JUL/AUG.18 - Musikzeitung Loop

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JUL/AUG.18

1978
JUL/AUG.18 - Musikzeitung Loop
EINSCHLAUFEN
Betrifft: Drei Päpste für ein Halleluja                                                                Impressum Nº 06.18
                                                                                                       DER MUSIKZEITUNG LOOP 21. JAHRGANG
Die grossen Fragen lassen sich oft ganz ein-           Kurt Gödel verhungerte aus Paranoia, und
fach beantworten. Woher komme ich? Gera-               was genau zum Ableben des Schauspielers         P.S./LOOP Verlag
de jetzt: aus der Kantine. Wo gehe ich hin?            Bob Crane («Hogan’s Herpes») geführt            Hohlstrasse 216, 8004 Zürich
Zurück an meinen Arbeitsplatz im dritten               hat, ist bis heute ungeklärt. Ähnlich verhält   Tel. 044 240 44 25
Untergeschoss. Bei der nächsten Frage – Wo             es sich mit den Oberhäuptern der Katholi-       www.loopzeitung.ch
genau bin ich eigentlich? – muss ich dann              schen Kirche, von denen es 1978 gleich drei
allerdings auf technische Hilfsmittel zu-              gab. Erst verstarb Paul IV., sein Nachfolger    Verlag, Layout: Thierry Frochaux
rückgreifen. Was in meinem Fall aber keine             Johannes Paul segnete nach 33 Tagen im          inserate@loopzeitung.ch
grösseren Probleme aufwirft, immerhin gibt             Amt ebenfalls das Zeitliche, bevor dann der
es das Guido Positioning System (GPS), mit             deutlich robustere Johannes Paul II. das Pon-   Administration, Inserate: Manfred Müller
dessen Hilfe ich meinen Aufenthaltsort stets           tifikat übernahm.                               admin@loopzeitung.ch
ziemlich genau lokalisieren kann.                      Einige Ereignisse fanden natürlich auch Ein-
Der erste GPS-Satellit wurde 1978 in sei-              gang in die Musik. Der taumelnde und über-      Redaktion: Philippe Amrein (amp),
ne Umlaufbahn geschossen. In einem – auf               gewichtige Muhammad Ali wurde von Billy         Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe
den ersten Blick zumindest – eher unspekta-            Joel auf dem Album «52nd Street» verewigt,
kulären Jahr. Wir erinnern uns: Die Natio-             die im Herbst 1978 erstmals ausgestrahlte       Mitarbeit: Reto Aschwanden (ash), Yves Baer (yba),
nalmannschaft der Niederlande konnte in                Fernsehserie «Dallas» hallte ein paar Jahre     Thomas Bohnet (tb), Jean-Martin Büttner,
Argentinien bei der Fussball-WM ihren Vize-            später in George Straits «Friday Night Fever»   Marcel Elsener (mel), Roman Elsener (rel),
weltmeistertitel von 1974 erfolgreich vertei-          nach, und der Tod von Jacques Brel hinter-      Christian Gasser (cg), Mauro Guarise (mag),
digen, in den Kinos liefen Kassenschlager              liess eine dunkle, von tropischen Winden        David Hesse (dhe), Thomas Kramer (tok),
wie «Grease» oder «Superman», das Tisch-               umwehte Lücke.                                  Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl),
kasten-Computerspiel «Space Invaders» fla-             Davon wird auf den folgenden Seiten keine       Susanne Loacker (sl), Sam Mumenthaler,
ckerte erstmals auf, derweil in London bei ei-         Rede mehr sein, auch nicht von den vier Solo-   Markus Naegele, Philipp Niederberger,
nem geheimdienstlichen Anschlag der Begriff            alben, mit denen Gene, Paul, Ace und Peter      Jürg Odermatt (odi), Sarah Sartorius (sas),
«Bulgarischer Regenschirm» geprägt wurde.              von der Schmink-Combo Kiss in besagtem          Fabienne Schmuki, Martin Söhnlein (söh),
In jenem Jahr gab es eine ganze Reihe seltsa-          Jahr für Stirnrunzeln sorgten (aber natür-      Miriam Suter, Benedetto Vigne (bv)
mer Todesfälle zu verzeichnen. Die Leiche des          lich dennoch eine ikonische Marke setzten).
italienischen Premierministers Aldo Moro               Unsere Reise führt vielmehr zu Werken, die      Titelbild: Frank Stefanko
fanden die Behörden nach fast zweimonati-              fast schon vergessen sind. Oder noch immer
ger Geiselhaft im Kofferraum eines Renaults            wirken – bis zum heutigen Tag.                  Druck: Tagblatt Print, St. Gallen
in der Innenstadt Roms. Der grosse Logiker                                             Guido Global    Das nächste LOOP erscheint am 31.08.2018

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DER BOMBENDRUMMER
                                                                  keith moon
Keith Moon liebte die Pyrotechnik und
explodierte auch als Drummer wie ein
Knallkörper. 1978 starb er nicht ganz
unerwartet und machte damit ein frühes
Statement seiner Band The Who wahr.
«Not to be taken away» war auf den Stuhl gestempelt,
auf dem Keith Moon für das Cover der Who-LP «Who
Are You», erschienen im August 1978, posierte. Es schien
fast, als ob seine Bandkollegen dem sich abzeichnenden
Schicksal trotzen wollten. Der Lebenswandel von «Moon
The Loon» war mittlerweile so exzessiv und der Drummer
dermassen neben den Schuhen, dass man nie wusste, was
als nächstes geschehen würde. Doch dann ging alles so
schnell vorbei, wie die aufs Maximum verdichteten Sing-
les der Who aus ihrer Mod-Phase. Am 6. September 1978
besuchten Moon und seine Freundin Annette Walter-Lax
eine Party von Paul McCartney zu Ehren von Buddy Holly,
der seinen 42. Geburtstag gefeiert hätte, wäre er 1959 nicht
mit dem Flugzeug abgestürzt. Moon liess sich standesge-
mäss im Rolls-Royce vorfahren und trug zu Ehren des
Gastgebers ein «Wings»-T-Shirt: Ein denkbar unauffälliges
Outfit, wenn man an frühere Auftritte in Nazi-Uniformen
denkt. Der einstige «Pretty Boy» der Who wirkte fett und
aufgedunsen; dass er eben erst 32 geworden war, war kaum
zu glauben. Moon, dessen Alkoholkonsum ebenso masslos
wie sein Hang zum Exzentrischen war, verkündete, er sei
nüchtern und habe dem Alkohol abgeschworen.
Am nächsten Tag war er tot. Eine Überdosis Schlafmittel
hatte Moon das Leben gekostet. The Who und ihre Fans
waren am Boden zerstört. Dabei war die Band zu die-               ausgewrungen und mit dem Schweiss zwei ganze Weinglä-       witzige      Muppet-Show-
sem Zeitpunkt so aktiv wie schon lange nicht mehr. Ne-            ser gefüllt haben.                                          Charakter mit der gespal-
ben «Who Are You» hatte sie 1978 einen Film über die              Keith Moon war kein Mann für halbe Sachen. Wenn er          tenen Persönlichkeit, war
Bandgeschichte («The Kids Are Alright») veröffentlicht,           spielte, wollte das Schlagzeug auch die Rolle des «Lead»-   allerdings bei der nach-
eine Filmversion von «Quadrophenia» befand sich in der            Instruments übernehmen. «Seine Breaks hatten Melodie»,      kommenden        Generation
Pipeline. The Who ohne Keith Moon aber: Das war kaum              meinte Who-Bassist John Entwistle, «weil er im gleichen     ungemein beliebt. Er war
denkbar. Dennoch verkündeten Pete Townshend, Roger                Moment mit allen Musikern zusammenspielen wollte.»          ein     Ausnahmecharakter
Daltrey und John Entwistle schon in ihrem ersten State-           Mit Moon im Rücken vergrösserte sich der Aktionsradi-       und ein Schauspieler, der
ment nach Moons Tod, weitermachen zu wollen. An der               us von The Who rasch von den Pubs der Londoner Mods         seine dunklen Seiten hin-
Abdankung überbot sich die Rockprominenz mit Ehrerbie-            über die grossen europäischen Bühnen bis zu den Festivals   ter Tonnen von Trommeln
tungen. Die treffendste kam von Roger Daltrey. Statt eines        von Woodstock und der Isle of Wight. Auf Tour entwickel-    und einem Feuerwerk von
Kranzes gedachte er «seines» Drummers mit einer Flasche           te Moon immer mehr Rockstar-Marotten. Er liess wäh-         Witzen verbarg. «Hope I
Champagner, die in ein Fernsehgerät eingebaut war.                rend Fernsehshows Sprengsätze detonieren, zerstörte Ho-     die before I get old», hatte
                                                                  telmobiliar und steuerte Limousinen in Swimmingpools.       Roger Daltrey in der ersten
                  FAN DER US-BUBBLEGUMKULTUR                      Schlimmer war die Zeit, wenn die Band nicht unterwegs       grossen Who-Hymne «My
                                                                  war. Moon begegnete der drohenden Leere mit Alkohol         Generation»       gestottert.
Keith Moon liebte die Pyrotechnik und explodierte auch            und Drogen, seine Partyexzesse waren selbst in der deka-    Dass Keith Moon dieses
als Drummer wie eine Bombe. Seinen mächtigen Schlag               denten Rock-Schickeria der 70er berüchtigt.                 ultimative Statement seiner
hatte er beim britischen Ur-Rock-Drummer Carlo Little                                                                         Band ernst nahm, erstaunte
gelernt, doch bald stellte er seine Kollegen alle in den Schat-                DAS GEGENTEIL EINER RHYTHMUSMASCHINE           niemanden.
ten: Sein Spiel war spontan und kommunikativ, er fegte wie
ein gehetzter Stier über immer grössere Kits und streichelte      Als Drummer stiess Moon an Grenzen, als Townshend                   Sam Mumenthaler
und schlug seine Cymbals wie ein unberechenbarer Liebha-          immer konsequenter auf Loops und – wie auf «Who Are
ber. Moon war ein Fan der US-Bubblegumkultur: Er liebte           You» – auf Offbeats setzte. Moon war das Gegenteil einer
Surfmusik, schnelle Autos und Bikinis und verdiente sich          Rhythmusmaschine. Die Bilder von späten Konzerten, wo
seine Sporen bei der mediokren Londoner Surfcombo Pat             man ihn mit grossen Kopfhörern im Spiel mit der Tech-
Wayne and The Beachcombers ab. Seine Wege kreuzten                nik sieht, sind deprimierend und werden seiner explosiven
diejenigen der Londoner Band The Detours, aus der zuerst          Spielweise nicht gerecht. Doch da war Moon schon nur
die High Numbers und schliesslich die unvergleichlichen           noch ein Schatten seiner selbst.
The Who werden sollten. Der Zuzug des wilden Drummers             Mit dem klug analysierenden und kräftigen Album «Who
mit der Unschuldsmiene machte die Who erst zu Prototy-            Are You» trotzten The Who den Punks, die alternden
pen einer «Super»-Rockband. Nach dem ersten Konzert               Rockmillionären mit Drogenproblemen nichts als Hohn
soll sich Moon an einen Tisch gesetzt haben, sein T-Shirt         und Verachtung entgegenbrachten. Keith Moon, der irr-
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LAUTER ALS PUNK

