KULTUR. POLITIK. DISKURS - HEFT 17| 2017 Aus Lehre und Forschung des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim - Uni Hildesheim
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
KULTUR. POLITIK. DISKURS. HEFT 17| 2017 Aus Lehre und Forschung des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim
KULTUR. POLITIK. DISKURS. Editorial Willkommen im Weißen Haus! Auf dem Kulturcampus der Domäne Marienburg wird weniger Einfalt getwittert und schon gar nicht politisch polarisiert, hier wird Vielfalt gelehrt und kooperativ geforscht in Kulturpolitik, Kulturmanagement und Kultureller Bildung. Die guten Nachrichten gleich mal vorweg: Der UNESCO-Lehrstuhl „Cultural Policy for the Arts in Development“ am Institut für Kulturpolitik der Uni- versität Hildesheim wurde in Paris positiv evaluiert und für vier weitere Jahre reakkreditiert; zusammen mit dem Center for World Music konnte die Gradu- ate School „Performing Sustainability. Cultures and Development in West-Africa“ beim Deutschen Akademischen Aus- tauschdienst eingeworben werden; und fünf Forschungsarbeiten wur- den erfolgreich zum Abschluss gebracht. Dr. Thomas Renz präsentierte 2016 zusammen mit der Hildesheimer Honorarprofessorin Dr. Susanne Keuchel die erste Kirchenmusikstud- ie. Er war es auch, der mehr als 2.500 Jazzmusiker_innen befragte und über ihre soziale und ökonomische Situation nachlesenswert Auskunft gibt. Beate Kegler kümmerte sich um „Kulturelle Bildung im ländlichen Raum“ und konnte kulturpolitische Projekte für Brandenburg, Hessen und Sachsen empfehlen. Dr. Vera Allmanritter beschäftigte sich mit Audience Development in der Migrationsgesellschaft und entwickelte im Rahmen ihrer Tätigkeit am Jüdischen Museum in Berlin ein stra- tegisches Modell zur zentralen Kulturvermittlung. Christine Henniger und Dr. Henning Fülle gewannen Erkenntnisse für ein Konzept zum kulturellen Gedächtnis des Freien Theaters in Deutschland im Rah- men des Forschungsprojekts „Performing the Archive“, das dezentral, digital und föderal verwirklicht werden soll; mit dabei: der Bund und die Länder Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg und Sachsen sowie die Stiftung Niedersachsen. 3
Editorial Drei Publikationen erblickten 2016 das Licht der Welt: „Teilhabe- orientierte Kulturvermittlung“ versammelt unter der Herausge- berschaft von Prof. Dr. Birgit Mandel Beiträge zu den Diskursen und Konzepten für eine Neuausrichtung des öffentlich geförderten Kulturlebens (Bielefeld), „Kulturarbeit in Transformationsprozessen“, herausgegeben von Prof. Dr. Wolfgang Schneider und Anna Kaitinnis, dokumentiert und diskutiert Innenansichten zur „Außenpolitik“ des Goethe-Instituts (Wiesbaden) und „Das Freie Theater im Europa der Gegenwart“ (Bielefeld) fasst zusammen, was die Untersuchun- gen in einem fünfjährigen Forschungsprojekt von Prof. Dr. Manfred Brauneck und dem Deutschen Zentrum des Internationalen Theater- instituts an Erkenntnisse zu Strukturen, Ästhetik und Kulturpolitik zu Tage gefördert haben; mit dabei die in Hildesheim Promovierten Azadeh Sharifi und Henning Fülle sowie die in Hildesheim Lehrenden Matthias Rebstock und Wolfgang Schneider. Drei Tagungen prägten die akademische Auseinandersetzung 2016: „Theatre in Transformation“, ein Forschungsatelier in Südafrika des UNESCO-Chair am South Af- rican State Theatre, Pretoria, an der Tshwane University of Technology, Pretoria, und am Soweto-Theatre in Johannesburg, mit freundlicher Unter- stützung des Goethe-Instituts; „Von Mythen zu Erkenntnissen?