                                         Deutscher Forschungsgemeinschaft und Hoch-
                                                                         schulrektorenkonferenz dazu sind ebenfalls in
                                                                         der Publikation nachzulesen.
                                                                         Jenseits der Einzelfälle weisen Plagiate aber auch
                                                                         auf strukturelle Mängel hin. Dr. Ernst Dieter
                                                                         Rossmann, Sprecher der AG Bildung und For-
                                                                         schung der SPD-Bundestagsfraktion, zeigt, dass
                                                                         die leistungsorientierte Mittelvergabe zu fal-
                                                                         schen Anreizen führen kann, wenn die Finan-
                                                                         zierung z.B. von der Zahl der Promovierenden
                                                                         abhängig gemacht wird. Hier müsse politisch
                                                                         durch neue Formen der Hochschulfinanzierung
                                                                         gegengesteuert werden.

                                                                         MEHR ZUM THEMA
                                                                         www.fes.de/themen/bildungspolitik

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SCHWERPUNKT               9

PROFILIERUNG IM NORMALEN                                                                                  FES-Konferenz

ÜBER HOCHSCHULPOLITIK JENSEITS DER EXZELLENZ

„Spitzen auszubilden und die Qualität des Hoch-        gut zu machen“, so Jürgen Zöllner, Berliner Wis-
schul- und Wissenschaftsstandorts Deutschland          senschaftssenator a. D, in seinem Resümee. Pro-
in der Breite anzuheben“, so lautet das Ziel der       file müssten sich an den lokalen und institutio-
Exzellenzinitiative.                                   nellen Gegebenheiten orientieren, und jenseits
Die Ergebnisse der dritten und vorerst letzten         der Forschung auch alle anderen Leistungsdi-
Runde dieser Initiative des Bundes und der Län-        mensionen, wie etwa die Lehre, erfassen.
der zur Förderung von Wissenschaft und For-
schung wurden im Juni 2012 verkündet. Ins-
gesamt werden ab Herbst 39 Universitäten von
einer Förderung in Höhe von 2,4 Milliarden
Euro profitieren.
Doch wie steht es um jene Universitäten, die
nicht von der Spitzenförderung profitieren? Auf
                                                                                                          Einsichten zur
der Konferenz „Profilbildung jenseits von Exzel-                                                          Exzellenzinitiative:
lenz“, die am 27. Juni in der Reihe Hochschulpo-                                                          Berlins ehemaliger
                                                                                                          Bildungssenator
litik stattfand, richtete sich der Blick weg von der
                                                                                                          Prof. Jürgen Zöllner
„Elite“ hin zur breiten Masse der Hochschulen.                                                            (Foto: Bollhorst)
Trotz steigender Studierendenzahlen stagniert
die Grundfinanzierung seit den neunziger Jah-
ren. Hochschulen sind auf Drittmittel ange-
wiesen und müssen sich in einem schärfer wer-          BILDUNGSPOLITISCHES FORUM                          Kurz notiert
denden Wettstreit um Ressourcen und Talente            Im gemeinsamen Bildungspolitischen Forum
behaupten. Dieser dränge die Hochschulen in            der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und
einen „Wettbewerb um Auffälligkeiten“, so Prof.        Wissenschaft und des FES-Arbeitsbereichs Ber-
Teichler von der Universität Kassel. Doch haben        linPolitik werden mit der Senatorin für Bildung,
Hochschulen außerhalb der Exzellenzinitiative          Jugend und Wissenschaft, Sandra Scheeres, Fra-
noch viele ungenutzte Reserven. Sie müssten            gestellungen und Themen wie zum Beispiel die
Schwerpunkte mit hohem wissenschaftlichen              Rolle der Gymnasien nach der Schulstrukturre-
Anspruch und Profile jenseits der Spitzenfor-          form oder die Umsetzung der UN-Richtlinie zur
schung bilden. Denn Spitzenforschung sei nur           Inklusion diskutiert. Zudem werden Lehramts-
ein Teil von Wissenschaft. Vielmehr gelte es, ex-      anwärter darin unterstützt, Standpunkte gegen
zellent in der Erfüllung seines Auftrages zu sein.     Rassismus, Rechtsextremismus und Diskrimi-
„Es kann auch ein Profil sein, seinen Job einfach      nierung zu beziehen.

