Juni 2020 - Landesärztekammer Baden-Württemberg
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2 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 INHALTSVERZEICHNIS Vorwort................................................................................................................ 3 Die Kreisärzteschaft Reutlingen stellt sich vor ..................................................... 4 Aktivitäten der Kammer in Zeiten von Corona ..................................................... 5 Auswirkungen der Pandemie auf den täglichen Kammerbetrieb .......................... 6 Strategien zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie vor Ort in Ulm und im Alb-Donau-Kreis................................................................ 7 Wir sind Ihre Kammer! ......................................................................................... 9 Kammerhaushalt – woher & wohin .................................................................... 10 Kommentar zum Kammerbeitrag: warum überhaupt? ....................................... 11 „Solidarische Kammer“: Aufforderung zur Nominierung von Projekten .............. 14 Neue Auszeichnung der Bezirksärztekammer Südwürttemberg für „Helden des Alltags“ ..................................................................................... 15 Ärztliche Leichenschau: endlich neue Vergütungsregelungen in Kraft ............... 15 Unterlassener Rettungsversuch eines Arztes nach Suizid strafbar? .................. 16 Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) verfassungswidrig ................................................... 17 Richtervorbehalt und Hinweispflicht bei Fixierungen von Psychiatriepatienten ................................................................ 18 Transplantationen: Entscheidungsbereitschaft zur Organspende soll gestärkt werden .............................................................. 19 Austausch mit dem Landeskrebsregister ........................................................... 20 Masernimpfpflicht .............................................................................................. 21 Warnhinweise des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte .......... 21 Online-Survey zu Belastungen und psych. Ressourcen während der Pandemie ... 21 Novelle der Weiterbildungsordnung: neue Zusatzbezeichnungen ..................... 22 Checkliste zum Antragsverfahren ...................................................................... 23 Für die Zulassung zur Facharztprüfung notwendige Kurs- und Fachkundenachweise im Strahlenschutz .................................................... 23 Informationen und Veranstaltungen der Akademie für ärztliche Fortbildung bei der Bezirksärztekammer Südwürttemberg .................. 24 Telefonverzeichnis der Bezirksärztekammer Südwürttemberg ......................... 43 Impressum: Herausgeber: Bezirksärztekammer Südwürttemberg Redaktion: Dr. iur. R. Kiesecker (V.i.S.d.P.) Anschrift: Haldenhaustraße 11, 72770 Reutlingen, zentrale@baek-sw.de Homepage: www.baek-sw.de Druck: Müller + Bass, Tübingen Titelbild: Nils Dittbrenner, www.bilderweide.de
3 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Vorwort Liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege, im Vorwort des letzten Rundschreibens hatte ich im Dezember auf 2020 als „ein absehbar arbeitsreiches Jahr“ verwiesen, dabei aber eigentlich die Umsetzung der neuen Weiterbildungsordnung im Sinn gehabt. Aktuell dreht sich aber gefühlt alles nur noch um SARS-CoV-2, COVID-19, Kon- tagiösität, Verdoppelungszeiten, Reproduktionsindex, Intensivkapazitäten etc. Und auch in diesem Rundschreiben wird das Thema einen breiten Raum einneh- men, und natürlich auch einnehmen müssen. Wir werden die Pandemie-Aktivitäten der Kammer insgesamt (Seite 5) ebenso wie die Auswirkungen auf unseren Ta- gesbetrieb (Seite 6) Revue passieren lassen. Es gibt auch einen Bericht aus zwei Kreisärzteschaften, in dem gerade die initialen Probleme und Hürden sehr plas- tisch beschrieben werden (Seite 7). Allerdings haben wir auch noch ein paar andere Themen: so setzen wir die Reihe „Ihre Kammer“ fort, mit einer Vorstellung der Geschäftsführung (Seite 9). Auch liefern wir den versprochenen Artikel zur Herkunft und Verwendung Ihrer Kamm- erbeiträge (Seite 10), inklusive einem Kommentar dazu von meiner Seite (Seite 11). Wir bitten um Vorschläge für unser neues Konzept „Solidarische Kammer“, mit dem wir als Ärzteschaft Projekte von engagierten Ärztinnen und Ärzten unter- stützen möchten (Seite 14). Ihren Vorschlägen hierzu sehen wir mit Spannung ent- gegen. Außerdem berichten wir über unsere neu ins Leben gerufene Ehrung für „Helden des Alltags“ (Seite 15) in Südwürttemberg. Ein Beitrag zur Neuregelung der Vergütung der ärztlichen Leichenschau (Seite 15) leitet eine Reihe von Beiträ- gen aus rechtlicher Sicht ein. Einige Berichte zur neuen Weiterbildungsordnung (Seite 22) und zu den Aktivitäten der Fortbildungsakademie (Seite 24) runden dieses Rundschreiben ab. Das Titelblatt setzt unsere visuelle Rundreise durch den Bezirk fort: es zeigt Schloss Lichtenstein im Kreis Reutlingen, mit einem Ausblick auf die Albhochflä- che. Das Schloss wurde, inspiriert durch einen Roman von Wilhelm Hauff, im ge- wollt mittelalterlichen Stil erst um 1840 von Wilhelm Graf von Württemberg in Auf- trag gegeben; es gilt als „Märchenschloss Württembergs“. Eine kurze Vorstellung der Kreisärzteschaft Reutlingen (und einige Erläuterungen unsererseits) finden Sie wie üblich direkt im Anschluss an dieses Vorwort. Lassen Sie mich mit einigen persönlichen Bemerkungen schließen: für uns als Ärzteschaft sind es, wie für die Gesellschaft insgesamt, anstrengende Zeiten. Während wir einerseits für die Bewältigung dieser Herausforderung sehr gefordert sind, so haben wir doch andererseits die Möglichkeit, uns aktiv einzubringen und das zu tun, was unseren großartigen Beruf ausmacht – Leiden zu lindern oder ganz zu verhindern. Es ist eine Pandemie, die auch an uns nicht spurlos vorüber gegangen ist – einige von uns haben extrem viel investiert, und sind dabei auch selbst krank geworden oder haben Freunde oder Angehörige verloren. Dies wollen und dürfen wir nicht vergessen! Aber immerhin, es gab nicht nur negative Erfah- rungen: es wurden viele pragmatische Lösungen gefunden, neue Freundschaften geschlossen, die Gräben zwischen Klinik und Praxis wurden flacher, wir haben vielfältigen Zuspruch und Anerkennung erfahren, die Ärztinnen und Ärzte von mor- gen haben sich sehr engagiert eingebracht etc. Daher, und auch wenn wir (zum Redaktionsschluss Ende April) nicht wissen, ob die Zukunft eine zweite Welle,