“, die siebte Tagung des Netzwerks Forschung Kul- turelle Bildung in der Bundesakademie Wolfenbüttel, in Kooperation mit dem Stiftungsverbund Rat für Kulturelle Bil- dung; „The Role of Arts in Transitional Tunisia. Rethinking Cultural Policy and International Cultural Relations“, ein Kultur trifft Politik trifft Forschung: Beim trinationalen Forschungsatelier in Tunis war er weiteres Forschungsatelier des UNES- von Anfang an beteiligt; zunächst als Professor für CO-Chair als trinationale Begegnung Musikethnologie, dann als Kulturminister von Tunesien: Mohamed Zine el Abadine (rechts); zukünftig als Partner mit Studierenden der Universitäten in in Sachen Theaterpolitik mit dabei: Lasaard Jemoussi Casablanca, Hildesheim und Tunis, ge- (links), Direktor des Karthago-Festivals und Co Autor der internationalen Deklaration „on the Protection of Artist in fördert vom Deutschen Akademischen Vulnerable Situation“ Austauschdienst. 4
Editorial Und von drei Personalia gilt es zu beri- chten: Dr. Tobias Fink hat sich beruflich verändert und vom Institut verabschiedet, die Doktorandin Beate Kegler gehört wie- der zum Team und verstärkt die Lehre in der Kulturellen Bildung und die Forschung zur Kommunalen Kulturpolitik und die Doktorandin Meike Lettau übernimmt am UNESCO-Chair die wissenschaftliche Mit- arbeit an der DAAD-Graduate School. Das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim geht in sein Mit Magna Cum Laude promoviert: Dr. Tobias zwanzigstes Jahr, engagiert in seiner anwendungsorientierten Kultur- Knoblich, Dr. Annika politikforschung, zusammen mit motivierten Studierenden in der Lehre Holland und Dr. Henning Fülle (v.l.n.r.), der Hildesheimer Kulturwissenschaften, gefragt mit Expertisen im kul- dahinter Dekan (Prof. turpolitischen Diskurs, lokal, national und international. Wir freuen uns Dr. Jens Roselt) und Doktorvater anlässlich auf die Partnerschaften, Podien und Projekte in 2017. einer akademischen Feierlichkeit der Uni- versität Hildesheim Mit schönen Grüßen Prof. Dr. Wolfgang Schneider 5
Inhalt FORSCHUNG 11 Sarah Kuschel Kulturagenten als Kooperationsstifter? Ergebnisse aus einer Begleitforschung auf einem Fachtag 14 Thomas Lang „Performing the Archive“ Zur Geschichtsschreibung Freien Theaters 17 Ulrike Smolka Report Kirche und Musik Studie zu einer oft übersehenen Musikpraxis 20 Thomas Renz jazzstudie2016 Ergebnisse einer Arbeitsmarktforschung 22 Julius Heinicken Bericht aus Berlin Über einen wissenschaftlichen Einbruch in den Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Deutschen Bundestages 24 Vera Allmanritter Audience Development in der Migrationsgesellschaft Eine Dissertation über neue Strategien für Kulturinstitutionen KULTURELLE BILDUNG 27 Sarah Kuschel „Von Mythen zu Erkenntnissen?“ Die 7. Tagung des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung 32 Beate Kegler Kulturelle Bildung in ländlichen Räumen Studie aus dem Institut für Kulturpolitik bewegt Akteure in Brandenburg, Hessen und Sachsen 6