THEMENTEAM & THEMENPORTAL
Sowohl in Bonn und Berlin als auch in allen Landesbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung spielen bil-
dungspolitischen Themen eine wichtige Rolle. Seit zwei Jahren existiert deshalb das übergreifende
„Thementeam Bildung“.
Gäste aus Politik und Wissenschaft informieren dort über den aktuellen Diskussionsstand zu einem
Thema. Dieser Austausch und die Vielfalt der Arbeit zu bildungspolitischen Themen werden nach
Außen über das Themenportal sichtbar, das parallel zur Gründung des Thementeams eingerichtet
wurde.
Das Themenportal www.fes.de/themen/bildungspolitik ermöglicht einen umfassenden Über-
blick über die aktuellen Themen und Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Bildungspolitik
und ist in die Bereiche Frühkindliche Bildung, Schulpolitik, Hochschulpolitik sowie Weiterbildung/
Lebenslanges Lernen gegliedert.

                                                                                         2 / 2 0 1 2            I N F O          FES
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10    SCHWERPUNKT

         Expertise
                     VORZEIGEMODELL ODER
                     RENOVIERUNGSBEDÜRFTIG?
                     DUALE BERUFSAUSBILDUNG IN DEUTSCHLAND

                     Spanien ist interessiert. Die Regierung will mit    Professor im Fachbereich Politik- und Verwal-
                     einem Ausbildungssystem nach deutschem              tungswissenschaft an der Universität Konstanz,
                     Vorbild gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit       zeigt Reformperspektiven der beruflichen Bil-
                     im Land vorgehen. Laut EUROSTAT verzeich-           dung auf: Obwohl das duale System in Deutsch-
                     nete Deutschland im Februar 2012 mit 8,2%           land für einfache Übergänge an der „zweiten
                     die niedrigste Arbeitslosenquote bei den unter      Schwelle“ zwischen Ausbildung und Beschäfti-
                     25-Jährigen in Europa. Die duale Ausbildung in      gung sorgt, besteht die Gefahr der dauerhaften
                     Deutschland – ein Vorzeigemodell, zur Nachah-       Exklusion von Jugendlichen, die an der „ersten
                     mung empfohlen?                                     Schwelle“, dem Übergang von der allgemein bil-
                     Mehr als 540.000 .Jugendliche begannen 2011         denden Schule in die Ausbildung, scheitern und
                     eine Ausbildung in einem der ca. 350 aner-          nur sehr schwer oder gar keine Chance mehr zu
                     kannten Ausbildungsberufe. Für die Wirtschaft       einer qualifizierten Ausbildung erhalten.
                     bietet diese Form der Ausbildung erkennbare         Demgegenüber hat Dänemark in den 1990er
                     Vorzüge: die Ausgebildeten verfügen über so-        Jahren eine groß angelegte Berufsbildungsre-
                     wohl über theoretisches Wissen, dass ihnen in       form durchgeführt. In dem reformierten System
                     der Berufsschule vermittelt wird, aber auch über    durchlaufen zunächst alle Jugendlichen eine
                     praktische Erfahrungen und sind demzufolge für      Phase der beruflichen Grundbildung, die voll-
                     die Unternehmen schnell produktiv einsetzbar.       zeitschulisch organisiert ist. Busemeyer schlägt
                     Trotz hoher Wertschätzung der dualen Ausbil-        vor, auch in Deutschland einen alternativen
                     dung im In- und Ausland sind jedoch Defizite        Zweigs der Berufsbildung auszubauen, der Ju-
                     und Reformbedarf unabweisbar. Nicht alle Un-        gendlichen, die bei der Suche nach einem be-
                     ternehmen halten auch in Krisenzeiten ihr Aus-      trieblichen Ausbildungsplatz erfolglos geblieben
                     bildungsengagement aufrecht und investieren in      sind, die Möglichkeit bietet, ihre Ausbildung
                     den Fachkräftenachwuchs. Somit unterliegt das       bei einer Berufsschule oder einem außerbetrieb-
                     Ausbildungsplatzangebot erheblichen Schwan-         lichen Träger abzuschließen. Reformmodelle wie
                     kungen. Dies hat in der Vergangenheit zum           z. B. das „Hamburger Ausbildungsmodell“ setzen
                     Anwachsen eines umfangreichen Übergangsbe-          diesen Ansatz bereits in der Praxis um.
                     reichs geführt, der zeitweilig sogar die Zahl der
                     neuen betrieblichen Ausbildungsplätze übertraf.     DIE STUDIE
                     Eine Expertise für die FES von Marius Busemeyer,    www.fes.de/wiso/content/arbeit.php

