KOMPETENZ K Das Geschäft bleibt im Ort - KOMPETENZ-online

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KOMPETENZ K Das Geschäft bleibt im Ort - KOMPETENZ-online
Österreichische Post AG, MZ 02Z031731M, ÖGB-Verlag, Johann-Böhm-Pl. 1, 1020 Wien, Retouren an PF 100 1350 Wien

       KOMPETENZ

                                                                                                                 KOMPETENZ
         MAGAZIN DER GEWERKSCHAFT DER PRIVATANGESTELLTEN, DRUCK, JOURNALISMUS, PAPIER

                                                    Das Geschäft
                                                     bleibt im Ort

                                                                                                                 www.gpa-djp.at  www.kompetenz-online.at
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INHALT

                                                                                                                      4
                                                                                                                           KOMPETENZ Ausgabe 2/2019

                                                                                                                           3 		 EDITORIAL von Martin Panholzer

                                                                                                                           4		
                                                                                                                              Coverstory: Das Geschäft bleibt im Ort
                                                                                                                              Zwar wächst der Online-Handel, doch der
                                                                                                                              stationäre Handel wird deshalb nicht verdrängt

                                                                                                                           7 		 Coverstory: Flexibel für beide Seiten
                                                                                                                                Die Vier-Tage-Woche im Handel bringt den
                                                                                                                                Beschäftigten eine bessere Work-Life-Balance

                                                                                                                           10		 GPA-DJP-Mitgliederzahlen

                                                                                                                      12
                                                                                                                                10.000 Mitglieder mehr seit 2014

                                                                                                                           11    KOMMENTAR von Barbara Teiber 

                                                                                                                           12		
                                                                                                                               Konservative Wende
                                                                                                                               Die Philosophin Lisz Hirn im Interview
                                                                                                                               über die Rückkehr zu einem veralteten
                                                                                                                               Geschlechterbild

                                                                                                                           15    FOTOGRAMM
                                                                                                                                 Steigender Bedarf an Pflegekräften

                                                                                                                           16    ORF
                                                                                                                                 Plädoyer für die Unabhängigkeit
         Foto S. 12: Nurith Wagner-Strauss, S. 30: Fotolia, drubig-photo, Illustration S. 4/S.22: Peter M. Hoffmann

                                                                                                                           17    Arbeiterkammerwahl
                                                                                                                                  AK-Präsidentin Renate Anderl im Interview

                                                                                                                      22
                                                                                                                           19    KURZMELDUNGEN zu Politik, Arbeit und Wirtschaft

                                                                                                                           20    Dem Sport, dem Betriebsrat und sich selbst treu
                                                                                                                                 geblieben
                                                                                                                                 Rudolf Kortenhof, Betriebsratsvorsitzender der
                                                                                                                                 Raiffeisen Bank im Porträt

                                                                                                                           22		
                                                                                                                               EU-Wahl
                                                                                                                               Ja zu Europa, aber einem anderen Europa

                                                                                                                           24    FAKTENCHECK
                                                                                                                                 Pflege und Betreuung

                                                                                                                           26    RECHT
                                                                                                                                 Papamonat

                                                                                                                           30    Europäische BürgerInneninitiative
                                                                                                                                 Kostengünstiges Wohnen für alle

                                                                                                                      30   31    Impressum

   2                                                                                                                                                                      2/2019 KOMPETENZ
KOMPETENZ K Das Geschäft bleibt im Ort - KOMPETENZ-online
EDITORIAL
                                                          Es ist nicht alles egal
                                                          von Martin Panholzer

                                                                          V
                                                                                   iele Menschen machen sich derzeit berechtigte Sorgen um die
                                                                                   Zukunft unserer Gesellschaft. Eine gewisse Überforderung der
                                                                                   politischen und wirtschaftlichen Eliten, die Zukunft für alle si-
                                                                          cher und berechenbar zu gestalten, ist nicht von der Hand zu weisen.
                                                                          Als Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen können wir in einem
                                                                          solchen Szenario nur immer wieder darauf hinweisen, dass es gerade
                                                                          jetzt nicht egal ist, wie sich jeder von uns genau hier und heute verhält,
                                                                          und dass es auf verschiedenen Ebenen Möglichkeiten gibt, gemeinsam
                                                                          den Lauf der Dinge zu beeinflussen.
                                                                             Stichwort Arbeitszeit: Auch wenn die Bundesregierung gegen hefti-
                                                                          gen Protest das neue Arbeitszeitgesetz politisch durchgezogen hat, ha-
                                                                          ben wir gemeinsam mit BetriebsrätInnen und Beschäftigten alles getan,
                                                                          um auf der Ebene der Kollektivverträge Auswirkungen zu entschärfen.
                                                                          Wie das erfolgreich gelungen ist, zeigt der Artikel zur 4-Tage-Woche im
                                                                          Handel.
                                                                             Stichwort Digitalisierung: Digitalisierung ist kein Prozess, der na-
                                                                          turgesetzlich abläuft. Er wird von Interessen geleitet und es hängt viel
                                                                          davon ab, ob es gelingt, diesen Prozess menschengerecht zu gestalten.
                                                                          Auch hier bringen wir uns ein. Der Beitrag zum Online-Handel zeigt,
                                                                          dass kein Grund besteht, Angstszenarien zu propagieren. Arbeiten im
                                                                          Handel hat Zukunft und viele Unternehmen erkennen das und investie-
                                                                          ren in Qualität und Qualifikation.
                                                                             Stichwort Europa: Es ist nicht egal, welche politischen Kräfte nach
                                                                          der Wahl zum Europaparlament dominieren werden. Gerade das poli-
                                                                          tische Chaos in Großbritannien zeigt eindrucksvoll, was passiert, wenn
                                          Martin Panholzer                Populismus die politische Oberhand gewinnt.
                                          ist Leiter der Abteilung           Stichwort Mieten: Die horrenden Mietpreise sind inzwischen in ganz
                                          Öffentlichkeitsarbeit in der    Europa ein Riesenproblem für immer mehr Menschen geworden. Des-
                                          GPA-djp und Chefredakteur
                                                                          halb unterstützen wir auch die gesamteuropäische Bürgerinitiative
                                          der KOMPETENZ.
                                                                          „Housing for all“.
                                                                             All diese Themen werden in dieser Ausgabe der KOMPETENZ behan-
                                                                          delt und wir hoffen, dadurch jene in ihren Haltungen zu bestärken, die
Foto: Michael Mazohl

                                                                          von der Gestaltbarkeit unserer Zukunft im Sinne der Menschen über-
                                                                          zeugt sind.                                                               ●

                       KOMPETENZ 2/2019                                                                                                                    3
KOMPETENZ K Das Geschäft bleibt im Ort - KOMPETENZ-online
COVERSTORY Handel

                                       Illustration: Peter M. Hoffmann

4                   2/2019 KOMPETENZ
KOMPETENZ K Das Geschäft bleibt im Ort - KOMPETENZ-online
Das Geschäft
        		 bleibt im Ort
        Zwar wächst der Online-Handel, doch der stationäre Handel
        wird deshalb nicht verdrängt. Das Geschäft vor Ort kann
        sich durch Service und Flexibilität weiterhin bewähren.

       D
                ie „rund um die Uhr“-Ein-     einigen Sparten mit einer Um-           fig werden Kleidung und Schuhe
                käufe im Internet erfreu-     satzsteigerung aufwarten.               zurückgeschickt. Skurril: Gleich
                en sich weiterhin großer                                              50 Prozent aller Lieferungen des
        Beliebtheit – auch der österreichi-   SIGNIFIKANTE ANTEILE VON                Kleidungsversandhandels Zalan-
        sche Online-Handel profitiert.        BUCH BIS SCHUH                          do werden nach ein paar Tagen
        Werden derzeit rund zehn Pro-             Besonders hohe Online-Um-           rückgängig gemacht, wie das Un-
        zent der Einzelhandelsumsätze         satzanteile weisen die Bereiche         ternehmen selbst erklärt.
        in Österreich online erzielt, so      Bücher/Zeitschriften, Spielwa-             Beim Internetkauf weniger ge-
        wird bis 2025 ein Wachstum auf        ren und Sportartikel auf. Mit ei-       fragt sind sperrige Güter, wie etwa
        etwa 15 Prozent erwartet. „Aber       nem Klick shoppen Kunden aber           Möbel. „Wenn ich ein Regal aus-
        der stationäre Handel wird wei-       auch gerne in den Branchen Tex-         packe, zusammenbaue und dann
        terhin eine zentrale Rolle spie-      til/Bekleidung, Elektro/Elektro-        erst merke, dass es mir nicht ge-
        len“, erklärt Helmut Gahleitner,      nikgeräte und Schuhe/Lederwa-           fällt, dann ist es ein ziemlicher
        Referent in der Abteilung Wirt-       ren. Klarer Vorteil: die riesige Pro-   Aufwand, das Möbelstück wie-
        schaftspolitik der AK Wien. Zwar      duktvielfalt des Online-Handels.        der zurückzuschicken“, ist sich
        sind die Zuwächse im Online-          Attraktiv und verführerisch ist         AK-Experte Gahleitner sicher.
        Handel derzeit höher, doch auch       auch das oft gewährte kostenlose
        der stationäre Handel konnte in       Rückgaberecht. Besonders häu-           EINKAUF IM GESCHÄFT KOMMT
                                                                                      NICHT AUS DER MODE
                                                                                         Grenzenloses Wachstum gibt
                                                                                      es auch im Online-Handel nicht
                                                                                      – es zeigen sich durchaus Sät-
                                                                                      tigungstendenzen: „Wenn der
                                                                                      Online-Anteil etwa 30 Prozent
                                                                                      beträgt, ist es schwierig ihn zu
                                                                                      erhöhen. Da sind dann die Zu-
                                                                                      wachsraten sehr abgeflacht“, sagt
                                                                                      Gahleitner. Das gilt für den Buch-
                                                                                      handel, bei Elektrogeräten oder
                                                                                      bei Spielwaren.
                                                                                         Für die meisten Branchen gilt,
                                                                                      dass der Hauptumsatz weiterhin
                                                                                      in den Geschäftslokalen gemacht
                                                                                      wird. In letzter Zeit sind vor allem
                                                                                      die Umsätze im Bau- und Heim-
                                                                                      werker-Bedarf gestiegen, auch der
                                                                                      Sportartikel-Handel verzeichnet
                                                                                      einen Anstieg. Die Vorteile des        