4 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 ein langsames Abflauen oder etwas ganz Unvorhergesehenes bringt, bleibt (wie schon im per E-Mail versandten Schreiben vom 8. April formuliert) auch verhalten positiv festzuhalten: „Wir helfen zusammen und wachsen zusammen“, und das in mehrfacher Hinsicht. Ich finde (und bin stolz darauf!), dass auch die Kammer auf all ihren Ebenen in dieser Krise in vielerlei Hinsicht über sich hinaus gewachsen ist. Viele Entschei- dungen waren zu treffen, und einige davon waren schwerwiegend und mussten trotz unsicherer Sachlage schnell gefällt werden. Einige Inkonsistenzen haben sich sicher nicht völlig vermeiden lassen, wofür ich um Nachsicht bitte. Aber ganz grundsätzlich ist diese Krise auch eine Prüfung der ärztlichen Selbstverwaltung, und wir haben einige starke Argumente dafür geliefert, dass wir auch und gerade in Krisenzeiten handlungsfähig sind. Allen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die sich in dieser Zeit eingebracht haben – Danke! Dennoch: dieses „auf Sicht fahren“ war oft anstrengend, und dass all dies in der Geschäftsstelle neben der normalen (und teils ja auch aufwändigeren) Tagesarbeit geleistet werden konnte ist nicht selbstverständlich – zumal durch ja auch oft per- sönlich betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung. Daher möchte ich zum Abschluss auch jeder und jedem einzelnen danken, die in diesen schwierigen Zeiten und allen Widrigkeiten zum Trotz die Geschäfte der Ärzte- schaft weitergeführt haben! Wenn Sie abends auf dem Balkon stehen sollten und den „systemrelevanten Helden“ Applaus spenden, dann schließen Sie doch neben unseren ehrenamtlich tätigen, unseren niedergelassenen oder angestellten ärztli- chen Kolleginnen und Kollegen gerne auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bezirksärztekammer in Ihren Beifall mit ein – denn die haben ihn sich auch verdient! Mit freundlichen Grüßen aus Ihrer Kammer – und bitte, bleiben Sie gesund! Ihr Prof. Dr. Marko Wilke Die Kreisärzteschaft Reutlingen stellt sich vor Die Kreisärzteschaft stellt als eine Untergliederung der Bezirksärztekammer die „Kammer vor Ort“ dar. Der Schwerpunkt der Arbeit der Kreisärzteschaft liegt auf der Wahrung und Förderung der kollegialen Zusammenarbeit sowie in der Orga- nisation eigener Fortbildungsveranstaltungen. Außerdem trägt die Kreisärzte- schaft zur berufspolitischen Meinungsbildung innerhalb der Ärzteschaft bei. Inner- halb von Südwürttemberg gibt es neun Kreisärzteschaften (Alb-Donau, Biberach, Bodenseekreis, Ravensburg, Reutlingen, Sigmaringen, Tübingen, Ulm und Zollernalb). Heute stellt sich Ihnen die Kreisärzteschaft Reutlingen vor: Die Kreisärzteschaft Reutlingen vertritt ca. 1400 Ärztinnen und Ärzte des Land- kreises Reutlingen. Die Kreisärzteschaft legt großen Wert auf Erhalt und Stärkung der berufsständischen ärztlichen Selbstverwaltung, deren Existenzberechtigung immer wieder in Frage gestellt wurde und wird. Beim Bemühen um den Erhalt der ärztlichen Selbstverwaltung und der beruflichen Freiheit sieht sich die Reutlinger
5 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Kreisärzteschaft in der historischen Tradition einer ehemaligen freien Reichsstadt mit Reutlinger Bürgern, denen die gesellschaftliche Freiheit und der Schutz der Individualität immer schon ein Herzensanliegen war. Bei der letzten Vollversammlung der Kreisärzteschaft Reutlingen im November 2019 wurde ihr Vorstand für die Dauer von vier Jahren neu gewählt. Satzungsge- mäß gehören dem Vorstand mindestens drei Mitglieder an, und zwar der Vorsit- zende, sein Stellvertreter und der Rechnungsführer. Die Mitgliederversammlung kann bis zu acht weitere Mitglieder als Beisitzer hinzuwählen, wobei typischer- weise ein Beisitzer explizit als Fortbildungsbeauftragter benannt wird. In Reutlingen wurden der bisherige Vorsitzende Dr. Günther Fuhrer sowie der ge- samte Vorstand im Amt bestätigt. Diesem gehören an: Dr. Uwe Schwaiger (stellv. Vorsitzender), Markus Nicolai (Rechnungsführer), Prof. Dr. Konstantin Haase, Dr. Martin Herrmann, Dr. Bernhard Müller, Dr. Eberhard Rapp, PD Dr. Sigrid Friese und Susanne Früh. Auch in der neuen Amtszeit wird der Vorstand der Kreisärzteschaft Reutlingen seine Arbeit im Interesse und zum Wohl aller Ärztinnen und Ärzte des Landkreises fortsetzen. Aktivitäten der Kammer in Zeiten von Corona Die Ärztekammern sind wie ganz Deutschland im Februar und März 2020 von der Corona-Pandemie erfasst worden. Wir, als hauptamtlich Angestellte oder als eh- renamtlich Engagierte, mussten sehr schnell Antworten auf viele Fragen und Lö- sungen für viele Probleme finden. An dieser Stelle möchten wir Ihnen einen kurzen Überblick geben, auf welch vielfältige Weise wir in die Bewältigung der Krise invol- viert waren. Die Aufgabe der Landesärztekammer ist das übergeordnete politische Agieren nach innen und außen, und in dieser Funktion war sie der Ansprechpartner für die Landesregierung, die Krankenhausgesellschaft, das Landesgesundheitsamt, die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenkassen und viele andere. Vielfältige Treffen und Absprachen waren die logische Folge. Ein wichtiger Baustein der Vor- bereitung auf eine Katastrophe war die Mobilisierung von aktuell nicht-ärztlich täti- gen Kolleginnen und Kollegen, mit einer großartigen Resonanz: von 6000 ange- schriebenen haben sich mehr als 2000 spontan bereit erklärt, im Notfall einzusprin- gen und Verantwortung zu übernehmen! Einige Kolleginnen und Kollegen aus die- sem Notfallpersonalpool konnten bereits an anfragende Institutionen vermittelt werden. Aber auch an der konkreten Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen haben wir uns beteiligt, zum Beispiel durch ein Desinfektionsmittelregister in Ko- operation mit der Landesapothekerkammer und nicht zuletzt durch die aktive Un- terstützung der psychotherapeutischen Betreuung auch von belasteten Kollegin- nen und Kollegen mit der Corona-Psycho-Hotline (Tel.: 0800 377 377 6). Schluss- endlich erfolgte auch die sehr schnelle Bündelung vieler wichtiger Fakten und Res- sourcen auf der Corona-Seite der Landesärztekammer. Die Bezirksärztekammer stand plötzlich vor der Aufgabe, viele Anfragen beant- worten und viele Informationen verteilen zu müssen. Hierfür haben wir die beste- henden Verteiler pragmatisch und zunehmend effektiv genutzt. Außerdem haben wir als die einzige sowohl den ambulanten wie auch den stationären Bereich ver- tretende ärztliche Körperschaft eine wichtige Mittlerfunktion eingenommen.
