INFO - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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INFO 02/2012 SCHWERPUNKT Für mehr BIldungsgerechtigkeit 3 VORDENKEN Wieviel Ungleichheit verträgt die Demo- kratie? 16 MITWIRKEN Vier Szenarien für die Zukunft des Euro 26 TEILHABEN Soziale Absicherung von Künstlern und Kreativen 44 VERNETZEN Eröffnung der neuen FES-Vertretung in Athen 46
2 APRIL – MAI – JUNI – JULI 2012 Inhalt FES-INFO 2/2012 TEXTBEITRÄGE IN DIESER AUSGABE Merin Abbass, Henrike Allendorf, Joanna SCHWERPUNKT Andrychowicz, Christine Arbogast, Jörg Bergstermann, Jakob Birkenhäger, Ruth Bildungschancen nicht verlieren: Brandherm, Matthes Buhbe, Agata Plädoyer für eine nationale Bildungsstrategie ....................3 Chroboczek, Oliver Dalichau, Olena Gemeinsame Lösungen finden: Davlikanova, Christian Denzin, Uta Dirksen, Die Arbeit des „Netzwerk Bildung“....................................4 Simon Dreß, Sina Dürrenfeldt, Felix Eikenberg, Matthias Eisel, Roland Feicht, Keshia Fredua- Bildungsanspruch als Leitmotiv: Mensah, Martin Gräfe, Constantin Grund, Historischer Rückblick auf den Enrico Günther, Björn Hacker, Frank Hantke, sozialdemokratischen Aufstiegswillen ..............................15 Jan Heidemanns, Tina Hennecken, Stephanie Hepper, Ralf Hexel, Daniela Iller, Marei John- Vordenken GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT / Ohnesorg, Friederike Kamm, Christos S O Z I A L E D E M O K R AT I E Katsioulis, Nicole Katsioulis, Anne Klein, Ursula Koch-Laugwitz, Kai Kolwitz, Alberto Wie viel Ungleichheit verträgt die Demokratie? Koschützke, Eszter Kovats, Annette Lohmann, Sommeruniversität der FES in Potsdam ............................16 Ralf Melzer, Galyna Meshcheryakova, Katja Wohin geht Südafrika? Meyer, Anja Minnaert, Dietmar Molthagen, Kerstin Ott, Tim O. Petschulat, Robert Philipps, Autumn School für politischen Nachwuchs .....................20 Johannes Platz, Jochen Reeh-Schall, Benjamin Verbieten oder nicht verbieten? Reichenbach, Simone Reperger, Stefanie Zum Umgang mit rechtsextremen Vereinigungen.............23 Ricken, Ingrid Ross, Matthias Ruschke, Lena Schick, Catrina Schläger, Axel Schmidt, Katrin Mit Erfolg in die Kommunalpolitik: Schömann, Janett-Li Schrader, Markus Seminarreihe der KommunalAkademie............................24 Schreyer, Philip Schunke, Bastian Sendhardt, Markus Sievers, Sebastian Sperling, Susanne Mitwirken W I R T S C H A F T, A R B E I T, S O Z I A L E S Stollreiter, Stephan Thalhofer, Markus Trömmer, Vier Szenarien für die Zukunft des Euro: Britta Utz, Eva Váry, Ringo Wagner, Julia Walter, Anna-Lena Werner, Christof Wittmaack, Meik Paneuropäischer Austausch..............................................26 Woyke, Nicole Zeuner, Harald Zintl Kein Erfolgsmodell: Niedriglohnsektor in Deutschland.....................................33 Jobmotor oder Standortrisiko? Diskussion über die Energiewende in Deutschland...........35 Ein Labor für grüne Technologien: Staatspräsidentin von Costa Rica in der FES......................36 IMPRESSUM Herausgeber: Teilhaben I N T E G R AT I O N , B I L D U N G , K U LT U R Friedrich-Ebert-Stiftung Gegen Legendenbildung und Verharmlosung: Kommunikation und Grundsatzfragen Rückschau auf die DDR im 23. Bautzen-Forum.................38 Godesberger Allee 149 D-53175 Bonn Brotlos durchs ganze Leben? Telefon: 0228/883–0 Soziale Absicherung von Künstlern und Kreativen............41 Internet: www.fes.de Anerkennung und Respekt: E-Mail: presse@fes.de Mehr Toleranz durch Sport...............................................42 Redaktion: Peter Donaiski, Pressestelle Berlin Vernetzen E U R O PA U N D D I E W E LT Hiroshimastraße 17, D-10785 Berlin Am Ursprung der Demokratie: Telefon: 030/269 35–7038 FES mit neuer Vertretung in Athen...................................46 Telefax: 030/269 35–9244 E-Mail: peter.donaiski@fes.de Warten auf die Demokratiedividende: Dialogprogramm mit ägyptischen Sozialdemokraten........48 Satz, Layout, Herstellung: Fluch oder Segen? Publix, H. Eschenbach, Berlin Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum..............51 Druck: Saarländische Druckerei & Verlag GmbH, Saarwellingen Kontinent des 21. Jahrhunderts? Lateinamerikas Foto auf der Titelseite und auf Seite 2: Gewerkschaften für nachhaltige Entwicklung ..................57 Aleksandar Jocic - Fotolia.com Titelgestaltung / Montage: Kritischer Freund: Wolfgang Rabe, Berlin 40 Jahre Chinesisch-Deutsche Beziehungen.....................58 Printed in Germany, August 2012 PUBLIKATIONEN Gedruckt auf 90 g matt gestrichen Neue Publikationen der FES..............................................61 ISSN 0942-1351 FES I N F O 2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT 3 FÜR MEHR BILDUNGSGERECHTIGKEIT BILDUNGSCHANCEN NICHT VERLIEREN Konferenz P L Ä D O Y E R F Ü R E I N E N AT I O N A L E B I L D U N G S S T R AT E G I E Für Bildung sind die Länder zuständig. Wer aber den sozialen Schichten, sondern auch zwischen übernimmt länderübergreifend Verantwortung Bundesländern. für Bildungsfragen? Im Bereich der Inklusion Diese Auswirkungen des Föderalismus erfor- oder beim Rechtsanspruch für einen Kitaplatz derten einen zusätzlichen parteiübergreifenden ab 2013 wurden auf nationaler Ebene Verpflich- bildungspolitischen Konsens – eine nationale tungen eingegangen. Der Grundsatz der Gleich- Bildungsstrategie. wertigkeit der Lebensverhältnisse muss gesichert Symptomatisch für die Unterschiede zwischen werden. Vielfalt ist kein Wert an sich, wenn dabei den Ländern sind Kindergartenzeiten, die in Bildungschancen verloren gehen und Übergänge einem Land für ein Jahr, in einem anderen für erschwert werden. drei Jahre kostenlos sind und in einem dritten Ein überzeugendes Plädoyer für eine nationale Land von der sozialen Lage der Eltern abhängen. Bildungsstrategie hielt Prof. Dr. Jutta Allmen- In jedem Bundesland werden andere Sprach- dinger, Präsidentin des Wis- senschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, bei einer Konferenz des Netzwerk Bil- dung der FES. Aus ihrer Sicht kann „von einer Bildungsrepu- blik Deutschland keine Rede sein“, sie gleiche eher „einer Kleinstaaterei“. Sie bemängel- te Unterschiede im Ausmaß der absoluten Bildungsarmut, Netzwerk Bildung der FES: Konferenz in Bildungsergebnissen und in Berlin –chancen nicht nur zwischen (Foto: Bollhorst) 2 / 2 0 1 2 I N F O FES