KOMPETENZ 2/2019                                                                                                                 5
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         Einkaufs im Geschäft: Die Kun-     dabei verbinden sie die beiden       Das Unternehmen setzt auf den
          den können die Ware sehen, füh-    Vertriebskanäle – online und sta-    entscheidenden Faktor Kunden-
          len und probieren, dazu kommt      tionär.                              erlebnis – es soll von der Suche bis
          noch der persönliche Kontakt und      Vor allem für kleine und mitt-    hin zur Betreuung auch nach dem
          die Fachberatung durch die Ver-    lere Einzelhandelsunternehmen        Kauf wirken. „Es ist sinnvoll, Kun-
          käuferInnen. Sie können die Ware   ist das ohne ausreichende Spe-       denservices kanalübergreifend zu
          sofort mitnehmen und müssen        zialisierung schwierig – sie gera-   denken und anzubieten“, erklärt
          nicht eine Woche auf den Versand   ten mehr und mehr unter Druck.       Heumann. KundInnen haben
          warten.                            Ebenso ergeht es Einkaufsstra-       etwa die Möglichkeit, Ware vor-
                                             ßen in vielen österreichischen       ab online zu bezahlen und direkt
          REALER EINKAUF SCHÖN               Kleinstädten, die ihre Kunden        in einer Thalia-Buchhandlung ab-
          GEMACHT                            nicht nur an den Online-Handel,      zuholen. Bei Verfügbarkeit ist das
             Der direkte Einkauf im Laden    sondern auch an die Einkaufszen-     gewünschte Produkt innerhalb
          oder in der Einkaufsstraße kann    tren am Stadtrand verlieren.         von zwei Stunden abholbereit.
          auch als Erlebnis inszeniert wer-                                       Heumann: „Insbesondere in den
          den. Dafür ist auch das Zusam- GEMEINSAM UND ERGÄNZEND                  letzten Monaten spüren wir für
          menspiel einiger Faktoren gefragt    Der stationäre Handel muss         diesen Service einen sehr starken
          – so sollten Kommunen etwa da- abgesehen von Service und Bera-          Anstieg in der Nachfrage.“
          für sorgen, dass Einkaufsstraßen tung versuchen, die Vielfalt des
          belebter werden. AK-Experte Hel- Internets auch mithilfe der Digi- SCHLUPFLÖCHER FÜR RIESEN
          mut Gahleitner: „Es gibt ja                                                   Wenn Amazon, Za-
          viele Menschen, die genie-                                                 lando und Co. Wa-
          ßen es, schöne Dinge zu
                                          „DIGITALER UND STATIO-                     ren an österreichische
          kaufen und die das gerne in                                                KonsumentInnen ver-
          ihrer Freizeit tun“. Einkau-
                                          NÄRER      HANDEL      MÜSSEN              kaufen und hohe Gewin-
          fen wird zum Freizeiterleb-     UND KÖNNEN EINANDER                        ne erzielen, sollten sie
          nis: Wenn etwa das Buch-        ERGÄNZEN.“                                 auch die Gewinnsteuern
          geschäft auch ein Café in                    ANDREA HEUMANN                in Österreich abführen.
          sich birgt, Lesungen statt-                                                Das geschieht aber nicht
          finden und Kommunikati-                                                    – die Online-Riesen ver-
          on gefördert wird, zieht das                                               fügen hierzulande über
          auch andere Kundschaft an. Eben- talisierung auszugleichen. „Sinn- keine Betriebsstätten, diese sind
          so können Restaurants und Lo- voll ist es zu analysieren, was den jedoch die Grundlage für eine
          kale, Sitzecken und Spielmöglich- Online-Handel ausmacht, und österreichische Gewinnbesteu-
          keiten für Kinder das Flanieren wie auch ich als kleiner Betrieb da erung. Die von der Regierung in
          in Einkaufszentren für die ganze reüssieren kann“, rät der AK-Ex- Zukunft eingehobene Digital-
          Familie angenehmer machen. Im perte. Mithilfe der Digitalisierung steuer bezieht sich nur auf Erlö-
          Vordergrund müssen der Mensch kann der stationäre Handel beide se aus der Online-Werbung. „Die
          und seine Bedürfnisse stehen, Welten verbinden. „Digitaler und Einnahmen daraus entsprechen
          heißt: hilfreiche Beratung, gutes stationärer Handel müssen und bei weitem nicht einer Gewinn-
          Service, ansprechendes Ambiente können einander ergänzen“, weiß steuer“, sagt Helmut Gahleitner.
          mit Wohlfühlatmosphäre. Dazu Andrea Heumann, Prokuristin bei           Durch das Ausnützen von
          ein spannendes Warenangebot.       Thalia. „Das Silodenken in den Steuerschlupflöchern und unter-
             Doch ohne entsprechende einzelnen Kanälen „online“ und schiedlichen Gewinnsteuersys-
          Schulungen für wirklich gutes „stationär“ gibt es bei uns nicht, temen in den EU-Mitgliedsstaa-
          Service und neue Logistik-Maß- da wir immer dort sein wollen, wo ten – auch „aggressive Steuerpla-
          nahmen (etwa, dass nicht vorhan- auch der Kunde ist. Wir brauchen nung“ genannt – minimieren die
          dene Ware in kurzer Zeit geliefert Kompetenzen in den verschie- großen Online-Händler ihre Ge-
          wird) wird es in Zukunft im stati- densten Bereichen, wie z.B. im winnsteuern. Dadurch haben ös-
          onären Handel nicht gehen.         e-Commerce Shop-Management terreichische Händler erhebliche
             Fast alle großen in Österreich ein Gespür für relevante Themen Wettbewerbsnachteile.             ●
          tätigen Einzelhändler betreiben und deren grafische Umsetzung                           Christian Resei
          bereits jetzt Multi-Channeling, erfordert“, sagt Andrea Heumann.

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                                                                                                                                        Eva Maria Novak pendelt
                                                                                                                                        seit 20 Jahren mit dem Billa-
                                                                                                                                        Bus aus Lafnitz nach Wien.
                                                                                                                                        Zu schaffen ist das nur mit
                                                                                                                                        kürzeren Arbeitswochen.

                                           Flexibel für beide Seiten
                                           Wer im Handel arbeitet, kann ab sofort die Vier-Tage-Woche einfordern. Diese Regelung
                                           nützt vielen MitarbeiterInnen, sie können trotz Stress und Arbeitsdruck ihr privates Leben
                                           besser organisieren.

                                          D
                                                   ie Arbeitswelt ist viel- Dafür beneiden uns auch ande- Gehaltssystem, das nun bessere
                                                   schichtiger geworden: re Branchen“, erklärt Franz Georg Einstiegsgehälter anbietet. Und
                                                   nicht allein der Verdienst Brantner, Zentral-Betriebsrats- mit dem Rechtsanspruch auf die
                                           zählt, auch die Gestaltung der vorsitzender der Herba Chemo- Vier-Tage-Woche können jetzt
                                           Arbeitszeiten ist den Beschäf- san Apotheker-AG, Vorsitzender überdies auch individuelle Be-
                                           tigten ein großes Anliegen. Zu- des Wirtschaftsbereichs Handel dürfnisse der Angestellten besser
                                           nehmend rückt aber vor allem bei der GPA-djp. Brantner gehört berücksichtigt werden.
                                           die Vereinbarkeit von
                                           Familie, Beruf und Frei-                                                        SEIT JAHRZEHNTEN UN-
                                           zeit in den Mittelpunkt.       „WIR HABEN EINE REGE-                            GEWÖHNLICHE ARBEITS-
                                           Der jüngste Kollektivver-      LUNG GESCHAFFEN, DIE                             WOCHEN
                                           trags-Abschluss im Han-        AM PULS DER ZEIT IST.                               Für Eva Maria Novak sind
                                           del (Dezember 2018), hat                                                        kürzere Arbeitswochen
                                                                          DAFÜR BENEIDEN UNS AUCH
                                           neben einer Gehaltserhö-                                                        schon sehr lange Teil ih-
                                           hung, einem Anspruch
                                                                          ANDERE BRANCHEN.“                                res Lebens. Jeden zwei-
                                           auf Altersteilzeit und Bil-            FRANZ GEORG BRANTNER                     ten Tag hat die Steirerin
                                           dungskarenz auch Außer-                                                         frei, dafür sind ihre Arbeits-
                                           gewöhnliches hervorge-              seit 20 Jahren zum Handels-KV- tage auch sehr intensiv. Bereits
                                           bracht: den Rechtsanspruch auf Team, mit Kollegin Anita Palko- seit 20 Jahren ist die Billa-Mit-
                                           die Vier-Tage-Arbeitswoche.         vich leitet er seit Jahren im Herbst arbeiterin eine geeichte Pendle-
Foto: Nurith Wagner-Strauss

