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BWP ZEITSCHRIFT DES BUNDESINSTITUTS FÜR BERUFSBILDUNG W. B E R T E L S M A N N V E R L A G 38. JAHRGANG H 20155 4 / 2 0 0 9 B E R U F S B I L D U N G I N W I S S E N S C H A F T U N D P R A X I S Bildungs- und Berufsberatung Kommentar Gute Beratung will gelernt sein! Ein Netzwerk zur Weiterentwicklung der Beratung in Deutschland Professionalität als Herausforderung: Ein Kompetenzprofil für das Beratungspersonal Berufsberatung der BA: Ziele und Perspektiven Weiterbildungsberatung als Motor des lebenslangen Lernens Berufs- und Bildungsberatung per Telefon
I N H A LT K O M M E N TA R POSITIONEN 3 Gute Beratung will gelernt sein! 45 Der DQR in der Entwicklung – Würdigung und Reinhold Weiß Vorausschau Friedrich Hubert Esser IM BLICKPUNKT WEITERE THEMEN B I L D U N G S - U N D B E R U F S B E R AT U N G 50 Anforderungen und Herausforderungen bei der 5 Ein Netzwerk zur Weiterentwicklung der Beratung Entwicklung angepasster Berufe in den Vereinigten in Deutschland Arabischen Emiraten Interview mit Karen Schober Winfried Heusinger 9 Professionalität als Herausforderung: Ein Kompe- 54 Regionales Übergangsmanagement: tenzprofil für das Beratungspersonal im Feld Bil- Handlungsbedarf und Handlungsstrategien dung, Beruf und Beschäftigung Frank Braun, Peter Munk Christiane Schiersmann, Peter Weber 14 Berufsberatung weiter stärken RECHT Zielsetzungen und Perspektiven der Bundesagentur für Arbeit 56 Voller Lohn nur bei voller Lernleistung? Matthias Rübner Stellungnahme zur Vergütung bei Teilzeitberufs- ausbildung 19 Weiterbildungsberatung als Motor des Hermann Nehls lebenslangen Lernens? Marcel Walter H A U P TA U S S C H U S S 23 Telefonische Berufs- und Bildungsberatung in Groß- britannien: Büchse der Pandora oder Ariadnefaden? 57 Bericht über die Sitzung 2/2009 Bernd Käpplinger Gunther Spillner 27 Der Atlas für Bildungsberatung Empfehlung „Stand der Arbeiten zu einer inter- Eine webbasierte Navigation schafft Struktur und nationalen Vergleichsstudie in der Berufsbildung Transparenz in einem komplexen Feld („Large-Scale-Assessment“)“ (Beilage) Erika Kanelutti Empfehlung „Rahmenplan für die Ausbildung der Ausbilder und Ausbilderinnen“ (Beilage) 31 Weiterbildungsdatenbanken im Kontext der Weiterbildungsplanung und Beratung Erwin Maier REZENSIONEN 33 Dran bleiben … Sicherung des Ausbildungserfolgs durch ein ABSTRACTS integriertes Unterstützungsangebot in Bremen Peter Mehlis, Eva Quante-Brandt IMPRESSUM / AUTOREN 38 Qualifizierungsberatung in KMU Eine Fallstudie aus dem Förderprogramm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“ Karl Düsseldorff, Marcel Fischell, Jendrick Scholz 41 Personenbezogene (Weiter-)Bildungsberatung im Fernlernen Anforderungen und Bedarfe in einem wachsenden Bildungssegment Angela Fogolin 43 Bildungsberatung an der Universität – Hochschulen als Weiterbildungsanbieter Maria Kondratjuk Diese Ausgabe enthält die BWPplus als Einhefter sowie Empfehlungen des Hauptausschusses des BIBB und Beilagen des W. Bertelsmann Verlags, Bielefeld Diese Netzpublikation wurde bei der Deutschen Nationalbibliothek angemeldet und archiviert. URN: urn:nbn:de:0035-bwp-09400-8
K O M M E N TA R Gute Beratung will gelernt sein! REINHOLD WEIß Prof. Dr., Ständiger Vertreter des Präsidenten des Bundesinstituts für Berufsbildung und Forschungsdirektor, Bonn Liebe Leserinnen und Leser, es ist fast schon eine Binsenweisheit: Ratsuchenden. Es herrscht kaum Trans- teilweise ehrenamtlich – so etwa in der Die Arbeits- und Berufswelt befindet parenz über die Anbieterstrukturen, Funktion der Lehrlingswarte – und viel- sich in einem stetigen Wandel. Chan- über welche Qualifikationen Berater/ fach in zeitlich befristeten Projekten. cen und Risiken sind dabei für den Ein- -innen verfügen und wie sie sich fort- Transparenz, Kontinuität und Profes- zelnen nur schwer einzuschätzen. Von bilden. Auch die Qualität der Beratung sionalität sind unter diesen Bedingun- daher besteht ein erhöhter Bedarf an – ihre Wirkung und die Zufriedenheit gen kaum gewährleistet. Information und Beratung. Dies wird der Adressaten – ist weitgehend unklar. vor allem an den Schnittstellen deutlich, All dies ist nicht zuletzt die Folge einer Die Vielfalt der Trägerlandschaft könnte bei den Übergängen im Bildungssystem, nicht geklärten Rolle von Beratung im als Ausdruck eines differenzierten, auf bei der Anerkennung von Bildungs- öffentlichen Bildungsbereich. unterschiedliche Bedürfnisse reagie- abschlüssen, beim Berufseinstieg sowie renden Beratungssystems interpretiert generell bei Krisen und Wechseln in der Höchst unterschiedlich sind die Formen werden. Dazu müssten die Angebote Berufsbiografie. Im Hinblick auf die und Kontexte von Beratung: Sie findet allerdings stärker aufeinander bezogen individuelle Entwicklung, aber auch die sowohl in privater wie auch in öffentli- und miteinander vernetzt sein, oder Optimierung des Ressourceneinsatzes cher Trägerschaft statt. Teilweise stellt sich die Anbieter auf gemeinsame Leit- sollten diese Veränderungen möglichst sie eine gesetzliche Aufgabe dar wie linien und Arbeitsgrundsätze verstän- reibungslos und zielführend verlaufen. die Ausbildungsberatung der zustän- digt haben. Dies ist aber weitgehend digen Stellen oder die Berufsberatung nicht der Fall. der Bundesagentur für Arbeit. Die Teil- Viele Modelle – wenig System nahme ist größtenteils freiwillig, zum Bildungsberatung stellt eine öffentliche, Teil ist sie aber auch obligatorisch. Dies Professionalität und das heißt öffentlich verantwortete ist dann der Fall, wenn öffentliche Mit- Professionalisierung Dienstleistung dar. Sie muss als selbst- tel zur Finanzierung von Weiterbildung Wer eine Bildungsberatung – gleich verständlicher Teil eines lebensbeglei- in Anspruch genommen werden, so welcher Art – aufsucht, hat Anspruch tenden Lernens allen Interessenten z. B. bei der Weiterbildung nach SGB III, auf eine professionelle Dienstleistung. offenstehen und eine professionelle der Inanspruchnahme von Bildungsprä- Beratung muss fachkundig sein, das Unterstützung für Ratsuchende bereit- mien oder Bildungsschecks. heißt, die Berater/-innen müssen über halten. Darauf hat vor über dreißig Jah- den Gegenstand, über den sie beraten, ren bereits der Deutsche Bildungsrat Beratung wird als eine Dienstleistung Bescheid wissen. Sie müssen in der hingewiesen. Von diesem Anspruch ist von darauf spezialisierten Einrichtungen Lage sein, den Zugang zu Quellen her- die Realität der Bildungsberatung angeboten und ist damit in der Regel zustellen, relevante Informationen be- jedoch noch ein gutes Stück entfernt. anbieterneutral. Oftmals wird sie aber reithalten und so aufbereiten, dass sie Wir wissen wenig über die Bildungs- auch von den Bildungsanbietern selbst von den Adressaten genutzt werden beratung, ihre Anlässe, Prozesse und erbracht und dient dann zugleich als können. Instrumente und die Motivation der Marketinginstrument. Berater arbeiten BWP 4/ 2009 3