paul mccartney und tony wilson

Im Frühling 1978 stand «Mull of Kintyre»                     te sich nur noch von Alkohol. Ohne Arbeit kam er sich
                                                             nutzlos vor, es war ihm aber egal, ob er was tat oder nicht.
                                                                                                                              McCartney die Aufnahmen
                                                                                                                              für das Album «London

während zehn Wochen an der Spitze der                        Die klassischen Symptome eines Burnouts also. «Aber in
                                                             der Tiefe meiner Verzweiflung war Linda hier und sagte:
                                                                                                                              Town».       Adoptivtochter
                                                                                                                              Heather kam in die Puber-

Schweizer Hitparade. Die Geschichte                          ‹Es wird gut werden, du kommst hier raus.› (…) Ich bin
                                                             nicht sicher, ob ich überlebt hätte, wenn ich alleine gewesen
                                                                                                                              tät und lebte diese mit Kon-
                                                                                                                              flikten mit Paul aus. Erneut

hinter dem Hit.                                              wäre.»
                                                             Wegen den Streitigkeiten waren Pauls Finanzen eingefro-
                                                             ren, die Familie lebte von Lindas Ersparnissen. «Es gab
                                                                                                                              kam es bei den Wings zu
                                                                                                                              einer Umbesetzung, Gitar-
                                                                                                                              rist Jimmy McCulloch zog
Im Jahr eins nach der Punkexplosion wäre «Boil Crisis» die   keine Möbel in der Farm, also baute ich ein Bett, habe eine      das Band- dem Farmleben
logische Single für Paul McCartney gewesen. Doch anstatt     Matratze über ein paar Kartoffelschachteln gelegt (…) Es         vor und schloss sich im
des Punkrockers veröffentlichte er den schottischen Walzer   war sprichwörtlich an der Zeit, das Haus neu zu bauen,           Sommer den Small Faces
«Mull of Kintyre», eine Ode an seine temporäre Heimat.       dann dass Zuhause und schlussendlich die Musik», so              an, Schlagzeuger Joe Eng-
Auf Anraten seines Treuhänders hatte Paul 1966 die High      Paul. Als Heimwerker renovierte er die Farm, in der Scheu-       lisch kehrte kurz nach den
Park Farm bei Campeltown auf dem Mull of Kintyre an          ne richtete er sich ein Studio ein, das zunächst Rude Studio,    Aufnahmen von «Mull of
der schottischen Westküste gekauft. Zunächst konnte er       später Spirit of Ranachan hiess. Fortan verbrachte Familie       Kintyre» – von Heimweh
nicht viel damit anfangen, da sie auf einem windigen Hü-     McCartney ihre Sommer in Schottland. Auf der Farm wur-           geplagt – in die USA zu-
gel stand und baufällig war. Erst 1969, nach seiner Heirat   de sie Vegetarier, plante und führte Paul den Rechtskrieg,       rück. Die Wings mit Paul,
mit Linda, die sich in die wildromantische Landschaft ver-   um aus den Verträgen mit den Beatles herauszukommen,             Linda und Denny Laine
liebt hatte, wurde die Farm zu McCartneys Refugium und       gründete mit Linda und Denny Laine die Wings, schrieb            waren also wieder das Trio
Arbeitsort.                                                  Songs und nahm Demos auf, bevor es jeweils im Herbst             von Ende 1973 und dem
                                                             zurück nach London und ins Showbusiness ging.                    Album «Band on the Run».
                          BURNOUT                                                                                             Wie ein guter Whiskey be-
                                                                                       DUDELSACK                              gann «Mull of Kintyre» zu
1969 zerbrachen die Beatles an ihren künstlerischen und                                                                       reifen. Paul hatte bemerkt,
geschäftlichen Differenzen. John Lennon wollte eine Schei-   Als er mit den Wings «Mull of Kintyre» auf seiner Farm           dass die schottischen Hym-
dung, es wurde eine Kampfscheidung. In der Dokumen-          aufnahm, waren McCartneys Lebensumstände besser als              nen älteren Datums waren.
tation «Wingspan» (2001) erinnert sich Paul: «Ich wurde      1969, doch er stand erneut vor beruflichen Problemen.            Im Sommer 1973 spielte
für ein paar Wochen verrückt.» Während Tagen verliess        Wie damals war Linda schwanger, nun mit James. Der               er eine erste Demoversion
er das Bett nicht, begann paranoid zu werden und ernähr-     Geburtstermin war Anfang September. Somit unterbrach             auf dem Klavier ein, 1976

