Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...

Die Seite wird erstellt Sibylle-Eva Wilhelm
 
WEITER LESEN
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Erziehungswissenschaft
Förderpädagogik und Inklusive Bildung

                                         Jahrbuch 2019
Kunstpädagogik
Musikwissenschaft und Musikpädagogik
Politikwissenschaft
                                                        Fachbereich 03
Schulpädagogik und Elementarbildung
Soziologie                              Sozial- und Kulturwissenschaften
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Dekanin										4

Internationalisierung										6
Andreas Langenohl

Beiträge aus Forschung und Lehre im Fachbereich

Bildungserträge der Hochschulen im internationalen Spiegel				        10
Edith Braun, Kristina Walz

Globalisierung der politischen Bildung?								14
Anka Bruns-Junker

Extended Education - Made in Gießen								18
Andrea Müller, Ludwig Stecher

Trilaterale Partnerschaft Gießen - Tokyo - Seoul						20
Johannes Diesing, Verena Schäfer-Nerlich

Stabilisierung von Arbeitskräften in der Textilindustrie:					        22
Begleitforschung zu Personalfluktuation und -rekrutierung im
Hawassa Industrial Park (HIP), Äthiopien
Michaela Fink, Reimer Gronemeyer

Educational Borrowing: 100 Jahre Volkshochschulen als 					           24
Fallbeispiel eines komplexen internationalen Institutionentransfers
Bernd Käpplinger, Lydia Nistal

2
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Institute des Fachbereichs 03

Institut für Erziehungswissenschaft									28

Institut für Förderpädagogik und Inklusive Bildung						   30

Institut für Kunstpädagogik										32

Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik						34

Institut für Politikwissenschaft									36

Institut für Schulpädagogik und Elementarbildung						38

Institut für Soziologie											40

Aus dem Fachbereich										42

                                                                3
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Vorwort

Liebe Kollegin, lieber Kollege, sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

das Dekanat möchte Ihnen in nunmehr siebenter Ausgabe das Jahrbuch des Fachbereichs Sozial- und Kulturwissenschaften
der Justus-Liebig-Universität Gießen vorstellen. Wir möchten Ihnen damit Teile der vielfältigen Aktivitäten, Arbeiten und
Leistungen des Fachbereichs in einer kurzweiligen und anschaulichen Form zu präsentieren. Das Jahrbuch widmet sich dabei
in jeder Ausgabe einem inhaltlichen Schwerpunktthema– einem Thema also, das jeweils für das institutsübergreifende Poten-
zial unseres Fachbereichs steht. Diese Ausgabe des Jahrbuchs ist dem Schwerpunkt „Internationalisierung“ gewidmet.

Das Jahrbuch ist wie gewohnt in drei Bereiche aufgeteilt. In einem ersten Überblicksartikel führt Andreas Langenohl in die
Thematik ein und umreißt deren Bedeutung für den Fachbereich. Auf dieser Grundlage folgen dann Anwendungsbeispiele
und aktuelle Verknüpfungen aus der Forschung in verschiedenen sozialen Feldern. Daran anschließend stellen sich die Insti-
tute des Fachbereichs in Kurzporträts mit Blick auf ihre aktuellen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte vor. Den Abschluss
bilden ausgewählte Highlights des Fachbereichs.

Für die inhaltliche und redaktionelle Betreuung möchten wir uns insbesondere bei Angelika Unger bedanken, die ebenfalls
für Entwurf und Umsetzung des Layouts verantwortlich ist. Danken möchten wir nicht zuletzt allen Kolleginnen und Kollegen,
die Beiträge zum vorliegenden Jahrbuch beigesteuert haben. Wir wünschen Ihnen im Namen des gesamten Dekanats sowohl
beim Betrachten wie auch beim Lesen viel Vergnügen!

Ingrid Miethe (Dekanin)
Andrea Gawrich (Prodekanin)
Elmar Schlüter (Studiendekan)

                                                                                                                             5
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

Internationalisierung
Andreas Langenohl

Gesellschaften der Gegenwart sind            Zugleich ist zu sehen, dass Internationa-   große Vorteile, die über den ‚richtigen‘
in vielerlei Hinsicht wesentlich stärker     lisierung eine Ressource ist, die überaus   Pass und relative ökonomische Satu-
international institutionalisiert und        ungleich verteilt ist. Die Europasozio-     riertheit verfügen.
orientiert, als es in der Vergangen-         logie hat verschiedene Formen eines         Die Wissenschaft selbst ist innerhalb
heit der Fall war. Ungeachtet jüngster       „sozialen Transnationalismus“ (Steffen      dieser internationalen Konstellation,
Friktionen in der Europäischen Union         Mau) beschrieben, der von innereuro-        die die Gesellschaften im globalen
ist diese doch nach wie vor als das am       päischer Arbeitsmigration über Ehe-         Norden und Westen besserstellt als
stärksten vom nationalen Ordnungs-           schließungen und gemeinsamen Besitz         diejenigen im globalen Süden, noch-
rahmen Abstand gewinnende politische         bis hin zu Freundschaften oder auch nur     mals privilegiert. Die Mobilität von
Gebilde der Moderne anzusehen. Und           der Kenntnisnahme der Presseberichts-       WissenschaftlerInnen und Studierenden
gegen stark angewachsene politische          erstattung in anderen europäischen          gehört zu denjenigen internationalen
Tendenzen, den nationalen Rahmen             Ländern reicht. Natürlich ist hier auch     Tätigkeiten, die von der öffentlichen
wieder aufzuwerten – sei es in Form          der Tourismus zu nennen: „Malle für         Hand mit den höchsten Summen ge-
wirtschaftspolitischer, sozialer oder        alle“, so bewirbt derzeit eine britische    fördert werden. Es gibt mittlerweile eine
kultureller Abschottungsversuche, die        Billigfluggesellschaft ihre Urlaubsflüge    kaum noch überschaubare Förderland-
derzeit weltweit zu beobachten sind          von deutschen Flughäfen auf die Balea-      schaft zur Finanzierung internationaler
– formieren sich wirtschaftliche, gesell-    reninsel. Aber die meisten dieser For-      Studien- und Forschungsaufenthalte,
schaftliche und politische Widerstän-        men eines sozialen Transnationalismus       Konferenzbesuche, Sprachkurse, Kon-
de. Auch die Wissenschaft stellt sich        wären undenkbar, oder zumindest stark       taktanbahnungsreisen sowie bei der
größtenteils hinter dieses Eintreten für     erschwert, ohne die Institutionalisierung   Einrichtung internationaler Forschungs-
eine, mit Karl Popper gesprochen, of-        eines weitgehend ohne Grenzkontrollen       zentren und Qualifizierungsprogramme.
fene Gesellschaft, die sich eine Selbst-     und Mobilitätsbarrieren auskommenden        Aus dieser Privilegierung erwächst der
beschränkung auf vorgeblich ‚eigene‘         europäischen Binnenraums, dem eine          Wissenschaft, und der Universität als
Deutungstraditionen, Ressourcen und          zunehmende Verhärtung und Polizie-          ihrer Kerninstitution, eine besondere
Orientierungsrahmen nicht leisten kann.      rung der europäischen Außengrenzen          Verantwortung. Worin besteht diese
Selbst unter Bedingungen ihrer Heraus-       gegenübersteht. Dieser Transnationalis-     Verantwortung? Und wie könnte eine
forderung bleibt Internationalisierung       mus ist somit etwas vollkommen ande-        wissenschaftliche und universitäre Inter-
daher ein Projekt, das sich auf starke       res als derjenige der teils verzweifelten   nationalisierungsstrategie aussehen, die
politische, wirtschaftliche, gesellschaft-   Versuche von Geflüchteten, in Europa        sie annimmt?
liche und natürlich wissenschaftliche        Zuflucht zu finden. Und auch jenseits       Ein weites Feld – und zugleich eines,
Unterstützung gründen kann.                  der Grenzen Europas haben diejenigen        dass sich am Fachbereich 03 Sozial- und

