Juni 2020 - Landesärztekammer Baden-Württemberg

 
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Juni 2020
Juni 2020 - Landesärztekammer Baden-Württemberg
2    BÄK Südwürttemberg                                                          Rundschreiben Juni 2020

    INHALTSVERZEICHNIS
    Vorwort................................................................................................................ 3
    Die Kreisärzteschaft Reutlingen stellt sich vor ..................................................... 4
    Aktivitäten der Kammer in Zeiten von Corona ..................................................... 5
    Auswirkungen der Pandemie auf den täglichen Kammerbetrieb .......................... 6
    Strategien zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie
    vor Ort in Ulm und im Alb-Donau-Kreis................................................................ 7
    Wir sind Ihre Kammer! ......................................................................................... 9
    Kammerhaushalt – woher & wohin .................................................................... 10
    Kommentar zum Kammerbeitrag: warum überhaupt? ....................................... 11
    „Solidarische Kammer“: Aufforderung zur Nominierung von Projekten .............. 14
    Neue Auszeichnung der Bezirksärztekammer Südwürttemberg
    für „Helden des Alltags“ ..................................................................................... 15
    Ärztliche Leichenschau: endlich neue Vergütungsregelungen in Kraft ............... 15
    Unterlassener Rettungsversuch eines Arztes nach Suizid strafbar? .................. 16
    Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der
    Selbsttötung (§ 217 StGB) verfassungswidrig ................................................... 17
    Richtervorbehalt und Hinweispflicht bei
    Fixierungen von Psychiatriepatienten ................................................................ 18
    Transplantationen: Entscheidungsbereitschaft
    zur Organspende soll gestärkt werden .............................................................. 19
    Austausch mit dem Landeskrebsregister ........................................................... 20
    Masernimpfpflicht .............................................................................................. 21
    Warnhinweise des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte .......... 21
    Online-Survey zu Belastungen und psych. Ressourcen während der Pandemie ... 21
    Novelle der Weiterbildungsordnung: neue Zusatzbezeichnungen ..................... 22
    Checkliste zum Antragsverfahren ...................................................................... 23
    Für die Zulassung zur Facharztprüfung notwendige Kurs-
    und Fachkundenachweise im Strahlenschutz .................................................... 23
    Informationen und Veranstaltungen der Akademie für
    ärztliche Fortbildung bei der Bezirksärztekammer Südwürttemberg .................. 24
    Telefonverzeichnis der Bezirksärztekammer Südwürttemberg ......................... 43

    Impressum:
    Herausgeber: Bezirksärztekammer Südwürttemberg
    Redaktion:   Dr. iur. R. Kiesecker (V.i.S.d.P.)
    Anschrift:   Haldenhaustraße 11, 72770 Reutlingen, zentrale@baek-sw.de
    Homepage: www.baek-sw.de
    Druck:       Müller + Bass, Tübingen
    Titelbild:   Nils Dittbrenner, www.bilderweide.de
Juni 2020 - Landesärztekammer Baden-Württemberg
3 BÄK Südwürttemberg                                  Rundschreiben Juni 2020

  Vorwort

  Liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege,

  im Vorwort des letzten Rundschreibens hatte ich im Dezember auf 2020 als „ein
  absehbar arbeitsreiches Jahr“ verwiesen, dabei aber eigentlich die Umsetzung der
  neuen Weiterbildungsordnung im Sinn gehabt.

  Aktuell dreht sich aber gefühlt alles nur noch um SARS-CoV-2, COVID-19, Kon-
  tagiösität, Verdoppelungszeiten, Reproduktionsindex, Intensivkapazitäten etc.
  Und auch in diesem Rundschreiben wird das Thema einen breiten Raum einneh-
  men, und natürlich auch einnehmen müssen. Wir werden die Pandemie-Aktivitäten
  der Kammer insgesamt (Seite 5) ebenso wie die Auswirkungen auf unseren Ta-
  gesbetrieb (Seite 6) Revue passieren lassen. Es gibt auch einen Bericht aus zwei
  Kreisärzteschaften, in dem gerade die initialen Probleme und Hürden sehr plas-
  tisch beschrieben werden (Seite 7).

  Allerdings haben wir auch noch ein paar andere Themen: so setzen wir die Reihe
  „Ihre Kammer“ fort, mit einer Vorstellung der Geschäftsführung (Seite 9). Auch
  liefern wir den versprochenen Artikel zur Herkunft und Verwendung Ihrer Kamm-
  erbeiträge (Seite 10), inklusive einem Kommentar dazu von meiner Seite (Seite
  11). Wir bitten um Vorschläge für unser neues Konzept „Solidarische Kammer“,
  mit dem wir als Ärzteschaft Projekte von engagierten Ärztinnen und Ärzten unter-
  stützen möchten (Seite 14). Ihren Vorschlägen hierzu sehen wir mit Spannung ent-
  gegen. Außerdem berichten wir über unsere neu ins Leben gerufene Ehrung für
  „Helden des Alltags“ (Seite 15) in Südwürttemberg. Ein Beitrag zur Neuregelung
  der Vergütung der ärztlichen Leichenschau (Seite 15) leitet eine Reihe von Beiträ-
  gen aus rechtlicher Sicht ein. Einige Berichte zur neuen Weiterbildungsordnung
  (Seite 22) und zu den Aktivitäten der Fortbildungsakademie (Seite 24) runden
  dieses Rundschreiben ab.

  Das Titelblatt setzt unsere visuelle Rundreise durch den Bezirk fort: es zeigt
  Schloss Lichtenstein im Kreis Reutlingen, mit einem Ausblick auf die Albhochflä-
  che. Das Schloss wurde, inspiriert durch einen Roman von Wilhelm Hauff, im ge-
  wollt mittelalterlichen Stil erst um 1840 von Wilhelm Graf von Württemberg in Auf-
  trag gegeben; es gilt als „Märchenschloss Württembergs“. Eine kurze Vorstellung
  der Kreisärzteschaft Reutlingen (und einige Erläuterungen unsererseits) finden Sie
  wie üblich direkt im Anschluss an dieses Vorwort.

  Lassen Sie mich mit einigen persönlichen Bemerkungen schließen: für uns als
  Ärzteschaft sind es, wie für die Gesellschaft insgesamt, anstrengende Zeiten.
  Während wir einerseits für die Bewältigung dieser Herausforderung sehr gefordert
  sind, so haben wir doch andererseits die Möglichkeit, uns aktiv einzubringen und
  das zu tun, was unseren großartigen Beruf ausmacht – Leiden zu lindern oder
  ganz zu verhindern. Es ist eine Pandemie, die auch an uns nicht spurlos vorüber
  gegangen ist – einige von uns haben extrem viel investiert, und sind dabei auch
  selbst krank geworden oder haben Freunde oder Angehörige verloren. Dies wollen
  und dürfen wir nicht vergessen! Aber immerhin, es gab nicht nur negative Erfah-
  rungen: es wurden viele pragmatische Lösungen gefunden, neue Freundschaften
  geschlossen, die Gräben zwischen Klinik und Praxis wurden flacher, wir haben
  vielfältigen Zuspruch und Anerkennung erfahren, die Ärztinnen und Ärzte von mor-
  gen haben sich sehr engagiert eingebracht etc. Daher, und auch wenn wir (zum
  Redaktionsschluss Ende April) nicht wissen, ob die Zukunft eine zweite Welle,
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    ein langsames Abflauen oder etwas ganz Unvorhergesehenes bringt, bleibt (wie
    schon im per E-Mail versandten Schreiben vom 8. April formuliert) auch verhalten
    positiv festzuhalten: „Wir helfen zusammen und wachsen zusammen“, und das in
    mehrfacher Hinsicht.

