Kernbotschaften BMBF-Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt - Quellen Senken Lösungsansätze"

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Kernbotschaften BMBF-Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt - Quellen Senken Lösungsansätze"
BMBF-Forschungsschwerpunkt „Plastik in der Umwelt –
Quellen · Senken · Lösungsansätze“

Kernbotschaften
Kernbotschaften BMBF-Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt - Quellen Senken Lösungsansätze"
Impressum

Herausgeber
Ecologic Institut gemeinnützige GmbH
Pfalzburger Str. 43/44, 10717 Berlin
Geschäftsführerin: Dr. Camilla Bausch
Sitz: Berlin, AG Charlottenburg HRB 57947;
UST ID: DE 811963464

Ansprechpartner:innen für den BMBF-Forschungsschwerpunkt
„Plastik in der Umwelt – Quellen · Senken · Lösungsansätze“:

Beim BMBF
Thomas Bartelt
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Referat 726 – Ressourcen, Kreislaufwirtschaft, Geoforschung
53170 Bonn
Tel.: +49 (0) 228 99 57 - 38 90
Fax: +49 (0) 228 99 57 - 838 90
E-Mail: Thomas.Bartelt@bmbf.bund.de

Beim Projektträger
Dr.-Ing. Saskia Ziemann
Projektträgerschaft Ressourcen, Kreislaufwirtschaft, Geoforschung
Projektträger Karlsruhe, Karlsruher Institut für Technologie
Hermann-von-Helmholtz-Platz 1
76344 Eggenstein-Leopoldshafen
Tel.: +49 (0) 721 608 - 232 35
Fax: +49 (0) 721 608 - 92 32 35
E-Mail: saskia.ziemann@kit.edu

Editor
Wissenschaftliches Begleitvorhaben (PlastikNet) des BMBF-Forschungsschwerpunkts
„Plastik in der Umwelt – Quellen • Senken • Lösungsansätze“
Doris Knoblauch, Dr. Ulf Stein, Linda Mederake, Hannes Schritt, Mandy Hinzmann
Ecologic Institut gemeinnützige GmbH
E-Mail: plastiknet@ecologic.eu
Tel: +49 (30) 868 80 - 0
Fax: +49 (30) 868 80 - 100
Website: https://bmbf-plastik.de
Twitter: @plastik_umwelt

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor:innen.
Die Kernbotschaften sind nicht für den gewerblichen Vertrieb bestimmt (© CC BY-NC).

2., überarbeitete Auflage, Juli 2022

Graphisches Konzept, Layout
Lena Aebli, Jennifer Rahn

https://bmbf-plastik.de/de/Publikation/Kernbotschaften

ISBN: 978-3-937085-36-4

Zitiervorschlag
Hinzmann, Mandy; Knoblauch, Doris; Mederake, Linda; Schritt, Hannes; Stein, Ulf (Hrsg.) (2022):
Kernbotschaften zum Forschungsschwerpunkt „Plastik in der Umwelt“.

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Kernbotschaften BMBF-Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt - Quellen Senken Lösungsansätze"
Inhaltsverzeichnis

Glossar                                                                 04

Einleitung                                                              06

01 Quellen und Eintragspfade von Plastik in die Umwelt                  08

02 Ökotoxikologische Bewertung von Mikroplastik als komplexe Aufgabe    12

03 Plastik im Abwasser: erfassen, untersuchen, entfernen.               16

04 Plastik in Böden: Einträge, Verhalten und Verbleib                   19

05 Unternehmen müssen mehr Verantwortung übernehmen                     23

06 Noch nicht ausreichend effizient: Abfallwirtschaft und Recycling     26

07 Wie Kommunen zu weniger Kunststoffemissionen beitragen können        29

08 Begrenzte Möglichkeiten: Welchen Einfluss haben Verbraucher:innen?   33

09 Wesentliche Fortschritte in der Mikroplastik-Analytik                36

10 Rechtliche Empfehlungen zur Reduktion von Kunststoffemissionen       39

Fazit                                                                   44

Literaturverzeichnis                                                    46

Abbildungsverzeichnis                                                   51

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Glossar

              Additive    Zusatzstoff/Intermolekulare Verbindungen in einem Kunststoff neben
                          dem überwiegend vorliegenden Polymer.

                Analyt    Zu untersuchender Stoff – hier zumeist Mikroplastik.

                Biofilm   Organismen, die sich aktiv an eine Oberfläche anheften.

          bioverfügbar    Anteil eines Stoffes, der in einem Lebewesen zur Wirkung kommt.

             Blindwert    Messwert, der ohne Hinzugabe der zu untersuchenden Probe
                          generiert wird.

       Bodenmikrobiom     Die Zusammensetzung der Mikroorganismen im Boden.

      Charakterisierung   Stoffliche Eigenschaft eines Analyten oder Mediums.

      Depolymerisation    Zersetzung der Polymere in Monomere.

            Deposition    Ablagerung.

               Detritus   Zerfallende organische Substanzen in Gewässern.

             Duroplast    Polymer, das durch eine chemische Reaktion (Polymerisation) aushärtet.

         Diffuse Quelle   Nicht exakt feststellbare Quellen, aus denen Stoffe in die Umwelt
                          gelangen.

          Downstream      Unterer Teil der Produktions-/Lieferkette (Lagerung, Transport,
                          Nutzung, Entsorgung, Recycling).

             Elastomer    Polymer mit elastischen Eigenschaften, umgangssprachlich Gummi.

       Elementanalytik    Analytisches Verfahren zum Nachweis spezifischer Elemente
                          in Mikroplastik.

    End-of-Pipe-Lösung    Nachgeschaltete Maßnahmen zur Reduktion von Umweltbelastungen,
                          z. B. Reinigungsprozesse.

            Feld-Fluss-   Trennmethodik für die anschließende Detektion von Mikroplastik im
         Fraktionierung   Nanobereich.

       humanpathogen      Erreger mit der Fähigkeit, Erkrankungen beim Menschen hervorzurufen.

           Kalorimetrie   Analytisches Verfahren zur Charakterisierung von Phasenübergängen
                          von Kunststoffen.

           Kunststoffe    Hauptsächlich auf (teil-)synthetischen Polymeren aufgebaute
                          Werkstoffe, umgangssprachlich Plastik.

     Laminar-Flow-Box     Laborgerät, das einen parallelen Luftstrom von oben nach unten
                          herstellt und so eine möglichst geringe Kontamination aus der
                          Umgebung/Luft ermöglicht.

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Makroplastik    Plastikfragmente größer als 5 Millimeter.

Matrix/Probenmatrix    Bestandteile einer zu untersuchenden Probe, die nicht analysiert werden.

        Microbeads     Reibkörper in Kosmetikartikeln

        Mikroplastik   Plastikfragmente in der Größe von 1 - 1.000 Mikrometer.
       » Sekundäres    Entsteht durch die Fragmentierung von größerem Plastik.
          » Primäres   Wird bewusst als partikulärer Stoff eingesetzt.

          Monomer      Moleküle, die als strukturelle Wiederholungseinheit zu Polymeren
                       reagieren können.

           Polymer     Makromolekulare Verbindung, die sich aus strukturellen
                       Wiederholungseinheiten (Monomere) zusammensetzt.

     Polymerisation    Reaktion, bei der aus Monomeren als Ausgangsstoffe Polymere als
                       Produkt entstehen.

        Punktquelle    Klar definier- und abgrenzbare Quelle von Stoffeinträgen in die Umwelt.

     Rebound-Effekt    Phänomen, wenn erwartete Einsparpotenziale durch Effizienzsteigerun-
                       gen nicht erreicht werden, weil eingesparte Ressourcen an anderer Stelle
                       eingesetzt werden und damit auch der Verbrauch wieder steigen kann.

              Senke    Lokale Orte oder Medien (inklusive Lebewesen), an bzw. in denen sich
                       Kunststoffe sammeln bzw. anreichern.

      Spektroskopie    Analytische Verfahren zum Nachweis von Mikroplastik-Partikeln anhand
                       der chemischen Struktur.

        Stakeholder    Akteur:innen, die ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis
                       eines Prozesses oder Projektes haben.

     Thermoanalytik    Analytische Verfahren zum Nachweis von Mikroplastikgehalten anhand
                       der chemischen Struktur.

       Thermoplast     Polymer, das in einem Temperaturbereich plastisch verformbar ist.

Umweltkompartiment     Voneinander abgrenzbare Bereiche der Erde, z. B. Wasser, Boden, Luft.

          Upstream     Der obere Teil der Produktions-/Lieferkette (Rohstoffgewinnung,
                       Entwicklung, Design, Fertigung).