6
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Kulturwissenschaften mit besonderer        in Rechnung gestellt werden – denn           Eine besondere Herausforderung bildet
Dringlichkeit stellt. Denn die hier ver-   Wissenschaft ist, wie Bildung auch, ein      die studentische Mobilität, selbst inner-
sammelten Fächer eint ein analytischer     international überaus unterschiedlich        halb eines zumindest formal harmo-
Zugang zur Welt, der diese Welt als im-    institutionalisiertes Praxisfeld.            nisierten institutionellen Rahmens wie
mer schon interpretierte und gedeutete     Es ist daher nicht hilfreich, akademische    demjenigen der EU („Bologna“). Die
Welt ansieht. Es werden Deutungen der      Internationalisierung (oder ihr Scheitern)   Formel lautet hierbei häufig: Stan-
Welt erforscht, weil diese Deutungen es    vorschnell mit interkulturellem Lernen       dardisierung der internationalen An-
sind, die Handeln orientieren, Interes-    und Horizonterweiterung (oder umge-          erkennung von Studienleistungen +
sen informieren und Weltsichten erzeu-     kehrt kulturellen Differenzen und Lern-      Erfahrung kultureller Andersartigkeit
gen. Daraus folgt, dass den Interpreta-    blockaden) in Verbindung zu bringen,         = internationaler Bildungs- und Qua-
tionen und Deutungen anderer – eben        ohne die Bedeutung der Unterschiede          lifizierungserfolg. Sie greift zu kurz.
auch: anderer WissenschaftlerInnen,        in den akademischen Institutionen in         Wie die zahlreichen Studierenden und
Studierender und zunehmend auch ad-        Betracht zu ziehen. Ein simples Beispiel:    KoordinatorInnen im internationalen
ministrativ Tätiger – ein hohes Gewicht    Die Mittel, über die eine Universität        Austausch unseres Fachbereich wissen,
zukommt, das in kunst- und musikwis-       verfügen kann, stammen in den USA            äußerst sich die Gemengelage, auf die
senschaftlichen und -pädagogischen,        oftmals aus privaten Stiftungen und          Austauschstudierende treffen, in einer
politikwissenschaftlichen, erziehungs-     privat gezahlten Studiengebühren; in         Vielzahl von oft widersprüchlich anmu-
wissenschaftlichen und soziologischen      Deutschland in der Regel aus Studieren-      tenden Begegnungen mit Kommiliton-
Analysen Berücksichtigung finden muss.     denzahlen, die durch die Bundesländer        Innen, Lehrenden, administrativ Tätigen,
In einem solchen Kontext stellt sich       bei der Mittelvergabe auf Zuflüsse proji-    Behörden, Gastfamilien und anderen,
Internationalisierung daher in erster      ziert werden, sowie aus eingeworbenen        in denen häufig alles andere als klar ist,
Linie als eine Herausforderung dar, aus    Drittmitteln; und in Südafrika und Polen     ‚was hier vorgeht‘ (Erving Goffman). Die
der sich spezifische Übersetzungsnot-      aus der Zahl von Artikeln, die Wissen-       so gestellten Aufgaben zu bewältigen
wendigkeiten ergeben, die nicht nur        schaftlerInnen in bestimmten Fachzeit-       erfordert teilweise titanische Aufgaben
sprachlicher oder kultureller, sondern     schriften publizieren und die die Zu-        in der Kommunikation mit einer Viel-
häufig auch (wissenschafts-)politischer    weisung öffentlicher Mittel bestimmen.       zahl von AkteurInnen nicht nur ‚über
Natur sind. Bei der Verwirklichung tat-    Wie sollte man nicht erwarten, dass sich     nationale Grenzen‘ hinweg, sondern in
sächlich tiefreichender akademischer       aus derart unterschiedlichen Finanzie-       einem weitaus komplexeren Sammel-
Kooperationen müssen in erster Linie       rungssystemen Konsequenzen für eine          surium von Rollenzuschreibungen. Hier
die unterschiedlichen Logiken und Stile    effektive internationale Zusammenarbeit      geht es nicht nur um Perfektion in der
der beteiligten Wissenschaftssysteme       ergeben?                                     Prüfungsverwaltung und interkultu-

                                                                                                                                 7
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

relle Kompetenz – manchmal geht es           Terrain. Aber zugleich tritt damit auch    Notwendigkeit zur Erwerbsarbeit und
um nichts weniger als um die höchst          die Chance in den Raum, das Projekt        Willen zur politischen Tätigkeit, auf dem
anspruchsvolle Aufgabe der kommuni-          der Internationalisierung in einer wirk-   die Demokratie beruht, resultieren. Um
kativen Bearbeitung von institutionel-       lich umfassenden Weise in den Blick zu     ein Wort des Anthropologen Arjun Ap-
len, kulturellen, gesellschaftlichen und     nehmen: einer Weise, die dieses Projekt    padurai aufzugreifen: Viele Studierende
politischen Widersprüchen, die die Be-       als Wagnis deutlich macht und zugleich     besitzen und erkunden eine ‚Fähig-
teiligten selbst nicht die Macht haben       den Kontext liefert, innerhalb dessen      keit zur Navigation‘, deren Effektivität
aufzulösen.                                  die Fähigkeit, mit diesem Wagnis umzu-     sich nicht notwendigerweise in einer
Vielleicht liegt hier der Schlüssel zum      gehen, kultiviert werden könnte.           ebenso nahtlosen wie planbaren Kette
Verständnis der besonderen Verant-           Um bei den Studierenden zu bleiben:        von Studienerfolgen zeigt. Ein längerer
wortung, die der Wissenschaft und            Ihre Heterogenität, nicht zuletzt an       Studienaufenthalt im Ausland fügt hier
der Universität aus ihrer Privilegierung,    unserem Fachbereich wie auch an den        sicherlich eine Erfahrungsdimension
wenn es um Internationalisierung geht,       Partnereinrichtungen im Ausland, bildet    hinzu. Aber wir wären kurzsichtig, wenn
erwächst. Wissenschaft findet nicht          das Substrat einer solchen Kultivierung.   wir diese umfassende Kultivierung einer
immer das heraus, was sie herauszu-          Nicht alle, aber einige, haben bereits     Navigationsfähigkeit, wie sie oft bereits
finden angetreten ist – sonst wäre sie       ausgedehnte ‚internationale Erfahrun-      vor einem solchen Aufenthalt besteht,
Verwaltung, nicht Wissenschaft. Studie-      gen‘ – und dies sind manchmal Erfah-       unterschätzten. Wir sollten verstärkt
ren involviert die Möglichkeit, nicht alle   rungen, die nicht jedeR würde machen       daran arbeiten, diese genuinen Erfah-
intellektuellen Aufgaben gleichermaßen       wollen, haben sie doch häufig mit          rungen zu einem Pfeiler universitärer
zu bestehen – sonst wäre es die Wahr-        Flucht und Diskriminierung zu tun. Viele   Internationalisierung zu machen.
nehmung rechtmäßiger Ansprüche auf           haben sich, als Erststudierende in ihren   Wie internationalisiert man eine Einrich-
institutionalisiertes kulturelles Kapital,   Herkunftsfamilien, durch das Dickicht      tung, die ihrem Ursprung nach inter-
nicht Studieren. In der internationalen      von Hochschulsystemen geschlagen,          national ist? Universitäten in Europa
Kooperation steigern sich diese Risiken,     haben Solidarität mit anderen Studie-      bilden historisch, und im Wortsinn, eine
aus den besagten Gründen. Dies macht         renden und Nicht-Studierenden aus          internationale Institution. So wurden die
vielleicht mehr als alles andere den au-     unterschiedlichsten Lagen praktiziert      studentischen Gruppen an den mittel-
ßerordentlichen Grad an Privilegierung       und Stellung zu (hochschul-)politischen    alterlichen Universitäten nach ihrer
deutlich, den die Wissenschaft genießt       Vorgängen bezogen. Viele kennen die        geografischen Herkunft und Sprachge-
– denn sie kann, wenn sie sich selbst        Komplikationen, die aus dem Versuch        brauch als nationes bezeichnet – die
ernst nimmt, nichts versprechen außer        der Vereinbarung von Studium, Wahr-        Universität war also schon sehr früh ein
mehr Klarheit, auch auf internationalem      nehmung familialer Verantwortungen,        Lokal International. Eine Erinnerung an

