www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...

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Visit
Nr. 2   Sommer 2020

Magazin von Pro Senectute Kanton Zürich
www.pszh.ch

                           Loslassen
                           Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt,
                           gleichzeitig aber auch befreien kann.
www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
INHALT

                                                                                                                                                                                                          Liebe Leserin, lieber Leser
                                                                                                                                                                                                          Loslassen – das sagt sich so leicht. Doch es fällt
                                                                                                                                                                                                          uns allen meist schwer. Auch im Alter, wenn das
                                                                                                                                                                                                          Loslassenmüssen zum treuen Begleiter wird.
                                                                                                                                                                                                          «Es sind oft kleine Dinge, an denen wir hängen,
                                                                                                                                                                                                          je länger, desto mehr», erklärt die Philosophin
                                                                                                                                                                                                          Annemarie Pieper auf Seite 12.
                                                                                                Kurz                                                                                                      Leben heisst Loslassen. Vermutlich liegt gerade
                                                                                          Feri       -
                                                                                              ena und                                                                                                     darin ein Geheimnis unseres Daseins. Denn wie
                                                                                                  ufen
                                                                                               mög     tha                                                                                                uns die ganze Natur unmissverständlich zeigt:
                                                                                                   lich lte                                                                                               Unser Leben folgt dem Kreislauf von Werden und
                                                                                                                                                                                                          Vergehen. Nur weil eine Frucht zu Boden fällt,
                                                                                                                                                                                                          kann Neues wachsen, Neues gedeihen.
                                                                                                                                                                                                          So wird hoffentlich auch die vorliegende Visit-            4
Willkommen zu Hause!                                                                                                                                                                                      Ausgabe mindestens zwei Körner der Erkenntnis
                                                                                                                                                                                                          pflanzen. Zum einen: Loslassen ist oft mit Tren-          Es ist oft nicht leicht, sich von Vertrautem zu trennen. Doch Leben heisst
So vielseitig wie das Leben ist, so individuell ist auch das Älterwerden. Ein schönes Zuhause zu haben und                                                                                                nungsschmerz verbunden. Denn es bedeutet                  Loslassen – und das kann befreiend und befruchtend sein.
sich wohlzufühlen, bedeutet für jeden etwas anderes. Deshalb bietet die Senevita für jedes Bedürfnis das                                                                                                  Verzichten, Verabschieden, Vermissen. Das soll-
passende Angebot im Betreuten Wohnen und in der Langzeitpflege. Wir stehen für attraktives Wohnen,                                                                                                        ten wir nicht kleinreden, sondern als natürlichen,
individuelle Dienstleistungen und eine ausgezeichnete Gastronomie.                                                                                                                                        auch schmerzlichen Prozess begreifen und
                                                                                                                                                                                                          ­akzeptieren. Und zum Zweiten: Nur wer sich mit
Mehrere Standorte im Raum Zürich. Finden Sie Ihr neues Zuhause unter: www.senevita.ch                                                                                                                     Verstand und Herz aussöhnt mit dem Loslassen,
                                                                                                                                                                                                           schafft Raum für Neues. Für neue Erfahrungen,
Senevita AG, Worbstrasse 46, Postfach 345, 3074 Muri b. Bern
                                                                                                                                                                                                           neue Entdeckungen, auch neue Freiheiten – für
Telefon 031 960 99 99, kontakt@senevita.ch, www.senevita.ch                                                                                                                                                neues Leben.
                                                                                                                                                                                                          Das Titelthema dieser Ausgabe stand übrigens
                                                                                                                                                                                                           seit geraumer Zeit fest. Es hat durch die Corona-         12                                           32
                                                                                                                                                                                                          Pandemie ganz unerwartete Aktualität erhalten.            Philosophin Annemarie Pieper (79)            Den elterlichen Haushalt auflösen:
                                                                                                                                                                                                          Der weltweite Lockdown versetzt uns alle unver-           über das Loslassen.                          ein Erfahrungsbericht.
                                                                                                                                                                                                          mittelt in die Situation, auf viele Gewohnheiten
                                                                                                                                                                                                           und viel Vertrautes verzichten zu müssen. Auch
                                                                                                                                                                                                          Pro Senectute Kanton Zürich musste auf viele                   LEBENSRAUM                                 LEBENSLUST
                                                                                                                                                                                                          Kurse und Veranstaltungen verzichten und                   4 Die grosse Angst vor dem                  32 Abschied in Raten: Emotionen
                                                                                                                                                                                                          gleichzeitig das vielfältige Dienstleistungs-                Loslassen                                    beim Auflösen eines elterlichen
                                                                                                                                                                                                          angebot anpassen.                                         12 «Zweifel ist ein wichtiges                   Haushaltes
                                                                                                                                                                                                          Diese weitere Entwicklung werde ich selber aus               ­Instrument für uns»: Im                  36 Die «Freitagsbummler»
                                                                                                                                                                                                          neuer Warte verfolgen und unterstützen. Denn                  Gespräch mit der Philosophin             38 Frühlingswanderung im
                                                                                                                                                                                                          per Ende Juni werde ich regulär pensioniert und               ­Annemarie Pieper                           ­Unteren Aaretal

                                                                                                              Foto Titelseite : Daniel Rihs ; Seite 3: Sandra Ardizzonei, Sasi Subramaniam, Adobe Stock
              Individuell mobil                                                                                                                                                                           darf nach fast 13 Jahren den Vorsitz der Geschäfts-
                                                                                                                                                                                                          leitung von Pro Senectute Kanton Zürich an mei-
                                                                                                                                                                                                                                                                    16 Wie die Umzugskoordinatorin
                                                                                                                                                                                                                                                                         Rita Rupp Reiter Menschen hilft
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 42 Rätsel
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 44 Marktplatz
              Unsere Auswahl an vielfältigen Hilfsmitteln                                                                                                                                                 ne Nachfolgerin Véronique Tischhauser-Ducrot                                                           45 Impressum
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 46 Goldene Zeiten: Kluger Rat –
              ermöglicht Ihnen eine einfachere und                                                                                                                                                         übergeben. Ich tue dies mit Zufriedenheit und                 LEBENSART
              selbstständigere Bewältigung Ihres Alltags.                                                                                                                                                 einem grossen Dankeschön an den Stiftungsrat,                                                              Notvorrat
                                                                                                                                                                                                          an alle Mitarbeitenden und Freiwilligen unserer           18 Berufsmusiker und Fluglehrer
              Unsere Angebote                                                                                                                                                                                                                                          Conrad Zwicky (74) blickt auf
              Markenunabhängige Beratung, Verkauf, Service und
                                                                                                                                                                                                          Organisation, an alle bewundernswert engagier-
                                                                                                                                                                                                                                                                       ein spannendes Leben zurück
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    BEILAGE AKTIV
                                                                                                                                                                                                           ten Menschen in unserer Stiftung. Und mit den
              Reparatur von Hilfsmitteln. Individuelle Anpassung auf                                                                                                                                                                                                22 Interview mit Franjo Ambrož               		Agenda mit Veranstaltungen
                                                                                                                                                                                                           allerbesten Wünschen für Sie, liebe Leserinnen
              Ihre Bedürfnisse, Ersatzrollstühle bei Reparaturen, Show-                                                                                                                                                                                             25 Tipps zum Thema                             und Kursen von Pro Senectute
                                                                                                                                                                                                                                 und Leser. Bleiben Sie
              room zum Ausprobieren und Vergleichen der Hilfsmittel,                                                                                                                                                                                                26 Ratschläge in Zeiten von                    Kanton Zürich
                                                                                                                                                                                                                                 zuversichtlich, bleiben
              7 Tage Servicebereitschaft.                                                                                                                                                                                                                              ­Corona, um zuhause nicht ­
                                                                                                                                                                                                                                 Sie solidarisch engagiert –
                                                                                                                                                                                                                                                                        zu vereinsamen
                                                                                                                                                                                                                                 und vor allem: Bleiben Sie
              Neugrundstrasse 4                                                                                                                                                                                                                                     28 Was Werner Wäfler als Sport-
                                                                                                                                                                                                                                 gesund!
              8620 Wetzikon                                                                                                                                                                                                                                             leiter von Pro Senectute Kanton
              www.iwaz.ch/rehatech
              rehatech@iwaz.ch
                                                                                                                                                                                                                                                                        Zürich erlebt
              +41 (0)44 933 23 90                                                                                                                                                                                               Franjo Ambrož
                                                                                                                                                                                                                                Vorsitzender der Geschäftsleitung   Auf dem Titelbild: Marcel Bernet (Seite 8)

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Visit Sommer 2020        3
www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
LEBENSRAUM

    Die grosse Angst
    vor dem
    Loslassen
    Die Kinder loslassen, weil sie sich ein eigenes Leben aufbauen wollen. Sich
    endlich vom Partner trennen, der nicht zu einem passt. Die Berufung statt
    den Beruf wählen und den Job sausen lassen, an dem man schon lange nicht
    mehr hängt. Immer wieder durchleben wir Situationen, die eine Änderung
    erfordern oder erfordern würden. Doch Loslassen ist leichter gesagt als getan.
    Wir stehen uns oft selber im Weg.
    Text: Markus Sutter   Foto: Daniel Rihs