    Ich finde (und bin stolz darauf!), dass auch die Kammer auf all ihren Ebenen in
    dieser Krise in vielerlei Hinsicht über sich hinaus gewachsen ist. Viele Entschei-
    dungen waren zu treffen, und einige davon waren schwerwiegend und mussten
    trotz unsicherer Sachlage schnell gefällt werden. Einige Inkonsistenzen haben sich
    sicher nicht völlig vermeiden lassen, wofür ich um Nachsicht bitte. Aber ganz
    grundsätzlich ist diese Krise auch eine Prüfung der ärztlichen Selbstverwaltung,
    und wir haben einige starke Argumente dafür geliefert, dass wir auch und gerade
    in Krisenzeiten handlungsfähig sind. Allen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die
    sich in dieser Zeit eingebracht haben – Danke!

    Dennoch: dieses „auf Sicht fahren“ war oft anstrengend, und dass all dies in der
    Geschäftsstelle neben der normalen (und teils ja auch aufwändigeren) Tagesarbeit
    geleistet werden konnte ist nicht selbstverständlich – zumal durch ja auch oft per-
    sönlich betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung. Daher
    möchte ich zum Abschluss auch jeder und jedem einzelnen danken, die in diesen
    schwierigen Zeiten und allen Widrigkeiten zum Trotz die Geschäfte der Ärzte-
    schaft weitergeführt haben! Wenn Sie abends auf dem Balkon stehen sollten und
    den „systemrelevanten Helden“ Applaus spenden, dann schließen Sie doch neben
    unseren ehrenamtlich tätigen, unseren niedergelassenen oder angestellten ärztli-
    chen Kolleginnen und Kollegen gerne auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
    der Bezirksärztekammer in Ihren Beifall mit ein – denn die haben ihn sich auch
    verdient!

    Mit freundlichen Grüßen aus Ihrer Kammer – und bitte, bleiben Sie gesund!

    Ihr
    Prof. Dr. Marko Wilke

    Die Kreisärzteschaft Reutlingen stellt sich vor
    Die Kreisärzteschaft stellt als eine Untergliederung der Bezirksärztekammer die
    „Kammer vor Ort“ dar. Der Schwerpunkt der Arbeit der Kreisärzteschaft liegt auf
    der Wahrung und Förderung der kollegialen Zusammenarbeit sowie in der Orga-
    nisation eigener Fortbildungsveranstaltungen. Außerdem trägt die Kreisärzte-
    schaft zur berufspolitischen Meinungsbildung innerhalb der Ärzteschaft bei. Inner-
    halb von Südwürttemberg gibt es neun Kreisärzteschaften (Alb-Donau, Biberach,
    Bodenseekreis, Ravensburg, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen, Ulm und
    Zollernalb). Heute stellt sich Ihnen die Kreisärzteschaft Reutlingen vor:

    Die Kreisärzteschaft Reutlingen vertritt ca. 1400 Ärztinnen und Ärzte des Land-
    kreises Reutlingen. Die Kreisärzteschaft legt großen Wert auf Erhalt und Stärkung
    der berufsständischen ärztlichen Selbstverwaltung, deren Existenzberechtigung
    immer wieder in Frage gestellt wurde und wird. Beim Bemühen um den Erhalt der
    ärztlichen Selbstverwaltung und der beruflichen Freiheit sieht sich die Reutlinger
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  Kreisärzteschaft in der historischen Tradition einer ehemaligen freien Reichsstadt
  mit Reutlinger Bürgern, denen die gesellschaftliche Freiheit und der Schutz der
  Individualität immer schon ein Herzensanliegen war.

  Bei der letzten Vollversammlung der Kreisärzteschaft Reutlingen im November
  2019 wurde ihr Vorstand für die Dauer von vier Jahren neu gewählt. Satzungsge-
  mäß gehören dem Vorstand mindestens drei Mitglieder an, und zwar der Vorsit-
  zende, sein Stellvertreter und der Rechnungsführer. Die Mitgliederversammlung
  kann bis zu acht weitere Mitglieder als Beisitzer hinzuwählen, wobei typischer-
  weise ein Beisitzer explizit als Fortbildungsbeauftragter benannt wird.
  In Reutlingen wurden der bisherige Vorsitzende Dr. Günther Fuhrer sowie der ge-
  samte Vorstand im Amt bestätigt. Diesem gehören an: Dr. Uwe Schwaiger (stellv.
  Vorsitzender), Markus Nicolai (Rechnungsführer), Prof. Dr. Konstantin Haase, Dr.
  Martin Herrmann, Dr. Bernhard Müller, Dr. Eberhard Rapp, PD Dr. Sigrid Friese
  und Susanne Früh.

  Auch in der neuen Amtszeit wird der Vorstand der Kreisärzteschaft Reutlingen
  seine Arbeit im Interesse und zum Wohl aller Ärztinnen und Ärzte des Landkreises
  fortsetzen.

  Aktivitäten der Kammer in Zeiten von Corona
  Die Ärztekammern sind wie ganz Deutschland im Februar und März 2020 von der
  Corona-Pandemie erfasst worden. Wir, als hauptamtlich Angestellte oder als eh-
  renamtlich Engagierte, mussten sehr schnell Antworten auf viele Fragen und Lö-
  sungen für viele Probleme finden. An dieser Stelle möchten wir Ihnen einen kurzen
  Überblick geben, auf welch vielfältige Weise wir in die Bewältigung der Krise invol-
  viert waren.

  Die Aufgabe der Landesärztekammer ist das übergeordnete politische Agieren
  nach innen und außen, und in dieser Funktion war sie der Ansprechpartner für die
  Landesregierung, die Krankenhausgesellschaft, das Landesgesundheitsamt, die
  Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenkassen und viele andere. Vielfältige
  Treffen und Absprachen waren die logische Folge. Ein wichtiger Baustein der Vor-
  bereitung auf eine Katastrophe war die Mobilisierung von aktuell nicht-ärztlich täti-
  gen Kolleginnen und Kollegen, mit einer großartigen Resonanz: von 6000 ange-
  schriebenen haben sich mehr als 2000 spontan bereit erklärt, im Notfall einzusprin-
  gen und Verantwortung zu übernehmen! Einige Kolleginnen und Kollegen aus die-
  sem Notfallpersonalpool konnten bereits an anfragende Institutionen vermittelt
  werden. Aber auch an der konkreten Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen
  haben wir uns beteiligt, zum Beispiel durch ein Desinfektionsmittelregister in Ko-
  operation mit der Landesapothekerkammer und nicht zuletzt durch die aktive Un-
  terstützung der psychotherapeutischen Betreuung auch von belasteten Kollegin-
  nen und Kollegen mit der Corona-Psycho-Hotline (Tel.: 0800 377 377 6). Schluss-
  endlich erfolgte auch die sehr schnelle Bündelung vieler wichtiger Fakten und Res-
  sourcen auf der Corona-Seite der Landesärztekammer.