Inhalt Meike Lettau 34 Künste und Kulturpolitik in Tunesien Bericht von einem trinationalen Forschungsatelier Jaqueline Streit 39 Wissenschaft trifft Praxis Stiftung Universität Hildesheim kooperiert mit der Bundesakademie Wolfenbütttel Wolfgang Schneider 43 Die Kunst, Kultur zu vermitteln Laudatio zum Kulturvermittlungspreis der Stadt Wolfenbüttel LEHRE 48 Lehrveranstaltungen des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim Wolfgang Schneider Die Vermessung der Soziokultur 51 Tobias J. Knoblich beforscht in seiner Dissertation Programmformeln und Praxisformen KULTURPOLITIK IM INTERNATIONALEN VERGLEICH Anna Kaitinnis, Meike Lettau 56 Internationale Kulturpolitikforschung Diskurse und Perspektiven von der 9. International Conference on Cultural Policy Research (ICCPR) in Seoul Maximilian Gallo 59 kuwi abroad Unsichtbare Ungerechtigkeit in Litauen – Beobachtungen aus dem Bachelor Plus Auslandsjahr 7
Inhalt 61 Beate Kegler Cultural Participation for Rural Development Travelling Academy der ENCC zu Gast in Hildesheim 65 Theresa Bärwolf Auf den Spuren der Médiation Culturelle de l’Art Beobachtungen an der Aix-Marseille Université 68 Kistina Jacobsen Hildesheim auf dem Weg zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025? Das Institut für Kulturpolitik als Prozessbegleiter 71 Theresa Frey, Petra Jeroma, Johanna Kraft Is South African Theatre „still in a honeymoon“? Ein Bericht vom Forschungsatelier „Theatre in transformation“ in Pretoria KULTURMANAGEMENT 81 Birgit Mandel Vom Audience Development zum Community Building Neue Konzepte für eine sozial integrative Kulturvermittlung 84 Stephanie Michels Kulturpolitik in der Kaufmanns-Nation Auf Exkursion in den Niederlanden THEATER 88 Christine Dettelbacher „Das Freie Theater im Europa der Gegenwart“ Ein theaterpolitischer Sammelband mit Hildesheimer Beiträgen 91 Micha Kranixfeld Theater als urbaner Mehrfachstecker Beobachtungen aus dem Forschungsatelier „Our Common Futures“ in Braunschweig 8
Impressum KULTUR. POLITIK. DISKURS. Aus Lehre und Forschung des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim Heft 17|2017 Herausgegeben von Prof. Dr. Wolfgang Schneider Redaktion: Sarah Kuschel unter Mitarbeit von Sabine Karmrodt Institut für Kulturpolitik Universität Hildesheim Universitätsplatz 1 D - 31141 Hildesheim Weißes Haus 46 Domänenstraße 1 Kulturcampus Domäne Marienburg Telefon: 0 51 21 / 8 83 – 20 100 Fax: 0 51 21 / 8 83 – 20 111 E-Mail: karmrodt@uni-hildesheim.de www.uni-hildesheim.de ISSN 1436-8366 Satz und Gestaltung: Verena Andreas verena.andreas@vodafone.de Fotonachweis: Cover Alvina Lehmann, S. 4 Marie Urban, S. 5 Isa Lange, S. 11, 12 Julia Breit, S. 14 Friedemann Simon, S. 21 Deutscher Bundestag, S. 29 Ali Abodera, S. 32 Heinz Kegler, S. 39 Bundesakademie für Kulturelle Bildung, S. 41 Bundesakademie, S. 44, S. 46, S. 53 Kulturpolitische Gesellschaft e.V., S. 55 (o.) Thomas Imo, S. 55 Thomas Heinicken, , S. 56 Soyean Goak, S. 60 Heikki Tuomas Aho, S. 70 Michèle Brand, S. 71 Gregor Pellacini, S. 72 Rolf C. Hemke, S. 78, 79, 80 Rolf C. Hemke, S. 86 Constanze Flamme, S. 92 Daniel Gad Alle Rechte vorbehalten, auch die der auszugsweisen Vervielfältigung. 10
