POLITISCHE STUDIEN 474 - Hanns-Seidel-Stiftung
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
POLITISCHE STUDIEN 474 Orientierung durch Information und Dialog 68. Jahrgang | Juli-August 2017 | ISSN 0032-3462 /// IM FOKUS JEDE STIMME ZÄHLT! Mit Beiträgen von André Haller | Markus Kaiser | Ursula Männle /// UDO BARON Terroristische und extremistische Bedrohungen /// STEFAN LUFT Migration und Integration /// CHRISTIAN SCHMIDT Neue Politik für ländliche Regionen www.hss.de
„ Funktion und Bedeutung von Staaten können sich ebenso WANDELN wie ihr Einfluss und ihre Macht. EDITORIAL DAS GEORDNETE GANZE UND SEINE TEILE Ein System, so die Definition der Allgemeinen Systemtheorie (General Sys- tems Theory), sei ein geordnetes Ganzes, gebildet aus Elementen und den Beziehungen zwischen diesen Elementen. In dieser allgemeinen Definition findet sich auch die Weltpolitik mit ihren sie nach wie vor prägenden Staa- ten („Elemente“) als „System“ wieder. Aber wie steht es mit der „Ordnung“ dieses Systems, zumal doch, wie aktuelle Publikationen politikwissen- schaftlicher Provenienz suggerieren, die Welt in „Unordnung“ sei? Tatsächlich ist die internationale Politik der Gegenwart durch Rollenver- änderungen gewichtiger Elemente der Weltordnung gekennzeichnet. Das zeigt sich etwa daran, dass ein maßgeblicher Akteur, der seit langem als Vorreiter und Garant der liberalen internationalen Ordnung gilt, kurzum in Richtung Protektionismus umschwenkt. Ein anderer, dem wiederum seit langem unterstellt wurde, er verfolge primär eigene Interessen und verwei- gere sich verantwortlicher Ordnungsgestaltung, propagiert plötzlich Frei- handel und internationale Verständigung. Ein dritter schließlich, seit Jahr- zehnten mit einer Gruppe Gleichgesinnter politisch und ökonomisch ver- bunden, kündigt diese Verbindung und besinnt sich im Zeitalter globaler Interdependenz auf die Tradition seiner „glorreichen Isolation“. Derartig substanzielle Kurskorrekturen gestaltender Akteure – die Liste ließe sich verlängern – weisen tatsächlich auf signifikante Veränderungen innerhalb des Weltordnungssystems hin. Staaten haben eben, so könnte man in diesem Zusammenhang die viel- zitierte Formel Lord Palmerstons ergänzen, nicht nur „keine ewigen Freun- de“, sondern auch keine ewigen Rollen – ihre Funktion und Bedeutung kön- nen sich ebenso wandeln wie ihr Einfluss und ihre Macht. Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser ist Chefredakteur der Politischen Studien und Leiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung, München. 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 3
32 INHALT 12 IM FOKUS ANALYSEN AKTUELLES BUCH 06 DIE BUNDESTAGSWAHL 2017 32 TERRORISTISCHE UND EXTREMIS- 74 SCHULD DURCH FEHL- Einführung TISCHE BEDROHUNGEN ENTSCHEIDUNGEN THOMAS REINER Zentrale Herausforderungen für die Hätte der Aufstieg des IS verhindert Innere Sicherheit werden können? 09 URSULA MÄNNLE: GEHEN SIE ZUR UDO BARON MARKUS ELL BUNDESTAGSWAHL! Nachgefragt 42 MIGRATION UND INTEGRATION URSULA MÄNNLE Lange Wege, steinige Wege RUBRIKEN STEFAN LUFT 12 DER WAHLKAMPF IM NETZ 03 EDITORIAL 22 Twitter, Facebook, Social Bots, Fake News und die Folgen 53 N EUE POLITIK FÜR LÄNDLICHE REGIONEN 77 87 REZENSIONEN LESEEMPFEHLUNG ANDRÉ HALLER Raus, auf’s Land! 88 MEINUNG CHRISTIAN SCHMIDT 90 ANKÜNDIGUNGEN 22 F AKE NEWS UND SOCIAL BOTS IM 94 IMPRESSUM BUNDESTAGSWAHLKAMPF 62 W IEDER RÜSTUNGSKONKURRENZ Die Auswirkungen sind kaum messbar STATT „NEUSTART“ MARKUS KAISER Putin und die Atomwaffen HANNES ADOMEIT 53 4 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 5
IM FOKUS Quelle: lienchen020_2 / Fotolia.com /// Einführung denen die vielfältigsten Informations- quellen nur so sprudeln. DIE BUNDESTAGSWAHL 2017 Der Bürger hat heute ein GRÖSSERES politisches Interesse, Das betrifft auch die Auseinander- setzung mit aktuellen Trends bei Wahl- fühlt sich aber gleichzeitig immer kämpfen, denn diese gehen zwingend THOMAS REINER /// Am 24. September wählt Deutschland seinen 19. Bundestag. schlechter informiert. mit Wahlen einher. Die Kommunikati- Für die Poltischen Studien Grund genug, sich mit diesem ganz aktuellen Thema noch onsexperten bei unserer Veranstaltung Polis.Digital17 waren zwar übereinstim- vor der Wahl zu befassen. mend der Ansicht, dass der traditionelle Wahlkampf mit Plakaten, Infoständen, Veranstaltungen und dergleichen trotz Lesen Sie in einem Interview mit der Berichterstattung vermehrt Interesse an tigen Beteiligungsmöglichkeiten am po- fortschreitender Digitalisierung nach Vorsitzenden der Hanns-Seidel-Stif- der Politik haben. Dem stehen aber eine litischen Prozess über die sozialen Me- wie vor aktuell und essenziell für eine tung, Ursula Männle, u. a. die Antwort zusehends selektive Wahrnehmung und dien zwar zu einer Zunahme politischer Kampagne sei. Dennoch müsse dem auf die Frage, warum man sich über- die Suche nach Bestätigung sowie die Beteiligung führen. Allerdings droht die Wahlkampf auf den digitalen Kanälen haupt an Wahlen beteiligen sollte. Aus zunehmende Unübersichtlichkeit und Gefahr, dass politische Entscheidungen auch in Deutschland mehr Bedeutung ihrer Sicht ist nämlich nur derjenige be- Gegensätzlichkeit der Informations- nicht mehr als Ringen um das Beste ge- zugemessen und Beachtung geschenkt rechtigt, am politischen Diskurs mitzu- quellen gegenüber. Im Ergebnis liegt sehen werden, sondern als Umsetzung werden. Damit beschäftigt sich grundle- wirken, der auch eine Wahlentschei- also ein Paradoxon vor: Nämlich, dass der ausschließlich eigenen Vorstellun- gend der Artikel „Wahlkampf im Netz“ dung trifft (S. 9). das Politikinteresse zwar steigt, die gen. Das wiederum könnte zu einem Er- von André Haller (S. 12). In diesem Zu- Unsere im Frühjahr vorgestellte Stu- Menschen sich aber trotz scheinbar starren in der eigenen Filterblase führen. sammenhang ergeben sich durch das In- die „Parteien und Parteisystem auf dem durchgängigen Zugangs zu Informatio- Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeu- ternet einerseits Chancen wie z. B. eine Prüfstand“ hat festgestellt, dass die Bür- nen dennoch schlechter informiert füh- tung politischer Bildungsarbeit, der wir aktuelle, direkte Kommunikation. Das ger durch auftretende Krisen und deren len. Darüber hinaus könnten die vielfäl- uns auch in Zeiten widmen müssen, in kann auf der einen Seite ein Vorteil sein, 6 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 7