  Die Bezirksärztekammer stand plötzlich vor der Aufgabe, viele Anfragen beant-
  worten und viele Informationen verteilen zu müssen. Hierfür haben wir die beste-
  henden Verteiler pragmatisch und zunehmend effektiv genutzt. Außerdem haben
  wir als die einzige sowohl den ambulanten wie auch den stationären Bereich ver-
  tretende ärztliche Körperschaft eine wichtige Mittlerfunktion eingenommen.
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    Dies galt auch für die Kommunikation zwischen den Kolleginnen und Kollegen vor
    Ort und den Entscheidungsträgern im Land. Auch mussten bezüglich der originä-
    ren Kammeraufgaben wie Fort- und Weiterbildung eine Reihe von teils einschnei-
    denden Entscheidungen getroffen werden, auf die wir weiter unten in einem eige-
    nen Beitrag noch näher eingehen.

    Die Kreisärzteschaften sind als Untergliederung der Bezirksärztekammer die
    „Kammer vor Ort“. Als lokale Vertreter der gesamten Ärzteschaft kam ihnen in die-
    ser Krisensituation eine immense Bedeutung und Verantwortung zu. Sie waren
    Ansprechpartner für die Gesundheitsämter und für Bürgermeister, Kreis- und
    Landräte ebenso wie für die Kassenärztliche Vereinigung und natürlich die Kolle-
    ginnen und Kollegen. Sie organisierten in vielfältiger und oft kreativer Weise
    Lösungen, die uns nun schon ganz normal vorkommen, wie die Fieberambulan-
    zen, die Abstrichzentren oder aufsuchende Fahrdienste. Aber diese mittlerweile
    gut etablierten Lösungen mussten alle erst erdacht, organisiert und umgesetzt wer-
    den, und das in einem föderalen System mit vielen regionalen Eigenheiten. Hier
    wurde in oft großartiger Kooperation mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst an
    vielen Stellen Herausragendes geleistet! Auch hierzu finden Sie noch einen eige-
    nen Erfahrungsbericht weiter unten.

    Diese Beispiele sollen nur der Illustration dienen, es gäbe noch viele andere
    Punkte, die eine Erwähnung verdient hätten. Es soll nicht beschönigt werden, dass
    nicht alles sofort gut gelaufen ist: die Kommunikation war nicht immer reibungslos,
    es gab persönliche und regionale Differenzen, die Klärung der Zuständigkeiten war
    nicht immer einfach und einige Entscheidungen mussten auch korrigiert oder nach-
    justiert werden. Angesichts der präzedenzlosen Gesamtsituation aber hat sich
    die Ärzteschaft und hat sich ihre Selbstverwaltung bis hierher mehr als wacker
    geschlagen!

    Auswirkungen der Pandemie auf den Kammerbetrieb
    Die Pandemie hat auch die Bezirksärztekammer vor erhebliche praktische Her-
    ausforderungen gestellt. An dieser Stelle soll kurz darauf eingegangen werden wie
    wir versucht haben, unsere gesetzlichen Aufgaben unter den neuen Bedingungen
    zu erfüllen.

    Normalerweise sehen wir uns als offene Kammer und ermuntern die Mitglieder
    nachdrücklich, bei Fragen persönlich vorbei zu kommen. Gerade in Fragen der
    Weiterbildung ist es einfacher, Dinge direkt zu besprechen und etwaig ausste-
    hende Nachweise oder andere Ergänzungen zu erläutern. In Abstimmung mit der
    Bezirksdirektion Reutlingen der Kassenärztlichen Vereinigung mussten wir aller-
    dings Mitte März das Ärztehaus für den Besucherverkehr schließen. In diesem
    Notbetrieb waren wir zwar nicht mehr persönlich, aber auch weiterhin telefonisch
    und schriftlich erreichbar. Das ist, wie Sie sich vorstellen können, nicht mit weniger
    Aufwand für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbunden gewesen, sondern
    erforderte auch organisatorisches Geschick. Aber auch zum Schutz unserer Be-
    schäftigten hatten wir keine andere Wahl.

    Sehr kontrovers wurde unsere Entscheidung aufgenommen, unsere Prüfungstä-
    tigkeiten zunächst auszusetzen. Hierzu erreichten uns viele sehr pointierte Rück-
    meldungen, wobei sich die positiven („Eine richtige Entscheidung für den Gesund-
    heitsschutz gerade auch der Prüfer!“) und die negativen („Es ist unverantwortlich,
    aktuell keine Fachärzte für XYZ zu prüfen!“) ziemlich genau die Waage hielten.
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  Hart traf es auch einige ausländische Kollegen, deren Fachsprachenprüfungen wir
  absagen mussten. Aber auch wir als Kammer hatten unter den Nachschubproble-
  men für persönliche Schutzausrüstung zu leiden und konnten erst Ende April nach
  dem Eintreffen eigens organisierter Lieferungen unsere Prüfungen (in größeren
  Räumlichkeiten und mit obligatem Mundschutz für alle Beteiligten) langsam wieder
  aufnehmen. Die Idee, diese Prüfungen zumindest teil-virtuell durchzuführen, wer-
  den wir weiter verfolgen, allerdings bestehen hier noch erhebliche rechtliche Be-
  denken.

  Auch unsere Fortbildungsakademie wurde arg gebeutelt: alle Fortbildungsveran-
  staltungen wurden zentral durch den Vorstand der Landesärztekammer kurzfristig
  abgesagt. Neben vielen medizinisch wichtigen Themen war hier auch unsere jähr-
  liche „politische Großveranstaltung“ betroffen, das Gesundheitsforum „Medizin
  zwischen Ökonomie und Profitorientierung". Hierfür hatten wir Referenten wie den
  Sozialminister Manne Lucha, den Medizinethiker Prof. Maio und weitere herausra-
  gende Persönlichkeiten aus dem Bezirk gewinnen können. Die Absage war für uns
  daher wirklich bitter, aber wir hoffen, dass wir das Thema in der nächsten Zeit
  erneut aufgreifen können. Absehbar allerdings wird erst im Herbst wieder so etwas
  wie ein Normalbetrieb möglich sein. Für viele Veranstaltungen versuchen wir daher
  neben neuen Terminen auch neue Formate zu finden wie „blended learning“ oder
  Webinare, auch durch neue Kooperationen. Dies ohne zusätzliche Mitarbeiter und
  mit der vorhandenen technischen Ausstattung umzusetzen bleibt aber eine Her-
  ausforderung.

  Auch für unsere anderen Aufgaben (die Bearbeitung von Patientenbeschwerden,
  die Berufsgerichtsbarkeit, die Gutachterkommission, die Ausbildung der medizini-
  schen Fachangestellten etc.) hatte die Pandemie im Alltag vielfältige Relevanz. All
  dies war neben der normalen (und teils ja auch aufwändigeren) Tagesarbeit wei-
  terhin zu schultern. Insbesondere die Absagen und Verschiebungen benötigten
  viele Erklärungen, viele Schreiben und manchmal auch ein tröstendes Wort.

  Zum Redaktionsschluss haben wir einige unserer Aktivitäten wieder langsam
  hochfahren können, andere sind auch weiterhin auf Eis gelegt. Einige Abläufe kön-
  nen bleiben wie sie waren, aber für viele müssen wir neue Regelungen finden. Es
  ist wie an so vielen Stellen aktuell ein „Fahren auf Sicht“, aber auch wenn wir uns
  auch hier auf absehbare Zeit an neue Formen und Formate gewöhnen müssen –
  wir wollen Ihre Kammer sein und bleiben!