KOMMENTAR Zu einer professionellen Bildungsbera- Ausbau und Verstetigung der die Arbeits-, Lebens- und Lernprozesse tung gehört weit mehr als eine Infor- Strukturen begleitet und unterstützt, wird sich die- mation über Bildungsangebote. Diese Angesichts der Heterogenität der Bera- sem Fazit nicht entziehen können. ließe sich auch Broschüren oder Daten- tungslandschaft stellt sich die Aufgabe banken entnehmen. Relevant für Ent- einer besseren Verzahnung der Ange- scheidungen, die weitreichende Konse- bote. Eine wichtige, ja zentrale Rolle Beratung offensiver quenzen für die gesamte Biografie beim Aufbau einer bundesweiten und vermarkten haben, ist eine am Einzelfall orientierte trägerunabhängigen Beratungsinfra- Beratung, so heißt es immer wieder, soll Beratung über die Verwertung von struktur kommt dabei der Berufsbera- offen sein für alle Interessenten. Ange- Qualifikationen am Arbeitsmarkt, über tung der Bundesagentur für Arbeit zu. bote sollen deshalb niedrigschwellig berufliche Anforderungen und indivi- Vorzüge sind ihre bundesweite Präsenz, sein. Dies ist leicht gefordert, aber duelle Karrierechancen, über Zulas- die langjährigen Erfahrungen ihrer schwierig zu realisieren, vor allem auch sungsvoraussetzungen für Prüfungen Berater/-innen sowie die Verbindung zu in ländlichen Regionen und für bil- oder eine Beratung in Finanzierungs- den Berufsinformationszentren. Aller- dungsferne Schichten. Dabei könnte fragen. Zunehmend relevant ist dane- dings hat die Berufsberatung im Zuge gerade eine aufsuchende Beratung ben die Frage, inwieweit berufliche der sogenannten Hartz-Reformen an Hemmnisse abbauen und latentes Inter- Kompetenzen – seien sie in formalen, Stellenwert eingebüßt. Personelle Kapa- esse aktivieren. nonformalen oder informellen Kontex- zitäten wurden zugunsten der Vermitt- ten erworben – in weiterführenden Bil- lung umgeschichtet; auch die unter- Neben den klassischen Präsenzbera- dungsgängen, bei einem beruflichen schiedlichen Organisationsmodelle der tungen im Vier-Augen-Gespräch wer- Wiedereinstieg oder Umstieg nutzbar regionalen Arbeitsmarktpolitik waren den neue Formen zu entwickeln und zu gemacht werden können. Professionel- der Qualitätssicherung und Professio- erproben sein. Beispiele aus dem Aus- les Beraten bedeutet, dass Ratsuchen- nalisierung nicht eben förderlich. Nut- land, wie die in Großbritannien erprob- de und beratende Fachkraft in einem zer/-innen beklagen lange Wartezeiten te telefonische Berufs- und Bildungs- längeren Prozess gemeinsam eine auf Beratungstermine, zu kurze Zeiten beratung (vgl. K Ä P P L I N G E R in diesem Lösung für ein Problem finden. Bera- für eine individuelle Beratung und das Heft) können neue Wege weisen. Sol- tung wird so zu einem diskursiven und mangelnde Eingehen auf den Einzelfall. che Modelle gilt es zu sichten und auf reflexiven Prozess. Für ein Gelingen ist Das neue Beratungskonzept der BA Übertragbarkeit zu testen. Generell die Mitwirkung der Ratsuchenden (vgl. R Ü B N E R in diesem Heft) verheißt wäre es sinnvoll, das Internet sehr viel ebenso wichtig wie die Kompetenz der eine qualitative Weiterentwicklung. intensiver zu nutzen. So könnten Weiter- ratgebenden Personen, die über ein bildungsdatenbanken mit elaborierten hohes Maß an Sensibilität, Dialog- Im Sinne eines Beitrags zum lebens- Suchstrategien und Wissensmanage- fähigkeit, Kreativität und Reflexions- begleitenden Lernen müsste sich die mentsystemen ausgestattet werden. vermögen verfügen sollten. Berufsberatung von einer Einrichtung Auf diese Weise könnte die Abfrage zur Information und Beratung von jun- von Bildungsangeboten beispielsweise Eine Voraussetzung für die Beratungs- gen Menschen, die eine erste Ausbil- mit Hintergrundinformationen zu Beru- tätigkeit dürfte ein grundständiges, dung oder einen ersten Berufseinstieg fen und Arbeitsmärkten, zu Verwer- nicht unbedingt speziell auf Beratungs- suchen, zu einer Einrichtung wandeln, tungsmöglichkeiten und Verdienst- situationen ausgerichtetes Studium sein. die umfassend über Ausbildung und strukturen flankiert werden (vgl. M AIER Es reicht aber kaum aus, um das kom- Karriere, Weiterbildung und (berufli- und K ANELUTTI in diesem Heft). plexe Anforderungsprofil abzudecken. ches) Lernen informieren. Dies sollte Ebenso wichtig wie Berufserfahrung in zugleich mit einer inhaltlichen Neuaus- Auch sollten Beratungsstellen ein akti- einschlägigen Arbeitsmarktsegmenten richtung, einer Qualifizierung des Bera- veres Marketing in eigener Sache betrei- ist die berufliche Weiterbildung. Spe- tungspersonals und einer Qualitätssiche- ben. Allzu Vieles blüht immer noch im zielle Weiterbildungsgänge, in denen rung verbunden sein. Es handelt sich Verborgenen. Um Kunden zu gewin- Berater/-innen gezielt auf ihre Aufga- hierbei allerdings um Leistungen, die nen, wäre es notwendig, auf potenzielle ben vorbereitet bzw. in der Wahrneh- mit dem Versicherungsprinzip nicht in Nutzer zuzugehen, Leistungen aktiver mung unterstützt werden, sind indes- Einklang zu bringen sind. Zu Recht wird darzustellen und nicht zu warten, bis sen rar. Vieles bleibt dem Zufall und der in einem Rechtsgutachten von D URNER / irgendwann Kunden vor der Tür stehen Initiative des Einzelnen überlassen. Eine F A S S B E N D E R eine Verselbstständigung und um einen Termin bitten. systematische Weiterbildung wäre not- der Beratungsaufgaben der Bundes- wendig. Einen Beitrag dazu leistet ein agentur und eine Steuerfinanzierung 1 Das Gutachten wurde vom Deutschen gestuftes Aus- und Weiterbildungskon- der Beratungsleistungen gefordert.1 Verband für Bildungs- und Berufsberatung zept (vgl. S CHIERSMANN / W EBER in die- Wer die (Berufs-)Beratung zu einer pro- e. V. (dvb) in Auftrag gegeben und ist über sem Heft). fessionellen Einrichtung machen will, die Website des Verbands abrufbar. 4 BWP 4/ 2009