6 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Dies galt auch für die Kommunikation zwischen den Kolleginnen und Kollegen vor Ort und den Entscheidungsträgern im Land. Auch mussten bezüglich der originä- ren Kammeraufgaben wie Fort- und Weiterbildung eine Reihe von teils einschnei- denden Entscheidungen getroffen werden, auf die wir weiter unten in einem eige- nen Beitrag noch näher eingehen. Die Kreisärzteschaften sind als Untergliederung der Bezirksärztekammer die „Kammer vor Ort“. Als lokale Vertreter der gesamten Ärzteschaft kam ihnen in die- ser Krisensituation eine immense Bedeutung und Verantwortung zu. Sie waren Ansprechpartner für die Gesundheitsämter und für Bürgermeister, Kreis- und Landräte ebenso wie für die Kassenärztliche Vereinigung und natürlich die Kolle- ginnen und Kollegen. Sie organisierten in vielfältiger und oft kreativer Weise Lösungen, die uns nun schon ganz normal vorkommen, wie die Fieberambulan- zen, die Abstrichzentren oder aufsuchende Fahrdienste. Aber diese mittlerweile gut etablierten Lösungen mussten alle erst erdacht, organisiert und umgesetzt wer- den, und das in einem föderalen System mit vielen regionalen Eigenheiten. Hier wurde in oft großartiger Kooperation mit dem öffentlichen Gesundheitsdienst an vielen Stellen Herausragendes geleistet! Auch hierzu finden Sie noch einen eige- nen Erfahrungsbericht weiter unten. Diese Beispiele sollen nur der Illustration dienen, es gäbe noch viele andere Punkte, die eine Erwähnung verdient hätten. Es soll nicht beschönigt werden, dass nicht alles sofort gut gelaufen ist: die Kommunikation war nicht immer reibungslos, es gab persönliche und regionale Differenzen, die Klärung der Zuständigkeiten war nicht immer einfach und einige Entscheidungen mussten auch korrigiert oder nach- justiert werden. Angesichts der präzedenzlosen Gesamtsituation aber hat sich die Ärzteschaft und hat sich ihre Selbstverwaltung bis hierher mehr als wacker geschlagen! Auswirkungen der Pandemie auf den Kammerbetrieb Die Pandemie hat auch die Bezirksärztekammer vor erhebliche praktische Her- ausforderungen gestellt. An dieser Stelle soll kurz darauf eingegangen werden wie wir versucht haben, unsere gesetzlichen Aufgaben unter den neuen Bedingungen zu erfüllen. Normalerweise sehen wir uns als offene Kammer und ermuntern die Mitglieder nachdrücklich, bei Fragen persönlich vorbei zu kommen. Gerade in Fragen der Weiterbildung ist es einfacher, Dinge direkt zu besprechen und etwaig ausste- hende Nachweise oder andere Ergänzungen zu erläutern. In Abstimmung mit der Bezirksdirektion Reutlingen der Kassenärztlichen Vereinigung mussten wir aller- dings Mitte März das Ärztehaus für den Besucherverkehr schließen. In diesem Notbetrieb waren wir zwar nicht mehr persönlich, aber auch weiterhin telefonisch und schriftlich erreichbar. Das ist, wie Sie sich vorstellen können, nicht mit weniger Aufwand für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verbunden gewesen, sondern erforderte auch organisatorisches Geschick. Aber auch zum Schutz unserer Be- schäftigten hatten wir keine andere Wahl. Sehr kontrovers wurde unsere Entscheidung aufgenommen, unsere Prüfungstä- tigkeiten zunächst auszusetzen. Hierzu erreichten uns viele sehr pointierte Rück- meldungen, wobei sich die positiven („Eine richtige Entscheidung für den Gesund- heitsschutz gerade auch der Prüfer!“) und die negativen („Es ist unverantwortlich, aktuell keine Fachärzte für XYZ zu prüfen!“) ziemlich genau die Waage hielten.
7 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Hart traf es auch einige ausländische Kollegen, deren Fachsprachenprüfungen wir absagen mussten. Aber auch wir als Kammer hatten unter den Nachschubproble- men für persönliche Schutzausrüstung zu leiden und konnten erst Ende April nach dem Eintreffen eigens organisierter Lieferungen unsere Prüfungen (in größeren Räumlichkeiten und mit obligatem Mundschutz für alle Beteiligten) langsam wieder aufnehmen. Die Idee, diese Prüfungen zumindest teil-virtuell durchzuführen, wer- den wir weiter verfolgen, allerdings bestehen hier noch erhebliche rechtliche Be- denken. Auch unsere Fortbildungsakademie wurde arg gebeutelt: alle Fortbildungsveran- staltungen wurden zentral durch den Vorstand der Landesärztekammer kurzfristig abgesagt. Neben vielen medizinisch wichtigen Themen war hier auch unsere jähr- liche „politische Großveranstaltung“ betroffen, das Gesundheitsforum „Medizin zwischen Ökonomie und Profitorientierung". Hierfür hatten wir Referenten wie den Sozialminister Manne Lucha, den Medizinethiker Prof. Maio und weitere herausra- gende Persönlichkeiten aus dem Bezirk gewinnen können. Die Absage war für uns daher wirklich bitter, aber wir hoffen, dass wir das Thema in der nächsten Zeit erneut aufgreifen können. Absehbar allerdings wird erst im Herbst wieder so etwas wie ein Normalbetrieb möglich sein. Für viele Veranstaltungen versuchen wir daher neben neuen Terminen auch neue Formate zu finden wie „blended learning“ oder Webinare, auch durch neue Kooperationen. Dies ohne zusätzliche Mitarbeiter und mit der vorhandenen technischen Ausstattung umzusetzen bleibt aber eine Her- ausforderung. Auch für unsere anderen Aufgaben (die Bearbeitung von Patientenbeschwerden, die Berufsgerichtsbarkeit, die Gutachterkommission, die Ausbildung der medizini- schen Fachangestellten etc.) hatte die Pandemie im Alltag vielfältige Relevanz. All dies war neben der normalen (und teils ja auch aufwändigeren) Tagesarbeit wei- terhin zu schultern. Insbesondere die Absagen und Verschiebungen benötigten viele Erklärungen, viele Schreiben und manchmal auch ein tröstendes Wort. Zum Redaktionsschluss haben wir einige unserer Aktivitäten wieder langsam hochfahren können, andere sind auch weiterhin auf Eis gelegt. Einige Abläufe kön- nen bleiben wie sie waren, aber für viele müssen wir neue Regelungen finden. Es ist wie an so vielen Stellen aktuell ein „Fahren auf Sicht“, aber auch wenn wir uns auch hier auf absehbare Zeit an neue Formen und Formate gewöhnen müssen – wir wollen Ihre Kammer sein und bleiben! Bewältigung der COVID-19-Pandemie vor Ort: ein Bericht aus den Kreisärzteschaften in Ulm und im Alb-Donau-Kreis Als Vorsitzende der Kreisärzteschaften in Ulm und im Alb-Donau-Kreis war uns sehr schnell klar, dass wir diese Krise nur gemeinsam angehen können. Einerseits liegen wir geographisch sehr eng beieinander, und andererseits ist das Landrats- amt mit dem Gesundheitsamt sowohl für den Alb-Donau-Kreis als auch für die Stadt Ulm zuständig. Dies ist eine nicht ganz einfache „Gemengelage“, zumal auch die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten (die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte für den „Normalfall“, das öffentliche Gesundheitswesen für den Pandemie- fall) geklärt und abgestimmt werden mussten. In intensiven Gesprächen und Mails gelang es uns gemeinsam, beim Gesundheitsamt einen dringend notwendigen „runden Tisch“ (Behörden, Körperschaften und Kliniken) einzurichten. Anfänglich konnten wir das Gesundheitsamt in der Durchführung der epidemiologischen Ab- strich-Untersuchungen noch unterstützen, indem ärztliche Kollegen Abstriche bei „gesunden“ Covid-19-Kontaktpersonen durchführten. Als jedoch die Zahlen der