Kulturagenten als Kooperationsstifter? Ergebnisse aus einer Begleitforschung auf einem Fachtag von Sarah Kuschel Die Frage wie Kunst und Kultur als fester Bestandteil in den Alltag von Kindern und Jugendlichen integriert werden kann, ist seit vielen Jahren Gegenstand des Diskurses um Kulturelle Bildung in Deutschland. Eine Schlüsselrolle wird in diesem Kontext der Schule zugeschrieben. Vor die- sem Hintergrund wurde zwischen 2011 und 2015 das Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“ durchgeführt, das unter der Lei- tung von Dr. Tobias Fink sowie Prof. Dr. Wolfgang Schneider und unter der Mitarbeit von Dr. Thomas Renz und Dr. Doreen Götzky von der Universität Hildesheim begleitet und erforscht wurde. Die Ergebnisse der Begleitforschung wurden auf dem Fachtag „Aus Modellprogram- men lernen. Forschungsergebnisse zum Pro- gramm Kulturagenten für kreative Schulen“ am 16. Juni 2016 in Hildesheim vorgestellt und diskutiert. „Kulturagenten für kreative Schulen“. Das Modellprogramm Initiiert und gefördert von der Stiftung Mer- cator und der Kulturstiftung des Bundes, ist das Modellprogramm „Kulturagenten für kreative Schulen“ mit einer Förderung von jeweils bis zu 10 Millionen Euro neben „Kul- tur macht stark“ eines der größten Förderprogramme der Kulturellen v.l.n.r. Teresa Darian (Kulturstiftung des Bildung in Deutschland. Beteiligt waren 138 Schulen in den Bundes- Bundes), Prof. Dr. ländern Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen Wolfgang Schneider, Dr. Thomas Renz, und Thüringen, die durch 46 Kulturagenten bei der Entwicklung von Dr. Tobias Fink, Konzepten, der Durchführungen von Projekten und dem Aufbau von Dr. Doreen Götzky, Dr. Tobias Diemer Kooperationen unterstützt wurden. Ziel des Programms war es, ein (Stiftung Mercator) fächerübergreifendes Angebot der Kulturellen Bildung in Schulen und langfristige Kooperationen zwischen Schulen und Kulturinstitutionen sowie mit Künstlerinnen und Künstlern aufzubauen. „Nachhaltige Kooperationen schaffen, eine Herausforderung“. Die Begleitforschung In der Begleitforschung, die in Kooperation mit der Kulturstiftung des Bundes durchgeführt wurde, legten die Forscher_innen den Fokus auf Kooperationen zwischen Schulen und Kultureinrichtungen. FORSCHUNG 11
Generiert wurden Erkenntnisse zur Zu- sammenarbeit zwischen Schulen und Kultureinrichtungen sowie eine theo- retische Fundierung anhand von Model- len, die der Analyse und Weiterent- wicklung von Förderprogrammen dienlich sein können. Im Zentrum der Forschung stand die Analyse der Program- minstrumente im Hinblick auf (langfris- tige) Kooperationen zwischen Schulen und Kunst- und Kultureinrichtungen. Theo- Dr. Tobias Fink, retisch fundiert wurde die Forschung durch die Theorie des Neoinsti- Dr. Thomas Renz und Dr. Doreen Götzky tutionalismus, demzufolge die Problematik von Kooperationen vor al- stellen die Ergebnisse lem in Unterschieden zwischen den beteiligten organisationalen Feldern ihrer Begleitfor- schung vor. Schule und Kultur begründet liegt. Die Entwicklung und Durchführung gemeinsamer Projekte durch Partner aus verschiedenen Feldern stellt aus dieser Perspektive legitimatorisch, organisational, motivational und fachlich eine große Herausforderung dar. Die Forschung zeigt auf, dass die Instrumente des Programms, – KulturagentInnen, Kunstgeld, Kul- turfahrplan und Kulturbeauftragte – in den beteiligten organisationalen Feldern unterschiedlich wirksam wurden. Eine weitere Begleitforschung zum Programm wurde von Prof. Dr. Her- mann Josef Abs (Universität Duisburg-Essen) gemeinsam mit Prof. Dr. Ludwig Stecher (Justus-Liebig-Universität Giessen) unter dem Titel „Ent- wicklung von kultureller Bildung zwischen Schule und externen Partnern im Programm