INTERVIEW B I L D U N G S - U N D B E R U F S B E R AT U N G Ein Netzwerk zur Weiterentwicklung der Beratung in Deutschland Interview mit Karen Schober Unter der Leitlinie „Beratung für Lebens- KAREN SCHOBER Dipl.-Soziologin, Jahrgang 1945 langes Lernen stärken“ hat sich im September 2006 das Nationale Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung (nfb) gegründet. Ziel ist es, einen aktiven Beitrag zum Ausbau und • Vorsitzende des Nationalen Forums für Beratung in Bildung, Beruf & Beschäftigung e. V. zur inhaltlichen Weiterentwicklung der Bera- • Vizepräsidentin der Internationalen Vereinigung für Bildungs- und tung sowie zur Vernetzung der Akteure in die- Berufsberatung (IAEVG / AIOSP) • Bis 2005 Leiterin des Referats für Berufsorientierung und berufliche sem Feld zu leisten. Karen Schober, Vorsitzen- Beratung der Bundesagentur für Arbeit • Projektleiterin Nationaler Pakt für Ausbildung und Fachkräftenach- de des Nationalen Forums, benennt aktuelle wuchs in Deutschland in der Bundesagentur für Arbeit (2004 – 2008) • Mitglied der Expertengruppe Lifelong Guidance bei der Herausforderungen beim Ausbau eines kohä- EU-Kommission (2002 – 2007), seit 2007 Mitarbeit im European Lifelong Guidance Policy Network – ELGPN) renten und transparenten Beratungsangebots und gibt Einblicke in die Arbeitsschwerpunkte des Forums. BWP_ Was wissen wir tatsächlich über die Wirkungen von Beratung? BWP_ Frau Schober, die Erwartungen an Beratung sind hoch- Schober_ Der Bedarf an belastbaren Daten über die Wirkun- gesteckt. Beratung soll einen Betrag dazu leisten, die Effi- gen von Bildungs- und Berufsberatung ist groß – nicht nur zienz der Bildungssysteme und der Arbeitsmärkte zu erhö- in der Praxis, sondern auch in Politik und Verwaltung. hen. Zudem soll sie insbesondere bildungsferne Schichten Wir müssen unterscheiden zwischen kurz- und länger- mobilisieren und so einen Beitrag zu mehr sozialer Gerech- fristigen Wirkungen, zwischen individuellen und gesell- tigkeit leisten. Sind diese Erwartungen zu erfüllen? schaftlichen bzw. ökonomischen Auswirkungen. Gängige „harte“, kurzfristig messbare Erfolge sind beispiels- Schober_ Da möchte ich mit Horst Köhler antworten, der in weise die Verringerung der Schul- oder Studienabbruch- seiner Rede anlässlich der Feier zum 60. Geburtstag des quoten oder der Anteil der Jugendlichen, die einen Aus- Grundgesetzes gesagt hat, mit der deutschen Einheit sei bildungsplatz gefunden haben. Hier wissen wir aus der es wie mit der Demokratie: Sie ist nie vollendet, sondern internationalen Forschung, dass intensivierte Beratungs- bedarf ständiger Anstrengungen zu ihrer Vollendung. Ich angebote in der Regel eine Verringerung der Abbruchquo- will damit sagen: Wir arbeiten daran und wollen zur Errei- ten zur Folge haben. Diese Ergebnisse sind durch Kontroll- chung dieser Ziele beitragen – soweit Beratung hierzu einen gruppenuntersuchungen relativ gut abgesichert. Anders Beitrag leisten kann. Denn eines ist auch klar: Auch noch sieht es mit den „weichen“ Wirkungsfaktoren aus. Dass so gute und umfassende Beratung kann nicht alle Proble- durch Beratung die individuelle Berufswahlkompetenz und me des Bildungs- und Beschäftigungssystems lösen. Die Entscheidungsfähigkeit eines Ratsuchenden verbessert wer- Erwartungen dürfen nicht zu hoch gesteckt sein. den und spätere berufliche Zufriedenheit und Erfolge größer sind als ohne Beratung, ist zwar plausibel, muss aber durch weitere empirische Forschung belegt werden. BWP 4/ 2009 5
INTERVIEW BWP_ Der Innovationskreis Weiterbildung empfiehlt, qua- litative Aspekte von Beratungsprozessen und die ökono- mischen und gesellschaftlichen Effekte der Bildungsbera- tung zu erforschen. Wo sollten hier Ihrer Meinung nach Zentrale Berichte Schwerpunkte gesetzt werden? und Beschlüsse auf Schober_ Die gesellschaftlichen und ökonomischen Wir- einen Blick kungen guter und umfassender Beratung und deren soziale Folgekosten sind schwer nachzuweisen. Zu viele nur schwer BMBF (Hrsg.): Bestandsaufnahme der Bildungs-, Berufs- und zu kontrollierende Einflussfaktoren und der Zeitfaktor spie- Beschäftigungsberatung in Deutschland, durchgeführt von Ramboll Management, Berlin/Bonn 2007 – URL: www.bmbf. len eine Rolle. Es bedarf daher sehr aufwändiger und lang- de/pub/berufsbildungsforschung.pdf (Stand: 27. 5. 2009) fristig angelegter Forschungsprojekte. Insofern sind die Emp- BMBF: Empfehlungen des Innovationskreises Weiterbildung für eine Strategie zur Gestaltung des Lernens im Lebenslauf. fehlungen des Innovationskreises für mehr Forschung in Berlin 2008 – URL: www.bmbf.de/pub/empfehlungen_innova- diesem Bereich zu begrüßen. Schwerpunkte sollten aus Sicht tionskreis_weiterbildung.pdf (Stand: 27. 5. 2009) des nfb zum einen bei einer vertieften Analyse der indi- CEDEFOP: Establishing National Guidance Forums. Luxemburg 2008 viduellen Wirkungen von Beratung ansetzen, d. h. For- CEDEFOP: Strategien zur Bildungs- und Berufsberatung in schungsansätze, die über die gängigen, eher oberflächlichen Europa. Synthesebericht Thessaloniki 2004 – URL: http:// www2.trainingvillage.gr/etv/publication/download/panorama/ Kundenzufriedenheitsbefragungen hinausgehen. Hier gibt 5152_de.pdf (Stand: 27. 5. 2009) es z. B. in Großbritannien sehr viel elaboriertere Forschungs- CEDEFOP: Verbesserung der Politik und Systeme der lebens- ansätze als bei uns. Zum anderen sollte mehr über die Wirk- begleitenden Bildungs- und Berufsberatung. Thessaloniki 2005 – URL: http://www2.trainingvillage.gr/etv/publication/ samkeit verschiedener Beratungsansätze und Methoden in download/panorama/4045_de.pdf (Stand: 27. 5. 2009) Bezug auf unterschiedliche Beratungsanliegen und Ziel- EU: Entschließung zu einer besseren Integration lebensum- spannender Beratung in die Strategien für lebenslanges gruppen geforscht werden, um das Methodeninventar zu Lernen. Ratsbeschluss 15030/08 v. 31. 10. 2008 – URL: verbessern. Schließlich sollten wir drittens – trotz aller http://register.consilium.europa.eu/ pdf/de/08/st15/st15030. de08.pdf (Stand: 27. 5. 2009) methodischen Schwierigkeiten und Einschränkungen – EU: Entschließung über den Ausbau der Politiken, Systeme nicht nachlassen in dem Bemühen, soziale und ökonomi- und Praktiken auf dem Gebiet der lebensbegleitenden Beratung. Ratsbeschluss 9286/04 v. 18. 5. 2004 – URL: sche Auswirkungen messbar zu machen. Ich halte es für legi- http://ec.europa.eu/education/policies/2010/doc/resolution tim und notwendig, den Nutzen, den Wirtschaft und Gesell- 2004_de.pdf (Stand: 27. 5. 2009) schaft von den Investitionen in gute Beratung haben, Hauptausschuss des BIBB: Empfehlung zur Berufsorientierung vom 14. Dezember 2005. In: BWP 35 (2006) 1, Beilage – sichtbar und nachvollziehbar zu machen. URL: www.bibb.de/dokumente/pdf/a1_bwp-2006-h1-ha.pdf (Stand: 27. 5. 2009) KMK/BA: Rahmenvereinbarung über die Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung vom 15. 10. 2004 – URL: BWP_ Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung befin- www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2004/RV_ Schule_Berufsberatung.pdf (Stand: 27. 5. 2009) det sich im Spannungsfeld von Bildungs-, Arbeits- und Sozi- Nationales Forum Beratung (nfb): Leitdokument des nfb alpolitik. Welche Schritte sind erforderlich, um sektorale (Mission Statement), Berlin 2005 – URL: www.forum-bera- tung.de (Stand: 27. 5. 2009) und föderale Abgrenzungen im Sinne einer verbesserten Nationales Forum Beratung (nfb): Qualitätsentwicklung und Kohärenz zu überwinden? Professionalität in der Beratung für Bildung, Beruf und Beschäftigung. Dokumentation des Expertenworkshops vom 19. und 20. November 2008 – URL: www.forum-beratung.de/ Schober_ Das nfb hat in seinem Eckpunktepapier zu not- cms/upload/Publikationen/Veranstaltungsdokumentationen/ Dokumentation_WS_Herbst_2008.pdf (Stand: 27. 