BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg

Die Seite wird erstellt Thomas Jakob
 
WEITER LESEN
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
4
18          BlickPunkt
             das Medienmagazin des Deutschen
             Journalisten-Verbandes Baden-Württemberg

MEDIENZUKUNFTFESTIVAL
geht in die zweite Runde                                     Seite 6

      Das Gehirn liebt Tratsch:
      Widerlegen ist schädlich                            Seite 12

      Tarifabschluss 2018:
      Ist Enttäuschung angebracht? Seite 16

      Dezember 2018 · 33. Jahrgang · ISSN 0946-9303 · E 11168 F
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
IM BLICK                                                I N H A LT S V E R Z E I C H N I S
                                                        DJV Blickpunkt Ausgabe 4 · 2018

Liebe Leserinnen, liebe Leser,                          und Daniel Völpel und analysieren im Detail,
                                                        wie die Verhandlungssituation aussah und wie der
unser Gehirn liebt Tratsch, Wahrheit ist ihm            Abschluss zu bewerten ist.
wurscht und Besserwisser werden abgestraft,
so die bittere Erkenntnis aus den letzten               Unser Verbandstag hat viele Aufgaben beschlossen,
Jahren mit Fake News und Konsorten.                     die ersten Zeugen der Umsetzung finden sich in
Aber zumindest Hasskommentare sollten                   diesem Heft. Ein schon älterer Beschluss bescherte
sich Journalist*innen nicht gefallen lassen, in         uns das MedienZukunftFestival im Oktober, es war
NRW startete dazu eine Initiative „Verfolgen            eine großartige Veranstaltung, die nächstes Jahr
statt löschen“.                                         fortgeführt wird. Einen Rückblick zum #MZF18
                                                        lesen Sie in diesem Heft.
Der Tarifabschluss 2018 hat viele Debatten aufge-
worfen, zu den wichtigsten Fragen äußern sich aus       Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen Ihre
der Verhandlungskommission Christoph Holbein            Blickpunkt-Redaktion.

E DITOR I AL                                            200 Jahre Ludwigsburger Kreiszeitung:
                                                        Beginn eines Intelligenzblatts             Seite 23
Das Immunsystem schwächelt                   Seite 5
                                                        Fachausschusse Betriebsratsarbeit u. Tageszeitungen:
                                                        Mit neuen Kräften frisch an die Arbeit      Seite 24
TOP TH E MA
                                                        Kreisverband Neckar-Alb
Erfolg fortführen: Medien|Zukunft|Festival              Ja, es geht:
geht in die zweite Runde                     Seite 6    Mobile Reporting mit dem Smartphone        Seite 25

MEDIEN                                                  MEDIEN UND PRESSEFREIHEIT

Das Gehirn liebt Tratsch:                               Palm-Preis für zwei starke Frauen:
Widerlegen ist schädlich                     Seite 12   Journalistinnen aus Bosnien und dem
                                                        Südsudan ausgezeichnet                     Seite 22

VERBAND
                                                        VORSORGE
Solidaritätsstreik:
                                                        Altersvorsorge und Geldanlage:
Stuttgarter Drucker*innen unterstützt        Seite 15
                                                        Autorenversorgungswerk – was ist das?      Seite 26
Tarifabschluss 2018:
                                                        MEDIENNACHRICHTEN                          Seite 27
Ist Enttäuschung angebracht?                 Seite 16
                                                        REZENSION
Wissensaustausch organisieren:
Verbandsarbeit des DJV-BW digitalisieren     Seite 19
                                                        Das neue „Journal für Kultur“:
                                                        Lebensart mit Heimatkunde                  Seite 29
Bundesverbandstag in Dresden                 Seite 20
                                                        Journalisten-Akademie Seminare             Seite 30
Unterstützung gesucht: Mentoring-
Programm für Exiljournalist*innen            Seite 23   Wir gratulieren /Impressum                 Seite 31
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
EDITORIAL

Das Immunsystem schwächelt
Mich fröstelt. Nicht wegen der kalt-nassen Jahreszeit         konzern SWMH. Aufgrund
und der Angst vor Erkältungsviren, sondern mit                sinkender Auflagen und
Blick auf die Medienlandschaft und die leider wieder          Anzeigenbuchungen bei
notwendige Diskussion darüber, wie unabdingbar                steigenden Vertriebskos-
ein freier und unabhängiger Journalismus für die              ten setzt man aufs Sparen
Demokratie ist. Das Immunsystem unserer De-                   in den Redaktionen, sprich
battenkultur muss im Sinne der Meinungs- und                  den Abbau von Redak-
Pressefreiheit dringend gestärkt werden.                      tionsstellen. Zentralredak-
                                                              tionen sparen Kosten, aber
Unsere Menschenrechte feierten dieses Jahr den                die Wettbewerbsvielfalt
70.    Geburtstag.     Die   Verabschiedung       der         der Lokalpresse schrumpft. Im Business-Jargon heißt
„Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ am                 das Portfolio-Bereinigung. Siehe Esslinger Zeitung,
10. Dezember 1948 durch die UN-Menschen-                      Kreiszeitung Böblinger Bote oder aktuell Bietigheimer
rechtskommission war ein historischer Moment:                 Zeitung. Die Ludwigsburger Kreiszeitung ist das letzte
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und              gallische Dorf mit einer eigenen Vollredaktion in der
Rechten geboren,“ lautet der erste Satz. In Artikel 19        Metropolregion Stuttgart. Wie lange noch?
heißt es: „Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit
und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt             Wir Journalisten sind Geiseln dieses Systems, weil wir
die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen            über unsere Probleme in der Presse nicht einmal be-
sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf            richten können. Das gilt ebenso bei Zeitschriften.
Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen,              Wenn wir um ein kritisches Vertrauen werben, dann
zu empfangen und zu verbreiten.“ Ein Quanten-                 dürfen Redakteur*innen nicht einfach zu Content-
sprung kurz nach dem 2. Weltkrieg.                            Managern degradiert werden. Weil beispielsweise im
                                                              Medizin-Bereich Artikel und Themenumfelder für ein
Heute zeigt sich, dass wir uns dieses Grundrecht              ganzes Jahr festgezurrt werden, samt überwiegend
immer wieder neu erkämpfen müssen. Das Gerede                 Gratis-Bildmaterial, wie dies bei Burda geschieht.
von der „Lügenpresse“ hatte auch dieses Jahr Hoch-            Damit entscheiden Kundenbetreuer und nicht mehr
konjunktur an den virtuellen Stammtischen. Natür-             die Redakteur*innen über die Inhalte. Großverlage
lich gibt es immer wieder Beispiele für Fehl-                 haben die Folgen für den freien, recherchierenden
informationen. Doch hinter dem Begriff „Lügen-                Journalismus offensichtlich nicht begriffen. In der
presse“ steckt die Zielsetzung, recherchierenden              Folge reagieren Redaktions-Kolleg*innen resigniert.
Journalismus insgesamt zu diskreditieren. Und leider
bleiben die Fake News besser in den Köpfen haften             Wenn wenigen Verlagsmilliardären die Medienmacht
als die nachgelieferten Fakten. Diesem Dilemma und            obliegt, funktioniert das demokratische Immun-
wie man dagegen vorgeht bzw. damit umgeht,                    system nicht mehr. Da darf auch die Politik nicht
widmet diese Ausgabe des Blickpunkt weiten Raum.              länger wegschauen.

Zur Zerrüttung der Orientierung und der Schwächung            Ich wünsche Ihnen nicht nur für die kalte Jahreszeit
des medialen Immunsystems tragen allerdings auch              ein gesundes Immunsystem und alles Gute für das
die großen Verlagsgruppen mit ihrer Medienmacht               neue Jahr!
selbst bei. 2018 ist die Pressekonzentration wieder
rasant angestiegen. Mittlerweile geht 99,5% der am            Ihre
Kiosk verkauften Tageszeitungen auf das Konto von
fünf Großkonzernen – so die Forschungsergebnisse
von Horst Röper zum Zeitungsmarkt. Ein markt- und
meinungsbestimmender Gemischtwarenkonzern, bei                Dagmar Lange
dem der Journalismus nur noch ein untergeordnetes             DJV-Landesvorsitzende
Geschäftsfeld darstellt, ist der Stuttgarter Medien-          Baden-Württemberg

                                             4 · 2018 DJV Blickpunkt   5
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
TOPTHEMA

      MEDIENZUKUNFTFESTIVAL
           geht in die zweite Runde

                 6   DJV Blickpunkt 4 · 2018
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
Im Foyer der SRH Hochschule Heidelberg. Alle Fotos: Stefan Bau