                                                                               die Verhandlungen.                   rin, steht morgens um halb vier
                                           MODERNE UND ZEITGEMÄSSE                In den vergangenen Jahren auf, um pünktlich den Billa-Bus
                                           KV-REGELUNG                         wurde intensiv daran gearbeitet, zu erreichen. Abfahrt: fünf Uhr.
                                              „Wir haben eine Regelung ge- die Handelsbranche attraktiver „Egal zu welcher Jahreszeit: Es
                                           schaffen, die am Puls der Zeit ist. zu machen: etwa durch ein neues ist immer dunkel, wenn ich auf-              

                              KOMPETENZ 2/2019                                                                                                                     7
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   Helga Schöttmer schätzt die Möglichkeit der Vier-Tage-Woche und die Planbarkeit ihrer Arbeitzeit:
   „Ich weiß am Anfang des Jahres, wann ich arbeite und wann ich frei habe.“

 stehe und dunkel wenn ich wie-          wochentags ab 18.30 Uhr) doch                 INDIVIDUELLE LÖSUNGEN
  der heimkomme.“ Den Groß-               etwas mehr an Lohn zusammen.                  FINDEN
  teil der Fahrzeit verschlafen die          Zudem gilt Lafnitz, die Hei-                  Eva Maria Novak verdient
  PendlerInnen im Mitarbei-               matregion der Steirerin, als eher             an ihrem Arbeitsplatz in Wien
  ter-Shuttle. „Da bewegt sich kei-       strukturschwach.                                              schlicht mehr
  ner im Bus“, weiß Novak. Um             Das nächstgelege-         „DIE RÜCKMELDUNGEN                  Geld als daheim
  es auch komfortabel zu haben,           ne Geschäft für den                                           in der Steiermark.
  nimmt sie sich ein Nackenkissen         Einkauf von Le-
                                                                    DER BESCHÄFTIGTEN                   Heißt es, an den
  von daheim mit. An diesen Ar-           bensmitteln findet        ZEIGEN UNS, DASS WIR MIT            intensiven Tagen
  beitstagen bleibt kaum Zeit und         sich über zehn Kilo-      DER VIER-TAGE-WOCHE                 mit viel Einsatz
  Kraft, um Abends noch etwas zu          meter entfernt von        WIRKLICH EINEN NERV                 und Pendelei pri-
  unternehmen oder Dinge zu er-           Novaks Wohnsitz.          GETROFFEN HABEN.“                   vat zurückzuste-
  ledigen. „Sobald ich von der Ar-
  beit nach Hause komme, kann ich
                                          Auch in dieser Re-
                                          gion suchen vor al-
                                                                      		      ANITA PALKOVICH
                                                                                                        cken, kann sie die
                                                                                                        freien Tage aus-
  bloß noch einen Kaffee trinken          lem Frauen einen adäquaten Job.               giebig dazu nutzen, etwa einen
  und nach der Dusche ins Bett ge-        Überwiegend haben sie nur in                  ihrer Lebensträume zu verwirkli-
  hen“, erzählt die gelernte Kellne-      der Gastronomie oder in den ver-              chen. Denn auf diese Weise ist es
                                                                                                                                 Foto: Nurith Wagner-Strauss

  rin. Dennoch ist Novak mit ihrer        hältnismäßig wenigen regiona-                 Novak in den vergangenen Jahren
  Situation durchaus zufrieden – da       len Betrieben eine Chance auf Ar-             gelungen, ihr Haus zu renovieren
  sie meist länger als acht Stunden       beit. Offene Stellen sind heiß be-            und einen schönen Garten anzu-
  pro Tag arbeitet, kommt mit den         gehrt, obwohl es sich zumeist um              legen, in dem sie jetzt wieder viel
  Zuschlägen (Samstag ab 13 Uhr,          20-Stunden-Teilzeitjobs handelt.

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Schönes und Gutes auspflanzen        auch gemeinsam mit unserem            und „es scheitert oft auch an Kre-
wird.                                Sozialpartner vereinbart haben.“      ativität, die Dienstpläne zu erstel-
                                        Der Rechtsanspruch auf die         len“, weiß Brantner.
PLANBARE ARBEITSZEITEN               Vier-Tage-Woche gilt seit dem 1.
   Auch Billa-Kollegin Helga         Jänner 2019. Wichtig: Arbeitneh-
                                                                    FLEXIBILITÄT SEITENS DER
Schöttmer pendelt in eine Fi-        merInnen müssen erst einen An- ARBEITGEBER GEFORDERT
liale. Die Niederösterreicherin      trag stellen (www.gpa-djp.at) –   Anita Palkovich unterbreitet
fährt von Yspertal in die                                                  Firmen, die sich der neuen
Hietzinger Auhofstraße.                                                    Regelung noch unsicher nä-
Hin und retour sind das                                                    hern, folgenden Vorschlag:
rund 240 Kilometer pro
                              „WIR WÜNSCHEN UNS VON                        „Einfach erst mal eine be-
Tag, die Schöttmer mit        DEN ARBEITGEBERN DIE                         fristete Einführung des
Auto und Bahn zurück-         GLEICHE FLEXIBILITÄT, DIE                    Modells mit interessierten
legt. „Als erstes in der      SIE TÄGLICH VON UNS                          Beschäftigten vereinbaren
Früh bereite ich die Sala-    FORDERN.“                                    – Für und Wider können
te und Aufstriche in der                                                   dann gemeinsam abgeklärt
                                      FRANZ GEORG BRANTNER
Feinkostabteilung vor –                                                    werden.“ Vorteil: Die gesam-
dort arbeite ich mit Leib                                                  melten Erfahrungen lassen
und Seele.“ Auch rund um die Arbeitgeber haben zwei Wochen sich in ein dauerhaftes Modell
Marktgemeinde finden sich we- Zeit, darauf zu reagieren.            einarbeiten. Allerdings fehlt bei
nige und vor allem Teilzeit-Stel-                                   einigen Firmen auch der Wille,
len. „Mir ist aber mein Stress lie- KLAR EINGESCHRÄNKTE AB-         die Vier-Tage-Woche ernsthaft
ber“, erklärt Schöttmer. „Leute, LEHNUNGSGRÜNDE                     umzusetzen. „Wir wünschen uns
die hier in der Gegend etwas ge-      Die Vier-Tage-Woche kann nur von den Arbeitgebern die glei-
funden haben, arbeiten beispiels- dann verweigert werden, wenn che Flexibilität, die sie täglich von
weise drei Stunden, müssen dann die Einhaltung von Betriebsab- uns fordern“, macht Franz Georg
eine längere Pause machen und läufen gefährdet ist oder die Auf- Brantner deutlich. „Ich fordere die
am Abend wiederkommen. Die rechterhaltung des Geschäfts- Arbeitgeber auf, was sie mit uns
sind dann auch erst spät zu Hau- betriebes nicht weiter gewähr- vereinbart haben, auch einzuhal-
se, verdienen aber viel weniger leistet werden kann. Über jede ten und vertragstreu zu sein.“●
Geld.“ Die Niederösterreicherin Ablehnung eines Antrages muss                                  Christian Resei
kann sich über eine fixe Arbeits- der Betriebsrat informiert und in
                                                                    Neues Arbeitszeitmodell:
einteilung freuen: „Ich weiß am Folge ein Vermittlungsgespräch
Anfang des Jahres, an welchen Ta- mit den Beschäftigten und dem Die wichtigsten Fragen und Ant-
                                                                    worten zum neuen Arbeitszeitmo-
gen ich arbeite und wann ich frei Betriebsrat geführt werden.       dell (von Antragstellung bis Urlaubs-
habe.“ Ihre Freizeit verbringt sie                                  anspruch) werden auf der Website
mit Haus und Garten, ihren Kin- UNTERSCHIEDLICHE                    www.gpa-djp.at beantwortet. Ein
dern und den fünf Enkeln. „Wenn ERFAHRUNGEN                         von GPA-djp und Wirtschaftskam-
                                                                           mer erarbeitetes Infoblatt klärt auf.
sie mich brauchen, bin ich für sie      Bisher sind die Erfahrungen
da.“                                 mannigfaltig: sie reichen von Fir-
                                     men, die schlicht jeden Antrag ab-
DEN NERV GETROFFEN                   lehnen bis hin zu Unternehmen,
   Mit dem Modell der Vier-Ta-       die alle MitarbeiterInnen nach ih-
ge-Woche profitieren Familie,        ren Bedürfnissen befragt haben
Freizeit, aber auch die eigene Ge-   und die Wunsch-Arbeitszeiten
sundheit. „Die Rückmeldungen         großteils verwirklichen konnten.
der Beschäftigten zeigen uns,           KV-Verhandler Franz Georg
dass wir hier wirklich einen Nerv    Brantner: „Da braucht es aber
getroffen haben“, freut sich Anita   auch Abteilungsleiter, die bereit
Palkovich, GPA-djp-Wirtschafts-      sind, jeden/jede MitarbeiterIn an-
bereichssekretärin. „Das bestärkt    zuhören.“ Außerdem fehlt es eini-
uns in diesem Projekt, das wir       gen Arbeitgebern an Information

KOMPETENZ 2/2019                                                                                                                   9
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GPA-DJP Mitgliederzahlen

                            MITGLIEDERZUWACHS

                            10.000 Mitglieder mehr seit 2014
                            Die GPA-djp wächst stetig. Seit 2014 sind wir um 10.000 Mitglieder
                            gewachsen. Das größte Mitgliederplus gab es im Handel und im
                            Sozialbereich, gefolgt von der Metallindustrie und der Sozialversi-
                            cherung. 280.633 Menschen waren Ende 2018 Mitglied der GPA-djp.