    Vor kurzem habe ich an der Beerdigung einer Tante   Das Loslassen habe sie zwar geschmerzt, ihr sei
    teilgenommen. Die Pfarrerin machte die Trauer-      aber auch immer klar gewesen: «Kindern schenkt
    gemeinde darauf aufmerksam, dass die Ab­            man nicht das Leben, um sie lebenslang an sich
    dankung ausnahmsweise auf Video festgehalten        zu binden.»
    werde, und bat um Verständnis. Ein Sohn der            Sie freute sich jedoch, dass die Familie ihres
    Verstorbenen lebe in Südafrika und könne leider     Sohnes sie nach Möglichkeit im Sommer besuchte,
    nicht am Anlass teilnehmen. Er habe sich aber       wenn in Südafrika Winter war. Mit ihrem inzwi-
    noch vor wenigen Wochen bei seinem letzten          schen schon lange verstorbenen Mann hat meine
    Besuch von seiner Mutter verabschieden können.      Tante sogar einmal selber die lange Reise in den
       Dieser Sohn zog bereits im Alter von rund 20     Süden auf sich genommen und kehrte voller po-
    Jahren nach Afrika, heiratete später und baute      sitiver Erinnerungen zurück. Sie war sich jetzt
    sich dort seinen Lebensmittelpunkt mit zwei Kin-    sicher, dass ihr Sohn dort unten ein Leben nach
    dern auf. Ich habe mit meiner Tante ein paar Mal    seinen Träumen führt. Dieses Gefühl habe den
    darüber gesprochen, wie sich dieser Abschied        Abschiedsschmerz kompensiert.
    damals anfühlte. Ihr Sohn habe schon in seiner         Doch nicht nur das Loslassen von geliebten
    Jugend davon geträumt, die Schweiz möglichst        Menschen bereitet Mühe. Wir tun uns auch nicht
    bald zu verlassen, sobald sich eine berufliche      leicht, eine Beziehung aufzulösen, selbst wenn
    Möglichkeit im Ausland abzeichne, erzählte sie.     wir spüren, dass eine Trennung vermutlich das

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LEBENSRAUM

                    Beste für alle wäre. Oder wir trennen uns nicht       mögliche Ursachen zurück. «Du hast emotionale         Sich mit der eigenen Geschichte beschäftigen
                    vom Job, obwohl er uns schier krank macht. Ja,        Wunden aus deiner Kindheit, die du nicht verar-       «Die grösste Verführung im Leben ist, aus Angst
                    wir können uns manchmal sogar kaum von Ge-            beitet hast. Oder du liebst dich nicht selbst und     nichts zu verändern, nichts zu fühlen, nichts zu
                    genständen trennen, obwohl sie in der Wohnung         bist auf die Liebe von anderen angewiesen.»           riskieren, nicht zu leben», lautet ein Zitat aus Mor-
                    viel Platz versperren und uns nicht einmal beson-        Allen Status-quo-Anhängern wider Willen gibt       genthalers Buch «Aussteigen – Umsteigen». Viele
                    ders gefallen.                                        die Bloggerin folgenden Ratschlag auf den Weg:        konzentrierten sich leider primär darauf, die                  «Die Kernfrage lautet, ob man sich eher
                                                                          «Wenn du leidest, ist jede Veränderung, die in dei-   Erwartungen anderer zu erfüllen. Ergiebiger wäre
                Rituale geben Sicherheit                                  nem Sinne ist, eine positive Veränderung. Wenn        es, sich einmal vertieft mit der eigenen Geschich-             als Regisseur seines Lebens oder als Opfer
                Ursachenforschung ist gefragt. Schon Kinder, sa-          du so weiterlebst, wirst du in ein paar Wochen,       te zu beschäftigen, sich zu fragen, was einen                  von Umständen sieht.»
                gen Psychologen, möchten doch am liebsten, dass           Monaten oder Jahren feststellen, dass du nichts       berührt und was man wirklich tun will. «Wer bloss
                                                                                                                                                                                               Mathias Morgenthaler
                sich gar nichts verändert und selbst Rituale im-          getan hast, ausser wertvolle Lebenszeit zu ver-       aus Angst vor dem Unbekannten am Gewohnten
                mer die gleichen bleiben. Vor dem Schlafengehen           schwenden.»                                           festhält, kann sich gar nicht ausmalen, welche
                muss die Mutter oder der Vater immer noch eine                                                                  Überraschungen das Leben zu bieten hat.»
                                       Geschichte vorlesen. Zum           Loslassen im Beruf                                       Die grössten Widerstände gegen Veränderung
                                       Frühstück gibt es das              Auch im Beruf gibt es trotz grundsätzlich hoher       seien nicht im Aussen zu finden, sondern im
Schon Kinder, sagen                    Lieblingsgetränk. Und ge-          Arbeitszufriedenheit in der Schweiz immer noch        eigenen Kopf. «Meist fehlt es am Mut, einen
                                       spielt wird ununterbro-            ein beträchtliches Potenzial an Beschäftigten, die    Schritt ins Unbekannte zu wagen.» Das grösste
Psychologen, möchten am                chen das Lieblingsspiel.           ihrem Arbeitsplatz am liebsten den Rücken keh-        Risiko sei nicht, dass man dabei scheitere, son-        Nachdenken über das Loslassen
liebsten, dass sich gar nichts            Die Routine gibt einem          ren und etwas anderes – manchmal ganz Neues           dern dass man aus Angst gar nichts wage. «Wer           Der Ort ist ideal gewählt: Auf dem Friedhof am
                                       Kind Sicherheit. Und ge-           – anfangen möchten. «Aber weil sie keine Ahnung       scheitert, wird gescheiter – wer alle Risiken ver-
verändert und Rituale immer nau diese Sicherheit nach                     haben, wo sie eigentlich stattdessen hinwollen,       meiden will, erstarrt.»
                                                                                                                                                                                        Hörnli in Basel stechen einem gleich beim Ein-
                                                                                                                                                                                        tritt riesige Holzbuchstaben ins Auge, zuerst
die gleichen bleiben.                  Liebe, Geborgenheit oder           verharren sie wie ein paralysiertes Kaninchen vor                                                             bloss drei Wörter: Zeit Los Lassen. Der Berner
                                       Vertrauen suchen wir auch          der Schlange in einer suboptimalen Situation. Sie     «Jetzt erst recht»                                      Schauspieler und Schrift-Steller im wahrsten
                                       als Erwachsene. Denn Ver-          werden von den Umständen gelebt, statt ihr Leben      Ist es aber heute im Zeitalter des Coronavirus und      Sinn des Wortes, Matthias Zurbrügg, in Fällan-
                änderungen bedeuten Stress, Ungewissheit und              in die Hand zu nehmen und selbst zu bestimmen,        grosser Unsicherheiten immer noch angebracht,           den ZH aufgewachsen, hat diese Ausstellung
                Unsicherheit. Deshalb finden sich viele lieber mit        was Sache ist.»                                       sich Gedanken über seine Berufung zu machen?            konzipiert. Verteilt auf das ganze, rund 50
                einem bestehenden unbefriedigenden Zustand ab,               Das sind Worte von Detlef Soost, einem «Spie-      «Jetzt erst recht», findet Morgenthaler. «Leidens-      Hektaren grosse Gelände sind teilweise gut
                als sich auf unerprobtes Neues einzulassen.               gel» Bestseller Autor. «Überwinde deine Ängste        druck beschleunigt Veränderungen», ist er über-         sichtbare, teilweise eher versteckte Wörter zu
                                                                          und lebe dein Leben», lautet der massgebende          zeugt. «Wenn vieles von dem wegfällt, was uns           entdecken, Poesie am Ort der letzten Ruhe.
                    Faktor Angst ...                                      Tipp in seinem Buch mit dem Titel «Scheiss drauf,     sonst auf Trab gehalten hat, rückt das Wesentliche      Der Initiant der Ausstellung möchte Besucherin-
                    Simone Sauter-Krol weiss nicht nur aus persönli-      mach’s einfach» (Piper-Verlag, 2020). Mit der rich-   in den Vordergrund – und damit auch die Frage,          nen und Besucher ermuntern, über das Leben,
                    cher Trennungs-Erfahrung, worüber sie spricht.        tigen Einstellung sei fast alles möglich. «Ängste     worauf wir wirklich brennen.»                           das Ende des Lebens, das Loslassen nachzu-
                    Sie betreibt laut eigenen Angaben auch den gröss-     verkrümeln sich, wenn man mit ihnen Tango tanzt           Das Coronavirus habe uns vor Augen geführt,         denken.
                    ten deutschsprachigen Liebeskummer-Blog na-           und mutig vorangeht.»                                 dass es im Leben keine wirklichen Sicherheiten
                    mens «From Pain to Power» mit monatlich über                                                                gebe. Den Job könne heute jeder auch bei lang­          Die Freiluftausstellung besteht aus insgesamt
                    85 000 Leserinnen und Lesern. Sie listet mehrere      Regisseur oder Opfer?                                 jähriger Treue zum Arbeitgeber unerwartet und           26 über die ganze Anlage verteilten Wortbildern,
                    Gründe auf, warum wir uns mit dem Loslassen           Solche Menschen, die in ihrem Leben etwas Neu-        schnell verlieren. Zudem lohne es sich nicht, sich      die zwischen 40 Zentimeter und vier Meter
                    einer Beziehung oft so schwertun, obwohl die Ver-     es wagen und unbekanntes Terrain erforschten,         einzig auf finanzielle Absicherung zu konzentrie-       gross und mehrheitlich aus naturbelassenem
                    nunft dafür spricht.                                  um sich einen Traum zu erfüllen, gibt es durchaus.    ren, findet Morgenthaler. «Das Risiko, mittellos zu     Tannenholz gezimmert sind. Die Ausstellung
                       Eine zentrale Rolle spiele der Faktor Angst. Die   Der Journalist und Coach Mathias Morgenthaler         werden, ist in der Schweiz sehr klein. Wir sind im      dauert noch bis zum 16. August 2020. Sie ist frei
                    Angst vor dem Alleinsein, die Angst, die eigene       hat über 1000 Interviews mit solchen Aus- und         internationalen Vergleich extrem privilegiert und       zugänglich.
                    Komfortzone zu verlassen, die Angst, dass wir den     Umsteigern geführt und während vieler Jahren          könnten es uns deshalb leisten, in sinnvolle            www.matthiaszurbruegg.ch
                    Partner verletzen, weil wir für ihn eine Verant-      Woche für Woche in der Rubrik Beruf+Berufung          Tätigkeiten und Lebendigkeit zu investieren.»                                                 Tipp
                    wortung tragen, sowie die Angst, die eigene Ent-      im «Bund», im «Tages-Anzeiger» und anderen Zei-       Selbst die schönste aufgebaute Altersvorsorge sei
                    scheidung eines Tages doch wieder zu bereuen.         tungen publiziert.                                    nur ein kleiner Trost, «wenn man innerlich schon
                                                                             «Die Kernfrage lautet, ob man sich eher als        tot ist und seine Träume nicht gelebt hat».
                    ... und emotionale Abhängigkeit                       Regisseur seines Lebens oder als Opfer von                Deshalb wären wir gut beraten, öfter und mu-
                    Es gibt aber auch Menschen, die bei ihrem Partner     Umständen sieht», sagt Mathias Morgenthaler.          tiger loszulassen, wenn sich ein Weg als Sackgas-
                    bleiben, weil sie glauben oder hoffen, dass er sich   «Sich als Opfer von Umständen zu sehen, ist we-       se entpuppt hat, findet Morgenthaler. «Denn das
                    eines Tages doch noch ändern wird. Ein weiterer       sentlich einfacher.» Wir fänden immer wieder          Leben ist nicht primär eine Prüfung oder eine
                    Grund für das Nicht-Loslassen-Können ist laut         Ausreden, um etwas nicht zu tun, uns nicht zu         Durchhalteaufgabe, sondern eine Entdeckungs-
                    Sauter-Krol die emotionale Abhängigkeit vom           verändern. Morgenthaler erzählt das Beispiel          reise.» 
                    Partner. Man sei süchtig nach unermüdlicher           einer Frau, die schwer an ihrer Arbeit litt, aber
                    Aufmerksamkeit, brauche Zuwendung und Bestä-          dennoch von einer Kündigung absah. «Sie müsse         In seinem neuen Buch «Out of the Box» (Zytglogge
                    tigung.                                               ausharren im Job, damit ihr Sohn studieren kön-       Verlag) schreibt Mathias Morgenthaler vom Glück,
                        Das geradezu krampfhafte Festhalten an einer      ne, brachte sie als Argument vor. Doch der Sohn       die eigene Berufung zu erleben. Nähere Infos unter
                    problematischen Verbindung führt sie auf zwei         war damals erst vier Jahre alt.»                      www.beruf-berufung.ch