Eine attraktive Veranstaltungsreihe             Blickpunkt: Was hat dir besonders gut
hat im Oktober 2018 begonnen:                   gefallen?
das Medien|Zukunft|Festival des DJV
Baden-Württemberg. Ein Erfolg schon             Julia Schweizer: Das MZF war ein Pre-
im Startjahr, ein informativer und              mierenprojekt – und dafür war ich über-
kommunikativer Tag, aus dem die Teil-           rascht, wie viele Teilnehmer wir hatten und
nehmer*innen viel mit nach Hause mit-           wie gut der Tag funktionierte. Vor allem,
nehmen konnten.                                 weil alle aus dem Organisationsteam viel
                                                Zeit und Hirnschmalz investiert haben.
Die Arbeit des Teams – Christoph Hol-           Und sich auch unsere Referent*innen und
bein, Jannis Kuhlencord, Gregor Land-           Standbetreiber (das Journalisten-Cocktail-
wehr, Julia Schweizer, Meena Stavesand          Angebot der Presse-Versorgung war top!)
und Daniela Zumpf – hat sich mehr als           engagiert eingebracht haben.
gelohnt.
                                                Blickpunkt: Woran hast du am meisten
Der DJV Baden Württemberg hat daher             gelernt?
bei seiner Vorstandssitzung im November                                                                   Julia Schweizer, Foto: Martin Kalb
sehr deutlich entschieden: Auch 2019            Julia Schweizer: Wie viel Arbeit und
wird es wieder ein Medien|Zukunft|Festi-        Vorlaufzeit doch hinter einem solchen              Blickpunkt: Welche Möglichkeiten siehst
val geben. Nun geht es an die Planung des       Projekt stehen, und was an "Drumherum"             du für die Zukunft dieses Festivals?
Termins, Orts und vor allem der Inhalte         zu beachten ist.
und Referenten des #MZF19. Wer mit-                                                                Julia Schweizer: Ich sehe für das MZF auf
machen möchte, ist herzlich willkommen,         Blickpunkt: Welches Format hat am                  jeden Fall eine Zukunft, und das größer
ebenso freuen sich die Organisator*innen        besten gezündet?                                   als bei der Premiere. Denn nun hat das
über Anregungen für Themen. Wer dazu                                                               Organisationsteam etwas in der Hand,
etwas beitragen möchte, kann sich gerne         Julia Schweizer: Puh, da fällt mir die Aus-        mit dem es weitere Referent*innen ge-
über den Facebook- oder den Twitter-            wahl schwer. Vielleicht der Leserbrief-            winnen kann, und dadurch auch mehr
Account melden, oder an info@djv-bw.de          Slam zum Abschluss, weil der das                   Teilnehmer*innen.
schreiben. Julia Schweizer, eine der Orga-      Überraschungsmoment der Veranstal-
nisator*innen des diesjährigen Festivals        tung war, bei der ansonsten ja das Erler-                  Die Fragen stellte Susann Mathis
zieht ebenfalls eine überaus positive Bilanz,   nen neuer Fähigkeiten und die kritische
wir haben sie gebeten, ihr Fazit anhand von     Auseinandersetzung mit Branchenthe-                Lesen Sie Julia Schweizers Bericht auf den
vier Fragen zusammenzufassen:                   men im Vordergrund stand.                          nachfolgenden Seiten.                  Ä

                                                          4 · 2018 DJV Blickpunkt   7
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
TOPTHEMA

Viel Inspiration, Information und Interakt
                                                                                                 dakteurin der deutschsprachigen Ausgabe
                                                                                                 des Magazins VICE, war die Teilnahme
                                                                                                 wortwörtlich gefragt. Wie viel Zeit wendet
                                                                                                 die Redaktion für die Geschichten auf?
                                                                                                 Welchen Einfluss haben Werbekunden?
                                                                                                 Und ob es trotz der gezeigten Beispiele mit
                                                                                                 persönlichen Zugängen zu einem Thema
                                                                                                 auch eine Einordnung gebe, wollten Zu-
                                                                                                 hörer wissen, nachdem Himmelreich über
                                                                                                 ihre Arbeit und die ungewöhnliche He-
                                                                                                 rangehensweise der Redaktion berichtet
                                                                                                 und viele inspiriert hatte. MEHR zur
                                                                                                 Keynote unter: https://bit.ly/2BUIyqL

                                                                                                 Im Anschluss hielt Dr. Wolfgang Kreißig,
                                                                                                 Präsident der Landesanstalt für Kommu-
                                                                                                 nikation, eine kurze Begrüßungsrede. Er
Im Workshop „Videos – Die neue Macht im Netz“ mit Christian Bachmann und Tobias Wolf von der
Sächsischen Zeitung                                                                              betonte dabei die Wichtigkeit des Journa-
                                                                                                 lismus gerade auch im Lokalen, sprach
Mehr als acht Monate Vorbereitung, ein              reichte, ein abwechslungsreiches, vor        aber auch die Herausforderungen der
neues Konzept mit sieben Veranstaltungs-            allem aber interaktives Programm ein-        Branche an.
formen, zehn Wochen mit intensiver Wer-             fallen lassen.
bung, mehrere Stunden Aufbau in der                                                                         Fishbowl zum
SRH-Hochschule Heidelberg, mehr als                                 Aufstehn und                          Lokaljournalismus
100 Teilnehmer: Das war das erste Me-                                Hinsetzen
dien|Zukunft|Festival. Organisiert wurde                                                         Und um diese ging es schwerpunktmäßig
es von einem kleinen Team aus Mit-                  Das begann schon beim Auftakt, der Be-       in der folgenden Diskussionsrunde zu „Ist
gliedern des Deutschen Journalisten-Ver-            grüßung durch die Moderatorin Alina          der Lokaljournalismus tot?“ Diese war als
bands Baden-Württemberg und Unter-                  Welser, die die Gäste in Bewegung brachte,   „Fishbowl“ aufgebaut, das heißt, dass
stützern. Und das hatte sich für das                und nach und nach die für Online Täti-       Gäste aus dem Publikum sich mit aufs Po-
Publikum, das von Studierenden von                  gen, die Zeitungsliebhaber oder die Be-      dium setzen konnten zu Petra Nann (Be-
zumeist medienaffinen Fächern über in-              rufserfahrenen aufstehen oder sich wieder    treiberin des Blogs „ImLändle“), Alina
teressierte Wissenschaftler bis zu langjäh-         hinsetzen ließ. Und auch bei der Keynote,    Welser (Jugendpresse, freie Printjourna-
rigen Print- oder Online-Redakteuren                gehalten von Laura Himmelreich, Chefre-      listin), Gerhard Mandel (Redaktionsleiter
                                                                                                 Kurpfalz Radio des SWR), Götz Münster-
                                                                                                 mann (Online-Chef Rhein-Neckar-Zei-
                                                                                                 tung) und Dirk Lübke (Chefredakteur
                                                                                                 Mannheimer Morgen). Und es dauerte
                                                                                                 nicht lange, da war schon die erste Mutige
                                                                                                 oben, die die Frage stellte, warum es
                                                                                                 immer als so erstrebenswert gelte, jüngere
                                                                                                 Leser erreichen zu müssen – schließlich
                                                                                                 würden die doch auch mal älter.
                                                                                                 MEHR zur Fishbowl unter:
                                                                                                 https://bit.ly/2B1QiWf

                                                                                                 Diese Zielgruppe stand dann bei der zwei-
                                                                                                 ten Diskussion („Die Zukunft des Volon-
                                                                                                 tariats“) im Fokus. Die Runde war zwar
                                                                                                 klassisch ausgerichtet, aber auch hier
                                                                                                 waren Fragen aus dem Publikum möglich.
                                                                                                 Und die gingen durchaus teils ins Grund-
                                                                                                 sätzliche, etwa nach der Sinnhaftigkeit
Workshop „Mobile Publishing“ mit Prof. Dr. Marie Elisabeth Müller                                dieser Ausbildung, wegen des relativ

                                                             8   DJV Blickpunkt 4 · 2018
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
ion beim ersten MEDIENZUKUNFTFESTIVAL

                4 · 2018 DJV Blickpunkt   9
BlickPunkt - DJV Baden-Württemberg
TOPTHEMA

           10   DJV Blickpunkt 4 · 2018
hohen Alters, das man in der Regel nach
Studium, eventuell freier Mitarbeit und
dann noch einem Volontariat hat. Doch
hier kam Widerspruch von den teilneh-
menden Volontären, die durchaus einen
Unterschied sahen, ob man als freier Mit-
arbeiter Termine wahrnimmt, oder lernt,
aus dem Wust eingehender Mails und Ein-
ladungen herauszufiltern, was man be-
setzt, und wie man Themen langfristig
begleitet.