IM FOKUS auf der anderen Seite aber auch eine Ge- Die zuvor bereits genannte Studie fahr darstellen. Vor allem aufgrund der bezeichnet als wichtige Themen die In- Verbreitungsgeschwindigkeit von Nach- nere Sicherheit und die Herausforderun- richten und der großen Masse an er- gen, die mit der Aufnahme von Geflüch- reichbaren Menschen könnten bewusst teten einhergehen. Einigkeit besteht da- gestreute Unwahrheiten, sogenannte rüber, dass Sicherheit eine freie Gesell- „Fake News“, eine Wahlentscheidung schaft erst möglich macht. Die Gewähr- /// Nachgefragt durchaus beeinflussen. Mit „Social (Ro-) Bots“, also Programmen, die in sozialen leistung der Inneren Sicherheit als eine der Kernaufgaben des Staates steht vor URSULA MÄNNLE: GEHEN SIE Netzwerken menschliche Verhaltens- neuen und zunehmenden Herausforde- muster nachahmen und so echte Men- rungen. Wie diese Aufgabe erfüllt wird, ZUR BUNDESTAGSWAHL! schen als Absender von Nachrichten ist ein wichtiges und umstrittenes Feld vortäuschen, kann ebenfalls Stimmung der Politik. Mit diesem auch die Wahl- gemacht werden. Dabei nutzen „Social entscheidung beeinflussenden Thema /// Im Interview mit den Politischen Studien erklärt die Vorsitzende der Hanns- Bots“ künstliche Intelligenz und eine beschäftigt sich die Analyse „Terroristi- Seidel-Stiftung, warum die Teilnahme an jeder Wahl grundsätzlich ganz enorm profunde Datenanalyse. Darum geht es sche und extremistische Bedrohungen wichtig ist. Die Frage nach ihrer eigenen Wahlentscheidung hat sie aber leider u. a. im Beitrag von Markus Kaiser – zentrale Herausforderungen für die nicht beantwortet. (S. 22). Entsprechende Auswirkungen Innere Sicherheit“ des Politikwissen- werden als kaum messbar bezeichnet. schaftlers Udo Baron. (S. 32). Dieser warnt u. a. auch vor Gefahren von „In- formationskriegen“ durch Cyber-Atta- cken und Fake-News. Und der Experte Politische Studien (PS): Sehr PS: Und was sagen Sie denen, die Stefan Luft widmet sich dem ebenfalls geehrte Frau Professor Männle, am nicht ins Wahllokal gehen wollen? Wählen gehen ist eine moralische auch in Zukunft sehr wichtigen Thema 24. September ist Bundestagswahl. und demokratische „BÜRGERPFLICHT“. „Migration und Integration“ (S. 42). /// Gehen Sie überhaupt noch wählen? U. M.: Denen sage ich, dass sie einfach eine Briefwahl beantragen Ursula Männle (U. M.): Aber sollen und ihre Stimme nicht in der selbstverständlich! Wenn Sie unsere Wahlkabine abgeben, sondern Egal, ob analoger oder digitaler Gesellschaft mitgestalten wollen, gemütlich zuhause am Wohnzimmer- Wahlkampf: Fest steht, dass die Bun- müssen Sie auch wählen gehen. Nur oder Küchentisch. Die Briefwahl destagswahl am 24. September stattfin- wer sein Kreuz macht, ist aus meiner kostet nicht mal was. Und man muss det. Und fest steht auch, dass sich mög- Sicht auch berechtigt, am politi- auch nicht mehr begründen, warum lichst viele an der Wahl beteiligen und /// THOMAS REINER schen Diskurs mitzuwirken. Meckern man Briefwahl macht. von ihrem wichtigen, verfassungsmäßig ist Leiter der Kommunikation und Öf- kann jeder, aber das Mitmachen eingeräumten Wahlrecht Gebrauch ma- fentlichkeitsarbeit der Hanns-Seidel- zählt. Außerdem halte ich es für chen müssen. Denn eine Wahlenthal- Stiftung, München. eine Pflicht, sich mit Parteien und tung hilft im Zweifel den Falschen, weil Wahlen zu beschäftigen. Gleichgül- PS: Wie sieht denn bei Ihnen ein demokratische Parteien so geschwächt tigkeit bringt nicht nur unsere klassischer Wahlsonntag aus? werden und eine geringe Wahlbeteili- bewährte Demokratie in Gefahr, gung die Legitimität einer Wahl ganz sondern verträgt sich auch nicht grundsätzlich in Frage stellen kann, wo- mit dem Anspruch, ein mündiger rauf Ursula Männle in ihrem Interview Bürger sein zu wollen. völlig zu Recht hinweist. 8 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 9
PS: À propos Wahlentscheidung – U. M.: Zunächst muss allen klar sein, was raten Sie jungen Menschen, die dass auch die Nichtwähler eine Wahl heuer zum ersten Mal wählen beeinflussen. Eine Wahlenthaltung dürfen, weil sie vor dem 24. hilft im Zweifel den Falschen, weil die September 18 Jahre alt geworden demokratischen Parteien geschwächt sind? werden oder die Legitimität der Wahl in Frage gestellt wird. Außerdem kann man nicht oft genug darauf hinweisen, dass in zahlreichen anderen Ländern Menschen für freie Wahlen sogar ihr U. M.: Erstens: Nehmen Sie auf jeden eigenes Leben aufs Spiel setzen. Wir Fall an der Wahl teil, entweder im müssen also dankbar sein, freie Wahllokal oder per Briefwahl. Jede Wahlen zu haben und damit eine echte Stimme zählt! Zweitens: Informieren Aus-Wahl treffen zu können. Diese Sie sich vor der Wahl. Lesen Sie Aus-Wahl muss man auch treffen, man Zeitung, beschäftigen Sie sich mit darf sie nicht aufgeben. Denn ihren Direktkandidaten und den letztlich setzt man so leichtfertig Parteiprogrammen, gehen Sie zu unsere bewährte Demokratie aufs Veranstaltungen, googeln Sie, nutzen Spiel. Ich möchte daher noch einmal Ursula Männle beantwortet im Interview Fragen zur Bundestagswahl 2017. Sie die Kanäle der Sozialen Medien. an Sie appellieren, bei den Wahlen Aber glauben Sie nicht alles, was Sie mit zu stimmen! im Netz lesen! Prüfen Sie die Informa- tionen, bemühen Sie mehrere U. M.: Früher war ich im Wahllokal U. M.: Aber, aber … es handelt sich Quellen. Sie können daneben gerne gerne Wahlhelferin. Als ich für den schließlich um eine allgemeine, auch unsere vielfältigen Angebote der Bundestag kandidiert habe, konnte freie, gleiche, unmittelbare und vor politischen Bildung nutzen. Natürlich Die Fragen stellte Thomas Reiner, Leiter ich das nicht mehr machen, weil ich allem geheime Wahl! Das heißt, es macht das schon ein bisschen Arbeit, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, ja selber zur Wahl stand. Jetzt gehe darf auf die Wahlentscheidung kein aber ein Motorrad oder Auto kaufen Hanns-Seidel-Stiftung, München. /// ich immer am späten Mittag zum Druck ausgeübt werden, mehrere Sie ja auch nicht spontan und ohne Wählen ins Wahllokal, eine Schule Parteien bzw. Kandidatinnen und sich vorher eingehend damit beschäf- mit mehreren Nutzungsmöglichkei- Kandidaten müssen wählbar sein, tigt zu haben. Niemand hat jemals ten, und unterhalte mich dort mit jeder darf frei entscheiden, wen er behauptet, dass Demokratie mühelos den Wahlhelfern. Der Dialog ist für wählt, und jede Stimme zählt ist, und das ist sie auch nicht. Aber mich wichtig, um ein gewisses gleich. Die Wahl einer Kandidatin, der Aufwand, auch der, zum Wählen Stimmungsbild zu erhalten, wie eines Kandidaten erfolgt direkt und zu gehen, lohnt sich. viele Menschen denn schon beim jeder wählt vor allem auch unbeob- Wählen waren. Den Wahlausgang achtet und anonym. Bei meiner Vita beobachte ich immer gespannt über dürfen aber gerne Vermutungen /// P ROF. DR. URSULA MÄNNLE die Medien. angestellt werden, für wen ich mich ist Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stif- entscheide. PS: Warum? tung und Staatsministerin a. D., Mün- chen. PS: Und was werden Sie wählen? 10 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 11