      Kurz notiert   N A C H W U C H S F E H LT                          HERKUNFT = ZUKUNFT
                     Das Land Niedersachsen stagniert wirtschaft-        In Deutschland hängen der schulische Erfolg
                     lich und verliert perspektivisch zunehmend die      und somit auch die spätere berufliche Laufbahn
                     Fähigkeit, gegenüber anderen Bundesländern          wie in kaum einem anderen Land von der so-
                     aufzuholen. Nach zahlreichen Besuchen in            zialen Stellung der Eltern ab. Seit Herbst 2006
                     kleinen und mittelständischen Unternehmen           setzte sich das Landesbüro Sachsen-Anhalt in
                     in ganz Niedersachsen fasst Stephan Weil, Lan-      mittlerweile mehr als 20 Veranstaltungen der
                     desvorsitzender der SPD Niedersachsen, im Rah-      Reihe „Herkunft = Zukunft?“ intensiv mit dieser
                     men einer Podiumsdiskussion der FES die Stim-       Problematik auseinander. Dabei war gerade die
                     mung in allen Betrieben als „stark suchend“         frühkindliche Bildung häufiges Thema. Vielen
                     zusammen: „Das Bedürfnis nach qualifiziertem        Kindern werden die entsprechenden Grundla-
                     Nachwuchs ist überall enorm hoch!”. Eine Mög-       gen zu Hause nur unzureichend vermittelt; sozi-
                     lichkeit qualifizierten Nachwuchs zu fördern,       ale Kompetenzen sind oft nur gering ausgeprägt.
                     sieht Stephan Weil in der bewussten Anknüp-         Partner wie das Deutsche Studentenwerk oder
                     fung der Hochschulen an die regionalen Stärken      auch das Robert-Koch-Institut konnten für ge-
                     vor Ort.                                            meinsame Projekte gewonnen werden.

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SCHWERPUNKT         11

KEIN KIND ZURÜCKLASSEN                                                                                      Veranstaltungsreihe

P R Ä V E N T I V E R S O Z I A L S TA AT U N D D I E B I L D U N G S P O L I T I K
Kein Kind zurücklassen – Das ist nicht nur das          Nordrhein-Westfalen will nach der Abschaffung
Motto eines Modellprojekts der nordrhein-               der Studiengebühren auch den Weg der sozialen
westfälischen Landesregierung, das die Präven-          Öffnung der Hochschulen konsequent weiterge-
tionskette von der Schwangerschaft über die             hen.
frühkindliche Bildung bis zu den Schulen in             „Kein ‚Kind‘ zurücklassen“, diese Vorgabe um-
den Kommunen aufbauen und verbessern soll,              fasst also im Bereich des Bildungsweges ein
sondern es formuliert auch das Leitbild für die         ganzes Bündel an Maßnahmen, die die soziale
Bildungspolitik der nordrhein-westfälischen Lan-        Schere, die im Weg durch das Schul- und Hoch-
desregierung. Der Einstieg in die kostenfreie Kin-      schulsystem immer weiter aufgeht, schließen
derbetreuung, der Ausbau der Ganztagesschule            sollen. Bildungspolitik ist also in Nordrhein-
und die Abschaffung der Studiengebühren sind            Westfalen einer der wichtigsten Bausteine des
Bausteine einer Bildungspolitik, die ansetzt, die       präventiven Sozialstaates und Kernstück des
soziale Inklusion zu stärken und Teilhabe an der        Leitmottos „Kein Kind zurücklassen!“
Gesellschaft zu ermöglichen. Lebensbegleitendes         Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Nordrhein-
Lernen wird als einer der zentralen Pfeiler für Bil-    Westfalen plant im Jahr 2013 eine Reihe von
dungsaufstieg angesehen.                                Veranstaltungen zum Thema „Präventiver Sozi-
Bildungspolitik, insbesondere Schulpolitik war in       alstaat“ unter besonderer Berücksichtigung der
Nordrhein-Westfalen ein heiß umkämpftes Feld.           bildungspolitischen Aufgaben und Wirkungen.
Mit dem Schulkonsens zwischen der von Han-              In Zeiten knapper Haushalte sollen dabei insbe-
nelore Kraft geführten Landesregierung und der          sondere die fiskalischen Auswirkungen berück-
Union wurde bis 2023 eine Befriedung hergestellt,       sichtigt werden. In wieweit bringen die zunächst
die es erlaubt, das Schulsystem auf der Basis dieses    anfallenden Kosten im Bereich gebührenfreier
Kompromisses weiterzuentwickeln. Eine weitere           Bildung und Betreuung mittelfristig Einspa-
Säule der vorsorgenden Politik soll die Verbesse-       rungen, die in die Konsolidierung der Haushalte
rung des Übergangs von Schule in den Beruf sein.        gelenkt werden können? Die Auftaktveranstal-
Durch eine zielgenauere Begleitung der Jugend-          tung dazu findet am 18. Februar 2013 mit Han-
lichen erhofft man sich Einsparpotenziale in der        nelore Kraft in Düsseldorf statt.
Reduzierung der sogenannten Warteschleifen.