              Praxisnahe
              Workshops

Parallel zu den beiden Diskussionsrunden
liefen die drei Workshops, zu denen sich
die Teilnehmer zuvor wegen einer Platz-             Stephanie Geißler und Markus Pfalzgraf, beide SWR, genießen alkoholfreie Cocktails vom
begrenzung hatten zeitig anmelden müs-                                            Presseversorgungswerk.
sen. Zur Auswahl standen die jeweils zwei
Stunden dauernden Angebote zum                Vorträge oder Diskussionsrunden in drei
Thema Visualisierung (unter dem Titel         verschiedenen Räumen – gab es aus den
„Komm wir gehen auf Symbol-Safari“            Reihen der Teilnehmer für das Barcamp.
von der Referentin: Lara Schmelzeisen),
Mobile Publishing (Dr. Marie Elisabeth        Besonders nachgefragt war das Angebot
Müller: https://bit.ly/2E3P3t0 sowie der      von Exiljournalisten aus der Türkei, die
praktische Kurs zu Mobile Reporting „Vi-      über ihre Fluchterlebnisse und ihre Arbeit
deos – Die neue Macht im Netz“ (Chris-        nun von Deutschland aus berichteten,
tian Bachmann und Tobias Wolf von der         und die ihre Gesprächsrunde auch nach
Sächsischen Zeitung), der sich über vier      der veranschlagten Zeit fortsetzten.
Stunden erstreckte. Als Ergebnis entstand     https://bit.ly/2G6Bpbj. In einer anderen
zum Beispiel auch dieses Video über           Session tauschten sich vornehmlich Jün-
das Festival: https://bit.ly/2zMiVXG.         gere darüber aus, wie sie für ihre Projekte
                                              oder Medien Social Media einsetzen und
So vielfältig wie die Workshops präsen-       welche Tipps es dabei gibt. Für Berufs-
tierte sich auch das Barcamp nach der Mit-    neulinge ging es in einer kleinen Runde
tagspause, in der ebenso Zeit war, sich auf   darum, welche Erwartungen Redaktionen
dem „Markt der Möglichkeiten“ an den          haben und wie man es zu einer freien Mit-
Ständen von Medienunternehmen zu in-          arbeit schafft. Und für Fortgeschrittene
formieren und Kontakte zu knüpfen. Neun       gab es Tipps zur Gründung eines Medien-
Vorschläge für Sessions – im Fall des MZF     Start-Ups.
je 45 Minuten dauernde Zeitfenster für
                                                            Leserbrief                         Im Workshop „Komm wir gehen auf Symbolsafari“
                                                                                                zeigt Lara Schmelzeisen, wie man garantiert eine
                                                              Slam                                        Bildidee zu einem Text findet

                                              Zum Abschluss wurde die zuvor schon oft
                                              genannte und als sinnvoll gerade für den          umso intensiver aus, und das erste
                                              Lokaljournalismus erachtete Interaktion           Medien|Zukunft|Festival endete mit viel
                                              mit dem Leser gefeiert – mit dem Leser-           Applaus.
                                              brief-Slam. Juliane Schwertner und                                   Ä Julia Schweizer
                                              Maximilian May von der Theatergruppe
                                              Die ARTbacken lasen einige besonders
                                              krude oder lustige Schreiben an Redak-
                                              tionen vor. Themen waren natürlich die             Mehr über das Medien|Zukunft|Festi-
                                              Flüchtlings-Berichterstattung, aber auch           val erfährt man auf der Website
                                              ein großes Lamento über Mannheim                   www.medien-zukunft-festival.de oder auf
                                              und die Schwierigkeit, in der Stadt eine           Facebook (Medien.Zukunft.Festival).
                                              Partnerin zu finden, weshalb man sich              Anregungen für Themen und Formate
                                              auch gerne der Redaktion für ein „intensi-         für das nächste Medien|Zukunft|Festi-
                                              ves Interview“ zur Verfügung stellen               val 2019, #MZF19, bitte über den Face-
                                              möchte, so ein Angebot. Zu viel der Inter-         book- oder den Twitter-Account oder
                                              aktion. Die fiel dafür beim Publikum               per Mail an info@djv-bw.de.
      Immer gut sichtbar: Team #MZF

                                                      4 · 2018 DJV Blickpunkt   11
MEDIEN

                           Das Gehirn liebt Tratsch
                            Veranstaltungen in Heidelberg und Stuttgart
                            beschäftigen sich mit der zunehmenden Last
                                        der Desinformation
Das menschliche Gehirn kann besser           wahrscheinlich, wenn diese Falschinfor-      sieren kann, so groß ist doch die Hilflo-
Klatsch als harte Fakten. Es gibt sogar      mationen aufs Herz zielen oder besser        sigkeit, wie man dagegen vorgehen sollte.
Studien, die dafür eine Ursache gefunden     noch: kurz darunter. Daher setzen sie auf    Ian McCulloh etwa forscht im Bereich der
haben wollen. Mit einfachen „Stille-Post-    Reflexe wie Empörung, Wut und Ohn-           sozialen Netzwerkanalyse. Er weist an vie-
Versuchen“ untersuchten die Wissen-          macht, auf Reizthemen wie Migranten          len Beispielen nach, dass Argumente
schaftler*innen um Alex Mesoudi von der      und Flüchtlinge oder auf Kinder und          schädlich sind, dass Zensur die virale Ver-
St. Andrews Universität in Schottland die    Missbrauch. Die Hoffnung, dass durch         breitung einer Falschmeldung erhöht.
Qualität der Übermittlung. Sie stellten      das Internet eine kollektive Vernunft ent-   Eine besondere Aufmerksamkeit widmet
fest, dass Klatsch (im Sinne von Informa-    stehen könnte, wird dabei zunichte ge-       er dabei Bots, also kleinen Computerpro-
tion über soziale Beziehungen mit Drit-      macht.                                       grammen, die selbstständig sich wieder-
ten) umfassender und mit größerer                                                         holende Aufgaben abarbeiten. Diese seien
Genauigkeit weitergegeben wurde als                       Widerlegen ist                  bei der Verformung der Wirklichkeit be-
gleichwertige nicht-soziale Informationen                  schädlich                      sonders schädlich, indem sie keine eige-
über individuelles Verhalten oder die phy-                                                nen Inhalte veröffentlichten, aber
sische Umwelt.                               In Heidelberg veranstaltete das Deutsch-     "passende" Inhalte an unterschiedlichen
                                             Amerikanische Institut DAI eine dreitä-      Stellen verbreiten
Nichts interessiert eine Person mehr, als    gige    Konferenz       zum      Thema
Empfehlungen von einem Freund, lautet        Desinformation mit dem Titel „Zwischen          Dekonstruktion und Neu-
eine Marketingregel unserer Zeit. So wer-    Tatsache und Täuschung“. Prominente          interpretation von Wirklichkeit
den aber nicht nur Mützen verkauft oder      Referent*innen aus den USA und aus
Werbeeinnahmen generiert, genauso wer-       Finnland berichteten über Trollfabriken      Einer der Referenten, Nicco Mele, Direk-
den auch Fake-News verbreitet. Deren vi-     und Desinformation. Doch so präzise          tor des Shorenstein Center on Media, Po-
rale Verbreitung wird allerdings erst        man die Mechanismen inzwischen analy-        litics and Public Policy der Harvard
                                                                                                          Kennedy School sagte
                                                                                                           2015 in einem Artikel
                                                                                                           die Wahl Trumps vo-
                                                                                                           raus. Auch da fragte er
                                                                                                           schon, was es denn be-
                                                                                                           deute, ein Journalist zu
                                                                                                           sein, also die Macht zur
                                                                                                           Verantwortung zu zie-
                                                                                                           hen, wenn die Macht
                                                                                                           (und die Öffentlich-
                                                                                                           keit?) sich nicht darum
                                                                                                           zu kümmern scheint,
                                                                                                           zur Verantwortung ge-
                                                                                                           zogen zu werden.

                                                                                                           Mele durchleuchtet in
                                                                                                           Heidelberg den übli-
                                                                                                           chen Trick, wie der
                                                                                                           US-amerikanische Prä-
                                                                                                           sident Trump ihn häufig
                                                                                                           verwendet: Trump be-
                      Ian McCulloh im Heidelberger DAI, Foto: Mathis
                                                                                                           hauptet etwas Falsches,
                                                                                                          weil er mit Sicherheit

                                                     12   DJV Blickpunkt 4 · 2018
Bret Schafer: Fake News sind alter Wein in HighTech Schläuchen, Foto: DAI

davon ausgehen kann, dass die Medien                   Fake-News einfach                     extrem genaue Zielgruppenansprache
darüber berichten müssen, um die falsche                  abschaffen?                        und quasi unendliche Verstärkungsmög-
Aussage zu widerlegen. Den Medien wird                                                       lichkeiten durch Dritte.
dann aber nicht geglaubt, im Gegenteil.       Das aktuelle Ausmaß an Desin-
Da nämlich Leser*innen schon automa-          formation, Fake News und soge-                 Damit werden Falschnachrichten in
tisch davon ausgehen, dass die Medien         nannten alternative Fakten war bis vor         einem ganz fremden Kontext geparkt, wie
Trump gegenüber feindlich eingestellt         kurzem nicht vorstellbar. Und doch ist zu      zum Beispiel bei Hundewelpen oder bei
sind und falsch berichten werden, neh-        befürchten, dass wir den Höhe-                 Pornos oder auch auf fiktiven Seiten.
men sie die Richtigstellung – und enthalte    punkt der Fake-News noch nicht erreicht        Diese erscheinen nicht zuletzt dadurch
sie noch so viele Beweise – gar nicht rich-   haben. Man wünscht sich eine                   glaubwürdiger, dass ganz normale Wer-
tig wahr. Dieses Phänomen ist auch als        technische Lösung, die bei Fake News           bung auf ihnen erscheint. Plattformen
„Hostile Media Effect“ bekannt.               einfach einen Selbstzerstörungsmecha-          könnten solche gefälschten Accounts
                                              nismus aktiviere. Doch auch realistische       übrigens hervorragend identifizieren,
Widerlegen ist schädlich, sagt er und         technische Lösungen sind nur begrenzt          fügt Schafer in einer Nebenbemerkung
empfiehlt, statt zu widersprechen, einer      wirksam.                                       hinzu.
Diskussion weitere Aspekte beizufügen.        Bret Schafer, Experte für digitale Propa-
Seinen Untersuchungen nach ist es             ganda bei der Alliance for Securing De-                 Fake-News einfach
von größter Bedeutung, nicht frontal          mocracy des German Marshall Fund of                         verbieten?
gegen eine Falschmeldung zu argumen-          the United States, zeichnet auf der Hei-
tieren, sondern das Diskussionsfeld um        delberger Konferenz ein düsteres Bild:         In Frankreich wurde im November 2018
weitere Aspekte zu erweitern. Andernfalls     Die technischen Möglichkeiten schaffen         ein Gesetz gegen Fake-News erlassen. Die
käme die Richtigstellung wie ein Bume-        ein Paradies für Internet-Trolle und kos-      neue Regelung sieht vor, dass, in den drei
rang zu einem zurück.                         ten quasi nichts, garantieren Anonymität,      Monaten vor einer landesweiten Wahl,