7. 2009) wendigen Reformansätzen darauf verwiesen, dass die föde- Nationales Forum Beratung (nfb): Eckpunkte für ein zeitge- ralen Strukturen in Deutschland – um es vorsichtig zu for- mäßes und zukunftsfestes Beratungsangebot in Deutschland mulieren – nicht unbedingt zur Transparenz und Kohärenz – Plädoyer für notwendige Reformen der Struktur, des Zugangs und der Transparenz, Berlin 2009 – der Beratungsangebote beitragen. Nun werden wir das föde- URL: www.forum-beratung.de/cms/upload/aktuelles.pdf (Stand: 27. 5. 2009) rale System deswegen nicht aus den Angeln heben wollen OECD: Career Guidance and Public Policy – Bridging the Gap. und können. Es muss vielmehr darum gehen, die durch den Paris 2004 – URL: www.oecd.org/dataoecd/33/45/34050171.pdf Föderalismus mit beeinflusste Zersplitterung der Zustän- (Länderbericht Deutschland unter www.oecd.org/dataoecd/ 28/35/1939079.pdf) (Stand: 27. 5. 2009) digkeiten und Angebotsstrukturen in der Bildungsberatung OECD/EU: Berufsberatung. Ein Handbuch für politisch durch Anreize zur Verzahnung und Vernetzung zu über- Verantwortliche, OECD Publikationen 2004. (Englische Originalfassung: OECD/EU [2004]. Career Guidance. winden. Das nfb hat hierzu Vorschläge gemacht – bei- A Handbook for Policy Makers.) spielsweise mehr und bessere Ausstattung von Schulen mit Beratungspersonal, die Qualifizierung von Lehrpersonen für Beratungsaufgaben sowie eine bessere lokale und sek- torübergreifende Vernetzung der unterschiedlichen Bera- tungsanbieter. Es gibt zahlreiche Beispiele für gelungene Vernetzungen, so die seit langem bestehende Rahmenver- 6 BWP 4/ 2009
einbarung zwischen der Kultusministerkonferenz und der BWP_ In Deutschland erfolgt ein Großteil der Beratung im Bundesagentur für Arbeit zur Zusammenarbeit von Schule Rahmen der öffentlichen Arbeitsverwaltung oder träger- und Berufsberatung oder die in den „Lernenden Regionen“ gebunden. Wie sind diese Strukturen mit Blick auf den vereinbarte Zusammenarbeit lokaler Akteure in Weiterbil- Anspruch zu bewerten, eine unvoreingenommene Infor- dung und Beratung sowie die vom Bundesjugendministe- mation und Beratung zu leisten, die sich konsequent an rium geförderten „Kompetenzagenturen“ zur Förderung der den Bedarfen der Ratsuchenden orientiert? Integration benachteiligter Jugendlicher. Sie reichen jedoch bei weitem nicht aus, da viele dieser Ansätze nur punktu- Schober_ Beratung – das gehört zu den Grundprinzipien ell vorhanden und nicht von Dauer sind. und ethischen Standards, die von der Internationalen Ver- einigung für Bildungs- und Berufsberatung (AIOSP/IAEVG) herausgegeben wurden – darf nicht interessengeleitet sein, BWP_ Beratung soll dazu beitragen, Transparenz in einem sondern muss objektiv, neutral und unparteiisch sein. zunehmend differenzierten Bildungsangebot zu schaffen. Wenn sie das nicht ist, muss dies dem Kunden/Ratsuchen- Seit einigen Jahren boomt der Beratungsmarkt. Wie kann den gegenüber transparent gemacht werden (wie z. B. in verhindert werden, dass die Angebote von Beratungsdienst- § 289 SGB III festgelegt). Beratung muss deswegen ja nicht leistern selbst so unübersichtlich werden, dass es einer Bera- schlecht sein – im Gegenteil – jemand, der sein Produkt ver- tung für die Auswahl der passenden Beratung bedarf? kauft, ist in der Regel auf diesem Gebiet sehr kenntnisreich. Was wir aber brauchen ist eine Verpflichtung der Anbieter Schober_ Die Intransparenz der Beratungsangebote ist tat- und Beratenden auf die Prinzipien der Objektivität und sächlich ein zunehmendes Problem. Hilfreich wären hier Neutralität. Aus diesem Grund sind auch Mindeststandards gemeinsame Anlaufstellen – etwa in Verantwortung der für die Aus- und Fortbildung des Beratungspersonals so Kommunen – sowie Internetportale, auf denen das Ange- wichtig. botsspektrum und Qualitätsnormen übersichtlich und kun- In Bezug auf die Beratung durch die Bundesagentur für denfreundlich aufgelistet sind. Eine weitere Möglichkeit, Arbeit (BA) ist im Gesetz klar festgelegt, woran sich die Bera- den Markt für Bildungs- und Berufsberatung vor allem in tung zu orientieren hat: „Art und Umfang richten sich nach qualitativer Hinsicht transparent zu machen, ist eine Zer- dem Beratungsbedarf des Ratsuchenden … Dabei sind die tifizierung bzw. Akkreditierung der Beratungsanbieter und Neigung, Eignung und Leistungsfähigkeit sowie die Beschäf- des Beratungspersonals. Nach den Erfahrungen der Finanz- tigungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.“ (§§ 29–31 SGB krise fordern Politiker Regelungen für die Berufsausübung III). Die Beratung durch die Arbeitsagenturen ist insofern und die Qualifikation der Finanzberater. Sollte dies nicht „unvoreingenommen“ – sie hat aber einen klaren gesetz- mit noch höherer Priorität für jene gefordert werden, die lichen Auftrag, der auf die berufliche Integration zielt, d. h., sich um unser „Humankapital“ kümmern? die Realisierbarkeit auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist Bestandteil der Aufgabe. BWP_ Gerade in der beruflichen Weiterbildung werden viele Beschäftigte innerbetrieblich qualifiziert. Wie können per- sonen- und betriebsbezogene Beratungskonzepte besser BWP_ Wir wissen, dass es Zielgruppen gibt, die nur schwer miteinander verzahnt werden? Zugang zu Bildungsangeboten finden. Was ist zu tun, damit nicht ähnliche Barrieren die Inanspruchnahme von Bera- Schober_ Selbstverständlich ist die Frage der Qualifizierungs- tungsangeboten verhindern? beratung, insbesondere in KMU, eine ganz zentrale, wenn es um die Sicherung des künftigen Fachkräftebedarfs geht. Schober_ Einen nutzerfreundlichen, niedrigschwelligen Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang eine Zugang zu Beratungsangeboten für alle Bürger zu garan- Reihe von Projekten gefördert, die Beratungskonzepte für tieren, gehört zu den zentralen Zielen der europäischen Unternehmen entwickelt haben. Allerdings stellt sich m. E. Politik im Bereich lebensbegleitender Bildungs- und Berufs- die Frage, ob Qualifizierungsberatung für Betriebe eine öffent- beratung. In den internationalen und europäischen Studien liche Aufgabe ist, die aus Steuergeldern zu finanzieren ist. wurde u. a. festgestellt, dass öffentlich verantwortete, un- Fragen der betrieblichen Weiterbildung betreffen natürlich entgeltliche Beratung meist an den Übergangsschwellen auch die Beschäftigten und ihre Chancen, sich beruflich zwischen Bildung und Beschäftigung sowie bei Arbeits- weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu losigkeit angeboten wird, seltener jedoch für Berufstätige, sichern. Eine Verzahnung von betrieblicher Qualifizie- die sich weiterbilden oder beruflich neu orientieren wollen. rungsberatung sowie Berufslaufbahn- und Weiterbildungs- Ähnliches gilt für schwer erreichbare Zielgruppen, die den beratung für Beschäftigte sollte daher angestrebt werden. Kontakt zu den herkömmlichen Institutionen des Bil- Dabei muss auch sichergestellt sein, dass es sich um eine dungswesens und des Arbeitsmarkts verloren haben. objektive, neutrale und unparteiische Beratung handelt, die Es gibt in Deutschland eine Reihe von öffentlich geförder- nicht allein die betrieblichen Interessen im Blick hat. ten Einrichtungen, die sich der gezielten Ansprache solcher BWP 4/ 2009 7