  Bewältigung der COVID-19-Pandemie vor Ort: ein Bericht aus
  den Kreisärzteschaften in Ulm und im Alb-Donau-Kreis
  Als Vorsitzende der Kreisärzteschaften in Ulm und im Alb-Donau-Kreis war uns
  sehr schnell klar, dass wir diese Krise nur gemeinsam angehen können. Einerseits
  liegen wir geographisch sehr eng beieinander, und andererseits ist das Landrats-
  amt mit dem Gesundheitsamt sowohl für den Alb-Donau-Kreis als auch für die
  Stadt Ulm zuständig. Dies ist eine nicht ganz einfache „Gemengelage“, zumal auch
  die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten (die niedergelassenen Ärztinnen und
  Ärzte für den „Normalfall“, das öffentliche Gesundheitswesen für den Pandemie-
  fall) geklärt und abgestimmt werden mussten. In intensiven Gesprächen und Mails
  gelang es uns gemeinsam, beim Gesundheitsamt einen dringend notwendigen
  „runden Tisch“ (Behörden, Körperschaften und Kliniken) einzurichten. Anfänglich
  konnten wir das Gesundheitsamt in der Durchführung der epidemiologischen Ab-
  strich-Untersuchungen noch unterstützen, indem ärztliche Kollegen Abstriche bei
  „gesunden“ Covid-19-Kontaktpersonen durchführten. Als jedoch die Zahlen der
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    symptomatischen Patienten zunahmen, für die wir originär zuständig sind, verän-
    derten wir dieses Modell: das Gesundheitsamt übernahm die epidemiologischen
    Abstriche und wir kümmerten uns um die medizinisch indizierten Abstrich-Unter-
    suchungen.

    Hierzu übernahmen wir das von uns von Anfang an implementierte Konstrukt des
    ärztlich-besetzten KV-Mobils, sodass im geschützten Modus einerseits Virus-Ab-
    striche durchgeführt, aber andererseits vor allem eine ärztliche Untersuchung von
    symptomatischen Patienten im häuslichen Umfeld erfolgen konnte. Wir sahen sehr
    schnell auch die Notwendigkeit, zwei Abstricheinheiten ins Leben zu rufen, in Ulm
    und in Ehingen. Dieses Konstrukt besteht bis zum heutigen Tag, und wird vor allem
    bei steigenden Fallzahlen in Senioren- und Pflegeheimen immer wichtiger.

    Um die von Patienten*innen über die Patientenservice-Nummer (Tel. 116 117) an-
    geforderten Hausbesuche einer „ärztlichen Telefon-Triagierung“ zuführen zu kön-
    nen, besetzen wir täglich die Rettungsleitstelle mit unseren Kolleg*innen – ein zu-
    kunftsweisender Schritt, der mittlerweile von allen Seiten anerkannt und hoch ge-
    schätzt wird. Die Anzahl der Hausbesuche konnte so auf das medizinisch Notwen-
    digste reduziert werden. Lediglich bei der Notdienststruktur am Wochenende gibt
    es für Ulm und den Alb-Donau-Kreis unterschiedliche Herangehensweisen, die
    aber auf die jeweilige lokale Gegebenheit abgestimmt sind.

    Als ein großes Problem kristallisierte sich über die gesamte Zeitspanne die feh-
    lende persönliche Schutzausrüstung heraus. Eine fehlende Bevorratung und die
    bislang nicht geregelte Kostenübernahme waren und sind problematisch. Die Or-
    ganisation und Finanzierung wurde bisher von den Praxen selber gestemmt, die
    ja auch die Patientenversorgung zum größten Teil übernommen haben. Hier ist die
    Erstattung noch zu klären.

    Was sich von Anfang an bewährt hat war, dass wir einen ärztlichen Krisenstab
    mit folgenden Vertretern ins Leben gerufen haben: vertreten waren hier die Ärzte-
    kammer (Kreisärzteschaftsvorsitzende Herr Dr. Fischer/Ulm und Frau Dr. Blanken-
    horn/Alb-Donau-Kreis, sowie der von der Kreisärzteschaft Alb-Donau als An-
    sprechpartner für ärztliche Belange des Katastrophenschutzes benannte Herr
    Rost), die Kassenärztliche Vereinigung (Herr Dr. Barczok/Bezirksbeirat und Herr
    Dr. Schlaud/kinderärztlicher Notdienst) sowie von Anfang an auch der Kreisver-
    bandsarzt des DRK (Herr Prof. Dr. Kühlmuß). In regelmäßigen Telefonkonferen-
    zen wurden in diesem Team die weiteren Schritte niederschwellig besprochen und
    weiterentwickelt.

    Was auch sehr erfolgreich war und uns mit großer Freude erfüllte war, dass sich
    sehr viele ärztliche Kolleg*innen auf unseren gemeinsamen Aufruf zur Solidarität
    hin gemeldet und bereit erklärt haben, an den verschiedenen neu entwickelten
    Konstrukten mitzuarbeiten. Schwierigkeiten sahen wir leider zu Anfang in den rich-
    tigen Verteilerstrukturen von Informationen, um möglichst alle Mitglieder zu errei-
    chen, aber an der Verbesserung hieran arbeiten wir mit Erfolg. Insgesamt können
    wir konstatieren, dass wir vor Ort inzwischen sehr gut aufgestellt sind, auch weil
    wir regelmäßig die Konstrukte neu bewerten und der jeweiligen Situation anpassen
    können.

    Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei allen bedanken; dies war und
    wird uns vor allem in Zukunft eine sehr große Hilfe sein. Ob eine Stabilisierung, ein
    langsamer Rückgang oder ein erneuter Anstieg der COVID-19-Erkrankungen an-
    steht wissen wir nicht, aber wir fühlen uns nun -gemeinsam- besser gerüstet!

    Herzlichst Ihr Dr. Fischer und Ihre Dr. Blankenhorn
                                                                     (Stand: 22.4.2020)
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   Wir sind Ihre Kammer!
   Nach der Vorstellung von Präsidium und Vorstand in der letzten Ausgabe ist heute
   die Geschäftsleitung der Bezirksärztekammer Südwürttemberg an der Reihe.
   Gerne möchten wir uns Ihnen vorstellen:

                         Ich bin Juristin und seit über 25 Jahren für die Bezirksärzte-
                         kammer Südwürttemberg tätig. Seit Februar 2011 bin ich
                         Geschäftsführerin der Kammer. In enger Abstimmung mit
                         dem Präsidium und dem Vorstand bin ich für die Leitung
                         und Organisation unserer Kammer mit ihren 23 Mitarbeite-
                         rinnen und Mitarbeitern verantwortlich.
                         Unser Anspruch ist es, neben den Verwaltungsaufgaben
                         eine permanente Betreuung und Beratung unserer über
                         13.000 Mitglieder in allen Fragen, die ihre Berufsausübung
                         betreffen, sicherzustellen. Wichtig ist mir in diesem Zusam-
                         menhang insbesondere der enge Austausch und die Zu-
                         sammenarbeit mit den drei weiteren Bezirksärztekammern
                         in Baden-Württemberg und auch mit der Landesärztekam-
                         mer, um unseren Mitgliedern eine kräftige Stimme bei der
Dr. iur. Kiesecker       Wahrung ihrer Interessen auf Landes- und Bundesebene
                         zu verleihen.