ZWISCHEN AUFREGUNG UND                                                                                      Bürgerforen

AUFKLÄRUNG
D I E D E B AT T E U M D I E T H Ü R I N G E R G E M E I N S C H A F T S S C H U L E
Bildungspolitiker und Fußballtrainer haben              Ort und „unter Einbeziehung aller Beteiligten
eines gemeinsam: Tausende wissen es besser als          fallen“ – so die Koalitionsvereinbarung.
sie. Denn so wie viele Menschen schon einmal            Dieser Aufforderung zum öffentlichen Dialog ist
Fußball gespielt haben, sind alle in der Schule ge-     die FES gefolgt und hat seit Anfang 2010 zunächst
wesen. Entsprechend viele Stimmen sind in bil-          mit einer Reihe von Bürgerforen über das Kon-
dungspolitischen Debatten zu hören und laden            zept der Thüringer Gemeinschaftsschule infor-
diese bisweilen stark auf.                              miert und mit den Bürgerinnen und Bürger ihre
Mit Amtsantritt der gegenwärtigen Thüringer             Vorstellungen von guter Schule diskutiert. Diese
Landesregierung Ende 2009 wurde die Einfüh-             Bürgerforen mit Thüringens Bildungsminister
rung der „Thüringer Gemeinschaftsschule“ (ge-           Christoph Matschie, bzw. Bildungs-Staatssekre-
meinsames Lernen bis Klasse 8) als zusätzliche          tär Prof. Dr. Roland Merten fanden in kleinen
gleichberechtigte Schulform beschlossen. Ihre           und mittleren Städten Thüringens abseits der
Einführung wurde aber nicht verordnet, son-             Hauptzentren statt, u. a. in Artern, Breitungen
dern die Entscheidung darüber sollte jeweils vor        und Sonneberg, und werden weiter fortgesetzt.

                                                                                          2 / 2 0 1 2           I N F O     FES
12    SCHWERPUNKT

                     In der Debatte über die Gemeinschaftsschule          meinschaftsschule bis mindestens zur Klasse 8
                     war immer wieder die Sorge zu hören, dass der        schicken zu wollen.
                     gemeinsame Unterricht lernstarke Schüler in          Als dritten Schritt der Beschäftigung mit der Ge-
                     ihrer Entwicklung hemmen und insgesamt das           meinschaftsschule hat die FES eine Reihe von
                     Niveau der Schulbildung senken könnte. Um            Fachgesprächen mit Vertretern von Schulen,
                     auch die Meinung der Bürgerinnen und Bürger          Schulverwaltung, Wissenschaft und Verbänden
                     zu dieser wichtigen bildungspolitischen Frage        durchgeführt, um zu diskutieren, wie eine er-
                     zu erfahren, hatte die FES eine Repräsentativbe-     folgreiche Einführung der Gemeinschaftsschule
                     fragung in Auftrag gegeben, die u. a. ergab, dass    gelingen kann. Begleitend dazu hat die FES ein
                     86% der Thüringerinnen und Thüringer das län-        Gutachten erarbeiten lassen, das die bisherigen
                     gere gemeinsame Lernen als Schulform begrü-          Erfahrungen mit dem längeren gemeinsamen
                     ßen. 79% der Befragten versprechen sich davon        Lernen auswertet und einen Leitfaden für dessen
                     eine verbesserte Chancengleichheit der Kinder        mögliche Einführung enthält.
                     und 64% geben an, das eigene Kind auf eine Ge-