INTERVIEW Personengruppen widmen: Kompetenzagenturen, Frauen- BWP_ Dies führt zur Frage der Professionalisierung von Bera- beratungsstellen, Integrationsfachdienste, Migranten-Bera- tungsfachkräften. Welche Initiativen sind vom Nationa- tungsstellen usw. Mit einer zielgruppenspezifischen Anspra- len Forum zu erwarten, diesen Prozess mitzugestalten? che und aufsuchenden Beratungsangeboten versuchen sie, die Menschen anzusprechen, sie zu aktivieren und ihnen Schober_ Qualität und Professionalität bedingen sich gegen- Zugang zu Förderangeboten, Ausbildung und Arbeit zu seitig. Das nfb hat bei dem Expertenworkshop den Vor- verschaffen; dazu bedarf es einerseits eines diversifizierten schlag gemacht, in einem offenen Koordinierungsprozess und niedrigschwelligen Angebots, andererseits einer guten mit möglichst vielen Beteiligten und Betroffenen sich auf Vernetzung untereinander und zu den Regelinstitutionen. Leitlinien für Qualität und Professionalität in der Bera- Wichtig ist, dass die Menschen an die für ihr Anliegen rich- tung in Bildung, Beruf und Beschäftigung zu verständigen. tige Beratungsstelle gelangen und nicht erst den Marsch Diese Diskussion wird kontrovers geführt, und wir werden durch die Institutionen antreten müssen, auf dem sie dann Rahmenregelungen finden müssen, die den unterschied- meist auch verlorengehen. Für all diese Angebote gilt lichen institutionellen Rahmenbedingungen der verschie- jedoch: Sie brauchen eine stabile, kontinuierliche Struktur denen Anbieter ebenso wie den im Feld tätigen Praktikern und Finanzierung, wenn sie nachhaltig wirksam sein sollen. gerecht werden. Das bedeutet auch, dass wir uns nicht aus- schließlich an formalen Zugangsregelungen und akademi- schen Abschlüssen orientieren können, sondern vorhan- BWP_ Als Ergebnis seiner Tagung im November 2008 fordert dene Kompetenzen und deren Anrechnung einbeziehen das Nationale Forum u. a. die Orientierung an gemeinsam müssen. geteilten, anbieterübergreifenden Standards und gleich- zeitig die beratungsspezifische Ausgestaltung von Quali- BWP_ Das Nationale Forum setzt sich dafür ein, in Deutsch- tätsmanagement. Wie muss man sich dieses Verhältnis von land ein zeitgemäßes Beratungssystem zu etablieren, das an übergreifenden Standards und spezifischen Qualitätskon- europäische und internationale Standards anknüpft. Was zepten vorstellen? sind auf dem Weg dorthin in den nächsten drei Jahren die wichtigsten Meilensteine? Schober_ Bildungsberatung hat in Deutschland – im Gegen- satz zur Berufsberatung – keine lange Tradition. Eine Bera- Schober_ Ein ganz zentraler Meilenstein wird der erfolgrei- tungswissenschaft etabliert sich erst allmählich. Lange Zeit che Abschluss dieses offenen Koordinierungsprozesses sein. war die BA Monopolist auf dem Gebiet der Berufsberatung Wir hoffen, in zwei bis drei Jahren zu einem Ergebnis ge- und hat auf der Grundlage ihrer gesetzlichen Vorgaben kommen zu sein, das im Einverständnis aller Beteiligten die Qualitätsstandards für ihre Beratungsaufgaben, die umgesetzt werden kann – etwa in übergreifenden Ausbil- immer zugleich auch die Vermittlung in Ausbildung oder dungsgängen oder in breit einsetzbaren Qualitätssiche- Arbeit einschlossen, selbst gesetzt. Mit dem Wegfall des rungsinstrumenten. Monopols hat sich eine starke Pluralisierung der Bera- Kurzfristig sollten in die aktuellen Bundes- und Länder-Pro- tungslandschaft entwickelt, die durch keinerlei Zugangs- gramme zur Verzahnung der Akteure auf der regionalen oder Qualitätsbestimmungen mehr geregelt ist. Auch in der und lokalen Ebene, wie z. B. „Lernen vor Ort“ oder Job- Studienberatung an Hochschulen gibt es keine einheitli- Starter, Bildungsprämie oder Bildungsscheck (NRW), Hes- chen Normen. Insofern wächst der Bedarf an einheitlichen senCampus etc., eine Intensivierung und Verzahnung der und verbindlichen Qualitätsstandards für die Aufgaben- Beratungsangebote als wesentliche Aufgabe integriert wer- wahrnehmung und die Ausbildung des Beratungspersonals. den. Dies könnte dazu beitragen, eine weitere Zersplitte- Nun sind die gesetzlichen und institutionellen Rahmen- rung unterschiedlicher Handlungslogiken zu vermeiden. bedingungen der verschiedenen Beratungsbereiche und Im Hinblick auf die strukturell notwendigen Reformen ist Beratungsanbieter zu unterschiedlich, um sie alle auf ein unser Ziel eine bessere Verzahnung von Bildungs-, Jugend- und dasselbe Qualitätsmodell zu verpflichten. Es wird daher und Arbeitsmarktpolitik im Sinne einer zwischen den Res- die Aufgabe sein, sich auf einen Bereich an „Kern-Quali- sorts, Bund, Ländern und Kommunen abgestimmten, kohä- tätskriterien“ und „Kernkompetenzen“ zu verständigen, die renten Politik. Dazu gehören auch Bemühungen, die Inve- für alle Beratungsfelder gelten, und darüber hinaus für die stitionen für und die Wirkungen von Beratung besser unterschiedlichen Beratungsfelder je spezifische Qualitäts- sichtbar zu machen – konkret der Appell an die Verantwort- kriterien und Kompetenzanforderungen zu erarbeiten. Das lichen, in den Nationalen Bildungsbericht Kennziffern zur Ganze wäre dann in einen Qualitätsentwicklungsrahmen Beratung aufzunehmen. Denn auch in der Politik zählt zu integrieren, der es den jeweiligen Beratungseinrichtun- letztlich nur das, was gemessen werden kann: „You get gen ermöglicht, ihre Qualitätssicherungsmaßnahmen what you measure!“ daran zu orientieren. (Fragen: Peter Bieg/Christiane Jäger) 8 BWP 4/ 2009