IM FOKUS Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS /// Twitter, Facebook, Social Bots, Fake News und die Folgen DER WAHLKAMPF IM NETZ ANDRÉ HALLER /// Seit es politische Berichterstattung gibt, fragen sich Politiker, Wähler und Forscher, welche Wirkung Medienberichterstattung auf Wahlresultate hat. Fest steht: Es gibt neben Medieneinflüssen eine Vielzahl von Faktoren, die Wahl- entscheidungen beeinflussen können. Welche möglichen Medienwirkungen gibt es also in Wahlkämpfen und wie ist der Einfluss von Social Bots, Fake News und daten- gestützten Formen der Wahlkampagnenführung? Beim ersten TV-Duell einer US-Präsidentschaftskampagne gab der Kandidat Nixon kein gutes Bild ab und konnte bei den Zuschauern wenig punkten. Wie es begann der Mythos, dass es eben diese Debatte Es ist der 26. September 1960. John war, die Kennedy den entscheidenden Fitzgerald Kennedy, ein junger, politi- Vorteil in der Gunst der Wähler ver- Die zentrale Frage bleibt bis heute: dieser Medienökologie zwischen rele- scher Hoffnungsträger der Demokrati- schaffte. Tatsächlich gibt es jedoch trif- Welchen Einfluss hat die Medienbe- vanten und unwichtigen Kommunikati- schen Partei, steht dem republikani- tige Zweifel an dieser These. So ergaben richterstattung auf die Wähler und ihre onskanälen unterscheiden und ihren schen Bewerber Richard Nixon im ers- Wahlentscheidung? Kommunikationsplan nach diesen ten TV-Duell einer US-Präsidentschafts- Überlegungen ausrichten. kampagne gegenüber. Nixon galt im Mediennutzung in Eine Standardstudie zur Mediennut- Wahlkampf wegen seiner politischen Wahlkampfsituationen zung der deutschen Bevölkerung ist die Erfahrung als klarer Favorit. Das Duell Das erste TV-DUELL gab es 1960 Das Leitmedium Presse wurde ab Mitte Langzeitstudie Massenkommunikati- geht in die Geschichte der Kommunika- zwischen den Präsidentschafts- des 20. Jahrhunderts vom Fernsehen on, die 1964 das erste Mal durchgeführt tionsforschung ein: Nixon, geschwächt kandidaten Kennedy und Nixon. verdrängt. Ab den 1990er-Jahren kam wurde. In der 2015er-Studie wurde eine nach einem Krankenhausaufenthalt, mit dem Internet und seinen vielfältigen repräsentative Stichprobe von 4.300 wirkte während der Debatte fahrig und Diensten eine weitere Plattform hinzu, deutschsprachigen Personen ab 14 Jah- schwitzte deutlich im Gesicht. „JFK“ die Eigenschaften der traditionellen Me- ren in Haushalten mit Festnetzanschlüs- hingegen wirkte durch seinen dynami- dien wie Schrift, Bild und Ton integrier- sen gezogen. (Abbildung 1) Die Studien- schen Stil und seine gebräunte Gesichts- te und neue Funktionen, beispielsweise macher fragten nach, warum unter- farbe auf den ersten Blick vorteilhafter. Nachbefragungen, dass Kennedy zwar Hyperlinks und Verschlagwortung schiedliche Medientypen konkret ge- Kennedy errang schließlich die Präsi- in der Beurteilung der Wähler vorne lag, (z. B. mittels Hashtags) hervorbrachte. nutzt werden. Besonders relevant für die dentschaft und ist bis heute die Lichtge- aber nur bei den Fernsehzuschauern Wahlkämpfe in der heutigen Zeit finden politische Information sind hierbei die stalt des progressiven Amerikas. Und und nicht bei den Radiohörern, die Ni- demnach unter Vielkanalbedingungen Antwortmöglichkeiten „Damit ich mit- ebenfalls bis in die heutige Zeit hält sich xon besser bewerteten.1 statt. Politiker und Parteien müssen in reden kann“, „Weil ich Denkanstöße be- 12 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 13
IM FOKUS Abb. 1: Nutzungsmotive für die Medien im Direktvergleich Wahlplakate, die bis heute eine hohe änderungen benötigen eine vorherige Sichtbarkeit in der Bevölkerung haben. Wirkung auf den Ebenen Wissen und Fernsehen Hörfunk Tageszeitung Internet Wie Daten der „German Longitudinal Emotion, da ein gewisses Maß an Wis- Election Study“ zeigen, sind Wahlplaka- sensaneignung über einen Sachverhalt 2015 2010 2015 2010 2015 2010 2015 2010 te das Kommunikationsmittel mit der und individuelle emotionale Zustände größten Reichweite. Dies verwundert ihm gegenüber vorhanden sein müssen. Damit ich 68% 71% 39% 41% 43% 50% 45% 38% nicht, da Kampagnen auf Bundesebene Das Erreichen von Einstellungsverände- mitreden kann stets auf lokaler Ebene durch die Unter- rungen nimmt insbesondere in der stra- Weil ich Denk 64% 65% 41% 44% 40% 48% 51% 43% gliederungen der Bundesparteien ausge- tegischen Kommunikation eine zentrale anstöße bekomme führt werden und Plakate flächende- Rolle ein. Frühe Kommunikationsstudi- Weil ich mich ckend zum Einsatz kommen.4 Neben en in der Nachkriegszeit beschäftigten 63% 63% 39% 38% 46% 54% 50% 45% informieren möchte publizistischen Medien können also zu- sich daher auch mit der Erforschung des sätzliche Kommunikationsinstrumente Einflusses von Propaganda. Exempla- (Personen ab 14 J., die mindestens zwei Medien mehrmals im Monat nutzen | Kummulierte Antworten: „trifft ebenfalls Wirkung entfalten. risch sind hier die Yale-Studies anzu- am meisten/an zweiter Stelle zu auf…“, Angaben in % | 2015: n=4.120, 2010: n=4.367, jeweils gewichtet) führen. In diesen Laborstudien wurde Quelle: Ausschnitt aus der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation 2015, vgl. Breunig & Engel 2015. Mögliche Medienwirkungen und unter anderem nachgewiesen, dass Un- prominente Theorien tersuchungspersonen, die wenig bis gar Der Begriff „Medienwirkung“ umfasst nichts über ein Thema wussten, die erst- Einflüsse auf Rezipienten in vier ver- genannten Argumente einer Botschaft komme“ und „Weil ich mich informie- Wirtschaft in Deutschland und der schiedenen Ausprägungen:5 bedeutsamer einschätzten und darauf ren möchte“. Fasst man die Antwort- Welt“ informiert, wurde schließlich das Erstens kann eine Veränderung des folgende Argumentationen an diese ers- möglichkeiten zu diesen Aussagen nach Fernsehen mit 48 % an erster Stelle ge- Wissens von Mediennutzern eintreten. te Interpretation anpassten. Dieser Be- der Angabe „trifft am meisten zu“ und nannt, gefolgt von Tageszeitung (22 %), Diese kognitiven Auswirkungen von fund fand als sogenannter Primacy Ef- „trifft an zweiter Stelle zu“ zusammen, Internet (18 %) und Radio (12 %).2 Das Medienkonsum betreffen unter ande- fect Einzug in die Medienwirkungsfor- so ergeben sich folgende Zahlen: Beim Fernsehen wird nicht nur als politische rem den Erwerb politischen Wissens. schung.6 Motiv „Damit ich mitreden kann“ führt Informationsquelle bevorzugt, sondern Leser von Lokalzeitungen können zum Viertens können Verhaltensverände- das Fernsehen mit 68 % vor dem Inter- dominiert auch bei der täglichen Nut- Beispiel lernen, dass der örtliche Ge- rungen bei Mediennutzern auftreten. net (45 %), der Tageszeitung (43 %) und zungsdauer. Im Schnitt sehen die Deut- meinderat über den kommunalen Haus- Die von Politikern erhoffte Verhaltens- dem Radio (39 %). Auch bei der Suche schen 208 Minuten pro Tag fern, lesen halt beraten hat. Tagesschau-Seher hin- änderung betrifft hier eine Mobilisie- nach „Denkanstößen“ dominiert TV 23 Minuten Tageszeitungen und nutzen gegen erfahren überregionale Entwick- rung des Elektorats mit dem Ziel der (64 %) vor dem Internet (51 %), dem das Internet 107 Minuten.3 lungen wie den Ausgang von Wahlen in Stimmabgabe für die eigene Partei. Me- Hörfunk (41 %) und der Tagespresse Zusätzlich zu den reichweitenstar- anderen Ländern. dieneffekte auf das Verhalten müssen (40 %). Ähnlich gestalten sich die Ergeb- ken Massenmedien nutzen Parteien Zweitens können Medieninhalte jedoch nicht zwingend vorliegen. Je nisse bei der „Informationssuche“, für auch andere Kommunikationsinstru- Auswirkungen auf den emotionalen Zu- nach Themengebiet, externen Einfluss- die an erster und zweiter Stelle das Fern- mente, um Wähler zu erreichen. Eines stand von Mediennutzern haben. Diese faktoren wie Aufmerksamkeit des Medi- sehen (63 %) genannt wird. Das Internet der ältesten Kampagnenmittel sind Form von Wirkung ist dann vorhanden, ennutzers, Vorwissen und Einstellun- erreicht hier 50 %, Tageszeitungen 46 % wenn sich das Erregungsniveau eines gen aber auch der Beeinflussung durch und das Radio 39 %. Auffallend ist ein Rezipienten verändert. Die Veränderun- Mitmenschen in interpersonaler Kom- Abfallen bzw. eine Stagnation der Werte gen können kurz- sowie langfristig an- munikation können sich Wirkungen der „alten“ Medien Fernsehen, Radio halten und verschiedene emotionale Zu- entfalten bzw. ausbleiben. und Tageszeitung im Vergleich zur Stu- TV steht weiterhin an erster Stelle stände wie Aggression, Furcht, Freude In der Medienwirkungsforschung ist die 2010 und ein Anstieg in allen Kate- der politischen Informationsquellen. oder positive Entspannung hervorrufen. eine Entwicklung erkennbar, in der die gorien beim Internet. Drittens sind Veränderung in der Wirkmacht der Medien unterschiedlich Bei der Frage, welches Medium am Meinung und Einstellung zu bestimm- stark beurteilt wurde. Zu Beginn des besten über „Aktuelles aus Politik und ten Sachverhalten möglich. Meinungs- Forschungszweiges ging man von star- 14 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 15
IM FOKUS ken Medienwirkungen aus. Am bekann- Theorie im Rahmen von Studien über Abb. 2: Medienwirkungen im sozialpsychologischen Modell testen ist hier das Stimulus-Response- frühere US-Präsidentschaftswahlen be- Modell (S-R-Modell). Die Theorie geht legt.8 davon aus, dass Medienreize bei allen Auch heutige Kampagnen machen Direkter Kontakt, Gespräche Paid Media Medienberichterstattung Menschen in gleicher Weise Effekte er- sich den Effekt zu eigen. Der Einsatz zielen. Als „Beleg“ für diese These wur- von Prominenten oder Experten, die Wahlempfehlungen aussprechen, soll Wähler bei der Entscheidungsfindung Einstellungen beeinflussen. Einen Paradigmenwechsel gegenüber Parteien und vollzog die Kommunikationsforschung Politikern Medien KÖNNEN Auswirkungen mit dem Agenda-Setting-Ansatz. Der auf Wissen, Emotion, Meinung und Grundgedanke ist, dass Medien nicht Parteiidentifikation Verhalten ihrer Nutzer haben. zwangsläufig eine Wirkung darauf ha- ∙ soziologische ben, wie Menschen über Themen nach- Merkmale Wahlentscheidung ∙ soziale Merkmale denken, sondern vielmehr darauf, wel- ∙ familiäre che Themen Menschen wahrnehmen.9 Hintergründe Der starke Einfluss des Journalismus auf die Themensetzung einer Gesell- Einstellungen de wiederholt die Massenhysterie ange- schaft gilt heute als gut belegbar. Zu- gegenüber führt, die nach der Ausstrahlung des gleich versuchen Politiker, meist mit PR- Themen Hörspiels „War of the Worlds“ im Jahr Instrumenten, die publizistische Tages- 1938 ausbrach. Das Stück thematisierte ordnung zu beeinflussen. im Stil einer Liveübertragung eine Inva- sion von Marsmenschen. Es ist überlie- Medienwirkungen im Wahlkampf Direkter Kontakt, Gespräche Paid Media Medienberichterstattung fert, dass viele Hörer dachten, sie wohn- Wissenschaftliche Versuche, individu- ten einer echten Übertragung bei und elle Wahlentscheidungen zu erklären, Quelle: Medienwirkungen im sozialpsychologischen Modell, basierend auf Brettschneider 2005 & 2013. dadurch in Panik verfielen.7 Bis heute ist klammerten Medieneinflüsse lange Zeit strittig, ob der Effekt so große Ausmaße aus. Im Mittelpunkt standen bei diesen annahm, dass von einer direkten Medi- meist politikwissenschaftlich dominier- enwirkung gesprochen werden kann. ten Ansätzen Faktoren wie die Partei Übertragen auf Wahlkämpfe könnte neigung von Wählern sowie ihre Urteile ren.11 Die Wahlkampfkommunikation chen Instanzen wie Glaubensgemein- das S-R-Modell als Erklärung dafür be- über Kandidaten und politische The- durch Parteien und im Journalismus so- schaften oder Gewerkschaften erklärt nutzt werden, dass Kommunikationsin- menfelder.10 Einer der prominentesten wie die interpersonale Kommunikation, werden. Es bleibt die Frage, welche wei- halte Wähler eindeutig zu einer Wahl- Ansätze zur Erklärung des Wahlverhal- also Gespräche von Menschen unterei teren Faktoren die Einstellung von Men- entscheidung führen. Diese monokau- tens ist das Ann-Arbor-Modell. In ihm nander, werden im Ann-Arbor-Modell schen zu politischen Themen und ge- sale Erklärung ist jedoch widerlegt. Mit werden soziologische Merkmale (z. B. und verwandten Ansätzen vernachläs- genüber Kandidaten und Parteien be- dem Two-Step-Flow-Modell relativier- ethnische Herkunft), soziale Attribute sigt. Neuere Ansätze versuchen dieses einflussen. ten Forscher starke Medienwirkungen (z. B. Einkommen) sowie familiäre Ein- Defizit auszugleichen. Individuelle Urteile über Politiker und führten eine zusätzliche Einfluss- bindung als Grundlagen der Parteinei- Die Wahlforschung stellt seit einigen und Themen ergeben sich zum einen aus größe ein, nämlich die interpersonale gung von Wählern angeführt. Diese Jahren eine Erosion von Stammwählern der Nähe zu Parteien bzw. politischen Kommunikation zwischen Menschen. Faktoren sehen die Autoren als eher und eine Fragmentierung der Wähler- Ideologien. Sozialpsychologische Mo- Diese Theorie nimmt einen zweistufigen langfristig und schwer abänderbar an. schaft fest.12 Das kann unter anderem delle (vgl. Abbildung 2) führen heute Informationsfluss an: Medieninhalte ge- Die Beurteilung von Kandidaten sowie durch die Ausdifferenzierung von Le- Umweltbeobachtungen durch die Wäh- langen über Meinungsführer zu weite- von aktuellen politischen Themen sind bensentwürfen und der Abnahme tradi- ler an, die die Entwicklung von Stand- ren Rezipienten. Tatsächlich wurde die hingegen kurzfristige Einflussfakto- tioneller Bindungen zu gesellschaftli- punkten gegenüber Themen und Politi- 16 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 17