                            Auch der ÖGB insgesamt wächst stetig. Rund 20.000 Arbeitneh-
                            merInnen traten allein 2018 dem ÖGB bei. Zieht man verstorbene
                            und ausgetretene Mitglieder ab, ergibt sich ein Plus von 5.767 Mit-
                            gliedern für das Jahr 2018. Das ist der stärkste Mitgliederzuwachs
                            seit 1984.                                                         ●

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KOMMENTAR
                       Regierungsbilanz aus
                       Beschäftigtensicht

                       Ein Kommentar von Barbara Teiber

                       A
                                ls Gewerkschaften bewerten wir jede Re-         auf den Papamonat erstmals in der Industrie ver-
                                gierung danach, was sie für die Arbeit-         ankert – konkret in der Elektro- und Elektronik-
                                nehmerinnen und Arbeitnehmer in Öster-          industrie. Wieder waren wir es, die kollektivver-
                       reich leistet. Die Bilanz der schwarzblauen Koali-       traglich absichern mussten, was die Bundesregie-
                       tion ist in dieser Hinsicht alles andere als positiv.    rung trotz Versprechen säumig blieb.
                          Im Herbst vergan-                                                                   Selbstverständlich
                       genen Jahres kündigte „DIE SCHWARZBLAUE KOALI-                                      haben all diese Ver-
                       etwa ÖVP-Klubobmann
                       Wöginger groß an, dass
                                                   TION     TRITT      NICHT      ALS    VERTRE-           handlungserfolge ih-
                                                                                                           ren Preis. Wenn wir die
                       die Regierung die An-       TERIN DER ÖSTERREICHISCHEN Vier-Tage-Woche, die
                       rechnung der Karenz-        ARBEITNEHMERINNEN UND                                   Karenzzeitanrechnung
                       zeiten auf dienstzeit-      ARBEITNEHMER AUF, SONDERN                               oder den Papamonat im
                       abhängige Ansprüche         ALS ERFÜLLUNGSGEHILFIN VON KV durchsetzen, müs-
                       angehen werde. Dieses
                       Thema ist vor allem für
                                                   WIRTSCHAFT UND INDUSTRIE. “ sen                             wir dafür Abstriche
                                                                                                           bei anderen Punkten
                       Frauen relevant, die                                  BARBARA TEIBER                machen, das liegt in der
                       ohne diese Anrechnung                                                               Natur von Verhandlun-
                       um viel Geld umfallen, wenn sie nach der Geburt          gen. Die Regierung kostet also mit dem Bruch ih-
                       ihrer Kinder eine Zeit lang zu Hause bleiben. Lei-       rer Versprechen den Beschäftigten andere Erfol-
                       der blieb es bei der Ankündigung. Während die            ge im Kollektivvertrag.
                       Regierung keinen weiteren Schritt in diese Rich-            Die schwarzblaue Koalition tritt nicht als Ver-
                       tung setzte, verhandelten wir die (verbesserte)          treterin der österreichischen Arbeitnehmerinnen
                       Anrechnung von Karenzzeiten in viele Kollektiv-          und Arbeitnehmer auf, sondern als Erfüllungsge-
                       verträge.                                                hilfin von Wirtschaft und Industrie. Das zeigt sich
                          Im Handel konnten wir einen Rechtsanspruch            auch, wenn bei der Mindestsicherung gekürzt           Barbara Teiber ist
                       auf die Vier-Tage-Woche durchsetzen, die bei der         wird oder über die Rot-Weiß-Rot-Card künftig          Bundesvorsitzende
                       Einführung der 60-Stunden-Arbeitswoche von               Kolleginnen und Kollegen von außerhalb der EU         der GPA-djp und
                                                                                                                                      Vizepräsidentin der
                       der Regierung versprochen, aber nie umgesetzt            wesentlich billiger in Österreich arbeiten dürfen:
                                                                                                                                      Wiener Arbeiterkammer.
                       worden war.                                              Am Ende geht es darum, Druck auf Löhne und
                                                                                                                                      Vor ihrer Wahl zur
                          Das nächste leere Versprechen ist der Papa-           Gehälter auszuüben. Darum ist es gerade jetzt
                                                                                                                                      Bundesvorsitzenden der
                       monat. Groß angekündigt, wartet man bis heute            wichtig, dass sich die Beschäftigten nicht ausein-    GPA-djp war sie zehn Jahre
                       vergeblich auf die Beschlussfassung im Parla-            anderdividieren lassen. Der beste Garant dafür ist    lang Geschäftsführerin
                       ment. In der Zwischenzeit haben wir das Recht            eine starke Gewerkschaftsbewegung.              l    der GPA-djp Wien.
Foto: Michael Mazohl

                       KOMPETENZ 2/2019                                                                                                                 11
INTERVIEW Gleichstellung

     Konservative Wende
     Ein bereits überkommen geglaubtes Gesellschaftsbild fasst wieder Fuß und
     drängt Frauen ins Abseits. Schade, wenn auch so manche Frau das unterstützt,
     meint Philosophin und Autorin Lisz Hirn im Interview mit der KOMPETENZ.

     KOMPETENZ: In Ihrem eben erschienenen Buch                 ter ihnen Elisabeth Köstinger, die während des Mi-
     „Geht’s noch!“ warnen Sie, dass die konservative           nisteramts Mutter wurde und bald darauf wieder an
     Wende für die Frauen gefährlich ist. Woran machen          den Arbeitsplatz zurückkehrte. Wie passt das mit
     Sie diese konservative Wende konkret fest?                 dem viel beschworenen Heim-an-den-Herd-Sche-
     LISZ HIRN: Die hat natürlich mehrere Facetten. Mir         ma zusammen?
        geht es um ein altes, neues Gesellschaftsbild: Die         Es passt sogar sehr gut zusammen, weil es ja ein klas-
        klassische Vater-Mutter-Kind-Familie soll geför-           sisches Phänomen ist, dass sobald Konservative in
        dert werden, während andere Familienmodelle wie            der Regierung sind, diese Quotenfrauen, die sie ei-
        AlleinerzieherInnenhaushalte durch die Finger              gentlich gar nicht gerne haben, an anderen Stellen,
        schauen. Konservative Konzepte, die stark auf hie-         drinnen sind, die dann Frau-Sein sehr sauber präsen-
        rarchischen Strukturen, auf Leistungsdenken beru-          tieren, die Mutter werden und das alles perfekt ver-
                                                                                                                                     Foto: Nurith Wagner-Strauss

        hen, werden jetzt stark unterstützt, während andere,       einbaren können. Was aber vergessen wird, ist, dass
        die auf Kooperation und Solidarität beruhen, eher ge-      das tatsächlich einzelne Frauen sind, die das geschafft
        schwächt werden.                                           haben, auch weil sie oft privilegiert sind. Durch diese
                                                                   „Vorbilder“ wird den anderen Frauen allerdings ver-
     Die Regierung Kurz hat ja einige Ministerinnen, un-           mittelt, sie müssten sich nur mehr anstrengen, dann

12                                                                                                                2/2019 KOMPETENZ
Gleichstellung INTERVIEW

                                        könnten sie es auch schaffen. Doch wie soll das ge-        Grundsätzlich müssten Männer noch viel stärker in
                                        hen, wenn sie in finanziell schwachen Verhältnissen        die Verantwortung genommen werden. Was ist der
                                        leben? Dann zu sagen, sie hätten sich halt nur mehr        Papamonat im Vergleich zu 200 anderen Erziehungs-
                                        anstrengen müssen, das ist schon sehr zynisch.             monaten, die dann Frauensache sind? Auch das Be-
                                                                                                   wusstsein, dass der Papa nicht „mithilft“, sondern der
                                        Auch die Ansage, Frauen müssten nur den richtigen          Papa gleichberechtigter Teil und Partner und nicht
                                        Job wählen, dann verdienten sie ja eh auch so viel wie     nur eine Unterstützung der Erziehungsarbeit ist.
                                        Männer, verkennt die Situation. Allein die Wertung         Ich finde es bedenklich, dass wir im 21. Jahrhundert
                                        der Gesellschaft, dass
                                        der Pflegeberuf weni-
                                        ger wert ist als die Ar-
                                        beit eines Mechanikers,
                                        sagt schon etwas aus.
                                        An dieser strukturellen
                                        Diskriminierung müs-
                                        sen wir etwas ändern.