        Validierung    Durch die Validierung wird der dokumentierte Beweis erbracht, dass
                       ein Prozess oder ein System die vorher spezifizierten Anforderungen
                       wiederholbar erfüllt.

          Vibrionen    Bakteriengattung, zu der unter anderem der Choleraerreger gehört.

                                                                                                 5
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Einleitung
Plastikmüll ist ein globales Umweltproblem            ziert und Synergien genutzt, um den Wissens-
mit ökologischen Folgen. Es ist noch zu wenig         austausch zwischen den Projekten zu stärken
darüber bekannt, wie Kunststoffpartikel ein-          und die wissenschaftliche Qualität der Ergeb-
getragen und verbreitet werden und wie sie            nisse sicherzustellen. In allen Themenbereichen
sich auf Menschen und Tiere auswirken. Um             sind wichtige Erkenntnisse gewonnen worden,
diese Wissenslücken zu schließen und wirksa-          Grundlagenwissen erweitert und Entwicklungen
me Gestaltungshebel zu entwickeln, mit denen          vorangetrieben. Dies umfasst unter anderem:
der Eintrag von Plastikabfällen und Mikroplas-
tik in die Weltmeere vermieden beziehungs-            »  Erweitertes analytisches Know-how
weise erheblich vermindert werden kann, ist           Es wurde wurde ein sehr gutes analytisches
umfassende Forschungsarbeit notwendig.                Know-how entwickelt, um Mikroplastik zu
                                                      erfassen und zu untersuchen. Dabei konnte
Im Jahr 2017 hat das Bundesministerium für            auf Vorarbeiten der JPI Oceans-Initiative (z. B.
Bildung und Forschung (BMBF) den nationa-             BASEMAN [1]) und der BMBF-Projekte MiWa
len Forschungsschwerpunkt „Plastik in der Um-         [2] und OEMP [3]) aufgebaut werden. Dieses
welt“ aufgelegt. Ziel der geleisteten Arbeiten ist    Know-how bildet eine entscheidende Grundla-
es, eine systemische Betrachtungsweise anzu-          ge für nationale und europäische Normungen
stoßen und ein besseres Verständnis der Um-           der Verfahren sowie um internationale Stan-
weltauswirkungen von Plastikmüll zu erhalten.         dards zu erarbeiten. [4]
Es werden insgesamt 20 Verbundprojekte mit
mehr als 100 beteiligten Institutionen aus Wis-       » Ökotoxikologische Bewertung von
senschaft, Wirtschaft und Praxis sowie ein wis-       Mikroplastik in der Umwelt
senschaftliches Begleitvorhaben gefördert. Die        Mikroplastik kann schädlich für Organismen sein,
Forschenden arbeiten interdisziplinär zusam-          wie die Projektarbeiten zeigen. Die gewonne-
men in fünf Themenbereichen, welche entlang           nen Erkenntnisse liefern wichtige Beiträge zum
der gesamten Wertschöpfungskette der Kunst-           Wissen über die ökologischen Auswirkungen
stoffe ausgerichtet sind: Green Economy, Kon-         von Mikroplastik auf Süßwasser- und marine
sum und Verbraucherverhalten, Recycling, Lim-         Systeme. [5]
nische Systeme, Meere & Ozeane.
                                                      »  Gut definiert: ein Kompendium für
Übergreifende Fragestellungen, die von meh-           wichtige Begriffe
reren Verbundprojekten bearbeitet werden,             Das von einem interdisziplinären Team erarbei-
sind in sieben Querschnittsthemen zusammen-           tete Kompendium zum Thema Kunststoff in der
gefasst: (1) Analytik und Referenzmaterialien,        Umwelt erläutert wesentliche Begriffe auf Basis
(2) Ökotoxikologie, (3) Begriffe und Definitio-       bestehender Definitionen. Es zielt darauf ab, zu
nen, (4) Soziale und politische Dimensionen, (5)      einem besseren Verständnis von Kunststoffen
Modellierung und Ökobilanzierung (inkl. Daten-        in der Umwelt beizutragen und die Kommuni-
management), (6) Recycling und Produktent-            kation zum Themenfeld auch außerhalb der
wicklung, (7) Bioabbaubarkeit. In diesen Quer-        Wissenschaft auf ein begrifflich korrektes Fun-
schnittsthemen werden Methoden gemeinsam              dament zu stellen. [6]
weiterentwickelt, Forschungsfragen differen-

Unter Kunststoffen oder Plastik werden im Kontext dieser Forschungsarbeiten alle aus (teil-) syn-
thetischen Polymeren aufgebauten festen Materialien verstanden, d. h. thermo- und duroplastische
Kunststoffe und Elastomere, aber auch Produkte wie Lacke, textile Fasern oder Reifenabrieb. Partikel
und Fasern sowie Fragmente dieser Produkte werden entsprechend ihrer größten Dimension in Makro-
plastik (> 5mm), Mikroplastik (5 mm- 1 µm) und Nanoplastik (< 1 µm) eingeteilt.

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»  Mikroplastik mithilfe mathematischer             nehmen zentrale Akteure, wenn es um die Ver-
Modelle weiter erforschen                           meidung von Plastikeinträgen in die Umwelt
Daten zu Mikroplastik in der Fläche lassen sich     geht. Um zur Sensibilisierung und Bewusstseins-
aktuell nicht befriedigend erheben. Ein Syn-        bildung der Verbraucher:innen beizutragen,
thesepapier zeigt den möglichen Beitrag von         können die Forschungsergebnisse in Bildungs-
Modellierungen zur weiteren flächenbezogenen        und Aufklärungskonzepte einfließen. In einigen
Mikroplastikforschung auf: Mathematische Mo-        Projekten wurde der Transfer in die Öffentlich-
delle erlauben es, die Sensitivität verschiedener   keit bereits in die Tat umgesetzt, etwa bei der
Kenngrößen und Prozesse auf die Mikroplastik-       Citizen Science-Aktion Plastikpiraten (plastic-
Verteilung in der Umwelt abzuschätzen. Damit        pirates.eu/de) oder bei der Erstellung von
lassen sich die Anforderungen an die Zahl, Ver-     Bildungsmaterialien für verschiedene Alters-
ortung und Frequenz zukünftiger Probennah-          gruppen. [10]
men spezifizieren. [7]
                                                In den folgenden Kapiteln sind die wesentlichen
» Zusammengefasstes Wissen über                 Kernbotschaften aus allen 20 Verbundprojekten
Bioabbaubarkeit                                 zusammengefasst. Gegliedert nach Schwer-
Das Sachstandspapier Bioabbaubarkeit liefert    punktthemen werden die zentralen Ergebnisse
eine ausführliche Zusammenfassung des aktuel- vorgestellt, um daraus Empfehlungen für ver-
len Wissens darüber, was unter der biologischen schiedene Adressaten abzuleiten. Dabei ist zu
Abbaubarkeit von Kunststoffen zu verstehen ist berücksichtigen, dass die einzelnen Verbund-
und wie bzw. unter welchen Einflussfaktoren sie projekte unterschiedliche Laufzeiten haben;
wirksam werden kann. [8]                        einige bereits abgeschlossen sind während an-
                                                dere noch laufen. Zudem besteht zum Thema
» Zentrale Kernbotschaften für eine             Kunststoffe in der Umwelt trotz der großen
nachhaltigere Gesellschaft                      Fortschritte, die erzielt werden konnten, weite-
Kompakt und auf den Punkt: Wie die Gesell-      rer Forschungsbedarf. Viele der dargestellten
schaft Wege zum nachhaltigen Umgang mit         Resultate sind somit als erste und nicht als ab-
Kunststoffen finden und verfolgen kann, zeigen  schließende Ergebnisse zu betrachten. Dies
die aus sozialwissenschaftlicher Perspektive    betrifft auch die Belastbarkeit bestimmter ge-
formulierten 11 Kernbotschaften. [9]            messener Werte und erhobener Daten. Genau-
                                                ere Informationen zur Erhebungsmethode, Be-
» Forschungsergebnisse nutzen, um               lastbarkeit und zum Kontext der Daten bieten
Verbraucher:innen zu sensibilisieren            die Veröffentlichungen der wissenschaftlichen
Verbraucher:innen sind neben Politik und Unter- Ergebnisse aus den einzelnen Projekten.

                                                                                                 7
Kernbotschaften BMBF-Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt - Quellen Senken Lösungsansätze"
01 Quellen und Eintragspfade
   von Plastik in die Umwelt

Kunststoffe gelangen über verschiedene Wege in die Umwelt – man spricht dabei von
Eintragspfaden. Es wurden unterschiedliche Quellen für Kunststoffeinträge und wie sich
diese ausbreiten untersucht.