IM FOKUS kern ermöglichen.13 Dies kann auf drei Neue Medien, neue von Fake News ist in der Forschung Daten, die durch die Kampagenteams Wegen erfolgen: Medienwirkungen? noch nicht eindeutig geklärt. Eine neue- eigenständig gesammelt werden. Diese Erstens durch direkte Beobachtung Die Ausdifferenzierung der Kommuni- re Studie hebt hervor, dass Social Me- Daten beinhalten unter anderem Infor- des politischen Geschehens durch Ge- kationsumwelt stellt politische Kommu- dia-Angebote zwar eine wichtige, je- mationen über den Wohnort, soziode- spräche mit Politikern und anderen nikatoren vor neue Herausforderungen. doch nicht die dominante Informations- mographische Merkmale, vorherige Wählern. In modernen Massengesell- Wie erreicht man beispielsweise Wäh- quelle im US-Wahlkampf darstellte. Die Vorwahlregistrierungen und vorange- schaften ist eine unmittelbare Beobach- lergruppen, die sehr wenig mit klassi- Autoren schlussfolgern, dass durch die gangene Kontakte mit dem Wähler. Die tung politischer Vorgänge jedoch nicht schen Printmedien in Kontakt kommen? geringere Bedeutung von Social Media Datenbanken der Parteien werden dazu mehr in dem Maße möglich wie zu Zei- Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, eine geringere Reichweite für Fake News genutzt, Wählerhaushalte gezielt mit Te- ten der griechischen Agora. Wähler welche Wirkungen aktuelle Kommuni- anzunehmen sei. Dem steht jedoch ge- lefonanrufen, E-Mails und Haustürbe- sind daher auf vermittelte Informatio- kationsmittel auf Rezipienten haben genüber, dass gefälschte Nachrichten suchen anzusprechen.17 In der Praxis nen angewiesen, die vor allem durch können. Wahlkämpfe waren stets durch auch Eingang in die etablieren Nach- können beispielsweise einzelne Haus- Journalismus und Kampagnenkommu- die Etablierung neuer Medienformate richtenmedien fanden und damit ein halte in spezifischen Regionen eines nikation verteilt werden. geprägt. Diese folgenden Entwicklungen größeres Publikum erreichten. Auch Wahlbezirks identifiziert werden, die Zweitens wird das Elektorat durch könnten im Bundestagswahlkampf 2017 wenn Falschmeldungen, wie die Be- mit hoher Wahrscheinlichkeit einen be- Paid Media, also bezahlte Werbung von Wirkung entfalten: hauptung Hillary Clinton sei in einen stimmten Kandidaten präferieren. Spätestens seit dem Jahr 2016 wird Kinderpornoring involviert, in traditio- Zuletzt wurde in der Öffentlichkeit der Einsatz sogenannter Social Bots in nellen Medien widerlegt wurden, ka- eine neue Form der datengestützten Wahlkämpfen öffentlich thematisiert. men Rezipienten mit der Anschuldigung Kampagnenführung kontrovers disku- Das sind Programme, die in Internet- in Kontakt.15 Einfluss hatten Fake News tiert. Es handelte sich um den Einsatz Mit Wahlkampfkommunikation diensten, teilweise sehr autonom, Infor- auf Nutzer, die sich in eher abgeschirm- von psychometrischen Verfahren durch wird GEZIELTE Einflussnahme auf den mationen verbreiten, aber auch Daten ten Sphären (sogenannte Echo Cham- die Firma Cambridge Analytica. In ei- Wähler versucht. sammeln können. Waren erste Botgene- bers) bewegten. Sie kamen eher mit nem viel beachteten Vortrag des CEOs rationen noch deutlich als nicht-mensch- Fake News in Kontakt und glaubten die- Alexander Nix wurde die Methodik vor- liche Kommunikatoren zu erkennen, so se auch eher. Zudem sahen und glaub- gestellt. Im Mittelpunkt der Psychome ist die technische Entwicklung mittler- ten sie mehr Fake News, die den eigenen trie steht die Sammlung von Persönlich- weile weiter. Social Bots sind zum Teil Kandidaten unterstützten.16 keitsmerkmalen von Social Media-Nut- sehr schwer als Programme auszuma- Eine weitere Einflussgröße auf das zern. Dies erfolgte im vorliegenden Fall politischen Kommunikatoren, infor- chen. Sie können einerseits Themena- Wahlverhalten ist der Einsatz von Daten durch eine Stichprobe von Facebook- miert. Wie bereits gezeigt wurde, spielen genden in Social Media-Plattformen ma- in Wahlkampagnen. Speziell die Nut- Usern, die freiwillig einen Persönlich- traditionelle Instrumente der politischen nipulieren und besitzen andererseits zung datengestützter Kampagnenfüh- keitstest durchführten. Anhand der ge- Werbung wie Wahlplakate oder Anzei- auch die Funktion, auf bestehende User- rung ist in den USA weiter ausgearbeitet sammelten Daten ermittelte das Unter- gen immer noch eine herausragende Rol- kommentare zu reagieren.14 Bots können als in Europa. Data Driven Campaig- nehmen verschiedene Persönlichkeitsty- le in der Wahlkampfkommunikation. eine Themenagenda in sozialen Medien ning (DDC) nutzt angekaufte Datenbe- pen, die jeweils mit zielgenauen Bot- Drittens nutzen Wähler politische vortäuschen, die der wirklichen The- stände von spezialisierten Firmen sowie schaften angesprochen wurden. Die Berichterstattung in den Massenmedi- menrelevanz nicht entspricht. These ist, dass beispielsweise offene en zur Information über politische Ge- Social Bots können zudem Einfluss Menschen besser mit vielfältigen Argu- schehnisse. Kommunikationsberater auf die Verbreitung sogenannter Fake menten und einer freundlichen Sprache von Politikern versuchen mit Hilfe von News nehmen. Im Laufe der US-Präsi- erreicht werden können, wohingegen in- PR-Maßnahmen die Berichterstattung dentschaftskampagne 2016 entwickelte Social Bots, Fake News und trovertierte und konservative Persön- zu beeinflussen. Die bekanntesten sich die Bezeichnung zu einem Kampf- Daten BEEINFLUSSEN zunehmend die lichkeitstypen besser auf aggressivere Maßnahmen sind hierbei Pressemittei- begriff, der Falschmeldungen über die Wahlkämpfe. Inhalte reagieren.18 lungen, die Inszenierung von Ereignis- Kandidaten bezeichnete, die oftmals Es ist aus verschiedenen Gründen sen (z. B. Unternehmensbesuche durch von Alternativmedien der politischen wenig wahrscheinlich, dass US-Varian- Minister) oder Pressekonferenzen. Ränder erstellt wurden. Der Einfluss ten des DDC in deutschen Wahlkämp- 18 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 19