8
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
diese mittelalterliche Periode ist nütz-       und politisch administrierte Migration
lich, um sich darüber klar zu werden,          historisch geprägt wurde, kann und
dass die heutigen Forderungen nach             sollte man das wissen.
Internationalisierung der Wissenschaft
und der Universität ohne eine historisch
vorangegangene Nationalisierung –
d.h. Vereinnahmung von Wissenschaft
und Bildung durch den Nationalstaat
– vermutlich deutlich anders akzentuiert
wären. Worauf es heute, so möchte ich
plädieren, letztlich ankommt, ist eine
Kultivierung akademischer Navigations-
fähigkeit in einer stark internationalisier-
ten Welt – eine Kultivierung, die nicht
umhinkommen wird, die Unterschei-
dung zwischen ‚national‘ und ‚interna-
tional‘ selbst zu hinterfragen. Soziale,
kulturelle, wissenschaftlich-professionel-
le und politische Beziehungen organi-
sieren sich schon längst in einer Weise,
die die Vergabe des Etiketts ‚internatio-
nal‘ zunehmend unter den berechtigten
Verdacht fehlender Trennschärfe stellt.
Eine solche Navigationsfähigkeit kann
und sollte durch internationalen Aus-
tausch ausgebaut und gestärkt werden
und sich in ihm bewähren – aber sie
wartet als Aufgabe durchaus auch im
geografischen Nahraum. Gerade in
Gießen als einer Stadt, die in vielfältigs-
ter Weise durch freiwillige, erzwungene

                                                                                        9
Jahrbuch 2019 Fachbereich 03 - Sozial- und Kulturwissenschaften - Justus-Liebig-Universität ...
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

Bildungserträge der Hochschulen im internationalen Spiegel
Edith Braun, Kristina Walz

Die Einflüsse der Hochschulen auf zahl-     vorbereitung sowie zu individuellen,       Korhonen 2016). Die Verschiedenheit
reiche individuelle und gesellschaftliche   sozialen und finanziellen Erträgen von     der Übergänge lässt sich sowohl durch
Lebensbereiche ihrer Absolvent_innen        Hochschulabsolvent_innen unterschied-      die zunehmende Heterogenität der
sind Gegenstand nationaler sowie            licher europäischer und asiatischer        Studierenden erklären, als auch durch
internationaler Hochschulforschung.         Länder bereit. Das deutsche Ko-            die – in vielen Quellen festgestellten
Zudem ist es eines der zentralen Ziele      KoHS-Programm leistet über ein Netz        – Veränderungen des Arbeitsmarktes.
der Bologna-Reform den europäischen         an interdisziplinären und internationa-    So werden z. B. unterschiedlich erfolg-
Hochschulraum international zu stär-        len Forschungsprojekten bereits einen      reiche Übergänge für Unterschiede im
ken, unter anderem einer europaweit         Beitrag zur Kompetenzmessung von           Fach, Geschlecht oder in der Studien-
vergleichbaren Gestaltung von Ab-           Hochschulabsolvent_innen. Allerdings       dauer festgestellt (vgl. z. B. Kostoglou
schlüssen, Leistungen und erworbenen        werden Methoden und Ergebnisse auch        et al. 2011).
Kompetenzen. Im Folgenden werden            kritisch diskutiert, gerade bei dem so-    Ein weiterer Faktor, der den Eingang
ausgewählte Forschungsergebnisse zu         gennanten AHELO Projekt. Grund dafür       auf den Arbeitsmarkt beeinflusst, ist die
Bildungsergebnissen von Hochschulen         ist der befürchtete, nicht-wissenschaft-   Mobilität von Absolvent_innen. Hohe
sowie Erkenntnisse zum Eingang in das       lich begründete Einfluss der OECD, der     Mobilität führt zu höheren Arbeitsmarkt-
Berufsleben vorgestellt.                    gerade im hochschulpolitischen Bereich     erträgen (vgl. Kratz und Netz 2018).
Dieser Aufsatz basiert auf einer Pub-       ausgeweitet werden könnte.                 Internationale Erfahrung sowie die Be-
likation, die in Form einer kommen-         Eine besondere Rolle innerhalb der         reitschaft, Stand- und Wohnort zu wech-
tierten Literaturübersicht in Oxford        Forschung zu Hochschulabsolvent_in-        seln, kann daher von Absolvent_innen
Bibliographies publiziert wird und unter    nen nimmt der Übergang von der             schon während des Studiums erworben
Federführung der Professur für Hoch-        Hochschule in den Arbeitsmarkt ein.        werden und erfolgreich in der Berufs-
schuldidaktik mit dem Schwerpunkt           Insbesondere werden Vergleiche             ausübung eingebracht werden (vgl. z.
Lehrerbildung verfasst wurde.               zwischen verschiedenen Ländern oder        B. Behle 2017). Mit Beginn des Bolog-
Das hohe Interesse, insbesondere der        Hochschulsystemen vorgenommen, aus         na-Prozesses zeigen sich Veränderun-
internationalen Forschung, an Erträgen      denen hervorgeht, wie unterschied-         gen in den Mobilitätsmöglichkeiten Stu-
der Hochschulbildung, zeigt sich unter      lich stark die Übergänge standardisiert    dierender und Absolvent_innen. Neben
anderem an internationalen Verbund-         sind (vgl. z. B. Jacob und Weiss 2010).    vielen positiven Eigenschaften erkennen
projekten. Die aufeinander aufbauen-        Es ist ein Abnehmen über die Zeit von      Studien jedoch auch die Gefahr des
den Projekte CHEERS, REFLEX und             standardisierten und linearen zuguns-      Brain Drains sowie höhere Hindernis-
HEGESCO stellen einen der weltweit          ten von individualisierten Übergängen      se, im eigenen Land zu studieren, falls
größten Datensätze zur Arbeitsmarkt-        zu beobachten (vgl. z. B. Alves und        dieses für ausländische Bewerber_innen

10
interessant ist (vgl. Ferencz 2015).       König et al. 2016). Sowohl Einzelfall- als   Qualifikation durch Hochschulbildung
Darüber hinaus wurde die Erfassung des     auch vergleichende Studien aus unter-        jedoch die Ansprüche von Arbeits-
Kompetenzerwerbs als wichtiges Feld        schiedlichen Ländern betrachten diese        markt oder direktem Umfeld, kann sie
internationaler Hochschulforschung er-     Unterschiede und versuchen einen Weg         auch zu Unzufriedenheit führen (vgl.
kannt. Zentrale Themen sind dort theo-     zu finden, einen Konsens zwischen den        Green und Zhu 2010). Generell profitiert
retische Rahmung und Definitionen von      erworbenen Fähigkeiten von Absol-            auch die Gesellschaft von Hochschul-
Kompetenzen und deren Messung (z. B.       vent_innen und den Ansprüchen von            absolvent_innen und deren Bildungs-
Vermunt et al. 2018) sowie empirische      Arbeitgeber_innen zu identifizieren.         erfahrungen. Zwar wird Bildung immer
Arbeit und Vergleiche mit bereits exis-    Aktuell, möglicherweise aufgrund der         häufiger als ein privates Gut, anstelle
tierenden Messmethoden (z. B. Braun        hohen Individualität in den einzelnen        eines gemeinnützigen gesehen (z. B.
und Mishra 2016). Auf international        Lebensläufen, scheint dieser Konsens         Tilak 2008). Doch gibt es Belege, dass
vergleichender Ebene finden sich vor       darin zu bestehen, Absolvent_innen die       viele Bereiche des Arbeitsmarktes ohne
allem Ergebnisse verschiedener Kom-        Verantwortung für den Erwerb wichtiger       entsprechend qualifizierte Arbeitskräfte
petenzmessungen (z. B. Coates 2016).       Arbeitsmarktkompetenzen außerhalb            nicht funktionieren würden, wobei sich
Dennoch bleibt die Entwicklung guter       des Curriculums zu übertragen.               die Nachfrage nach tertiärer Bildung
und international vergleichbarer Kom-      Akademische Abschlüsse allgemein ver-        (noch) weiter erhöht. In Gegenden
petenzmodelle und -messungen auch          mindern das Risiko für Arbeitslosigkeit      mit vielen Hochschulabsolvent_in-
in Zukunft ein wichtiges Forschungsde-     (vgl. z. B. Núñez und Livanos 2010). Die     nen steigen z. B. die Gehälter für alle
siderat, da die meisten Forschungspro-     durch den Bologna-Prozess veränderten        Arbeitnehmer_innen (vgl. Moretti 2004).
jekte einen nationalen Fokus besitzen.     Curricula unterschiedlicher Fächer gel-      In weniger wirtschaftlich entwickel-
Wie bereits erwähnt, ist die Messung       ten in Deutschland als gute Vorausset-       ten Ländern kann höhere Bildung zu
von Kompetenzen und deren Vergleich-       zung zur Entwicklung wichtiger Schlüs-       schnellerer wirtschaftlichen Entwicklung
barkeit nicht nur für die internationale   selkompetenzen (vgl. Schaeper 2009).         und höherer ökonomischer Produktivität
Forschung von Interesse, sondern auch      Ein weiteres, bereits erwähntes For-         führen – solange es nicht zum Wegzug
für potentielle Arbeitgeber_innen.         schungsfeld ist die Wirkung von Hoch-        der Fachkräfte, dem sog. Brain Drain
Bei der Frage, welche Fähigkeiten          schulen auf weitere persönliche und          kommt. Dieser stellt einen der negati-
und Kompetenzen für Hochschul-             soziale Bereiche. Allgemein zeigen sich      ven Einflüsse von (Hochschul-) Bildung
absolvent_innen erstrebenswert sind,       positive Effekte der Hochschulbildung        auf die Gesellschaft dar (vgl. Bloom et
gibt es unterschiedliche Bewertungen       auf vielfältige Bereiche, z.B. auf bes-      al. 2014) und betrifft insbesondere die
verschiedener Akteure (Studierende,        sere Gesundheit und Wohlbefinden             sog. BRICS-Länder (Brasilien, Russland,
Hochschulen, Arbeitgeber_innen) (z. B.     (vgl. Gross et al. 2019). Übersteigt die     Indien, China, Südafrika).