4 SCHWERPUNKT tests eingesetzt, um Förderbedarf vor Beginn der Bei der Entwicklung von länderübergreifenden Grundschule zu ermitteln. Gelungener Wettbe- Strategien und Prioritäten könnte die 2005 ein- werbsföderalismus sieht anders aus. geführte nationale Bildungsberichterstattung ei- Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär a. D. nen hilfreichen Beitrag leisten. Bisher enthalten im BMBF, konstatierte einen „wachsenden die Berichte jedoch keine ausdrücklichen Emp- Widerspruch zwischen einem Bewusstseins- fehlungen und die Länder verhindern außerdem wandel in der Öffentlichkeit und fehlender Vergleiche der Bundesländer durch die empi- Handlungsbereitschaft bei den politisch Verant- rische Bildungsforschung. Auf die uneinheitliche wortlichen“. Vor diesem Hintergrund wurde bei Schulstatistik wies Prof. Allmendinger hin. So sei der Konferenz die Einrichtung eines „Bildungs- z. B. nicht genau bekannt, wie viele Kinder mit rats“ in Anlehnung an den Wissenschaftsrat vor- Lernbehinderung es in den einzelnen Bundes- geschlagen, in einem Zweikammersystem mit ländern gibt. Die Konferenz hat gezeigt, dass es einer Arbeitsgruppe aus Wissenschaftlerinnen Bereiche der Bildungspolitik gibt, die auf natio- und Wissenschaftler und Persönlichkeiten des naler Ebene abgestimmt und einvernehmlich ge- öffentlichen Lebens sowie einer Arbeitsgruppe regelt werden sollten. Angesichts der Bedeutung aus politisch Verantwortlichen aus Bund und des Bildungserfolgs für die Zukunft ist es kein Ländern. Dazu müssten allerdings die Schranken akzeptabler Zustand, wenn dieser von dem Bun- für finanzielle Bundesförderungen im Bildungs- desland abhängt, in dem ein Kind aufwächst. bereich, das sogenannte „Kooperationsverbot“, Vielfalt darf nicht dazu führen, dass Bildungs- aufgehoben werden. chancen verloren gehen. Gastbeitrag GEMEINSAME LÖSUNGEN FINDEN DIE ARBEIT DES „NETZWERK BILDUNG“ Das „Netzwerk Bildung“ der Friedrich-Ebert-Stiftung besteht inzwischen seit 2004. Ute Erdsiek-Rave, schleswig-holsteinische Kultusministerin a. D., hat im November 2011 die Moderation des „Netzwerk Bil- dung“ von Prof. Rolf Wernstedt übernommen. Sie war von Beginn an bei den Veranstaltungen des Netzwerks dabei und berichtet über die damaligen und heutigen Ziele und Erfolge der Arbeit: „Aktuelle Herausforderungen an die Bildungs- tionär gewor- politik – unter diesem Motto stand die erste den ist. Veranstaltung des ‚Netzwerk Bildung‘ am 30. Ich halte es für April 2004. Lässt dieses Thema überhaupt eine ein soziales Bundes- und eine Ländersicht zu, habe ich da- Netzwerk – al- mals in meinem Beitrag gefragt. Zur Erinnerung: lerdings eines Die Diskussion um die Neuordnung der Kompe- in dem nicht tenzen in der Bildungspolitik war seinerzeit in stündlich Ba- vollem Gange – aber noch nichts war beschlos- nalitäten mit- sen. geteilt, son- Vor diesem Hintergrund war es weitsichtig und dern viermal jährlich reale Begegnung stattfindet auch überfällig, in der Friedrich-Ebert-Stiftung und Persönliches wie Politisches ausgetauscht ein Forum zu schaffen, in dem Akteure aus Bund, wird; und ein politisches Netzwerk gleicherma- Ländern, Wissenschaft, gesellschaftlichen ßen: keines, in dem Karrieren geplant und poli- Gruppen zusammentreffen und die bildungs- tische Absprachen getroffen werden, aber eines, politischen Herausforderungen diskutieren, Po- das den kontinuierlichen Dialog fördert und in sition beziehen und die Ergebnisse der Öffent- dem auf hohem Niveau diskutiert wird. lichkeit präsentieren können. Die Bezeichnung Die Ergebnisse, die wissenschaftlichen wie poli- dieses Forums als ‚Netzwerk Bildung’ war und ist tischen Beiträge werden in einer eigenen Reihe Programm, auch wenn dieser Begriff inzwischen publiziert, die hoch nachgefragt wird, weil die diffus und in seinem Gebrauch schon fast infla- Themen aktuell sind und aus unterschiedlichs- FES I N F O 2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT 5 ter Sicht beleuchtet werden. Alle Bände zusam- und Bildungsweg verringert. Damit soll auch ge- mengenommen ergeben fast so etwas wie eine sagt werden, dass weder Themen noch Beiträge Geschichte der Bildungspolitik in den letzten beliebig im luftleeren Raum schweben. Das Ko- zehn Jahren. ordinatensystem ist klar, aber es schließt Kontro- Dabei fällt auf: Die großen Themen sind immer versen über die richtigen Wege nicht aus. noch und immer wieder auf der Tagesordnung. Der Anspruch des ‚Netzwerk Bildung’ ist hoch. Die Schulstrukturfrage, Integration und Inklu- Wir wollen nicht nur Positionen entwickeln, sion, der neue Stellenwert der frühkindlichen sondern auch die politische Entwicklung beein- Bildung, die Probleme des Bildungsföderalismus flussen. Und wir plädieren mit Nachdruck für und als überragendes Thema die Herausforde- mehr Austausch, mehr gemeinsame Lösungen, rung vor allem an die Sozialdemokratie, für ein mehr Zusammenarbeit in der Bildungspolitik. gerechtes, durchlässiges Bildungssystem zu sor- Im besten Fall entstehen diese gemeinsamen Lö- gen, das die Abhängigkeit zwischen Herkunft sungen auch durch unsere Arbeit.“ KONSENS ÜBER BILDUNGSMINIMUM Publikation D E B AT T E Ü B E R B I L D U N G S K A N O N Was müssen wir wissen und was muss gelernt sich schon früh von der sogenannten Stofffülle werden, wenn Wissen und Informationen nahe- verabschiedet und stattdessen mit Projektarbeit zu unbegrenzt verfügbar sind? und fächerübergreifendem Unterricht die In- Bildungsvermittlung ist Auftrag der Schule. Das, halte der einzelnen Fächer verbunden. was Kinder lernen sollen, ist mit Bildungsstan- Aus Sicht von Prof. Heinz-Elmar Tenorth, Hum- dards und Kompetenzzielen verknüpft. Brau- boldt-Universität Berlin, ist ein Schulkanon auch chen wir – darüber hinaus – noch eine (öffent- jetzt schon liche) Debatte über Inhalte schulischer Bildung? vo r h a n d e n : Mit der Publikation „Bildungskanon heute“ „Die Kanon- möchte das Netzwerk Bildung der Friedrich- bildung und – Ebert-Stiftung eine Debatte in dieser Richtung umsetzung ist anstoßen. 25 Autorinnen und Autoren nehmen die kulturelle Stellung, wie ein Bildungskanon heute aussehen Funktion der könnte. In vier Kapiteln werden Begründungen Schule“. Prof. und möglicher Nutzen eines Bildungskanons (1), Jürgen Oel- das zugrunde liegende Bildungsverständnis (2), kers, Univer- der durch Bildungsstandards entstandene infor- sität Zürich, melle Kanon (3) sowie die Umsetzung durch die verweist auf Schulpraxis (4) diskutiert. den „Mythos Wie sollte ein solcher Kanon beschaffen sein? Bildungsk a- Es geht, so Ute Erdsiek-Rave, schleswig-holstei- non“: Einen festgeschriebenen, verbindlichen nische Bildungsministerin a. D., um die Defini- Kanon habe es auch in der klassischen Bildung tion eines Bildungsminimums, das ausbau- und nie gegeben. Er plädiert für einen pragmatischen anschlussfähig ist. Der Kanon sollte nach An- Kanon als Konsens über das Minimum und sicht des ehemaligen niedersächsischen Kultus- für einen gemeinsamen Rahmen. Dieser Rah- ministers Prof. Rolf Wernstedt nicht aus Perspek- men müsse fachliche und überfachliche Kom- tive der Fächer formuliert werden. Stattdessen petenzen aufnehmen, er müsse den Schulen sollten gesellschaftliche Kernfragen aufgegriffen Spielraum lassen, er müsse zeitlich befristet und werden, um so die Starrheit der Fächer aufzu- revidierbar sein sowie die Chancen der neuen lösen und im schulischen Alltag Zeit zu gewin- Medien nutzen. nen für Reflexionen und praktische Anwendung. Dies bestätigt Ingrid Ahlrin, Leiterin der Helene- P U B L I K AT I O N Lange-Schule in Wiesbaden, während der Vor- „Bildungskanon heute“: http://library.fes.de/pdf- stellung des Buches: An ihrer Schule habe man files/studienfoerderung/08990.pdf 2 / 2 0 1 2 I N F O FES