                                    Der Gender Pay Gap wird
                                    allerdings gerne mit der
                                    großen Anzahl von Frau-
                                    en, die Teilzeit arbeiten,
                                    argumentiert.
                                       Ja. Das Thema ist sehr
                                       komplex. Zum einen
                                       gibt es eine unter-
                                       schiedliche Bewertung
                                       von Arbeitsfeldern.
                                       Teilzeitarbeit ist auch
                                       ein Faktor. Andererseits
                                       zeigt die konservative
                                       Wende nun den Um-
                                       stand, dass wir Frauen
                                       auch nie so emanzipiert
                                       waren, wie wir dach-
                                       ten, und daher konser-
                                       vative Bewegungen
                                       auf fruchtbaren Boden
                                       treffen. Privilegiertere
                                       Frauen, die es sich leis-
                                       ten können, einen Pri-
                                       vatkindergarten zu zahlen, sind nicht so stark betrof-      noch immer betonen, dass Kindererziehung alleine
                                       fen wie Frauen, die das nicht können, die daheim blei-      eine Müttersache, also Frauensache ist. Das ist eine
                                       ben müssen, weil sie vielleicht mehrere Kinder haben        sehr konservative Idylle, die allerdings auf Kosten der
                                       und sich die Erwerbsarbeit nicht mehr auszahlt.             Frauen geht. Es ist abenteuerlich, welches Mutterbild
                                                                                                   den jungen Frauen als vermeintlich „natürlich“ ver-
                                    Was wären Ansätze, um hier entgegenzuwirken?                   kauft wird.
                                     Jedenfalls nicht auch noch die Arbeitszeit zu erhö-
                                     hen. Der 12-Stunden-Tag stellt Eltern vor ungeahn-          In Ihrem Buch kritisieren Sie aber nicht nur die so-
Foto: Nurith Wagner-Strauss

                                     te Herausforderungen. Maßnahmen wie diese Ar-               genannten Biedermänner, sondern auch die Bieder-
                                     beitszeitflexibilisierung führen nur dazu, dass einer       frauen. Wer sind die Biederfrauen?
                                     daheim bleiben muss, weil das sonst nicht finanzier-           Das sind Frauen, die einen gemäßigten Feminismus
                                     bar ist. Kinderbetreuung ist teuer und schwer zu be-           vertreten. Die sagen, wir haben eh viel erreicht, ich
                                     kommen.                                                        konnte eine gute Ausbildung machen, ich lebe in

                              KOMPETENZ 2/2019                                                                                                               13
INTERVIEW Gleichstellung

ZUR PERSON

Lisz Hirn, geb. 1984,
Publizistin und
Philosophin. Arbeitet
in der Jugend- und
Erwachsenenbildung
und ist Obfrau des
„Vereins für praxisna-
he Philosophie“.
Hirn lebt mit ihrem
Partner und ihrer
Tochter in Wien.
www.liszhirn.at

Lisz Hirn
Geht’s noch!
Warum die
konservative
Wende für Frauen
gefährlich ist

Wien 2019, Molden
Verlag, 144 Seiten,
20 Euro, ISBN
978-3-222-15030-2

                          einer Beziehung, in der die Haushaltsaufgaben          nen kommt aber wieder der Wunsch nach Sicher-
                           nicht gleich verteilt sind, aber ich habe mich damit   heit und Stabilität auf. Die scheinen rechtskonser-
                           arrangiert, so hat das die Natur eben vorgegeben.      vative Modelle eher bieten zu können als liberale.
                           Ich genieße aber schon die Freiheitsrechte, dass       Eine Struktur und eine klare Hierarchie zu haben,
                           ich zum Beispiel Zugang zu Verhütungsmitteln           wo man Menschen einordnet, klassisch-konser-
                           habe. Oder: Während einige Frauen aktiv für eine       vative Weltbilder von ÖVP, FPÖ, die sind leichter
                           Verringerung des Gender Pay Gap und für die            umsetzbar. Wenn man es nicht schafft, von Gene-
                           Frauenquote kämpfen, meinen Biederfrauen häu-          ration zu Generation ein Bewusstsein dafür zu
                           fig, dass es jede Frau alleine schaffen muss. Dass     verankern, wenn man nicht immer wieder an die-
                           es sich vielfach um strukturelle Diskriminierung       sem Bewusstsein arbeitet, besteht die Gefahr, dass
                           handelt, wird übersehen. Vor allem aber sehen sie      unsere Freiheiten sukzessive eingeschränkt wer-
                           nicht, dass, obwohl es ihnen jetzt gut geht, auch      den. Warum der Konservativismus gerade jetzt
                           ihre Freiheiten am Ende des Tages beschränkt           besonders gefährlich ist? Wir sind zwar immer
                           werden könnten.                                        regional, lokal verankert, aber wir haben globale
                                                                                                                                             Foto: Nurith Wagner-Strauss

                                                                                  Probleme zu lösen. Der soziale Frieden wird durch
                         Warum macht sich gerade jetzt dieser Konserva-           diesen Backlash definitiv gefährdet, da Ungerech-
                         tivismus wieder breit?                                   tigkeiten nicht nur global, sondern auch in den lo-
                            Liberale Maßnahmen brauchen viel mehr Zeit,           kalen Gesellschaften verstärkt werden.          ●
                            um sich durchsetzen zu lassen. In Krisensituatio-                            Das Interview führte Alexia Weiss

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FOTOGRAMM
               Wachsender Bedarf an
               Pflegepersonal

                                                          + 39 % + 127 %

                           63.000 87.000                                                 150.000
                                    2016                         2030                            2050
                                    Die Nachfrage nach zusätzlichen Arbeitskräften in der Pflege wird wegen
                                     der Alterung der Gesellschaft in den kommenden rund 30 Jahren enorm
                                  ansteigen. Laut Hochrechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO)
                                   wächst der Bedarf an Pflegekräften bis zum Jahr 2030 um 39 Prozent und
                                  bis 2050 sogar um 127 Prozent. Laut aktuellen Zahlen gab es im Jahr 2016 in
                                   Österreich 63.000 Pflegekräfte. 2030 werden, um den Status quo zu halten,
Quelle: WIFO

                                  schon 87.000 Pflegerinnen und Pfleger notwendig sein, 2050 schon 150.000.

               KOMPETENZ 2/2019                                                                                   15
AKTUELLES ORF

          80 Cent für Unabhängigkeit
          Die journalistische Ausgewogenheit im ORF muss erhalten bleiben.

          A
                  ls 1972 der österrei-         Gemäß seines Auftrags deckt das       auch gegenüber der Bundesre-
                  chische Skifahrer Karl        Medienhaus dabei alle Bereiche        gierung kritisch zu sein. In ande-
                  Schranz von den Olym-         der Mediennutzung ab: Neben           ren europäischen Ländern kann
          pischen Winterspielen ausge-          dem Fernsehen bringt der öffent-      momentan beobachtet werden,
          schlossen wurde, kehrte er unter      liche Rundfunk auch Radiopro-         wie Regierungspolitiker sich ih-
          dem frenetischen Jubel Tausen-        gramme und einen Online-Auf-          ren Einfluss auf staatliche Medi-
          der am Ballhausplatz triumphal        tritt. Besonders wichtig ist den      en zunutze machen und sich dort
          nach Hause zurück. Dieser Mas-        Österreicherinnen und Österrei-       feiern lassen. Der ORF erreicht
          seneuphorie war eine beispiellose     chern dabei die Information. 91       eine weitgehende Unabhängig-
          ORF-Kampagne gegen das Inter-         Prozent geben an, daran sehr oder     keit durch seine Stiftungsstruktur
          nationale Olympische Komitee          eher interessiert zu sein. Das ist    und seine Gebührenfinanzierung.
          und für Schranz vorangegangen.        der mit Abstand höchste Wert al-         Wäre der ORF rein aus Steu-
          Wenn man den Erzählungen des          ler Rubriken. Fast drei Viertel der   ermitteln finanziert, so müsste er
          ehemaligen Bundeskanzlers Bru-        Befragten ist dabei mit dem Infor-    jedes Jahr mit dem Finanzminis-
          no Kreisky glaubt, soll die vom       mationsangebot zufrieden.             ter über seine finanzielle Ausstat-
          ORF provozierte Massenkund-                                                 tung verhandeln, und es bestünde
          gebung vor dem Bundeskanzler-         NEUTRALE BERICHTERSTAT-               die Gefahr der Selbstzensur, um
          amt inklusive erhobener rechter       TUNG IST ZUSEHERiNNEN                 den Verhandlungspartner wohl-
          Arme vieler TeilnehmerInnen der       WICHTIG                               wollend zu stimmen. Durch sei-
          Auslöser dafür gewesen sein, dass        Voraussetzung für diese guten      ne Gebührenfinanzierung durch
          Kreisky mit dem ORF-Gesetz            Zahlen ist eine neutrale und aus-     die GIS ist der ORF aber den Zu-
          1974 das größte Medienhaus des        gewogene Berichterstattung, die       schauerinnen und Zuschauern im
          Landes in eine Anstalt öffentli-      9 von 10 ZuschauerInnen wichtig       Wort, nicht der jeweiligen Regie-
          chen Rechts überführte. Die Idee      ist. Journalistische Unabhängig-      rung. Das gleiche Modell verfol-
          dahinter: Der ORF mit seiner un-      keit ist für öffentlich-rechtliche    gen etwa auch die deutsche ARD
          glaublichen Breitenwirksamkeit        Sender immer eine schwierige          oder die britische BBC.
          sollte unabhängig und gleichzei-      Frage, an der ständig gearbeitet         Die Ausgewogenheit der Be-
          tig demokratisch kontrolliert sein.   und die stets beobachtet werden       richterstattung zu verteidigen
                                                                                                                                       Foto: Fotolia, Elnur

             Heute nutzen neun von zehn         muss. Noch heute profitiert der       – das sollte uns 80 Cent GIS-Ge-
          ÖsterreicherInnen täglich zu-         ORF in diesem Punkt von sei-          bühr pro Tag wert sein.         ●
          mindest ein Angebot des ORF.          ner Struktur, die es ihm erlaubt,                            Daniel Gürtler

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Arbeiterkammer INTERVIEW

                                Denkanstoß
                                für die
                                Regierung
                                Die neue AK-Präsidentin Renate Anderl
                                über die Gründe für ihren Wahlerfolg,
                                und warum eine Änderung des
                                Wahlrechts Unsinn ist.