                         Nach dem Zweiten juristischen Staatsexamen war ich zu-
                         nächst lange Jahre als Rechtsanwältin in einer verwal-
                         tungsrechtlich orientierten Anwaltskanzlei tätig, bis ich 2011
                         meine Tätigkeit bei der Landesärztekammer Baden-Würt-
                         temberg aufgenommen habe. 2013 bin ich zur Bezirksärz-
                         tekammer Südwürttemberg gewechselt, deren stellvertre-
                         tende Geschäftsführerin ich jetzt bin.
                         Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit liegt hier in der berufs-
                         rechtlichen Beratung, die mir vor allem wegen des direkten
                         Kontakts zu Ihnen viel Freude macht.
                         Egal ob Ausbildungsberatung für die medizinischen Fach-
                         angestellten, Ansprechpartnerin für rechtliche Probleme im
                         Zusammenhang mit der Weiterbildung, Tätigkeit als „Leite-
                         rin Identifizierung“ bei der Herausgabe der elektronischen
                         Arztausweise, Mitglied der Arbeitsgruppe zur Umsetzung
Ass. iur. Theurer
                         der Datenschutz-Grundverordnung … – meine Aufgaben
                         sind bunt!

                         Unmittelbar nach Abschluss meines Fachhochschulstudi-
                         ums habe auch ich vor über 25 Jahren meine Tätigkeit in
                         der Bezirksärztekammer Südwürttemberg aufgenommen.
                         Seit dem Sommer 2002 führe ich das Sekretariat der
                         Geschäftsführung und unterstütze den Präsidenten, den
                         Vorstand und die Geschäftsführung. Etwas Besonderes ist
                         es, wenn alle vier Jahre die Fäden der „Kammerwahl“ als
                         einem Herzstück der ärztlichen Selbstverwaltung bei mir
                         zusammenlaufen.
                         Darüber hinaus bin ich Ansprechpartnerin für Sachthemen,
                         insbesondere zu Fachkunden im Strahlenschutz und zu Pa-
                         tientenbeschwerden. Ich schätze es, dass ich einerseits
Frau Bangert             aus meinen Erfahrungen schöpfen kann und andererseits
                         immer wieder mit neuen Fragestellungen konfrontiert bin.
10    BÄK Südwürttemberg                                Rundschreiben Juni 2020

     Kammerhaushalt: woher & wohin
     Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen gerne erläutern, wo die Haushaltsmittel der
     Kammer herkommen und wofür sie ausgegeben werden. Auf der Landesebene
     besteht gemeinsam mit den anderen Bezirken ein sogenannter konsolidierter
     Haushalt, unten aufgeführt sind aber nur die Zahlen für Südwürttemberg. Wir ha-
     ben die Zahlen nach Einnahmen und Ausgaben und jeweils nach Aufgabenberei-
     chen aufgegliedert.

     Einnahmen: Die wichtigste Einnahmequelle der Kammer ist mit 88 % der Beitrag
     der Kammermitglieder. Gebühren, die uns aus den Fortbildungsveranstaltungen,
     den Weiterbildungsprüfungen oder der Durchführung von Fachsprachenprüfungen
     zugehen, kommen erst mit großem Abstand danach. Weitere Einnahmen generie-
     ren sich aus Gebühren für die Gutachterkommission, die Lebendspendekommis-
     sion und aus anderen Verwaltungsgebühren; diese fallen in der Gesamtsumme
     aber kaum ins Gewicht. Die genaue Aufteilung ergibt sich aus der Abbildung, oben
     in grau.
11 BÄK Südwürttemberg                                 Rundschreiben Juni 2020

   Ausgaben: Von den Beiträgen der Kammermitglieder in Südwürttemberg wenden
   wir den größten Anteil (36,1 %) für die Umlage an die Landesärztekammer auf. Die
   Verwaltungskosten (im Wesentlichen natürlich Personalkosten) betragen ~28.7 %,
   gefolgt von den Aufwendungen im Bereich der Weiterbildung. Die Umlage an die
   Bundesärztekammer beträgt ca. 9 %, dann folgen die Gutachterkommission und
   das Berufsgericht sowie die Aufwendungen für die Vertreterversammlung und den
   Vorstand. Kosten für die Fortbildungsaktivitäten, die Fachsprachenprüfungen, die
   Kreisärzteschaften und die Lebendspendekommission komplettieren das Bild. Die
   genaue Aufteilung ergibt sich aus der Abbildung, unten in rot.

   Diese Übersicht soll Ihnen einen groben Einblick geben, wie die Mittelflüsse im
   Bezirk verteilt sind. Wer es noch genauer wissen will: der summarische Abschluss
   des konsolidierten Haushalts der Landesärztekammer wird immer zum Anfang des
   Jahres im Ärzteblatt Baden-Württemberg veröffentlicht. Gemäß § 11 Absatz 3 der
   Satzung der Landesärztekammer hat „jeder Beitragspflichtige […] die Möglichkeit,
   in der Geschäftsstelle der Landesärztekammer während eines Zeitraums von zwei
   Wochen in das Hauptbuch Einsicht zu nehmen."

   Kommentar zum Kammerbeitrag: Warum überhaupt?
   Wir hatten in unserem Begleitschreiben zum Erhebungsbogen versprochen, eine
   Handreichung zur Beitragsveranlagung zu erstellen und außerdem eine genauere
   Auflistung der Kammerbeiträge angekündigt. Die Handreichung wurde Ende Feb-
   ruar per E-Mail verteilt, die Auflistung zur Herkunft und Verwendung der Kammer-
   finanzen findet sich oben. Ich möchte in diesem Kommentar auf einige grundsätz-
   liche Fragen eingehen, die mir persönlich immer wieder gestellt werden.

   Lassen Sie mich einleiten mit einigen Vorbemerkungen, weil ich glaube dass wir
   immer wieder erklären müssen und sollen, wer wir eigentlich sind und was wir tun.
   Die Ärztekammer ist das zentrale Organ der ärztlichen Selbstverwaltung. Zu un-
   seren Aufgaben zählen die ärztliche Weiterbildung (und damit die Abnahme von
12    BÄK Südwürttemberg                                  Rundschreiben Juni 2020

     allen Prüfungen für Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnungen), die Zer-
     tifizierung und Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen und die Berufsauf-
     sicht (also das Wachen über die Einhaltung unseres eigenen Regelwerks, der Be-
     rufsordnung). Auch eine Reihe von anderen Aufgaben hat der Gesetzgeber an uns
     übertragen, wie zum Beispiel die eigene Berufsgerichtsbarkeit, die Durchführung
     von Fachsprachenprüfungen, die Anerkennung ausländischer Diplome und wich-
     tige Funktionen bei der Ausbildung der medizinischen Fachangestellten oder bei
     der Organ-Lebendspende. Auch die Gutachterkommissionen (die andernorts als
     Schlichtungsstellen bekannt sind) sind bei uns verortet.

     Alle diese Aufgaben kosten Geld. Um sicherzustellen, dass die Kammer ihre Auf-
     gaben wahrnehmen kann, hat der Gesetzgeber daher eine Pflichtmitgliedschaft für
     alle Ärztinnen und Ärzte vorgesehen. Immer wieder hört man (insbesondere nach
     Zugang des Beitragsbescheides) den empörten Ruf, man solle die Kammern doch
     abschaffen, denn „dann würden wir uns ja den Beitrag sparen“. Das allerdings ist
     eine Milchmädchenrechnung, denn man muss sich auch darüber klar sein, was die
     Konsequenz wäre: die Aufgaben würden irgendwelchen (existierenden oder
     neuen) rein staatlichen Behörden übertragen werden, die dann aus dem allgemei-
     nen Steueraufkommen und aus Gebühren finanziert würden. Dass damit mehr
     Geld für unsere ureigenen Belange bereit stehen würde, darf getrost bezweifelt
     werden, übrigens ebenso wie eine hohe Bereitschaft des Gesetzgebers, diese Auf-
     gaben dauerhaft aus dem Steuersäckel zu alimentieren. Deutlich höhere Einzel-
     gebühren und neue Gebührentatbestände wären eine logische Folge. Außerdem:
     die Entscheidungen würden dann nicht mehr von ehrenamtlichen Ärztinnen und
     Ärzten, sondern von Behördenleitungen getroffen. Die Annahme, dass diese im-
     mer die Interessen und das Wohl der Ärzteschaft als Leitmotiv fest im Blick hätten,
     wäre meiner Meinung nach naiv.