IM BLICKPUNKT B I L D U N G S - U N D B E R U F S B E R AT U N G Professionalität als Herausforderung: Ein Kompetenzprofil für das Beratungspersonal im Feld Bildung, Beruf und Beschäftigung Beratung stellt bis heute in Deutschland Beratungsverständnis und internationale Bezugspunkte eine kaum geschützte Tätigkeit dar. Weder gibt es eine gesetzliche Regulierung im Sinne Bevor ein Kompetenzprofil für Berater/-innen näher erläu- tert werden kann, ist zunächst zu klären, für welches Bera- eines Berufs, noch existieren in Deutschland – tungsfeld diese Kompetenzen hilfreich sein sollen und wel- anders als etwa in den USA oder in Kanada – ches Verständnis von Beratung dem zugrunde liegt. Unsere Überlegungen beziehen sich auf das Feld der Beratung in starke Berufsverbände, die den Zugang zu die- Bildung, Beruf und Beschäftigung, wie es in den EU-Ent- ser Tätigkeit steuern. Das Feld weist daher nur schließungen von 2004 und 2008 definiert worden ist. Das Beratungsverständnis der EU ist sehr individuumzen- einen geringen Professionalisierungsgrad auf. triert. Wir implizieren eine Erweiterung um betriebs- bzw. Folglich verwundert es nicht, wenn praktisch organisationsbezogene Anwendungsbereiche der Beratung in Bezug auf das definierte Feld, denn auch Betriebe sind kein Konsens über eine klare Definition der zunehmend darauf angewiesen, ihr Personal optimal wei- Anforderungen an die Kompetenzen des Bera- terzuqualifizieren. Von Beratung sprechen wir, wenn der Prozess selbstreflexiv angelegt ist und über Informations- tungspersonals besteht. In diesem Beitrag vermittlung hinausgeht. Das Wechselspiel von Reflexion und Information ist demnach ein charakteristisches Merk- wird unter Rückgriff auf ein systemisches Rah- mal von Beratung. menkonzept ein Kompetenzprofil vorgestellt, Die im Folgenden ausgeführte Systematisierung des Kom- petenzprofils basiert auf einem systemischen Kontextmo- in das alle relevanten Arbeiten aus dem natio- dell von Beratung, das an anderer Stelle bereits ausführ- nalen und internationalen Raum eingeflossen lich dargestellt wurde (vgl. S CHIERSMANN u. a. 2008, S. 16). Es wird hier lediglich in Bezug auf daraus abgeleitete Kom- sind. Darauf aufbauend werden Perspektiven petenzen erläutert. Bei der Erstellung dieses Kompetenz- für die Gestaltung der Aus- und Weiterbildung profils wurden insbesondere internationale Kompetenz- kataloge zur Beratung einbezogen (vgl. Tabelle, S. 10). Als des Beratungspersonals entwickelt. 1 deutscher Kompetenzkatalog wurde das „Berufsbild“ für Berufsberater/-innen des Deutschen Verbands für Bildungs- und Berufsberatung (dvb) berücksichtigt (vgl. www.dvb- fachverband.de). CHRISTIANE SCHIERSMANN Kennzeichnend für das nachfolgend vorgestellte Kompe- Prof. Dr. phil., Institut für Bildungswissen- tenzprofil ist ein Kompetenzbegriff, der sich an Outcomes schaft, Universität Heidelberg von Lernprozessen orientiert (zum zugrundeliegenden Kompetenzbegriff vgl. ausführlich SCHIERSMANN u. a. 2008, S. 91 ff.). PETER WEBER Dipl.-Päd., wiss. Mitarbeiter im Institut für Bildungswissenschaft, Universität Heidelberg 1 Die Ausführungen basieren im Wesentlichen auf einer Expertise, die für das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft im Rah- men der Arbeiten für den Innovationskreis Weiterbildung erstellt wurde (vgl. S CHIERSMANN u. a. 2008). BWP 4/ 2009 9
IM BLICKPUNKT Tabelle Internationale Kompetenzkataloge zur Beratung ist in der Forschung als die entscheidende Voraussetzung für einen erfolgreichen Beratungsprozess identifiziert wor- Kompetenzkatalog Fundstelle im Web den (vgl. u. a. G RAWE u. a 1994). Da die Bearbeitung von CEDEFOP – European Centre for Development www.cedefop.europa.eu/etv/Upload/Informa- Anliegen der Ratsuchenden mit Instabilität bzw. Destabi- of Vocational Training tion_resources/Bookshop/531/5193_en.pdf lisierung gewohnter Muster einhergeht, besteht eine zen- IAEVG – Internationale Organisation für www.iaevg.org/iaevg/nav.cfm?lang trale Kompetenz der Berater/-innen darin, stabile Rah- Schul- und Berufsberatung =3&menu=1&submenu=5 menbedingungen für den Veränderungsprozess zu schaffen NBCC – National Board for Certified www.nbcc.org/AssetManagerFiles/ Counselors handbooks/NCSCE.pdf und so für strukturelle und emotionale Sicherheit bei den KBSB – Schweizerische Konferenz der www.kbsb.ch/Erklaerung_BSLB.pdf Ratsuchenden zu sorgen (vgl. HAKEN/SCHIEPEK 2006). Hier- Leiterinnen und Leiter der Berufs- und und www.kbsb.ch/Profil_D_18.pdf zu zählen alle Maßnahmen zur Schaffung eines „sicheren Studienberatung Ortes“. Dabei geht es um eine angenehme Ausgestaltung Canadian Standards and Guidelines for www.career-dev-guidelines.org/career_dev/ Career Development Practitioners des Settings und das Bemühen der Berater/-innen, das CICA – Career Industry Council of Australia www.cica.org.au/system/files/f15/o158/ geplante Vorgehen zu erläutern und damit transparent zu ProfessionalStandardsforAustralianCareer machen. Sie müssen in diesem Kontext auch in der Lage DevelopmentPractitioners_Revised2007.pdf sein zu entscheiden, ob sie die geeigneten Ansprechpartner für das zu lösende Problem sind. Dimensionen eines Kompetenzprofils Im weiteren Verlauf des Beratungsprozesses spielt die für Beraterinnen und Berater Klärungsperspektive eine zentrale Rolle. Eine (potenzielle) Veränderung bei den Ratsuchenden setzt eine energeti- Der Beratungsprozess konstituiert sich unserem Modell sche Aktivierung des jeweiligen Systems voraus. Es geht in zufolge aus den Subsystemen des Beraters/der Beraterin und diesem Zusammenhang um die Kompetenz, motivations- des ratsuchenden Systems, sei es eine Person, eine Gruppe/ fördernde Bedingungen herzustellen, Ressourcen zu akti- ein Team oder eine Organisation sowie den organisatio- vieren sowie die emotionale und motivationale Bedeutung nalen und gesellschaftlichen Kontexten dieses Kommuni- von Zielen, Anliegen und Visionen der Ratsuchenden her- kationsprozesses. Dementsprechend gliedert sich das Kom- auszuarbeiten (vgl. HAKEN /S CHIEPEK 2006, S. 438). Ziel ist petenzprofil in folgende sechs Bereiche: 2 es, Faszination zu ermöglichen und eine Identifikation • Kompetenzen zur Gestaltung von Beratungsprozessen mit Zielen und Wegen der Veränderung zu erreichen, Lei- • Kompetenzen in Bezug auf die Ratsuchenden stungsangst und Druck zu vermeiden, (Zwischen-)Resultate • Selbstreflexive Kompetenzen der Beraterin/des Beraters wertzuschätzen, das Selbstwertgefühl zu stärken und eigen- • Organisationsbezogene Kompetenzen verantwortliches Handeln zu fördern. • Gesellschaftsbezogene Kompetenzen • Ebenenübergreifende Kompetenzen. Eine zentrale Fähigkeit der Berater/-innen besteht darin, den Ratsuchenden neue Erfahrungsmöglichkeiten zu eröff- Dieses Kompetenzprofil will nicht primär andere, bereits nen. Um dies zu erreichen, müssen bestehende Muster der vorliegende Kompetenzkataloge ersetzen, vielmehr weist es Kognition, des Erlebens und des Verhaltens destabilisiert viele Übereinstimmungen mit diesen auf. Der Vorteil liegt werden. Um bestehende Muster zu unterbrechen, müssen vorrangig in einer theoriebezogenen Systematisierung, die die Berater/-innen über die Kompetenz zum angemessenen den Nachvollzug der Kategorien sowie die Umsetzung eines Einsatz unterschiedlicher Techniken verfügen, z. B. Übun- solchen Kompetenzprofils erleichtern soll. gen und Rollenspiele, Verhaltensexperimente, Fokussierung auf die Ausnahmen von einem Problemmuster, Erarbeitung von veränderten Verständniszusammenhängen und Deu- KOMPETENZEN ZU R G ESTA LTU N G D ES BERATU N G S- tungen (Reframing), konfrontative und provokative Ver- PROZESSES A L S L ERN - U N D V ERÄ N D ERU N G SPROZESS fahren. Dabei ist es wichtig, begonnene Lernprozesse zu Beim Beratungsprozess handelt es sich um einen