                                Die AK-Wien-Wahl ist geschlagen und du bist als                 gen von Wirtschaft und Industrie sehr schnell Gehör
                                klare Siegerin hervorgegangen. Dazu einmal herzli-              finden, während die der ArbeitnehmerInnen ignoriert
                                che Gratulation. Wie geht es dir jetzt?                         oder auf die lange Bank geschoben werden. Das hat
                                   Ich bin natürlich sehr glücklich über das Wahlergeb-         man beim Karfreitag gemerkt, den die Regierung den
                                   nis. Es ist vor allem ein Erfolg für unsere Mitglieder,      Menschen einfach weggenommen hat, das merkt man
                                   die deutlich gezeigt haben, dass sie eine starke Ver-        beim Papamonat, oder wenn es um die gesetzliche
                                   tretung wollen. Dass wir die Wahlbeteiligung im Ver-         Anrechnung von Karenzzeiten geht. Auf beides war-
                                   gleich zu 2014 deutlich steigern konnten, obwohl es          ten wir noch immer.
                                   um 50.000 mehr Wahlberechtigte gegeben hat, war
                                   eine echte Überraschung. Offenbar haben wir bei den        Schon während der AK-Wahlen haben ÖVP und FPÖ
                                   Beschäftigten einen Nerv getroffen, auf die richtigen      eine Änderung der Wahlordnung gefordert. Wie
                                   Themen gesetzt und mehr Mitglieder zur Wahl moti-          sinnvoll wären solche Änderungen?
                                   vieren können.                                                Dass die AK der Regierung ein Dorn im Auge ist, liegt
                                                                                                 auf der Hand. Man droht uns ja auch seit Ende 2017
                                Und was waren die wichtigsten Wahlmotive?                        damit, die Umlage zu kürzen. Wer unter einer Wahl-
                                  Tatsächlich war die Unzufriedenheit mit der Regie-             reform das Abschaffen der Betriebswahlen versteht,
                                  rung ein starkes Motiv. Besonders hoch war die Wahl-           dem geht es weder um Demokratie noch um eine hö-
                                  beteiligung unter jenen ArbeitnehmerInnen, die vom             here Wahlbeteiligung, sondern ausschließlich darum,
                                  12-Stunden-Tag, der 60-Stunden-Woche und vom                   die AK zu schwächen. Das ist so leicht durchschaubar:
                                  steigenden Druck in der Arbeitswelt betroffen sind.            Die FSG hatte in den Betrieben deutliche Zugewin-
                                  Weitere wichtige Themen waren leistbares Wohnen                ne, Christgewerkschafter und FPÖ massive Verluste
                                  und ein gerechteres Steuersystem. Laut Wahlanalyse             – darum geht es doch in Wirklichkeit. Die Arbeitneh-
                                  waren viele Wählerinnen und Wähler der Meinung,                merInnen in Österreich sind extrem fleißig und ver-
                                  dass die AK als Gegengewicht zu Unternehmen und                dienen Respekt. Für sie und das Land wäre es besser,
                                  Regierung eine wichtige Rolle spielt. Es hat sich auch         wenn die Regierung den Dialog mit uns suchen und
                                  gezeigt, dass das Vertrauen in die AK viel höher ist, als      mit uns zusammenarbeiten würde, um ihre Lebens-
                                  in die Bundesregierung.                                        und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Stattdessen
                                                                                                 wird überlegt, wie man die AK finanziell aushungern
                                War die AK-Wahl ein Denkzettel für die Regierung?                kann. Das ist der falsche Weg. Die Anliegen der arbei-
Foto: Sebastian-Philipp

                                 Ich würde lieber von einem Denkanstoß sprechen.                 tenden Menschen sind viel zu wichtig, um sie weiter-
                                 Das Wiener Ergebnis zeigt deutlich, dass die Arbei-             hin zu ignorieren.                                ●
                                 terInnen und Angestellten sich von der Regierung                                           Das Interview führte Alexa Jirez
                                 nicht gut vertreten fühlen. Sie merken, dass die Anlie-

                          KOMPETENZ 2/2019                                                                                                                     17
KURZMELDUNGEN Aktuelles

                         SERVICE

                         Neue Broschüren auf einen Blick

                                      Bildungskarenz. Die Broschüre          Download:
                                      „Bildungskarenz – Bildungsteil-        https://gpa-djp.at/bildungskarenz_2019
                                      zeit – Fachkräftestipendium“ in-
                                      formiert über Anspruchsvoraus-
                                      setzungen, Leistungen und Dauer
                                      von Bildungskarenz, Bildungsteil-
                                      zeit und Fachkräftestipendium. ●

                                      Pension. Die Broschüre gibt einen      Download:
                                      Überblick über Pensionsarten und       https://gpa-djp.at/pensionen_2019
                                      Anspruchsvoraussetzungen und
                                      setzt sich dabei auch mit der Finan-
                                      zierbarkeit und Zukunftsfähigkeit
                                      des Systems auseinander.         ●
KURZMELDUNGEN

                                      Arbeitszeit. Der „Kompass faire        Download:
                                      Arbeitszeiten“ behandelt die viel-     www.gpa-djp.at/faire-arbeitszeiten
                                      fältigen Bereiche zum Thema Ar-
                                      beitszeit: rechtliche Grundlagen,
                                      Handlungsmöglichkeiten der Be-
                                      triebsrätInnen und Tipps für die
                                      Praxis.                       ●

                         ARBEITSZEIT

                         All-in-Rechner neu
                         Neues Gesetz. Die Änderungen im Arbeitszeit-        ten Stunden auch bezahlt werden. Auch
                         gesetz - insbesondere die höheren Höchstar-         für All-in-Verträge gelten Höchstarbeitszeit-
                         beitszeitgrenzen - wirken sich erheblich auf        grenzen, Mindestgehälter und Überstunden-
                         All-in-Verträge aus. Für diese gelten seither       zuschläge.                                ●
                         30 Prozent mehr zulässige Überstunden pro
                         Jahr. Weiterhin gilt jedoch, dass mit einem         All-in-Rechner testen:
                         All-in-Vertrag nicht automatisch alles abgegolten   http://allinrechner.at
                         ist. Der All-in-Rechner der GPA-djp leistet
                         schon seit einigen Jahren einen wichtigen
                         Beitrag dazu, diesen Mythos zu besei-
                         tigen. Mithilfe weniger Angaben be-
                                                                                                                                         Foto: GPA-djp

                         rechnet er, ob die tatsächlich gearbeite-

        18                                                                                                            2/2019 KOMPETENZ
KURZMELDUNGEN
                  SOZIALVERSICHERUNG

                  Hohe Kosten und mehr Macht für Arbeitgeber!
                  Neue Gremien. Mit 1. April haben die neuen
                  Gremien der Sozialversicherung ihre Arbeit auf-
                  genommen. Die vom Nationalrat beschlossene
                  Umstrukturierung bringt eine Machtverschie-
                  bung zugunsten der Arbeitgeber. „Die Bundes-
                  regierung behauptet, die Umstrukturierungen
                  brächten Einsparungen, die als Patientenmilli-
                  arde den Versicherten zugute kommen würden.
                  Bislang sind aber nur Mehrkosten zu sehen. Zu-
                  letzt allein durch die Ausschreibung von Bera-
                  tungshonoraren in der Höhe von fast zehn Mil-
                  lionen Euro“, kommentiert Barbara Teiber, die
                  für die Gewerkschaften auch in der neuen Öster-
                  reichischen Gesundheitskasse (ÖGK) vertreten
                  sein wird, die Vorhaben der Bundesregierung.
                  Die Verwaltungskosten in der österreichischen
                  Sozialversicherung sind mit 2,6 Prozent sehr ge-
                  ring. Die Kosten für die Selbstverwaltung bewe-
                  gen sich im Promillebereich. Da gibt es keinen
                  Spielraum für große Einsparungen. Es ist daher
                  zu befürchten, dass die Ankündigung, im „Sys-
                  tem zu sparen“ zu Lasten der Beschäftigten und
                  Versicherten gehen wird.                     ●