                                                                                                                             11
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

Nach wie vor ist es eine Herausforde-       Literaturverzeichnis                                   Ferencz, Irina (2015): Balanced Mobility Across
rung, internationale Ergebnisse der                                                                the Board - A Sensible Objective? In: Adrian Curaj,
Hochschulforschung über Länder-             Alves, Mariana Gaio; Korhonen, Vesa (2016):            Liviu Matei, Remus Pricopie, Jamil Salmi und Peter
grenzen hinweg zu vergleichen, da mit       Transitions and trajectories from higher education     Scott (Hg.): The European Higher Education Area:
einer Vielzahl von Kompetenzmodellen        to work and back – A comparison between Finnish        Springer, Cham, S. 27–41.
und -definitionen und unterschied-          and Portuguese graduates. In: European Educa-
                                            tional Research Journal 15 (6), S. 676–695. DOI:       Green, Francis; Zhu, Yu (2010): Overqualification,
lichen Indikatoren gearbeitet wird und
                                            10.1177/1474904116661200.                              job dissatisfaction, and increasing dispersion in the
auch zwischen den Hochschulsystemen
                                                                                                   returns to graduate education. In: Oxford Economic
große Unterschiede bestehen. Inter-         Behle, Heike (2017): The early career paths            Papers 62 (4), S. 740–763.
nationale Initiativen, wie die zu Beginn    of UK-educated intra-European mobile
des Artikels genannten, können hier-        graduates. In: Journal of Further and Hig-             Gross, Christiane; Bela, Anika; Jungbauer-Gans,
bei helfen, in größerem Umfang diese        her Education 41 (6), S. 802–816. DOI:                 Monika; Jobst, Andreas; Schwarze, Johannes
Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Je       10.1080/0309877X.2016.1188895.                         (2019): Educational Returns Over the Life Course.
nach Hintergrund sind große Initiativen                                                            In: Hans-Peter Blossfeld und Hans-Günther Roß-
jedoch auch mit dem Risiko behaftet,        Bloom, David E.; Canning, David; Chan, Kevin           bach (Hg.): Education as a Lifelong Process: The
dass Forschungsprojekte durch Interes-      J.; Luca, Dara Lee (2014): Higher education and        German National Educational Panel Study (NEPS).
sen der Financier gelenkt werden.           economic growth in Africa. In: International Journal   Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S.
Abschließend ist eine gewisse Domi-         of African Higher Education 1 (1), S. 22–57.           137–153.
nanz europäischer und nordamerikani-
                                            Braun, Edith; Mishra, Shweta (2016): Methods           Jacob, Marita; Weiss, Felix (2010): From higher
scher Literatur festzustellen. Allerdings   for Assessing Competences in Higher Education:         education to work patterns of labor market entry in
ist ein deutlicher Trend zu verzeichnen,    A Comparative Review. In: Jeroen Huisman und           Germany and the US. In: Higher Education 60 (5),
dass in jüngster Zeit vermehrt inter-       Malcolm Tight (Hg.): Theory and Method in Higher       S. 529–542. DOI: 10.1007/s10734-010-9313-y.
nationale Publikationen aus Asien und       Education Research (Volume 2), S. 47–68.
Afrika zu den jeweiligen Hochschulsys-                                                             König, Ljerka Sedlan; Juric, Petra Mezulić; Kopriv-
temen erscheinen.                           Coates, Hamish (2016): Assessing student               njak, Tihana (2016): Graduate Employability: A
                                            learning outcomes internationally: insights            Gap between Perspectives - the Case of Croatia.
                                            and frontiers. In: Assessment & Evaluation in          In: Advances in Economics and Business 4 (10), S.
                                            Higher Education 41 (5), S. 662–676. DOI:              525–538. DOI: 10.13189/aeb.2016.041002.
                                            10.1080/02602938.2016.1160273.
                                                                                                   Kostoglou, Vassilis; Garmpis, Aristogiannis; Koilias,
                                                                                                   Christos; van der Heijden, Beatrice (2011): Predic-

12
tors of higher technological education graduates’      In: Studies in Higher Education 34 (6), S. 677–697.
labour market entrance success. In: European           DOI: 10.1080/03075070802669207.
Journal of Higher Education 1 (2-3), S. 158–178.
DOI: 10.1080/21568235.2011.616768.                     Tilak, Jandhyala B. G. (2008): Higher education:
                                                       a public good or a commodity for trade? In: PRO-
Kratz, Fabian; Netz, Nicolai (2018): Which             SPECTS 38 (4), S. 449–466. DOI: 10.1007/s11125-
mechanisms explain monetary returns to                 009-9093-2.
international student mobility? In: Studies
in Higher Education 43 (2), S. 375–400. DOI:           Vermunt, Jan D.; Ilie, Sonia; Vignoles, Anna (2018):
10.1080/03075079.2016.1172307.                         Building the foundations for measuring learning
                                                       gain in higher education: a conceptual frame-
Mayhew, Matthew J.; Rockenbach, Alyssa N.;             work and measurement instrument. In: Higher
Bowman, Nicholas A.; Seifert, Tricia A. D.; Wolniak,   Education Pedagogies 3 (1), S. 266–301. DOI:
Gregory C. (2016): How college affects students.       10.1080/23752696.2018.1484672.
21st century evidence that higher education works.
Updated edition. Hg. v. Ernest T. Pascarella und
Patrick T. Terenzini. San Francisco: Jossey-Bass.

Moretti, Enrico (2004): Estimating the social return
to higher education: evidence from longitudinal
and repeated cross-sectional data. In: Journal of
Econometrics 121 (1), S. 175–212. DOI: 10.1016/j.
jeconom.2003.10.015.

Núñez, Imanol; Livanos, Ilias (2010): Higher educa-
tion and unemployment in Europe: an analysis of
the academic subject and national effects. In: Hig-
her Education 59 (4), S. 475–487. DOI: 10.1007/
s10734-009-9260-7.

Schaeper, Hildegard (2009): Development of
competencies and teaching–learning arrange-
ments in higher education: findings from Germany.