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www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
LEBENSRAUM

Loslassen im Beruf:          Marcel Bernet ist kein typischer Aus-
                             oder Umsteiger, der irgendwann die Nase
                             von seinem Job voll hatte, losliess und
                                                                              Noch das Beste
Vom PR-Chef zum Künstler     sich ab dann nur noch um seine Berufung
                             kümmerte. Der Mann scheint auch nicht
                                                                              aus dem Leben machen
Marcel Bernet (61), Bülach   zu jener Kategorie Menschen zu g     ­ ehören,   Rainer Berchem (80), Zürich
                             die im höheren Alter plötzlich vom
                             Gefühl geplagt werden, sie hätten Jahr-
                             zehnte zuvor die Weichen im Leben                Was Loslassen bedeutet, kann Rainer         noch ein paar Meter fortbewegen. Dass       Geradezu den Boden unter den Füssen
                             falsch gestellt, und diesen Schritt im           Berchem aus eigener Erfahrung erzählen.     er kaum eine Privatsphäre besitze und       weg zog ihm aber der Tod seiner Frau
                             Nachhinein bereuen. Im Gegenteil: Er             In mehrfacher Beziehung. Heute verbringt    zum Beispiel beim Anziehen immer auf        ­vor vier Jahren. Mit ihr war er ein halbes
                             blicke mit einer gewissen Demut auf sein         der Mann seinen Lebensabend in einem        Unterstützung angewiesen sei, falle          Jahrhundert verheiratet. Dieses Loslassen
                             Leben zurück. Und: «Ich würde wieder             Alters- und Pflegeheim in Zürich und ist    ihm nicht leicht, sagt er. Auch den neuen    sei für ihn ein wirklicher Schock gewesen,
                             alles gleich m  ­ achen.»                        mobilitätsmässig stark eingeschränkt.       Wohnort im Alters- und Pflegeheim ­          sagt der Mann, der in seinem Berufs­leben
                             Das sagt Marcel Bernet, Bildhauer mit            Trotzdem versucht er dem Leben noch         hat er nur bedingt freiwillig gewählt.       als Klimatechniker für die Optimierung
                             Atelier in Bülach und Coach, heute im            positive Seiten abzugewinnen.               «Das Miethaus, in dem ich wohnte,            von Heizungs- und Lüftungsanlagen zu-
                             Alter von 61 Jahren aus einer grossen            «Alle sprechen von Quarantäne, ich weiss    wurde total saniert.». So richtig über-      ständig war.
                             zeitlichen Distanz. Zwar habe er schon ­         schon lange, was das ist», scherzt Rainer   rascht sei er vom Entscheid des Vermie-      Sich von Liebgewordenem verabschieden,
                             in seiner Jugend davon geträumt, eines           Berchem. Während das Leben vieler           ters allerdings nicht gewesen. Trotzdem:     Trennungsschmerz durch den Verlust
                             Tages ein Künstler zu werden. Aber am            Menschen im Zeitalter von Corona zu-        Das Loslassen von seiner Wohnung             ­enger Angehöriger überwinden: Das
                             Ende der obligatorischen Schulzeit wählte        nehmend eingeengt wird, ist das beim        ­bereitete ihm etliche Mühe. «Ich wäre        ­gehöre halt zum Leben. Passiv im Zim-
                             er trotzdem einen krisensicheren Weg             80-Jährigen schon länger der Fall. Rund      gerne noch dort geblieben, aber es ging       mer herumsitzen und alten Zeiten nach-
                             und absolvierte eine Banklehre statt die         vier mal vier Meter würden die Dimen­        auch aus gesundheitlichen Gründen             trauern ist aber nicht sein Ding. Speziell
                             Kunstgewerbeschule. «Ich wollte finan­           sionen seines Zimmers im Alters- und         nicht mehr.» Eine unheilbare Nerven-          interessiert sei er an Kunstgeschichte
                             ziell unabhängig werden. Dank einem              Pflegeheim Schmiedhof in Zürich betragen.    krankheit machte ihm immer mehr zu            und Musikwissenschaften sowie an
                             guten Lohn als KV-Lehrling war das mög-          Und ohne fremde Hilfe könne er sich nur      schaffen und tut es weiterhin.                ­Malerei.
                             lich», erzählt er. Und zudem habe er sich
                             selbstkritisch gefragt, ob er als Künstler
                             wirklich auf eigenen Beinen werde stehen         INSERAT
                             können.
                             Statt als Künstler tätig zu sein, führte er

                                                                                   Sonnmatt
                             deshalb über 20 Jahre erfolgreich und
                             ­zufrieden ein PR-Unternehmen im Raum
                              Zürich, bevor er es dann dem Manage-

                                                                                   tut gut.
                              ment verkaufte. Das Loslassen zehn Jahre
                              vor dem offiziellen Pensionierungsalter
                              hatte damit zu tun, dass er etwas Neues
                              ausprobieren wollte und inzwischen auch
                              genau wusste, was: Er entdeckte die
                              ­Liebe zum Rohstoff Holz und widmete
                               sich fortan schwergewichtig, aber nicht
                               exklusiv der Holzbildhauerei. Denn ein
                               volles wirtschaftliches Risiko wollte er
                               auch jetzt nicht eingehen, weil man ja nie
                               wisse, ob man als Künstler etwas verkaufen
                               könne. So ist er auch heute noch einen
                               Tag pro Woche als Coach tätig.
                               Heute, im Herbst des Lebens, gehe Raum                                                                                          Gesund werden, gesund bleiben,
                               auf, er könne zu ernten beginnen. Die                                                                                           gelassen altern.
                               Zeit familiärer Verpflichtungen sei vorbei,
                               der finanzielle Spielraum grösser. Er
                               ­begreife alle, die keinen Bruch in ihrem                                                                                       Sie erreichen uns telefonisch
                                Berufsleben anstrebten und lieber ihrer                                                                                        unter 041 375 32 32
                                langjährigen Arbeit treu bleiben würden.
                                Als Paradebeispiel dafür erwähnte Marcel
                                Bernet seine Frau, die in ihrem Beruf als
                                                                                                                                                               www.sonnmatt.ch
                                Hebamme stets voll aufgegangen sei.