8 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 symptomatischen Patienten zunahmen, für die wir originär zuständig sind, verän- derten wir dieses Modell: das Gesundheitsamt übernahm die epidemiologischen Abstriche und wir kümmerten uns um die medizinisch indizierten Abstrich-Unter- suchungen. Hierzu übernahmen wir das von uns von Anfang an implementierte Konstrukt des ärztlich-besetzten KV-Mobils, sodass im geschützten Modus einerseits Virus-Ab- striche durchgeführt, aber andererseits vor allem eine ärztliche Untersuchung von symptomatischen Patienten im häuslichen Umfeld erfolgen konnte. Wir sahen sehr schnell auch die Notwendigkeit, zwei Abstricheinheiten ins Leben zu rufen, in Ulm und in Ehingen. Dieses Konstrukt besteht bis zum heutigen Tag, und wird vor allem bei steigenden Fallzahlen in Senioren- und Pflegeheimen immer wichtiger. Um die von Patienten*innen über die Patientenservice-Nummer (Tel. 116 117) an- geforderten Hausbesuche einer „ärztlichen Telefon-Triagierung“ zuführen zu kön- nen, besetzen wir täglich die Rettungsleitstelle mit unseren Kolleg*innen – ein zu- kunftsweisender Schritt, der mittlerweile von allen Seiten anerkannt und hoch ge- schätzt wird. Die Anzahl der Hausbesuche konnte so auf das medizinisch Notwen- digste reduziert werden. Lediglich bei der Notdienststruktur am Wochenende gibt es für Ulm und den Alb-Donau-Kreis unterschiedliche Herangehensweisen, die aber auf die jeweilige lokale Gegebenheit abgestimmt sind. Als ein großes Problem kristallisierte sich über die gesamte Zeitspanne die feh- lende persönliche Schutzausrüstung heraus. Eine fehlende Bevorratung und die bislang nicht geregelte Kostenübernahme waren und sind problematisch. Die Or- ganisation und Finanzierung wurde bisher von den Praxen selber gestemmt, die ja auch die Patientenversorgung zum größten Teil übernommen haben. Hier ist die Erstattung noch zu klären. Was sich von Anfang an bewährt hat war, dass wir einen ärztlichen Krisenstab mit folgenden Vertretern ins Leben gerufen haben: vertreten waren hier die Ärzte- kammer (Kreisärzteschaftsvorsitzende Herr Dr. Fischer/Ulm und Frau Dr. Blanken- horn/Alb-Donau-Kreis, sowie der von der Kreisärzteschaft Alb-Donau als An- sprechpartner für ärztliche Belange des Katastrophenschutzes benannte Herr Rost), die Kassenärztliche Vereinigung (Herr Dr. Barczok/Bezirksbeirat und Herr Dr. Schlaud/kinderärztlicher Notdienst) sowie von Anfang an auch der Kreisver- bandsarzt des DRK (Herr Prof. Dr. Kühlmuß). In regelmäßigen Telefonkonferen- zen wurden in diesem Team die weiteren Schritte niederschwellig besprochen und weiterentwickelt. Was auch sehr erfolgreich war und uns mit großer Freude erfüllte war, dass sich sehr viele ärztliche Kolleg*innen auf unseren gemeinsamen Aufruf zur Solidarität hin gemeldet und bereit erklärt haben, an den verschiedenen neu entwickelten Konstrukten mitzuarbeiten. Schwierigkeiten sahen wir leider zu Anfang in den rich- tigen Verteilerstrukturen von Informationen, um möglichst alle Mitglieder zu errei- chen, aber an der Verbesserung hieran arbeiten wir mit Erfolg. Insgesamt können wir konstatieren, dass wir vor Ort inzwischen sehr gut aufgestellt sind, auch weil wir regelmäßig die Konstrukte neu bewerten und der jeweiligen Situation anpassen können. Wir möchten uns an dieser Stelle ganz herzlich bei allen bedanken; dies war und wird uns vor allem in Zukunft eine sehr große Hilfe sein. Ob eine Stabilisierung, ein langsamer Rückgang oder ein erneuter Anstieg der COVID-19-Erkrankungen an- steht wissen wir nicht, aber wir fühlen uns nun -gemeinsam- besser gerüstet! Herzlichst Ihr Dr. Fischer und Ihre Dr. Blankenhorn (Stand: 22.4.2020)
9 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Wir sind Ihre Kammer! Nach der Vorstellung von Präsidium und Vorstand in der letzten Ausgabe ist heute die Geschäftsleitung der Bezirksärztekammer Südwürttemberg an der Reihe. Gerne möchten wir uns Ihnen vorstellen: Ich bin Juristin und seit über 25 Jahren für die Bezirksärzte- kammer Südwürttemberg tätig. Seit Februar 2011 bin ich Geschäftsführerin der Kammer. In enger Abstimmung mit dem Präsidium und dem Vorstand bin ich für die Leitung und Organisation unserer Kammer mit ihren 23 Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern verantwortlich. Unser Anspruch ist es, neben den Verwaltungsaufgaben eine permanente Betreuung und Beratung unserer über 13.000 Mitglieder in allen Fragen, die ihre Berufsausübung betreffen, sicherzustellen. Wichtig ist mir in diesem Zusam- menhang insbesondere der enge Austausch und die Zu- sammenarbeit mit den drei weiteren Bezirksärztekammern in Baden-Württemberg und auch mit der Landesärztekam- mer, um unseren Mitgliedern eine kräftige Stimme bei der Dr. iur. Kiesecker Wahrung ihrer Interessen auf Landes- und Bundesebene zu verleihen. Nach dem Zweiten juristischen Staatsexamen war ich zu- nächst lange Jahre als Rechtsanwältin in einer verwal- tungsrechtlich orientierten Anwaltskanzlei tätig, bis ich 2011 meine Tätigkeit bei der Landesärztekammer Baden-Würt- temberg aufgenommen habe. 2013 bin ich zur Bezirksärz- tekammer Südwürttemberg gewechselt, deren stellvertre- tende Geschäftsführerin ich jetzt bin. Ein Schwerpunkt meiner Tätigkeit liegt hier in der berufs- rechtlichen Beratung, die mir vor allem wegen des direkten Kontakts zu Ihnen viel Freude macht. Egal ob Ausbildungsberatung für die medizinischen Fach- angestellten, Ansprechpartnerin für rechtliche Probleme im Zusammenhang mit der Weiterbildung, Tätigkeit als „Leite- rin Identifizierung“ bei der Herausgabe der elektronischen Arztausweise, Mitglied der Arbeitsgruppe zur Umsetzung Ass. iur. Theurer der Datenschutz-Grundverordnung … – meine Aufgaben sind bunt! Unmittelbar nach Abschluss meines Fachhochschulstudi- ums habe auch ich vor über 25 Jahren meine Tätigkeit in der Bezirksärztekammer Südwürttemberg aufgenommen. Seit dem Sommer 2002 führe ich das Sekretariat der Geschäftsführung und unterstütze den Präsidenten, den Vorstand und die Geschäftsführung. Etwas Besonderes ist es, wenn alle vier Jahre die Fäden der „Kammerwahl“ als einem Herzstück der ärztlichen Selbstverwaltung bei mir zusammenlaufen. Darüber hinaus bin ich Ansprechpartnerin für Sachthemen, insbesondere zu Fachkunden im Strahlenschutz und zu Pa- tientenbeschwerden. Ich schätze es, dass ich einerseits Frau Bangert aus meinen Erfahrungen schöpfen kann und andererseits immer wieder mit neuen Fragestellungen konfrontiert bin.