                                                                                                              13
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

Globalisierung der politischen Bildung?
Anka Bruns-Junker

Die Ziele des Fachunterrichts politi-      Ungleichheit, ökologische Herausfor-      Lernenden durchzieht und sie sich auch
scher Bildung lassen sich unter dem        derungen, wie der Klimawandel und         auf gesellschaftlich-kultureller Ebene
Begriff der politischen Mündigkeit         gesellschaftliche Herausforderungen,      vollzieht, erhält die Frage der normati-
zusammenfassen. „Politikdidaktische        wie Fragen des Zusammenlebens in          ven Orientierung politischer Bildung im
Fragen werden in der Regel [jedoch]        kultureller Vielfalt, können nicht mehr   politikdidaktischen Diskurs auch kon-
noch immer auf den nationalstaatlichen     allein innerhalb eines Nationalstaates    zeptuell neue Wichtigkeit. Die zugrunde
Kontext bezogen“ (Nonnenmacher;            bearbeitet werden, sondern erfordern      gelegte Wertorientierung prägt unsere
Widmaier 2011, 5). So sollen Lernende      die Zusammenarbeit verschiedenster        Perspektive auf die Welt und berührt
in Deutschland zur verantwortungsvol-      internationaler, staatlicher und nicht-   damit auch unsere (nationale) Identitäts-
len Teilhabe als Bürgerinnen und Bürger    staatlicher Akteure. Politische Bildung   bildung.
an der demokratischen Öffentlichkeit       kann diese Herausforderungen nicht        Dies leitet zu einem letzten zentralen
befähigt werden, womit primär auf den      als eine Art Feuerwehr bewältigen und     konzeptuellen Punkt über den die
nationalstaatlichen Kontext referiert      trotzdem bleibt sie, sowohl inhaltlich,   Politikdidaktik (im Zuge der Interna-
wird. Diese weitgehende Begrenzung         konzeptuell, als auch strukturell, von    tionalisierung neu) nachdenken soll-
der Bezugnahme auf den nationalstaat-      der Vernetzung der Welt und den sich      te: die begriffliche Eingrenzung und
lichen Rahmen Deutschland spiegelt         daraus (neu) ergebenden Herausforde-      inhaltliche Füllung des Verständnisses
sich in zahlreichen politikdidaktischen    rungen keineswegs unberührt.              von Bürgerschaftlichkeit. Die Adres-
Publikationen, Schulbüchern, aber auch     Ansätze, wie politische Bildung in glo-   sierung von Staatsbürgerinnen und
den Kerncurricula der Bundesländer         baler oder supranationaler Perspektive    Staatsbürgern wird in dem Diskurs der
(vgl. Overwien 2018, 97-100). Das The-     (neu) zu denken ist, finden sich bisher   politischen Bildung zum Teil durchaus
menfeld der Globalisierung erscheint       wenige (u.a. bei Sander 2011 und 2018,    in Frage gestellt, der Weltbürger bzw.
hier lediglich als Additum, welches „die   Eis 2010). Wolfgang Sander führt in       die Weltbürgerin als neues Leitbild für
zuvor dominant aus nationaler Pers-        seinen Überlegungen (2011, 426-428)       die Weltgesellschaft gefordert (vgl. z.B.
pektive behandelten Themenbereiche“        zur Begründung der Beschäftigung mit      Juchler 2010). Diese Vorstellung verfol-
ergänzt (Sander 2011, 425). Gleichzeitig   globalen Fragen in der politischen Bil-   gen auch immer häufiger internationale
hat die weltweite Vernetzung und Inter-    dung beispielsweise an, dass die trans-   Bildungsakteure und füllen den Begriff
dependenz in den letzten Jahrzehnten       nationale Perspektive bei der inhalt-     nach eigenen Vorstellungen. Die OECD
neue Formen angenommen. Viele              lichen Auswahl und Strukturierung von     beispielsweise plant die Messung der
politische Herausforderungen, wie die      Lerngegenständen systematisch einbe-      Global Competency (vgl. OECD 2016),
Ressourcenverknappung, ökonomische         zogen werden muss. Dadurch, dass die      die UNESCO hat einen detaillierten
Herausforderungen, wie die globale         Globalisierung alle Lebensbereiche der    Ansatz zur Global Citizenship Education

14
(GCE) vorgelegt (vgl. UNESCO 2014),
die Weltbank listet zahlreiche Heraus-
forderungen für Global Citizens auf und
sieht Bildung als ein Schlüssel zu deren
Lösung (vgl. Bhargava 2006, 10), Oxfam
hat Handreichungen zur Education for
Global Citizenship publiziert (vgl. Oxfam
GB 2015).
Mit Blick auf die strukturelle Rahmung
politischer Bildung in Zeiten der Globa-
lisierung zeigt sich an solchen Anstößen
internationaler politischer Akteure, dass
sich eine strukturelle Globalisierung po-
litischer Bildung zu vollziehen scheint.
Internationale Bildungsorganisationen
avancieren „nicht nur zu entscheiden-
den Multiplikatoren der sich heraus-
bildenden globalen Bildungskultur,
sondern bilden zugleich das strukturelle
Gerüst eines multilateralen Bildungs-
systems“, kontrastiert Eckhardt Fuchs
(2006, 102). Diese Akteure entwerfen
Antworten auf die Frage, wie die poli-
tische Bildung auf die Herausforderun-
gen der Globalisierung reagieren kann
und welche (neuen) Zielvorstellungen
und eventuellen Bürgerleitbilder eine
(globale) politische Bildung verfolgen
sollte. Diese Antworten sind als neue
Ansätze globaler politischer Bildung zu
werten, welche nicht primär aus der         Foto: Anka Bruns-Junker ©

                                                                        15
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

didaktischen Theoriebildung stammen,        der GCE der UNESCO findet internatio-       Literatur
sondern von internationalen Akteuren.       nal durchaus Beachtung und Umsetzung
In der Analyse der Ansätze – beispiel-      (vgl. UNESCO 2015, u.a. 48, 62-64 und       Bhargava, Vinay (2006): Global Issues for Global
haft sei hier die UNESCO genannt            Deutsches Schulportal). Ebenso finden       Citizens. An introduction to key development
– finden sich u.a. Vorstellungen von        sich in den Ansätzen, wie dem der           challenges. Washington.
Bürgertum in einer Weltgesellschaft,        UNESCO, Entwürfe wie die Bildung für
                                                                                        Fuchs, Eckhardt (2006): Multilaterale Bildungspoli-
welche das aktive Engagement von            nachhaltige Entwicklung, das interkultu-
                                                                                        tik und transnationale Zivilgesellschaft: Univer-
Weltbürgerinnen und -bürgern deutlich       relle und globale Lernen. Diese finden      sitätsbeziehungen in der Zwischenkriegszeit. In:
betonen. Die Frage der Zielperspek-         nach und nach stärkere Beachtung in         Miller-Kipp, Gisela; Zymek, Bernd (Hrsg.): Politik
tive politischer Bildung, und ob diese      politikdidaktischen Diskursen (vgl. v.a.    in der Bildungsgeschichte - Befunde, Prozesse,
überhaupt an Bürgerleitbilder gebun-        Overwien 2016; 2018, 98) und sollten        Diskurse. Bad Heilbrunn, S. 101-116.
den sein sollte, wird in der hiesigen       im Zuge der Internationalisierung politi-
politischen Bildung allerdings ebenso       scher Bildung nicht undiskutiert bleiben,   Juchler, Ingo (2010): Der Weltbürger – Leitbild
kontrovers diskutiert, wie die Frage, wie   wenn internationale Bildungsakteure         für Politische Bildung des 21. Jahrhunderts.
diese Bürgerleitbilder dann konkret zu      sie nutzen, um ihre Ansätze zur Bildung     In: Steffens, Gerd; Widmaier, Benedikt (Hrsg.):
definieren sind. Gerade die Vorstellung     von Weltbürgerinnen und -bürgern zu         Weltbürgertum und Kosmopolitisierung. Interdis-
von ständig aktiven, politisch engagier-    entwerfen.                                  ziplinäre Perspektiven für die Politische Bildung.
                                                                                        Schwalbach/Ts., S. 179-190.
ten Bürgerinnen und Bürgern, welche         Damit es zu einer intensiveren interna-
die UNESCO so stark betont, wird in         tionalen Debatte um (globale) politi-
                                                                                        OECD (2016): Global competency for an inclusive
der Didaktik der politischen Bildung zu-    sche Bildung auf bildungstheoretischer      world. Paris.
mindest in Frage gestellt. Ebenso wird      Ebene kommen kann, sollte die hiesige
allgemein oft der These widersprochen,      Politikdidaktik auf konzeptueller Ebe-      Overwien, Bernd (2016): Globales Lernen und
politischer Unterricht solle dieses Enga-   ne den Blick weiter öffnen für diese        politische Bildung - eine schwierige Beziehung?
gement mit Lernenden realpolitisch par-     anderen Ansätze, politische Bildung         In: ZEP: Zeitschrift für internationale Bildungsfor-
tizipierend umsetzen (vgl. z.B. Schiele     global zu denken. Nur so kann es auch       schung und Entwicklungspädagogik 39 (2016) 2,
2016, 73). Die UNESCO allerdings setzt      auf struktureller Ebene zu einer nach-      S. 7-11.
in ihren Lernzielen zur GCE fest: Lernen-   haltigen Globalisierung der politischen
de sollen „act effectively and responsi-    Bildung als Fachdidaktik kommen.            Oxfam GB (2015): Education for Global Citizenship.
bly at local, national and global levels                                                Oxford.
for a more peaceful and sustainable
world“ (UNESCO 2015, 15). Der Ansatz