Kulturagenten für kreative Schulen“ durchgeführt. „Aus Modellprogrammen lernen“. Der Fachtag Die Ergebnisse der Begleitforschung wurden über 100 Vertreter_innen aus Kultur-, Bildungs-, und Sozialpolitik, aus Stiftungen und Ministerien sowie WissenschaftlerInnen, PraktikerInnen und ProgrammgestalterIn- nen auf dem ausgebuchten Fachtag präsentiert. Drei sich anschließende Panels diskutierten zentrale Ergebnisse und aus diesen resultierende notwendige Veränderungen für die Weiterentwicklung von Förderpro- grammen im Bereich der Kulturellen Bildung. Präsentierten Dr. Tobias Fink, Dr. Thomas Renz und Dr. Doreen Götzky in Ihrem Vortrag Kulturagenten als Kooperationsstifter zentrale Ergebnisse der Begleit- forschung, nahmen Dr. Helle Becker und Anke Schad in zwei auf den Vortrag folgenden Repliken Stellung zu den Ergebnissen. Im Anschluss beleuchteten und thematisierten drei parallele Panels anhand von Im- pulsbeiträgen eingeladener Expert_innen spezifische Aspekte der 12 FORSCHUNG
Thematik. Das erste Panel widmete sich der Entwicklung von Program- men zwischen inhaltlichen Erfordernissen und politischen Möglichkeiten. Dr. Doreen Götzky diskutierte mit Kerstin Hübner von der Bundes- vereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, Prof. Dr. Dirk Jäschkke aus dem Sächsischen Ministerium für Finanzen sowie Sascha Willenbacher vom Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste Prozesse der Programmentwicklung und mit diesen verbun- denen Herausforderungen. Ausgangspunkt hierfür war die Erkenntnis, dass Programmdesigns nicht nur Ergebnis fachlich-inhaltlicher Überle- gungen sind, sondern rechtlichen, politischen und finanziellen Rahmen- bedingungen unterliegen. Unter dem Titel „Zwischen Kultur, Schule und Sozialem: Ressortübergreifende Zusammenarbeit organisieren“ disku- tierte Dr. Thomas Renz mit Dr. Angelika Tischer von der Senatsver- waltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Anke Schad als Kul- turpolitikforscherin und Evaluatorin sowie dem Kulturagenten Matthias Vogel aus Hamburg Herausforderungen durch das Aufeinandertreffen verschiedener organisationaler Felder. Im dritten Panel thematisierten Dr. Tobias Fink mit Yara Hackstein von der forum k&b und Dr. Helle Becker vom Büro Expertise & Kommunikation für Bildung in Essen die Gestaltung konstruktiver Evaluationen zwischen kritischer Begleitung und Legitimation. Erwartungen von Programmentwickler_innen, För- derern, Implementationsakteuren, Zielgruppen und Wissenschaftler_ innen an Evaluationen und Begleitforschungen sind oftmals kontrovers. Wie kann mit dem Anspruch von Erfolgsevaluation, Prozessbegleitung oder Mitentwicklung angemessen umgegangen werden? Zusammengefasst und dem Plenum präsentiert wurden die Ergebnisse der drei Panels durch Prof. Dr. Vanessa-Isabelle Reinwand-Weiss, Prof. Dr. Birgit Mandel und Nina Stoffers. In einer abschließenden Diskus- sion thematisierte Prof. Dr. Wolfgang Schneider mit Teresa Darian von der Kulturstiftung des Bundes und Dr. Tobias Diemer von der Stiftung Mercator die Relevanz der Erkenntnisse für die zukünftige Entwicklung von Förderprogrammen der beiden Stiftungen. Kulturagenten als Kooperationsstifter? Fink · Götzky · Renz In diesem Buch entwickeln die AutorInnen Grundlagen zur systematischen Erforschung von Förderprogrammen der Kulturellen Bildung. Im Mittel- Tobias Fink