      Fachtagungen
                     WEGE ZUM GEMEINSAMEN UNTERRICHT
                     B AY E R N F O R U M U N D R E G E N S B U R G E R R E G I O N A L B Ü R O Z U R I N K L U S I O N
                     Jährlich verlassen in Bayern ca. 80.000 Jun-         ten Mitte 2011 der Aufnahme dieses Leitsatzes in
                     gen und Mädchen die Schule ohne Abschluss.           das Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichts-
                     Dringender Reformbedarf besteht bei allen            wesen und einem eigenen Inklusionsgesetz im
                     Schultypen, der Lehrermangel ist eklatant, die       Freistaat zu. Damit wurde eine Hauptforderung
                     Schülerinnen und Schüler sind überfordert.           der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem
                     Mit zahlreichen Podiumsdiskussionen und              Jahr 2006 umgesetzt: Kein Kind darf aufgrund
                     Fachgesprächen begleitet das BayernForum der         seiner Behinderung vom allgemeinen Bildungs-
                     Friedrich-Ebert-Stiftung zusammen mit Ab-            system ausgeschlossen werden.
                     geordneten des Bayerischen Landtages, Leh-           Seit Mai 2011 begleitet das Regensburger Regio-
                     rerverbänden, Gewerkschaft Erziehung und             nalbüro der FES mit mehreren Veranstaltungen
                     Wissenschaft (GEW), Elternbeiräten und Schü-         die Umsetzung des Gesetzes in Bayern. Die
                     lervertretungen den bildungspolitischen Dis-         Landtagsabgeordnete Margit Wild, in der SPD-
                     kurs und blickt dabei auch über den bayerischen      Fraktion federführend für das Thema zuständig,
                     Tellerrand hinaus, um von „best practice“ Schu-      bezeichnete es vor dem Bildungspolitischen Ge-
                     len anderer Bundesländer zu lernen.                  sprächskreis Oberpfalz der Stiftung „als ersten
                     Am 4. Mai diskutierten die Teilnehmerinnen und       Schritt auf einem langen Weg“. Rund 40 Schulen
                     Teilnehmer der Fachtagung „Inklusion im Schul-       im ganzen Freistaat hätten zu Beginn des Schul-
                     alter“ des BayernForums an der Volkshochschu-        jahres 2011/2012 das Profil „Inklusionsschule“
                     le Bamberg Möglichkeiten des Ausbaus und der         erhalten – viel zu wenige, befand die gelernte
                     Umsetzung inklusiver Gemeinschaftsschulen. In        Heilpädagogin.
                     Zusammenarbeit mit der GEW Oberfranken, der          Auch Sascha Schneider von der Landesarbeits-
                     Behindertenbeauftragten der Stadt Bamberg, der       gemeinschaft Bayern „Gemeinsam Leben – Ge-
                     Offenen Behindertenarbeit der Lebenshilfe Bam-       meinsam Lernen“ forderte bei einer Tagung im
                     berg und des Fördervereins Integrative Schule        April mehr Engagement und Mittel von der ba-
                     Coburg (FISCo), konnte eine hochkarätige Beset-      yerischen Staatsregierung. Fast überall in Europa
                     zung für die Tagung gewonnen werden, um ge-          gingen 80% der Kinder „mit Förderbedarf“ in die
                     meinsam mit Lehrern und Eltern die alltäglichen      Regelschule, in Deutschland keine 20%. Eine Ur-
                     Herausforderungen zu diskutieren. Erfolgreiche       sache sie die hohe Zahl von Förderzentren und
                     Schulprojekte in anderen Bundesländern stan-         -schulen in Bayern. Schneider forderte, die dort
                     den dabei im Mittelpunkt der Tagung.                 tätigen Lehrkräfte und ihre hohen Kompetenzen
                                                                          in die allgemeinen Schulen zu integrieren und
                     „Inklusiver Unterricht ist Aufgabe aller Schulen.“   Inklusion zu einem zentralen Thema der Aus-
                     Alle Fraktionen im Bayerischen Landtag stimm-        und Fortbildung zu machen.

FES   I N F O         2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT          13

Italien schaffte hingegen bereits 1977 die Son-      torin am Deutschen Schulamt stellte den 70 Gä-
derschulen ab. Seit fast 35 Jahren besuchen alle     sten das Netzwerk für Inklusion in ihrer Heimat
Kinder und Jugendlichen, mit oder ohne Be-           vor. „Durch den obligatorischen gemeinsamen
einträchtigung, gemeinsam Kindergarten und           Unterricht profitieren unsere Jugendlichen mit
Schule. „Ich bin hier um zu zeigen, dass Inklusi-    und ohne Handicap gleichermaßen. Der Um-
on möglich ist“, eröffnete Heidi Niederstätter aus   gang miteinander ist natürlicher geworden,
Bozen ihren Vortrag bei der FES in Regensburg        selbstverständlicher“.
über inklusive Bildung in Südtirol. Die Inspek-

„ES DREHT SICH UM EUCH!“                                                                                Open Space

W I E K Ö N N E N E LT E R N , L E H R E R U N D S C H Ü L E R S P I E L -
RÄUME DER BILDUNG NUTZEN?
Seit dem Regierungswechsel 2011 ist in Baden-        Schüler sowie Vertreter aus Politik und Gewerk-
Württemberg viel Bewegung in die Bildungs-           schaft, die an der Open Space Veranstaltung im
landschaft gekommen: Es gibt keine verbind-          Juni 2012 teilnahmen.
liche Grundschulempfehlung mehr, eine ganze          In insgesamt 14 Gesprächsrunden wurde kon-
Reihe von Gemeinschaftsschulen wird einge-           struktiv und mit viel Erfahrungswissen debat-
richtet und es besteht an einigen Gymnasien          tiert. Und eines zeigte sich dabei überdeutlich:
im Land wieder die Möglichkeit, in neun Jahren       Wie es besser gehen könnte, darüber bestand bei
zum Abitur zu kommen.                                den Anwesenden in vielen Fällen Einigkeit. Der
Alle diese Veränderungen er-
fordern ein Mitwirken der Be-
teiligten. Zum Beispiel sind
die Schulen in hohem Maße
gefordert, mit konkreten
Konzepten und Vorschlägen
das neue Modell der Gemein-
schaftsschulen mit Leben zu
füllen. Dabei müssen viele
Fragen geklärt, aber auch wi-
                                                                                                        Erfahrungsaus-
derstreitende Interessen aus-                                                                           tausche in 14
geglichen werden.                                                                                       Gesprächsrunden
Wie kann der neue Spielraum für Bildung ge-          Landtagsabgeordnete Klaus Käppeler freute sich
nutzt werden? Welche Chancen der Mitgestal-          über die zahlreichen Vorschläge, warnte aber
tung bieten sich für die Beteiligten? Wie kann       vor unrealistischen Vorstellungen: „Das System
der Rollenwechsel gelingen, der die eigene Kre-      grundlegend zu ändern, dauert viele Jahre.“
ativität, aber auch mehr Verantwortung für           Das sei so schwerfällig und kompliziert wie ein
gelungene Bildung erfordert? Diese Leitfragen        großes Tankschiff.
bewegten die rund 50 Eltern, Lehrer und einige