                                                      4 · 2018 DJV Blickpunkt   13
MEDIEN

die Verbreitung von Falschinformationen                                                           Verfolgen statt Löschen
durch richterliche Eilbeschlüsse unter-
                                                                                            Weder abschaffen noch verbieten wird
bunden werden kann. Richter müssen
                                                                                            funktionieren, um Hassrede und Verleum-
dann innerhalb von 48 Stunden entschei-
                                                                                            dung in den Kommentarspalten journalis-
den, ob es sich um eine gezielt verbreitete
                                                                                            tischer Online-Angebote oder in den
Falschnachricht handelt oder nicht.
                                                                                            sozialen Netzwerken aus der Welt zu schaf-
                                                                                            fen. Bereits 2017 hat die Landesanstalt für
Die Nationale Journalistengewerkschaft
                                                                                            Medien NRW (LfM) eine Initiative unter
(Syndicat National des Journalistes, SNJ)
                                                                                            dem Titel „Verfolgen statt nur Löschen“
stellten sich schon im Vorfeld gegen das
                                                                                            ins Leben gerufen. Ziel ist die Rechts-
Gesetz. Sie kritisierten die Schnellverfah-
                                                                                            durchsetzung im Internet. Als Problem
ren wegen der sehr vagen Definition von
                                                                                            wurde erkannt, dass Medienhäuser straf-
„falschen Informationen“. Außerdem be-
                                                                                            rechtlich relevante Kommentare auf ihren
werten sie eine auf nationale Grenzen be-
                                                                                            Seiten löschen, um ein Haftungsrisiko zu
schränkte Regulierung von sozialen
                                                                                            vermeiden. Doch das Löschen bekämpft
Netzwerken und Plattformen als unwirk-
                                                                                            nur die Symptome, nicht den Ursprung.
sam und sehen, last but not least, eine
                                                                                            Stattdessen müssten die Urheber Konse-
große Gefahr für die Pressefreiheit.
                                                                                            quenzen erfahren und Verantwortung für
                                                                                            ihr Handeln tragen.
             Allianz für
             Aufklärung                                                                     Daher wurde zusammen mit dem NRW-
                                                                                            Innenministerium eine Musterstrafan-
Der Medienwissenschaftler Stephan                                                           zeige erarbeitet, beteiligt waren weiterhin
Russ-Mohl forderte in der Stuttgarter                                                       die Zentral- und Ansprechstelle Cyber-
Diskussionsrunde „Wirksam gegen                                                             crime NRW (ZAC), das Polizeipräsidium
Fake News und alternative Fakten“ der                Nico Mele, Shorenstein Center,         Köln, die Mediengruppe RTL Deutsch-
                                                         Foto: DAI Heidelberg
Robert Bosch Stiftung eine „Allianz für                                                     land, Rheinische Post, Westdeutscher
die Aufklärung“ von Journalismus und                                                        Rundfunk. Außerdem werden für Redak-
Wissenschaft. Ansonsten gefährde die                      Medienbildung                     teur*innen und Programmbeobach-
Digitalisierung die Demokratie. Das                        ist wichtig                      ter*innen aus den beteiligten Medienhäu-
führte zu lebhaften Diskussionen.                                                           sern Schulungen angeboten. Schließlich
                                              Medienbildung und Aufklärung über die         wurde im Juni ein Forschungsprojekt der
Gerade Wissenschaftsjournalist*innen          richtige Nutzung vor allem von Social         LfM „Shitstorms, Hate Speech, Fake News:
wie Eva Wolfangel wissen aus Erfahrung,       Media sind wichtig, um gegen Desinfor-        Wie journalistische Medien zur Zivilisie-
dass Fehlinformationen ebenso aus jour-       mation vorzugehen. So weit sind sich          rung von Diskursen im Netz beitragen
nalistischen wie auch aus wissenschaftli-     viele Fachleute einig. Aber wie das am        können“ auf einer Fachtagung vorgestellt.
chen Quellen stammen können –                 besten gelingt, ist so umstritten wie viele   Die Ergebnisse sind in folgenden PDFs
Stichwort: Fake Science – und sich die        andere Schulfächer.                           nachzulesen: https://bit.ly/2N0Ge4j und
Anstrengungen daher darauf richten                                                          https://bit.ly/2tKoGSc
sollten, die schwarzen Schafe in allen Be-    Bret Schafer zum Beispiel empfiehlt
reichen zu bekämpfen. Sie warnt denn          strukturelle Arbeit statt Arbeit am Con-      Die Zwischenbilanz der Initiative zeigt:
auch vor einem voreiligen Schulter-           tent, das bedeutet etwa, dass man eine        Seit Projektstart im Mai 2018 gab es über
schluss zwischen Journalismus und Wis-        Gruppe von Kindern Informationen zur          150 Strafanzeigen. Der Anfangsverdacht
senschaft und fordert vielmehr                Mondlandung suchen lasse. In der              auf Volksverhetzung, Beschimpfung von
Anstrengungen, das verloren gegangene         Gruppe würden sie dann schnell feststel-      Religionsgemeinschaften, Verwendung
Vertrauen wieder zu erlangen.                 len, auf welche Informationen sie sich        von Kennzeichen verfassungswidriger Or-
                                              verlassen könnten und welche sie gegen-       ganisationen und öffentliche Aufforde-
Auch Russ-Mohl nennt die kritische            über ihren Mitstreiter*innen nicht ver-       rung zur Begehung von Straftaten wurde
wechselseitige Distanz als Voraussetzung      treten könnten.                               in bislang 32 Fällen bejaht. 17 Beschuldigte
für den Erfolg einer solchen Allianz:                                                       konnten identifiziert werden. Die Landes-
„Journalisten müssen es aushalten, dass       Aber es wäre fatal, das Problem auf Kin-      anstalt für Kommunikation Baden-Würt-
sie von Wissenschaftlern beobachtet und       der und Heranwachsende zu verkürzen.          temberg (LfK) hat seit letztem Mai
kritisch begleitet werden. Forscher müs-      Die viralen Aufreger der letzten Monate       ebenfalls den Austausch mit dem Justiz-
sen tolerieren, dass Journalisten umge-       haben gezeigt, dass viele Erwachsene          und Sozialministerium sowie der Melde-
kehrt den Forschungsbetrieb kritisch          jeden Mist glauben, sofern er ihren Vor-      stelle respect! des Demokratiezentrums
unter die Lupe nehmen.“                       stellungen von der Welt entspricht.           Baden-Württemberg gesucht. Auch Me-
                                                                                            dienhäuser in Baden-Württemberg sollen
                                                                     Ä Susann Mathis        einbezogen werden. Ä Dagmar Lange

                                                     14   DJV Blickpunkt 4 · 2018
VERBAND

                                           Solidaritätsstreik
                                Stuttgarter Drucker*innen unterstützt

In Stuttgart haben sich am Mittwoch,       Einmalzahlungen angeboten. Das lehnten      Mediengestaltern die Forderungen der
21.11.2018, mehr als 150 Kolleginnen und   die Arbeitnehmervertreter ab.               Drucker nach 5 Prozent mehr Lohn.
Kollegen aus verschiedenen Verlagsberei-                                               Es beteiligten sich Stuttgarter Zeitung
chen getroffen, um die Forderungen der     Die fünfte Verhandlungsrunde am Don-        und Nachrichten sowie die Kreiszeitung
Drucker nach einer fairen Lohnerhöhung     nerstag, 22. November, wurde daher von      Böblinger Bote.
in der aktuellen Verhandlungsrunde zu      mehrtägigen Warnstreiks begleitet, zu
unterstützen. Die Drucker befanden sich    denen Verdi die Drucker aufgerufen hatte.   Die Redakteurinnen und Redakteure im
im Warnstreik, der nun auch von Solida-                                                DJV sahen es als selbstverständlich an, den
ritätsstreiks begleitet wurde.             Gemeinsam riefen beide Gewerkschaften,      Arbeitskampf zu unterstützen. Sie stellten
                                           DJV und dju in Verdi, nun zum Solidari-     einen großen Teil der Streikenden auf der
In der zurückliegenden 4. Verhandlungs-    tärsstreik auf. Redakteurinnen und Re-      zentralen Versammlung in Stuttgart.
runde wurden 3,8 Prozent mehr Lohn auf     dakteure unterstützen gemeinsam mit
eine Laufzeit von 30 Monaten und zwei      Assistentinnen, Mediengestalterinnen und                          Ä Christine Bilger

                                                  4 · 2018 DJV Blickpunkt   15
VERBAND

Tarifabschluss 2018: Ist Enttäuschung angebracht?
 Zu Diskussionen und zum Teil Verwerfungen hat das Ergebnis der Verhandlungen zum neuen Gehaltstarifvertrag
    für die Redakteurinnen und Redakteuren an den Tageszeitungen geführt. Eine nicht unerhebliche Zahl an
 Mitgliedern vor allem im Südwesten war enttäuscht von dem, was dabei herausgekommen ist. Daniel Völpel und
             Christoph Holbein saßen für Baden-Württemberg in der DJV-Verhandlungskommission.
               Sie haben den Abschluss mitgetragen, warum, das erläutern sie in diesem Interview.