IM FOKUS fen mittelfristig eine Rolle spielen wer- genommen werden. Die politische Sozi- Anmerkungen 18 ttps://www.youtube.com/watch?v=n8Dd5aVXL h 1 M aurer, Marcus / Reinemann, Carsten: TV-Duel- Cc, Stand: 1.4.2017. den. EU-Staaten besitzen sehr restrikti- alisation, familiäre Hintergründe sowie 19 I nterpersonale Kommunikation kann wiederum le als Instrumente der Wahlkampfkommunikati- ve Datenschutzgesetze, die politische soziodemographische Merkmale sind on: Mythen und Fakten, in: Wahlkämpfe in vom öffentlichen Meinungsdruck abhängig sein. Vgl. hierzu Noelle-Neumann, Elisabeth: Die Kultur in Deutschland verhindert groß- langfristige Determinanten, die Wahl- Deutschland. Fallstudien zur Wahlkampfkom- Schweigespirale. Unsere soziale Haut, Zürich / munikation 1912-2005, hrsg. von Nikolaus Jakob, flächige Haustürwahlkämpfe und das absichten wahrscheinlicher machen. Wiesbaden, 2007, S. 317-331. München, 1980. 2 Breunig, Christian & Engel, Bernhard: Ergebnisse deutsche Verhältniswahlrecht kennt zu- Menschen bilden sich durch Umweltbe- der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommuni- dem keine extrem knappen Wahlaus- obachtung zu aktuellen Themen sowie kation. Massenkommunikation 2015: Funktionen gänge in einzelnen Stimmbezirken wie politischen Akteuren eine Meinung. und Images der Medien im Vergleich, in: Media Perspektiven 7-8/2015, S. 323-341. in Mehrheitswahlsystemen. Dennoch Zentral ist hierbei die Rolle der Medien, 3 E ngel, Bernhard & Brenning, Christian: Massen- können Zielgruppenwahlkämpfe in so- die über politische Probleme und Ereig- kommunikation 2015: Mediennutzung im Inter- mediavergleich, in: Media Perspektiven 7-8/2015, zialen Medien auch in Deutschland nisse berichten, jedoch ihrerseits dem S. 310-322. 4 S chulz, Winfried: Medien und Wahlen, Wiesba- Einfluss politischer PR ausgesetzt sind. den 2015. Zudem ist interpersonale Kommunika- 5 S chweiger, Wolfgang: Grundlagen: Was sind Me- tion ein zusätzlicher Einflussfaktor, der dienwirkungen? – Überblick und Systematik, in: Handbuch Medienwirkungsforschung, hrsg. von die Wahlabsicht bestärken bzw. ab- Wolfgang Schweiger und Andreas Fahr, Wiesba- Datengestützte Kampagnenführung schwächen kann.19 Neue Phänomene in den 2013, S. 15-37. 6 Ein Überblick über zentrale Befunde der Yale-Stu- ist derzeit noch ein AMERIKANISCHES der Onlinekommunikation wie Fake dies findet sich bei Burkart, Roland: Kommunika- Phänomen. News und Social Bots als Multiplikato- tionswissenschaft. Grundlagen und Problemfel- der. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwis- ren werden zukünftig einen größeren senschaft, Stuttgart 2002, S. 198-204. 7 Strohmeier, Gerd: Politik und Massenmedien. Einfluss haben. Elaborierte Formen des Eine Einführung, Baden-Baden, 2004. Data Driven Campaignings wie psycho- 8 L azarsfeld, Paul F. / Berelson, Bernard R. / Gau- metrische Verfahren in der Wähleran- det, Hazel: The People’s Choice. How the Voter makes up his Mind in a Presidential Campaign, sprache können neue Wirkungen entfal- New York 1948. 9 McCombs, Maxwell E. / Shaw, Donald L.: The durchgeführt werden. So ist es möglich, ten. Die Medienwirkungsforschung Agenda-Setting Function of Mass Media, in: Pub- bei Facebook Werbung einzukaufen, die wird demnach fortlaufend vor neue the- lic Opinion Quarterly 36/2, 1972, S. 176-187. 10 S chulz: Medien und Wahlen. vom Unternehmen bei Nutzern mit spe- oretische und vor allem methodische 11 C ampbell, Angus / Converse, Philip E. / Miller, zifischen Merkmalen, zum Beispiel Al- Aufgaben gestellt. /// Warren E. / Stokes, Donald: The American Voter, ter und Wohnort, gestreut wird. Die Chicago 1980. 12 Brettschneider, Frank: Wahlkampf: Funktionen, Medienwirkungsforschung steht hier Instrumente und Wirkungen, in: Der Bürger im vor neuen Herausforderungen: Wie Staat 63/2013, S. 190-198. 13 Ders.: Massenmedien und Wählerverhalten, in: misst man die Wirkung von personali- Handbuch Wahlforschung, hrsg. von Jürgen W. sierten Werbebotschaften, die nur einen Falter und Harald Schoen, Wiesbaden 2005, S. 473-500. Bruchteil einer Stichprobe erreichen? 14 Hegelich, Simon: Invasion der Meinungsroboter, Wie erhält man Zugang zu neuen Appli- in: Analysen und Argumente 221/2016, hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin, S. 1-9, kationen wie Snapchat und wie baut http://www.kas.de/wf/doc/kas_46486-544-1-30. man ein schlüssiges Studiendesign auf? pdf?161222122757, Stand: 1.4.2017. 15 K ang, Cecilia: Fake News Onslaught Targets Piz- /// D R. ANDRÉ HALLER zeria as Nest of Child-Trafficking, in: The New Fazit ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und York Times, 21.11.2016, https://www.nytimes. com/2016/11/21/technology/fact-check-this-piz Medienwirkungen sind nicht mit natur- Fachstudienberater für den Master Kom- zeria-is-not-a-child-trafficking-site.html?_r=0, wissenschaftlicher Exaktheit messbar. munikationswissenschaft am Institut für Stand: 3.4.2017. 16 A lcott, Hunt / Gentzkow, Matthew: Social Media Als widerlegt gelten jedoch Ansätze, die Kommunikationswissenschaft, Universi- and Fake News in the 2016 Election, in: NBER Wor- eine monokausale Medienwirkung pos- tät Bamberg. king Paper Series Nr. 23089/2017, o. S., http://www. nber.org/papers/w23089, DOI: 10.3386/w23089, tulieren. Belegt sind Wirkungen auf die Stand: 2.4.2017. 17 K leis Nielsen, Rasmus: Ground Wars. Persona- Themenagenda von Wählern, also dar- lized Communication in Political Campaigns, Ox- auf, welche Themen als relevant wahr- ford 2012. 20 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 21
IM FOKUS /// Die Auswirkungen sind kaum messbar FAKE NEWS UND SOCIAL BOTS IM BUNDESTAGSWAHLKAMPF MARKUS KAISER /// Über Fake News und Social Bots ist bei den US-Präsidentschafts- wahlen heftig diskutiert worden. Auch wenn alle im Bundestag vertretenen Parteien Quelle: picture alliance / dpa / Chris Pohlert den Einsatz von Social Bots im Bundestagswahlkampf 2017 ausgeschlossen haben, wird man im Superwahljahr bei den sozialen Netzwerken genau hinsehen müssen. Auswirkungen auf das Ergebnis der Bundestagswahl werden Fake News und Social Bots aber wohl kaum haben. Gezielte Falschmeldungen Bei den angeblichen Hitler-Tagebü- Im „Stern“ Nr. 18 erschien 1983 eine der chern handelte es sich damit um einen Die Sensation: Reporter Gerd Heidemann zeigt auf einer Pressekonferenz die vermeintlichen größten Falschmeldungen der Nach- eklatanten Recherchefehler der „Stern“- Hitler-Tagebücher. kriegszeit. „Hitlers Tagebücher ent- Redaktion, die noch vor der Veröffentli- deckt“ hieß der Titel des Magazins aus dem Verlag Gruner + Jahr. Nur wenige dierte allerdings nicht, bewusst mit ei- funden, um politische oder wirtschaftli- Tage später wurde dann öffentlich, dass ner Falschmeldung seine Auflage zu che Vorteile für sich daraus zu ziehen. es sich bei den angeblichen Hitler-Tage- steigern. Der miserabel recherchierte Bei Fake News kann auch ein tatsäch- büchern, die der „Stern“ für einen Milli- Die Story über die gefälschten Aufmacher führte vielmehr zu einem lich gefallenes Zitat in einen völlig ande- onenbetrag gekauft hatte, um Fälschun- Hitler-Tagebücher war eine der größten Presseskandale und auch zu ren Kontext