                                                                                Inserat-Visit-2019-188x122-02.indd 2                                                                                  08.01.19 08:09

8     Visit Sommer 2020                                                                                                                                                               Visit Sommer 2020            9
www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
LEBENSRAUM

«Emotionen sind vergangen,       Was geht in Eltern und Grosseltern vor,
                                 deren Sohn mit seiner Familie für immer
                                 in die USA auswandern will? Eva und
die Liebe ist geblieben»         Hansruedi Ott aus Unterengstringen ZH
                                 haben diesen schwierigen Ablösungs­
Eva Ott (76), Unterengstringen   prozess vor ein paar Jahren erlebt. Heute       Bei Vergesslichkeit und
                                 sind sie darüber hinweggekommen.
                                 Am schwierigsten war es, als ihr Sohn             Konzentrationsmangel
                                 Stefan die Schweiz 2012 wieder verliess,
                                 um sich mit seiner Familie definitiv in
                                 den USA niederzulassen. Dort hatte er
                                 2000–2006 mit seiner amerikanischen
                                 Frau und zwei Kindern, Elke und Ursula,
                                 bereits gelebt.
                                 Die beiden Enkelkinder waren den Gross-
                                 eltern besonders stark ans Herz gewach-
                                 sen. «Auch die Mädchen fühlten sich in
                                 der Schweiz wohl, sprachen fliessend
                                 Deutsch», sagt Eva Ott (76). Die beiden
                                 Kleinen hatten aber eine Leseschwäche
                                 und sollten ausschliesslich in Englisch,
                                 ihrer Muttersprache, unterrichtet werden.
                                 Die Mutter sei überzeugt gewesen, für
                                 Elke und Ursula in den USA eine ­bessere
                                 schulische Förderung auf privater Basis
                                 gefunden zu haben, direkt neben der
                                 Wohnung in New York.

                                                                                                                                  1x
                                 Wie hat sie sich aus diesem emotionalen
                                 Loch befreien können? «Ich habe mit
                                 autogenem Training viel erreicht», erin-
                                 nert sich Eva Ott. Viel geholfen habe ihr
                                 in dieser Zeit auch die Pro Senectute
                                 Kanton Zürich. Dort klopfte sie an, um
                                                                                                                                 täglich
                                 eine Art Ersatz(beschäftigung) anstelle
                                 ihrer Enkelinnen zu finden. «Ich hatte ein
                                 grosses Bedürfnis, mit Kindern zusam-
                                 men zu sein.» An der Primarschule Ober-
                                 engstringen wurde ihr als «Seniorin im
                                 Klassenzimmer» eine erste Klasse ver-
                                 mittelt. «Ich hatte grosses Glück mit den
                                 Lehrpersonen und den Kindern. Sechs
                                 Jahre durfte ich mithelfen – mit dem
                                 grössten Vergnügen.
                                 Ein Sprichwort sagt, dass die Zeit Wunden
                                 heilt. War das auch bei den Otts der Fall?
                                 Eva Ott: «Die Emotionen sind vergangen,
                                 die Liebe geblieben», sagt sie heute.
                                 «Der Verlust schmerzt nicht mehr.»
                                 Inzwischen habe sie auch realisiert, dass
                                 der Standort USA für die ganze Familie
                                 eine gute Lösung gewesen sei, nicht nur
                                 für die Schwiegertochter, sondern auch
                                 für ihren Sohn und die beiden Enkelinnen.
                                 «Alle sind heute zufrieden.»
                                                                                   Dies ist ein zugelassenes Arzneimittel.
                                                                                   Lesen Sie die Packungsbeilage.

                                                                              Tebofortin_uno240_Anzeige_188x250mm_DE_FR.indd 1             07.04.20 10:18

10    Visit Sommer 2020
www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
LEBENSRAUM

«Zweifel ist ein wichtiges                                                                            Einfach loslassen – das sagt sich so einfach.
                                                                                                      Warum fällt es uns Menschen denn so schwer,
                                                                                                      etwas an unseren Gewohnheiten oder in
                                                                                                                                                            Ratgeber halten selten, was sie versprechen. Wir
                                                                                                                                                            sind Individualisten und befinden uns in unter-
                                                                                                                                                            schiedlichen Lebenszusammenhängen. Da sind

Instrument für uns»
                                                                                                      ­u nserem Leben zu verändern?                         pauschale, nicht speziell auf die einzelne Person
                                                                                                       Annemarie Pieper: Das Gegenteil von Loslassen        zugeschnittene Handlungsanweisungen nicht
                                                                                                      bietet vielleicht eine erste Antwort: Wir wollen      hilfreich und verpuffen rasch.
                                                                                                      etwas, das sich lange Zeit bewährt hat, festhal-
                                                                                                      ten. Es gibt uns festen Halt und ist damit ein ver-   Schwingt beim Prozess des Loslassens auch
Annemarie Pieper, ehemalige Professorin für Philosophie an der Universität Basel und                  lässlicher Leitfaden im Leben. An diesen klam-        Angst mit – letztlich auch die Erkenntnis, dass
Buchautorin, spricht mit Visit über das Loslassen und die damit verbundenen Emotionen,                mern wir uns auch dann, wenn etwas brüchig            wir selbst auch vergänglich sind?
Schmerzen und Glücksgefühle.                                                                          wird: eine Beziehung, die existenziellen Verhält-     Loslassen ist immer mit Verlust verbunden. Ver­
                                                                                                      nisse, unser Lebensplan.                              lustängste stellen sich ein, wenn etwas unwieder-
Text: Robert Bösiger    Foto: Sandra Ardizzone                                                                                                              bringlich verloren ist und ein
                                                                                                      Wir alle müssen doch von klein auf loslassen.         gleichwertiger Ersatz fehlt. Die
                                                                                                      Und trotzdem fällt es uns bis ins hohe Alter          Einsicht, dass wir irgendwann «Oft wird der richtige
                                                                                                      schwer. Liegt das womöglich daran, dass meis­         auch einmal das Leben loslas- Zeitpunkt für einen als
                                                                                                      tens Gefühle im Spiel sind?                           sen müssen, stellt die Sinnfrage
                                                                                                      Was einem lieb und teuer ist, lässt man ungern los.   in den Raum. Lohnt sich das
                                                                                                                                                                                              wünschenswert erkannten
                                                                                                      Es sind oft kleine Dinge, an denen wir hängen, je     Dasein überhaupt?                 Ausstieg verpasst.»
                                                                                                      länger, desto mehr: Fotos, alte Kleidungsstücke,
                                                                                                      nostalgische Erinnerungen, auf die wir nicht ver-     Welches sind Ihrer Erfahrung nach die
                                                                                                      zichten wollen, da uns mit ihnen auch eine starke     schwierigsten Arten des Loslassens?
                                                                                                      emotionale Komponente verbindet, durch die ein        Wenn man ohnmächtig ist, ein Verhängnis abzu-
                                                                                                      Stück gelebtes Leben präsentiert wird.                wenden, und sich damit abfinden muss, etwas
                                                                                                                                                            gehen lassen zu müssen, das uns viel bedeutet.
                                                                                                       Oft sind mit dem Loslassen Schmerzen ver­
                                                                                                       bunden. Es ist doch erstaunlich, dass wir sogar      Vermutlich macht es einen Unterschied,
                                                                                                       leiden, wenn wir uns von Materiellem trennen –       ob es sich um ein freiwilliges oder ein quasi
                                                                                                       zum Beispiel einem alten Auto oder einem             ­erzwungenes Loslassen handelt?
                                                                                                      ­Möbelstück.                                          Wenn der Arbeitgeber uns entlässt oder der Ehe-
                                                                                                      Gerade materielle Gegenstände, die als solche         partner uns vor die Tür setzt, ist das schmerz­
                                                                                                      eine sinnliche Qualität besitzen, möchte man          licher, als in einem sportlichen Wettkampf den
                                                                                                      eben deshalb behalten, weil ihr Anblick schon seit    Sieg gegen einen überlegenen Partner aus der
                                                                                                      langem unsere Augen erfreut, weil sie sich so         Hand zu geben. Aber es ist auch nicht immer
                                                                                                      wunderbar anfühlen, weil ihr Geruch an ein-           leicht, sich selbst davon zu überzeugen, dass es
                                                                                                      drückliche Erlebnisse erinnert. Sie bieten oft        an der Zeit ist, mit etwas Vergangenem abzu-
                                                                                                      Trost in düsteren Zeiten.                             schliessen, damit andere übernehmen können. Es
                                                                                                                                                            dauert manchmal, bis man die Chance sieht, die
                                                                                                      Viele Menschen können nicht loslassen, zum            in der Konzentration auf neue Horizonte liegt.
                                                                                                      Beispiel ihren Job oder ihr Geschäft, obwohl
                                                                                                      sie das schon lange tun möchten. Sie haben            Sollte das Loslassenkönnen nicht mit steigen­
                                                                                                      Angst, dass es schiefläuft. Gehören Zweifel           dem Alter einfacher werden, weil man im Ver­
                                                                                                      zum Menschen oder nur zu Pessimisten?                 laufe des Lebens hoffentlich erkannt hat, dass
                                                                                                      Der Zweifel ist ein wichtiges Instrument für rati-    das Loslassen auch befreien und im besten Fall
                                                                                                      onale Lebewesen, die sich nicht ungeprüft auf         neuen Raum und Perspektiven schaffen kann?
                                                                                                      etwas verlassen, sondern stets kritische Verglei-     Im Alter leidet manchmal die körperliche Beweg-
                                                                                                      che mit bereits gemachten Erfahrungen anstellen       lichkeit, was oft auch zu einer gewissen Immobi-
Im Alter von 60 Jahren liess sich Philosophie-Professorin Annemarie Pieper frühzeitig pensionieren.
                                                                                                      und daraus ihre Schlüsse ziehen. Aber oft wird        lität in der Sicht der Dinge führt. Eingefleischte
                                                                                                      der richtige Zeitpunkt für einen als wünschens-       Vorurteile und der so genannte Altersstarrsinn
                                                                                                      wert erkannten Ausstieg verpasst — eben weil          verschliessen vielen die Augen vor neuen, drin-
«Altersweisheit steht heute, wo es                                                                    man, möglicherweise aus Selbstüberschätzung,          gend notwendigen Perspektiven. Sie beharren auf
sehr viele die Generationenpyramide                                                                   nicht loslassen kann.                                 überlebten, den veränderten Situationen und für
                                                                                                                                                            die Lösung von Konflikten nicht mehr angemes-
belastende alte Menschen gibt,                                                                        Was sagen Sie zu den vielen Ratgebern, ­              senen Ansichten. Andererseits wurden in den
nicht besonders hoch im Kurs.»                                                                        in denen die Rede ist, dass im Leben mit              vergangenen Zeiten gerade die Stammes- oder
                                                                                                      der richtigen Einstellung und den richtigen           Dorfältesten für ihre Weisheit gerühmt, da sie
                                                                                                      Ge­d anken nahezu alles möglich sei?                  aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung im Besitz