10 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Kammerhaushalt: woher & wohin Mit diesem Beitrag möchten wir Ihnen gerne erläutern, wo die Haushaltsmittel der Kammer herkommen und wofür sie ausgegeben werden. Auf der Landesebene besteht gemeinsam mit den anderen Bezirken ein sogenannter konsolidierter Haushalt, unten aufgeführt sind aber nur die Zahlen für Südwürttemberg. Wir ha- ben die Zahlen nach Einnahmen und Ausgaben und jeweils nach Aufgabenberei- chen aufgegliedert. Einnahmen: Die wichtigste Einnahmequelle der Kammer ist mit 88 % der Beitrag der Kammermitglieder. Gebühren, die uns aus den Fortbildungsveranstaltungen, den Weiterbildungsprüfungen oder der Durchführung von Fachsprachenprüfungen zugehen, kommen erst mit großem Abstand danach. Weitere Einnahmen generie- ren sich aus Gebühren für die Gutachterkommission, die Lebendspendekommis- sion und aus anderen Verwaltungsgebühren; diese fallen in der Gesamtsumme aber kaum ins Gewicht. Die genaue Aufteilung ergibt sich aus der Abbildung, oben in grau.
11 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Ausgaben: Von den Beiträgen der Kammermitglieder in Südwürttemberg wenden wir den größten Anteil (36,1 %) für die Umlage an die Landesärztekammer auf. Die Verwaltungskosten (im Wesentlichen natürlich Personalkosten) betragen ~28.7 %, gefolgt von den Aufwendungen im Bereich der Weiterbildung. Die Umlage an die Bundesärztekammer beträgt ca. 9 %, dann folgen die Gutachterkommission und das Berufsgericht sowie die Aufwendungen für die Vertreterversammlung und den Vorstand. Kosten für die Fortbildungsaktivitäten, die Fachsprachenprüfungen, die Kreisärzteschaften und die Lebendspendekommission komplettieren das Bild. Die genaue Aufteilung ergibt sich aus der Abbildung, unten in rot. Diese Übersicht soll Ihnen einen groben Einblick geben, wie die Mittelflüsse im Bezirk verteilt sind. Wer es noch genauer wissen will: der summarische Abschluss des konsolidierten Haushalts der Landesärztekammer wird immer zum Anfang des Jahres im Ärzteblatt Baden-Württemberg veröffentlicht. Gemäß § 11 Absatz 3 der Satzung der Landesärztekammer hat „jeder Beitragspflichtige […] die Möglichkeit, in der Geschäftsstelle der Landesärztekammer während eines Zeitraums von zwei Wochen in das Hauptbuch Einsicht zu nehmen." Kommentar zum Kammerbeitrag: Warum überhaupt? Wir hatten in unserem Begleitschreiben zum Erhebungsbogen versprochen, eine Handreichung zur Beitragsveranlagung zu erstellen und außerdem eine genauere Auflistung der Kammerbeiträge angekündigt. Die Handreichung wurde Ende Feb- ruar per E-Mail verteilt, die Auflistung zur Herkunft und Verwendung der Kammer- finanzen findet sich oben. Ich möchte in diesem Kommentar auf einige grundsätz- liche Fragen eingehen, die mir persönlich immer wieder gestellt werden. Lassen Sie mich einleiten mit einigen Vorbemerkungen, weil ich glaube dass wir immer wieder erklären müssen und sollen, wer wir eigentlich sind und was wir tun. Die Ärztekammer ist das zentrale Organ der ärztlichen Selbstverwaltung. Zu un- seren Aufgaben zählen die ärztliche Weiterbildung (und damit die Abnahme von
12 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 allen Prüfungen für Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnungen), die Zer- tifizierung und Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen und die Berufsauf- sicht (also das Wachen über die Einhaltung unseres eigenen Regelwerks, der Be- rufsordnung). Auch eine Reihe von anderen Aufgaben hat der Gesetzgeber an uns übertragen, wie zum Beispiel die eigene Berufsgerichtsbarkeit, die Durchführung von Fachsprachenprüfungen, die Anerkennung ausländischer Diplome und wich- tige Funktionen bei der Ausbildung der medizinischen Fachangestellten oder bei der Organ-Lebendspende. Auch die Gutachterkommissionen (die andernorts als Schlichtungsstellen bekannt sind) sind bei uns verortet. Alle diese Aufgaben kosten Geld. Um sicherzustellen, dass die Kammer ihre Auf- gaben wahrnehmen kann, hat der Gesetzgeber daher eine Pflichtmitgliedschaft für alle Ärztinnen und Ärzte vorgesehen. Immer wieder hört man (insbesondere nach Zugang des Beitragsbescheides) den empörten Ruf, man solle die Kammern doch abschaffen, denn „dann würden wir uns ja den Beitrag sparen“. Das allerdings ist eine Milchmädchenrechnung, denn man muss sich auch darüber klar sein, was die Konsequenz wäre: die Aufgaben würden irgendwelchen (existierenden oder neuen) rein staatlichen Behörden übertragen werden, die dann aus dem allgemei- nen Steueraufkommen und aus Gebühren finanziert würden. Dass damit mehr Geld für unsere ureigenen Belange bereit stehen würde, darf getrost bezweifelt werden, übrigens ebenso wie eine hohe Bereitschaft des Gesetzgebers, diese Auf- gaben dauerhaft aus dem Steuersäckel zu alimentieren. Deutlich höhere Einzel- gebühren und neue Gebührentatbestände wären eine logische Folge. Außerdem: die Entscheidungen würden dann nicht mehr von ehrenamtlichen Ärztinnen und Ärzten, sondern von Behördenleitungen getroffen. Die Annahme, dass diese im- mer die Interessen und das Wohl der Ärzteschaft als Leitmotiv fest im Blick hätten, wäre meiner Meinung nach naiv. Auch zur Rolle der Bezirke möchte ich gerne Stellung nehmen: in Baden-Württem- berg existiert mit den Bezirksärztekammern eine „operative Ebene“ als Unterglie- derung der Landesärztekammer (wie sonst nur noch in Rheinland-Pfalz). Die Ar- beitsteilung in „politisches und übergeordnetes Agieren“ im Land und „mitglieder- nahes Tagesgeschäft“ im Bezirk hat sich nach meiner festen Überzeugung sehr gut bewährt. Die Bezirke können basisnahe und schnelle Entscheidungen treffen; sie sind für die täglichen Fragen der Weiterbildung und dem Auflegen von Fortbil- dungsveranstaltungen exzellent aufgestellt. Auch stellen sie mit den Kreisärzte- schaften die „Kammer vor Ort“. Gleichzeitig besteht über die Vertreterversamm- lung und den Vorstand ein reger Austausch zwischen Bezirk und Land. Es besteht somit eine Arbeitsteilung, keine Doppelstruktur; auch Synergien (zum Beispiel im Bereich der IT, der Prüfung von Abrechnungen oder die Zusammenarbeit bei Prü- fungen) werden schon genutzt, auch wenn hier sicher noch mehr möglich wäre. Und auch hier ist meine erste Frage auf den Ruf nach der Abschaffung der Bezirke die nach der Alternative. Wollen wir wirklich alle Ärztinnen und Ärzte der zweit- größten Ärztekammer in Deutschland nur zentral in Stuttgart betreuen und verwal- ten? Zum Vergleich; selbst Südwürttemberg als kleinster Bezirk im Lande kann es mitgliederzahlenmäßig locker mit z. B. Bremen, Brandenburg, dem Saarland oder Thüringen aufnehmen; es ist also keine wirklich kleinteilige Lösung. Ich habe die Ausrichtung an und die Nähe zu den Mitgliedern immer als sehr wichtigen Aspekt der Arbeit im Bezirk erlebt, und das würde sicher verloren gehen bei einer Zentral- verwaltung. Von den mindestens für einige Zeit enormen Mehrkosten einer Zent- ralisierung (mit neuen Gebäuden, der Gewinnung und Einarbeitung von neuen Mit- arbeitern etc.) mal ganz abgesehen.