gesetzt worden sein. Diese, gen handelte. Das Bundesarchiv und – sehr große – ZEITUNGSENTE. einem großen Image-, Auflagen- und in der Regel emotionale Zuspitzung ei- das Bundeskriminalamt waren überein- Anzeigenproblem für den „Stern“. ner Unwahrheit bildet den Kern von stimmend zu dem Ergebnis gekommen, Fake News sind keine Zeitungsente. Fake News, denn diese sollen den User dass die Handschriften historische Feh- Eine Zeitungsente resultiert aus einem zum Klick auf „Weiterlesen“ animieren. ler aufwiesen und die Einträge auf Recherchefehler der Redaktion, wenn Damit sich diese Fake News schneller Nachkriegspapier geschrieben waren. zum Beispiel der Vorname eines Politi- und stärker verbreiten, werden häufig Die Hefte waren mit Polyesterfäden ge- chung geäußerte Bedenken an der Echt- kers falsch geschrieben wird. Fake News Social Bots in sozialen Netzwerken wie bunden, die erst seit den 1950er-Jahren heit der Dokumente wegwischte, ihre sind gezielte Falschmeldungen. Nicht Facebook und Twitter eingesetzt. Diese produziert wurden, und die Tinte auf vermeintlichen Rechercheergebnisse vor- irgendwelche Randaspekte sind bei Software-Roboter mit gefälschten Nut- den meisten Seiten war nicht älter als schnell veröffentlichte und den großen Fake News falsch, sondern der Kern der zerprofilen sollen für einen viralen Ef- zwei Jahre. Scoop landen wollte. Der „Stern“ inten- Nachricht ist bewusst gefälscht oder er- fekt sorgen, damit sich die Falschmel- 22 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 23
IM FOKUS dung ähnlich einer Grippeepidemie ra- zierten Fakten die Meinung des Autors aufbauend auf der Deutungsebene im send schnell im Internet und damit in durchschimmern lassen kann. Absolute Wahlprogramm dem Wahlvolk Lö- der Bevölkerung ausbreitet. Objektivität ist im Journalismus daher Es gibt falsche Fakten, aber keine sungsvorschläge anzubieten. Das wird nicht möglich, wenngleich sie in diesen falsche MEINUNG. unter Parteienwettbewerb verstanden. Die Mär der Meinungsfreiheit journalistischen Genres, die informie- Es ist völlig verständlich, dass hier ne- Wer Fake News verbreitet, macht sich rende bzw. referierende Darstellungsfor- ben traditionellen Kanälen wie dem ge- strafbar. Alleine deshalb scheiden wohl men genannt werden, möglichst ange- druckten Wahlprogramm, dem Wahl- Parteien und Bundestagskandidaten für strebt werden sollte. plakat, der Bürgerversammlung, der das bewusste Verbreiten von Unwahr- Von Journalisten, die sich am Pres- Pressemitteilung und dem Fernsehauf- heiten über Kontrahenten im Wahl- sekodex des Deutschen Presserats orien- troffene Personen deshalb nur bei Fak- tritt in einer Talkshow auch moderne kampf aus. Das Grundgesetz schützt in tieren, geht hier auch gar keine Gefahr ten, nie bei einer missliebigen Meinung Kommunikationsformen wie die eigene Artikel 5 zwar die Meinungsfreiheit, aus. In Ziffer 1 ist geregelt, wie im Wahl- vom Medium verlangen. Wenn einem Website oder das Social Web genutzt nicht aber das Verbreiten von Falsch- kampf berichtet werden sollte: „Zur Politiker ein von ihm nie ausgesproche- werden. Hier könnten nur die, von den meldungen: „Jeder hat das Recht, seine wahrhaftigen Unterrichtung der Öffent- nes Zitat in den Mund gelegt wird oder etablierten Parteien bisher kategorisch Meinung in Wort, Schrift und Bild frei lichkeit gehört, dass die Presse in der wenn ihm nachgesagt wird, er leide an ausgeschlossenen Social Bots für eine zu äußern und sich aus allgemein zu- Wahlkampfberichterstattung auch über einer Erkrankung, kann er dagegen vor- neue Dimension der Wahrnehmung von gänglichen Quellen ungehindert zu un- Auffassungen berichtet, die sie selbst gehen. Wenn sein wahres Zitat mit ei- Botschaften und damit auch eine Ver- terrichten. Die Pressefreiheit und die nicht teilt.“1 Für Social Media-Accounts nem negativen Kommentar versehen zerrung sorgen. Freiheit der Berichterstattung durch von Parteien, Politikern oder Privatper- wird oder jemand meint, der Politiker Rundfunk und Film werden gewährleis- sonen, die sich in den Wahlkampf ein- wirke nicht fit, fällt dies unter die vom Fehlender Gatekeeper im Internet tet. Eine Zensur findet nicht statt.“ mischen, gilt dies freilich nicht. Grundgesetz geschützte Meinungsfrei- Das Problem an Fake News in sozialen Bei der Deutungsebene geht es dar- heit. Netzwerken ist, dass diese nicht mehr um, die vorher recherchierten Fakten zu Die Aufgabe von Pressesprechern ist durch den Filter einer Zeitungs-, Hör- interpretieren, mögliche Zusammen- es auch, niemals zu lügen. Sie versuchen funk- oder Fernsehredaktion müssen. hänge aufzuzeigen und bei journalisti- vielmehr, die Deutungshoheit über Er- Redaktionen wirken in den traditionel- Die Verbreitung von Fake News schen Darstellungsformen wie dem eignisse und Fakten zu erlangen. Dies len Massenmedien als Gatekeeper, als ist STRAFBAR. Kommentar oder dem Leitartikel, der gilt im Sport genauso wie in der Wirt- Torwächter bzw. Schleusenwärter, die Glosse oder der Rezension eigene Mei- schaft und in der Politik. Handelt es sich entscheiden, welche Nachricht publi- nung einzubringen. Genau dies wird bei dem Wahlausgang im Saarland um ziert und welche verworfen wird. Rund durch die Meinungsfreiheit im Grund- ein Ende des sogenannten „Schulz-Ef- 90 % des Input-Materials werden dabei gesetz geschützt, die allerdings ihre fekts“ oder gelten im Heimatland von nicht verwendet.2 Für die Auswahl ent- Grenzen bei einer Schmähkritik, Belei- Oskar Lafontaine besondere Bedingun- scheidend sind zum einen die so ge- Im Journalismus wird zwischen digungen oder den Persönlichkeitsrech- gen für die Sozialdemokraten? Hat die nannten Nachrichtenfaktoren, also, ob zwei Ebenen unterschieden, der Sach- ten findet. Eine falsche Meinung gibt es Agenda 2010 dafür gesorgt, dass das Ereignis für den Leser oder Zu- verhalts- und der Deutungsebene. Bei nicht, falsche Fakten schon. Deshalb Deutschland wirtschaftlich so gut da- schauer womöglich überhaupt interes- der Sachverhaltsebene geht es darum, erhob sich unter den Journalisten auch steht, oder liegt dies an anderen Fakto- sant ist. Redaktionen prüfen zum ande- Fakten zu recherchieren. Hier gibt es ein Sturm der Entrüstung, als Kellyanne ren? War der frühere Länderfinanzaus- ren aber auch, ob die Fakten korrekt keinen Interpretationsspielraum, son- Conway, Beraterin des US-Präsidenten gleich gerechter? Hier gibt es kein Rich- sind. dern nur wahr oder unwahr, richtig oder Donald Trump, im Januar 2017 wäh- tig oder Falsch. Entscheidend ist die Die Mehrzahl der deutschen Ver- falsch. Journalistische Darstellungsfor- rend eines Interviews in der amerikani- Argumentation, die überzeugen soll. lagshäuser bekennt sich mit einer Selbst- men wie vor allem die Nachricht oder schen Polit-Talksendung „Meet the Auch im Wahlkampf geht es für po- verpflichtungserklärung dazu, den Pres- der Bericht, aber auch die Reportage Press“ auf NBC den Begriff „alternative litische Parteien darum, sich an die Fak- sekodex bei der Berichterstattung in ih- und das Feature, versuchen, möglichst Fakten“ benutzte. ten wie z. B. die Arbeitslosen- oder Kri- ren Tageszeitungen, Zeitschriften und auf dieser Ebene zu bleiben, auch wenn Eine Gegendarstellung in Tageszei- minalstatistik, die Staatsverschuldung den dazugehörigen Online-Angeboten natürlich schon die Auswahl der publi- tungen oder Zeitschriften können be- oder die Weltlage zu halten und darauf einzuhalten. Ziffer 2 des Pressekodex 24 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 25