6 SCHWERPUNKT Einschätzungen KONKRETE VERBESSERUNGEN LEISTEN K O O P E R AT I O N S PA R T N E R K O M M E N T I E R E N D I E „ R E I H E H O C H S C H U L P O L I - TIK“ UND DAS „NETZWERK EXZELLENZ AN DEUTSCHEN HOCHSCHULEN“. „Unsere Gesellschaft hat einen enormen Die Kombination aus Konferenzen und Pu- Ausbildungsbedarf und einen wachsenden blikationen sowie die Einbindung des Internets Wissensbedarf durch Forschung. Hochschulen hält Niels Hegewisch, Promotionsstipendiat nehmen diese elementaren Aufgaben an. Für der FES, ebenfalls für gut gelungen. Er hält je- ihren Erfolg brauchen sie unsere Unterstützung doch eine „größere Beteiligung von unmittelbar und konstruktive Begleitung.“ So formuliert Betroffenen“ für wünschenswert, da die Gä- Dr. Hans-Gerhard Husung, Generalsekretär der ste meist aus der Planungs- und Leitungsebene Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz, Hinter- kommen. Auch Hans-Gerhard Husung erwähnt, grund und Ziele der Arbeit in der ‚Reihe Hoch- dass sich seine Erwartungen an die Mitarbeit schulpolitik’ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ihm aus dem Kreis der Stipendiatinnen und Stipen- geht es dabei darum, durch sein Engagement diaten noch nicht voll erfüllt haben. Außerdem Anregungen und Erfahrungen einzubringen werden mehr Kontroversen gewünscht, da die und sie im kritischen Diskurs mit anderen auf laufenden Umwälzungen Licht- und Schatten- den Prüfstand zu stellen. Dr. Eva-Maria Stan- seiten haben, die sich in den Veranstaltungen ge, sächsische Wissenschaftsministerin a. D. auch widerspiegeln sollten. „So differenziert ergänzt: „Mit der Exzellenzinitiative und der sich die Hochschullandschaft immer weiter aus- verstärkten Autonomie sind das Wissenschafts- einander, damit gibt es Verlierer und Gewinner. und Hochschulsystem in Bewegung geraten und Wie gehen wir damit gesellschaftlich um?, fragt in einem umwälzenden Veränderungsprozess. Eva-Maria Stange. Noch ist der Ausgang dieser Veränderung offen und unkalkulierbar. Es ist für mich wichtig und Auch aus Sicht von Swen Schulz, MdB, ist notwendig, diesen Prozess zu begleiten und mit eine kritische Begleitung der aktuellen Hoch- zu gestalten.“ schulentwicklung nötig. Durch die Mischung aus Veranstaltungen und Publikationen wird Für Prof. Dr. Jürgen Zöllner, Wissenschafts- immer wieder „der Finger in die Wunden der senator a. D. in Berlin, hat die „Reihe Hoch- Hochschulpolitik gelegt“ und „den Problemen schulpolitik“ „die Förderung von Lehre und werden neue Ideen entgegengestellt“. Damit Forschung, von Breite und Spitze der Wissen- könne die Friedrich-Ebert-Stiftung „kritische schaft gleichermaßen im Auge. Dieser Spagat Wegbegleiterin sein und durch ihre Expertisen ist unverzichtbar für die Wissensgesellschaft. auch konkrete Verbesserungen im Sinne der so- Nur dies kann Vorbild für eine zukunftsfähige zialen Demokratie leisten“. Politik sein“. Dies erfolgt durch Dialogveranstal- tungen mit einem offenen Gedankenaustausch Welche Themen werden im Hochschul- und von Expertinnen und Experten verschiedenster Wissenschaftssystem 2013 besonders wichtig? Wissenschafts- und Zuständigkeitsbereiche. Als zentrales Thema gilt die prekäre Beschäfti- Dr. Nina Lemmens, Deutscher Akademischer gung in der Wissenschaft. Eine Steigerung der Austauschdienst, stellt in den Vordergrund, dass Attraktivität des Arbeitsplatzes ‚Wissenschaft’ sich „aus den Vorträgen und Diskussionsrun- im nationalen und internationalen Kontext den in der Tat konkrete Empfehlungen ableiten und Aufhebung des Stellenmangels sei dringend lassen.“ Sie lobt das äußerst informierte, hohe geboten. Alle erwähnen auch die Perspektiven Niveau, mit einer lebendigen Positionsbestim- nach 2017 – dem Auslaufen der Exzellenzini- mung, die durch „die ausgereiften Texte in den tiative – und in diesem Zusammenhang eine Publikationen theoretisch gespiegelt und ver- grundsätzliche Neuordnung der Finanzierung tieft wird“. Positiv erwähnt wird auch, dass bei des Wissenschaftssystems. Dazu gehören auch den Konferenzen Expertinnen und Experten, die verbesserte Grundfinanzierung der Hoch- auch wenn sie nicht mehr im System sind und schulen, die Zukunft des Hochschulpakts und damit keine Eigeninteressen mehr haben, ihre die Aufhebung des Kooperationsverbots. Wei- reiche Erfahrung einbringen können. tere Themen sind die Internationalisierung der FES I N F O 2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT 7 Hochschulen sowie die Gestaltung der engen rung von Lern-, Lehr- und Forschungsmethoden Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und eine Rolle. Die Friedrich-Ebert-Stiftung wird Forschungseinrichtungen. Aus Sicht der Studie- auch weiterhin versuchen, aktuelle hochschul- renden spielen außerdem der Wandel wissen- politische Diskurse dieser Art aufzunehmen schaftlichen Publizierens und die Modernisie- oder anzustoßen. ZEIT FÜR REFLEXIONEN FES-Studien- förderung BEITRÄGE ZU MEHR BILDUNGSGERECHTIGKEIT DURCH STUDIENFÖRDERUNG, BILDUNGS- UND HOCHSCHULPOLITIK Der Einsatz für einen gerechten Zugang zu Bil- be und gesellschaftlichen Zusammenhalts. Das dungschancen ist ein zentraler Gründungsauf- Netzwerk von (ehemaligen) FES-Stipendiatinnen trag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bereits 1926 und FES-Stipendiaten wie die bildungs- und fasste das Jahrbuch der Deutschen Sozialdemo- hochschulpolitischen Experten-Netzwerke tra- kratie die Aufgaben der Stiftung zusammen: „Die gen personell und ideell zur Erneuerung der So- Friedrich-Ebert-Stiftung verfolgt den Zweck, jun- zialen Demokratie bei. gen, befähigten Proletariern Beihilfen für einen Studiengang an staatlich anerkannten Instituten Zusammen mit einem unabhängigen Auswahl- zu geben.