Blickpunkt: Die Tarifkommission der dju         nun im jeweiligen Betrieb gilt. Nach dem      Pressemitteilung über den Stand der Ver-
in ver.di hat Anfang November beschlossen,      Tarifeinheitsgesetz sind bei kollidierenden   handlungen nach der sechsten Runde und
den Tarifabschluss des DJV mit dem Verle-       Tarifverträgen in einem Betrieb nur die       der abgesagte Warnstreik zur zweiten
gerverband nicht nachträglich zu akzeptie-      Rechtsnormen des Tarifvertrags derjeni-       Runde, wo es wohl Kommunikationspan-
ren. Was bedeutet das nun konkret für die       gen Gewerkschaft anwendbar, die zum           nen zwischen den Verhandlungsführern
Kolleg*innen in den Betrieben?                  Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt ab-     einerseits und der jeweiligen Basis gab.
                                                geschlossenen Tarifvertrags im Betrieb        Das ist ärgerlich. Aber dass es so katastro-
Völpel: Konkret wird sich erst einmal           die meisten Mitglieder hat. Gleichzeitig      phal gelaufen sei, dem muss ich wider-
wenig ändern. In aller Regel profitieren        muss gewährleistet sein, dass die Mehr-       sprechen. Wir haben etwas erreicht! Was
alle Beschäftigten in den Redaktionen von       heitsgewerkschaft die Belange der Ange-       die Höhe des Abschlusses angeht: Beide
den Gehaltserhöhungen, die wir ausge-           hörigen der Minderheitsgewerkschaft           Gewerkschaften haben die Betroffenen
handelt haben, auch diejenigen, die nicht       ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifver-      abstimmen lassen und bei uns hat die
Mitglied in der Gewerkschaft sind – und         trag berücksichtigt hat. Momentan sehe        Mehrheit gesagt: Der Abschluss ist akzep-
in diesem Fall auch die Mitglieder der dju.     ich keine Anzeichen für eigene Tarifver-      tabel. Und auch bei der dju wären knapp
Etwas ändern könnte sich in dem Mo-             handlungen der dju mit den Verlegern.         40 Prozent dafür gewesen, den Abschluss
ment, in dem die dju beschlösse, den Ar-                                                      anzunehmen. Rechnet man hinzu, dass
beitskampf fortzusetzen. Aber ich lese von      Blickpunkt: Ein von vielen als zu niedrig     wir wesentlich mehr Streikende stellten,
dort im Moment nur, dass man alle Op-           empfundener Abschluss unter der Infla-        so muss man festhalten: Das Ergebnis hat
tionen offen hätte – was auch immer das         tionsrate, verweigerte Warnstreiks zur        viele nicht zufrieden gestellt, aber eine
nun heißt.                                      zweiten Verhandlungsrunde, falsche Pres-      knappe Mehrheit hielt es für gut genug,
                                                semitteilungen, kein unbefristeter Streik     abzuschließen anstatt in einen unbefris-
Holbein: Die Tariferhöhung, Nachzah-            trotz Urabstimmung und nun auch noch          teten Streik mit unsicherem Ausgang zu
lung und Einmalzahlung sind in den ta-          die Spaltung in der Arbeitnehmerschaft -      gehen. Hätten die Mitglieder dagegen ge-
rifierten Betrieben nach meiner Kenntnis        schlechter hätte die Tarifrunde 2018 nicht    stimmt, hätten wir weiterverhandelt. Das
an alle tarifierten Beschäftigten ausbe-        laufen können, oder? Was hat der DJV          Verhältnis zur Inflationsrate kann man
zahlt worden. Das ist Stand der Dinge.          falsch gemacht?                               erst am Ende der Laufzeit bewerten, alles
                                                                                              andere ist Spekulation. Natürlich hätten
Blickpunkt: Und was bedeutet die Situa-                                                       auch wir uns alle mehr für alle ge-
tion für die Tarifeinheit, also dass in einem                                                 wünscht, nicht nur für die Jungen. Re-
Betrieb nur ein Tarifvertag gilt? Entsteht                                                    dakteur*innen sind seit fast 20 Jahren von
eine Mehrklassengesellschaft?                                                                 der allgemeinen Gehaltsentwicklung ab-
                                                                                              gehängt. Auch dieser Abschluss wird das
Völpel: Das kann ich mir nicht vorstellen.                                                    nicht aufholen können. Das liegt aber an
Unsere Marschroute ist klar: Wir haben                                                        diversen Faktoren vom Medienwandel
Verträge mit den Verlegern geschlossen,                                                       über den Organisationsgrad bis hin zu
die eine Mindestlaufzeit enthalten. Der                                                       dem Unwillen vieler Beschäftigten, sich
Gehalts-Tarifvertrag ist zum 31. Juli 2020                                                    aktiv kämpferisch gegen den eigenen Ver-
kündbar, der Manteltarifvertrag zum                                                           leger zu stellen. Was die Spaltung angeht:
Ende des Jahres 2020. Was die dju bis                                                         Jede Gewerkschaft ist ihren Mitgliedern
dahin vorhat, ist mir nicht bekannt.                                                          verpflichtet und die haben nun einmal
                                                                                              unterschiedlich entschieden. Ich denke,
Holbein: Ein Aufbrechen der Tarifeinheit                                                      dass wir wie in früheren Fällen auch wie-
und möglicherweise eine Mehrklassenge-                   Daniel Völpel, Foto: privat          der zur Verhandlungsgemeinschaft zu-
sellschaft entstünden nur dann, wenn die                                                      rückkehren werden. Was mich wirklich
dju einen anderen Tarifvertrag mit den          Völpel: Natürlich sind Fehler passiert, wie   stört, sind die Berichte von Kolleg*innen,
Verlegern abschlösse. Dann müsste ge-           überall, wo Menschen arbeiten. Die lassen     dass in einigen wenigen Betrieben zum
klärt werden, welcher Tarifvertrag denn         sich erklären, wie etwa die fehlerhafte       Teil massiv Front gemacht wird gegenei-