Die vollständigen Ergebnisse der Begleitforschung erscheinen unter punkt steht das Programm Kulturagenten für kreative Schulen, das vor dem Hintergrund der Organisationstheorie des Neo-Institutionalismus sowie mit qualitativen und quantitativen empirischen Methoden analysiert wird. Das Untersuchungsinteresse galt dabei vor allem der Frage, ob und wie das Doreen Götzky · Thomas Renz Programm zum Aufbau von Kooperationen zwischen Schulen und Kultur- einrichtungen beitragen konnte. dem Titel „Kulturagenten als Kooperationsstifter? Förderprogramme Der Inhalt • Theoretische Grundlagen • Forschungsstand zur Zusammenarbeit von Schulen und Kultureinrichtungen 1 Kulturagenten als der Kulturellen Bildung zwischen Schule und Kultur“ im Frühjahr 2017 • Analyse der organisationalen Felder Theater, Kooperationsstifter? Museen und Schule aus Perspektive des Neo-Institutionalismus Kulturagenten als Kooperationsstifter? • Die Instrumente des Programms Kulturagenten • Kulturagenten: Die dritte Macht zwischen Schulen und Kulturpartnern • Formen der Zusammenarbeit zwischen Schulen und Kultureinrichtungen im VS Verlag. Die Zielgruppen Programmverantwortliche aus Stiftungen und Ministerien, Dozierende und Studierende der Pädagogik, Erziehungs- und Kulturwissenschaften. Die AutorInnen Förderprogramme der Kulturellen Bildung zwischen Schule und Kultur Dr. Tobias Fink ist Erziehungs- und Kulturwissenschaftler. Er war bis 2016 Geschäftsführer des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und leitet eine Fachschule für Soziale Berufe. Dr. Doreen Götzky ist Kulturwissenschaftlerin. Sie war bis 2015 wissenschaft- Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse finden Sie unter: liche Mitarbeiterin am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und ist Kulturabteilungsleiterin beim Landesverband Lippe. Dr. Thomas Renz ist Kulturwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbei- ter am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. https://www.uni-hildesheim.de/media/fb2/kulturpolitik/forschung/Kultura- ISBN 978-3-658-15008-2 9 783658 150082 genten_Uni_Hi_Zusammen_Ergebnisse.pdf. FORSCHUNG 13
„Performing the Archive“ Zur Geschichtsschreibung Freien Theaters von Thomas Lang Bereits der Titel „Performing the Archive“ weist hin auf konzeptionel- len Mut: Der reflektierte und ästhetisch umgesetzte Umgang mit ei- gener Geschichte und ihrem erhaltenem Material ist bereits am Anfang mitgedacht. Zudem man diesen Impuls der Projektträger – Bundes- verband Freie Darstellende Künste, Dachverband Tanz Deutschland, Internationales Theaterinstitut Zentrum Deutschland und dem NRW Kultursekretariat sowie als ausführende Organisation das Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim – wahrlich nicht als zeitlose Idee oder Rückzug auf die alleinige „Pflege des kulturellen Erbes“ zu sehen hat. Sondern als folgerichtigen Schritt in der Zeit eines er- sten einschneidenden Generationswechsels der Szene des Freien Theaters in diesem Land. Betrachtet man die sozialen und politisch- en Bewegungen der 1970er Jahre, die de- mokratischen Reformbestrebungen und die ersten Aufbrechungsbemühungen der institutionalisierten Theater als Gründung- sphase des Freien Theaters, so ziehen sich deren Macher_innen seit geraumer Zeit aus Das „Kulturelle der Aktivität zurück. Deren Erfahrungswissen und ihr versammeltes