Ergebnisse:

» Industrie und Gewerbe: Gewerbliche und in-          » Haushalte und urbaner Raum (Konsum): Bei
dustrielle Abwässer, die in kommunale Kläran-         der Nutzung von kunststoffhaltigen Produkten
lagen eingeleitet werden (Indirekteinleitung),        entstehen (Mikro-) Plastikemissionen, unter
weisen zum Teil erhöhte Mikroplastik-Konzent-         anderem durch Textilwäsche [2], Wasch- und
rationen auf. In den untersuchten industriellen       Reinigungsmittel sowie durch den Abrieb
und kommunalen Kläranlagen werden Mikro-              von Produkten im Gebrauch. Besonders beim
plastik-Partikel aus dem Abwasser weitgehend          ersten Waschen von Kleidung wird viel fa-
entfernt (s. u.).                                     serförmiges Mikroplastik emittiert. In kommu-
                                                      nalen Kläranlagen wird der Großteil an (Mik-
Bei Herstellung und Transport von Kunststoff-         ro-) Plastik aus dem Abwasser (u. a. häusliche
produkten (z. B. Granulate) kann (Mikro-) Plastik     Abwässer und Niederschlagswasser) entfernt
unbeabsichtigt freigesetzt werden, etwa durch         (vgl. Kapitel 3). Geringe Restgehalte im Ablauf
unsachgemäße Lagerung und Handhabung,                 von Kläranlagen können Oberflächengewässer
ungeeignete Transportmittel oder Betriebsstö-         erreichen. [3, 4] Aus dem Abwasser entferntes
rungen. Niederschlagswasser von Verkehrs-             (Mikro-) Plastik findet sich vor allem im Klär-
und Produktionsflächen wird zum Teil unbe-            schlamm wieder [4-6]. Dieser wird überwie-
handelt in Gewässer eingeleitet. Verwehungen          gend thermisch verwertet (die bodenbezogene
und Erosion von Industrie- und Gewerbeflächen         Klärschlammverwertung nimmt zunehmend
führen zu diffusen Emissionen [1] (vgl. Kapitel 5).   ab, s. u. und Kapitel 3).

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Kernbotschaften BMBF-Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt - Quellen Senken Lösungsansätze"
Erste orientierende Untersuchungen lassen          im Boden beitrug. Modellrechnungen ermög-
hohe Emissionen über unbehandeltes Nieder-         lichen eine Abschätzung des Mikroplastikein-
schlagswasser und Mischwasserentlastungen          trags durch Kompost, Klärschlamm, Gärreste
vermuten.                                          und Folien seit den 1960er Jahren in einzelnen
                                                   Untersuchungsgebieten: Rund die Hälfte des
Eine bedeutende Quelle für Kunststofftei-          Eintrags stammt dabei aus Kompost und ein
le in der Umwelt ist Littering, also achtloses     Drittel aus Klärschlamm. Während Kompost
Wegwerfen und Liegenlassen von Plastikmüll         und Gärreste sowie Folien weiterhin relevante
[3], beispielsweise bei kulturellen Großveran-     Eintragspfade sind, wird die bodenbezogene
staltungen [7, 8]. Gelitterte Kunststoffe kön-     Klärschlammverwertung (2020: 16 %) zukünf-
nen bei Extremwetterereignissen zu punk-           tig durch die in Deutschland überwiegende
tuell hohen Einträgen von (Mikro-) Plastik in      thermische Klärschlammverwertung weiter
die Umwelt führen. Zudem spielt der urbane         zurückgehen (vgl. Kapitel 4).
Raum als Quelle für atmosphärische Einträge
von Mikroplastik eine wichtige Rolle. Daneben      » Transport: (Mikro-) Plastik unterliegt in
gibt es weitere diffuse Quellen, beispielswei-     der Umwelt komplexen Transportprozessen.
se Sportplätze mit Kunstrasen, Baustellen etc.     So können Verwehungen zum Transfer von
[9] (vgl. Kapitel 7 und Kapitel 8).                Böden in die Luft und zu atmosphärischem
                                                   Transport an entlegene Stellen führen. Durch
» Verkehr: Reifenabrieb stellt nach jetzigem       Niederschläge (Auswaschen) [3] und trockene
Kenntnisstand eine der größten Quellen für         Deposition (Ablagerung) gelangt luftgetrage-
Mikroplastik in der Umwelt dar. Hotspots der       nes Mikroplastik wieder in Böden und Gewäs-
Entstehung sind Kurven, Ampeln und Kreu-           ser. Die Luft im urbanen Raum ist stärker mit
zungen. [10] Durch Verwehungen, Erosion und        Mikroplastik belastet als auf dem Land. [12]
Niederschlagswasserableitung kann Reifen-
abrieb in Gewässer gelangen und reichert sich      Niederschläge können zur Bodenerosion vor
vor allem außerorts in Böden in der Nähe von       allem landwirtschaftlicher Flächen führen
Straßen an. [11] Zudem erfolgen Einträge als       und damit zum Transfer von Mikroplastik in
Feinstaub in die Luft (vgl. Kapitel 7).            Gewässer beitragen. Nach ersten modellba-
                                                   sierten Abschätzungen ist die jährliche Ein-
» Abfall: Bei der Sammlung und Behandlung          tragsmenge in Fließgewässer durch Erosion
von (Kunststoff-) Abfällen entstehen diffuse       in landwirtschaftlich geprägten Gebieten ver-
Emissionen etwa durch unbeabsichtigte Frei-        gleichbar mit jener aus kommunalen Kläran-
setzung oder Verwehungen. Fehlwürfe führen         lagen. Innerhalb von Ackerflächen erfolgt eine
zu hohen Konzentrationen an (Mikro-) Plastik       Verlagerung in tiefere Bodenschichten durch
in Komposten und Gärresten (vgl. Kapitel 4).       Bearbeitung, Niederschläge, Durchmischung
Unbehandelte Deponiesickerwässer [3] stellen       durch Bodenlebewesen und zu einem gerin-
eine Quelle für Mikroplastik dar, die durch eine   geren Teil auch durch Transport in Makropo-
Behandlung bereits vor der Einleitung in kom-      ren (Hohlräume im Boden). [3]
munale Kläranlagen reduziert werden kann.
                                                   Innerhalb von Gewässern sedimentiert (Mi-
» Landwirtschaft: Düngemittel und Saatgut          kro-) Plastik vor allem in Zonen mit niedriger
werden häufig mit Kunststoffumhüllung in           Fließgeschwindigkeit, etwa an Talsperren oder
Böden eingebracht. Durch Einsatz von Mulch-        Flussauen. Biofilmbildung auf (Mikro-) Plastik
und Abdeckfolien, Vliesen und Netzen gelangt       und darauffolgende Mineral- und Aggregat-
ebenfalls (Mikro-) Plastik in die Umwelt, insbe-   bildung lässt auch Plastikpartikel mit geringer
sondere wenn diese fragmentieren, verwehen         Dichte absinken. Es kann bei Extremwetterereig-
oder unsachgemäß entsorgt werden. Klär-            nissen, etwa bei Starkregen oder Hochwasser,
schlamm wurde über Jahrzehnte als organi-          wieder remobilisiert werden. Makroplastik
scher Dünger in der Landwirtschaft genutzt,        sammelt sich vor allem in Uferzonen. In Stau-
was zur relevanten Mikroplastik-Anreicherung       stufen kann Makroplastik durch Rechenanlagen