                                                                             campbeltown pipe band mit joe english, linda und paul mccartney und denny laine
schrieb er den Refrain. An
einem Sommertag 1977
sassen er und Denny Laine
mit ihren Gitarren, Stift,
Papier und einer Flasche
Whiskey abseits der Farm
in einer Wiese, schauten
aufs Meer und vollendeten
den Song. Es war die üb-
liche Arbeitsweise, Laine
und McCartney halfen sich
bei ihren Songs gegenseitig
aus. Da Denny Laine ei-
nen grossen Teil zum Text
beigesteuert hat, erschien
«Mull of Kintyre» mit der
Autorenangabe McCart-
ney/Laine. Text und Mu-
sik drücken die Sehnsucht
nach einem Rückzugsort in
stressigen Zeiten oder nach
weiten Reisen aus.
Da es für Paul eine Lie-
beserklärung an die Regi-
on war, stellte er sich eine
Dudelsackbegleitung vor.
Hierfür kontaktierte er
Tony Wilson, den Pipe Ma-
jor der Campbeltown Pipe
Band. Die konservativeren
Mitglieder waren erst ge-
gen eine Mitwirkung, da
sie fürchteten, ihre Tradi-     Paul. Mit dem Punk galten die Bands der späten 60er und                                   MISSTÖNE
tion aufzugeben. Zunächst       frühen 70er als uncool. Glen Matlock wurde bei den Sex
aber musste Paul den Song       Pistols durch Sid Vicious ersetzt, da er die Beatles mochte     «Mull of Kintyre» stammt aus den Sessions zum Al-
wegen den Dudelsäcken           und seinen Bass wie Paul McCartney gespielt hatte. Mögli-       bum «London Town», das am 31. März 1978 erschien.
von C-Dur nach A-Dur            cherweise als Antwort auf diese Episode spielten die Wings      McCartney verzichtete jedoch darauf, den Song nach der
transponieren. «Wir sassen      den Punkrocker «Boil Crisis» ein, eine spöttische Persif-       Veröffentlichung als Single auf «London Town» zu neh-
in der Küche, und ich bat       lage mit Hauptakteur Sid im Song. Da Paul wusste, dass          men. «Es war falsch, ‹Mull of Kintyre› nicht auf das Album
ihn, etwas zu spielen, wäh-     ihm «Boil Crisis» übel genommen würde, verzichtete er bis       zu nehmen, dieses hätte sich weit besser verkauft. Doch
rend ich die Akkorde aus-       heute auf eine Veröffentlichung. Die Punks ihrerseits rock-     manchmal liebe ich solche unkommerziellen Entscheide»,
arbeiten wollte. Er meinte      ten landauf landab mit Punkmusik in den Clubs und Pubs          meint Paul rückblickend. Capitol Records, McCartneys
nur, wir gingen besser in       ab und legten danach zum Chillen «Mull of Kintyre» auf.         US-Label, entschied, für Kanada und die USA, lediglich
den Garten, Dudelsäcke          Stieftochter Heather hing zum Missfallen Pauls in der           «Girls School» als A-Seite zu nehmen. Während «Mull of
seien sehr laut», so Paul in    Punkszene ab, zuhause liess sie die Sex Pistols und The         Kintyre» weltweit die Chartspitzen erklomm, gab es in Ka-
«Wingspan». Am Abend            Damned laufen. 1979 konnte Heather bei den Aufnahmen            nada nur einen 34. und in den USA einen 33. Rang. Als
des 9. August 1977 kam          eines weiteren unveröffentlichten Punksongs, «MAS», die         Folge wechselte McCartney Ende 1978 mit dem damals
die 14-köpfige Campbel-         Backvocals shouten.                                             höchstdotierten Vertrag für sechs Jahre zu Columbia.
town in vollem Habitus                                                                          Denny Laine, der seit 1971 von McCartney einen Wochen-
mit Kilt und Bärenfellmüt-                                 PORNO                                lohn für seine Arbeit bei den Wings erhielt, fragte nach
ze auf die Farm. Die Auf-                                                                       den Millionenverkäufen von «Mull of Kintyre» nach ei-
nahmen fanden neben der         Offiziell bestreitet das British Board of Film Classification   nem Bonus. Doch Paul lehnte ab. Als Denny Laine später
Scheune statt. Die Band         den Mull-of-Kintyre-Test als Zensurmass. Bei diesem darf        Schwierigkeiten mit den Steuern hatte, kaufte ihm Paul
hatte das Arrangement           ein erigierter Penis nicht in grösserem Winkel vom Körper       die Songrechte ab. Die Mitglieder der Campbeltown Pipe
geprobt, und so war die         abstehen als der Vertikalwinkel der Halbinsel Kintyre, um       Band wurden bar mit 30 Pfund pro Mann entlöhnt, für den
Aufnahme in einem Take          nicht als Pornografie gewertet zu werden. Pornos standen        Videoclip erhielten sie 300 Pfund.
im Kasten. Danach offe-         am Anfang des zweiten Songs der Single, «Girls School».
rierte Paul Sandwiches und      Paul schrieb den Song im November 1975 während den                                          ERBE
schubkarrenweise Bier. Es       Ferien auf Hawaii, in derselben Woche wie «Silly Love
gab eine Party, an der die      Songs». Ihm waren im Anzeigenteil einer Zeitung die Film-       Nach der Veröffentlichung stieg der Tourismus in der Re-
Jugendlichen in der Band        titel der Pornokinos aufgefallen: «Ich mochte nur die Titel     gion Kintyre um 20 Prozent an. Mit 2,1 Millionen ver-
nicht mitfeiern konnten, da     davon, und so nahm ich alle, die ich auf der Seite finden       kauften Exemplaren in England war «Mull of Kintyre» bis
sie anderntags zur Schule       konnte, und machte einen Song daraus.» So heisst es im          1984 die meistverkaufte Single und ist bis heute die erfolg-
gehen mussten.                  Text: «Sleepy Head, Kid Sister; 18 years and younger, boy,      reichste Non-Charity-Single. Diesen Rekord hielt Paul be-
                                Yuky’s a cool school mistress, head nurse is sister scala       reits, mit den Beatles und «She Loves You». Am 14. Januar
            PUNK                now she's a spanish doll…»                                      1978 stieg «Mull of Kintyre» auf Rang 12 in die Schweizer
                                Eingespielt haben die Wings «Girls School» während den          Hitparade ein, zwei Wochen später war die Single Nummer
Einerseits    wollte    Paul    ersten Aufnahmen zum Album «London Town». «Girls                1 und blieb dies für zehn Wochen (eine Woche länger als
«Mull of Kintyre» als Sing-     School» ist ein Uptempo-Rocksong, den die Marketingspe-         in Grossbritannien), ehe sie sich am 24. Mai mit einem 14.
le veröffentlichen, anderer-    zialisten bei EMI als A-Seite veröffentlichen wollten. «In      Platz daraus verabschiedete. Dennoch ist «Mull of Kinty-
seits hatte er grosse Zwei-     meinem Fall müssen Künstler und Plattenfirma mit einer          re» nicht sein erfolgreichster Song, «Hope of Deliveran-
fel: «Ich hätte es fast nicht   Veröffentlichung einverstanden sein», so Paul. Er wollte        ce» verkaufte sich 1993 vier Millionen Mal, vor allem in
veröffentlicht… zu dieser       «Mull of Kintyre» als A-Seite haben, man einigte sich auf       Deutschland und Lateinamerika.
Zeit war alles Punk», so        eine Doppel-A-Seiten-Single.                                                                                     Yves Baer
Inserat im LOOP vom 6.07.2018
    SZENE
Konzerte 6.07.2018 bis 30.08.2018

IG Rote Fabrik
Seestrasse 395
8038 Zürich
info@rotefabrik.ch                                             Di. 10.7.18 Am See 19:30
                                                               Zischtigmusig
Tel. 044 485 58 58
Fax. 044Samstag
          485 5831.7.
                 59     20Uhr20                                ALBERT HAMMOND JR
        G.RAG  Y LOS                GIIGESTUBETE
                                    Sonntag, 9.9. / 7.10. /
                                                               & THE LEGENDARY LIGHTNESS
        HERMANOS PATCHEKOS          11.11. / 2.12. 18Uhr18
                                                               Mi. 18.7.18 Am See 19:30
        Samstag 1.9. 20Uhr20                                   Sugarshit Sharp
        TOMAZOBI                    JODLEREI Sonntag,
                                    26.8. / 30.9. / 21.10. /
                                                               ALGIERS
        Montag 3.9. 20Uhr20         25.11. / 16.12. 18Uhr18    DOMI CHANSORN
        PAUL UBANA JONES
                                                               Mi. 25.7.18 Am See 19:30
        Montag 10.9. 20Uhr20
        DELANEY DAVIDSON TICKETS:                              Zischtigmusig
                         Erhältlich direkt
        Samstag 15.9. 20Uhr20       am el Lokalen
                                                               DEAD COMBO
                                                               & Support
        LOS GATILLOS                Tresen und auf
                                    ticketino.com
        Samstag 22.9. 20Uhr20                                  Sa. 28.7.18 Am See 19:30
        NAKED IN ENGLISH CALSS
                                    Gessner-Allee 11           STADTSOMMER                                                          Di 17.7.18 > Theater 11 Zürich

                                                                                                                                    David Byrne
        Samstag 29.9. 20Uhr20       8001 Zurigo Isola          EGOPUSHER / ESTER POLY
        PRINCE JELLEH               www.ellokal.ch

                                                                         Vorverkauf: www.starticket.ch                              American Utopia Tour 2018 • CH-exklusiv!

                                                                Eintritt frei für Personen des Asylbereichs. Nur
                                                                  solange verfügbar. Ausweis N/F vorweisen.
                                                                                                                                    Do 19.7.18 > Kaufleuten Zürich

                                                                                                                                    Southside Johnny
                                                                                                                                    & the Asbury Jukes
                                                                                                                                    Soultime! • CH-exklusiv!

                                                                                                                                    Di 14.8.18 > Kaufleuten Zürich

                                                                                                                                    Grizzly Bear
                                                                                                                                    Painted Ruins-Tour 2018

                                                                                                                                    Fr 14.9.18 > Kaufleuten Zürich

              Seestrasse 407 - 8038 Zürich - 044 481 62 42 - www.ziegelohlac.ch
                                                                                                                                    The Aristocrats
                                                                                                                                    Die Prog-Rock-Supergroup • CH-exklusiv!