Gedächtnis des Freien Theaters“ stand im dokumentiertes Material gilt es angesichts dieser „flüchtigen“ Kunst- Literaturhaus in form Theater, die ihre Kraft doch aus dem Vergänglichen erst zieht, für München zur Debatte, mit dabei: Dr. Christian zukünftigen Entwicklungen nutzbar vorzuhalten. Esch vom Kultur- sekretariat NRW, Elisabeth Bode vom Das Freie Theater, wie auch immer man es eingrenzen will, und im- Theater Pilkentafel mer noch auf eine „fringe“, eine Nischenkultur reduziert, ist doch in Flensburg, Janina Benduski, Vorsitzende mittlerweile „angekommen“. Auch kulturpolitische Entscheidungen des Bundesverbandes wie die Neuorientierungen und Öffnungen einiger Repertoiretheater, Freie Darstellende Künste und Michael etwa an der Volksbühne in Berlin, demnächst in Bochum und auch der Freundt vom Dachver- misstrauisch beäugten Kammerspiele in München, sollten als Indizien band Tanz (v.l.n.r.). dafür gelten dürfen. Ebenso, dass die koproduzierenden Theaterhäuser der freien Produktionsformate (Mouson, Kampnagel, HAU, u.a.) auch in den Förderstrukturen „institutionalisierte“ Stabilität aufweisen. Der richtige Zeitpunkt also, sich seiner Historie zu besinnen und diese nicht 14 FORSCHUNG
nur zu beschwören, sondern distanzierter und sorgfältig zu betrachten und aus dem Wissen über Entwicklungen und Entfaltungen – und Forschungen dazu – Impulse aufzunehmen und voranzutreiben. Kollektivität und Widerständigkeit Und das nicht nur ästhetisch, konzeptionell und strukturell, sondern vor allem politisch: Das Freie Theater verstand sich in den letzten fünf Jahr- zehnten auch und vor allem als Ort und Ausdruck seiner politischen Widerständigkeit, mit seinen Versuchen und Modellen, kollektiver und selbstbestimmter künstlerisch zu agieren, Formen gesellschaftlicher Widerstände zu erweitern, öffentliche Räume und verlassene Indus- trieorte zu besetzen, Debatten im pädagogischen Feld anzuzetteln, Kon- ventionen von Theaterkulturen zu dekonstruieren, neue Formate der Teilhabe zu entwickeln und junge und neue Zuschauer zu binden. So kann ein lebendiges Archiv vital wie bildhaft zu einer politischen und so- zialen Geschichte der Bundesrepublik beitragen. Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Freien Theatergruppe Zinnober in der DDR bleiben. Nun fand in München im dortigen intellektuell inspirierenden Lite- raturhaus im Oktober 2016 eine vom kulturpolitischen Institut der Universität Hildesheim und dem Münchener Kulturreferat veranstalt- eten Konzeptionskonferenz für ein Archiv des Freien Theaters statt. In München auch deswegen, da die Stadt ein dezidiertes Interesse am The- ma vorweist und bereits ein eigenes kommunales Archiv des Freien The- Postkarte zum Projekt “Performing the aters denkt. Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts wurden bild- wie Archive” beispielhaft vorgestellt und in Arbeitsgruppen Fragen an so ein Archiv aus theaterwissenschaftlicher, kulturpolitischer sowie aus künstlerischer und museologischer Sicht erörtert, sorgfältig zusammengetragen und zur weiteren Veröffentlichung aufbereitet (www.theaterarchiv.org). Der Anspruch an so eine Material- und Datensammlung, dezentral, digital und kollektiv zu sein, wurde immer wieder deutlich. Bernhard Thull, Professor am Mediencampus der Hochschule Darmstadt, präsen- tierte Forschungsergebnisse zu offenen, flexiblen und pluralistischen Datenbanken mit Möglichkeiten von Vernetzungsstrategien bereits vorhandener Materialien und Daten. Eine zentrale Bibliographie und die Vernetzung theaterwissenschaftlicher Sammlungen inklusive Hochschul- arbeiten, Dissertationen und Promotionen zum Thema wäre ein prak- tikabler nächster Schritt. Wer diese Macht der Algorithmen mit Sorge wahrnimmt, merke sich: „Die digitale Entwicklung geht so schnell, dass die Furcht nicht nachkommen kann“. FORSCHUNG 15