Kommu- verstärken, Anreize zu identifizieren, veränderte Symbole, nikationsprozess zwischen Ratsuchenden und Berater/-in. Sprachspiele und Interpretationen anzuregen (vgl. HAKEN / Dabei ist es zentral, dass der Berater/die Beraterin in der SCHIEPEK 2006, S. 439). Hier spielt ggf. auch die Kompetenz Lage ist, einen dem Beratungsanliegen adäquaten Bezie- der beratenden Person eine Rolle, Beurteilungsverfahren hungsaufbau zu leisten. Der Aufbau einer tragfähigen Bezie- wie Tests oder andere Formen des Assessments zur Kom- hung zwischen ratsuchendem und beratendem Subsystem petenzfeststellung adäquat anwenden zu können. Die Berater/-innen sollten in der Lage sein, Ratsuchende bei der Beschaffung von Informationen über Bildungs- und 2 Dieses Kompetenzprofil liegt auch dem an der Universität Heidel- berg angebotenen Aufbaustudiengang „Berufs- und organisationsbe- Beschäftigungsmöglichkeiten zu unterstützen und deren zogene Beratungswissenschaft“ zugrunde (www.beratungswissen- Kompetenz im Umgang mit Informationen erweitern. schaft.de). 10 BWP 4/ 2009
In der sich anschließenden Phase des Beratungsprozesses, Neben der Reflexion der organisationalen Beratungskon- die auf konkrete Veränderungen abzielt, sollten Berater/ texte geht es in diesem Zusammenhang auch um die Mit- -innen dazu beitragen, die gemeinsam herausgearbeiteten arbeit der Berater/-innen an der aktiven Gestaltung und Intentionen, Ziele und potenziellen Wege in Handlungs- Weiterentwicklung der Beratungsorganisation. Aus diesem schritte zu übersetzen. Werden im Zuge des Beratungspro- Grund müssen sie in der Lage sein, an der Entwicklung zesses positiv bewertete Kognitions-, Emotions- oder Ver- eines spezifischen, an den Bedürfnissen der Zielgruppe aus- haltensmuster erreicht, so gilt es, diese zu stabilisieren. gerichteten Selbstverständnisses ihrer Organisation und daraus abgeleiteten Strategien der Organisation mitzuwir- K O M P E T E N Z E N I N B E Z U G A U F D I E R AT S U C H E N D E N ken. Letzteres betrifft z. B. die Art und Weise des Umgangs Berater/-innen müssen über die Kompetenz verfügen, Kennt- miteinander, d. h. die Organisationskultur, ebenso wie die nisse über Bildungs- und Berufsbiografien und Lebensver- Prozesse der Bedarfserfassung und der Angebotsentwick- läufe angemessen in den Beratungsprozess einzubeziehen. lung sowie des Evaluierens von Beratungsangeboten, aber Hierzu sind auch Kenntnisse über persönlichkeitstheoreti- auch Supportprozesse wie Anmeldeverfahren, Weiterbil- sche Modelle und die Dynamik individuellen Verhaltens, dung des Personals, Personalmanagement, Abrechnung z. B. im Zusammenhang von Motivation, Selbstkonzept von Beratungsleistungen. und Selbstwirksamkeit, Interesse, Entscheidungsverhalten Neben der Beratung im engeren Sinn kann eine weitere oder Lern- und Kompetenzentwicklungsprozessen erfor- Aufgabe des Beratungspersonals sein, bei der Entwicklung derlich. von Programmen zur Bildungs- und Berufsentwicklung Zudem müssen sie ihr Beratungshandeln auf die Vielfalt der (z. B. in Form von Bildungsprogrammen an Schulen, Kur- Ratsuchenden, z. B. in Bezug auf Alter, ethnische Zugehö- sen in der Weiterbildung oder Gruppencoachings in Betrie- rigkeit, Geschlecht oder sozioökonomischen Status abstim- ben) mitzuwirken. men und zielgruppenspezifisches Wissen, z. B. über spezi- fische Unterstützungsmöglichkeiten, in die Beratung GESELLSCHAFTSBEZOGENE KOMPETENZEN einbringen. Dies erfordert soziale und interkulturelle Sen- In Bezug auf die gesellschaftliche Dimension sind in der sibilität. Beratung Förderbedingungen, die Arbeitsmarktsituation, Ebenso sollten sie in der Lage sein, das soziale Umfeld des Beschäftigungsformen etc. ebenso von Bedeutung wie Individuums entweder als für den Beratungsprozess rele- gesellschaftliche Megatrends, z. B. die zunehmende Dienst- vante Einflussvariable oder real in das Beratungshandeln leistungsorientierung, Globalisierung, die gestiegene Bedeu- einzubeziehen. tung der neuen Technologien oder der Wertewandel. Die Berater/-innen müssen daher in der Lage sein, in ihrem pro- SELBSTREFLEXIVE KOMPETENZEN fessionellen Handeln aktuelle gesellschaftliche Rahmen- Berater/-innen bringen in die Beratungssituation auch ihre bedingungen angemessen zu berücksichtigen und zu reflek- individuelle Bildungs-, Berufs- und Lebensgeschichte ein. tieren. Für professionelles Handeln in einer Beratungssituation ist in diesem Zusammenhang die selbstreflexive Kompetenz EBENENÜBERGREIFENDE KOMPETENZEN der Berater/-innen hervorzuheben. Sie müssen in der Lage Neben den soeben erläuterten Dimensionen des Kompe- sein, ihr professionelles Handeln kontinuierlich zu reflek- tenzprofils, die sich auf die verschiedenen Systemebenen tieren, blinde Flecke zu bearbeiten, die eigene Leistungs- des Beratungsmodells beziehen, sind einige Kompetenzen fähigkeit und die eigenen Grenzen wahrzunehmen. Dies von zentraler Bedeutung, die für alle Ebenen relevant sind. setzt regelmäßige Weiterbildung und Supervision ebenso So besteht in der Fachliteratur weitgehend Konsens, dass voraus wie professionellen Austausch, z. B. im Team, in kol- Berater/-innen sich in ihrem Handeln vorrangig an den legialen Gruppen oder in Berufsverbänden. Bedürfnissen und Ressourcen der Ratsuchenden / Kunden als kompetente Individuen orientieren. In diesen Kontext O R G A N I S AT I O N S B E Z O G E N E K O M P E T E N Z E N gehört auch die Kompetenz, ihr professionelles Handeln für Beratung ist immer in organisationale und gesellschaftliche alle Akteure transparent zu gestalten. Ebenso spielen ethi- Rahmenbedingungen eingebunden. Bei den organisatio- sche Aspekte eine zentrale Rolle. Berater/-innen müssen nalen Kontexten spielt in der personenbezogenen Beratung daher die Kompetenz und Bereitschaft mitbringen, diese im eine Rolle, ob es sich z. B. um ein marktförmiges Beratungs- Diskurs (im Team, in berufsständischen Organisationen angebot zur Karriereberatung oder um eine – oft verpflich- usw.) immer wieder neu zu konkretisieren. Schließlich ist tende – Beratung gemäß SGB II/III handelt. Bei der orga- als ebenenübergreifend die Kompetenz hervorzuheben, das nisationsbezogenen Beratung ist z. B. zu berücksichtigen, Beratungshandeln an einem Qualitätskonzept auszurichten ob es sich um einen Klein-, Mittel- oder Großbetrieb han- und an der Entwicklung und Durchführung von Quali- delt, ob um ein kommerzielles Unternehmen oder eine tätskonzepten mitzuwirken. Non-Profit-Organisation. BWP 4/ 2009 11