                                                       16   DJV Blickpunkt 4 · 2018
nander mit Kolportage, Unterstellungen       Verleger die Gehälter schon einmal im        die Volontärsausbildung und den Man-
und einer Schärfe, die weder der Sache       Vorgriff erhöht hatten. Ein noch besseres    teltarifvertrag. Wollen wir das? Sind wir
dient, noch ihr angemessen ist. Da würde     Verhandlungsergebnis in einer nächsten       so stark und unsere Gegenüber hier im
ich mir etwas mehr Sachlichkeit und Mä-      Runde hätte man aber nur mit einer mas-      Südwesten so sachorientiert, dass wir
ßigung wünschen.                             siven Eskalation erreicht. Dazu genügt es    mehr erreichen könnten? Wenn unsere
                                             leider auch nicht, wenn bei einem bun-       Mitglieder diese Fragen mit Ja beantwor-
Holbein: Wir haben gerade für die jun-       desweit gültigen Tarifvertrag 15 Redak-      ten, dann wäre Regionalisierung sinnvoll.
gen Redakteur*innen ein positives Ergeb-     tionen in Baden-Württemberg statt an         Meine Wahrnehmung aus dem Verleger-
nis erreicht; und der Manteltarifvertrag     fünf Tagen Warnstreik zehn Tage Dauer-       lager war die, dass man dort meint, dem
ist geschlossen geblieben, auch das kein     streik machen. Das war aber die Realität,    Südwesten geht es zwar gut und dort sind
zu unterschätzendes Pfund. In jener          mit der wir umgehen mussten, deshalb         die Mitglieder kämpferisch. Aber dann
Nacht, als wir von der DJV-Verhand-          diese Entscheidung. Dass die Streikenden     würde man einfach den Stand hier mit
lungsgruppe zu der Entscheidung ge-          motiviert waren, noch mehr Druck zu          100 Prozent annehmen und in den ande-
kommen sind, dem vorliegenden                machen, hat uns sehr geholfen. Aber nur      ren Gebieten Deutschlands davon runter-
ausgehandelten Angebot zuzustimmen,          mit mehr Streikenden wären unsere            gehen. Damit hätte keiner was gewonnen.
haben wir keine bessere Perspektive gese-    Chancen gestiegen. Die Frage hat die dju     Für mich eher vorstellbar so etwas wie ein
hen, um dafür in eine weitere Verhand-       übrigens aus meiner Sicht bis heute nicht    Pilotabschluss, wobei man schauen
lungsrunde und weitere Streiks zu gehen.     beantwortet, wie sie jetzt weitermachen      müsste, wie das strukturell möglich wäre.
Knackpunkt für den Ausstieg der dju, die     will.                                        Denn der größte Verlagskonzern, mit
aus meiner Sicht ansonsten einig war mit                                                  dem in Baden-Württemberg ja inzwi-
dem Ergebnis, ist gewesen, so habe ich es                                                 schen die meisten Zeitungen verbandelt
verstanden, dass es keine lineare Erhö-                                                   sind, wurde auf Verlegerseite durch eine
hung für 2020 gab, sondern nur eine Ein-                                                  Dame aus München vertreten. Damit
malzahlung. Das ist sicherlich ein                                                        wäre also zumindest Bayern mit im
Schwachpunkt des Abschlusses, lässt sich                                                  Boot – wo übrigens auch viel gestreikt
aber heilen, wenn wir rechtzeitig 2020                                                    wird! Wir sollten nicht so überheblich
den Tarifvertrag kündigen, zeitnah dann                                                   sein, uns für die einzig Kämpferischen zu
zu Verhandlungen auffordern, das nach                                                     halten. Gegenüber Bayern und Nord-
Ende der Friedenspflicht mit entspre-                                                     rhein-Westfalen etwa sind wir verlags-
chenden Aktionen begleiten und dann, so                                                   wie auch mitgliedsmäßig um Klassen
hoffe ich, für 2020 rückwirkend eine pro-                                                 kleiner.
zentuale Erhöhung erreichen.
                                                                                          Holbein: Zu einem regionalen Tarif-
Blickpunkt: Warum ist der DJV am 2. Juli                                                  abschluss    gehören     immer     zwei
in Hamburg eingeknickt und hat nicht ge-                                                  Seiten. Die Gewerkschaften benötigen
meinsam mit der dju erneut abgebrochen,             Christoph Holbein, Foto: privat       einen Verhandlungspartner. Und ich
um dann zum Streik aufzurufen und in                                                      sehe momentan keine Bereitschaft auf
einer möglichen achten Runde noch mehr                                                    der Verlegerseite, sich auf eine solche
zu erreichen, zum Beispiel höhere prozen-    Holbein: Noch verhandeln wir in der und      Regionalisierung einzulassen. Also
tuale Tarifsteigerungen statt der Einmal-    für die Fläche, deshalb müssen wir die       müssten wir erst einmal streiken,
zahlungen, die verpuffen?                    bundesweite Situation berücksichtigen.       um die Verleger an den Verhandlungs-
                                             Und da war aus der Sicht der DJV-Ver-        tisch zu zwingen, ehe wir dann um
Völpel: Ich persönlich halte meine Ent-      handlungskommission keine Steigerung         Forderungen streiten. Freiwillig werden
scheidung nach wie vor für richtig, am 2.    der Streikbereitschaft zu erwarten, die      sie nicht kommen. Und wie lang-
Juli den Mitgliedern zu empfehlen, zuzu-     den entsprechenden notwendigen Druck         wierig so etwas sein kann, haben wir
stimmen. Wir haben in der Nacht und          bedeutet hätte. Abzuschließen, war also      beim Schwarzwälder Boten gesehen. Es
auch schon davor in Berlin lange und in-     eine konsequente Entscheidung.               braucht also einen langen und vor allem
tensiv mit den Kolleg*innen der dju-                                                      starken Atem, das muss den Befürwortern
Kommission diskutiert. Keiner hat uns        Blickpunkt: Sie haben es gerade ange-        eines regionalen Abschlusses bewusst
die Frage beantwortet, wie wir bei einem     sprochen: Der Süden trägt seit Jahren die    sein.
erneuten Abbruch weitermachen und zur        Hauptlast der Streiks. Sollten wir künftig
achten Verhandlungsrunde noch mehr           nicht regional verhandeln?                   Blickpunkt: Was für Chancen haben wir
Druck erzeugen. Es haben sich etwa 1200                                                   nach den Erfahrungen aus dieser und der
Kolleg*innen an den Streiks beteiligt, mir   Völpel: Das kommt darauf an, was wir         Kritik an dieser Tarifauseinandersetzung
lagen keine Berichte vor, dass weitere       erreichen wollen. Wenn wir die Flächen-      überhaupt noch, beim nächsten Mal die
dazu stoßen würden. Zwei Belegschaften       tarifverträge aufgeben, müssten wir im       Beschäftigten für Streiks und Aktionen zu
waren zu diesem Zeitpunkt bereits aus        schlimmsten Fall alles neu und regional      mobilisieren? Es kommt doch eh nichts
dem Streik ausgestiegen, nachdem deren       verhandeln, auch die Altersversorgung,       Gutes dabei heraus!?

                                                    4 · 2018 DJV Blickpunkt    17
VERBAND

Völpel: Ich widerspreche vehement, dass         haben erkennen lassen, dass sie da nicht         die Tarifbindung aufgekündigt haben. Für
nichts Gutes dabei herauskäme. Man              mehr bereit sind nachzugeben, an anderer         die gilt dieser Vertrag solange, bis neu
schaue sich bitte einmal an, was die Verle-     Stelle aber schon. Das wurde dann leider         abgeschlossen wird. Ob wir unsere
ger zur zweiten Runde in Düssel-                nicht genutzt. Das ist wie bei den Brexit-       aus unserer Sicht sehr berechtigten
dorf angeboten haben: 2,4 Prozent auf 30        Verhandlungen: Eine Seite will eigentlich        Gegenforderungen in eventuellen Ver-
Monate, also zweimal 1,2 Prozent jeweils        alles so belassen, wie es ist, die andere will   handlungen zum Manteltarifvertrag 2021
zum 1.8.. Jetzt haben wir 6,9 Prozent für die   im Idealfall das Paradies für alle und           durchsetzen können, wird vom Willen und
Volontäre, 6,5 Prozent für die Jungredak-       spricht mit mehreren Stimmen. Und am             Rückhalt der Mitglieder abhängen. Das gilt
teure und 4,3 Prozent für alle anderen plus     Ende muss man sich auf einen Kompro-             übrigens auch für den nächsten Gehaltsta-
mehr als 1000 Euro Einmalzahlungen. Wir         miss einigen, der keinem gefällt, der aber       rifvertrag: Wir sagen schon jetzt, da muss
haben 4,5 Prozent auf zwölf Monate gefor-       Schlimmeres verhindert. Als Gewerkschaft         für das zweite Halbjahr 2020 noch was
dert und 4,3 Prozent auf 30 Monate be-          verabschiedet hätten wir uns meines Er-          rausspringen, mit der Einmalzahlung ist es
kommen. Das Ergebnis hat Schattenseiten         achtens mit einem Dauerstreik, der wo-           nicht getan. Entsprechend müssen wir
und ist gerade so akzeptabel, aber ohne         möglich recht schnell erlahmt wäre durch         dann aber auch auftreten können mit einer
Mobilisierung hätte es eben zweimal 1,2         die ohnehin erklärte Einkommenserhö-             breiten Front der Unterstützung aus der
Prozent gegeben. Das muss jedem klar sein       hung und die Sommerferien. Am Ende               Mitgliedschaft. Also: Bangemachen gilt
– auch für die Zukunft: Wenn wir nicht alle     hätten wir ohne Tarifvertrag dagestanden,        nicht, sondern wir müssen uns vorbereiten,
gemeinsam dafür kämpfen, dass sich die          unsere Arbeitskampffähigkeit womöglich           auch innerverbandlich. Jetzt ist der richtige
Arbeitsbedingungen verbessern, tut sich         verloren und auf gönnerhaft gewährte Ein-        Zeitpunkt, mitzuentscheiden, wie wir die
nichts. Schweigen heißt Zustimmung, im          kommenserhöhungen hoffen müssen. Und             Tarifpolitik der nächsten Jahre gestalten.
Zweifel zum Status quo.                         um noch ein weiteres, gerne gestreutes Ge-       Mein Kreisverband hat dazu dieses Jahr be-
                                                rücht aus der Welt zu schaffen: Die Höhe         reits zwei Anträge vorgelegt, dass Volontäre
Holbein: Wer nicht kämpft, hat schon ver-       des Streikfonds und die Kosten des Streiks       für mindestens ein halbes Jahr die Über-
loren. Also den Kopf in den Sand                spielten bei uns in der DJV-Verhandlungs-        nahme als Redakteur*in garantiert
zu stecken, ist die falsche Reaktion.           kommission nie eine Rolle, darüber haben         bekommen und dass wir keine Ab-
Wir müssen vielmehr die Lehre aus der           wir gar nicht gesprochen. Ich wiederhole         striche mehr akzeptieren werden.
vergangenen Tarifauseinandersetzung zie-        mich: Die Mitglieder der anderen Gewerk-         Wer eigene Vorschläge einbringen möchte,
hen, dass wir noch rechtzeitiger in die Pu-     schaft haben beim Gehalt Anspruch auf            der kann das bei den Kreisversammlungen
schen kommen, noch mehr mobilisieren,           nichts, unsere haben Anspruch auf 4,3 Pro-       tun.
noch mehr überzeugen, noch mehr die             zent mehr in einer Branche im Umbruch.
Leute hinter dem Ofen hervorholen, noch         Das bedeutet für mich Gewerkschaft.              Holbein: Geplant ist, dass es regionale Ta-
mehr mit den Zweiflern ins Gespräch müs-                                                         riftreffen gibt, die eine bundesweite Tarif-
sen. Das ist Kernerarbeit, aber sie lohnt       Holbein: Gewerkschaft heißt für mich             konferenz vorbereiten sollen. Das alles soll
sich.                                           auch, Verantwortung zu übernehmen, Ver-          im ersten Halbjahr 2019 über die Bühne
                                                antwortung dafür, dass es ein Ergebnis gibt      gehen. Daraus wird ersichtlich, dass die
Blickpunkt: Aber hat sich der DJV als           für unsere Mitglieder. Das haben wir getan       Verantwortlichen die Zeichen verstanden
Gewerkschaft nicht verabschiedet?               mit diesem Abschluss.                            haben und die Weichen stellen, damit wir
                                                                                                 uns in der gemeinsamen Diskussion und
Völpel: Es ist das Wesensmerkmal einer          Blickpunkt: Mit Blick auf den im Jahr 2020       Debatte mit den Mitgliedern auf die nächs-
Gewerkschaft, Tarifverträge abzuschließen.      auslaufenden Manteltarifvertrag, kann            ten Tarifauseinandersetzungen vorbereiten.
Der Streik ist dabei Mittel zum Zweck. Der      einem da nicht angst und bange werden?           Dabei darf es keine Denkverbote geben,
DJV war bereit, in einer unerfreulichen                                                          wie die Tarifpolitik in Zukunft aussehen
Verhandlungssituation einen Kompromiss          Völpel: Ich rechne fest damit, dass uns die      soll, gestaltet etwa auch mit neuen Ideen,
mitzutragen. Es war in den Verhandlungen        Verleger wieder eine Kürzungsorgie vorle-        beispielsweise in Richtung einer besseren
sehr deutlich erkennbar, wer an welcher         gen werden, wenn der MTV das nächste             Work-Life-Balance und gesünderen Ar-
Stelle Spielräume hat und wo eine Seite         Mal verhandelt wird. Wir haben ihn in der        beitsbedingungen in den Betrieben. An-
dichtmacht. Die dju hat sich letzten beiden     bestehenden Form noch einmal verlängert,         regungen dazu darf jeder einbringen: Der
Verhandlungsrunden auf die Laufzeit ein-        was ein riesen Vorteil zum Beispiel für die      Landesvorstand hat dafür ein offenes Ohr.
geschossen, obwohl die Verleger deutlich        Kolleg*innen ist, deren Verlage nach 2014                                            Ä red