12      Visit Sommer 2020                                                                                                                                                                                 Visit Sommer 2020   13
www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
LEBENSRAUM

                                von Urteilskraft und einer für die Gemeinschaft
                                unverzichtbaren Problemlösungskompetenz wa-           Persönlich                                                               100
                                ren. Altersweisheit steht heute, wo es sehr viele,    Annemarie Pieper (79) war von 1981 bis 2001 an
                                die Generationenpyramide belastende alte Men-         der Universität Basel Professorin für Philosophie.
                                schen gibt, nicht besonders hoch im Kurs. Doch        Als eine der ersten Frauen wurde sie nach Basel
                                                                                                                                                                                                                   Anthroposophisches
                                der Beitrag, den Grosseltern für ihre Enkelkinder     berufen – auf den Lehrstuhl von Karl Jaspers
                                                                                                                                                                                                          Alters- und Pflegeheim Sonnengarten
                                erbringen, ist ein unschätzbarer kollektiver Wert.    (1883–1969). Im Alter von 60 Jahren liess sie                                                                                  Hombrechtikon
                                                                                      sich frühzeitig pensionieren. Seither beschäftigt
                                Braucht ein Mensch Visionen, um loslassen             sie sich weiter mit Philosophie und schreibt
                                und sich auf etwas Neues einlassen zu können?         ­Romane; die Liste ihrer Publikationen ist lang.                 RINGVORLESUNGEN
                                Oder gilt eher der Satz von Altbundeskanzler           ­Einem grösseren Publikum in der Schweiz ist sie
                                Helmut Schmidt: «Wer Visionen hat, soll zum
                                Arzt gehen»?
                                                                                        ­bekannt, seit sie beim Schweizer Fernsehen die
                                                                                         Sendung «Sternstunde Philo­sophie» moderierte.
                                                                                                                                                       Vom guten Altern
                                Ohne Visionen und Utopien erlahmt die Fantasie,
                                die ganzheitliche Zukunftsentwürfe entwickelt         Pieper wurde 1941 in Düsseldorf geboren.
                                                                                      Heute lebt sie in Rheinfelden, wo sie – auch
                                                                                                                                                       Steuern: Wettbewerb
                                und für deren Umsetzung die Menschheit insge-
                                samt mobilisiert werden soll — etwa für eine ge-      während der Corona-Krise – jeden Mittag                          und Gerechtigkeit
                                rechtere Welt, ein gutes Leben für alle, die Ver-     ­mindestens eine Stunde Velo fährt.
                                                                                                                                                                                                         • Grosszügige Wohnungen und Gemeinschaftsräume
                                hinderung eines Super-GAU.                                                                                             Goya: Alter Meister                               • Kurs- und Kulturangebot
                                                                                                                                                                                                         • Alters- und bedarfsgerechte Ernährung

                                                                                                                                                       oder erster Moderner?
                                                                                                                                                                                                           (Biologisch/Vollwert/Schonkost/täglich Vegetarisch)
                                Haben Sie, Frau Pieper, Strategien, wie Sie es                                                                                                                           • Anthroposophisch erweiterte Pflege
                                                                                                                                                                                                         • Spezialisierter Pflegebereich für Demenzerkrankte
                                selber halten mit dem Loslassen?                     versuche ich auf bestmögliche Weise umzusetzen.                                                                     • Siedlung mit Alterswohnungen
                                Ich persönlich bemühe mich nach Kräften um           Gelassenheit bedeutet also nicht, von allem die
                                                                                                                                                       Klimawandel:
                                                                                                                                                                                                         • Grosser Park und organische Architektur
                                Gelassenheit. Auch in diesem Wort steckt das         Finger und die anderen machen zu lassen, sondern                                                                    In der Regel findet am ersten Freitag im Monat um 14.00 Uhr eine
                                                                                                                                                                                                         öffentliche Führung durch den Sonnengarten statt (Anmeldung erforderlich).
                                Verb «lassen». Was andere besser können als ich,
                                das überlasse ich ihnen. Was ich noch gut kann,
                                                                                     dass man mit Augenmass entscheidet, wo es sinn-
                                                                                     voller ist anzupacken, anstatt loszulassen. 
                                                                                                                                                       Politik und Wirtschaft                            Alters- und Pflegeheim Sonnengarten
                                                                                                                                                                                                         Etzelstrasse 6 • 8634 Hombrechtikon/ZH • T 055 254 45 00
                                                                                                                                                                                                         www.sonnengarten.ch • info@sonnengarten.ch

INSERAT
                                                                                                                                                       Die Türkei am
                                                                                                                                                       Scheideweg?
                                                                                                                                                       Die Geschichte Afrikas:
                                                        «Es erfüllt mich mit Dankbarkeit,
                                                          dass sich rundum Menschen                                                                    Von den Anfängen der                                
                                                                                                                                                                                                         
                                                         bereit erklären, anderen zu helfen.»                                                          Menschheit bis zum                            LQ.RQȵLNWXQG*HZDOWVLWXDWLRQHQ
                                                                                                                                                                                                                           
                                                                                                                                                       Kolonialismus                                   

                                                                                           Je t z t m
                                                                                                        it
                                                                                          p s z h . c h h e l f e n!
                                                                                                                                                       KURSE
                                                                                                       /spend
                                                                                                                 en
                                                                                                                                                       Gehirntraining
                                                                                                                                                       Stimme im Alter
      Gemeinsam schaffen wir das!                                                                                                                                                                          fragen
      Gerade für ältere Menschen, die von Familie und Bekannten isoliert sind, ist die aktuelle Lage belastend.                                        Pilates 60+                                   und antworten aus
      Wir nehmen Anrufe entgegen, sprechen Betroffenen Mut zu und erarbeiten konkrete Lösungen.                                                                                                      anthroposophischer
      Helfen Sie mit Ihrer Spende – damit während der Corona-Krise niemand einsam ist.                                                                                                                      sicht

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                                                                                                                       www.pszh.ch                    www.vhszh.ch · info@vhszh.ch · 044 205 84 84

 Inserat_Visit_188x122.indd 1                                                                                                        16.04.20 15:25

14        Visit Sommer 2020
www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
LEBENSRAUM

«Vielleicht brauche                                                                                             Büezer ohne soziale Kontakte
                                                                                                                Aufgewachsen ist Hans Meier im Zürcher Ober-
                                                                                                                land. Seine Eltern waren in der Textilbranche
                                                                                                                                                                        Das neue Leben beginnt
                                                                                                                                                                        Auch die Miete von 1800 Franken habe er jeden
                                                                                                                                                                        Monat bezahlt, obwohl sie für diese Wohnung