                                                                                                 9
Kernbotschaften BMBF-Forschungsschwerpunkt "Plastik in der Umwelt - Quellen Senken Lösungsansätze"
von Wasserkraftanlagen aus den Gewässern            stoffprodukten verringern (z. B. weniger Einweg
entfernt werden. [13] Nicht sedimentiertes          oder Fast Fashion). Dies kann durch regulatori-
(Mikro-) Plastik gelangt über Fließgewässer         sche Maßnahmen forciert werden, etwa indem
ins Meer.                                           stärkere Anreize zur Vermeidung geschaffen
                                                    werden. Hier spielt auch das Nutzungsverhal-
Im Verlauf von Fließgewässern konnte vom            ten der Konsument:innen eine entscheidende
Oberlauf bis zur Mündung bislang kein konti-        Rolle (vgl. Kapitel 8).
nuierlicher Anstieg von Mikroplastik festge-
stellt werden. Dies ist u. a. auf die Momentauf-    (Mikro-) Plastikemissionen durch unbehandeltes
nahmen der Untersuchungen in Verbindung             Abwasser, das über Mischwasserentlastungen
mit der inhomogenen Verteilung von Mikro-           und Niederschlagswasserkanäle in die Gewässer
plastik im Wasserkörper zurückzuführen.             gelangt, müssen mittels Maßnahmen in der Be-
                                                    triebsführung und technologischer Entwicklung
Neben dem Transport spielt die fortschreitende      von Rückhalteeinrichtungen reduziert werden.
Fragmentierung von Kunststoffen (Makroplas-
tik › Mikroplastik › Nanoplastik) durch Einflüsse   » Abfall: Da die technischen Möglichkeiten zur
wie UV-Strahlung oder Reibung eine wichtige         nachträglichen Abtrennung von (Mikro-) Plas-
Rolle für deren Vorkommen und Verhalten in          tik aus Bioabfällen begrenzt bzw. sehr auf-
der Umwelt. [3] Wie sie sich in der Umwelt ver-     wändig sind, kann hier der größte Erfolg zur
halten, hängt unter anderem mit Partikelgrö-        Vermeidung und Verminderung der Emissio-
ßen und deren Dichte zusammen. [14]                 nen erreicht werden, indem das Abfall-Trenn-
                                                    verhalten (bspw. Fehlwürfe) verbessert wird.
Anhand der durchgeführten Untersuchungen            Die Sammlung von Kunststoffabfällen sollte
kann die Relevanz einzelner Quellen, Pfade          konsequent von einer Sack- auf eine Tonnen-
und Prozesse für den Eintrag von Kunststof-         sammlung umgestellt werden. Eine bedarfs-
fen in die Umwelt abgeschätzt werden (s. Ab-        gerechte Optimierung der Straßenreinigung
bildung S. 11).                                     und der Abfallsammlung im öffentlichen Raum
                                                    kann den Eintrag in die Umwelt reduzieren
Empfehlungen:                                       (vgl. Kapitel 6).

Raum- und zeitbezogene Modellrechnungen             » Landwirtschaft: Plastikmaterialien, die in
müssen weiter optimiert werden, um sie zur          der Landwirtschaft eingesetzt werden, müs-
Abschätzung und Bewertung von Maßnahmen             sen möglichst vollständig eingesammelt und
(bspw. weiterer Verfahrenstechniken – vgl. Ka-      recycelt werden. Der Einsatz bioabbaubarer
pitel 3) nutzen zu können. Um (Mikro-) Plas-        Kunststoffe (Folien, Vliese etc.) hilft dabei, die
tik in der Umwelt effektiv zu reduzieren, sind      (Mikro-) Plastikakkumulation im Boden zu ver-
auch Ansätze zur Verminderung von Makro-            mindern. Um Mikroplastik-Einträge zu vermei-
plastikemissionen (z. B. durch Littering) not-      den, sollte Klärschlamm nicht bodenbezogen
wendig.                                             verwertet werden. Alternative, forschungsge-
                                                    stützt entwickelte Produktionsmethoden mit
» Industrie und Gewerbe: Industrielle Emissio-      geringerem Kunststoffverbrauch sollten zum
nen können vor allem durch organisatorische         Einsatz kommen, auch indem Landwirt:innen
und betriebliche Maßnahmen (bspw. Reinigen          verstärkt beraten werden.
von Betriebsflächen), bauliche Veränderun-
gen und Behandlung von Niederschlagswasser          » Verkehr: Die Nutzung abriebarmer Reifen
reduziert werden. [7]                               und eine defensive Fahrweise sind neben der
                                                    Verringerung des Individualverkehrs Ansätze,
» Haushalte und urbaner Raum (Konsum): (Mi-         um die Entstehung von Reifenabrieb zu redu-
kro-) Plastikemissionen während und nach der        zieren. Bisher unbehandeltes Niederschlags-
Nutzungsphase von Produkten lassen sich vor         wasser von Straßen ist an städtischen Hot-
allem durch längere Lebenszyklen von Kunst-         spots einer entsprechenden Behandlung zu

10
bislang nicht
untersucht

                                                                               Diffuse Einträge        Mischwasserentlastung
                                                                             (z. B. Abfallsammlung)
                            Einleitung
                       Niederschlagswasser                                                                  Diffuse Einträge
                       (in komm. Kläranlage)                                                              (z. B. Verwehungen)
                                                       Bodenerosion
                       Deponiesickerwasser                                                   Fragmentierung
                       (Einleitung in komm.
                            Kläranlage)                                                                 Niederschlagswassser

                                                 Ablauf Industrie-Klär-                                      Reifenabrieb
                                                 anlage (Direkteinleiter)
                                                                                                          Kompost/Gärreste
   Datenlage

                        Einleitung in kom-            Einleitung                                                                          Littering
                        munale Kläranlage         Haushaltsabwässer                                          Klärschlamm
                         (Indirekteinleiter)      (in komm. Kläranlage)
                                                                                                            Niederschläge/
                                                          Folien                                              Deposition

                                                                               Sedimentation/               Unbeabsichtigte
                                                                               Remobilisierung                Freisetzung
untersucht/bestätigt

                                                  Ablauf kommunale
                                                      Kläranlage
mehrfach

                              gering                                  Relevanz für Einträge in die Umwelt                                   hoch

                       Industrie        Urbaner Raum      Abfallbehandlung       Landwirtschaft       (Transport-)Prozesse      Verkehr

Abb.: Relevanz von Eintragspfaden und Prozessen für Kunststoffe in der Umwelt

Die Grafik stellt die Relevanz einzelner Eintragspfade und Prozesse für Kunststoffe in der Umwelt dar (von links nach rechts aufstei-
gende Relevanz). Zusätzlich ist die Belastbarkeit der Datengrundlage angegeben. Von unten nach oben nimmt die Anzahl der Stu-
dien/Projekte, die dies im Forschungsschwerpunkt untersucht haben und somit die Belastbarkeit der Daten ab. Eine Bewertung der
Datenlage als „mehrfach untersucht/bestätigt“ schließt nicht aus, dass weiterhin noch offene Forschungsfragen vorhanden sind.

unterziehen. Reifenabrieb-Einträge lassen sich
außerdem durch eine optimierte Straßenreini-
gung reduzieren, etwa indem nach Möglichkeit                                                   Autor:innen
vor Regenereignissen gekehrt wird.
                                                                                               » Redaktion: Katharina Wörle, Felix Weber,
Forschungsbedarf:                                                                              Luisa Barkmann

                                                                                               » Beiträge: Claus Gerhard Bannick, Marco
» Wie können Daten zu den Quellen und Ein-                                                     Breitbarth, Peter Fiener, Tim Fuhrmann,
tragspfaden von Kunststoffemissionen in die                                                    Jörg Klasmeier, Steffen Krause, Gholamreza
Umwelt erhoben werden, die bisher nicht aus-                                                   Shiravani, Daniel Venghaus, Frank Wendland,
reichend untersucht sind?                                                                      Katrin Wendt-Potthoff, Andreas Wurpts,
                                                                                               Marco Kunaschk, Martin Löder, Katrin
» Welche Relevanz haben diese und was                                                          Wendt-Potthoff
könnten wirksame Lösungsansätze zur Redu-
zierung sein?

                                                                                                                                                      11
02 Ökotoxikologische Bewertung von
   Mikroplastik als komplexe Aufgabe

Die Auswirkungen von Mikroplastik auf Pflanzen und Tiere sind bisher nicht vollständig
beschrieben. Mikroplastik hat unterschiedliche Eigenschaften, die bestimmen, ob und
wie es von Lebewesen aufgenommen wird und inwiefern es für diese schädlich ist. Im Ver-
gleich zu anderen Schadstoffen in der Umwelt kann Mikroplastik daher eine komplexere
Wirkung auf verschiedene Lebewesen haben.