16
Sander, Wolfgang (2018): Bildung. Ein kulturelles
Erbe für die Weltgesellschaft. Frankfurt/M.

Sander, Wolfgang (2011): Globalisierung der politi-
schen Bildung – Herausforderungen für politisches
Lernen in der Weltgesellschaft. In: Ders.; Scheun-
pflug, Annette (Hrsg.): Politische Bildung in der
Weltgesellschaft. Herausforderungen, Positionen,
Kontroversen. Schwalbach/Ts., S. 417-431.

Schiele, Siegfried (2016): Der Beutelsbacher
Konsens ist keine Modeerscheinung! Zu seiner his-
torischen Genese und gegenwärtigen Aktualität. In:
Widmaier, Benedikt; Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen
wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der
politischen Bildung. Bonn, S. 68-77.

Steffens, Gerd; Widmaier, Benedikt (2010): Der
Weltbürger als Leitbild für Bildung in Zeiten der
Globalisierung? Zur Einführung. In: Dis. (Hrsg.):
Weltbürgertum und Kosmopolitisierung. Interdis-
ziplinäre Perspektiven für die Politische Bildung.
Schwalbach/Ts., S. 5-12.

UNESCO (2015): Global Citizenship Education.
Topics and Learning Objectives. Paris.

Deutsches Schulportal. Für mehr gute Schulen:
„Global Citizenship Education“ Schule bewegt
die Welt – und umgekehrt. Unter: https://deut-
sches-schulportal.de/konzepte/schule-bewegt-die-
welt-und-umgekehrt/ (11.04.2019).

                                                      17
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

Extended Education - made in Gießen
Andrea Müller, Ludwig Stecher

In vielen Ländern lässt sich beobachten     teils nicht erst am Ende der Schulzeit,    bote und Programme Gegenstand der
wie lernunterstützende bzw. den Bil-        sondern bereits in der Grundschulzeit      Lern-Effektivitätsforschung als Teil der
dungserfolg flankierende Angebote           zur Lernunterstützung besucht. Auch in     Bildungsforschung.
und Programme außerhalb des Unter-          Deutschland und anderen westlichen         Im deutschsprachigen Raum werden
richts bzw. außerhalb der klassischen       Ländern ist die private bezahlte Nach-     die außerschulischen bzw. außerunter-
Institutionen Schule, Berufsschule oder     hilfe weit verbreitet.                     richtlichen Bildungsangebote meist
Hochschule zunehmend an Bedeutung           Obwohl Zielsetzung und Ausgestaltung       unter dem Begriff der non-formalen
gewinnen. Die Ausgaben für entspre-         der entsprechenden Programme und           Lernangebote zusammengefasst. Im
chende staatliche und private Förder-       (privaten) Angebote in den einzelnen       angloamerikanischen Raum finden sich
programme stiegen in den letzten            Ländern variieren, weisen sie zahlreiche   hierfür Begriffe wie after-school progra-
Jahren kontinuierlich an und auch auf-      institutionelle Gemeinsamkeiten als        mes, extra-curricular activities oder
seiten der Teilnehmer nimmt die Nach-       auch eine Reihe paralleler bildungspäd-    organised bzw. designed activities. In
frage nach solchen Angeboten stetig         agogischer Probleme auf, die sie aus       dem Sinne, in dem alle diese Begriffe
zu, unabhängig davon, ob es sich dabei      der Sicht der Bildungsforschung als ein    auf die Erweiterung bzw. Ergänzung
um außerunterrichtliche Angebote an         zusammengehöriges Forschungsfeld           der traditionellen Schule und des
deutschen Ganztagsschulen, um Som-          definieren lassen. Vom Lernen in der       Unterrichts rekurrieren, hat sich in den
mer-Camps in den USA oder um Ange-          Schule unterscheidet die Angebote,         letzten Jahren in der internationalen
bote an schwedischen Freizeitzentren        beispielsweise dass sie häufig nicht von   Forschung hierfür der Begriff der
handelt.                                    Lehrkräften durchgeführt werden, es in     ‚Extended Education‘ durchgesetzt.
Neben den staatlichen bzw. offiziellen      der Regel keine Leistungsbewertung
Bildungsprogrammen und -initiativen         (zumindest nicht im Sinne von Schulno-     Eine Initiative made in Gießen
hat sich in vielen Ländern ein privater     ten) gibt, die Angebote auch in alters-    Während sich spätestens seit dem
Markt außerschulischer Bildung etab-        gemischten Gruppen erfolgen, die           Beginn der 2000er-Jahre zunehmend
liert. So gibt es etwa in Süd-Korea         TeilnehmerInnen sich zumeist freiwillig    auch die Bildungsforschung mit dem
– ähnlich wie die japanischen               für die Teilnahme entscheiden und die      Potenzial und den Problemfeldern
Juku-Schulen – ein ausgedehntes Sys-        Angebote curricular offen und im All-      dieser Angebote und Programme
tem privater Lern- und Nachhilfeinsti-      gemeinen inhaltlich nicht standardisiert   beschäftigte, fehlten auf internationaler
tute, die u. a. auf die zentralen Prüfun-   sind. Gleichwohl handelt es sich um        Ebene bis dahin sowohl vergleichende
gen am Ende der High-School im              pädagogisch inszenierte Settings, die      Forschungsprojekte und -initiativen als
Übergang zum Hochschulstudium               Lernprozesse bei Heranwachsenden           auch ein länderübergreifender kontinu-
vorbereiten. Solche Institute werden        fördern sollen. Damit sind die Ange-       ierlicher fachwissenschaftlicher Aus-