                                                                                                                                    Di 25.9.18 > Volkshaus Zürich

                                                                                                                                    José González
                                                                                                                                    Performing with The String Theory – Tour 2018

                                                                                                                                    Fr 5.10.18 > Kaufleuten Zürich

                                                                                                                                    William Fitzsimmons
                                                                                                                                    & Joshua Radin
                                                                                                                                    Zwei Singer-Songwriter der Extraklasse

                                                                                                                      Programm/Tickets: www.allblues.ch           /AllBlues.Konzerte

                                                                                                                     www.ticketcorner.ch • Alle Ticketcorner • Post • Manor

                                                                                                   Sounds
                                                                                                   better
                                                                                                  with you!
                                                                                                 loopzeitung.ch
                                                                                                               10 Ausgaben kosten 33 Franken.
AVANTGARAGE
«The Modern Dance» und «Dub                                       Pere Ubu waren keine intellektuellen Avantgar-
                                                                  disten, sondern eine intuitive «Avantgarage»-

Housing»: Pere Ubu legten 1978                                    Band, eine Folk-, keine Kunstcombo; sie waren
                                                                  lieber Erneuerer als Ikonoklasten, und statt das

zwei Alben vor, die damals                                        Populäre zu verdrängen, jonglierten sie mit des-
                                                                  sen Versatzstücken.

stilprägend waren und heute                                       Von Pere Ubu gespielt, mutierten die wohltem-
                                                                  perierten Pop-Harmonien indes zu unberechen-

unbestrittene Klassiker sind.                                     baren Achterbahnfahrten durch Bilder urbaner
                                                                  Entfremdung und industrieller Verelendung. Aus
                                                                  den Abgründen jedoch schallte immer wieder
«The Modern Dance» beginnt mit einem unan-                        anarchisches Gelächter: Mehr als das Entsetzen
genehmen Pfeifen, in das sich ein nachlässiges,                   umkreisten Pere Ubu halluziniert die schwarzen
Spannung erzeugendes Gitarrenlick einmischt                       Löcher des Absurden, und der Alptraum kipp-
– bis ein scharfes Gitarrenriff die Sirene weg-                   te in ein existenzielles Grand Guignol, das die
bläst und David Thomas zu einem verzweifelten                     Kinder das Lachen und die Erwachsenen das
Abgesang auf die Liebe ansetzt. «Nonalignment                     Fürchten lehrte – genau wie Alfred Jarrys Pup-
Pact» ist der perfekte Einstieg in ein perfektes                  pengroteske «Ubu Roi» von 1896.
Debüt, das auch vierzig Jahre später modern
klingt. Nach einer Handvoll epochaler EPs leg-                                  RASANTE ENTWICKLUNG
ten Pere Ubu 1978 mit «The Modern Dance»
ein Album vor, das seine Wut, Energie und sei-                    Die Intensität ist beeindruckend. «The Modern
nen Humor dem Punk verdankte, aber viel wei-                      Dance» nahmen Pere Ubu 1977 auf, «Dub
ter vorwärtsdrängte und ausschwärmte, als es                      Housing» 1978, beide Alben erschienen 1978.
Punk damals erlaubte.                                             Es musste schnell gehen, die Dringlichkeit war
                                                                  hoch, und die Entwicklung der Band kompro-
          DIE UNTERGEGANGENE ZIVILISATION                         misslos. Bot «The Modern Dance» – abgesehen
                                                                  vom experimentellen «Sentimental Journey»
Cleveland, Ohio, 1975. Das Zentrum der von                        und dem abschliessenden «Humor Me» im
der Erdölkrise besonders stark gebeutelten In-                    windschiefen Pseudo-Off-Beat – weitgehend
dustriestadt ist wie ausgestorben. «Die Stahl-                    scharfen, schroffen, mit schrillem Krach ver-
hütten», erinnerte sich David Thomas an die                       setzten und psychedelisch zugespitzten und kli-
Anfänge von Pere Ubu, «waren für uns die gi-                      scheefreien Rock’n’Roll, lösten sich auf «Dub
gantischen Skulpturen einer untergegangenen                       Housing» die Songstrukturen auf. Neben dem
Zivilisation, die damit ihre Träume, Hoffnungen                   grossartigen Schunkler «Ubu Dance Party»,
und Ambitionen ausgedrückt hatte.»                                dem mitreissenden «Drinking Wine Spodyody»
Das Interview fand 1988 statt. David Thomas                       und dem bizarren «Caligari’s Mirror» standen
lag, die Augen geschlossen, auf dem Hotelbett;                    dunkle Geräuschalbträume wie «Thriller!» oder
ich sass auf dem anderen Bett, das Mikrophon                      «Blow Daddy O» und verstörende Miniaturen
stand zwischen uns auf dem Nachttisch. Eine                       wie «Codex».
surreal wirkende Samstagnachmittagsendung                         «New Picnic Time» (1979) war noch experi-
mit Tieren und Kindern flimmerte über die                         menteller und vor allem sehr kühl, auf «The Art
stumme Mattscheibe.                                               of Walking» (1980) zerfiel die Musik in ihre Be-
«Wir lebten in Cleveland nicht wie in einem In-                   standteile, um auf «Songs of the Bailing Man»
dustriezentrum, sondern wie in einem Kunstmu-                     (1982) zu neuem, jazzigem Drive zu finden.
seum. Abends desertierten die Bewohner in die                     Dann lösten sich Pere Ubu zum ersten Mal auf.
Vorstädte und überliessen uns das leere Stadt-                    «Auch heute scheinen wir nirgendwohin zu pas-
zentrum. Wir waren urbane Pioniere. Wir waren                     sen, wie gestern, wie morgen. Manchmal frage
jung, und uns gehörte etwas, das sonst niemand                    ich mich wirklich, warum wir es überhaupt
wollte. Nun war sie tot, diese Zivilisation, und                  tun.» Das sagte David Thomas 1988, und ver-
die Menschen fürchteten sich davor, weil sie                      mutlich würde er es auch heute noch sagen. Ein
diese Zivilisation nicht verstanden. Unsere Be-                   Aussenseiter ist Thomas, das einzige verbleiben-
ziehung mit dieser Umgebung war jedoch eng                        de Gründungsmitglied von Pere Ubu, geblieben,
und intensiv.»                                                    gleichzeitig aber einer der interessantesten und
                                                                  kompromisslosesten Musiker seiner Generation.
                PROTOPRÄPOSTPUNK                                  Mit «20 Years in a Montana Missile Silo» leg-
                                                                  te die aktuelle Inkarnation von Pere Ubu letztes
Pere Ubu – herausgewachsen aus Clevelands                         Jahr ihr bestes Album seit Langem vor – es weck-
legendärer Proto-Punk-Band Rocket From The                        te Erinnerungen
Tombs – schufen auf «The Modern Dance»                            an «The Mo-
und «Dub Housing» den Soundtrack für ihre                         dern     Dance».
Geisterstadt: Sie verbannten die Pop-Klischees                    Ein      weiterer
der Seventies in die heimeligen Vororte und ver-                  Beweis für die
schweissten schroffe Gitarrenriffs, zerbrochene                   Zeitlosigkeit des
Rhythmen, unkontrolliert lärmende Synthesizer                     Debüts.
und David Thomas’ abartige Stimmkünste zu
ruppigen Prä- und Post-Punksongs und abstrak-                            Christian
ten Industrie-Klangskulpturen.                     pere ubu                Gasser
S T F
                                       F E AF
                                    E R FR
                                  M    R I F
                                M
                            SO UMS
                             N D
                          RU

                                     O N Z E RT E
                                   K          C E S
                                     RM  A N
                               PERFO           DJs

 1 8 . 8 .18         ÄT
            B I S S P
14 U  H R
KAMPF UM DIE KARRIERE
                                                              bruce springsteen
Bruce Springsteen wäre nach dem
Erfolg von «Born to Run» beinahe
zerbrochen. Doch dann erschien
«Darkness on the Edge of Town».
«Es war die beste und zugleich schlechteste aller Zei-
ten... Meistens war es die schlechteste aller Zeiten.» So
beschreibt Bruce Springsteen selbst in den Worten von
Charles Dickens in seiner Autobiografie die Phase nach
dem Durchbruch mit «Born to Run» im Jahr 1975 und vor
dem Nachfolger «Darkness on the Edge of Town» drei Jah-
re später. Mit «Born to Run» hatte der damals 25-Jährige
endlich alle Vorschusslorbeeren in die Tat umgesetzt und
nach langen obsessiven Studiokämpfen ein epochales Werk
abgeliefert, das nicht nur die Kritiker entzückte, sondern
auch kommerziell durchstartete, Platz 3 der US-Charts er-
reichte und sich über zwei Jahre in den Top 100 halten
sollte. Nach Jahren des unermüdlichen Tingelns durch
kleine Clubs und einem Leben am Existenzminimum war
er plötzlich ein gefragter Mann, der sich in Holmdel, New
Jersey, für siebenhundert Dollar im Monat eine Sechzig-
Hektar-Farm und eine Sechziger-Corvette leisten konnte.
Er hätte den neuen Ruhm geniessen können, doch be-
kanntlich führt Geld allzu oft im Leben bloss zu Streit und
Zwist. So auch bei Springsteen. Denn als sein Manager
Mike Appel nach dem Erfolg von «Born to Run» schnell
einen neuen Vertrag über fünf weitere Jahre mit ihm ab-
schliessen wollte, wurde Springsteen stutzig. Und das zu
Recht. Es stellte sich heraus, dass die alten Verträge un-
säglich waren. Doch Springsteen hatte sie – naiv, wie er
war – unterschrieben. Jetzt pochte er auf eine faire Ent-
lohnung für seine Hitplatte, die Appels Konto immerhin
um 500 000 Dollar bereichert hatte. Appel weigerte sich,