“ Seitdem hat die Friedrich-Ebert-Stif- ausschuss werden gezielt begabte junge Men- tung diesen nach wie vor aktuellen Auftrag fest- schen ausgewählt, die Wissenschaft wie Politik gehalten und ihn weiterentwickelt. Denn ange- von morgen gestalten wollen und Soziale Demo- sichts des gesellschaftlichen Wandels und der kratie als Grundwerte- und Handlungskonzept sich verändernden Hochschullandschaft stellen weiterdenken. Mit einer materiellen wie ideellen sich neue Fragen: Wie lassen sich Bildungsge- Förderung sollen Stipendiatinnen und Stipendi- rechtigkeit und Begabtenförderung zeitgemäß verbinden? Was bedeutet heute Bildungsge- rechtigkeit angesichts vielfältiger und prekärer Beschäftigungs- und Lebensverhältnisse? Wer ist der qualifizierte und engagierte Nachwuchs, der als Multiplikator die Werte der Sozialen De- mokratie in die Gesellschaft trägt und Impulse dazu liefert? Antworten auf diese Fragen wer- den gemeinsam mit aktuellen und ehemaligen Stipendiatinnen und Stipendiaten gesucht und mit Vertrauensdozentinnen und -dozenten und Mitgliedern des Auswahlausschusses formuliert und umgesetzt. Heute leistet die FES-Studienförderung Beiträge zu drei konkreten Zielen: • Förderung des wissenschaftlichen und poli- tischen Nachwuchses für Soziale Demokratie • Überwindung sozial bedingter Bildungs- barrieren • Politische Beratung und Schaffung von Dis- kussionsräumen für Bildungs- und Hochschulpolitik aten auf ihrem Weg zu einem überdurchschnitt- lichen Studienabschluss unterstützt werden. Die Grundsätze der Studienförderung leiten sich Gefördert werden Studierende in Erst- oder Ma- aus den übergreifenden Zielen der Friedrich- sterstudiengängen sowie Promovierende, die in Ebert-Stiftung ab: Förderung politischer Teilha- Deutschland leben oder für das Studium nach 2 / 2 0 1 2 I N F O FES
8 SCHWERPUNKT Deutschland gekommen sind. Ihnen werden zentinnen und -dozenten und nicht zuletzt zum Räume der persönlichen Weiterentwicklung, politischen Umfeld stärken. der vielfältigen Vernetzung, der politischen Bil- Gefördert werden insbesondere Erstakademiker dung und der kritischen Diskussion angeboten. und junge Menschen mit Migrationsgeschichte. Diesem Ziel dient ein breit gefächertes Semi- Ihnen wird ein Netzwerk geboten, das getragen narprogramm, das sowohl (gesellschaftliches) ist von den Grundgedanken der Gleichberechti- Fachwissen als auch persönliche, soziale und gung und Diversität. Zudem werden politische politische Handlungskompetenzen vermittelt Entscheidungsträger beraten und Möglichkeiten und Berufsorientierung unterstützt. Wir verste- zur kontroversen Auseinandersetzung mit aktu- hen unser Seminarprogramm als Teil unserer ellen Entwicklungen in der Bildungs- und Hoch- politischen Bildungsarbeit. Die Stipendiatinnen schulpolitik geschaffen. und Stipendiaten sollen zudem in ihrer Rolle als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren durch FES-STUDIENFÖRDERUNG 2011 Kontakte zur Stiftung, zu ehemaligen Stipen- 2.600 geförderte Stipendiatinnen und Stipendiaten, diatinnen und Stipendiaten, zu Vertrauensdo- 466 Neuaufnahmen, 18.000 Ehemalige Empfehlungen PLAGIATSFÄLLE IN DER WISSENSCHAFT ZUR QUALITÄTSSICHERUNG AN HOCHSCHULEN Wie wird an Hochschulen mit Plagiatsfällen um- Margret Wintermantel, definiert darin die ganze gegangen? Gibt es Ansprechpartnerinnen und Bandbreite wissenschaftlichen Fehlverhaltens: Ansprechpartner und ein etabliertes Verfahren Vom Erfinden und Verfälschen von Daten über bei Verdachtsfällen? Auf Grundlage einer Konfe- die Verletzung geistigen Eigentums bis zur Be- renz Ende 2011 ist eine Publikation entstanden, einträchtigung der Forschungstätigkeit anderer. die Empfehlungen enthält, in welchem Verhält- Sie plädiert für eine Kultur des Vertrauens und nis Vertrauen und Kontrolle stehen sollten und der frühen Vermittlung wissenschaftlicher Stan- wie die Qualitätssicherung an Hochschulen dards an Studierende. Die Verantwortung für die verbessert werden kann. Die damalige Präsiden- Qualitätssicherung liege in erster Linie bei je- tin der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. dem Einzelnen für das eigene wissenschaftliche Werk, aber auch bei der Hochschule und den Be- treuerinnen und Betreuern. Während manche auf Transparenz und klare Ver- fahrensrichtlinien setzen, betonen andere die Notwendigkeit eines engen Betreuungsverhält- nisses. Die Empfehlungen von Wissenschaftsrat, Deutscher Forschungsgemeinschaft und Hoch- schulrektorenkonferenz dazu sind ebenfalls in der Publikation nachzulesen. Jenseits der Einzelfälle weisen Plagiate aber auch auf strukturelle Mängel hin. Dr. Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der AG Bildung und For- schung der SPD-Bundestagsfraktion, zeigt, dass die leistungsorientierte Mittelvergabe zu fal- schen Anreizen führen kann, wenn die Finan- zierung z.B. von der Zahl der Promovierenden abhängig gemacht wird. Hier müsse politisch durch neue Formen der Hochschulfinanzierung gegengesteuert werden. MEHR ZUM THEMA www.fes.de/themen/bildungspolitik FES I N F O 2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT 9 PROFILIERUNG IM NORMALEN FES-Konferenz ÜBER HOCHSCHULPOLITIK JENSEITS DER EXZELLENZ „Spitzen auszubilden und die Qualität des Hoch- gut zu machen“, so Jürgen Zöllner, Berliner Wis- schul- und Wissenschaftsstandorts Deutschland senschaftssenator a. D, in seinem Resümee. Pro- in der Breite anzuheben“, so lautet das Ziel der file müssten sich an den lokalen und institutio- Exzellenzinitiative. nellen Gegebenheiten orientieren, und jenseits Die Ergebnisse der dritten und vorerst letzten der Forschung auch alle anderen Leistungsdi- Runde dieser Initiative des Bundes und der Län- mensionen, wie etwa die Lehre, erfassen. der zur Förderung von Wissenschaft und For- schung wurden im Juni 2012 verkündet. Ins- gesamt werden ab Herbst 39 Universitäten von einer Förderung in Höhe von 2,4 Milliarden Euro profitieren. Doch wie steht es um jene Universitäten, die nicht von der Spitzenförderung profitieren? Auf Einsichten zur der Konferenz „Profilbildung jenseits von Exzel- Exzellenzinitiative: lenz“, die am 27. Juni in der Reihe Hochschulpo- Berlins ehemaliger Bildungssenator litik stattfand, richtete sich der Blick weg von der Prof. Jürgen Zöllner „Elite“ hin zur breiten Masse der Hochschulen. (Foto: Bollhorst) Trotz steigender Studierendenzahlen stagniert die Grundfinanzierung seit den neunziger Jah- ren. Hochschulen sind auf Drittmittel ange- wiesen und müssen sich in einem schärfer wer- BILDUNGSPOLITISCHES FORUM Kurz notiert denden Wettstreit um Ressourcen und Talente Im gemeinsamen Bildungspolitischen Forum behaupten. Dieser dränge die Hochschulen in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und einen „Wettbewerb um Auffälligkeiten“, so Prof. Wissenschaft und des FES-Arbeitsbereichs Ber- Teichler von der Universität Kassel. Doch