Ergebnisse:

Zusammensetzung, Form und Eigenschaften            ten auf den Gewässergrund absinken und Mik-
von Mikroplastik-Partikeln sind vielfältig         roplastik mit höheren Dichten kann an die Was-
                                                   seroberfläche steigen. Mikroplastik bietet
» Mikroplastik-Partikel liegen in der Umwelt als   außerdem, wie natürliche Partikel auch, viel-
heterogenes Stoffgemisch (Plastiktyp, Größe,       fältige Oberflächen, an denen sich Schadstoffe
Form, Zusatzstoffe etc.) vor, das vielfältige      und Krankheitserreger anlagern können.
Kombinationen und Eigenschaften aufweisen
kann. Dies bedingt eine unterschiedliche Bio-      Mikroplastik kann sehr unterschiedlich wirken
verfügbarkeit und Aufnahme in Organismen.
                                                   » Die Ergebnisse ökotoxikologischer Untersu-
» Formen und Eigenschaften von Mikroplas-          chungen und die in der Umwelt festgestellten
tik-Partikeln verändern sich in der Umwelt,        Konzentrationen von Mikroplastik > 10 Mikro-
etwa durch Verwitterung und Biofilmbewuchs.        meter weisen darauf hin, dass vom aktuellen
So kann selbst Mikroplastik mit geringen Dich-     Vorkommen von Mikroplastik keine unmittel-

12
bar todbringenden Wirkungen in der aquati-        Risiko für Umwelt und Organismen ist nicht
schen Umwelt zu erwarten sind. Für kleinere       eindeutig zu bewerten
Plastikpartikel (< 10 µm) gibt es bisher keine
ausreichenden Daten. Weiterhin kann dauer-        » Eine allgemeingültige Risikobewertung und
hafter Kontakt mit Mikroplastik bei verschiede-   Vergleichbarkeit von Studien ist dadurch er-
nen Lebewesen zu schädlichen Effekten führen.     schwert, dass chemisch-physikalische Eigen-
                                                  schaften der im Labor eingesetzten Partikel
» Mikroplastik-Partikel können im Darm von        häufig nicht hinreichend beschrieben werden,
Lebewesen physikalische Verletzungen her-         und dass ausreichende bzw. repräsentative
vorrufen, die sekundär zu Entzündungen füh-       Zahlen zu Umweltkonzentrationen vieler Arten
ren oder die Darmflora verändern.                 von Mikroplastik bisher weitgehend fehlen.
                                                  Vergleichsversuche mit Kunststoff-Referenz-
» Mikroplastik kann toxische Additive frei-       partikeln können dabei helfen, widersprüchli-
setzen, die in unterschiedlichen Umwelt-          che Befunde aus ähnlichen Studien besser ein-
medien (Wasser, Boden, Luft) nachgewiesen         zuschätzen und sinnvolle Positivkontrollen für
wurden. Wenn Mikroplastik über Nahrung, At-       Mikroplastik-Wirkungen zu definieren.
mung oder Hautkontakt aufgenommen wird,
könnten Additive wie etwa Weichmacher oder        » Die Effekte des Mikroplastiks sind oft nicht
Flammschutzmittel aus dem Kunststoff im           eindeutig von den Schadeffekten anderer in
Körper der Organismen gelöst werden.              der Umwelt befindlicher Partikel und (gelöster)
                                                  Stoffe abzugrenzen und können zudem durch
» Experimentelle Untersuchungen zu den            stärkere Effekte anderer Stressoren oder Um-
Auswirkungen von Mikroplastik auf unter-          weltgifte überdeckt werden.
schiedliche aquatische Organismen zeigen,
dass die Effekte stark von der untersuchten       » Es ist noch nicht geklärt, ob Mikroplastik
Spezies abhängen, aber auch die Alterung der      negative Wirkungen hat, die auf seine von den
Partikel beeinflusst die Wirkungen auf die Le-    zahlreichen natürlichen Partikeln (z. B. Tonpar-
bewesen. Zudem zeigen sich bei einigen Tie-       tikel) abweichenden physikalischen und che-
ren negative Reaktionen für bestimmte Pa-         mischen Eigenschaften zurückzuführen sind.
rameter, während bei anderen Arten keine
Auffälligkeiten gegenüber einer Mikroplas-        » Kleine Mikroplastik-Partikel können in der
tik-Exposition erkennbar sind.                    Natur in verschiedenen Zuständen vorliegen,
                                                  zum Beispiel frei oder in Detritus und Aggre-
» Auf Mikroplastik wachsende Biofilme können      gaten eingebaut. In welcher Größe und Form
abhängig vom Material unterschiedliche Nah-       sie wirksam werden, kann deshalb nicht be-
rungsqualität haben. Solche bewachsenen Mi-       wertet werden.
kroplastik-Partikel können Teil der Nahrungs-
kette werden. Sowohl die Konzentration der
natürlichen Nahrungspartikel als auch die des     Empfehlungen:
Mikroplastiks sind für mögliche Auswirkungen
entscheidend. Wenn Lebewesen Mikroplastik         » Im Sinne des Vorsorgeprinzips ist die Poli-
mit ihrer Nahrung verwechseln, kann das zu        tik dafür verantwortlich, eine Minimierung des
Unterernährung führen. Darüber hinaus kann        Eintrags von Kunststoffen in die Umwelt zu er-
Plastik das Wachstum wirbelloser Organismen       reichen, da Mikroplastik potenziell zu gesund-
hemmen, indem der auf ihm wachsende Bio-          heitlichen Beeinträchtigungen von Mensch und
film eine schlechtere Nahrungsqualität (we-       Umwelt führen kann.
niger Algen) aufweist als der auf natürlichen
Oberflächen. Die Zusammensetzung bakteri-         » Um die Qualität ökotoxikologischer Studien
eller Gemeinschaften auf Plastikoberflächen       mit Mikroplastik zu sichern, sind Minimalanfor-
wird dabei häufig durch den Standort und          derungen für die Berichterstattung einzuhalten.
nicht durch das Plastikmaterial beeinflusst.      Ein hierfür erstellter Leitfaden [1] soll z. B. auch

                                                                                                   13
den Behörden helfen, die Qualität publizier-
ter Studien besser einschätzen zu können und
praktische Empfehlungen zu formulieren.

» Die Charakterisierung und Harmonisierung
ökotoxikologischer Studien sollte weiter voran-
getrieben werden und Vergleiche mit Auswir-
kungen anderer Partikel einschließen.

» In Experimenten zu den Effekten von Mikro-
plastik sind zur Kontrolle zusätzlich die Auswir-
kungen natürlicher organischer oder minerali-
scher Partikel zu analysieren.

» Für eine Risikobewertung von Mikroplastik
sollte immer die Exposition berücksichtigt wer-
den aufgrund des Zusammenhangs zwischen
beobachteten Effekten und vorliegenden Um-
weltkonzentrationen.

» Als Basis für eine Risikobewertung sind Toxi-
zitätsschwellenwerte für Mikroplastik-Partikel
zu identifizieren.

Forschungsbedarf:

» Weitere Untersuchungen mit möglichst vie-         Autor:innen
len umweltrelevanten Kunststoffen, unter-
schiedlichen Formen und gealterten Plastik-         Katrin Wendt-Potthoff, Friederike Gabel,
partikeln (u. a. Partikel aus der Umwelt) sind      Sebastian Höss, Jürgen Geist, Ulrike
notwendig, um die natürlichen Bedingungen           Schulte-Oehlmann, Christian Laforsch,
in der aquatischen und terrestrischen Umwelt        Sebastian Beggel
in den Versuchen noch besser abzubilden.

» Für die Risikoabschätzung ist eine Weiter-
entwicklung der wirkungsbezogenen Analytik
notwendig, welche sich daran orientieren soll-
te, ob für Mikroplastik-Partikel bei bestim-
men Umweltkonzentrationen Schadwirkungen
nachweisbar sind.

» Mikroplastik in den Größenklassen
Ist Mikroplastik schädlich?
Ökotoxikologische Bewertung von Mikroplastik in der Umwelt
ist eine komplexe Aufgabe.
Ob Mikroplastik schädliche Auswirkungen auf Pflanzen                                        Im Vergleich zu anderen Schadstoffen in der
und Tiere hat, lässt sich bisher nicht eindeutig nach-                                      Umwelt (z. B. Pestizide) hat Mikroplastik daher
weisen. Die unterschiedlichen Eigenschaften von Mikro-                                      keine einheitliche Wirkung auf die Lebewesen.
plastik bestimmen, ob und wie das Mikroplastik von                                          Zudem sind die Effekte des Mikroplastiks oft
Lebewesen aufgenommen wird und ob es für diese                                              nicht eindeutig von den Schadeffekten anderer in der
schädlich ist.                                                                              Umwelt befindlicher Partikel und Stoffe abzugrenzen.

Mikroplastik tritt in vielen Formen auf
                                           Größe
                       Farbe            (0,1 - 5 mm)
                                                                                       UV                                                                                                      Mikroplastik-Partikel sinken ab, ...
                                                                                                                      Natürlicher
      Dichte
                                                           Form                                                       Mikropartikel
   (schwerer oder                                                                                                                                                                                        ... agglomerieren,
                                                   (Sphären, Fragmente,                                               (z.B. Black Carbon)
leichter als Wasser)
                                                      Fasern, Nadeln)                                                 und Mikroplastik
                                                                                                                                                                                               ... zerfallen,
                                                                                                                      mit Anlagerungen.
                                                                                                                                                                                               werden weggespült...
     Ladung
 (-, --, +, ++, -+)                                Zusatzstoffe                                                                                                                                  ... und gefressen.