                                                                                                                                                      Frank Stefanko
nachzubessern, es wurde unschön. Die Sache ging vor Ge-
richt. Nach langen, zähen Verhandlungen kam es letztlich
zu einer aussergerichtlichen Einigung, die Springsteen in
den Privatkonkurs trieb. Dafür erhielt er aber wenigstens
die Rechte an seinen Alben zurück, was sich langfristig als   jetzt mit der düsteren Sei-   try- und Folkmusik von Hank Williams und Woody Gu-
Goldgrube erweisen sollte.                                    te des amerikanischen         thrie für sich. Statt Bombast suchte er danach, die Energie
                                                              Traums, den Verlierern, der   und die Wut des Punk in seine Musik zu integrieren.
            ALKOHOL, ANWALTSKOSTEN, ARBEITERKLASSE            Arbeiterklasse. Sein Vater    «Darkness war meine Samurai-Platte, sie war auf das Nö-
                                                              hatte sich von Job zu Job     tigste abgespeckt und voller Kampfbereitschaft», schrieb
Springsteen wäre an dieser Phase beinahe zerbrochen. Er,      durchgeschlagen, er selbst    er 2016 in seinen Memoiren «Born to Run». Auch op-
der immer nur Musik machen und live auftreten wollte,         war in einfachen Verhält-     tisch war die Veränderung zu sehen. Auf dem Cover sieht
wurde durch eine einstweilige Verfügung von Appel dar-        nissen aufgewachsen. Statt    man ihn völlig ungeschminkt und unglamourös im billi-
an gehindert, ein neues Album aufzunehmen. Er fing an         über Eskapismus schrieb er    gen T-Shirt, hungrig und ausgelaugt. Patti Smith, an die
zu trinken, trieb sich rum. Desillusioniert und deprimiert    jetzt über eine abgeschlos-   Springsteen gerade den Song «Because the Night» abgetre-
kämpfte er um seine Würde und sein Werk. Bis es schliess-     sene Welt ohne Fluchtmög-     ten hatte, vermittelte den Kontakt zum Fotografen Frank
lich endlich zur Einigung kam. Zu den hohen Anwaltskos-       lichkeiten. Er schaute ame-   Stefanko, der viele von Smiths berühmten Bildern gemacht
ten kam noch hinzu, dass die Steuerbehörde auf Springsteen    rikanische Noir-Filme, las    hatte. «Darkness on the Edge of Town» erschien am 2. Juni
aufmerksam geworden war. Er hatte all die Jahre weitab        Flannery O’Connor, James      1978. Auch ohne echte Hitsingle kam das Album bis auf
von normalen Einkommensverhältnissen existiert, sodass        M. Cain, John Cheever         Platz 5 der US-Charts und hielt sich dort ebenfalls fast zwei
er nie auf die Idee gekommen war, Steuern zu zahlen. Und      oder Jim Thompson und         Jahre. Bis heute sind etliche der zehn Songs des Albums fes-
als jetzt Einnahmen zu verzeichnen waren, hatte sein Ma-      entdeckte die nackte Coun-    ter Bestandteil seines Live-Programms. 2010 erschien mit
nager ihm mitgeteilt, die würden durch laufende Kosten                                      «The Promise: The Darkness on the Edge of Town Story»
aufgefangen. Aber er war auf dem Cover von «Time» und                                       eine Box mit 3 CDs und 3 DVDs, darunter 21 unveröffent-
«Newsweek», musste also reich sein. Bis 1982 und Millio-                                    lichte Songs von den Albumsessions mitsamt Making-of
nen verkaufte Platten sollte es seinen Worten nach dauern,                                  und diversen Konzertmitschnitten. Bereits zuvor wurden
bis er seine Schulden wieder abgetragen hatte.                                              weitere unveröffentlichte Albumaufnahmen auf dem Box-
Als er sich schliesslich 1977 endlich wieder der Musik zu-                                  set «Tracks» öffentlich gemacht. Und vermutlich gibt es in
wandte, hatte sich vieles verändert. Elvis war gestorben,                                   irgendwelchen Archiven noch weitere Songs und Aufnah-
Punk war das neue Ding, die Welt war finsterer geworden.                                    men, die eines Tages ans Licht kommen. Ich hätte nichts
Statt mit Aufbruch und dem Drang nach Freiheit – den                                        dagegen.
Themen von «Born to Run» – befasste sich Springsteen                                                                                   Markus Naegele
ER TOBTE GEGEN ALLES
Warum Elvis Costellos zweites Album                               Buell, die ihre Karriere als
                                                                  Fotomodell in New York
                                                                                                 laut, seine Band spielte präzis und voller Energie, er drosch
                                                                                                 mit schweissnassem Gesicht auf seine Gitarre ein und schrie

mein Leben veränderte: Bekenntnis                                 begann und sich später als
                                                                  Schauspielerin,     Sängerin
                                                                                                 wie ein Verrückter: «I’m not angry! I’m not angry!»
                                                                                                 In seinen Songs verhöhnte er Ronald Reagan als Astro-

eines braven Jungen.                                              und Autorin durchsetzte.
                                                                  Genau genommen handelt
                                                                  das ganze Album von dem
                                                                                                 nauten im Weissen Haus und kündigte an, auf Marga-
                                                                                                 ret Thatchers Grab herumzutrampeln. Seine dritte Platte
                                                                                                 sollte «Emotional Fascism» heissen, auf anderen sang er
                             Ich war 19 Jahre alt, halb-          Zuviel der Gefühle und         von den «Aschenbechern der Gefühle» und «japanischen
                             langes, blondes Haar, matu-          dem Zuwenig, von Begeh-        Jesusrobotern», von den «Schlafzimmer-Alibis» und den
                             riert, aber naiv. Ich befand         ren und Einsamkeit, Lei-       «Disney-Schlachthöfen» sowie dem unstillbaren Verlan-
                             mich zum ersten Mal in               denschaft und Ekel. Noch       gen, «deinen schönen Hals zu brechen, um zu sehen, wie
                             London, zum Englischler-             später wurde mir klar,         er sich am besten dreht». «If you’re out of work or out
                             nen, das waren für mich              dass Elvis Costello damals     of luck», höhnte er auf «Oliver’s Army», seiner Satire auf
                             zwei Superlative in einem. Es        dauernd wütend war. Der        den britischen Imperalismus, «we can send you to Johan-
                             war der Sommer 1978, als in          Mann lag im Streit mit         nesburg.» Seine liebste Theaterfigur bleibt Shakespeares
                             England der Punk nachglüh-           allen, nicht nur mit sich      Macbeth. Als Motiv für seine Arbeit nannte er «Rache und
                             te. Ich brachte es fertig, in        selber. Sein Blick war aus-    Schuld». Declan Patrick Aloysius MacManus, wie Costello
diesen vier Monaten praktisch nichts davon mitzubekom-            druckslos und kalt. Über       bürgerlich heisst, ist in London geboren, aber sein Vater
men. Ich ging zu Konzerten von Bob Dylan, Eric Clapton,           liederliche Veranstalter und   kam aus Irland.
Frank Zappa, Peter Gabriel oder Emmylou Harris. Ich hat-          Journalisten führte er ein     Der Sohn singt immer noch, tritt auf, macht neue Platten
te Freude an «Some Girls», der neuen Stones-Platte, ich las       Schwarzbuch. Nach sei-         oder gibt alte heraus mit unzähligen Varianten, Outtakes
jede Woche den «New Musical Express» und den «Melody              nem ersten Gastspiel am        und Erläuterungen. Wie Neil Young ist er unersättlich von
Maker». Trotzdem verpasste ich alles, was damals lief.            amerikanischen Fernsehen       seinem Talent überzeugt, Selbstkritik ist nicht seine Stärke.
                                                                  gab der Sender ihm vier-       Manchmal wünsche ich mir, er würde sich für ein neues
                  WIE NÄGEL AUF DER WANDTAFEL                     jähriges Auftrittsverbot. An   Projekt mehr Zeit lassen. Aber so ist er halt, so soll er blei-
                                                                  den Konzerten bellte er sein   ben, und an seinen Konzerten bleibt er unerreichbar gut.
So ging ich denn, ein Anachronist aus einem Provinzland,          Publikum an, verliess die      Ich liebe viele seiner Songs und habe viele seiner Platten
an einem englischen Sommermorgen zur Sprachschule.                Bühne grusslos und ohne        daheim, aber «This Year’s Model» bleibt die schönste für
Plötzlich, ich weiss noch die Stelle an der Dukes Avenue          Zugabe, beschimpfte ande-      mich: Sie hat mein braves Leben verändert wie fast kein
in Muswell Hill, fühlte sich mein Transistorradio an, als         re Musiker als Ignoranten,     anderes Album meiner Jugend. Elvis lives.
würde es zerspringen. Alles klang auf einmal lauter, wilder,      war oft betrunken. Seine
wacher, gefährlicher. Der Schlagzeug klopfte einen zeitlu-        Auftritte waren kurz und                                               Jean-Martin Büttner
penhaften Beat, das Gitarrenriff kratzte wie Nägel auf ei-
ner Wandtafel, der Bass klang bedrohlich schwer, die Orgel
machte mit. Dann setzte der Sänger ein mit seiner Rost-
stimme, wüst, höhnisch und ausser sich vor Wut.