                  Mehr zum Thema auf
                  Kompetenz online:
                  http://bit.ly/kassenfusion
                  http://bit.ly/SV-reform

                  ELEKTROINDUSTRIE                                    ERWACHSENENBILDUNG

                  3,4 Prozent mehr in der                             3,3 Prozent mehr in der
                  Elektroindustrie                                    Erwachsenenbildung
                  Kollektivvertrag. Der Kollektivvertrags-Ab-         Kollektivvertrag. Der Kollektivvertragsab-
                  schluss für die 50.000 Beschäftigten der            schluss für die etwa 7.000 Beschäftigten in priva-
                  Elektro- und Elektronikindustrie bringt ab 1. Mai   ten Bildungseinrichtungen (BABE) bringt ab 1.
                  eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 3,2 Prozent      Mai ein Gehaltsplus bis zu 3,3 Prozent. Die Lehr-
                  auf IST-Löhne und -Gehälter und 3,4 Prozent auf     lingsentschädigung wird um 3,2 Prozent erhöht.
                  KV-Löhne und -Gehälter . Die Lehrlingsentschä-      Ein zusätzlicher Urlaubstag kann nach 7 Jahren
                  digungen werden um bis zu 22 Prozent erhöht.        im Betrieb in Anspruch genommen werden statt
                  Die Zuschläge für die 11. und 12. Arbeitsstunde     bisher nach 10 Jahren; ein weiterer nach 12 statt
                  betragen künftig 100 Prozent. Dazu kommt eine       bisher 15 Jahren. Die Abrechnung von Elternka-
                  bezahlte Pause bei überlangen Arbeitszeiten und     renzzeiten wurde verbessert, ebenso der Zugang
                  ein Rechtsanspruch auf den Papamonat. ●             zu Familienzeit und Väter-Frühkarenz.          ●
Grafik: GPA-djp

                  Aktuelle Infos zu allen Kollektivverträgen
                  der GPA-djp:
                  https://www.gpa-djp.at/kollektivvertrag

                  KOMPETENZ 2/2019                                                                                            19
PORTRÄT Betriebsrat

            Dem Sport, dem Betriebsrat
            und sich selbst treu geblieben
            Rudolf Kortenhof ist Betriebsratschef der Raiffeisen Bank und hält mit seiner Position als
            christlicher Arbeitnehmervertreter keineswegs hinter dem Berg – weder bei schwierigen
            Gehaltsverhandlungen noch gegenüber umstrittenen Regierungsbeschlüssen.

S
        ogar inmitten von „mühsa-     für die ArbeitnehmerInnen zu er-                               mervertretung bleibt mehr Frei-
        men“ Verhandlungen über       wirken.                                                        zeit und Weiterbildungsmöglich-
        den neuen Kollektivver-          Kortenhof hat den Ruf, ein gu-                              keiten als Ausgleich dafür, dass
trag (KV) für die 73.000 Bankan-      ter Verhandler zu sein. Mit wel-                               immer weniger MitarbeiterInnen
gestellten österreichweit gibt sich   cher Taktik? Das ist ganz einfach:                             immer mehr Aufgaben – aufgrund
Rudolf Kortenhof, Betriebsrats-       „Man muss sein Geschäft verste-                                zunehmender gesetzlicher Vor-
chef der Raiffeisen Bank Inter-       hen, das ist die halbe Miete. Man                              schriften (höheres Eigenkapital
national (RBI), betont ruhig und      muss als Betriebsrat Verständnis                               etc.) – erledigen, so der oberste Be-
kontrolliert. Das Problem: Der Fi-    und Wissen darüber haben, wie                                  triebsrat.
nanzbranche geht es extrem gut.       das eigene Unternehmen funkti-
Ein Paradoxon.                        oniert.“ Er hat jahrzehntelang im                              EUROBETRIEBSRAT
   „Wir haben historische Bester-     Kundengeschäft gearbeitet. Da          ZUR PERSON:                Vielschichtig ist auch die prak-
                                                                             Rudolf Kortenhof,
gebnisse, und trotzdem war die        kann ihm bei Gehaltsverhandlun-        geboren 1961 ist seit   tische Funktionsausübung von
Arbeitgeberseite zunächst nicht       gen ein Personalist nicht so schnell   2015 Betriebsrats-      Rudolf Kortenhof, der genau ge-
                                                                             vorsitzender der
bereit, mehr an die MitarbeiterIn-    ein X für ein U vormachen.             Raiffeisen Bank         nommen Vorsitzender des Eu-
nen abzugeben“, erklärt Korten-          Wenn zusätzlich die gesam-          International (RBI)     ropäischen Betriebsrates von
                                                                             und Mitglied im
hof im Interview mit der KOM-         te Branche mit wirtschaftlichem        Verhandlungsteam für
                                                                                                     RBI ist. Ein Eurobetriebsrat ist
PETENZ. Waren in den vergange-        Rückenwind glänzt, wäre es für         den Bankenkollektiv-    in Unternehmen vorgesehen, so-
                                                                             vertrag.
nen Jahren noch Folgen der Krise      die Seite der ArbeitnehmerInnen                                bald 1.000 ArbeitnehmerInnen in
von 2008/2009 zu spüren, gebe es      nicht einzusehen gewesen, sich am                              den Mitgliedsstaaten und jeweils
2019 „praktisch täglich Erfolgs-      Vorjahresniveau von 2,66 Prozent                               mindestens 150 ArbeitnehmerIn-
                                                                                                                                             Foto: Sebastian-Philipp

meldungen von diversesten Ban-        als Gehaltserhöhung zu orientie-                               nen in zumindest zwei EU-Län-
ken über beste Ergebnisse.“ Ihm       ren, wie von der Arbeitgeberseite                              dern beschäftigt werden. „Ab-
war es daher wichtig, gerade jetzt    ursprünglich angeboten. Eine auf-                              hängig davon welchen Hut man
eine „spürbare Gehaltserhöhung“       rechte Forderung der Arbeitneh-                                trägt, hat man unterschiedliche

20                                                                                                                        2/2019 KOMPETENZ
Betriebsrat PORTRÄT

                          Themen abzudecken als Eurobe-                                  Arbeiterkammer (AK), was die              Nur: Was macht das mit einem
                          triebsrat.“                                                    Fraktion Christlicher Gewerk-          Christgewerkschafter wie Kor-
                             In Österreich ist die RBI-Grup-     Kollektivvertrags-      schafterInnen (FCG) betrifft.          tenhof? „Ich fühle ich mich als Ar-
                                                                 abschluss für
                          pe mehr von großen Firmenkun-                                  „Nicht berauschend“, sagt dazu         beitnehmervertreter manchmal
                                                                 Beschäftigte bei
                          den, weniger vom „Retail Ban-          Banken:                 Christgewerkschafter Kortenhof         sehr gefordert“, formuliert er no-
                          king“, also Einzelhandelsgeschäft                              – gleichzeitig erleichtert, dass die   bel. Man habe das Gefühl, es wer-
                                                                 Die Gehälter steigen
                          der Banken, geprägt. Trifft sich       im Schnitt um 3 Pro-
                                                                                         „Freiheitlichen Arbeitnehmer“          de nicht gehört, wenn Betroffene
                          Kortenhof hingegen im Rahmen           zent. Die Mindest-      (sic) nicht in dem Ausmaß dazu-        aus der täglichen Arbeitserfah-
                          des Europäischen Betriebsra-           grundgehälter werden    gewonnen haben, wie erwartet,          rung Bedenken äußern.
                          tes mit den internationalen Kol-       rückwirkend mit 1.4.    „Gott sei Dank“. Mit einem Mi-            „Wir haben in Österreich –
                                                                 2019 um 2,5 Prozent
                          legInnen, geht es schon mal um                                 nus von 0,5 Prozent ist die FCG        noch – eine Kultur, wo man ver-
                                                                 zuzüglich 14,50 Euro
                          Filialschließungen oder wie die        erhöht, das ist eine    in Wien dennoch – hinter der           sucht, sich in einer gemeinsa-
                          digitale Umstellung und der Ab-        Erhöhung zwischen       Fraktion Sozialdemokratischer          men Lösung wiederzufinden,
                          bau von MitarbeiterInnen zu ver-       2,8 bis 3,37 Prozent.   GewerkschafterInnen (FSG) mit          und wo man nicht einfach Dinge
                          kraften sind.                          Mehr zum Finance-       60,7 Prozent weit abgeschlagene        beschließt, ohne die Sozialpart-
                             Vor mehr als 20 Jahren stieß        Kollektivvertrag:       – zweitstärkste Fraktion (9,8 Pro-     ner einzubinden. Auf die Dauer
                          Rudolf Kortenhof von der dama-         gpa-djp.at/finance      zent) geblieben.                       wird man nichts Gutes erreichen,
                          ligen Creditanstalt zur jetzigen                                  Das führt Kortenhof, noch be-       wenn man so einseitig agiert.“ Ist
                          Raiffeisen. Einige Jahre später                                vor er danach gefragt wird, sehr       dieses Vorgehen einer Regierung
                          wurde er Betriebsrat, Vorsitzen-                               wohl auf die bisherige Arbeit-         unter dem Bundeskanzler einer
                          der des gesamten Gremiums ist er                               nehmerInnenpolitik der Bun-            vermeintlich christlich-sozialen
                          seit 2015. Warum hat er sich dazu                              desregierung zurück. Über sei-         Partei noch christlich? „Mit unse-
                          entschlossen? Einerseits brauche                               nem Stehschreibtisch hängt ein         rem Verständnis von christlicher
                          man ein gewisses (Dienst-)Alter,                               schlichtes, aber unübersehbares        Gewerkschaftsarbeit hat das we-
                          so der 1961 geborene Banker. An-                               Kreuz. Der FCGler ist jedoch kein      nig zu tun“, meint Kortenhof un-
                          dererseits hat ihn der Sport zum                               ÖVP-Mitglied. „Ich bin nicht mit       verblümt.
                          Betriebsrat geführt. Beidem ist er                             allem einverstanden, was von der          Derweil freut sich der Hob-
                          treu geblieben. Angesprochen auf                               Regierung kommt“, sagt er klipp        byphilosoph auf das nächste Se-
                          seine Leistungen als Hobbysport-                               und klar. Er habe auch intensive       minar bei einer privaten Akade-
                          ler, meint er zunächst charmant,                               Diskussionen mit ÖVP-General-          mie für philosophische Weltdeu-
                          ob das nicht eine Verwechslung                                 sekretär Karl Nehammer gehabt          tung im Juni. Einige Kolloquien
                          mit seinem Sohn sei. Doch Meis-                                und ihm eröffnet, dass so man-         etwa zu Skeptizismus oder der
                          terschaften bestreitet er selbst so-                           che Regierungsmaßnahme „die            Existenz von Gott hat er schon
                          wohl im Tennis als auch im Ski-                                ArbeitnehmerInnen im Tagesge-          besucht – damit er sich nicht nur
                          fahren. Und er fährt noch immer                                schäft ganz anders betrifft, als ihr   mit Bank- und ArbeitnehmerIn-
                          Skirennen für die RBI, wenn-                                   das glaubt“.                           nenthemen beschäftigt. Das ist
                          gleich die arbeitsrechtlichen As-                                                                     für Rudolf Kortenhof „wie Urlaub
                          pekte überhandgenommen ha-                                                                            im Kopf“.                       ●
                          ben.                                                                                                                    Heike Hausensteiner
                             2019 fanden etwa die 51. Wie-
                          ner Banken-Skimeisterschaften
                          statt. Alle Bank-Angestellten in
                          Wien sind bei diesem Bewerb
                          startberechtigt. Das 50-Jahr-Jubi-
                          läum im Vorjahr hat der Raiffei-
                          sen-Betriebsratschef mit seinem
                          Team organisiert. Der jährliche
                          Fixpunkt für die MitarbeiterIn-
                          nen ist so etwas wie das soziale
                          Sahnehäubchen im Arbeitsjahr.
Foto: Sebastian-Philipp