           Kunststoffart                      Oberfläche
       (PFTE, PS, PE, PET, PA)          (glatt, porös, bewachsen)

  Mikroplastik-Partikel sind eine sehr                                    Formen und Eigenschaften von             Mikroplastik bietet, wie natürliche                                        Die vielfältigen Mikroplastik-Partikel
  heterogene Substanzklasse (Plastik-                                     Mikroplastik-Partikeln verändern         Partikel auch, vielfältige Oberflächen                                     können sich in der Umwelt sehr
  typ, Größe, Form, Zusatzstoffe etc.),                                   und erweitern sich in der Umwelt,        für die Anlagerung von Schadstoffen                                        unterschiedlich verhalten und von
  die in vielfältigen Kombinationen                                       z. B. durch Verwitterung und             und Krankheitserregern.                                                    Organismen aufgenommen werden.
  von Merkmalen auftritt.                                                 Biofilmbewuchs.

Mikroplastik kann sehr unterschiedlich wirken

  Wenn Lebewesen Mikroplastik mit                                         Mikroplastikpartikel können im           Nach Aufnahme des Mikroplastiks                                            Kleinste Plastikpartikel können bis
  ihrer Nahrung verwechseln, kann                                         Darm von Lebewesen physikalische         könnten sich im Körper giftige                                             in die Gewebezellen eines Lebewe-
  das zu Unterernährung führen.                                           Verletzungen hervorrufen oder die        Additive wie z. B. Weichmacher oder                                        sens vordringen, und dort beispiels-
  Mikroplastik kann auch im Nah-                                          Darmflora verändern.                     Flammschutzmittel aus dem Kunst-                                           weise entzündliche Reaktionen
  rungsnetz weitergegeben werden.                                                                                  stoff lösen.                                                               verursachen.

Risiko für Umweltorganismen ist nicht eindeutig zu bewerten
                                                                                                                                        ?

                                                                                               Pestizide

                                                                                               Mikroplastik
                                                                              Effekt

                               Partikel/Liter ?
                                                                                         Konzentration                   ?                                  ?

  Genaue Zahlen zu Umweltkonzen-                                          In der Natur werden schwache             Es ist noch nicht bekannt, ob die                                          Bislang ist noch nicht geklärt, ob
  trationen von Mikroplastik gibt es                                      Effekte des Mikroplastiks oft durch      physikalischen und chemischen                                              sich Mikroplastik im Nahrungsnetz
  kaum, was eine Risikobewertung                                          stärkere Effekte anderer Umwelt-         Eigenschaften von Mikroplastik eine                                        anreichern kann und ob das lang-
  auf Basis von Laborergebnissen                                          gifte überdeckt.                         zusätzliche Belastung zum Effekt                                           fristige Auswirkungen auf Organis-
  erschwert.                                                                                                       der zahlreichen natürlichen Partikel                                       men hat.
                                                                                                                   darstellen.

    Allgemeingültige Aussagen zur Schädlichkeit von Mikroplastik sind deshalb derzeit kaum möglich.

                                                                                                                  Diese Infografik entstand im BMBF-Forschungsschwerpunkt Plastik in der Umwelt:
                                                                                                                                             www.bmbf-plastik.de | CC-BY 4.0 Ecologic Institut 2022
                                                                                                                                                                                                                    Konzept: Melanie Kemper; Design: Lena Aebli;
                                                                                                                                            Inhaltliche Ausgestaltung: Katrin Wendt-Potthoff, Christian Laforsch, Sebastian Höss, Hannes Schritt, Sebastian Beggel

                                                                                                                                                                                                                                                                     15
03 Plastik im Abwasser: erfassen,
   untersuchen, entfernen

Kunststoffe gelangen häufig ins Abwasser - bestehend aus Schmutz-, Niederschlags-
und Mischwasser, das insbesondere von Haushalten, Gewerbe und Industrie sowie von
Verkehrsflächen abfließt - und können darüber in Gewässer eingetragen werden.
(vgl. Kapitel 1).

Ergebnisse:

Probennahme, Probenaufbereitung und De-             » In unbehandeltem Abwasser konnten Frag-
tektion von Kunststoffen im Abwasser sind           mente von rund 150 verschiedenen Kunststoff-
deutlich aufwändiger hinsichtlich Analysedau-       produkten und kunststoffhaltigen Verbundstof-
er als auch gerätetechnischer Ausstattung im        fen identifiziert werden, die sich dem Bereich
Vergleich zu gebräuchlichen Untersuchungs-          Makroplastik (> 5 mm) und großes Mikroplastik
parametern wie z. B. der Anzahl der Keime im        (1 – 5 mm) zuordnen lassen. Insgesamt werden
Trinkwasser. Daher lagen zum Zeitpunkt der          rund 500 bis 1.000 Partikel (> 1 mm) pro Einwoh-
Untersuchungen noch keine harmonisierten            ner:in und Jahr in das Abwasser eingetragen. [1]
oder standardisierten Verfahren vor (vgl. Kapitel
9). Aktuell lassen sich Korrelationen zwischen      » Für kleines Mikroplastik (< 1 mm) in unbe-
Kunststoffpartikelzahlen, -massengehalten           handeltem Abwasser liegen keine Angaben
und gebräuchlichen Abwasserparametern bis-          vor, da dieses nur mit sehr großem Aufwand
her nur in Einzelfällen darstellen.                 zu bestimmen wäre. Ebenso können zur Menge
                                                    der durch Kläranlagen ausgetragenen oder
» Da Kunststoffgehalte im Abwasser mit un-          dort verbleibenden Mikroplastik-Partikel
terschiedlichen Verfahren ermittelt wurden, ist     < 10 Mikrometer noch keine konkreten Aussa-
es notwendig, immer auch die Metadaten (Ab-         gen getroffen werden. Untersuchungen in La-
wassercharakteristik, untersuchte Kunststof-        borkläranlagen zeigen jedoch, dass sich solche
fe, Partikelgrößen sowie Verfahren der Proben-      winzigen Kunststoffteile ebenfalls im Klär-
nahme, Probenaufbereitung und Detektion)            schlamm anreichern. [6]
heranzuziehen, um solche Messergebnisse zu
vergleichen und zu bewerten. Die Erkenntnisse       » In Kläranlagen (mechanisch-biologisch) las-
zu Kunststoffgehalten beruhen auf wenigen           sen sich Kunststoffpartikel und -teile größen-,
Studien mit einer begrenzten Anzahl von Mess-       form- und polymerabhängig aus dem Abwas-
werten, erlauben jedoch erste Trendaussagen.        ser entfernen. Kunststoffpartikel werden dabei