ich das eines Tages»
                                                                                                                tätig. Die Mutter habe immer sehr viel gearbeitet.      überrissen gewesen sei. «Jetzt, mit 77 Jahren,
                                                                                                                Als er drei Jahr alt war, verliess der Vater die Fa-    habe ich verstanden, dass ich nicht alles schlu-
                                                                                                                milie für eine andere Frau. Hans Meier machte           cken muss», sagt er. Er wolle nicht mehr alles in
                                                                                                                eine Lehre und wurde Stromer. Danach arbeitete          sich reinstopfen, sich zumüllen. Ein neues Leben
                                                                                                                er sein ganzes Berufsleben lang in der gleichen         wartet auf ihn, in einem Heim für Pensionierte
                                                                                                                Fassfabrik. «Ich bin ein echter Handwerker, ein         von der Stiftung Johann Heinrich Ernst. So ein
Menschen, die ihre Wohnungen bis an die Decke mit «Plunder» vollstopfen,                                        Büezer», sagt er über sich selbst. Man sieht es         Glück habe er gehabt, dass er dort untergekom-
nennt man Messies. Ihnen fällt das Loslassen schwer. Und das hat viele Gründe.                                  seinen Händen an. Soziale Kontakte hat er nicht.        men sei. Dies sei nur durch Zufall passiert, weil
                                                                                                                Seine zwei Halbgeschwister habe er seit Ewigkei-        er im letzten Januar einen Herzinfarkt erlitten
Ein Augenzeugenbericht.                                                                                         ten nicht gesehen. Und seine Freundin ist vor           habe und im Spital jemand auf seine Situation
Text und Fotos: Nina Fargahi                                                                                    vielen Jahren an Krebs gestorben. «Ich habe sie         aufmerksam geworden sei.
                                                                                                                gepflegt und begleitet bis am Schluss.»                    Er freue sich sehr auf das Leben im «Die meisten Messies
                                                                                                                   Rita Rupp Reiter, Umzugskoordinatorin bei Pro        Heim, wo Leute sind, mit denen er spre-
                                                                                                                Senectute Kanton Zürich, hilft beim Ausräumen.          chen könne, und wo er endlich einen sind einsame und
                                                      Nur wer von Altem loslässt, ist offen für Neues.          Sie kommt immer wieder mal in den Gang und              geregelten Alltag habe, geregelte Mahl- verletzte Menschen.»
                                                      Das sieht auch Hans Meier (Name geändert) so.             überreicht Herrn Meier einen Gegenstand, von            zeiten, Luft zum Atmen. Und am meis-
                                                                                                                                                                                                                  Rita Rupp Reiter
                                                      Es ist an einem Freitagmorgen, als drei Zügel-            dem sie denkt, dass er ihn gerne mitnehmen wür-         ten freue ihn, dass das Grab seiner
                                                      männer mit Handschuhen seine Wohnung                      de. Eine kleine Fotokamera, einen besonderen Pin        Freundin ganz in der Nähe des Heimes
                                                      ­räumen. Hans Meier ist 77 Jahre alt und ein so-          oder auch einen Zweifränkler. Alles andere              sei. «Zum Glück musste ich notfallmässig am Her-
                                                       genannter Messie. Das heisst, dass er über zwan-         kommt in eine grosse grüne Mulde zur Entsor-            zen operiert werden. Sonst wäre ich wohl in die-
                                                       zig Jahre lang so viele Dinge in seiner Wohnung          gung. «Die meisten Messies sind einsame und             ser Wohnung gestorben und niemand hätte es
                                                       ­a ngesammelt hat, dass er selbst kaum mehr zur          verletzte Menschen», sagt Rupp Reiter. Sie wür-         bemerkt.»
                                                        Türe rein- oder rausgehen kann.                         den sich derart isolieren, damit ihnen niemand             Hans Meier lässt los. Von seinen Sachen, sei-
                                                           An diesem Freitagmorgen fühlt sich Meier «ei-        mehr nahe kommen könne.                                 nem bisherigen Leben, seiner Vergangenheit.
                                                        nerseits befreit, anderseits schutzlos», wie er sagt.                                                           Denn er weiss, auf ihn wartet Neues. Er steht auf
                                                        Er habe gewusst, dass er ein Problem habe, aber         Nie auf den Tisch gehauen                               und trägt einen kleinen Holzschemel die Treppen
                                                        irgendwie vergingen die Monate, die Jahre, ohne         Die Wohnung von Hans Meier wird an diesem               runter. Diesen Holzschemel habe er selbst ge-
                                                        dass er Hilfe holte oder etwas veränderte. Er er-       Freitag seit Stunden geräumt, und noch immer            macht in der Schule, als er zehn Jahre alt war.
                                                        klärt es so: «Ich hatte keine Kraft. Ich schlief nur    sind die Zimmer kaum betretbar. Man fragt sich,         Vorsichtig stellt er ihn unten an die Treppe. Und
                                                        noch oder ging in die Migros, um zu essen. Die          wie Hans Meier all die Jahre in dieser Wohnung          als er sich so liebevoll über diesen Holzschemel
                                                        Küche konnte ich nicht mehr benutzen.» Er habe          gelebt haben mag. Wie muss das gewesen sein?            bückt mit seinen viel zu weiten Hosen und den
                                                        sich richtig gehen lassen, es sei ihm einfach alles     Kein einziger Lichtstrahl vermag von aussen in          ungekämmten Haaren, ist plötzlich der Zehnjäh-
                                                        egal gewesen. Hans Meier muss sich hinsetzen,           die Wohnung einzudringen, so überfüllt sind alle        rige in ihm zu sehen. Das Kind, dem es an so
                                                        das Erzählen führt ihm selbst vor Augen, wie sehr       Zimmer. Kisten, Holzlatten, kaputte Elektrogerä-        vielem gemangelt hat, dass es meinte, die Leere
                                                        er gelitten hat. Wie sehr ihn die Sammelsucht           te, Plastikschüsseln, Papier – ein Chaos bis an die     nur mit Plunder füllen zu können.
                                                        vereinnahmte. Und dass sie ihn am Schluss doch          Decken, das man kaum in Worte fassen kann.
                                                                                                                                                                                             Rita Rupp Reiter,
                                                        nicht vor der Einsamkeit retten konnte. Dass der        Unter dem Teppich liegen ungeöffnete Post und
                                                                                                                                                                                             Umzugskoordinatorin
                                                        ganze Plunder ihn nur noch mehr in die Enge             unbezahlte Rechnungen. Im Schlafzimmer taucht
                                                                                                                                                                                             bei Pro Senectute Kanton
                                                        drückte – wortwörtlich.                                 verrotteter Käse auf, sogar die Maden darin sind
                                                                                                                                                                                             Zürich
                                                                                                                längst tot. Hinter dem Bett stapelt sich ein riesiger
                                                                                                                Müllhaufen.
                                                        Ziehen Sie bald in eine neue Wohnung um? Oder
                                                                                                                    «Irgendwie wurde es immer unmöglicher auf-
                                                        wechseln Sie in ein Alters- und Pflegeheim? Wir
                                                                                                                zuräumen», sagt Hans Meier. Alles, was ihm in
                                                        organisieren für Sie alles rund um Ihre «Züglete»
                                                                                                                die Finger kam, habe er mitgenommen, gesam-
                                                        und begleiten Sie, bis Sie im neuen Zuhause
                                                                                                                melt, aufgehoben. «Vielleicht brauche ich das ei-
                                                        eingerichtet sind.
                                                                                                                nes Tages», habe er sich selbst eingeredet. Er ist
                                                        Informationen zu Kosten und Ablauf:              Info   verlegen, schämt sich für seine Sucht, obwohl sie
                                                        Tel. 058 451 50 44, umzugshilfe@pszh.ch,                nachvollziehbar ist, wenn man seine Geschichte
                                                        www.pszh.ch/umzugshilfe                                 hört. «Ich habe mich nie gewehrt, alle haben im-
                                                                                                                mer alles mit mir machen können und ich habe
                                                                                                                keinen Mucks gemacht», sagt er. Nie habe er auf
                                                                                                                den Tisch gehauen, nie Wut gefühlt. Meistens
                                                      Wenn einem alles über den Kopf wächst:                    habe er gar nichts gefühlt. Meistens sei er wie
                                                      Blick in den Messie-Haushalt.                             gelähmt gewesen.

16     Visit Sommer 2020                                                                                                                                                                                          Visit Sommer 2020   17
www.pszh.ch Visit - Loslassen Weshalb der Abschied von Vertrautem so schwerfällt, gleichzeitig aber auch befreien kann - Pro Senectute Kanton ...
LEBENSART

                                           Der Glückspilz
                                           Als diplomierter Bratschist und Organist hat Conrad Zwicky ein ebenso
                                           spannendes wie abwechslungsreiches Leben geführt. Im Pensionsalter hat
                                           er noch das Flugdiplom und das Fluglehrerbrevet gemacht.

                                           Text: Robert Bösiger   Foto: Christian Roth

                                           Conrad Zwicky ist ein Nachkriegskind. 1946 ge-       mit Diplom abschliessen können.» Diese Episode
                                           boren, lebt er in einer Familie mit vier Geschwis-   zeigt nach Ansicht von Zwicky, wie sich in seinem
                                           tern. Der Vater – ein Lehrer in Muttenz BL – sei     Leben fast alles immer glücklich entwickelt und
                                           streng, aber fair gewesen, sagt Zwicky, der uns      gefügt hat. Im Konservatorium habe ihn Müller,
                                           in seinem Haus in Urdorf ZH empfängt. Unver-         der auch als langjähriger Organist am Basler
                                           gessen sei ihm, dass er als junger Knabe seinen      Münster wirkte, allerdings stark gefördert. «Ohne
                                           Vater nach Lörrach habe begleiten dürfen. Da         seine Unterstützung wäre ich nie dahin gekom-
                                           habe er die immensen Kriegsschäden zum ersten        men», glaubt er.
                                           Mal selber gesehen. Das habe ihn geprägt und
                                           vor Augen geführt, wie gut und schön er es habe.     Solo-Bratschist und Organist
                                                                                                Nach bestandenen Diplomen macht der junge
                                           Aufbruch und Aufstieg                                Musiker seinen Weg. Wird Mitglied bei den Fes-
                                           Selber erlebt Conrad Zwicky «eine unglaublich        tival Strings Luzern, bereist mit diesem interna-
                                           friedliche Jugend», wie er sagt. «Ich bin genau in   tional tätigen Kammerorchester die ganze Welt.
                                           die richtige Zeit hineingeboren worden. Alles        Wechselt zum weltbekannten Tonhalle-Orchester
                                           befand sich im Aufbruch, alles ging immer nach       nach Zürich. Bald ist er stellvertretender Solo-
                                           oben.» Er besucht das Humanistische Gymna­           Bratschist. In diesem Volljob habe er gut ver-
                                           sium in Basel, möchte gerne Lokomotivführer          dient, berichtet Conrad Zwicky. Überhaupt habe
                                           werden oder Musiker. Doch dann macht er die          er «immer anständig leben können», sagt er. So-
                                           Matur, beginnt zu studieren. Statt wie zunächst      gar als er das grosse Orchester verlassen habe,
                                           vorgestellt mit Theologie beginnt er am Konser-      habe er mit Unterrichten, Konzerten und ande-
                                           vatorium mit dem Studium der Bratsche (Viola).       ren Engagements genügend verdient.
                                              Er kommt gut voran, möchte aber zur Halbzeit         Mit 64 Jahren verlässt er nach über 30 Jahren
                                           des vierjährigen Studiums gerne zusätzlich ein       seine Organistenstelle, lässt sich frühpensionieren.
                                           paar Orgelstunden nehmen; dieses Instrument          Mittlerweile ist er zum zweiten Mal verheiratet,
                                           beherrscht er damals schon recht gut.                nämlich mit der Ärztin Salome Zwicky. Kennen-
                                              Conrad Zwicky erzählt: «So klopfte ich beim       gelernt hat er sie an einem Konzert als damalige
                                           Orgelprofessor Eduard Müller an. Er bot mich         Hobby-Oboistin. So kommt zu den drei Söhnen
                                           zum Vorspielen auf in den grossen Konzertsaal        aus erster Ehe noch der vierte Sohn, Benjamin,
                                           des Konservatoriums. Während ich spielte, lief       hinzu.
                                           der Professor hinter meinem Rücken hin und her.         Conrad Zwicky berichtet über seine Söhne.
                                           Am Schluss setzte er sich neben mich und fragte:     Der Älteste, Stefan, habe Musik studiert, danach
                                           ‹Herr Zwicky, wann machen Sie das Diplom?› Ich       die Pilotenausbildung bei der Swissair gemacht.
                                           sagte ihm, dass ich in zwei Jahren das Bratsche-     Nach dem Grounding habe er das Konzertdiplom
                                           diplom machen werde. Doch er fragte nach:            gemacht – bis die Swiss nach Piloten suchte ...
                                           ‹Nein, wann machen Sie das Orgeldiplom?› Ich         Auch der Jüngste, Benjamin, sei Pilot und
                                           erklärte ihm, dass ich nur aus Freude ein paar       Fluglehrer geworden. So kommt es, dass Conrad
                                           Orgelstunden wolle. Nun begriff er und sagte:        Zwicky an seinem 70. Geburtstag im Cockpit
                                           ‹Machen Sie doch beides!› So habe ich fortan         mitfliegen kann, «vorne links ein Sohn, vorne
                           Conrad Zwicky   gleichzeitig Bratsche und Orgel studieren und        rechts ein anderer».                            >>