     Auch zur Rolle der Bezirke möchte ich gerne Stellung nehmen: in Baden-Württem-
     berg existiert mit den Bezirksärztekammern eine „operative Ebene“ als Unterglie-
     derung der Landesärztekammer (wie sonst nur noch in Rheinland-Pfalz). Die Ar-
     beitsteilung in „politisches und übergeordnetes Agieren“ im Land und „mitglieder-
     nahes Tagesgeschäft“ im Bezirk hat sich nach meiner festen Überzeugung sehr
     gut bewährt. Die Bezirke können basisnahe und schnelle Entscheidungen treffen;
     sie sind für die täglichen Fragen der Weiterbildung und dem Auflegen von Fortbil-
     dungsveranstaltungen exzellent aufgestellt. Auch stellen sie mit den Kreisärzte-
     schaften die „Kammer vor Ort“. Gleichzeitig besteht über die Vertreterversamm-
     lung und den Vorstand ein reger Austausch zwischen Bezirk und Land. Es besteht
     somit eine Arbeitsteilung, keine Doppelstruktur; auch Synergien (zum Beispiel im
     Bereich der IT, der Prüfung von Abrechnungen oder die Zusammenarbeit bei Prü-
     fungen) werden schon genutzt, auch wenn hier sicher noch mehr möglich wäre.
     Und auch hier ist meine erste Frage auf den Ruf nach der Abschaffung der Bezirke
     die nach der Alternative. Wollen wir wirklich alle Ärztinnen und Ärzte der zweit-
     größten Ärztekammer in Deutschland nur zentral in Stuttgart betreuen und verwal-
     ten? Zum Vergleich; selbst Südwürttemberg als kleinster Bezirk im Lande kann es
     mitgliederzahlenmäßig locker mit z. B. Bremen, Brandenburg, dem Saarland oder
     Thüringen aufnehmen; es ist also keine wirklich kleinteilige Lösung. Ich habe die
     Ausrichtung an und die Nähe zu den Mitgliedern immer als sehr wichtigen Aspekt
     der Arbeit im Bezirk erlebt, und das würde sicher verloren gehen bei einer Zentral-
     verwaltung. Von den mindestens für einige Zeit enormen Mehrkosten einer Zent-
     ralisierung (mit neuen Gebäuden, der Gewinnung und Einarbeitung von neuen Mit-
     arbeitern etc.) mal ganz abgesehen.
13 BÄK Südwürttemberg                                   Rundschreiben Juni 2020

   Neben dem finanziellen Argument möchte ich aber noch auf einen anderen Punkt
   zu sprechen kommen, der mir wichtig ist: Unabhängigkeit. Wir alle als Kammer-
   mitglieder wählen ehrenamtlich engagierte Ärztinnen und Ärzte in die Vertreterver-
   sammlung der Bezirksärztekammer, die wiederum gewählte Vertreter in die Ver-
   treterversammlung der Landesärztekammer und zum Deutschen Ärztetag entsen-
   det. Außerdem werden auch die Vorstände und Präsidenten von den jeweiligen
   Vertreterversammlungen gewählt. Diese Vorstände treffen mit ärztlichem Sachver-
   stand die maßgeblichen Entscheidungen im Tagesgeschäft, während, wie üblich,
   das Haushaltsrecht das Königsrecht der Parlamente (also der Vertreterversamm-
   lung) ist. Im Rahmen unserer Satzung kann uns niemand vorschreiben, wofür wir
   Geld ausgeben, und wie wir die Balance finden zwischen solidarisch zu schultern-
   den und individuell zu tragenden Aufgaben (also wofür wir Beitragsmittel einsetzen
   oder stattdessen eine eigene Gebühr erheben). Auch einen Verteilungskampf mit
   anderen Ministerien oder eine Bestellung von Behördenleitern nach politischem
   Gusto gibt es nicht – wir alle bestimmen durch die Wahrnehmung unseres Wahl-
   rechts die Zusammensetzung und damit auch die Arbeitsschwerpunkte unserer
   Kammer.

   Man kann sich über den Kammerbeitrag daher ärgern, das ist nur menschlich und
   steht natürlich jedem Mitglied zu. Und natürlich gibt es auch viele Punkte, an denen
   wir besser werden können, wollen und müssen. Aber zur Wahrheit gehört eben
   auch, dass die Alternativen keinesfalls ausgemacht besser sind. Denn sicher ist
   nur, was wir verlieren würden: eigenen, ärztlich informierten Gestaltungsspielraum
   und Unabhängigkeit. Dahingegen spricht nicht viel dafür, dass uns eine Abschaf-
   fung billiger kommen würde, oder besseren Service böte. Ich sehe die ärztliche
   Selbstverwaltung daher nicht nur als Privileg, sondern auch als die für die Ärzte-
   schaft finanziell und inhaltlich bessere Lösung zur Regelung unserer eigenen An-
   gelegenheiten.

   Ihr
   Marko Wilke

   PS: Dieser Kommentar ist namentlich kenntlich gemacht, da er meine persönliche
   Meinung widerspiegelt. Schreiben Sie mir gerne Ihre Meinung – ich freue mich,
   wenn wir darüber ins Gespräch kommen.
14    BÄK Südwürttemberg                                    Rundschreiben Juni 2020

     „Solidarische Kammer“:
     Aufforderung zur Nominierung von Projekten
     Im November 2019 hat die Vertreterversammlung der Bezirksärztekammer auf
     Vorschlag des Vorstands das Konzept der „solidarischen Kammer“ verabschiedet.
     Hiermit sollen konkrete Projekte zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung
     unterstützt werden. In diesem Beitrag möchten wir das Konzept und das Nominie-
     rungs- und Auswahlverfahren kurz erläutern.

     Konzept: Wir, die Ärztinnen und Ärzte in Südwürttemberg, widmen uns mit viel
     Einsatz den Bedürfnissen unserer Patientinnen und Patienten. Wir alle, egal ob
     niedergelassen oder angestellt tätig, stellen somit gemeinsam die medizinische
     Versorgung auf einem hohen Niveau sicher. Allerdings wissen wir auch, dass dies
     nicht für alle Ärztinnen und Ärzte, und nicht für alle Patientinnen und Patienten welt-
     weit gilt. Aus diesem Gedanken heraus haben wir uns entschieden, jedes Jahr ein
     aus der Mitte unserer Mitglieder nominiertes Projekt von Ärztinnen und Ärzten zu
     unterstützen.

     Kriterien: Jedes zur Unterstützung vorgeschlagene Projekt soll
      durch die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten wesentlich geprägt sein
      der Verbesserung der Gesundheitsvor/fürsorge dienen
      durch ein Kammermitglied („Pate“ des Projektes) nominiert werden
      eine darstellbare Verbindung zum Bezirk haben (inhaltlich, personell
         oder ideell)

     Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Projekt in Südwürttemberg oder anderswo in
     der Welt angesiedelt ist. Eine Unterstützung kommerzieller Unternehmungen ist
     ausgeschlossen. Die Anerkennung als gemeinnütziges Projekt ist wünschenswert,
     aber nicht Voraussetzung.