         «See her pictures in a thousand places
         ’cause she’s this year’s girl
         You think you all own little pieces of
         this year’s girl
         Forget your fancy manners
         Forget your English grammar
         ’Cause you don’t really give a damn
         about this year’s girl.»

Das war das erste Mal, dass ich Elvis Costello hörte, und
mir war klar, dass alles Bisherige alt klang im Vergleich zu
dem, was ich jetzt entgegengeschleudert bekam. Dass ich
verschlafen hatte, was jetzt passierte. Dass ich keine Ah-
nung von der Welt hatte und vom Hass in der Liebe.
Am selben Tag fuhr ich mit der Northern Line zu meinem
Plattenladen nach Camden Town, um herauszufinden, wie
diese Platte hiess: «This Year’s Model», ich kaufte sie so-
fort; jedes Stück drauf klang aufregend: all killer, no filler.
Ausserdem sah Costello auf dem Plattencover genau so
aus, wie er sang. Man sieht ihn hinter einer Hasselblad-
Kamera stehen, ein dünner Mann mit Hornbrille und Kra-
watte, und er schaut unglaublich hässig drein. «Lass ’Hotel
California’ von den Eagles laufen», wies er den Fotogra-
fen Chris Gabrin an, «denn ich hasse dieses Lied, und ich
möchte auf dem Cover so wütend aussehen wie nur mög-
lich.» Es gelang.

                  MIT SCHWEISSNASSEM GESICHT
Später erfuhr ich, dass «This Year’s Girl» als Hassliebeslied
an Costellos damalige Geliebte gelesen werden kann, Bebe
                                                                                                                                                  elvis costello
ALTERSFRAGEN
   debbie harry                                                                                  susanne loacker                 Mick Jagger und schaue,
                                                                                                                                 wie die Kommentare da so
                                                                                                                                 lauten...
                                                                                                                                 M: Ja!
                                                                                                                                 F: Haha, was denkst du?
                                                                                                                                 Was habe ich gefunden?
                                                                                                                                 M: «So krass rockt das Ur-
                                                                                                                                 gestein noch heute.»
                                                                                                                                 F: «Alles andere als zahm
                                                                                                                                 sieht Mick Jagger aus, wenn
                                                                                                                                 er auf der Bühne steht.»
                                                                                                                                 Aber auch: «Did Mick Jag-
                                                                                                                                 ger cheat on his pregnant
                                                                                                                                 girlfriend?»
                                                                                                                                 M: Stimmt, die Männer sind
                                                                                                                                 ja dann die bösen Betrüger,
                                                                                                                                 wenns in die Richtung geht.
                                                                                                                                 Aber nichts Abschätziges
                                                                                                                                 übers Aussehen.
                                                                                                                                 F: Also, meine ultrakurze
                                                                                                                                 Recherche ergibt: Grund-

   Mit «Parallel Lines» stiegen Blondie                          Ausnahme von «Parallel Lines», dem ersten Album – nur
                                                                 schlecht damit anfreunden.
                                                                                                                                 sätzlich geht es bei Mick
                                                                                                                                 Jagger darum, dass die

   1978 ins Musikgeschäft ein, angeführt                         M: Geht mir ähnlich. Woran liegts bei dir?
                                                                 F: Irgendwie sagt mir die Musik stilistisch einfach zu wenig
                                                                                                                                 Stones ein neues Album
                                                                                                                                 rausgegeben haben, oder

   von Sängerin Debbie Harry. Wie hat sie                        zu. Und ich finde, auf dem ersten Album drang der Punk in
                                                                 ihr noch am ehesten durch. Danach wurde es mir zu belie-
                                                                                                                                 wie gut ihre Musik immer
                                                                                                                                 noch klingt, oder wie gut

   die Rolle der Frau geprägt? Ein Dialog.                       big. Ich habe sie vor einigen Jahren am For Noise Festival
                                                                 gesehen und hatte mich gefreut, diese Koryphäe live zu se-
                                                                 hen. Aber leider war die Show ein Desaster.
                                                                                                                                 er noch aussieht trotz des
                                                                                                                                 fortgeschrittenen Alters...
                                                                                                                                 Schon traurig.
   M: Wie hast du Blondie respektive Debbie Harry kennen-        M: Warum?                                                       M: Aber halt leider Realität.
   gelernt?                                                      F: Der Drummer sass hinter einer Plexiglas-Wand, das war        Ich habe mir vorgenom-
   F: Ich hatte vermutlich «Heart of Glass» schon Dutzende       fürchterlich. Und von ihr kam keine Energie, sie wirkte müde    men, meine Energie nicht
   Male am Radio gehört – meine Mutter hörte tagsüber zu-        und abgekämpft. Aber da war sie auch schon etwas fortge-        mehr so sehr darauf zu ver-
   hause immer Radio. Aber ich wusste kaum, dass das Blondie     schrittenen Alters, davor habe ich natürlich schon Respekt.     wenden, mich über solche
   war. Später dann «Maria», Generation MTV halt. Und du?        M: Oh nein! Aber eh, ich hätte wohl nicht mal jetzt die         Dinge aufzuregen. Sondern
   M: Das ist mir fast ein bisschen peinlich, aber ich glaube,   Energie, eine Bühnenshow durchzuziehen.                         daran zu arbeiten, es besser
   als Teenie habe ich im H&M ein T-Shirt mit dem Blondie-       F: Ich auch nicht. Hast du sie mal live gesehen?                zu machen.
   Aufdruck gesehen und mich gefragt, was denn das für eine      M: Nein, habe ich nicht, muss aber auch sagen, dass es          F: Ja, und damit auch zu be-
   Band ist. Wohlgemerkt: Als Teenie in der Phase, in der ich    mich nie gross gereizt hat. Lustig eigentlich. Weil auf dem     weisen, dass man selbstbe-
   nur Britney Spears und Christina Aguilera gehört habe.        Papier erfüllt Debbie Harry alles, was ich sonst abfeiere:      stimmt und sexy und eman-
   F: Das geht den Kids wohl heute so, wenn sie im H&M           Eine selbstsichere Frau, die ein Genre augenscheinlich im       zipiert sein kann.
   Shirts mit Nirvana- oder Joy-Division-Aufdruck kaufen.        Alleingang neu geprägt hat – für andere Frauen. Madonna         M: Genau. Und dadurch,
   Dabei war Debbie Harry ja Punk, bevor sie Mainstream          und die ganzen Riot Grrrls.                                     dass ich einfach mehr über
   wurde. Eigentlich war es ja ähnlich wie bei Liz Phair: Eine                                                                   Frauen schreibe, mehr an-
   attraktive junge Frau, die eine Verfechterin der Emanzipa-                               ###                                  dere Frauen zitiere und so
   tion war, die aber wegen ihres Aussehens mehr als Cover-                                                                      weiter. Und zwar ohne, dass
   girl denn als Künstlerin mit einer kritischen Haltung wahr-   F: Eine feministische Frage: Fotomodell/Serviceangestellte in   ich dann noch extra das
   genommen wurde.                                               einer Playboy-Bar und Aushängeschild für Emanzipation –         «Frauenlabel» dranhänge.
   M: Wobei ich mich da jeweils frage: Wer hat diese Denk-       geht das zusammen?                                              Alles, was Männer schon so
   weise geprägt? Männer, die für andere Männer in Mu-           M: Uff, eine vielschichtige Thematik. In erster Linie finde     lange auch selbstverständ-
   sikmagazinen geschrieben haben? Ich kann mir sehr gut         ich: ja. Wenn es selbstbestimmtes Arbeiten ist. Aber dann       lich machen.
   vorstellen, dass Debbie Harry für viele junge Frauen eine     wiederum: Wenn ich mich beispielsweise für den «Playboy»        F: In diesem Sinne: Wir ha-
   prägende Figur war und immer noch ist. Aber vor allem zu      ausziehe, weil ich mich gerne zeige und dazu beitragen will,    ben viel von Dir gelernt, De-
   Zeiten des Punk.                                              ein positives Körperbild zu verbreiten, dann trage ich mit      bbie. Danke dafür!
   F: Ich habe gestern noch nach Bildern von Debbie Harry        diesen Bildern dennoch gleichzeitig dazu bei, ein System, das
   gegoogelt. Und auf fast jeder Seite steht etwas wie «Die      Frauen(körper) wie Produkte behandelt, aufrecht zu erhal-                Fabienne Schmuki
   besten Bilder von Debbie Harry, als sie noch gut ausge-       ten. Für Debbie Harry aber waren die Jobs, beispielsweise                 und Miriam Suter
   sehen hat». Schon krass, wie sie jetzt einfach nicht mehr     im Playboy-Club, ja auch ein Befreiungsschlag von ihrem
   gleich respektiert wird.                                      Elternhaus.
2017                                                             F: Gerade für eine Frau in jener Zeit muss das schon ver-
                             ###                                 dammt schwierig gewesen sein, anderen unbequem auf die
                                                                 Füsse zu treten. Und ich meine: Frau darf natürlich selbstbe-
   F: Wie gut kennst du denn Blondies Musik? Abgesehen von       stimmt und sexy sein.
   den Hits?                                                     M: Ja schon, aber eben: Wenn du älter bis, dann schreiben
   M: Ich würde meine Kenntnisse als durchschnittlich be-        alle drüber, wie du aussiehst. Wobei, das passiert Frauen ja
   zeichnen. Du?                                                 so oder so, fast egal, was sie tun.
   F: Ich habs immer wieder versucht, kann mich aber – mit       F: Ich mache ein Experiment: Ich google mal Bilder von
SZENE
 LI V E
           KONZERTE          LI V E
                2018