18   Visit Frühling 2020                                                                                                                       Visit Sommer 2020   19
LEBENSART                                                                                                                                                                                                                                                  PUBLIREPORTAGE

                                                                                 Ja, das Fliegen sei schön. Doch das Unterrichten
                                                                              sei vor allem, was ihn begeistere, sagt er. Schon
                                                                              in der Musik sei es immer sein Antrieb gewesen,                         Gesunde Ernährung
                                                                                                                                                      beim Älterwerden
                                                                              den Menschen Freude zu bereiten und sie weiter-
                                                                              zubringen. Sich selber hat er eine Freude bereitet,
                                                                              indem er vor vier Jahren ein Occasionsflugzeug
                                                                              gekauft hat. Damit fliegt er nun sogar ab und zu
                                                                              ins Ausland, um da Konzerte zu geben.                                   Ausgewogene und abwechslungsreiche Mahlzeiten fördern ein gesundes Altern.
                                                                                 Keine Frage. Conrad Zwicky ist sich sehr wohl                        Auch wichtig sind Freude und Genuss beim Essen.
                                                                              bewusst, wie viel Glück er in seinem Leben gehabt
                                                                              hat und dass er diesbezüglich privilegiert ist. «Ich
                                                                              hatte ein wahnsinnig spannendes und oft un-
                                                                              glaubliches Leben und war nie ernsthaft krank.
                                                                              Dafür bin ich auch so unendlich dankbar!» Oft
                                                                              frage er sich schon, ob er eines Tages «mal eins
                                                                              auf den Deckel» erhalte. Überhaupt: Bei all seinen
                                                                              Tätigkeiten als Musiker, IT-Fachmann oder Flug-
                                                                              lehrer frage er sich zuweilen, ob er sich nicht doch
                                                                              einfach selber überschätze.                                             Die Bedürfnisse unseres Körpers ver­                                                wie Raps-, Oliven-, Baumnuss- und
                                                                                                                                                      ändern sich mit dem Älterwerden.                                                    Leinöl gelten als besonders hochwertig,
                                                                              Älterwerden mit Glücksmomenten                                          Grundsätzlich gilt: Eine ausgewogene                                                da sie reich an Omega-3- und anderen
                                                                              Ins heutige Leben des Conrad Zwicky ist etwas                           und abwechslungsreiche Kost beein­                                                  wertvollen Fettsäuren sind.
                                                                              mehr Ruhe eingekehrt – selbstredend auch wegen                          flusst unsere Gesundheit positiv. Damit
                                                                              Corona. Er steht relativ früh auf, liest Zeitung. Um                    ist eine Ernährung gemeint, mit der                                                 Schwindel vorbeugen
                                                                              7 Uhr stösst seine Frau zum gemeinsamen Mor-                            man den Bedarf an allen Nährstoffen                                                 Nicht zu vergessen ist die Aufnahme
                                                                              genessen. Dann geht sie, immerhin 13 Jahre jün-                         (Proteine, Kohlenhydrate, Fette), Vita­                                             von genügend Flüssigkeit. Dies fördert
                                                                              ger, in die Praxis arbeiten. Er arbeitet Pendenzen                      minen und Mineralstoffen abdecken                                                   die geistige Leistungsfähigkeit und
                                                                              ab, wartet von zuhause aus das IT-Netzwerk der                          kann. Dies ist wichtig, um einer Man­                                               hilft gegen Schwindel. Es empfiehlt
                                                                              Praxis seiner Frau und erledigt dies und jenes.                         gelernährung entgegenzuwirken. Eine                                                 sich, täglich ein bis zwei Liter zu trin­
                                                                              Manchmal zieht er sich in sein Tonstudio im Un-                         Mangelernährung steht im Zusammen­                                                  ken – am besten Hahnen- oder Mine­
                                                                              tergeschoss des Hauses zurück. Hier entstanden                          hang mit verschiedenen gesundheit­                                                  ralwasser, ungesüssten Kräuter- oder
                                                                              eine ganze Reihe von CD-Aufnahmen mit vorwie-                           lichen Problemen.                                                                   Früchtetee. Alkohol und Süssgetränke
                                                                              gend klassischer Musik, auch Eigenkompositio-                                                                                                               sollten hingegen massvoll genossen
                                                                              nen. Übrigens: In den 1990er Jahren gründete                            Stürze vorbeugen                                                                    werden. Da bei vielen älteren Men­
                                                                              Zwicky den CD-Verlag Wiediscon Records, um                              Proteine (Eiweisse) haben für ältere                                                schen das Durstgefühl abnimmt, kann
                                                                              hochwertige Aufnahmen herzustellen und zu ver-                          Menschen eine besonders wichtige Be­      Dem Körper Energie liefern                ein Krug in Sichtweite an das regel­
                                                                              treiben.                                                                deutung. Eine ausreichende Aufnahme       Kohlenhydrate liefern unserem Körper      mässige Trinken erinnern.
                                                                                  Mit dem Älterwerden habe er sehr Mühe,                              stärkt Muskeln und Knochen. Damit         Energie. Sie sollten deshalb bei keiner   Wichtig ist ausserdem die Freude am
Aus dem Familienalbum des Conrad Zwicky (von links oben): als Primarschüler
                                                                              räumt Conrad Zwicky ein. Die Zeit vergehe ein-                          kann Stürzen und Knochenbrüchen           Mahlzeit fehlen. Besonders gesund         Essen. Eine feine Mahlzeit ist wohl­
in Muttenz BL, als Student der Bratsche und als gelegentlicher Dirigent.
                                                                              fach viel zu schnell. Alt fühle er sich nicht, wie er                   vorgebeugt werden. Fachpersonen           sind Vollkornprodukte wie Haferflo­       tuend. Es lohnt sich deshalb, das Essen
                                                                              sagt. Dreimal jährlich mache er einen Selbsttest:                       empfehlen, jede Mahlzeit mit protein­     cken, Vollreis und Vollkornbrot sowie     zu geniessen und sich Zeit dafür zu
                                                                              «Von unserer Wohnung in Locarno aus mache ich                           haltigen Nahrungsmitteln zu kom­          Hülsenfrüchte. Süsse Speisen sowie        nehmen.
                                                                              jeweils eine zirka 100 Kilometer lange Velotour.                        binieren – wie beispielsweise mit ma­     salzige Knabbereien sollten hingegen
                      Der Traum vom Fliegen                                   Immer, wenn ich diese ohne Probleme überstehe,                          gerem Fleisch, Fisch, Hülsenfrüchten      zurückhaltend genossen werden.             Mehr Informationen
                      Diese beiden fliegenden Söhne haben bei Conrad          bin ich wieder zufrieden mit mir.» Trotzdem be-                         (etwa Linsen, Bohnen, Erbsen), Tofu,                                                 Prävention und Gesundheitsförderung
                      Zwicky nach und nach den Wunsch geweckt, sel-           schäftigt sich Zwicky oft mit dem unvermeidli-                          Milchprodukten oder Eiern.                Das Immunsystem stärken                    Kanton Zürich hat eine Broschüre zur
                      ber einmal fliegen zu können. Ein Schlüsselerleb-       chen Ende. Er möchte in dieser Phase möglichst                                                                    Gemüse und Früchte enthalten wert­         gesunden Ernährung im Alter heraus-
                      nis sei gewesen, als ihm sein Jüngster einmal auf       niemandem zur Last fallen.                                              Auch Kalzium und Vitamin D können         volle Vitamine und Mineralstoffe und       gebracht. Diese kann als PDF herunter-
                      eine entsprechende Frage sinngemäss sagte:                  Vorerst aber geniesst der mittlerweile 74-Jäh-                      gegen Stürze helfen. Kalzium und Vi­      stärken unser Immunsystem. Es wird         geladen oder bestellt werden:
                      «Selbstverständlich kannst du selber fliegen – du       rige sein Leben. Als bisher letzten grossen                             tamin D stärken die Knochen und un­       empfohlen, jeden Tag dreimal eine          www.gesundheitsfoerderung-zh.ch
                      bist doch noch kein alter Mann!» Eine Schnupper-        Glücksmoment bezeichnet er die 20-tägige Flu-                           terstützen die Funktion der Muskeln.      Handvoll Gemüse und zweimal eine
                      stunde und ein halbes Jahr später hat Zwicky, da-       greise zum Nordkap zusammen mit seinem                                  Kalzium ist unter anderem in Milch­       Handvoll Früchte zu essen.
                      mals bald 65, das Brevet in der Tasche. Damit           jüngsten Sohn und seiner Frau. Am Steuerknüp-                           produkten und kalziumreichem Mine­
                      nicht genug: 2019 besteht er die Fluglehrerprü-         pel wechselten sich er und Benjamin ab, seine                           ralwasser enthalten. Da Vitamin D nur     Herz und Gehirn unterstützen
                      fung, kann fortan unterrichten. «Für mich ist es        Frau dokumentierte das Abenteuer in Wort und                            in geringen Mengen in Lebensmitteln       Gesunde Fette haben ebenfalls eine
                                                                                                                                      Bild: Stocksy

                      etwas vom Grössten», sagt er stolz, «wenn ich           Bild. «So etwas zu erleben mit der eigenen Fami-                        vorkommt, ist die Einnahme von Tab­       wichtige Funktion: Sie unterstützen
                      junge Leute unterrichten kann.»                         lie – einfach genial!»                                                 letten oder Tropfen sinnvoll.             das Herz und das Gehirn. Pflanzenöle