13 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Neben dem finanziellen Argument möchte ich aber noch auf einen anderen Punkt zu sprechen kommen, der mir wichtig ist: Unabhängigkeit. Wir alle als Kammer- mitglieder wählen ehrenamtlich engagierte Ärztinnen und Ärzte in die Vertreterver- sammlung der Bezirksärztekammer, die wiederum gewählte Vertreter in die Ver- treterversammlung der Landesärztekammer und zum Deutschen Ärztetag entsen- det. Außerdem werden auch die Vorstände und Präsidenten von den jeweiligen Vertreterversammlungen gewählt. Diese Vorstände treffen mit ärztlichem Sachver- stand die maßgeblichen Entscheidungen im Tagesgeschäft, während, wie üblich, das Haushaltsrecht das Königsrecht der Parlamente (also der Vertreterversamm- lung) ist. Im Rahmen unserer Satzung kann uns niemand vorschreiben, wofür wir Geld ausgeben, und wie wir die Balance finden zwischen solidarisch zu schultern- den und individuell zu tragenden Aufgaben (also wofür wir Beitragsmittel einsetzen oder stattdessen eine eigene Gebühr erheben). Auch einen Verteilungskampf mit anderen Ministerien oder eine Bestellung von Behördenleitern nach politischem Gusto gibt es nicht – wir alle bestimmen durch die Wahrnehmung unseres Wahl- rechts die Zusammensetzung und damit auch die Arbeitsschwerpunkte unserer Kammer. Man kann sich über den Kammerbeitrag daher ärgern, das ist nur menschlich und steht natürlich jedem Mitglied zu. Und natürlich gibt es auch viele Punkte, an denen wir besser werden können, wollen und müssen. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass die Alternativen keinesfalls ausgemacht besser sind. Denn sicher ist nur, was wir verlieren würden: eigenen, ärztlich informierten Gestaltungsspielraum und Unabhängigkeit. Dahingegen spricht nicht viel dafür, dass uns eine Abschaf- fung billiger kommen würde, oder besseren Service böte. Ich sehe die ärztliche Selbstverwaltung daher nicht nur als Privileg, sondern auch als die für die Ärzte- schaft finanziell und inhaltlich bessere Lösung zur Regelung unserer eigenen An- gelegenheiten. Ihr Marko Wilke PS: Dieser Kommentar ist namentlich kenntlich gemacht, da er meine persönliche Meinung widerspiegelt. Schreiben Sie mir gerne Ihre Meinung – ich freue mich, wenn wir darüber ins Gespräch kommen.
14 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 „Solidarische Kammer“: Aufforderung zur Nominierung von Projekten Im November 2019 hat die Vertreterversammlung der Bezirksärztekammer auf Vorschlag des Vorstands das Konzept der „solidarischen Kammer“ verabschiedet. Hiermit sollen konkrete Projekte zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung unterstützt werden. In diesem Beitrag möchten wir das Konzept und das Nominie- rungs- und Auswahlverfahren kurz erläutern. Konzept: Wir, die Ärztinnen und Ärzte in Südwürttemberg, widmen uns mit viel Einsatz den Bedürfnissen unserer Patientinnen und Patienten. Wir alle, egal ob niedergelassen oder angestellt tätig, stellen somit gemeinsam die medizinische Versorgung auf einem hohen Niveau sicher. Allerdings wissen wir auch, dass dies nicht für alle Ärztinnen und Ärzte, und nicht für alle Patientinnen und Patienten welt- weit gilt. Aus diesem Gedanken heraus haben wir uns entschieden, jedes Jahr ein aus der Mitte unserer Mitglieder nominiertes Projekt von Ärztinnen und Ärzten zu unterstützen. Kriterien: Jedes zur Unterstützung vorgeschlagene Projekt soll durch die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten wesentlich geprägt sein der Verbesserung der Gesundheitsvor/fürsorge dienen durch ein Kammermitglied („Pate“ des Projektes) nominiert werden eine darstellbare Verbindung zum Bezirk haben (inhaltlich, personell oder ideell) Hierbei spielt es keine Rolle, ob das Projekt in Südwürttemberg oder anderswo in der Welt angesiedelt ist. Eine Unterstützung kommerzieller Unternehmungen ist ausgeschlossen. Die Anerkennung als gemeinnütziges Projekt ist wünschenswert, aber nicht Voraussetzung. Nominierungs- und Auswahlverfahren: Mit diesem Beitrag rufen wir alle Kam- mermitglieder zur Nominierung eines Projektes auf. Das einseitige Antragsformu- lar als ausfüllbare PDF-Datei finden Sie als separate Anlage in der Aussendung, auf Anfrage senden wir es Ihnen auch gerne zu. Bitte reichen Sie uns Ihren Vor- schlag per Post oder per E-Mail an zentrale@baek-sw.de bis zum 30.08.2020 ein. Der Vorstand entscheidet dann, ob die oben aufgeführten formalen Kriterien erfüllt sind, und legt diese Projekte der Vertreterversammlung der Bezirksärztekammer im November zur Auswahl vor. Umsetzung: Das ausgewählte Projekt wird im nächsten Rundschreiben präsen- tiert, und die Mitglieder werden zur persönlichen, ideellen oder finanziellen Unter- stützung aufgerufen. Für die „solidarische Kammer“ werden keine Beitragsmittel aufgewendet. Übrigens: Über das im letzten Jahr zur Förderung vorgeschlagene Projekt zur Ver- besserung der Gesundheitsversorgung von Frauen im Osten der Demokratischen Republik Kongo wird die Patin des Projektes, Dr. Gisela Schneider aus Tübingen, im nächsten Rundschreiben berichten. Eine Unterstützung dieses Projektes ist na- türlich auch weiterhin möglich! Mehr Details finden Sie auf den Seiten des DIFÄM.