                          „Das hat verbindenden Charak-
                          ter.“
                             Weniger erfreulich war zuletzt
                          freilich das Wahlergebnis in der

                          KOMPETENZ 2/2019                                                                                                                        21
EUROPA Parlamentswahl

                         Ja zu Europa,
                         aber einem anderen Europa
                         Am 26. Mai wird das EU-Parlament gewählt. Das Wahlergebnis entscheidet,
                         für wen die Europäische Union in den nächsten fünf Jahren Politik machen wird.

                         W
                                      erden die Interessen         Die Europäische Union beein-      EU-Kommission muss mehr Vor-
                                      von großen Konzer-        flusst unser Leben stärker als man   schläge für ein sozialeres Europa
                                      nen weiterhin im Fo-      oft denkt. Gut 70 Prozent der ös-    liefern“, fordert Evelyn Regner,
                         kus sein? Oder wird endlich das        terreichischen Gesetze haben ih-     Mitglied des Europäischen Parla-
                         Wohlstandsversprechen, das den         ren Ursprung auf europäischer        ments und ehemalige Leiterin des
                         513 Millionen EU-BürgerInnen           Ebene. Sie betreffen etwa Stan-      ÖGB-Europabüros in Brüssel.
                         gegeben wurde, eingelöst? Wie          dards für Umweltschutz, die För-        Ein wahrnehmbarer Erfolg
                         notwendig die Stärkung der sozi-       derung von Gleichbehandlung          der Säule Sozialer Rechte war
                         alen Dimension der EU ist, zeigt       oder Rechte von VerbraucherIn-       die Richtlinie für eine bessere
                         derzeit der Brexit: Zu lange haben     nen. Darüber hinaus ist der ge-      Work-Life-Balance. Mit ihr soll er-
                         die Menschen zu wenig von der          meinsame Wirtschaftsraum ins-        reicht werden, dass Männer mehr
                         EU gespürt, die neoliberale Aus-       besondere für die österreichische    von der Pflegearbeit übernehmen
                         teritäts- und Sparpolitik hat sozi-    Industrie unerlässlich geworden.     und die Möglichkeit bekommen,
                         ale Ungleichheit verschärft, pre-                                           Zeit mit ihrem Kind zu verbrin-
                         käre Beschäftigung normalisiert        AUF SOZIALEN ERRUNGEN-               gen. ArbeitnehmerInnen, die An-
                         und Arbeitslosigkeit und Armut         SCHAFTEN AUFBAUEN                    gehörige pflegen, werden besser
                         geschaffen. Auf diesem Nährbo-            Seit 2017 gibt es die Europä-     abgesichert.
                         den konnten EU-skeptische, po-         ische Säule Sozialer Rechte, die        „Ich habe die Verhandlungen
                         pulistische und (neo-)nationalis-      sich damit befasst, wie die EU in    zur Work-Life-Balance-Richtli-
                         tische Ideologien gedeihen. Übrig      Zukunft effizienter auf Heraus-      nie im Europäischen Parlament
                         bleiben in Großbritannien derzeit      forderungen bei Beschäftigung        begleitet, und wir konnten den
                         nur politisches Chaos, stagnieren-     und Sozialem reagieren kann. Sie     Kommissionsvorschlag in vielen
                         des Wirtschaftswachstum, soziale       besteht aus 20 – rechtlich unver-    Punkten nachbessern“, erzählt
Evelyn Regner:
„Ich habe die Verhand-   und persönliche Unsicherheit.          bindlichen – Prinzipien, etwa zu     Evelyn Regner. „Zum Beispiel
lungen zur Work-Li-         „Die EU ist derzeit in keiner       aktiver Arbeitsmarktpolitik, Ge-     konnten wir den Rechtsanspruch
fe-Balance-Richtlinie    leichten Lage“, analysiert Sophia      schlechterchancengleichheit, fai-    auf zehn Tage bezahlten Vater-
im Europäischen Par-
                         Reisecker, Leiterin der Abteilung      ren Löhnen, Mitbestimmungs-          schaftsurlaub durchsetzen. Es
lament begleitet und
wir konnten den Kom-     Europa, Konzerne, Internationa-        rechten von Beschäftigten oder       sind solche konkreten Maßnah-
missionsvorschlag        les in der GPA-djp. „Politisch steht   Gesundheitsvorsorge.                 men, die wir in Europa brauchen,
nachbessern. Zum Bei-    auf der einen Seite das Europa der        „Es ist dringend notwendig,       um auf Herausforderungen in der
spiel konnten wir den
                         Grenzzäune, der Abschottung,           dass wir das Vertrauen der Arbeit-   Gesellschaft zu reagieren.“
Rechtsanspruch auf
zehn Tage bezahlten
                         der Einschränkung von Demokra-         nehmerInnen in die EU stärken.
Vaterschaftsurlaub       tie und Medienfreiheit – Orbán,        Von einer schwachen EU profi-        SOZIALE RECHTE MÜSSEN
durchsetzen.“            Kaczynski & Co. Auf der ande-          tieren nur die ganz Großen, die      VORRANG HABEN
                         ren Seite streben Macron, Rutte        es sich ohnehin richten können.         Die EU-Verträge bevorzugen
                         und andere ein Europa der Eliten,      Denn Europa wird sozial sein,        derzeit klar die wirtschaftlichen
                         der Liberalisierung des Binnen-        oder es wird nicht sein. Die Säule   Binnenmarktfreiheiten. Arbeit-
                         markts und der Deregulierung           Sozialer Rechte ist nicht zuletzt    nehmerInnenrechte, Kollektiv-
                         an. Dazwischen werden die Ar-          auf den politischen Druck von        verträge und Sozialschutz wer-
                                                                                                                                            Foto: Nurith Wagner-Strauss

                         beitnehmerInnen vergessen oder         uns GewerkschafterInnen zu-          den nachrangig behandelt. Der
                         gar zerrieben. Umso wichtiger ist      rückzuführen. Sie ist zwar nicht     ÖGB fordert, dass bei der nächs-
                         es, diese Kräfte im Europäischen       rechtsverbindlich, sie muss aber     ten Öffnung der Verträge ein so-
                         Parlament zu stärken, die sich für     als Kompass für unsere zukünf-       ziales Fortschrittsprotokoll in ih-
                         soziale Rechte einsetzen!“             tige Arbeit gelten. Die nächste      nen verankert werden soll: Damit

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