               8.AUGUST

  STEFANIE STAUFFACHER (CH)                                    Auf
               9.AUGUST                                        Mass
          ROOTWORDS (CH)
               12.AUGUST

           TOOTARD (PS)
               13.AUGUST

          DIE NERVEN (DE)             Perspektiven finden!
               14.AUGUST

           JESSIQUOI (CH)             Standortbestimmung &
                                      Laufbahnberatung
               15.AUGUST

          KT GORIQUE (CH)

             WWW.ALBANI.CH              klippklang.ch info@klippklang.ch
DIE ALTEN PLATTEN

Waylon                         Emmylou                          Lou Reed                        Kate Bush                       Van Halen
Jennings/                      Harris                           Street Hassle                   The Kick Inside                 Van Halen
Willie Nelson                  Quarter Moon in a                (Arista)                        (EMI)                           (Warner)
Waylon & Willie                Ten Cent Town
(RCA Victor)                   (Warner)                         1978 ging Lous Beziehung        Walgesänge, eine exaltier-      Ein Erstschlag mit Lang-
                                                                zu Rachel, einer Transfrau,     te, fast quietschend hohe       zeitwirkung – der eher un-
Waylon      Jennings    und    Emmylou Harris war die           in die Brüche – und Lou         Stimme, eine Ode ans Sa-        spektakulär beginnt: biss-
Willie Nelson, die beiden      Protegée des ebenso eklek-       war drogenabhängig. In          xofon: Kate Bush schreckt       chen Geräusch, ein paar
Texaner, die die Outlaw-       tischen wie genialen Gram        den meisten Songs imitier-      auf ihrem Debüt vor nichts      Basstöne, Hi-Hat-Schläge.
Bewegung in der Country-       Parsons, der mit gerade mal      te er seine alten Rollen, das   zurück. Die bei der Ver-        Dann aber folgt ein griffi-
Music lostraten, ohne sie je   27 Jahren an einer Überdo-       blondierte «Rock’n’Roll-        öffentlichung     19-jährige    ges Riff, bevor schliesslich
so zu nennen. Beide taten      sis Alkohol und Drogen           Animal» von Mitte der           Engländerin erhielt dank        David Lee Roth mit seiner
nichts anderes, als die Zu-    starb. Vermutlich hat Har-       70er und den Sado-Maso-         der Unterstützung von Pink      Egoshouter-Stimme        ins
sammenarbeit mit Studio-       ris seinen Tod nie ganz ver-     Rocker aus Andy Warhols         Floyds David Gilmour ei-        Geschehen eingreift. «Run-
musikern zu verweigern.        wunden. Ihre Musik blieb         Factory aus den Sixties.        nen Deal mit EMI, Andrew        nin’ With the Devil», das
Sie wollten mit ihrer Live-    der seinen jedenfalls treu.      Doch Lou überzeugt leider       Powell vom Alan Parsons         Eröffnungsstück des Van-
Band ins Studio. Punkt.        Mit dem 1978er-Album             nur, wenn er Neues wagt,        Projects produzierte das        Halen-Debüts, verströmt
Rückblickend kein Wun-         schwamm sie sich gewisser-       wie den Soul in «I Wanna        Album. Kate Bush verlieh        kalifornische Unbeschwert-
der. Nelson, Jahrgang          massen von der traurigen         Be Black» oder den Ba-          dem Art-Pop eine neue           heit und nimmt gleich die
1933, verlangt mit seinem      Vergangenheit los und wur-       rockpop im Titelstück. Ein      Stimme. Die Single «Wut-        ganze nachfolgende Hard-
rhythmisch eigenwilligen       de ihrerseits zur Entdecke-      Teil der Songs wurde 1977       hering Heights» gehört zu       rock-Dekade vorweg. Der
Gitarrenspiel jedem Band-      rin und Förderin von Ta-         live in München und Lud-        den wunderlichsten Lie-         eigentliche Knüller folgt
mitglied Höchstleistungen      lent – eine Qualität, die die    wigshafen aufgenommen           dern der Popgeschichte,         dann allerdings mit dem
ab. Seine «Family», wie er     wechselnde, aber immer           (das Publikum wurde raus-       die junge Sängerin konnte       zweiten Stück, der furiosen
die seit Jahrzehnten mehr      grossartige Zusammenset-         gemischt). Das Album war        sich damit gegen das Plat-      Etüde «Eruption». In einer
oder minder unveränderte       zung ihrer Begleitband seit      binaural abgemischt, ein        tenlabel durchsetzen, das       Minute und 42 Sekunden
Truppe nennt, hat einen        Jahrzehnten belegt. Das          Versuch, die 3D-Studioat-       lieber das rockigere Stück      spielt Eddie Van Halen mit
Sound, den man beim ers-       Albumcover malte Susan-          mosphäre in Stereo hinzu-       «James and the Cold Gun»        dieser schwindelerregen-
ten Ton erkennt.               na Clark, die Ehefrau und        kriegen, was erst durch das     als Single gesehen hätten.      den Solonummer sämtliche
Das gilt auch für Waylon       Muse von Guy. Die Songs          digitale     Multitrack-Ver-    Der Song war der erste          Gitarristen seiner Gene-
Jennings, der nur 64 wur-      auf «Quarter Moon in a           fahren von heute gelingt.       von einer Frau geschriebe-      ration an die Wand. Der
de. Eigentlich war Jennings    Ten Cent Town» stamm-            Bruce Springsteen wirkte        ne Nummer-1-Hit in Eng-         unorthodoxe        Techniker
Bassist und hatte deshalb      ten von Leuten wie dem           im Titelsong als anonymer       land. Die Selbstbehauptung      mischt munter Klassik-Ver-
auch präzise Vorstellungen     damals erst 28-jährigen          Sprecher mit. Auf «Street       von Kate Bush in einer          satzstücke, Noise-Grollen
davon, wie der Bass auf sei-   Rodney Crowell, Delbert          Hassle» ist jeder Song eine     immer noch von Männern          und     lateinamerikanische
nen Aufnahmen zu klingen       McClinton, Carlene Carter        Liebkosung und zwei Tritte      geprägten Domäne, ihr           Elemente, tappt mit seinen
habe. Die Legende sagt, er     oder Dolly Parton. Es            in die Eier zugleich. Es ist    eklektischer Umgang mit         Fingern auf dem Griffbrett
habe jedem Bassiten unter      sollte noch ein paar Jahre       streckenweise Rockmusik,        Musikstilen und ihre thea-      herum und holt bislang
Todesdrohungen verboten,       dauern, bis sich Emmylou         die bis heute modern klingt.    tralische Attitüde inspirier-   ungekannte Klänge aus
Auftakt-Töne zu spielen.       Harris getrauen würde,           Reeds Texte sind direkt,        te unzählige Musikerinnen       seinem Instrument. Alleine
Das gemeinsame Album,          ihre eigenen Songs aufzu-        explizit, unzweideutig und      wie Tori Amos, Lorde oder       diese atemlose Gesellen-
das «Rolling Stone» als        nehmen – erst 1985, mit          lassen selbst heute noch        Florence and the Machi-         stück lohnt den Kauf des
Nummer 30 derjenigen 50        «The Ballad of Sally Rose»,      Skandalrapper wie Schul-        ne. Erst mit ihrem dritten,     Albums. Plus natürlich das
Platten auflistet, die jeder   präsentierte sie sich als        buben aussehen. Lou hatte       selber produzierten Album       grossartige, ein paar Jahre
Rock-Fan besitzen soll-        Songschreiberin. Dennoch         gehofft, ein Meisterwerk zu     «Never for Ever» (1980),        später von den Minutemen
te, enthält Klassiker wie      ist «Quarter Moon in a Ten       schaffen, das gelang ihm        das extravagante Hits wie       neu interpretierte «Ain’t
«Mammas Don’t Let Your         Cent Town» wegweisend:           erst zehn Jahre später mit      «Babooshka» und «Army           Talkin’ Bout Love». Epo-
Babies Grow Up To Be           Es kombiniert den Count-         dem Album «New York».           Dreamers» enthält, fand         chal – auch als Echo aus
Cowboys» oder die Hym-         ry-Rock der Westküste mit        Bei Reeds zweitletztem          Bush ihren ganz eigenen         einer fernen Zeit.
ne «Luckenbach, Texas».        dem Bluegrass der Ostküs-        Konzert in Zürich, 2004,        Stil und konnte sich aus
Unbedingt auf einem Plat-      te, als gäbe es nichts Selbst-   gehörte «Street Hassle» zu      den allzu gut gemeinten         amp.
tenspieler anhören, sonst      verständlicheres.                den grossen Momenten.           Klauen der Art-Rock-Väter
ist der Bass weg. Das wär                                                                       befreien.
schade.                        sl.                              yba.
                                                                                                sas.
sl.
DIE ALTEN PLATTEN