16
zum größten Teil in der mechanischen Stufe         keine statistisch eindeutigen (negativen) Effek-
(Rechen + Sandfang + Vorklärung) zurückge-         te auf den Abbauprozess und die Faulgaspro-
halten. Die Partikel sammeln sich schließlich      duktion ermitteln. Bei der nachgängigen Faul-
im Rechen- und Sandfanggut (vor allem Mak-         schlammentwässerung mit Zentrifugen und
roplastik) und im Klärschlamm (Mikroplastik).      Kammerfilterpressen hängt die Verfrachtung
Aktuell werden über 95 % des Mikro- und Ma-        von Mikroplastik-Partikeln maßgeblich von
kroplastiks > 10 Mikrometer aus dem Abwas-         der Behandlung ab. Bis zu 30 % der Mikroplas-
ser entfernt. Allerdings werden nicht alle Nie-    tik-Masse im Schlamm wird in das Schlamm-
derschlags- und Mischwasserabflüsse durch          wasser verfrachtet. [2]
Kläranlagen erfasst. Im Klarwasser verbleiben
Mikroplastik-Konzentrationen von 0,00001           » Bei bodenbezogener Klärschlammverwer-
bis 0,1 Milligramm je Liter [2], [3] bzw. 10 bis   tung (Verwendung als Dünger in der Land-
10.000 Mikroplastik-Partikeln je Kubikme-          wirtschaft) werden Kunststoffpartikel in die
ter (> 10 µm). [4–6] Mit Hilfe weiterer Verfah-    Umwelt eingetragen (vgl. Kapitel 1 und Kapi-
renstechniken (z. B. nachgeschaltete Filter-       tel 4). Aufgrund der Novellierung des Dünge-
anlagen wie Sandfilter, Tuchfilter, Mikrosiebe     und Abfallrechts (insbesondere der Abfall- und
oder Membranverfahren) kann der Mikroplas-         Klärschlammverordnung von 2017) wird Klär-
tik-Rückhalt auf nahezu 100 % erhöht werden.       schlamm künftig verstärkt thermisch verwer-
Das entspricht einer Mikroplastik-Konzentra-       tet (Verbrennung), sodass die mit bodenbezo-
tion im Kläranlagenablauf in der Größenord-        gener Klärschlammverwertung verbundenen
nung von 0,0001 Milligramm je Liter bzw. 10        Mikroplastik-Einträge abnehmen.
bis 100 Mikroplastik-Partikeln je Kubikmeter
(> 10 µm). [2], [4–6]                              » Abläufe aus kommunalen und industriellen
                                                   Kläranlagen spielen als Punktquelle für Mikro-
» Faserförmige Partikel werden schlechter zu-      plastik-Emissionen > 10 Mikrometer in Gewäs-
rückgehalten als sphärische (kugelförmige).        ser eine untergeordnete Rolle. Man nimmt an,
                                                   dass Mischwasserabschläge (aus der Mischka-
» In Pilotversuchen mit industriellem Abwas-       nalisation) und Niederschlagswassereinleitun-
ser wurde eine Mikroplastik-Entfernung von         gen (aus der Trennkanalisation) sowie direkte
ca. 60 % in Sedimentations- und 70 % in Flota-     Niederschlagswasserabflüsse von Verkehrsflä-
tionsstufen erzielt. Werden diese Fällungsver-     chen wesentliche Eintragsquellen in die aquati-
fahren mit der Zugabe spezieller Flockungs-        sche Umwelt darstellen (vgl. Kapitel 1).
mittel kombiniert, können bis zu rund 99 % der
Partikel entfernt werden. Ultrafiltrationsmem-     » Maßnahmen zur Reduktion von Kunststoff-
branen halten Mikroplastik > 1 Mikrometer si-      emissionen in der Siedlungswasserwirtschaft
cher zurück (99,9 % Abscheideleistung). Auch       sind mit hohem technischen und wirtschaftli-
großtechnische Vorbehandlungsstufen (Sand-         chen Aufwand verbunden. Als End-of-Pipe-Lö-
filtrationen und Kammerfilterpressen) vor der      sung können sie Maßnahmen, die an der Pro-
Indirekteinleitung kunststoffbelasteten indus-     duktion und Nutzung der Kunststoffprodukte
triellen Abwassers zeigten bei Untersuchun-        ansetzen, deshalb nur flankieren.
gen eine Entfernung von mehr als 99 %. [7]

» Klärschlamm ist die Senke für das in Klär-       Empfehlungen:
anlagen entfernte Mikroplastik. In Primär-,
Überschuss- und Faulschlämmen wurden Kon-          » Für die bessere Vergleichbarkeit der Mess-
zentrationen im Bereich von 1  bis 10 Gramm        ergebnisse müssen Methoden für die Proben-
Mikroplastik je Kilogramm Trockenmasse [2], [5]    nahme und die Detektion von Wasser-, Ab-
bzw. Partikelanzahlen von 100 bis zu einer Mil-    wasser- und Feststoffproben (Klärschlämme)
lion Mikroplastik-Partikeln je Kilogramm Tro-      insbesondere mit komplexer Matrix weiter har-
ckenmasse [4] ermittelt. Bei der Klärschlamm-      monisiert werden.
faulung (anaerobe Stabilisierung) lassen sich

                                                                                                  17
Rückhalt von Mikroplas�k in Kläranlagen:
Zusammenfassung / Bilanzierung

                                                                                                    Nachgeschaltete
                              Konventionelle Kläranlage
                                                                                                       Filtration
   MP im Abwasser

                                                                               MP im Ablauf

                                                                                                                                 MP im Ablauf
                           Rückhalt in               Rückhalt in                                        Rückhalt in
        100 %

                                                                                                                                   < 0,1 %
                                                                                    10 µm)

  Abb.: Überschlägige Bilanzierung der Mikroplastik-Frachten (> 10 µm) in Kläranlagen

  » Industrielle Mikroplastik-Emissionen über                         der Effektivität einzelner Maßnahmen müs-
  den Wasserpfad sollten zusätzlich durch inner-                      sen weitere belastbare Daten erhoben werden.
  betriebliche Vermeidungsmaßnahmen redu-                             Insbesondere für die Bewertung der Kunst-
  ziert werden.                                                       stoffemissionen aus Kläranlagen sowie durch
                                                                      Niederschlagswassereinleitungen und Misch-
  » Die bodenbezogene Verwertung des Klär-                            wasserabschläge sind weitergehende Messun-
  schlamms ist weiter zu minimieren.                                  gen erforderlich. Gleiches gilt für Eliminations-
                                                                      raten einzelner Maßnahmen. Hierbei wären so-
  » Eine Reduzierung der Kunststoffemissionen                         wohl Massenkonzentrationen, Partikelanzahlen
  bei Niederschlagswassereinleitungen und Mi-                         als auch die Verteilung der Kunststoffe für ver-
  schwasserabschlägen ist anzustreben, um un-                         schiedene Größenklassen zu berücksichtigen.
  kontrollierte Emissionen in Gewässer zu ver-
  ringern.
                                                                      Forschungsbedarf:
  » Für eine übergeordnete Modellierung und
  Bilanzierung der Einträge von Kunststoffparti-                      » Welche Kunststoffmengen werden über
  keln über die Siedlungswasserwirtschaft sowie                       Niederschlagswassereinleitungen und Mi-
                                                                      schwasserabschläge in die Gewässer einge-
                                                                      tragen? Welche Maßnahmen sind geeignet,
                                                                      um sie möglichst effizient zu verringern?
  Autor:innen
                                                                      » In welchem Umfang werden Kunststoffpar-
  » Redaktion: Katrin Bauerfeld, Tim Fuhrmann                         tikel
04 Plastik in Böden: Einträge,
   Verhalten und Verbleib
Neben den Meeren sind auch Böden bedeutende Senken von Kunststoffen1, die über
verschiedene Pfade in Böden eingetragen werden, beispielsweise über landwirtschaft-
liche Praktiken. Einträge, die für Böden relevant sind:

» Verwendung von Sekundärdünger (z. B. Komposte, Gärrückstände, Klärschlämme),
» Alterung bewusst eingebrachter Kunststoffe (z. B. Pflanzhilfen, Folien, Dränagen),
» Einsatz polymerer Hilfsstoffe (z. B. Verkapselung von Düngemitteln, Saatgut oder
  Bodenverbesserer),
» Einträge über Littering/Vermüllungsschwerpunkte,
» Einträge entlang von Straßen (v. a. Reifenabrieb),
» Atmosphärische Einträge aus unterschiedlichsten Quellen.

Die Kunststoffe werden dabei entweder direkt als Mikroplastik eingetragen oder Plastik-
teile zerfallen mit der Zeit durch Verwitterung, Abrasion und Fragmentierung.

Analytik
Ergebnisse:

» Bei der Analytik müssen die Probennah-                                  selten (1 Probe/1.000 Tonnen). Aktuelle Un-
me und -aufbereitung an die zu untersuchen-                               tersuchungen zeigen, dass die Absenkung der
den Feststoffe angepasst werden. Im Bereich                               Trenngrenze von 2 Millimeter auf 1 Millimeter
der Probenaufbereitung konnte ein enzyma-                                 in der Düngemittelverordnung (DüMV, 2019)
tisch-oxidatives Verfahren für die Anwendung                              nicht ausreichend validiert ist. Bei Wiederho-
auf Bodenproben zur spektroskopischen Analy-                              lungsuntersuchungen mit einem Liter Unter-
se erfolgreich weiterentwickelt werden. [1]                               suchungsvolumen zeigten sich bei der 1 Milli-
                                                                          meter-Trenngrenze deutlich größere Varianzen
» Eine repräsentative Probenmenge ist durch                               bei den Kunststofffunden. Die visuelle Be-
die Größe des zu untersuchenden Kunststoffs                               stimmung von Partikeln größer 1 Millimeter
in Verbindung mit dessen Häufigkeit bestimmt.                             ist nach bisherigen Erkenntnissen nicht reprä-
Da kleine Partikel sehr viel häufiger in der Um-                          sentativ für die Bestimmung von Kunststoffen
welt vorkommen, gilt generell: Je größer der                              in Komposten, und eine Berücksichtigung der
Partikel, desto mehr Probe wird benötigt. [1] Die                         Feinfraktion dringend erforderlich.
möglichen, verwendbaren Detektionsverfah-
ren unterscheiden sich grundsätzlich nicht von
denen für Gewässerproben (vgl. Kapitel 9).                                Empfehlungen:

» Im Bereich der Sekundärdünger wie Kom-                                  » Die EU-Düngemittelverordnung umfasst An-
post, Gärreste und Klärschlämme sind die                                  forderungen zur Bestimmung der Kunststoff-
bisher vorgeschriebenen Probennahmen zu                                   gesamtgehalte in Komposten, welche auf die

1
    Wenn von Kunststoff oder Plastik die Rede ist, ist i. d. R. Makro- und Mikroplastik gemeint. Es sei denn, es ist explizit anders benannt.