S T I M M E N Z U R V E R A N S TA LT U N G :
Christian Stärk, stellvertretender Bundesdele-       verlieren. Außerdem finde ich es schön, dass es
gierter des Landesschülerbeirats Baden-Württ-        hier vor allem um das inhaltliche Arbeiten geht,
emberg:                                              weniger um das Formale. Das hängt wahrschein-
  Was hat dich motiviert, an dem Open Space teil-    lich auch mit dem Format zusammen, eben alles
zunehmen?                                            ein bisschen pragmatischer.“
„Ich finde das Veranstaltungsformat sehr interes-       Was sind deiner Meinung nach zurzeit die
sant. Man lernt viele verschiedene Leute kennen      drängendsten Themen in der Bildungspolitik?
und sieht Themen aus ganz neuen Blickwinkeln,        „Im Landesschülerbeirat behandeln wir viele ver-
ohne dabei das große Ganze aus den Augen zu          schiedene Themen. Wir begrüßen zum Beispiel

                                                                                       2 / 2 0 1 2           I N F O      FES
14      SCHWERPUNKT

                        die Gemeinschaftsschule, aber finden doch, dass        le sollte möglich sein. Stichwort: Unschooling.
                        sie zu schnell und überstürzt eingeführt wurde.        Man könnte z.B. mehrere Monate mit dem Fahr-
                        Viele Vorschläge sind noch nicht ausgereift. Ich       rad über die Alpen fahren und dabei könnten die
                        persönlich bin auch hier, um aus der Sicht eines       Kinder Eigenverantwortung, Orientierung, den
                        Schülers auf den Punkt zu bringen, was gerade          technischen Umgang mit dem Fahrrad, Gemein-
                        fehlt.“                                                schaftsbildung, usw. lernen. Im Moment geht es
                          Findest du es schade, dass nur so wenig Schüler      noch zu sehr um direkte Stoffvermittlung und zu
                        teilgenommen haben?                                    wenig darum, Kompetenzen zu erwerben.“
                        „Ja, aber ich glaube, das liegt nicht an mangeln-        Welche konkreten Veränderungen wünschen Sie
                        dem Interesse der Schüler. Das Format Open             sich für das Schulsystem in Baden-Württemberg?
                        Space würde eigentlich gut passen. Vielleicht          „Wenn ich es extrem formulieren müsste, wür-
                        würde die Veranstaltung aber an einer Schule           de ich sagen: Jede Familie soll ein Budget für
                        noch besser funktionieren. Außerdem sollten            ihr Kind bekommen, das sie in die gewünschte
                        Schüler direkter angesprochen werden. Bei einer        Bildungsform investieren kann. Vorerst wäre es
                        solchen Veranstaltung sollte den Schülern klar         ein wichtiger Schritt, wenn Alternativen zu den
                        gemacht werden: „Es dreht sich um euch!“.              staatlichen Schulen die gleichen finanziellen
                                                                               Mittel bekämen.“
                        Petra Laßmann; Sprecherin der freien Alterna-            Hatten Sie das Gefühl, dass ihre Vorschläge heute
                        tivschulen in Baden-Württemberg:                       auf offene Ohren gestoßen sind?
                          Was hat Sie bewogen, an der Veranstaltung teilzu-    „In der Gruppe schon. Nur in der Politik noch
                        nehmen?                                                nicht. Mehr Netzwerkbildung ist auf jeden Fall
                        „Meine Motivation war es, neue Kontakte zu             nötig. Das heißt, wir müssen uns noch mehr mit
                        knüpfen mit Menschen, die eine andere Bil-             anderen Verbänden und Vereinen zusammen
                        dung wollen. Und die habe ich auch gefunden.           tun und schauen, wie wir unsere Wünsche in die
                        Mir geht es vor allem darum, individuellere            Politik transportieren können, also Lobbyarbeit
                        Bildungswege möglich zu machen. Der zweite             für alternative Schul- und Bildungsformen be-
                        Schritte wäre: Auch Bildung außerhalb der Schu-        treiben.“