     Nominierungs- und Auswahlverfahren: Mit diesem Beitrag rufen wir alle Kam-
     mermitglieder zur Nominierung eines Projektes auf. Das einseitige Antragsformu-
     lar als ausfüllbare PDF-Datei finden Sie als separate Anlage in der Aussendung,
     auf Anfrage senden wir es Ihnen auch gerne zu. Bitte reichen Sie uns Ihren Vor-
     schlag per Post oder per E-Mail an zentrale@baek-sw.de bis zum 30.08.2020 ein.
     Der Vorstand entscheidet dann, ob die oben aufgeführten formalen Kriterien erfüllt
     sind, und legt diese Projekte der Vertreterversammlung der Bezirksärztekammer
     im November zur Auswahl vor.

     Umsetzung: Das ausgewählte Projekt wird im nächsten Rundschreiben präsen-
     tiert, und die Mitglieder werden zur persönlichen, ideellen oder finanziellen Unter-
     stützung aufgerufen. Für die „solidarische Kammer“ werden keine Beitragsmittel
     aufgewendet.

     Übrigens: Über das im letzten Jahr zur Förderung vorgeschlagene Projekt zur Ver-
     besserung der Gesundheitsversorgung von Frauen im Osten der Demokratischen
     Republik Kongo wird die Patin des Projektes, Dr. Gisela Schneider aus Tübingen,
     im nächsten Rundschreiben berichten. Eine Unterstützung dieses Projektes ist na-
     türlich auch weiterhin möglich! Mehr Details finden Sie auf den Seiten des DIFÄM.
15 BÄK Südwürttemberg                                   Rundschreiben Juni 2020

   Neue Auszeichnung der Bezirksärztekammer
   für „Helden des Alltags“
   Wir alle kennen sie – die Personen, die für einen Verein, eine Organisation oder
   eben auch für eine Kreisärzteschaft unverzichtbar sind. Oftmals sind es gar nicht
   unbedingt die, die im Vordergrund sichtbar aktiv sind: manchmal ist es das lautlose
   Organisieren von Fortbildungen und das unprätentiöse Ansprechen von neuen Mit-
   gliedern in ruhigeren Zeiten, manchmal aber auch das unermüdliche Organisieren
   von Abstrichzentren und die Verteilung von Schutzausrüstung in Pandemie-Zeiten.
   Ihnen gemein ist: sie sind das schlagende Herz des Ehrenamtes, und auf sie kann
   man sich verlassen.

   Es ist dem Vorstand der Bezirksärztekammer ein Anliegen, gerade diesen Perso-
   nen für ihr Engagement zu danken. Wir haben daher mit den Vorsitzenden der
   Kreisärzteschaften die Auszeichnung „Helden des Alltags“ ins Leben gerufen. Es
   sollen Personen ausgezeichnet werden, die sich in besonderer Weise um die
   Kreisärzteschaft verdient gemacht haben. Das Verfahren sieht vor, dass in den
   Kreisärzteschaften geeignete Persönlichkeiten identifiziert werden, die dann durch
   den Vorstand der Kreisärzteschaft dem Vorstand der Bezirksärztekammer zur Eh-
   rung vorgeschlagen werden können. Die Ehrung ist mit einer Urkunde versehen,
   die nach Möglichkeit durch den Präsidenten persönlich überreicht wird. Die Verlei-
   hung soll z.B. im Rahmen einer Mitgliederversammlung oder einer Fortbildungs-
   veranstaltung der jeweiligen Kreisärzteschaft erfolgen.

   Wenn Sie jetzt beim Lesen dieser Zeilen schon an eine Heldin oder einen Helden
   des Alltags denken mussten, dann nur zu – wenden Sie sich an den Vorstand Ihrer
   Kreisärzteschaft und sprechen Sie diesen auf eine mögliche Ehrung an. Wir freuen
   uns auf die Vorschläge!

   Ärztliche Leichenschau –
   endlich neue Vergütungsregelungen in Kraft
   Am 1. Januar 2020 traten die Neuregelungen zur Vergütung der ärztlichen Leichen-
   schau in Kraft. Mit der Fünften Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung
   für Ärzte sind die im Gebührenverzeichnis der GOÄ enthaltenen Gebührenpositio-
   nen und das damit festgelegte Honorar für die Todesfeststellung differenzierter
   ausgestaltet worden. Der für eine sorgfältige Durchführung der Leistung erforder-
   liche ärztliche Zeitaufwand ist bei der Vergütung maßgeblich berücksichtigt
   worden.

   Die neuen Gebührenpositionen im Abschnitt VII der GOÄ legen beim Honorar für
   die einzelnen Leistungen des Arztes besonderes Augenmerk auf den jeweils er-
   forderlichen ärztlichen Zeitaufwand, wobei Mindestzeiten für die einzelnen Leis-
   tungen vorgegeben werden. Die Vergütung erfolgt zwingend nach dem einfachen
   Gebührensatz ohne die Möglichkeit der Steigerung. Besonderen Umständen bei
   der Leichenschau und für die Durchführung der Leichenschau zu bestimmten Zei-
   ten wie nachts, am Wochenende oder an Feiertagen und dem damit verbundenen
   erhöhten Aufwand wird mit der Berechnungsfähigkeit von Zuschlägen Rechnung
   getragen.
16    BÄK Südwürttemberg                                  Rundschreiben Juni 2020

     Die neuen Gebührenpositionen differenzieren zwischen einer vorläufigen Lei-
     chenschau (Nr. 100 GOÄ) und einer Leichenschau mit eingehender Untersu-
     chung eines Toten (Nr. 101 GOÄ). Eine eigene Zuschlagsziffer (Nr. 102 GOÄ)
     kann zum Ansatz gebracht werden, wenn es sich um eine unbekannte Leiche han-
     delt oder bei besonderen Todesumständen, wie sie sich beim Verdacht auf einen
     nicht natürlichen Tod, einem länger zurückliegenden Tod oder aus einer besonde-
     ren Auffindungssituation ergeben können. Bei einer vorläufigen Leichenschau
     nach Nr. 100 GOÄ, die lediglich die Feststellung des Todes und der Todesart be-
     inhaltet, ergibt sich ein Vergütungsanspruch des Arztes bei einer Mindestdauer
     von 20 Minuten (einschließlich des Aufsuchens) in Höhe von € 110,51. Verkürzt
     sich der Zeitaufwand des Arztes auf weniger als 20 Minuten, beträgt er aber mindes-
     tens 10 Minuten, können immerhin 60 % der Gebühr in Rechnung gestellt werden.
     Bei einer eingehenden Leichenschau mit einer Mindestdauer von 40 Minuten (ein-
     schließlich des Aufsuchens) kann der Arzt jetzt bei Zugrundelegung der Nr. 101
     GOÄ ein Honorar in Höhe von € 165,77 ansetzen. Verkürzt sich der Zeitaufwand
     des Arztes hier auf weniger als 40 Minuten, beträgt er aber mehr als 20 Minuten,
     können wiederum 60 % der Gebühr berechnet werden.

     Diese längst überfällige Teilreform der GOÄ ist ganz wesentlich auf das hartnäckige
     Bemühen und Insistieren der Vertreter der Bundesärztekammer und insbesondere
     der Landesärztekammer Baden-Württemberg in einem jahrelangen Kampf um die
     Erhöhung der Gebühren für die ärztliche Leichenschau zurückzuführen.

     Unterlassener Rettungsversuch eines Arztes
     nach Suizid strafbar?