IM FOKUS regelt klar: „Zur Veröffentlichung be- beschrieben, der den Nachrichtenfluss mindest bestimmte Bevölkerungsgrup- nischen Universität München bestätigt stimmte Informationen in Wort, Bild im Internet beobachtet und einordnet. pen nicht mehr erreicht werden, weil sie die zahlreichen manipulierten Trends und Grafik sind mit der nach den Um- Dadurch bewertet und falsifiziert die Nachrichten nur in einer Filterblase im Internet, meint aber auch, dass der ständen gebotenen Sorgfalt auf ihren Redaktion zwar Nachrichten, allerdings konsumieren oder wahrnehmen. An- Effekt einer Beeinflussung der politi- Wahrheitsgehalt zu prüfen und wahr- erst zeitversetzt, wenn die Fake News ders als in den USA scheint dieser Effekt schen Willensbildung dadurch kaum heitsgetreu wiederzugeben. Ihr Sinn durch virale Effekte schon weit verbrei- in Deutschland aber noch überschaubar nachweisbar und die Folgen für die Poli- darf durch Bearbeitung, Überschrift tet ist. Und in Redaktionen wird heftig zu sein, wenngleich die traditionellen tik schwer einschätzbar seien. Dennoch oder Bildbeschriftung weder entstellt diskutiert, ob es überhaupt Aufgabe ei- Studien zur Mediennutzung der Deut- müsse man sich mit dem Phänomen noch verfälscht werden. Unbestätigte nes Mediums ist, Falschmeldungen schen hier nur Anhaltspunkte geben auseinandersetzen.8 Meldungen, Gerüchte und Vermutun- richtigzustellen, die in ihrem Blatt gar können. Die Bedeutung von Social Bots wer- gen sind als solche erkennbar zu ma- nicht vermeldet worden sind. Einen deutlich stärkeren Effekt de massiv überzogen dargestellt, fand chen.“3 Über eine bewusste Falschmeldung könnten Fake News im Bundestags- Linus Neumann vom Chaos Computer In der Praxis ist es die Aufgabe des auf der Facebook-Seite „Widerstand wahlkampf entfachen, indem durch ge- Club im Januar 2017 bei einem öffentli- Journalisten, Informationen zu prüfen. deutscher Patrioten“, die die Bundes- zielte Falschmeldungen Tabus gebro- chen Fachgespräch des Ausschusses für Deshalb gilt für sie das Zwei- oder sogar tagsabgeordnete Renate Künast von chen und Meinungen verstärkt werden. Bildung, Forschung und Technikfolgen- Mehr-Quellen-Prinzip. Wenn jemand Bündnis 90/Die Grünen betraf, ist in Dies würde extreme Positionen und Par- abschätzung des Deutschen Bundes- eine Behauptung aufstellt, sucht der den Medien zahlreich berichtet worden. teien am Rande stärken. Schweigespira- tags. Die Politik wolle damit nur von ei- Journalist eine weitere unabhängige Nach dem Sexualverbrechen an einer le nannte die Kommunikationswissen- nem allgemeinen Vertrauensverlust der Quelle, bevor er es publiziert. Auch um Studentin mit Todesfolge im Oktober schafts-Professorin Elisabeth Noelle- Bürger ablenken. Bots könnten vorhan- Falsifizieren geht es bei der Recherche.4 2016 in Freiburg wurde Künast folgen- Neumann, Gründerin des Instituts für dene Tendenzen wie Fremdenfeindlich- „Überprüfungsrecherche“5 nennt dies des Zitat über den Ende 2015 als Flücht- Demoskopie in Allensbach, ihr Modell. keit lediglich verstärken, so Neumann. der Journalistik-Professor Volker Lilien- ling nach Deutschland gekommenen „Schweigespirale heißt: Menschen wol- Der Effekt von Software-Robotern, hin- thal von der Universität Hamburg. Zum Täter in den Mund gelegt: „Der trauma- len sich nicht isolieren, beobachten pau- ter denen ja auch wieder Menschen journalistischen Standard gehört es zu- tisierte Junge Flüchtling hat zwar getö- senlos ihre Umwelt, können aufs Feinste stünden, auf die politische Meinungsbil- dem, immer den Betroffenen bzw. die tet man muss ihm aber jetzt trotzdem registrieren, was zu-, was abnimmt. Wer dung sei zudem nicht nur empirisch Gegenseite anzurufen und anzuhören, helfen.“ Das Pikante daran: Die Fake sieht, dass seine Meinung zunimmt, ist schwer nachweisbar, er bewege sich sie also zu Wort kommen zu lassen. Da- News suggeriert, dass Künast dies in der gestärkt, redet öffentlich, lässt die Vor- auch auf einem zahlenmäßig zu ver- mit kann dieser Recherchefehler aufklä- „Süddeutschen Zeitung“ gesagt haben sicht fallen. Wer sieht, dass seine Mei- nachlässigenden Niveau.9 ren bzw. deren Sicht der Dinge darle- soll, was nachweislich nicht gestimmt nung an Boden verliert, verfällt in gen.6 hat. Schweigen.“7 Hier kommen neben den Fake News Filterblasen und Schweigespirale die Social Bots wieder ins Spiel. Indem Über die Fake News rund um Renate gefälschte und von Robotern durch Der EFFEKT von Social Bots auf die Künast und deren Anzeige, die sie gegen Software gesteuerte Social Media-Profi- politische Willensbildung scheint In den sozialen Medien gibt es die Betreiber der Facebook-Seite und ge- le bestimmte Inhalte kommentieren und derzeit eher gering. keinen GATEKEEPER mehr. gen Unbekannt gestellt hat, wurde in teilen, wird suggeriert, dass eine be- den seriösen Medien so stark berichtet, stimmte Meinung häufiger vorherrscht dass die Falschmeldung richtiggestellt und gegebenenfalls werden dadurch ex- und aus der Welt geräumt werden konn- treme Positionen salonfähig gemacht. te. Einfluss auf das Wahlergebnis erhal- Dadurch könnte sich nach der Theorie ten Fake News erst dann, wenn sie sich der Schweigespirale ein Trend verstär- Nach Ansicht der beiden Wissen- Im Internet-Zeitalter haben traditio- extrem kurzfristig vor den Wahlen viral ken. Wissenschaftlich fundierte Ergeb- schaftler Matthew Gentzkow und Hunt nelle Medienunternehmen ihre Rolle als verbreiten und nicht mehr berichtigt nisse gibt es hierzu aber noch keine. Allcott der Universitäten Stanford und Gatekeeper verloren. Eine ihrer Aufgabe werden können oder wenn mit der Be- Prof. Dr. Simon Hegelich von der Hoch- New York sollen selbst bei der US-Wahl wird heute als die eines Gatewatchers richterstattung über die Fake News zu- schule für Politik München an der Tech- 2016 Social Media und Fake News nur 26 POLITISCHE STUDIEN // 474/2017 474/2017 // POLITISCHE STUDIEN 27
Sie können auch lesen