      Studien der FES
                        WIE WEITER MIT DER WEITERBILDUNG?
                        HANDLUNGSBEDARF UND LÖSUNGSANSÄTZE
                        Berufliche Weiterbildung ist in einer dyna-            prämien u. ä. auf der Bundesebene, existieren in
                        mischen Wirtschaft eine Notwendigkeit. Jenseits        einigen Bundesländern gesetzlicher Regelungen,
                        dieses Allgemeinplatzes gibt es in Deutschland         die u.a. Freistellungsansprüche festlegen. Dane-
                        allerdings wenig Konsens über die Finanzierung,        ben gibt es eine Reihe betrieblicher Vereinba-
                        die Ausgestaltung und über die Zuständigkeiten         rungen, die z. B. den Zugang und die Fördermög-
                        im Bereich der Weiterbildung; es herrscht Wild-        lichkeiten für Beschäftigte bestimmen. Während
                        wuchs und Intransparenz. Dies ist problema-            bei der beruflichen Weiterbildung der Beschäf-
                        tisch, gleichgültig ob man die Weiterbildung           tigten die Unternehmen eine zentrale Rolle spie-
                        insgesamt für ausreichend hält oder – wie Stu-         len, erfolgen Weiterbildungsmaßnahmen für Ar-
                        dien der Friedrich Ebert Stiftung belegen – auf        beitslose auf der Basis des Sozialgesetzbuchs und
                        Handlungsbedarf hinweist und die finanzielle           gehören zu den klassischen Instrumenten der
                        Unterausstattung bemängelt. Die Weiterbildung          Arbeitsmarktpolitik.
                        stagniert. Die Datenlage ist eindeutig. Teilnah-       Jenseits von Sonntagsreden ist Weiterbildung
                        mequoten haben sich seit einigen Jahren bei ca.        aus der Sicht vieler Unternehmen und der Po-
                        40% eingependelt. Die „Weiterbildungsschere“,          litik vor allem ein Kostenfaktor und gerät in
                        ein Begriff für das starke soziale Gefälle, ist seit   Krisenzeiten als Einsparpotential ins Blickfeld.
                        langem bekannt.                                        Auch die Haltung gegenüber Beschäftigten und
                        Die Weiterbildungslandschaft ist – im Unter-           Arbeitslosen legen den Schluss nahe, dass eher
                        schied zur beruflichen Ausbildung – rechtlich          auf niedrige Personalkosten, Flexibilität und aty-
                        wenig reguliert. Neben MeisterBAföG, Bildungs-         pischer Beschäftigungsformen gesetzt wird. Stra-

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tegien, die auf nachhaltige Investitionen in die       Kontext der Weiterentwicklung der Arbeitslo-
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Be-          senversicherung zur Arbeitsversicherung rückt
schäftigungsfähigkeit ausgerichtet sind, finden        neben der Absicherung von Beschäftigungsri-
wenig Unterstützung.                                   siken verstärkt die Förderung von beruflichen
Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in verschie-          Entwicklungschancen ins Blickfeld.
denen Expertisen zur Weiterbildung bereits in          Die Studien werden voraussichtlich im Herbst
der Vergangenheit auf Defizite in diesem Bereich       veröffentlicht und stehen dann auf der Internet-
aufmerksam gemacht, Handlungsbedarf auf-               seite der Abteilung WISO, Gesprächskreis Arbeit
gezeigt und Lösungsansätze vorgestellt. In drei        und Qualifizierung zur Verfügung.
neuen Studien wird das Thema nun entlang der
Debatte zur Reform der Arbeitsmarkt- und Be-           P U B L I K AT I O N E N D E R A B T E I L U N G W I S O
schäftigungspolitik und der Weiterentwicklung          www.fes.de/wiso/content/publikationen/arbeit_
der sozialen Sicherungssysteme aufgegriffen. Im        qualifiz.php

BILDUNGSANSPRUCH ALS LEITMOTIV                                                                                       Biographie