20      Visit Sommer 2020
LEBENSART

«Wertschätzung kann nur
von Menschen kommen»
Er hat Pro Senectute Kanton Zürich fast 13 Jahre lang mitgestaltet und geprägt –
als Vorsitzender der Geschäftsleitung. Ende Juni wird Franjo Ambrož nun pensioniert.
Was hat ihn in seiner Amtszeit besonders beschäftigt? Und was bleibt aus seiner Sicht
die grosse Herausforderung im Zusammenleben der Generationen?
Interview: Ivo Bachmann    Foto: Renate Wernli

                    Das Coronavirus prägt derzeit unseren Alltag.        und Trauer lassen sich aber leider nicht immer
                    Trotzdem – oder gerade deshalb – die Frage:          vermeiden. Absolut zentral finde ich, dass man
                    Was war Ihr ganz persönlicher Aufsteller am          aktiv bleibt und von sich aus das Telefon in die
                    heutigen Tag?                                        Hand nimmt, wenn das Bedürfnis nach Austausch
                    Franjo Ambrož: Ich hatte grosse Freude am A
                                                              ­ nruf     spürbar ist. Und dass Bezugspersonen bewusst
                    einer 88-jährigen Frau. Sie erzählte mir von         und häufiger den Kontakt zu alleinlebenden Men-
                    ihrem aktuellen Lebensalltag in ihrer Wohnung        schen aufnehmen.
                    und bedankte sich für die regelmässigen Anrufe
                    unserer Mitarbeitenden, für die verlässliche         Sozialkontakte sind auch für ältere Menschen
                    Qualität und die pünktlichen Lieferungen unse-       wichtig. Ist es für ihr Wohlergehen nicht
                    res Mahlzeitendienstes CasaGusto.                    schlimmer, wenn sie sich zuhause oder in einem
                                                                         Heimzimmer isolieren? Persönliche Kontakte,
                    Als Vorsitzender der Geschäftsleitung sind Sie       Bewegung und frische Luft tun doch gut …                                                                                                                               Mahnt zu Umsicht
                    in diesen Corona-Tagen ausserordentlich gefor­       Sozialkontakte sind für alle Menschen von zent-       Pensionierte übernehmen unter normalen Um­                Wenn Sie zurückblicken auf den Beginn Ihrer            und Geduld in
                    dert. Was ist Ihre persönliche Strategie, um in      raler Bedeutung. Kaum jemand isoliert sich zuhau-     ständen wichtige gesellschaftliche Aufgaben –             Tätigkeit bei Pro Senectute Kanton Zürich vor          Corona-Zeiten:
                    einer solchen Situation doch noch Entspannung        se von sich aus gerne und freiwillig! Es lässt sich   etwa in der Freiwilligenarbeit oder Kinder-               13 Jahren: Hat sich die Organisation stark ver­        Franjo Ambrož.
                    zu finden und Energie zu tanken?                     aber nicht leugnen, dass für ältere Menschen eine     betreuung. Wird dieses Engagement von Politik             ändert?
              Mein berufliches Leben ist eher selten durch be-           Ansteckung mit immensen Gesundheitsrisiken            und Gesellschaft gebührend geschätzt?                     Pro Senectute Kanton Zürich begleitet seit über
                             sondere Balance geprägt… Das                verbunden ist. Pointiert ausgedrückt: Eine zeitlich   Wer ist das letztlich: die Politik, die Gesellschaft?     100 Jahren das Älterwerden der Menschen im
«Sozialkontakte sind für liegt mir nicht wirklich! Ich hatte             befristete Isolation kann eine Voraussetzung fürs     Eine gebührende und notwendige Wertschätzung              Kanton Zürich und steht ihnen mit einer Vielzahl
                             aber immer wieder das Glück,                Überleben sein. Doch das führt leider auch zu so-     kann nicht von abstrakten Gebilden erbracht               von Dienstleistungen zur Seite. Eine solche Stif-
alle Menschen zentral.» spannende, abwechslungsreiche                    zialer Isolation und psychischen Belastungen. Mit     werden, sondern stets nur von Menschen – von              tung muss sich immer wieder hinterfragen und
Franjo Ambrož                und auch fordernde Aufgaben                 zu einschränkenden und zu starren Massnahmen          Ihnen, von mir, von Freunden, von Eltern, von             sich wandeln, um organisatorisch und inhaltlich
                             übernehmen zu dürfen. Entspan-              riskieren wir den ungerechtfertigten Ausschluss       Kindern … Schauen Sie sich unsere über 3600               den sich verändernden Aufgaben gerecht zu wer-
              nung finden und Energie tanken kann ich am                 eines Teils der Pensionierten aus dem öffentlichen    Freiwilligen und Ehrenamtlichen im ganzen Kan-            den. Diese Prozesse sind für alle Beteiligten sehr
              besten bei sportlichen Aktivitäten wie Velofahren          Leben. Das geht nicht, hier müssen wir individu-      ton Zürich an! Natürlich findet immer wieder auch         herausfordernd, doch man darf sie in keiner Wei-
              und auf Reisen.                                            eller vorgehen. Unter Beachtung von Hygienevor-       eine institutionelle Anerkennung ihrer Tätigkeit          se vernachlässigen. Sie haben denn auch die ers-
                                                                         schriften ist auch ein Spaziergang durchaus mög-      statt. Es ist letztlich aber nicht die Stiftung als ein   ten Jahre meiner Tätigkeit hier massgeblich ge-
                    Ältere Menschen sollten wegen der Corona-            lich – vorderhand jedoch nicht mit mehreren           unpersönliches Konstrukt, die das immense tag-            prägt. Denn wenn man sich in ein Auto setzt und
                    Pandemie möglichst zuhause bleiben und               Personen, da erfahrungsgemäss der nötige Abstand      tägliche Engagement von Freiwilligen würdigt              nicht dafür sorgt, dass vorgängig alle vier Räder
                    nähere Begegnungen vermeiden. Ihnen allen            nicht eingehalten werden kann.                        und verdankt. Es sind einzelne Menschen wie               montiert werden, kann man Gas geben, wie man
                    stellt sich die Frage: Wie halte ich meine sozia­                                                          unsere Mitarbeitenden, die das konkret leben.             will – man wird nicht vom Fleck kommen …
                    len Kontakte aufrecht? Was raten Sie ihnen?          Können Betroffene in dieser schwierigen Zeit          Oder ganz persönlich formuliert: Meine Wert-
                    Wir sind alle sehr verschieden, und so verschie-     weiterhin auf das Pflege- und Betreuungsan­           schätzung und den Dank an meine 85-jährige                Und wie hat sich die Situation der älteren
                    den ist auch der individuelle Umgang mit der         gebot von Pro Senectute Kanton Zürich zählen?         Mutter, die vor vielen Jahren meinen beruflichen          Menschen verändert?
                    jetzigen Situation. Wer in seinem Leben gelernt      Grundsätzlich werden alle unsere ambulanten           Weg massgeblich unterstützt hat, zeige ich nicht,         Sie hat sich in vielfältiger Weise weiterentwickelt:
                    hat, Alleinsein keineswegs nur als Belastung zu      Dienstleistungen weiterhin erbracht – mehrheit-       indem ich das in schöne Worte kleide. Ich zeige es,       Waren in den Gründungsjahren unserer Stiftung
                    erleben, findet sich erfahrungsgemäss etwas bes-     lich aber per E‑Mail, auf schriftlichem Weg oder      indem ich regelmässig bei ihr vorbei­schaue, ihr          eine warme Suppe, ein Wintermantel oder
                    ser zurecht, wenn er nur über Telefon, E-Mail oder   per Telefon. Die Spitex-Dienstleistungen von Pro      Sorge trage, mit ihr in einem 3-Meter-­Abstand            ein Paar Schuhe eine unglaubliche Erleichterung
                    per Brief den Kontakt mit seinen Bezugspersonen      Senectute Home sind in dieser Zeit sehr gefragt,      durch den Wald spaziere und ihren Ausführungen            und Entlastung für den betagten Menschen,
                    aufrechterhalten kann. Gefühle der Einsamkeit        ebenso die 24-Stunden-Betreuung.                      über einen grossen Baum lausche …                         so stehen wir heute an einem anderen Ort. Wir

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