15 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Neue Auszeichnung der Bezirksärztekammer für „Helden des Alltags“ Wir alle kennen sie – die Personen, die für einen Verein, eine Organisation oder eben auch für eine Kreisärzteschaft unverzichtbar sind. Oftmals sind es gar nicht unbedingt die, die im Vordergrund sichtbar aktiv sind: manchmal ist es das lautlose Organisieren von Fortbildungen und das unprätentiöse Ansprechen von neuen Mit- gliedern in ruhigeren Zeiten, manchmal aber auch das unermüdliche Organisieren von Abstrichzentren und die Verteilung von Schutzausrüstung in Pandemie-Zeiten. Ihnen gemein ist: sie sind das schlagende Herz des Ehrenamtes, und auf sie kann man sich verlassen. Es ist dem Vorstand der Bezirksärztekammer ein Anliegen, gerade diesen Perso- nen für ihr Engagement zu danken. Wir haben daher mit den Vorsitzenden der Kreisärzteschaften die Auszeichnung „Helden des Alltags“ ins Leben gerufen. Es sollen Personen ausgezeichnet werden, die sich in besonderer Weise um die Kreisärzteschaft verdient gemacht haben. Das Verfahren sieht vor, dass in den Kreisärzteschaften geeignete Persönlichkeiten identifiziert werden, die dann durch den Vorstand der Kreisärzteschaft dem Vorstand der Bezirksärztekammer zur Eh- rung vorgeschlagen werden können. Die Ehrung ist mit einer Urkunde versehen, die nach Möglichkeit durch den Präsidenten persönlich überreicht wird. Die Verlei- hung soll z.B. im Rahmen einer Mitgliederversammlung oder einer Fortbildungs- veranstaltung der jeweiligen Kreisärzteschaft erfolgen. Wenn Sie jetzt beim Lesen dieser Zeilen schon an eine Heldin oder einen Helden des Alltags denken mussten, dann nur zu – wenden Sie sich an den Vorstand Ihrer Kreisärzteschaft und sprechen Sie diesen auf eine mögliche Ehrung an. Wir freuen uns auf die Vorschläge! Ärztliche Leichenschau – endlich neue Vergütungsregelungen in Kraft Am 1. Januar 2020 traten die Neuregelungen zur Vergütung der ärztlichen Leichen- schau in Kraft. Mit der Fünften Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte sind die im Gebührenverzeichnis der GOÄ enthaltenen Gebührenpositio- nen und das damit festgelegte Honorar für die Todesfeststellung differenzierter ausgestaltet worden. Der für eine sorgfältige Durchführung der Leistung erforder- liche ärztliche Zeitaufwand ist bei der Vergütung maßgeblich berücksichtigt worden. Die neuen Gebührenpositionen im Abschnitt VII der GOÄ legen beim Honorar für die einzelnen Leistungen des Arztes besonderes Augenmerk auf den jeweils er- forderlichen ärztlichen Zeitaufwand, wobei Mindestzeiten für die einzelnen Leis- tungen vorgegeben werden. Die Vergütung erfolgt zwingend nach dem einfachen Gebührensatz ohne die Möglichkeit der Steigerung. Besonderen Umständen bei der Leichenschau und für die Durchführung der Leichenschau zu bestimmten Zei- ten wie nachts, am Wochenende oder an Feiertagen und dem damit verbundenen erhöhten Aufwand wird mit der Berechnungsfähigkeit von Zuschlägen Rechnung getragen.
16 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Die neuen Gebührenpositionen differenzieren zwischen einer vorläufigen Lei- chenschau (Nr. 100 GOÄ) und einer Leichenschau mit eingehender Untersu- chung eines Toten (Nr. 101 GOÄ). Eine eigene Zuschlagsziffer (Nr. 102 GOÄ) kann zum Ansatz gebracht werden, wenn es sich um eine unbekannte Leiche han- delt oder bei besonderen Todesumständen, wie sie sich beim Verdacht auf einen nicht natürlichen Tod, einem länger zurückliegenden Tod oder aus einer besonde- ren Auffindungssituation ergeben können. Bei einer vorläufigen Leichenschau nach Nr. 100 GOÄ, die lediglich die Feststellung des Todes und der Todesart be- inhaltet, ergibt sich ein Vergütungsanspruch des Arztes bei einer Mindestdauer von 20 Minuten (einschließlich des Aufsuchens) in Höhe von € 110,51. Verkürzt sich der Zeitaufwand des Arztes auf weniger als 20 Minuten, beträgt er aber mindes- tens 10 Minuten, können immerhin 60 % der Gebühr in Rechnung gestellt werden. Bei einer eingehenden Leichenschau mit einer Mindestdauer von 40 Minuten (ein- schließlich des Aufsuchens) kann der Arzt jetzt bei Zugrundelegung der Nr. 101 GOÄ ein Honorar in Höhe von € 165,77 ansetzen. Verkürzt sich der Zeitaufwand des Arztes hier auf weniger als 40 Minuten, beträgt er aber mehr als 20 Minuten, können wiederum 60 % der Gebühr berechnet werden. Diese längst überfällige Teilreform der GOÄ ist ganz wesentlich auf das hartnäckige Bemühen und Insistieren der Vertreter der Bundesärztekammer und insbesondere der Landesärztekammer Baden-Württemberg in einem jahrelangen Kampf um die Erhöhung der Gebühren für die ärztliche Leichenschau zurückzuführen. Unterlassener Rettungsversuch eines Arztes nach Suizid strafbar? Nein! Wenn Ärzte ihre Patienten beim Suizid begleiten, statt zu versuchen sie zu retten, dann machen sie sich grundsätzlich nicht strafbar, sofern die Freiverant- wortlichkeit des Handelns des Suizidenten unzweifelhaft feststeht. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Fällen ärztlich assistierter Selbst-tötungen bestätigt (Urteile des BGH vom 03.07.2019, 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18). Das Landgericht Hamburg und das Landgericht Berlin hatten jeweils einen ange- klagten Arzt von dem Vorwurf freigesprochen, sich in den Jahren 2012 bzw. 2013 durch die Unterstützung von Selbsttötungen sowie das Unterlassen von Maßnah- men zur Rettung der bewusstlosen Suizidentinnen strafbar gemacht zu haben. Die Freisprüche der Landgerichte widersprachen der im Jahr 1984 vom BGH ge- troffenen sog. „Peterle-Entscheidung“ (BGHST 32,367), auch „Wittig-Fall“ ge- nannt. Damals hatte der BGH den behandelnden Arzt auch gegenüber einem frei verantwortlich handelnden Suizidenten zu lebensrettenden Maßnahmen verpflich- tet, sobald dieser infolge Bewusstlosigkeit die Tatherrschaft über das Geschehen verloren hatte. Diese Entscheidung hatte der BGH nie widerrufen und jetzt auch nur für den Fall einer unzweifelhaften Freiverantwortlichkeit des Suizid einge- schränkt. Gegen die Freisprüche des Landgerichts Hamburg und des Landgerichts Berlin hatten die Staatsanwaltschaften Revision eingelegt, so dass sich der BGH nach mehr als 30 Jahren erneut mit der rechtlichen Bewertung der Hilfeleistungs- pflicht des Arztes einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen an- dererseits auseinandersetzen musste. Im Ergebnis hat der BGH die Revisionen der Staatsanwaltschaft verworfen und damit die beiden freisprechenden Urteile bestätigt.