H I S T O R I S C H E R R Ü C K B L I C K A U F D E N S O Z I A L D E M O K R AT I S C H E N
AUFSTIEGSWILLEN
Der Anspruch, den gesellschaftlichen Aufstieg
durch Bildung und Weiterbildung zu vollziehen,
durchzieht die knapp 150-jährige Geschichte
der SPD. Getragen vom Willen ihrer Mitglieder,
mithilfe von Wissen die soziale Leiter Stufe um
Stufe zu erklimmen, wurde dieses Bestreben Teil
sozialdemokratischer Identität und spiegelt sich
daher in zahlreichen Biografien wider. Die Fa-
miliengeschichte der Raloffs ist ein Beispiel da-
für. Max Raloff zeichnete diese in seinen 1969
geschriebenen Erinnerungen nach und fängt
dabei eine bewegte Zeit sozialdemokratischer
Geschichte ein. Max Raloff – 1904 geboren –
schildert sein Aufwachsen mit fünf Brüdern in
einem typischen Arbeitermilieu in der Hanse-
stadt Hamburg, welches durchdrungen war vom
Durst nach Wissen.
Während des 1. Weltkriegs und den Revolutions-
jahren 1918/19 war auch Familie Raloff von der
Spaltung der SPD betroffen. Allerdings fanden
sowohl seine Mutter als auch sein Bruder Hein-
rich den Weg zur SPD zurück.
Einen zweiten Schwerpunkt der Erinnerungen             aus historischem Kontext und einer einzelnen,
bilden die zwölf Jahre nationalsozialistischer         aber beispielhaften Familiengeschichte macht
Herrschaft. Eindrücklich beschreibt Max Raloff         den sozialdemokratischen Topos „Aufstieg
seinen Berufsalltag unter dem Hakenkreuz sowie         durch Bildung“ so begreifbar.
seine Soldatenzeit, auch wenn diese Zeit einige
Lücken aufweist.                                       D I E P U B L I K AT I O N
Ergänzt wird die Familiengeschichte durch eine         http://library.fes.de/pdf-files/historiker/09112.pdf
Einleitung von Helga Kutz-Bauer, die unter an-
derem das reformpädagogische Klima Hamburgs            Weitere Publikationen können kostenlos unter
beschreibt, in dem auch Helmut Schmidt seine           ww.fes.de/archiv/gkg bezogen werden.
Schulbildung genoss. Gerade diese Verzahnung

                                                                                                     2 / 2 0 1 2         I N F O   FES
16      GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT / SOZIALE DEMOKRATIE

      GESELLSCHAFTLICHES ENGAGE-
      MENT / SOZIALE DEMOKRATIE
       V O R D E N K E N

Sommeruniversität
                            WIE VIEL UNGLEICHHEIT VERTRÄGT DIE
                            DEMOKRATIE?
                            I N T E N S I V E R A U S TA U S C H I N P O T S D A M
                            „Demokratie und Gerechtigkeit sind zwei Din-         engem Verhältnis Demokratie und Gerechtig-
                            ge, die zwingend zusammengehören“. Mit die-          keit stehen, beschreibt auch Matthias Platzeck
                            sem Satz bringt es Manuela Schwesig in ihrem         in seinem anschließenden Grundsatzvortrag.
                            Eröffnungsvortrag bei der diesjährigen Som-          Antworten auf die drängendsten Gerechtig-
                            meruniversität der Friedrich-Ebert-Stiftung auf      keitsfragen in unserer Gesellschaft – insbeson-
                            den Punkt. Soziale Gerechtigkeit, dies macht         dere in Krisenzeiten – zu finden, gehört zu den
                            Manuela Schwesig deutlich, ist eine notwendige       zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Für
                            Voraussetzung und gleichzeitig auch der Grund-       Matthias Platzeck kann es dabei nur den Weg
                            pfeiler für eine lebendige Demokratie. In welch      in eine „Gesellschaft des Miteinanders“, also in
                                                                                 eine solidarische Gesellschaft geben. Für diesen
                                                                                 Gesellschaftsentwurf steht die Soziale Demokra-
                                                                                 tie. Mit ihren beiden Vorträgen legten Manuela
                                                                                 Schwesig und Matthias Platzeck die Basis für eine
                                                                                 ereignisreiche Woche voller spannender, offener
                                                                                 und teilweise sehr kontroverser Diskussionen.
                                                                                 Denn auch in diesem Jahr sind wieder weit über
                                                                                 100 junge und engagierte Menschen aus dem
       Grundsatzvortrag                                                          gesamten Bundesgebiet der Einladung der Fried-
        bei der zwölften                                                         rich-Ebert-Stiftung gefolgt, um vom 2. bis zum 6.
      Sommeruniversität
                 der FES:
                                                                                 Juli am Programm der zwölften Sommeruniver-
          Brandenburgs                                                           sität teilzunehmen.
       Ministerpräsident
                                                                                 In angenehmer Lern- und Arbeitsatmosphäre
       Matthias Platzeck
            (Foto: Liebe)                                                        auf der Halbinsel Hermannswerder in Potsdam

FES     I N F O              2 / 2 0 1 2
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