IM BLICKPUNKT Konsequenzen für die Qualifizierung der Berufstätigkeit ausmacht, in ihrem Umfang und ihrer von Beraterinnen und Beratern Tiefe jedoch beschränkt ist. Das hier nur grob skizzierte Kompetenzprofil, das für ein- Die zweite Ebene umfasst Angebote, die auf theoretische zelne Teilbereiche der Beratung in Bildung, Beruf und Vorkenntnisse (z. B. durch eine pädagogische, psychologi- Beschäftigung noch zu konkretisieren und auszudifferen- sche oder andere geeignete sozialwissenschaftliche Vorbil- zieren ist, kann u. a. dazu dienen, die angebotenen Aus- dung) sowie praktische Beratungserfahrung aufbauen. Auf und Weiterbildungen für Berater/-innen zu systematisieren dieser Grundlage können notwendige Kompetenzen ver- und besser aufeinander abzustimmen. Eine solche Abstim- mittelt werden, die es Beraterinnen und Beratern ermög- mung erscheint angesichts der vorhandenen Heterogenität lichen, professionelle Beratung in einem ausgewählten Teil dringend erforderlich (vgl. zur Analyse bestehender Aus- des Beratungsfelds durchzuführen. und Weiterbildungsangebote S CHIERSMANN u. a. 2008, S. 105 ff.). Dabei sollten auch die aktuellen internationalen Auf der dritten Ebene werden Bachelorstudiengänge einge- und insbesondere europäischen Entwicklungen berück- ordnet. Sie ermöglichen durch Kombination von Wissens- sichtigt werden (vgl. z. B. CEDEFOP 2009; OECD 2004; erwerb und Praxiserfahrung einen grundständigen Einstieg Watts 2002). In diesem Zusammenhang ist auch auf das in die Beratung oder können ggf. auch als aufbauende Wei- ELGPN (European Lifelong Guidance Policy Network) terbildung konzipiert werden. Auf dieser Ebene werden (www.elgpn.net) zu verweisen, das die Weiterentwicklung umfassende Kompetenzen erworben, die zur professionel- der Beratung in Europa begleitet. len Tätigkeit in unterschiedlichen Teilfeldern befähigen sollen. Um die vorhandene Vielfalt der Aus- und Weiterbildungs- möglichkeiten zu strukturieren, schlagen wir die Orientie- Auf der vierten Ebene werden Masterstudiengänge angesie- rung an einem gestuften Aus- und Weiterbildungskonzept delt. Diese bauen in der Regel auf einen vorhandenen Stu- vor, das vier Kompetenzebenen unterscheidet und sich an dienabschluss sowie Beratungserfahrungen auf und zielen der Logik des Europäischen Qualifikationsrahmens bzw. des – neben der wissenschaftlich basierten Beratungspraxis – Deutschen Qualifikationsrahmens (EQR/DQR) orientiert auch auf weitere Beschäftigungsperspektiven, z. B. (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaft 2005). • die Leitung von Beratungseinrichtungen, • konzeptionelle Arbeiten, Auf der ersten Ebene werden Bildungsangebote verortet, • Tätigkeiten in der Aus- und Weiterbildung von Berate- die ohne spezifische Voraussetzungen einen Einstieg in rinnen und Beratern sowie die Beratungspraxis ermöglichen. Der Kompetenzerwerb in • Beratungsforschung. der Beratung auf dieser Ebene ermöglicht nur eine einge- schränkte Tätigkeit im Beratungsfeld. Ein solches Qualifi- zierungsangebot ist beispielsweise für Personen sinnvoll, Perspektiven für die bildungs- und berufsbezogene Beratung einen Teil Bei der Ausgestaltung eines solchen Stufenmodells zur Aus- und Weiterbildung sollten die Prinzipien der Durchlässig- keit und der Anerkennung von – auch informell erworbe- Abbildung Strukturierung der Aus- und Weiterbildung nen – Kompetenzen konsequent verfolgt werden. Ebenso ist die durchgängige Modularisierung der Qualifizierungs- angebote anzustreben. Hierbei sind jedoch zwei Voraus- Studiengänge mit Masterabschluss setzungen zu schaffen, die bisher noch nicht ausreichend entwickelt sind: • zum einen die fachlich begründete Differenzierung der Studiengänge mit Bachelorabschluss Kompetenzen nach verschiedenen Handlungsfeldern (z. B. die Beratung im Hochschulbereich, in Betrieben, im Auf Beratungspraxis aufbauende Weiterbildung Rahmen des Übergangs Schule – Ausbildung) sowie nach Kompetenzentwicklungsstufen (parallel zum vorgestell- ten vierstufigen Modell), Weiterbildung auf Basisniveau • zum anderen die Entwicklung von Kompetenzanerken- nungsverfahren, die sowohl fachlichen Anforderungen als auch den geltenden Standards der Kompetenzmes- sung genügen. 12 BWP 4/ 2009
Wünschenswert wäre auch eine europäische Anschlussfä- Literatur higkeit bzw. Vergleichbarkeit der Aus- und Weiterbildungs- angebote. Ein von der Universität Heidelberg im Rahmen CEDEFOP: Professionalising career guidance. Practitioner competences and qualification routes in Europe. CEDEFOP Panorama Series 164. des Erasmus-Programms geplantes Projekt soll dies für die Luxembourg 2009 Ebene von Studiengängen erarbeiten. EU: Entschließung zu einer besseren Integration lebensumspannender Beratung in die Strategien für lebenslanges Lernen. Ratsbeschluss Die wissenschaftsbasierten Überlegungen können nur 15030/08 v. 31. 10. 2008 – URL: http://register.consilium.europa.eu/ einen Teilbaustein für die Realisierung eines Kompetenz- pdf/de/08/st15/st15030.de08.pdf (Stand: 12. 6. 2009) profils, nämlich dessen theoretische Fundierung, darstel- EU: Entschließung über den Ausbau der Politiken, Systeme und Prakti- ken auf dem Gebiet der lebensbegleitenden Beratung. Ratsbeschluss len. Voraussetzung für die Realisierung eines solchen Kon- 9286/04 v. 18. 5. 2004 – URL: http://ec.europa.eu/education/policies/ zeptes ist, dass dieses von den relevanten Akteuren in 2010/doc/resolution2004_de.pdf (Stand: 12. 6. 2009) Politik und Praxis nicht nur akzeptiert, sondern auch wei- G RAWE , K. u. a.: Psychotherapie im Wandel. Von der Konfession zur terentwickelt und gezielt und systematisch umgesetzt wird. Profession. Göttingen u. a. 1994 Hierzu liegen Empfehlungen vor (vgl. S CHIERSMANN u. a. H AKEN , H.; S CHIEPEK , G.: Synergetik in der Psychologie. Selbstorganisa- tion verstehen und gestalten. Göttingen u. a. 2006 2008, S. 117 ff.). K OMMISSION DER E UROPÄISCHEN G EMEINSCHAFT (2005): Auf dem Weg zu einem europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Im November 2008 und Mai 2009 haben auf der Basis die- Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen. Brüssel: Kommission ser Empfehlungen vom Bundesministerium für Bildung der Europäischen Gemeinschaft. National Steering Committee for Career Development Guidelines and Standards 2003 und Wissenschaft (BMBF) sowie vom Nationalen Forum Nationales Forum Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung: Beratung (nfb) durchgeführte Workshops stattgefunden Dokumentation Qualitätsentwicklung und Professionalität in der Bera- (vgl. nfb 2009). Es besteht die konkrete Absicht, die weite- tung für Bildung, Beruf und Beschäftigung. Berlin 2009 re Abstimmung über ein Kompetenzprofil sowie insgesamt OECD: Berufsberatung: Ein Handbuch für politisch Verantwortliche. über Qualitätsstrategien für die Beratung im Feld Bildung, Paris 2004 Beruf und Beschäftigung im Prozess dieser Form der offe- S CHIERSMANN , Ch. u. a.: Qualität und Professionalität in Bildungs- und nen Koordinierung voranzubringen. Berufsberatung. Bielefeld 2008 WATTS , A. (2002): OECD-Gutachten zur Berufsberatung – Deutsch- land. Länderbericht. In: Ibv Publikationen, Nr. 38, S. 2679–2697 Anzeige BWP 4/ 2009 13
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