                                                           18   DJV Blickpunkt 4 · 2018
VERBAND

                   Wissensaustausch organisieren:
              Verbandsarbeit des DJV-BW digitalisieren
                                                                   Bevor wir uns im Fachausschuss Online/Neue Medien näher
                                                                   mit dem Thema befassen und Firmen um entsprechende An-
                                                                   gebote bitten, möchten wir vorab das Wissen aller DJV Mit-
                                                                   glieder in unserem Landesverband zu diesem Thema abfragen.

                                                                   Bitte teilt uns per E-Mail (post@joachim-abel.de) mit, ob ihr
                                                                   schon mit entsprechenden Medien/Techniken gearbeitet habt,
                                                                   wie sind eure Erfahrungen? Wer hat die entsprechende Soft-
                                                                   ware konzipiert, geliefert und gewartet. Kennt ihr unabhän-
                                                                   gige Berater in diesem Umfeld?

                                                                   Bitte teilt uns eure Erfahrungen und Anregungen bis zum 15.
                                                                   Januar 2019 mit. Wir werden dann im Facharbeitskreis vorbe-
                                                                   raten und alle, die uns etwas gemailt haben, im Monat März zu
                                                                   einer weiterführenden Diskussionsrunde einladen. Auf dieser
                                                                   Basis werden wir dann Firmen bitten, uns entsprechende Lö-
                                                                   sungsmöglichkeiten zusammen mit den entstehenden Kosten
                                                                   mitzuteilen.
                                                                                                                 Ä Joachim Abel
                                                                                    Sprecher Fachausschuss Online/Neue Medien

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf dem 16. Gewerk-
schaftstag des DJV in Karlsruhe bzw. auf dessen Fortsetzung
auf dem 17. Gewerkschaftstag in Stuttgart ist in diesem Jahr
von den Delegierten beschlossen worden, eine Digitalisie-
rungsstrategie für den DJV-Landesverband zu erarbeiten.
Beauftragt mit der Umsetzung wurde der Fachausschuss On-
line/Neue Medien.

In dem beschlossenen Antrag heißt es unter anderen „…diese
Arbeitsgruppe erstellt bis Mitte 2019 Vorschläge, wie der
DJV die Chancen digitaler Techniken nutzen kann, um die Ver-
bandsarbeit zu vereinfachen und zu verbessern. Dabei prüft
die Arbeitsgruppe insbesondere die Einrichtung eines eigenen
Cloud-Netzwerkes für Mitglieder sowie die Möglichkeit, dazu
die Webseite des DJV-Bundesverbandes zu nutzen. Über die
Umsetzung entscheidet der Landesgesamtvorstand 2019…“

Was soll erreicht werden? Die bisherigen Strukturen führen
nicht mehr dazu, dass sich Mitglieder in ausreichender Zahl
bei wichtigen Projekten des DJV einbringen. Gleichzeitig sind
die bestehenden Arbeitsgruppen/Fachausschüsse auf um-
ständliche, privat eingerichtete E-Mail-Verteiler angewiesen.
Auch die Webseite des DJV Baden-Württemberg lässt bislang
keinen Intranetbereich oder ein vernetztes Arbeiten zu. Zeit-
gemäße Formen des vernetzten Arbeitens können dazu füh-
ren, diesen Zustand deutlich zu verbessern.

Als Beispiel dafür kann unter anderem die vhs.cloud des
Volkshochschulverbandes dienen, die es den Mitarbeitern
ermöglichst, gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten und
Arbeitsaufgaben vernetzt zu erledigen, Wissens- und The-
menstände abzufragen, Dokumente abzulegen und zu
archivieren, zu kommunizieren und Videokonferenzen
abzuhalten.

                                                   4 · 2018 DJV Blickpunkt   19
VERBAND

                BundesVerbandstag in Dresden
                                                                                                Kritisch wandte sich Überall ebenfalls an
                                                                                                die Bundesregierung: „Schützt den Jour-
                                                                                                nalismus! Denn in einer Welt alleine aus
                                                                                                Fake-News, Reklamepostings und Hass-
                                                                                                reden kann es dauerhaft keine Demokra-
                                                                                                tie geben.“

                                                                                                           Bekenntnis zur
                                                                                                            Pressefreiheit

                                                                                                Deutlich sprachen sich die Delegierten in
                                                                                                der Dresdner Erklärung gegen alle For-
                                                                                                men von politischem Extremismus aus.
                                                                                                Darin heißt es: „Der Deutsche Journa-
                                                                                                listen-Verband lehnt alle Formen von
                                                                                                politischem Extremismus gleich welcher
Ine Dippmann, Vorsitzende DJV-Sachsen, im Gespräch mit Landespolizeipräsident Jürgen Georgie.
Alle Fotos: Daniel Völpel                                                                       Ausrichtung strikt ab. Journalistinnen
                                                                                                und Journalisten im DJV treten in ihrem
Während in der Dresdner Altstadt schon          einandersetzung mit den Zeitungs-               Beruf aktiv für die Demokratie und ihre
die adventliche Kulisse lockte, disku-          verlegern „über sieben Akte“ für einen          Grundwerte, insbesondere für die Presse,
tierten beim DJV-Verbandstag am 4. und          Gehaltstarifvertrag.                            Rundfunk- und Meinungsfreiheit, ein.
5. November mehr als 230 Delegierte,                                                            Die Mitgliedschaft im DJV und Positio-
darunter 18 Kolleg*innen aus Baden-                                                             nen, welche die Pressefreiheit bzw. die
Württemberg, über Medien- und Tarif-                                                            freie, ungehinderte Ausübung des Jour-
politik sowie über Innerverbandliches.                                                          nalistenberufs einschränken wollen, sind
                                                                                                miteinander nicht vereinbar.“ Daneben
Mit einem engagierten Appell zur Vertei-                                                        fordert der DJV alle politischen Parteien
digung der Pressefreiheit eröffnete der                                                         auf, sich zur Pressefreiheit zu bekennen
Bundesvorsitzende des Deutschen Jour-                                                           und die freie und ungehinderte Ausübung
nalisten-Verbands, Frank Überall, den                                                           des Journalistenberufs zu sichern.
Verbandstag. „Angriffe auf uns Medien-
vertreter sind immer auch Angriffe auf                                                          Über das Thema Pressefreiheit und
die Pressefreiheit. Wer die Axt an die Pres-                                                    Schutz der Journalist*innen bei Demon-
sefreiheit legt, hat bei uns nichts zu su-                                                      strationen diskutierten die Delegierten
chen“, so Überall. In seiner Rede ging er                                                       mit Sachsens Ministerpräsident Michael
auch auf die Tarifflucht bei Verlagen und                                                       Kretschmer sowie mit dem Landes-
Rundfunk ein und auf die lange Tarifaus-              Bundesvorsitzender Frank Überall          polizeipräsidenten Jürgen Georgie.