haben linPolitik werden mit der Senatorin für Bildung, Hochschulen außerhalb der Exzellenzinitiative Jugend und Wissenschaft, Sandra Scheeres, Fra- noch viele ungenutzte Reserven. Sie müssten gestellungen und Themen wie zum Beispiel die Schwerpunkte mit hohem wissenschaftlichen Rolle der Gymnasien nach der Schulstrukturre- Anspruch und Profile jenseits der Spitzenfor- form oder die Umsetzung der UN-Richtlinie zur schung bilden. Denn Spitzenforschung sei nur Inklusion diskutiert. Zudem werden Lehramts- ein Teil von Wissenschaft. Vielmehr gelte es, ex- anwärter darin unterstützt, Standpunkte gegen zellent in der Erfüllung seines Auftrages zu sein. Rassismus, Rechtsextremismus und Diskrimi- „Es kann auch ein Profil sein, seinen Job einfach nierung zu beziehen. THEMENTEAM & THEMENPORTAL Sowohl in Bonn und Berlin als auch in allen Landesbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung spielen bil- dungspolitischen Themen eine wichtige Rolle. Seit zwei Jahren existiert deshalb das übergreifende „Thementeam Bildung“. Gäste aus Politik und Wissenschaft informieren dort über den aktuellen Diskussionsstand zu einem Thema. Dieser Austausch und die Vielfalt der Arbeit zu bildungspolitischen Themen werden nach Außen über das Themenportal sichtbar, das parallel zur Gründung des Thementeams eingerichtet wurde. Das Themenportal www.fes.de/themen/bildungspolitik ermöglicht einen umfassenden Über- blick über die aktuellen Themen und Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Bildungspolitik und ist in die Bereiche Frühkindliche Bildung, Schulpolitik, Hochschulpolitik sowie Weiterbildung/ Lebenslanges Lernen gegliedert. 2 / 2 0 1 2 I N F O FES
10 SCHWERPUNKT Expertise VORZEIGEMODELL ODER RENOVIERUNGSBEDÜRFTIG? DUALE BERUFSAUSBILDUNG IN DEUTSCHLAND Spanien ist interessiert. Die Regierung will mit Professor im Fachbereich Politik- und Verwal- einem Ausbildungssystem nach deutschem tungswissenschaft an der Universität Konstanz, Vorbild gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit zeigt Reformperspektiven der beruflichen Bil- im Land vorgehen. Laut EUROSTAT verzeich- dung auf: Obwohl das duale System in Deutsch- nete Deutschland im Februar 2012 mit 8,2% land für einfache Übergänge an der „zweiten die niedrigste Arbeitslosenquote bei den unter Schwelle“ zwischen Ausbildung und Beschäfti- 25-Jährigen in Europa. Die duale Ausbildung in gung sorgt, besteht die Gefahr der dauerhaften Deutschland – ein Vorzeigemodell, zur Nachah- Exklusion von Jugendlichen, die an der „ersten mung empfohlen? Schwelle“, dem Übergang von der allgemein bil- Mehr als 540.000 .Jugendliche begannen 2011 denden Schule in die Ausbildung, scheitern und eine Ausbildung in einem der ca. 350 aner- nur sehr schwer oder gar keine Chance mehr zu kannten Ausbildungsberufe. Für die Wirtschaft einer qualifizierten Ausbildung erhalten. bietet diese Form der Ausbildung erkennbare Demgegenüber hat Dänemark in den 1990er Vorzüge: die Ausgebildeten verfügen über so- Jahren eine groß angelegte Berufsbildungsre- wohl über theoretisches Wissen, dass ihnen in form durchgeführt. In dem reformierten System der Berufsschule vermittelt wird, aber auch über durchlaufen zunächst alle Jugendlichen eine praktische Erfahrungen und sind demzufolge für Phase der beruflichen Grundbildung, die voll- die Unternehmen schnell produktiv einsetzbar. zeitschulisch organisiert ist. Busemeyer schlägt Trotz hoher Wertschätzung der dualen Ausbil- vor, auch in Deutschland einen alternativen dung im In- und Ausland sind jedoch Defizite Zweigs der Berufsbildung auszubauen, der Ju- und Reformbedarf unabweisbar. Nicht alle Un- gendlichen, die bei der Suche nach einem be- ternehmen halten auch in Krisenzeiten ihr Aus- trieblichen Ausbildungsplatz erfolglos geblieben bildungsengagement aufrecht und investieren in sind, die Möglichkeit bietet, ihre Ausbildung den Fachkräftenachwuchs. Somit unterliegt das bei einer Berufsschule oder einem außerbetrieb- Ausbildungsplatzangebot erheblichen Schwan- lichen Träger abzuschließen. Reformmodelle wie kungen. Dies hat in der Vergangenheit zum z. B. das „Hamburger Ausbildungsmodell“ setzen Anwachsen eines umfangreichen Übergangsbe- diesen Ansatz bereits in der Praxis um. reichs geführt, der zeitweilig sogar die Zahl der neuen betrieblichen Ausbildungsplätze übertraf. DIE STUDIE Eine Expertise für die FES von Marius Busemeyer, www.fes.de/wiso/content/arbeit.php Kurz notiert N A C H W U C H S F E H LT HERKUNFT = ZUKUNFT Das Land Niedersachsen stagniert wirtschaft- In Deutschland hängen der schulische Erfolg lich und verliert perspektivisch zunehmend die und somit auch die spätere berufliche Laufbahn Fähigkeit, gegenüber anderen Bundesländern wie in kaum einem anderen Land von der so- aufzuholen. Nach zahlreichen Besuchen in zialen Stellung der Eltern ab. Seit Herbst 2006 kleinen und mittelständischen Unternehmen setzte sich das Landesbüro Sachsen-Anhalt in in ganz Niedersachsen fasst Stephan Weil, Lan- mittlerweile mehr als 20 Veranstaltungen der desvorsitzender der SPD Niedersachsen, im Rah- Reihe „Herkunft = Zukunft?“ intensiv mit dieser men einer Podiumsdiskussion der FES die Stim- Problematik auseinander. Dabei war gerade die mung in allen Betrieben als „stark suchend“ frühkindliche Bildung häufiges Thema. Vielen zusammen: „Das Bedürfnis nach qualifiziertem Kindern werden die entsprechenden Grundla- Nachwuchs ist überall enorm hoch!”. Eine Mög- gen zu Hause nur unzureichend vermittelt; sozi- lichkeit qualifizierten Nachwuchs zu fördern, ale Kompetenzen sind oft nur gering ausgeprägt. sieht Stephan Weil in der bewussten Anknüp- Partner wie das Deutsche Studentenwerk oder fung der Hochschulen an die regionalen Stärken auch das Robert-Koch-Institut konnten für ge- vor Ort. meinsame Projekte gewonnen werden. FES I N F O 2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT 11 KEIN KIND ZURÜCKLASSEN Veranstaltungsreihe P R Ä V E N T I V E R S O Z I A L S TA AT U N D D I E B I L D U N G S P O L I T I K Kein Kind zurücklassen – Das ist nicht nur das Nordrhein-Westfalen will nach der Abschaffung Motto eines Modellprojekts der nordrhein- der Studiengebühren auch den Weg der sozialen westfälischen Landesregierung, das die Präven- Öffnung der Hochschulen konsequent weiterge- tionskette von der Schwangerschaft über die hen. frühkindliche Bildung bis zu den Schulen in „Kein ‚Kind‘ zurücklassen“, diese Vorgabe um- den Kommunen aufbauen und verbessern soll, fasst also im Bereich des Bildungsweges ein sondern es formuliert auch das Leitbild für die ganzes Bündel an Maßnahmen, die die soziale Bildungspolitik der nordrhein-westfälischen Lan- Schere, die im Weg durch das Schul- und Hoch- desregierung. Der Einstieg in die kostenfreie Kin- schulsystem immer weiter aufgeht, schließen derbetreuung, der Ausbau der Ganztagesschule sollen. Bildungspolitik ist also in Nordrhein- und die Abschaffung der Studiengebühren sind Westfalen einer der wichtigsten Bausteine des Bausteine einer Bildungspolitik, die ansetzt, die präventiven Sozialstaates und Kernstück des soziale Inklusion zu stärken und Teilhabe an der Leitmottos „Kein Kind zurücklassen!