Nina Hagen                      Prince                         Rainbow                          Japan                          The Stranglers
Band                            For You                        Long Live Rock’n’Roll            Adolescent Sex                 Black and White
Nina Hagen Band                 (Warner)                       (Polydor)                        (Hansa)                        (United Artists)
(CBS)
                                Das Debüt von Prince ist       Im Jahr eins nach Punk           «Der sieht aus wie meine       Im Punk-Universum haben
Es war schon ein kolossa-       vor allem deshalb erwäh-       klang dieses Album für viele     Mutter!», heisst es in einem   The Stranglers immer einen
ler Einbruch in die Welt-       nenswert, weil es bei seiner   Zeitgenossen wie ein Relikt      Kommentar unter einem          einzigartigen Platz einge-
paraden (und in die WGs)        Veröffentlichung im April      aus einer fernen Ära. Rain-      frühen Video von Japan.        nommen – die vier Mit-
der Endsiebziger, dieses        1978 kaum auf Interesse        bow, von Ritchie Black-          Der Londoner David Sylvi-      glieder waren schon etwas
Debütalbum der Nina Ha-         stiess. Dies, obwohl War-      more nach seinem ersten          an, androgyner Frontmann       älter (Drummer Jet Black
gen Band. Bemerkenswert         ner hohe Erwartungen           Ausstieg bei Deep Purple         des englischen Quintetts       wurde 1978 bereits 40 Jah-
auch deshalb, weil in Insi-     in den kleinen Mann aus        gegründet, standen für vie-      und zu jener Zeit glühen-      re alt), zudem verschafften
derkreisen kaum Aufsehen        Minneapolis gesteckt hat-      les, was der Punk gemäss         der Bowie-Verehrer so-         sie dem Orgelsound von
oder Häme entstand wegen        te. 180 000 Dollar bezahlte    landläufiger Lesart vom          wie offensichtlich Fan der     Dave Greenfield eine Pro-
der sonst ach so unpoppi-       das Label dem als genial       Sockel gestossen hatte: Ma-      New York Dolls, fiel zu-       minenz, wie man sie in
gen deutschen Sprache und       geltenden, aber eben auch      chorock und säuselnde Bal-       erst vor allem optisch auf.    der Rockmusik ausser von
ebensowenig wegen des           noch sehr jungen Multi-        laden, Keyboard-Kleister         Der Sound auf dem Debüt        The Doors kaum kannte.
etwas punkfernen Grund-         instrumentalisten für die      und Streicher, Angebersoli       «Adolescent Sex» war eine      Aber nicht nur dadurch
sounds der ehemaligen Lo-       kommenden drei Alben.          und Heldengesang. Beim           leidlich aufregende Mi-        hoben sich The Strang-
komotive Kreuzberg. Letz-       Damals eine ganze Stan-        Wiederhören wirkt man-           schung aus Glamrock und        lers von ihren Zeitgenos-
terer war allerdings eine       ge Geld, Prince brauchte       ches tatsächlich überzogen.      frühem New Wave, den           sen ab: Nach den starken
von Tubes- oder Rundgren-       es jedoch bereits allein für   Allein der Albumtitel war        die englische Musikpres-       LPs «Rattus Norvegicus»
Artistik geprägte, postfreie,   die fünfmonatigen Aufnah-      wohl schon 1978 kein Aus-        se aber bereits damals als     und «No More Heroes»
aber kraftvolle Mixtur, die     mesessions von «For You»       druck von übertriebener          «altmodisch» bezeichnete       befreiten sie sich aus dem
etwas Zeitloses, Stilüber-      fast vollständig auf. War-     Originalität. Und doch: Mit      – Punk gab gerade den Ton      engen Korsett des Punk
greifendes ausstrahlte und      ner traute dem 20-Jährigen     Gitarrist Blackmore, Cozy        an. Etwas Erfolg hatte die     auf dem düsteren, experi-
daher auch bestens zum          nicht zu, das Album im         Powell an den Drums und          Band in, tja, Japan, Hol-      mentellen und stellenweise
universellen Gesang der aus     Alleingang zu produzieren      allen voran Sänger Ron-          land und Kanada. Sylvi-        schwer zugänglichen Al-
der DDR emigrierten Bier-       und schlugen ihm mehrere       nie James Dio erleben wir        an singt – ganz anders als     bum «Black and White». JJ
mann-Stieftochter      Nina     Produzenten vor, die er al-    drei Ikonen des Hard Rock        später – mit hoher, nasaler    Burnel übernahm am Bass
passte. Wobei «Gesang»          lerdings alle ablehnte. Auch   auf der Höhe ihrer Kunst.        Stimme, Mick Karn slappt       die dominanten Melodie-
hier fast schon eine Unter-     wechselte er mehrfach das      «Gates of Babylon» be-           hektisch vor sich hin, und     läufe – wie auf dem bis heu-
treibung ist. Da vereinte       Studio, kaufte sich neue In-   ginnt mit fragwürdigem           auch Schlagzeuger Steve        te unerreichten «Nice ‘n’
sich eine klassisch ausge-      strumente und wohnte mit       Georgel, fährt ein tolles        Jansen zieht bisweilen das     Sleazy» oder auf «Outside
bildete Stimme (doch noch)      seinen Freunden in kost-       Frickelriff auf, federt in der   Komplexe dem Einfachen         Tokyo» –, und Hugh Corn-
mit der Rotzigkeit des Punk     spieligen     Appartements.    Bridge unwiderstehlich und       vor. Die Band wurde spä-       wells Gitarre stellte sich in
und schuf so quasi ein neu-     Hauptsächlich verbrachte       schraubt sich im Refrain         ter zu den Posterboys der      den Dienst des Rhythmus,
es Rockregister. Eines, das     er seine Zeit aber in den      in epische Höhen, dass es        New-Romantic-Bewegung,         wenn sie sich nicht gerade
Grenzerfahrungen, Kon-          Studios, wo er sämtliche In-   eine Freude ist. Nach die-       Duran Duran dürften sich       mit den Keyboards duel-
sumkritik und Frauenpow-        strumente selbst einspielte    ser Platte hatte Blackmore       auch einiges in Sachen         lierte. Nicht alle Songs auf
er zum Besten gab und so        und später den Gesang (im      genug von Dios Fantasy-          Outfit und Schminke abge-      «Black and White» mögen
das Album auch zu einem         Opener mindestens zwan-        Geschichten. Also zog der        schaut haben. Musikalisch      gefallen, und das trägt zum
Identitätsträger für die Be-    zigfach) hinzufügte. Das       Sänger weiter, zunächst zu       aber fand vor allem Sylvian    Reiz der Platte bei: Martin
wegten jener Tage machte.       Endresultat war zwar hoch-     Black Sabbath, die gerade        mit «Quiet Life» und erst      Rushents dritte Produktion
Es ist jedenfalls das Beste,    energetisch und klang für      Ozzy geschasst hatten, an-       ein Jahr später zu einer ei-   für die Band umschmei-
was Nina Hagen je musi-         damalige Verhältnisse auch     schliessend als Soloartist.      genen Sprache und einem        chelt den Hörer nicht.
kalisch zustande brachte.       modern, doch dem R’n’B-        Er blieb bis zu seinem Tod       etwas diskreteren Look.        Achtung, bissig – man nä-
Und es hat nebenbei auch        Disco-Funk der Marke           2010 ein herausragender                                         here sich vorsichtig! Das
noch einen schönen Slogan       Prince fehlte es (noch) an     Sänger und Performer. So         söh.                           wiederum öffnete der Band
geprägt: «Ob blond, ob          kompositorischer Dring-        kraftvoll und gleichzeitig                                      die Möglichkeit, sich auf
schwarz, ob braun / Ich lie-    lichkeit – wenngleich die      nuanciert wie auf «Long                                         späteren Platten wie «La
be alle Frau’n.»                Arrangements bereits von       Live Rock’n’Roll» und dem                                       Folie» mit dem Welthit
                                hoher Komplexität waren.       Vorgänger «Rising» war er                                       «Golden Brown» auch mal
bv.                             Die Texte handeln natür-       später aber nur noch selten                                     fein und verletzlich zu zei-
                                lich alle von Liebe und Sex.   zu hören.                                                       gen.

                                söh.                           ash.                                                            rel.
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