                                                         20   DJV Blickpunkt 4 · 2018
Pressefreiheit und Tarifthemen im Fokus
       Freie stärken und
 Kettenbefristungen bekämpfen

Verabschiedet wurden Anträge gegen ein
europäisches Leistungsschutzrecht für
Presseverleger ohne Berücksichtigung
der journalistischen Urheber und für
eine Kennzeichnungspflicht automatisiert
erstellter Inhalte. Der Verbandstag appel-
lierte in einem Antrag an die Bundes-
länder, den Auftrag des öffentlich-
rechtlichen Rundfunks zu sichern:
„Der Auftrag ist so zu fassen, dass er die
grundgesetzlich garantierten Entwick-
lungschancen des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks bestätigt, seinen Bestand
sichert und an dem Erfordernis seiner        Bei der Stimmabgabe: Diana Seufert, Robert Bergmann und Hartmut Suckow
Finanzierung keine Zweifel aufkommen.“
In einem weiteren Antrag wird der            einen Bericht darüber vorlegen, wie sich      Sieben Mitglieder stellt der DJV im Presse-
BDZV aufgefordert, sich für eine bundes-     das Ende der Tarifeinheit auf die Um-         rat. Mit einem sehr guten Ergebnis wurde
weite Geltung des Tarifvertrags 12a          setzung der im Sommer ausgehandel-            unser Mitglied Maria Ebert aus Stuttgart
einzusetzen.                                 ten Tarifverträge für Tageszeitungsredak-     erstmals in das Gremium gewählt.
                                             teur*innen auswirkt.
Das Problem prekärer Arbeitsbedingun-                                                      Ausführlich beschäftigte sich der Ver-
gen durch Kettenbefristung von Arbeits-         Wahl der DJV-Mitglieder im                 bandstag mit dem DJV-Zukunftspapier
verträgen in Produktionsfirmen soll der            Deutschen Presserat                     des Bundesfachausschusses Junge. Der
Bundesvorstand öffentlich machen und                                                       fordert weiterhin alle DJV-Mitglieder auf,
im Dialog mit der Bundesregierung            Leider gab es aus Zeitgründen keine           Anmerkungen und Ideen zurückzugeben.
darauf hinwirken, dass mittelfristig auch    Gelegenheit, mit den Delegierten die          Das Dokument befindet sich unter
in Produktionsfirmen verlässliche Ar-        Anträge      aus     Baden-Württemberg        www.djv.de im Intranetbereich.
beitsbedingungen herrschen. Zumal            zur Tarifpolitik zu diskutieren. Stichworte
die Fremdfirmen nicht an die Tarifver-       sind keine weiteren Kürzungen                 Einen guten Einblick in Themen und
träge der Fernsehanstalten gebunden          in Tarifverträgen und eine garantierte        Ablauf des DJV-Verbandstags sowie Be-
sind.                                        Übernahme von Volontären. Mit                 wertungen unserer Delegierten gibt das
                                             diesen und weiteren Anträgen wird             Video von Daniel Völpel auf unserer
Außerdem wird der Bundesvorstand auf         sich der Bundesgesamtvorstand be-             Website: https://tinyurl.com/y7xu3w3g
Beschluss der Delegierten Anfang 2019        schäftigen.                                                          Ä Dagmar Lange

                                                     4 · 2018 DJV Blickpunkt   21
MEDIEN UND PRESSEFREIHEIT

                       Palm-Preis für zwei starke Frauen
                       Štefica Galić und Josephine Achiro Fortelo ausgezeichnet
Sie werden in ihrer Hei-                                                                                              kann immer nur ein kri-
mat angefeindet und be-                                                                                               tisches Vertrauen sein.“
droht und setzen sich                                                                                                 Autokraten hingegen
trotzdem standhaft für                                                                                                wollten kein kritisches
Menschlichkeit und Wahr-                                                                                              Vertrauen, sondern Ge-
heit ein. Der 9. Johann-                                                                                              folgschaft.
Philipp - Palm - Preis für
Meinungs- und Pressefrei-                                                                                                Hanna Arendt zitierend
heit wurde Anfang De-                                                                                                    führte er aus, dass nicht
zember in Schorndorf an                                                                                                  die Lüge in der Politik
die Journalistinnen Štefica                                                                                              das Problem sei, son-
Galić aus Bosnien und                                                                                                    dern wenn das Aufde-
Josephine Achiro Fortelo                                                                                                 cken der Lügen keine
Olum aus dem Südsudan                                                                                                    Schamreflexe mehr aus-
verliehen. Der Preis ist mit                                                                                             löse. Heute bestehe die
insgesamt 20.000 Euro                                                                                                    Gefahr, dass „uns der
dotiert und steht unter                                                                                                  politische      common
der Schirmherrschaft des                                                                                                 sense abhandenkommt“.
baden-württembergischen                                                                                                  Wenn die Unterschei-
Ministerpräsidenten Win-                                                                                                 dung zwischen Fakten
fried Kretschmann.                            Štefica Galić aus Bosnien und Josephine Achiro Fortelo Olum                und Mythen in einem
                                 Foto: Danijel Grbic/ Bebop-Media, mit freundlicher Unterstützung der Stadt Schorndorf   endlosen Getwitter ver-
Die Journalistin und Men-                                                                                                loren gehe, dann drohe
schenrechtsaktivistin Štefica Galić klärt in licher Ethnien und politischer Überzeu- die Erosion des Weltvertrauens, weil Ori-
ihrer Heimat Bosnien in Zeitungsartikeln, gungen zu Wort kommen. Sie ist Direk- entierung nicht möglich sei. „Ohne den
auf ihrem Internetportal tacno.net und in torin des Radios „Bakhita“, das zu einem Boden recherchierter Tatsachen ist auch
Vorträgen über die Verbrechen der bos- katholischen Radionetzwerk gehört. vor allem politische Kommunikation
nisch-kroatischen Armee während der Ju- Außerdem engagiert sich Olum in ver- nicht möglich.“
goslawienkriege auf, benennt Täter und schiedenen Projekten, um lokale Radio-
Tatorte, weil sie es als ihre moralische und stationen zu stärken und für den                                     Solide Recherche
menschliche Pflicht empfindet. Und weil Frieden zu werben. U.a. ist sie Geschäfts-                                    unter Druck
sie überzeugt ist, dass sich die Bevölke- führerin des Verbundes von Bürgerradios
rungsgruppen in Bosnien nur aussöhnen namens ComNet South Sudan und koor- „Das Gerede von der Lügenpresse richtet
können und eine gemeinsame Zukunft diniert das bi-nationale Journalistennetz- sich paradoxerweise gerade gegen die Me-
haben, wenn die Vergangenheit aufgear- werk Cross-Border Network, ein Projekt dien, die sich noch um eine solide Re-
beitet wird. Für die radikalen Nationalis- der Deutschen Welle Akademie. „Da ein cherche bemühen. Dahinter steht die
ten ist sie eine Nestbeschmutzerin, immer Großteil der Bevölkerung nicht lesen Absicht, recherchierenden Journalismus
wieder Repressalien und sogar tätlichen kann und deshalb auf das Radio als In- insgesamt zu diskreditieren“, betonte Bie-
Angriffen ausgesetzt. In ihrer bewegenden formationsmedium angewiesen ist, kann lefeld. Der Angriff auf vermeintliche „Sys-
Dankesrede hob Galić hervor, dass der die Bedeutung dieser Arbeit für die De- temmedien“ suggeriere, dass Journalisten
Preis für sie Ansporn und Inspiration sei, mokratie und den Friedensprozess im nichts anderes seien als Söldner in einem
weiter für eine bessere und gerechtere Südsudan kaum überschätzt werden,“ ur- Propagandakrieg. Friedensarbeit im
Welt zu kämpfen.                                   teilte die Jury.                                     Sinne der Aufklärung hingegen schafften
                                                                                                        Persönlichkeiten wie die Preisträgerinnen
             Journalismus als                      Die Bedeutung des Journalismus für die des Palm-Preises.
              Friedensarbeit                       Demokratie hob Heiner Bielefeld, Inha-
                                                   ber des Lehrstuhls für Menschenrechte Der Preis wird alle zwei Jahre im Geden-
„Der Mangel an Gerechtigkeit ist uner- und Menschenrechtspolitik an der Uni- ken an den Schorndorfer Buchhändler
träglich“, so Josephine Achiro Fortelo versität Erlangen-Nürnberg, in seiner Johann Philipp Palm (1766 – 1806) ver-
Olum in Schorndorf über die Lage im Festrede hervor. „Journalistische Arbeit liehen. Er war wegen der Herausgabe und
Südsudan. In ihrer Heimat würden Jour- kann Friedensarbeit sein“, so Bielefeld. des Verkaufs einer napoleon-kritischen
nalisten verhaftet und sogar ermordet, sie Insbesondere der unabhängig recherchie- Flugschrift, deren Autor er nicht nennen
selbst wurde mehrfach bedroht. Als Ra- rende Journalismus habe ein vertrauens- wollte, in einem Scheinprozess von einem
diojournalistin setzt sich Olum für die stiftendes Potenzial, „weil er in Zeiten von französischen Militärgericht zum Tode
Meinungs- und Pressefreiheit ein, lässt in Fake News mit Fakten kontert. Denn das verurteilt und erschossen worden.
ihren Sendungen Menschen unterschied- Vertrauen, auf das eine Demokratie baut,                                                 Ä Dagmar Lange

                                                          22   DJV Blickpunkt 4 · 2018
Sie können auch lesen