“ Gesellschaft zu ermöglichen. Lebensbegleitendes Die Friedrich-Ebert-Stiftung in Nordrhein- Lernen wird als einer der zentralen Pfeiler für Bil- Westfalen plant im Jahr 2013 eine Reihe von dungsaufstieg angesehen. Veranstaltungen zum Thema „Präventiver Sozi- Bildungspolitik, insbesondere Schulpolitik war in alstaat“ unter besonderer Berücksichtigung der Nordrhein-Westfalen ein heiß umkämpftes Feld. bildungspolitischen Aufgaben und Wirkungen. Mit dem Schulkonsens zwischen der von Han- In Zeiten knapper Haushalte sollen dabei insbe- nelore Kraft geführten Landesregierung und der sondere die fiskalischen Auswirkungen berück- Union wurde bis 2023 eine Befriedung hergestellt, sichtigt werden. In wieweit bringen die zunächst die es erlaubt, das Schulsystem auf der Basis dieses anfallenden Kosten im Bereich gebührenfreier Kompromisses weiterzuentwickeln. Eine weitere Bildung und Betreuung mittelfristig Einspa- Säule der vorsorgenden Politik soll die Verbesse- rungen, die in die Konsolidierung der Haushalte rung des Übergangs von Schule in den Beruf sein. gelenkt werden können? Die Auftaktveranstal- Durch eine zielgenauere Begleitung der Jugend- tung dazu findet am 18. Februar 2013 mit Han- lichen erhofft man sich Einsparpotenziale in der nelore Kraft in Düsseldorf statt. Reduzierung der sogenannten Warteschleifen. ZWISCHEN AUFREGUNG UND Bürgerforen AUFKLÄRUNG D I E D E B AT T E U M D I E T H Ü R I N G E R G E M E I N S C H A F T S S C H U L E Bildungspolitiker und Fußballtrainer haben Ort und „unter Einbeziehung aller Beteiligten eines gemeinsam: Tausende wissen es besser als fallen“ – so die Koalitionsvereinbarung. sie. Denn so wie viele Menschen schon einmal Dieser Aufforderung zum öffentlichen Dialog ist Fußball gespielt haben, sind alle in der Schule ge- die FES gefolgt und hat seit Anfang 2010 zunächst wesen. Entsprechend viele Stimmen sind in bil- mit einer Reihe von Bürgerforen über das Kon- dungspolitischen Debatten zu hören und laden zept der Thüringer Gemeinschaftsschule infor- diese bisweilen stark auf. miert und mit den Bürgerinnen und Bürger ihre Mit Amtsantritt der gegenwärtigen Thüringer Vorstellungen von guter Schule diskutiert. Diese Landesregierung Ende 2009 wurde die Einfüh- Bürgerforen mit Thüringens Bildungsminister rung der „Thüringer Gemeinschaftsschule“ (ge- Christoph Matschie, bzw. Bildungs-Staatssekre- meinsames Lernen bis Klasse 8) als zusätzliche tär Prof. Dr. Roland Merten fanden in kleinen gleichberechtigte Schulform beschlossen. Ihre und mittleren Städten Thüringens abseits der Einführung wurde aber nicht verordnet, son- Hauptzentren statt, u. a. in Artern, Breitungen dern die Entscheidung darüber sollte jeweils vor und Sonneberg, und werden weiter fortgesetzt. 2 / 2 0 1 2 I N F O FES
12 SCHWERPUNKT In der Debatte über die Gemeinschaftsschule meinschaftsschule bis mindestens zur Klasse 8 war immer wieder die Sorge zu hören, dass der schicken zu wollen. gemeinsame Unterricht lernstarke Schüler in Als dritten Schritt der Beschäftigung mit der Ge- ihrer Entwicklung hemmen und insgesamt das meinschaftsschule hat die FES eine Reihe von Niveau der Schulbildung senken könnte. Um Fachgesprächen mit Vertretern von Schulen, auch die Meinung der Bürgerinnen und Bürger Schulverwaltung, Wissenschaft und Verbänden zu dieser wichtigen bildungspolitischen Frage durchgeführt, um zu diskutieren, wie eine er- zu erfahren, hatte die FES eine Repräsentativbe- folgreiche Einführung der Gemeinschaftsschule fragung in Auftrag gegeben, die u. a. ergab, dass gelingen kann. Begleitend dazu hat die FES ein 86% der Thüringerinnen und Thüringer das län- Gutachten erarbeiten lassen, das die bisherigen gere gemeinsame Lernen als Schulform begrü- Erfahrungen mit dem längeren gemeinsamen ßen. 79% der Befragten versprechen sich davon Lernen auswertet und einen Leitfaden für dessen eine verbesserte Chancengleichheit der Kinder mögliche Einführung enthält. und 64% geben an, das eigene Kind auf eine Ge- Fachtagungen WEGE ZUM GEMEINSAMEN UNTERRICHT B AY E R N F O R U M U N D R E G E N S B U R G E R R E G I O N A L B Ü R O Z U R I N K L U S I O N Jährlich verlassen in Bayern ca. 80.000 Jun- ten Mitte 2011 der Aufnahme dieses Leitsatzes in gen und Mädchen die Schule ohne Abschluss. das Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichts- Dringender Reformbedarf besteht bei allen wesen und einem eigenen Inklusionsgesetz im Schultypen, der Lehrermangel ist eklatant, die Freistaat zu. Damit wurde eine Hauptforderung Schülerinnen und Schüler sind überfordert. der UN-Behindertenrechtskonvention aus dem Mit zahlreichen Podiumsdiskussionen und Jahr 2006 umgesetzt: Kein Kind darf aufgrund Fachgesprächen begleitet das BayernForum der seiner Behinderung vom allgemeinen Bildungs- Friedrich-Ebert-Stiftung zusammen mit Ab- system ausgeschlossen werden. geordneten des Bayerischen Landtages, Leh- Seit Mai 2011 begleitet das Regensburger Regio- rerverbänden, Gewerkschaft Erziehung und nalbüro der FES mit mehreren Veranstaltungen Wissenschaft (GEW), Elternbeiräten und Schü- die Umsetzung des Gesetzes in Bayern. Die lervertretungen den bildungspolitischen Dis- Landtagsabgeordnete Margit Wild, in der SPD- kurs und blickt dabei auch über den bayerischen Fraktion federführend für das Thema zuständig, Tellerrand hinaus, um von „best practice“ Schu- bezeichnete es vor dem Bildungspolitischen Ge- len anderer Bundesländer zu lernen. sprächskreis Oberpfalz der Stiftung „als ersten Am 4. Mai diskutierten die Teilnehmerinnen und Schritt auf einem langen Weg“. Rund 40 Schulen Teilnehmer der Fachtagung „Inklusion im Schul- im ganzen Freistaat hätten zu Beginn des Schul- alter“ des BayernForums an der Volkshochschu- jahres 2011/2012 das Profil „Inklusionsschule“ le Bamberg Möglichkeiten des Ausbaus und der erhalten – viel zu wenige, befand die gelernte Umsetzung inklusiver Gemeinschaftsschulen. In Heilpädagogin. Zusammenarbeit mit der GEW Oberfranken, der Auch Sascha Schneider von der Landesarbeits- Behindertenbeauftragten der Stadt Bamberg, der gemeinschaft Bayern „Gemeinsam Leben – Ge- Offenen Behindertenarbeit der Lebenshilfe Bam- meinsam Lernen“ forderte bei einer Tagung im berg und des Fördervereins Integrative Schule April mehr Engagement und Mittel von der ba- Coburg (FISCo), konnte eine hochkarätige Beset- yerischen Staatsregierung. Fast überall in Europa zung für die Tagung gewonnen werden, um ge- gingen 80% der Kinder „mit Förderbedarf“ in die meinsam mit Lehrern und Eltern die alltäglichen Regelschule, in Deutschland keine 20%. Eine Ur- Herausforderungen zu diskutieren. Erfolgreiche sache sie die hohe Zahl von Förderzentren und Schulprojekte in anderen Bundesländern stan- -schulen in Bayern. Schneider forderte, die dort den dabei im Mittelpunkt der Tagung. tätigen Lehrkräfte und ihre hohen Kompetenzen in die allgemeinen Schulen zu integrieren und „Inklusiver Unterricht ist Aufgabe aller Schulen.