                                                                                                                                          19
Fraktion kleiner 2 Millimeter ausgeweitet wer-    Bilanzierung
den sollte. Komplementär sind für die nationale
Bioabfallverordnung auch Kunststoffgesamtge-      Ergebnisse:
halte der Fraktion kleiner 1 Millimeter zu be-
stimmen.                                          » Die Schätzung der räumlichen Verteilung
                                                  von Mikroplastik-Einträgen aus den poten-
» Die Mikroplastik-Analyse sollte neben der       ziell wichtigsten Quellen in der Landwirtschaft
Massenkonzentration stets auch die Partikel-      bundesweit und für zwei Flusseinzugsgebie-
größenverteilung einschließen. Bei diesen         te ergab eine deutliche räumliche Variabili-
Untersuchungen sind zeit- und kosteneffi-         tät. Dies lässt darauf schließen, dass regiona-
ziente Extraktions- und Analysemethoden           le Agrarstrukturen einen erheblichen Einfluss
einzusetzen.                                      auf die Verteilung der Belastungsschwerpunk-
                                                  te haben.

Forschungsbedarf:                                 » In allen Proben, auf allen Flächen – mit oder
                                                  ohne Klärschlammausbringung – wurde Mikro-
» Inwiefern müssen die Probennahme, Aufbe-        plastik nachgewiesen. Das weist auf eine ubi-
reitungs- und Detektionsverfahren für Böden       quitäre Kontamination hin, die Quellen bleiben
zur Einordnung der Mikroplastik-Belastung         jedoch teilweise unklar. Wird Klärschlamm als
weiterentwickelt werden, um zu einer Harmo-       Sekundärrohstoffdünger genutzt, kann bei der
nisierung und Standardisierung zu gelangen?       Abwasserbehandlung entferntes Mikroplastik
                                                  auf landwirtschaftlich genutzte Flächen gelan-
                                                  gen (vgl. Kapitel 1 und Kapitel 3).

                                                  » Bei Starkregenereignissen kann es zur Ero-
                                                  sion von mit Klärschlamm gedüngten Feldern
                                                  kommen, wodurch Mikroplastik in angrenzende
                                                  Gewässer transportiert wird (vgl. Kapitel 1). Mo-
                                                  dellierungen solcher Ereignisse haben jährliche
                                                  Einträge in derselben Größenordnung wie die
                                                  ebenfalls simulierten Einträge aus gereinigtem
                                                  Abwasser von Kläranlagen gezeigt (vgl. Kapitel
                                                  3). Zudem wurde in wiederholten Freiland-Be-
                                                  regnungsversuchen nachgewiesen, dass Mikro-
                                                  plastik vor allem durch den Oberflächenabfluss
                                                  ausgetragen wird.

                                                  » Trotz dieser ersten Daten ist die Datengrund-
                                                  lage zur Bewertung von Mikroplastik in Böden
                                                  und deren Emissionen in Gewässer insgesamt
                                                  immer noch unzureichend.

                                                  Empfehlungen:

                                                  » Bei der Entwicklung von Monitoring-Vor-
                                                  haben und daraus resultierenden Modell-
                                                  rechnungen müssen insbesondere regionale
                                                  und kulturbedingte Mikroplastik-Belastungs-
                                                  schwerpunkte Berücksichtigung finden: land-
                                                  wirtschaftliche Praktiken (Mulchfolien etc.)

20
und damit verbundene Einträge, Düngung mit     » Die Aufnahme von Mikroplastik durch die
Klärschlamm oder Komposten, Vermüllungs-       Bodenfauna ist weitestgehend belegt. Bei ei-
schwerpunkte, Einträge über die Atmosphä-      nigen wichtigen Organismengruppen führen
re oder Abschwemmung von versiegelten Flä-     Konzentrationen, wie sie in stark kontaminier-
chen, etwa Straßenabflüsse.                    ten Böden vorkommen, zu gesundheitlichen
                                               Schäden, was eine Einschränkung ihrer Funkti-
                                               on im Bodenökosystem nach sich ziehen kann.
Forschungsbedarf:                              Diese Wirkung scheint bei kleinen Partikeln
                                               (
Verbleib /                                         halat (PBAT), Polyhydroxyalkanoate (PHA),
                                                   Polybutylensuccinat-co-adipat (PBSA) sowie
Bioabbaubarkeit                                    Lignin, Cellulose (Acetate) und Stärke sind auf
                                                   Basis von Laborversuchen als biologisch ab-
Ergebnisse:                                        baubar für industrielle Anlagen zertifiziert. In
                                                   der Umwelt, das heißt im Boden und im Was-
» Konventionelle Kunststoffe wie Polyethylen       ser (Meer oder Süßwasser), bauen aber vor-
(PE), Polypropylen (PP), Polyethylenterephtha-     wiegend Cellulose, PHA und Stärke in kurzen
lat (PET) und Polystyrol (PS) gelten prinzipiell   Zeiträumen vollständig ab.
als nicht abbaubar. [2] Die bisher bekannten Ab-
bauprozesse durch Mikroorganismen sind zu
ineffizient, um von einem tatsächlichen biologi-   Forschungsbedarf:
schen Abbau sprechen zu können.
                                                   » Wie können Versuchsansätze zum biologi-
» Die potenzielle Abbaubarkeit sogenannter         schen Abbau unter Realbedingungen (auch für
biologisch abbaubarer Kunststoffe in industri-     die Normung) aussehen?
ellen Behandlungs-Anlagen oder Umweltme-
dien (z. B. Böden) wird in Normen beschrieben,
die eine biologische Abbaubarkeit auf Basis von
Laborversuchen einordnen. Diese Normen be-              Autor:innen
ziehen sich stets auf sehr definierte Bedingun-
gen (u. a. Temperatur, Dimension des Materials,         Claus Gerhard Bannick, Katrin Bauerfeld,
mit dem geprüft wird [„Prüfkörper“]), die für           Marius Bednarz, Jürgen Bertling, Ulrike
die Umwelt oder in technischen Vergärungs-              Braun, Frederick Büks, Georg Dierkes, Peter
oder Kompostierungsanlagen häufig nicht re-             Fiener, Natalia Ivleva, Jörg Klasmeier, Marc
alistisch sind. Der Abbau in Böden verläuft je          Kreutzbruck, Matthias Labrenz, Christian
nach Standortbedingungen deutlich langsamer             Laforsch, Martin Löder, Bodo Philipp, Julia
als in standardisierten Laborversuchen.                 Resch, Peter Schweyen

Die Polymere Polybutylensuccinat (PBS), Po-
lylactide (PLA), Polybutylenadipat-terepht-

22
05 Unternehmen müssen mehr
   Verantwortung übernehmen

Unternehmen kommt in Bezug auf die Nutzung von Kunststoffen und deren Eintrag in
die Umwelt eine zentrale Bedeutung zu, denn die Unternehmen

» erzeugen/verarbeiten Kunststoff-Pellets weiter (einschließlich Recycling),
» transportieren und handeln mit diesen,
» stellen kunststoffhaltige Produkte und Verpackungen her,
» transportieren und verkaufen diese,
» betreiben Handel und Zwischenhandel mit kunststoffhaltigen Produkten und
  Verpackungen,
» verarbeiten kunststoffhaltige Produkte und Verpackungen oder
» entsorgen diese.

Ergebnisse:

» Kunststoffe gelangen bei Herstellung, Trans-   industrielle Abwässer und Regenwasser der
port und Verarbeitung von Kunststoff-Pel-        Kunststoff produzierenden und verarbeitenden
lets trotz Maßnahmen der Branchenverbände        Industrie und bei Logistikprozessen in die Um-
in einem erheblichen Umfang in die Umwelt;       welt eingetragen (vgl. auch Kapitel 1).
auch wenn die Pellets als Endprodukte genutzt
werden. [1] Dementsprechend tragen Unter-        » Verarbeiter von Kunststoff-Pellets (Com-
nehmen ebenso wie private Verbraucher:innen      pounder) bestimmen u. a. über die zugesetz-
dazu bei, dass Kunststoffprodukte (vermeidbar    ten Additive und damit indirekt auch darüber,
oder unvermeidbar) in die Umwelt gelangen        wie schädlich die Kunststoffe für die Umwelt
(vgl. Kapitel 8). Zudem wird Mikroplastik über   sein können.

                                                                                              23
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