18
Weltkongress der WERA in Kapstadt
                                                                                      teil und stellte dort seine Netzwerkakti-
                                                                                      vitäten und seine Forschungsagenda
                                                                                      vor. Im September 2019 findet in Stock-
                                                                                      holm die zweite internationale Konfe-
                                                                                      renz des WERA-IRN statt. Dem IRN
                                                                                      ‚Extended Education‘ gehören mittler-
                                                                                      weile über 170 Forscherinnen und
                                                                                      Forscher weltweit an. Zu den künftigen
                                                                                      Aufgaben des Netzwerks, das seit 2019
                                                                                      von Marianne Schüpbach und Gil
                                                                                      Noam (Harvard) geleitet wird, gehört
                                                                                      es u.a. seine Aktivitäten und Koopera-
                                                                                      tionen vor allem auch auf den südame-
Foto: privat
                                                                                      rikanischen und afrikanischen Kontinent
                                                                                      hin auszudehnen. Als aktuellste Publi-
tausch. Dass sich dies zu Beginn der      erschien daraufhin die erste Ausgabe
                                                                                      kation des Netzwerks ist derzeit neben
2010er-Jahre verändert, daran ist das     des International Journal for Research
                                                                                      den aktuellen Schwerpunktheften des
Institut für Erziehungswissenschaft im    on Extended Education (IJREE).
                                                                                      IJREE in Vorbereitung Sang Hoon Bae,
Fachbereich 03 Sozial- und Kulturwis-     Geschäftsführende HerausgeberInnen
                                                                                      Joseph L. Mahoney Sabine Maschke, &
senschaften der JLU maßgeblich betei-     der ersten Stunde waren Ludwig Ste-
                                                                                      Ludwig Stecher (Eds.) International
ligt gewesen.                             cher (IfEW der JLU) und Sabine
                                                                                      Developments in Research on Exten-
2010 wurde auf Schloss Rauischholz-       Maschke (heute Uni Marburg). Geför-
                                                                                      ded Education Perspectives on extra-
hausen die erste internationale Konfe-    dert wurde das Journal in seiner Grün-
                                                                                      curricular activities, after-school pro-
renz zum Thema Extended Education         dungsphase von der Deutschen For-
                                                                                      grams, and all-day schools. Das Buch
als Forschungsfeld der Bildungsfor-       schungsgemeinschaft. Das Journal
                                                                                      erscheint im November 2019 bei
schung – gefördert durch das BMBF         erscheint mittlerweile im 7. Jahrgang
                                                                                      Budrich Publishers.
– durchgeführt. Die Konferenz hatte       und hat sich international etabliert. Die
zum Ziel zum ersten Mal internationale    Geschäftsführende Herausgeberschaft
SpitzenforscherInnen in diesem Bereich    wurde 2018 an Prof. Sang Hoon Bae,
zusammen und in den gemeinsamen           Sungkyunkwan University, Seoul, Süd-
(Forschungs-)Austausch zu bringen und     korea, weitergegeben.
gleichzeitig von der Konferenz ausge-     2018 wurde das ehemalige NEO-ER-
hend ein internationales Forschungs-      Netzwerk unter der Federführung von
netzwerk (damals noch unter dem Titel     Marianne Schüpbach (Freie Universität
NEO-ER: Network for Research on           Berlin) und Ludwig Stecher zum Inter-
Extra-curricular and Out-of-school-time   national Research Network ‚Extended
Educational Research) sowie auch ein      Education‘ innerhalb der World Educa-
internationales Publikationsorgan auf     tional Research Association (WERA-
den Weg zu bringen. Im Herbst 2013        IRN) und nahm als solches am Ersten

                                                                                                                             19
Beiträge aus Forschung und Lehre am Fachbereich

Trilaterale Partnerschaft Gießen - Tokyo - Seoul
Johannes Diesing, Verena Schäfer-Nerlich

Der Forschungsaufenthalt von Dr. Jo-       den vorsieht, wurde die Zusammen-          der JLU Gießen. Im Herbst 2020 wird im
hannes Diesing an der Tokyo University     arbeit der Chung-Ang Universität Seoul     Rahmen dieses Förderschwerpunkts ein
im Frühjahr bildet den Auftakt für das     mit dem Institut für Politikwissenschaft   gemeinsames Forschungskolloquium
seit Januar 2019 bestehende trilaterale    und dem ZMI erst im Zuge der An-           mit Masterstudierenden aller drei Part-
Partnerschaftsabkommen der JLU Gie-        tragstellung im Sommer 2018 durch          neruniversitäten in Gießen stattfinden.
ßen mit Tokyo und Seoul. Das Projekt       ein Memorandum of Understanding            Die dritte Säule der trilateralen Partner-
„Trilaterale Partnerschaft Gießen-To-      formalisiert. Im Rahmen von interna-       schaft bildet die Förderung innovativer
kyo-Seoul“ haben Prof. Dr. Dorothée de     tionalen Symposien und den Ostasia-        Lehrangebote, die von Nachwuchswis-
Nève, Dr. Verena Schäfer-Nerlich und       tischen DAAD-Zentrenkonferenzen, an        senschaftlerInnen an allen drei Stand-
Dr. Johannes Diesing für das Institut      denen WissenschaftlerInnen aller drei      orten gemeinsam entwickelt und jeweils
für Politikwissenschaft im Rahmen der      Hochschulstandorte teilnahmen, konnte      an einer der drei Universitäten in Form
Ausschreibung des Deutschen Akade-         der trilaterale akademische Austausch      von Co-Teaching zusammen durchge-
mischen Austauschdienstes (DAAD) für       bereits seit dem Jahr 2013 angebahnt       führt werden. Im Herbst 2019 werden
Partnerschaften mit Japan und Korea        und kontinuierlich gefestigt werden.       dazu Masterstudierende der JLU an
(PaJaKo) eingeworben. Partneruniversi-                                                der Chung-Ang University in Seoul
täten der JLU sind die Tokyo University    Drei Säulen der Partnerschaft              ein Blockseminar besuchen. Im Folge-
in Japan und die Chung-Ang University      Die trilaterale Partnerschaft Gießen       jahr wird ein weiteres Blockseminar in
in Seoul (Südkorea) mit ihren jeweiligen   – Tokyo – Seoul sieht während der          demselben Format für Studierende aus
Zentren für Deutschland- und Europa-       zunächst zweijährigen Laufzeit (2019-      Gießen und Tokyo an der Tokyo Univer-
studien (DESK und ZeDES).                  2020) die Förderung von unterschied-       sity angeboten.
Durch die Förderung des DAAD kön-          lichen Formaten vor, die sich als drei
nen die bestehenden Kooperations-          Säulen beschreiben lassen. So werden       Auftaktbesuch von Gießener Politik-
beziehungen mit beiden Universitäten       erstens Forschungsaufenthalte von          wissenschaftler in Japan
gefestigt und ausgebaut werden.            NachwuchswissenschaftlerInnen und          Der einmonatige Forschungsaufenthalt
Während der Fachbereich Kultur- und        Hochschullehrenden der JLU an den          von Dr. Johannes Diesing an der Tokyo
Sozialwissenschaften und das Zentrum       beiden Partneruniversitäten ermöglicht.    University im März 2019 markierte den
für Medien und Interaktivität (ZMI) der   Die zweite Säule umfasst die Förderung     Beginn einer besonderen Vernetzung
JLU bereits im Mai 2016 einen Koope-       von Studien- und Forschungsaufenthal-      mit japanischen PolitikwissenschaftlerIn-
rationsvertrag mit der Tokyo University    ten von Masterstudierenden und Hoch-       nen im Rahmen der PaJaKo-Förderung.
geschlossen haben, der u. a. den Aus-      schullehrenden der Tokyo University        Neben dem fachlichen Austausch mit
tausch von Studierenden und Forschen-      und der Chung-Ang University Seoul an      KollegInnen am Zentrum für Deutsch-

20
land- und Europastudien standen auch        Dr. Dorothée de Nève Kenntnisse über       Politik und Medien. Im Rahmen dieses
aktuelle politische Auseinandersetzun-      das politische System Südkoreas unter      ersten Auslandsaufenthalts von Gieße-
gen in Japan im Zentrum des wissen-         besonderer Berücksichtigung der Ent-       ner Master-Studierender in Seoul wird
schaftlichen Interesses der Reise von       wicklungen seit Mitte der 1980er Jahre.    zudem das innovative Konzept des Co-
Herrn Diesing. Während des Aufent-          Inhaltliche Schwerpunkte, die bereits in   Teachings erstmals Anwendung finden.
haltes in Tokyo lag der Fokus dabei auf     diesem Seminar vermittelt werden und
den politischen Veranstaltungen rund        dann vor Ort in Seoul vertieft werden
um den achten Gedenktag der Drei-           sollen, sind politikwissenschaftliche
fach-Katastrophe von Fukushima im           Analysen aktueller politischer Entwick-
Jahre 2011.                                 lungen und die Interdependenz von
Einen zweiten Schwerpunkt des Aufent-
haltes von Herrn Diesing bildete die Be-
schäftigung mit dem aktuellen Okinawa
Konflikt um den Ausbau einer ameri-
kanischen Luftwaffenbasis in Japans
südlichster Präfektur.