“ Inklusion zu einem zentralen Thema der Aus- Alle Fraktionen im Bayerischen Landtag stimm- und Fortbildung zu machen. FES I N F O 2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT 13 Italien schaffte hingegen bereits 1977 die Son- torin am Deutschen Schulamt stellte den 70 Gä- derschulen ab. Seit fast 35 Jahren besuchen alle sten das Netzwerk für Inklusion in ihrer Heimat Kinder und Jugendlichen, mit oder ohne Be- vor. „Durch den obligatorischen gemeinsamen einträchtigung, gemeinsam Kindergarten und Unterricht profitieren unsere Jugendlichen mit Schule. „Ich bin hier um zu zeigen, dass Inklusi- und ohne Handicap gleichermaßen. Der Um- on möglich ist“, eröffnete Heidi Niederstätter aus gang miteinander ist natürlicher geworden, Bozen ihren Vortrag bei der FES in Regensburg selbstverständlicher“. über inklusive Bildung in Südtirol. Die Inspek- „ES DREHT SICH UM EUCH!“ Open Space W I E K Ö N N E N E LT E R N , L E H R E R U N D S C H Ü L E R S P I E L - RÄUME DER BILDUNG NUTZEN? Seit dem Regierungswechsel 2011 ist in Baden- Schüler sowie Vertreter aus Politik und Gewerk- Württemberg viel Bewegung in die Bildungs- schaft, die an der Open Space Veranstaltung im landschaft gekommen: Es gibt keine verbind- Juni 2012 teilnahmen. liche Grundschulempfehlung mehr, eine ganze In insgesamt 14 Gesprächsrunden wurde kon- Reihe von Gemeinschaftsschulen wird einge- struktiv und mit viel Erfahrungswissen debat- richtet und es besteht an einigen Gymnasien tiert. Und eines zeigte sich dabei überdeutlich: im Land wieder die Möglichkeit, in neun Jahren Wie es besser gehen könnte, darüber bestand bei zum Abitur zu kommen. den Anwesenden in vielen Fällen Einigkeit. Der Alle diese Veränderungen er- fordern ein Mitwirken der Be- teiligten. Zum Beispiel sind die Schulen in hohem Maße gefordert, mit konkreten Konzepten und Vorschlägen das neue Modell der Gemein- schaftsschulen mit Leben zu füllen. Dabei müssen viele Fragen geklärt, aber auch wi- Erfahrungsaus- derstreitende Interessen aus- tausche in 14 geglichen werden. Gesprächsrunden Wie kann der neue Spielraum für Bildung ge- Landtagsabgeordnete Klaus Käppeler freute sich nutzt werden? Welche Chancen der Mitgestal- über die zahlreichen Vorschläge, warnte aber tung bieten sich für die Beteiligten? Wie kann vor unrealistischen Vorstellungen: „Das System der Rollenwechsel gelingen, der die eigene Kre- grundlegend zu ändern, dauert viele Jahre.“ ativität, aber auch mehr Verantwortung für Das sei so schwerfällig und kompliziert wie ein gelungene Bildung erfordert? Diese Leitfragen großes Tankschiff. bewegten die rund 50 Eltern, Lehrer und einige S T I M M E N Z U R V E R A N S TA LT U N G : Christian Stärk, stellvertretender Bundesdele- verlieren. Außerdem finde ich es schön, dass es gierter des Landesschülerbeirats Baden-Württ- hier vor allem um das inhaltliche Arbeiten geht, emberg: weniger um das Formale. Das hängt wahrschein- Was hat dich motiviert, an dem Open Space teil- lich auch mit dem Format zusammen, eben alles zunehmen? ein bisschen pragmatischer.“ „Ich finde das Veranstaltungsformat sehr interes- Was sind deiner Meinung nach zurzeit die sant. Man lernt viele verschiedene Leute kennen drängendsten Themen in der Bildungspolitik? und sieht Themen aus ganz neuen Blickwinkeln, „Im Landesschülerbeirat behandeln wir viele ver- ohne dabei das große Ganze aus den Augen zu schiedene Themen. Wir begrüßen zum Beispiel 2 / 2 0 1 2 I N F O FES
14 SCHWERPUNKT die Gemeinschaftsschule, aber finden doch, dass le sollte möglich sein. Stichwort: Unschooling. sie zu schnell und überstürzt eingeführt wurde. Man könnte z.B. mehrere Monate mit dem Fahr- Viele Vorschläge sind noch nicht ausgereift. Ich rad über die Alpen fahren und dabei könnten die persönlich bin auch hier, um aus der Sicht eines Kinder Eigenverantwortung, Orientierung, den Schülers auf den Punkt zu bringen, was gerade technischen Umgang mit dem Fahrrad, Gemein- fehlt.“ schaftsbildung, usw. lernen. Im Moment geht es Findest du es schade, dass nur so wenig Schüler noch zu sehr um direkte Stoffvermittlung und zu teilgenommen haben? wenig darum, Kompetenzen zu erwerben.“ „Ja, aber ich glaube, das liegt nicht an mangeln- Welche konkreten Veränderungen wünschen Sie dem Interesse der Schüler. Das Format Open sich für das Schulsystem in Baden-Württemberg? Space würde eigentlich gut passen. Vielleicht „Wenn ich es extrem formulieren müsste, wür- würde die Veranstaltung aber an einer Schule de ich sagen: Jede Familie soll ein Budget für noch besser funktionieren. Außerdem sollten ihr Kind bekommen, das sie in die gewünschte Schüler direkter angesprochen werden. Bei einer Bildungsform investieren kann. Vorerst wäre es solchen Veranstaltung sollte den Schülern klar ein wichtiger Schritt, wenn Alternativen zu den gemacht werden: „Es dreht sich um euch!“. staatlichen Schulen die gleichen finanziellen Mittel bekämen.“ Petra Laßmann; Sprecherin der freien Alterna- Hatten Sie das Gefühl, dass ihre Vorschläge heute tivschulen in Baden-Württemberg: auf offene Ohren gestoßen sind? Was hat Sie bewogen, an der Veranstaltung teilzu- „In der Gruppe schon. Nur in der Politik noch nehmen? nicht. Mehr Netzwerkbildung ist auf jeden Fall „Meine Motivation war es, neue Kontakte zu nötig. Das heißt, wir müssen uns noch mehr mit knüpfen mit Menschen, die eine andere Bil- anderen Verbänden und Vereinen zusammen dung wollen. Und die habe ich auch gefunden. tun und schauen, wie wir unsere Wünsche in die Mir geht es vor allem darum, individuellere Politik transportieren können, also Lobbyarbeit Bildungswege möglich zu machen. Der zweite für alternative Schul- und Bildungsformen be- Schritte wäre: Auch Bildung außerhalb der Schu- treiben.