17 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit der Angeklagten für ihre im Vorfeld geleis- teten Beiträge zu den Suiziden hätte vorausgesetzt, dass die Betroffenen nicht in der Lage waren, einen freiverantwortlichen Selbsttötungswillen zu bilden. In beiden Fällen war es jedoch so, dass die Sterbewünsche der Betroffenen auf einer im Laufe der Zeit entwickelten, bilanzierenden „Lebensmüdigkeit“ beruhten und nicht Ergebnis psychischer Störungen waren, so dass die Eigenverantwortlichkeit der Suizidentinnen rechtsfehlerfrei festgestellt wurde. Beide Angeklagte waren auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Suizidentin- nen nicht zur Rettung derer Leben verpflichtet. Der Angeklagte des Hamburger Verfahrens hatte schon nicht die ärztliche Behandlung der beiden sterbewilligen Frauen übernommen, was ihn zu lebensrettenden Maßnahmen hätte verpflichten können. Auch die Erstellung des seitens des Sterbehilfevereins für die Erbringung der Suizidhilfe geforderten Gutachtens sowie die vereinbarte Sterbebegleitung be- gründeten keine Schutzpflicht für deren Leben. Der Angeklagte im Berliner Verfah- ren war jedenfalls durch die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der später Verstorbenen von der aufgrund seiner Stellung als behandelnder Hausarzt grund- sätzlich bestehenden Pflicht zur Rettung des Lebens seiner Patientin entbunden. Ausdrücklich in den Entscheidungen des BGH festgehalten wurde, dass mit der jeweiligen Leistung von Hilfe zur Selbsttötung zwar möglicherweise ärztliche Be- rufspflichten verletzt wurden. Dies war jedoch für die Strafbarkeit des Verhaltens im Ergebnis nicht von Relevanz. Am Straftatbestand der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) war das Verhalten der Angeklagten wegen des strafrechtlichen Rückwir- kungsverbots nicht zu messen, da dieser zur Zeit der hier behandelten Suizide noch nicht in Kraft war. Mittlerweile hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot von geschäftsmäßiger Sterbehilfe außerdem gekippt (siehe nächster Beitrag). Damit ist jetzt im Ergebnis nach höchstrichterlich bestätigtem Rechtsverständnis eine Rettungspflicht bei einem freiverantwortlichen (assistierten) Suizid zu vernei- nen. Beim Hinzukommen zu einem nicht unzweifelhaft freiverantwortlichen, allge- meinen, „einsamen“ Suizid hingegen ist diese nach wie vor geboten. Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) verfassungswidrig Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Rahmen seiner Entscheidung vom 26.02.2020 (2 BvR 2347/15 u.a.) folgende wesentliche Aussagen getroffen: 1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) um- fasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, bedarf keiner weiteren Begründung oder Rechtfertigung, sondern ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren. 2. § 217 StGB mit seinem Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst- tötung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Sterbewilliger ein, indem es dem Einzelnen faktisch weitgehend unmöglich macht, Suizidhilfe zu erhalten. Angesichts der existenziellen Bedeutung, die der Selbstbestimmung über das eigene Leben für die personale Identität, Individualität und Integrität zukommt, wiegt der Eingriff besonders schwer.
18 BÄK Südwürttemberg Rundschreiben Juni 2020 3. Der Eingriff des Gesetzgebers in das Recht auf Selbstbestimmung ist nicht gerechtfertigt. Das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst- tötung verletzt den Entfaltungsraum autonomer Selbstbestimmung und führt dazu, dass das Recht auf Selbsttötung in weiten Teilen faktisch entleert wird. 4. Ohne geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe ist der Einzelne maßgeblich auf die individuelle Bereitschaft eines Arztes angewiesen, an einer Selbsttötung zumindest durch Verschreibung der benötigten Wirkstoffe assistierend mitzu- wirken. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts bestätigte, dass Ärzte bislang nur eine geringe Bereitschaft zeigten, Suizidhilfe zu leisten. Sie sind hierzu auch nicht verpflichtet. „Aus dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben leitet sich kein Anspruch gegenüber Dritten auf Suizidhilfe ab.“ Ärzte un- terliegen keinem Zwang. Die Bundesregierung will das Urteil des Bundesverfassungsgerichts prüfen und aus- werten. Anschließend wird möglicherweise über neue Regelungen bei der Suizid- beihilfe und eine verfassungsgerechte Lösung zur Suizidvorbeugung beraten. Letztendlich darf der Gesetzgeber die Suizidbeihilfe regulieren. Er muss dabei aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibt. Richtervorbehalt und Hinweispflicht bei Fixierungen von Psychiatriepatienten Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 24.07.2018 (Az. 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16) an die Landesgesetzgeber den Regelungsauftrag erteilt, einen Richtervorbehalt für die Anordnung von Fixierungen von Psychiatrie-Pa- tienten gesetzlich zu verankern (siehe unser Beitrag zur Fixierung von Psychiatrie- Patienten im Rundschreiben Dezember 2018 Seite 5 ff.). Um diesen Vorgaben zu entsprechen, wurden in Baden-Württemberg durch die Neufassung zum sog. Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz vom 25.06.2019 entsprechende Regelungen ein- geführt. Für besonders intensiv in die Freiheitsrechte eingreifende Fixierungsmaßnahmen, durch welche die Bewegungsfähigkeit einer untergebrachten Person nicht nur kurzfristig weitgehend oder vollständig aufgehoben wird, ist jetzt eine gerichtliche Entscheidung erforderlich. Dieser Richtervorbehalt gilt dann, wenn die Fixierung voraussichtlich die Dauer von ungefähr einer halben Stunde überschreitet und da- mit nicht mehr nur kurzfristig ist. Bis zur Einführung der jetzigen Regelung reichten ein grundsätzlicher richterlicher Unterbringungsbeschluss und eine ärztliche An- ordnung aus, um Patienten zu fixieren. Die jetzt erforderliche richterliche Entschei- dung ist vor der Fixierung herbeizuführen. Bei Gefahr im Verzug hat die jeweilige Einrichtung unverzüglich eine nachträgliche richterliche Genehmigung zu bean- tragen. Nach der neuen Regelung ist das ärztliche Personal zudem verpflichtet, die be- troffene Person nach Beendigung von Fixierungsmaßnahmen darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit besteht, die Zulässigkeit der Fixierungsmaßnahmen nach- träglich gerichtlich überprüfen zu lassen.
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