Ausblick
Im Jahr 2019 werden weitere Wissen-
schaftlerInnen des Instituts für Politik-
wissenschaft für Forschungsaufenthalte
an die Partneruniversitäten nach Japan
und Korea reisen. Darüber hinaus be-
reiten sich im Sommersemester 2019
bereits Studierende des Masterstudien-
gangs „Demokratie und Governance“
des Instituts für Politikwissenschaft auf
die im Herbst stattfindende Exkursion
an die Chung-Ang University in Seoul
vor. Dazu erarbeiten sich die Studieren-
den des Seminars „Südkorea“ von Prof.       Foto: Johannes Diesing ©

                                                                                                                           21
Beiträge aus Forschung Lehre am Fachbereich

Stabilisierung von Arbeitskräften in der Textilindustrie:
Begleitforschung zu Personalfluktuation und -rekrutierung im Hawassa Industrial Park
(HIP), Äthiopien
Michaela Fink, Reimer Gronemeyer

Äthiopien als wichtiger Standort der        Arbeitsplätze sind bisher entstanden.      dass die Ursachen für die instabile
Textilindustrie                             Bei voller Auslastung wird erwartet,       Personalsituation nicht allein in ökono-
Die Textilindustrie in Äthiopien boomt.     dass der Park 60.000 Mitarbeiter           mischen Faktoren (niedrige Gehälter)
Steigende Produktionskosten in Asien        beschäftigt und in einer Doppelschicht     und in den Arbeits- und Wohnbedin-
(aber auch z.B. in der Türkei) führen zu    arbeitet. Ein zweiter Industriepark        gungen (hohe Arbeitsbelastung,
Verlagerungen der Produktionsstätten.       wurde in der Hauptstadt Adis Abeba         schlechte Unterbringung) zu suchen
Neben Bangladesch, Vietnam und              angesiedelt. Insgesamt sind zwölf          sind, sondern dass darüber hinaus auch
Myanmar ist Äthiopien mittlerweile          solcher Industriegebiete in Äthiopien      soziale und kulturelle Ursachen eine
einer der führenden Beschaffungs-           geplant. Zu den wichtigsten Exportlän-     entscheidende Rolle spielen: die agrari-
standorte der Textilindustrie. Lohnkos-     dern im Bekleidungssektor zählen           sche Sozialisation der Arbeiterinnen
ten sind in der arbeitsintensiven Textil-   neben Deutschland die USA und Groß-        (das Personal besteht überwiegend aus
industrie der entscheidende Faktor für      britannien. Die Parks sind als Freihan-    jungen Frauen), ihre starke Bindung an
die Konkurrenzfähigkeit. In Äthiopien       delszonen angelegt, die ausschließlich     die dörflichen Gemeinschaften und die
liegen die aktuell deutlich niedriger als   für den Export produzieren.                kulturellen Wertvorstellungen sowie
etwa in Bangladesch (Bangladesch:                                                      ethnische Spannungen.
monatlich 95 USD vs. Äthiopien ca. 30       Herausforderungen der Textilindustrie      Die kulturelle Distanz der Arbeiterinnen
USD).                                       Die von der äthiopischen Regierung         gegenüber den Erwartungen und
Bis zum Jahr 2022 sollen in Äthiopien       beabsichtigte Ausweitung von Indust-       Normen, die eine industrialisierte
350.000 Jobs in der Textilbranche           rie-, im speziellen Textilparks, die von   Arbeitswelt an sie stellt, wird verstärkt
entstehen. Dafür lässt die äthiopische      der deutschen Regierung unterstützt        durch die Distanz gegenüber den
Regierung Industrieparks bauen – mit        wird, sieht sich vor verschiedenen         überwiegend aus dem Ausland stam-
eigener Kläranlage und zuverlässiger        Herausforderungen. Zentral ist dabei       menden Führungskräften, die einerseits
und kostengünstiger Stromversorgung.        das Thema Arbeitskräfte. Hohe Perso-       gänzlich andere soziale und kulturelle
Investoren können die riesigen Hallen       nalfluktuation (Turnover), geringe Pro-    Hintergründe mitbringen und zugleich
mieten.                                     duktivität und mangelnde Zuverlässig-      eine globalisierte, ökonomische Pers-
In Hawassa, einer Stadt mit 300.000         keit (Absenteeism) gefährden die           pektive repräsentieren.
Einwohnern, wurde in 2016 der größte        schaftlichkeit und damit den Fortbe-       Das »mindset« der Arbeitskräfte, das
Textilparks des Landes in Betrieb           stand der neugeschaffenen Industrie-       sich insbesondere in Fehlzeiten und in
genommen. 20 internationale Textil-         parks.                                     hohen Abbruchraten ausdrückt, ist aus
unternehmen haben sich dort mit 52          Eine Voruntersuchung der Antragsteller     Sicht der Unternehmen nicht tragbar.
Fabriken niedergelassen. 25.000             in Hawassa im März 2019 hat gezeigt,       Zugleich wissen die Führungskräfte

22
meist kaum etwas über die sozialen und
ökonomischen Hintergründe der Arbei-
terinnen, über ihre kulturellen Wertvor-
stellungen, über regionale Unter-
schiede etc. Maßnahmen zur
Personalstabilisierung beschränken sich    Foto: Michaela Fink ©

bislang vor allem auf die Verbesserung
der Arbeitsbedingungen in den Fabri-       hören sie auf? Warum kommen sie nicht     Wohnbedingungen eine Stabilität
ken und auf die Etablierung ökonomi-       regelmäßig? Woher kommen sie? Aus         schaffen?
scher Anreize, etwa durch leistungsbe-     welchen Verhältnissen brechen sie auf?    Wie gehen die Arbeiterinnen mit dem
zogene Boni-Zahlungen.                     Welche ethnischen und sozio-ökonomi-      beschleunigten Industrialisierungspro-
                                           schen Rahmenbedingungen gelten für        zess um? Welche Herausforderungen
Begleitforschung durch die JLU in          sie? Wie sind die Familienverhältnisse?   stellen sich ihnen beim Übergang von
Kooperation mit der Universität            Was machen sie mit ihrem Einkommen        einem agrarisch geprägten zu einem
Hawassa                                    (finanzieren sie die Familie, Kinder,     industrialisierten Lebensumfeld? Wel-
Um das Phänomen der massiven Perso-        Konsumgüter, eine Weiterbildung, ein      che »life-skills« und welche Arbeitsethik
nalfluktuation und der Abwesenheit der     Studium)? Welche Maßnahmen würden         brauchen sie für die Arbeit in der Textil-
Arbeiterinnen zu eruieren, haben wir       sie veranlassen, regelmäßig anwesend      industrie? Bzw. welche an die Landwirt-
eine dreijährige Begleitforschung beim     zu sein? Sind eher oder eher physische    schaft angepassten »life skills« sind für
Bundesministerium für wirtschaftliche      Gründe für das Fernbleiben verant-        sie im Umfeld der Fabrik hinderlich?
Zusammenarbeit und Entwicklung             wortlich (Stress, Erschöpfung)? Ist die
(BMZ) beantragt. Antragsteller sind        Vereinbarkeit von Familie und Arbeit      Die Forschungsergebnisse können über
Prof. Reimer Gronemeyer (IfS, JLU),        ein Thema (mangelt es an Kinderbe-        die Arbeit der deutschen Entwicklungs-
Prof. Ingrid Miethe (IfE, JLU), Prof.      treuung)? Sind andere Prioritätenset-     zusammenarbeit (GIZ) direkt in die
Tesfaye Semela Kukem (Universität          zungen die Ursache des Fernbleibens?      Beratung von Betrieben und Ausbil-
Hawassa).                                  Betrachten sie den Arbeitsplatz von       dungs-, Trainings- und Rekrutierungs-
Im Rahmen der geplanten Forschung          vornherein als vorübergehend (bspw.       institutionen eingespeist werden.
sind insbesondere die Interessen und       vor der Gründung einer eigenen Fami-
Motivationslagen der Arbeiterinnen zu      lie, oder der Vorbereitung der Über-
analysieren: Welche Erwartungen ver-       siedlung in die Stadt)? Würde mehr
binden sie mit der Lohnarbeit? Warum       Lohn oder würden andere Arbeits- und

                                                                                                                            23
Sie können auch lesen