“ Studien der FES WIE WEITER MIT DER WEITERBILDUNG? HANDLUNGSBEDARF UND LÖSUNGSANSÄTZE Berufliche Weiterbildung ist in einer dyna- prämien u. ä. auf der Bundesebene, existieren in mischen Wirtschaft eine Notwendigkeit. Jenseits einigen Bundesländern gesetzlicher Regelungen, dieses Allgemeinplatzes gibt es in Deutschland die u.a. Freistellungsansprüche festlegen. Dane- allerdings wenig Konsens über die Finanzierung, ben gibt es eine Reihe betrieblicher Vereinba- die Ausgestaltung und über die Zuständigkeiten rungen, die z. B. den Zugang und die Fördermög- im Bereich der Weiterbildung; es herrscht Wild- lichkeiten für Beschäftigte bestimmen. Während wuchs und Intransparenz. Dies ist problema- bei der beruflichen Weiterbildung der Beschäf- tisch, gleichgültig ob man die Weiterbildung tigten die Unternehmen eine zentrale Rolle spie- insgesamt für ausreichend hält oder – wie Stu- len, erfolgen Weiterbildungsmaßnahmen für Ar- dien der Friedrich Ebert Stiftung belegen – auf beitslose auf der Basis des Sozialgesetzbuchs und Handlungsbedarf hinweist und die finanzielle gehören zu den klassischen Instrumenten der Unterausstattung bemängelt. Die Weiterbildung Arbeitsmarktpolitik. stagniert. Die Datenlage ist eindeutig. Teilnah- Jenseits von Sonntagsreden ist Weiterbildung mequoten haben sich seit einigen Jahren bei ca. aus der Sicht vieler Unternehmen und der Po- 40% eingependelt. Die „Weiterbildungsschere“, litik vor allem ein Kostenfaktor und gerät in ein Begriff für das starke soziale Gefälle, ist seit Krisenzeiten als Einsparpotential ins Blickfeld. langem bekannt. Auch die Haltung gegenüber Beschäftigten und Die Weiterbildungslandschaft ist – im Unter- Arbeitslosen legen den Schluss nahe, dass eher schied zur beruflichen Ausbildung – rechtlich auf niedrige Personalkosten, Flexibilität und aty- wenig reguliert. Neben MeisterBAföG, Bildungs- pischer Beschäftigungsformen gesetzt wird. Stra- FES I N F O 2 / 2 0 1 2
SCHWERPUNKT 15 tegien, die auf nachhaltige Investitionen in die Kontext der Weiterentwicklung der Arbeitslo- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Be- senversicherung zur Arbeitsversicherung rückt schäftigungsfähigkeit ausgerichtet sind, finden neben der Absicherung von Beschäftigungsri- wenig Unterstützung. siken verstärkt die Förderung von beruflichen Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in verschie- Entwicklungschancen ins Blickfeld. denen Expertisen zur Weiterbildung bereits in Die Studien werden voraussichtlich im Herbst der Vergangenheit auf Defizite in diesem Bereich veröffentlicht und stehen dann auf der Internet- aufmerksam gemacht, Handlungsbedarf auf- seite der Abteilung WISO, Gesprächskreis Arbeit gezeigt und Lösungsansätze vorgestellt. In drei und Qualifizierung zur Verfügung. neuen Studien wird das Thema nun entlang der Debatte zur Reform der Arbeitsmarkt- und Be- P U B L I K AT I O N E N D E R A B T E I L U N G W I S O schäftigungspolitik und der Weiterentwicklung www.fes.de/wiso/content/publikationen/arbeit_ der sozialen Sicherungssysteme aufgegriffen. Im qualifiz.php BILDUNGSANSPRUCH ALS LEITMOTIV Biographie H I S T O R I S C H E R R Ü C K B L I C K A U F D E N S O Z I A L D E M O K R AT I S C H E N AUFSTIEGSWILLEN Der Anspruch, den gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung und Weiterbildung zu vollziehen, durchzieht die knapp 150-jährige Geschichte der SPD. Getragen vom Willen ihrer Mitglieder, mithilfe von Wissen die soziale Leiter Stufe um Stufe zu erklimmen, wurde dieses Bestreben Teil sozialdemokratischer Identität und spiegelt sich daher in zahlreichen Biografien wider. Die Fa- miliengeschichte der Raloffs ist ein Beispiel da- für. Max Raloff zeichnete diese in seinen 1969 geschriebenen Erinnerungen nach und fängt dabei eine bewegte Zeit sozialdemokratischer Geschichte ein. Max Raloff – 1904 geboren – schildert sein Aufwachsen mit fünf Brüdern in einem typischen Arbeitermilieu in der Hanse- stadt Hamburg, welches durchdrungen war vom Durst nach Wissen. Während des 1. Weltkriegs und den Revolutions- jahren 1918/19 war auch Familie Raloff von der Spaltung der SPD betroffen. Allerdings fanden sowohl seine Mutter als auch sein Bruder Hein- rich den Weg zur SPD zurück. Einen zweiten Schwerpunkt der Erinnerungen aus historischem Kontext und einer einzelnen, bilden die zwölf Jahre nationalsozialistischer aber beispielhaften Familiengeschichte macht Herrschaft. Eindrücklich beschreibt Max Raloff den sozialdemokratischen Topos „Aufstieg seinen Berufsalltag unter dem Hakenkreuz sowie durch Bildung“ so begreifbar. seine Soldatenzeit, auch wenn diese Zeit einige Lücken aufweist. D I E P U B L I K AT I O N Ergänzt wird die Familiengeschichte durch eine http://library.fes.de/pdf-files/historiker/09112.pdf Einleitung von Helga Kutz-Bauer, die unter an- derem das reformpädagogische Klima Hamburgs Weitere Publikationen können kostenlos unter beschreibt, in dem auch Helmut Schmidt seine ww.fes.de/archiv/gkg bezogen werden. Schulbildung genoss. Gerade diese Verzahnung 2 / 2 0 1 2 I N F O FES
16 GESELLSCHAFTLICHES ENGAGEMENT / SOZIALE DEMOKRATIE GESELLSCHAFTLICHES ENGAGE- MENT / SOZIALE DEMOKRATIE V O R D E N K E N Sommeruniversität WIE VIEL UNGLEICHHEIT VERTRÄGT DIE DEMOKRATIE? I N T E N S I V E R A U S TA U S C H I N P O T S D A M „Demokratie und Gerechtigkeit sind zwei Din- engem Verhältnis Demokratie und Gerechtig- ge, die zwingend zusammengehören“. Mit die- keit stehen, beschreibt auch Matthias Platzeck sem Satz bringt es Manuela Schwesig in ihrem in seinem anschließenden Grundsatzvortrag. Eröffnungsvortrag bei der diesjährigen Som- Antworten auf die drängendsten Gerechtig- meruniversität der Friedrich-Ebert-Stiftung auf keitsfragen in unserer Gesellschaft – insbeson- den Punkt. Soziale Gerechtigkeit, dies macht dere in Krisenzeiten – zu finden, gehört zu den Manuela Schwesig deutlich, ist eine notwendige zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Für Voraussetzung und gleichzeitig auch der Grund- Matthias Platzeck kann es dabei nur den Weg pfeiler für eine lebendige Demokratie. In welch in eine „Gesellschaft des Miteinanders“, also in eine solidarische Gesellschaft geben. Für diesen Gesellschaftsentwurf steht die Soziale Demokra- tie. Mit ihren beiden Vorträgen legten Manuela Schwesig und Matthias Platzeck die Basis für eine ereignisreiche Woche voller spannender, offener und teilweise sehr kontroverser Diskussionen. Denn auch in diesem Jahr sind wieder weit über 100 junge und engagierte Menschen aus dem Grundsatzvortrag gesamten Bundesgebiet der Einladung der Fried- bei der zwölften rich-Ebert-Stiftung gefolgt, um vom 2. bis zum 6. Sommeruniversität der FES: Juli am Programm der zwölften Sommeruniver- Brandenburgs sität teilzunehmen. Ministerpräsident In angenehmer Lern- und Arbeitsatmosphäre Matthias Platzeck (Foto: Liebe) auf der Halbinsel Hermannswerder in Potsdam FES I N F O 2 / 2 0 1 2
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