     Nein! Wenn Ärzte ihre Patienten beim Suizid begleiten, statt zu versuchen sie zu
     retten, dann machen sie sich grundsätzlich nicht strafbar, sofern die Freiverant-
     wortlichkeit des Handelns des Suizidenten unzweifelhaft feststeht. Dies hat
     der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Fällen ärztlich assistierter Selbst-tötungen
     bestätigt (Urteile des BGH vom 03.07.2019, 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).

     Das Landgericht Hamburg und das Landgericht Berlin hatten jeweils einen ange-
     klagten Arzt von dem Vorwurf freigesprochen, sich in den Jahren 2012 bzw. 2013
     durch die Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnah-
     men zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen strafbar gemacht zu haben.
     Die Freisprüche der Landgerichte widersprachen der im Jahr 1984 vom BGH ge-
     troffenen sog. „Peterle-Entscheidung“ (BGHST 32,367), auch „Wittig-Fall“ ge-
     nannt. Damals hatte der BGH den behandelnden Arzt auch gegenüber einem frei
     verantwortlich handelnden Suizidenten zu lebensrettenden Maßnahmen verpflich-
     tet, sobald dieser infolge Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft über das Geschehen
     verloren hatte. Diese Entscheidung hatte der BGH nie widerrufen und jetzt auch
     nur für den Fall einer unzweifelhaften Freiverantwortlichkeit des Suizid einge-
     schränkt. Gegen die Freisprüche des Landgerichts Hamburg und des Landgerichts
     Berlin hatten die Staatsanwaltschaften Revision eingelegt, so dass sich der BGH
     nach mehr als 30 Jahren erneut mit der rechtlichen Bewertung der Hilfeleistungs-
     pflicht des Arztes einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen an-
     dererseits auseinandersetzen musste.

     Im Ergebnis hat der BGH die Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen und
     damit die beiden freisprechenden Urteile bestätigt.
17 BÄK Südwürttemberg                                   Rundschreiben Juni 2020

   Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleis-
   teten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Betroffenen nicht in
   der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden
   Fällen war es jedoch so, dass die Sterbewünsche der Betroffenen auf einer im
   Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ beruhten und nicht
   Ergebnis psychischer Störungen waren, so dass die Eigenverantwortlichkeit der
   Suizidentinnen rechtsfehlerfrei festgestellt wurde.
   Beide Angeklagte waren auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentin-
   nen nicht zur Rettung derer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger
   Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen
   Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten
   können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung
   der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung be-
   gründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfah-
   ren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später
   Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grund-
   sätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden.
   Ausdrücklich in den Entscheidungen des BGH festgehalten wurde, dass mit der
   jeweiligen Leistung von Hilfe zur Selbsttötung zwar möglicherweise ärztliche Be-
   rufspflichten verletzt wurden. Dies war jedoch für die Strafbarkeit des Verhaltens
   im Ergebnis nicht von Relevanz.

   Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217
   StGB) war das Verhalten der Angeklagten wegen des strafrechtlichen Rückwir-
   kungsverbots nicht zu messen, da dieser zur Zeit der hier behandelten Suizide
   noch nicht in Kraft war. Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot
   von geschäftsmäßiger Sterbehilfe außerdem gekippt (siehe nächster Beitrag).

   Damit ist jetzt im Ergebnis nach höchstrichterlich bestätigtem Rechtsverständnis
   eine Rettungspflicht bei einem freiverantwortlichen (assistierten) Suizid zu vernei-
   nen. Beim Hinzukommen zu einem nicht unzweifelhaft freiverantwortlichen, allge-
   meinen, „einsamen“ Suizid hingegen ist diese nach wie vor geboten.

   Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung
   (§ 217 StGB) verfassungswidrig

   Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Rahmen seiner Entscheidung vom
   26.02.2020 (2 BvR 2347/15 u.a.) folgende wesentliche Aussagen getroffen:
   1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) um-
      fasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes
      Sterben. Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend
      seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz
      ein Ende zu setzen, bedarf keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung,
      sondern ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat
      und Gesellschaft zu respektieren.
   2. § 217 StGB mit seinem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst-
      tötung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger ein,
      indem es dem Einzelnen faktisch weitgehend unmöglich macht, Suizidhilfe zu
      erhalten. Angesichts der existenziellen Bedeutung, die der Selbstbestimmung
      über das eigene Leben für die personale Identität, Individualität und Integrität
      zukommt, wiegt der Eingriff besonders schwer.
18    BÄK Südwürttemberg                                   Rundschreiben Juni 2020

     3. Der Eingriff des Gesetzgebers in das Recht auf Selbstbestimmung ist
        nicht gerechtfertigt. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst-
        tötung verletzt den Entfaltungsraum autonomer Selbstbestimmung und führt
        dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert wird.
     4. Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe ist der Einzelne maßgeblich
        auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung
        zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzu-
        wirken. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts bestätigte, dass Ärzte
        bislang nur eine geringe Bereitschaft zeigten, Suizidhilfe zu leisten. Sie sind
        hierzu auch nicht verpflichtet. „Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben
        leitet sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab.“ Ärzte un-
        terliegen keinem Zwang.

     Die Bundesregierung will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts prüfen und aus-
     werten. Anschließend wird möglicherweise über neue Regelungen bei der Suizid-
     beihilfe und eine verfassungsgerechte Lösung zur Suizidvorbeugung beraten.
     Letztendlich darf der Gesetzgeber die Suizidbeihilfe regulieren. Er muss dabei
     aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu
     beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt.

     Richtervorbehalt und Hinweispflicht
     bei Fixierungen von Psychiatriepatienten
     Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 24.07.2018 (Az. 2 BvR
     309/15, 2 BvR 502/16) an die Landesgesetzgeber den Regelungsauftrag erteilt,
     einen Richtervorbehalt für die Anordnung von Fixierungen von Psychiatrie-Pa-
     tienten gesetzlich zu verankern (siehe unser Beitrag zur Fixierung von Psychiatrie-
     Patienten im Rundschreiben Dezember 2018 Seite 5 ff.). Um diesen Vorgaben zu
     entsprechen, wurden in Baden-Württemberg durch die Neufassung zum sog.
     Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz vom 25.06.2019 entsprechende Regelungen ein-
     geführt.

     Für besonders intensiv in die Freiheitsrechte eingreifende Fixierungsmaßnahmen,
     durch welche die Bewegungsfähigkeit einer untergebrachten Person nicht nur
     kurzfristig weitgehend oder vollständig aufgehoben wird, ist jetzt eine gerichtliche
     Entscheidung erforderlich. Dieser Richtervorbehalt gilt dann, wenn die Fixierung
     voraussichtlich die Dauer von ungefähr einer halben Stunde überschreitet und da-
     mit nicht mehr nur kurzfristig ist. Bis zur Einführung der jetzigen Regelung reichten
     ein grundsätzlicher richterlicher Unterbringungsbeschluss und eine ärztliche An-
     ordnung aus, um Patienten zu fixieren. Die jetzt erforderliche richterliche Entschei-
     dung ist vor der Fixierung herbeizuführen. Bei Gefahr im Verzug hat die jeweilige
     Einrichtung unverzüglich eine nachträgliche richterliche Genehmigung zu bean-
     tragen.

     Nach der neuen Regelung ist das ärztliche Personal zudem verpflichtet, die be-
     troffene Person nach Beendigung von Fixierungsmaßnahmen darauf hinzuweisen,
     dass die Möglichkeit besteht, die Zulässigkeit der Fixierungsmaßnahmen nach-
     träglich gerichtlich überprüfen zu lassen.
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