Nutzbarmachung und Wiederverwendung Und als stete Ausgangsfrage der Konferenz die „Usebility“, die Nutz- barmachung eines derartigen Archivs und seine Vernetzung mit den ak- tuellen Produktionsprozessen des Freien Theaters. Antworten darauf ergeben sich unmittelbar, wenn man zum Beispiel die Bedeutung des Archivs des Kinder- und Jugendtheaterzentrums in der Bundesrepublik Deutschland in Frankfurt am Main betrachtet und den unmittelbaren Einfluss auf die ästhetische Qualitätsentwicklung und quantitative Erweiterung dieser Theaterformate in den letzten Jahren. Ebenso zu erkennen an den Entwicklungen aus den Impulsen von Tanzfonds Erbe (www.tanzfonds.de). Eine besondere Aufgabe käme der Archivierung der Bestände der Ref- erenzsysteme des Freien Theaters zu, der nationalen wie internationalen Festivals und der Gastspielhäuser zum Beispiel. Hier schließlich fänden sich die genaueren Beschreibungen ästhetischer wie konzeptioneller Produktionen sowie ihre kuratorische Bedeutung für die Zeit ihrer Ent- stehung und Wirkung. Nele Hertling, langjährige Leiterin des Hebbel-Theaters in Berlin, fand in ihrem Eröffnungsvortrag – nachzulesen auf der online Plattform nacht- kritik.de – die Bedeutung eines derartigen Archivs „als Ausdruck des Vorhandenen“ nicht nur darin, „der eigenen Geschichte und Bedeutung (des Freien Theaters) habhaft (zu) werden,“ sondern forderte zukünftig folgendes ein: „…vor allem ihre Wiederverwendung, ihre aktive Nut- zung, der Output stellen eine Beziehung zur Gegenwart her, schaffen Möglichkeiten zu Fortsetzungen, bilden neue Zugänge und Schnittmen- gen.“ Also: Performing the archive. Und wer jetzt noch zweifelt: „Wenn wir wissen wollen, was ein Archiv bedeutet haben wird, werden wir es nur in zukünftigen Zeiten wissen“, nachzulesen bei Jacques Derrida in „Dem Archiv verschrieben“ (Berlin 1997, S. 65). Die nächsten Schritte sind vorgezeichnet in den intensiven und sorg- fältig dokumentierten Erörterungsprotokollen der Konzeptionskonfer- enz. Pilotprojekte zu weiteren Verfahrensweisen wären einzurichten, ge- meinsam mit interessierten Theatergruppen Hinweise zur Aufarbeitung vorhandenen und zur Anlage zukünftigen Material zu erarbeiten, dazu künftige Dokumentierungen und Archivierungen förderstrategisch zu verankern, Rechtsfragen im Spannungsfeld von privaten und öffentli- chen Interessen pragmatisch zu entscheiden, Auswahlkriterien von Materialbeständen zu entwickeln und Kooperationen mit kommunalen 16 FORSCHUNG
Archiven, Theaterverbänden und den Theater- und Bibliothekswissen- schaften voranzutreiben. Das alles, damit das Freie Theater Einzug hält in das Feld der Bewahrung des „kulturellen Erbes“. Thomas Lang ist Dramaturg sowie Lehrbeauftragter am Theaterinstitut der Universität Hildesheim und war Theaterreferent an der Bundesakademie Wolfenbüttel. Report Kirche und Musik Studie zu einer oft übersehenen Musikpraxis von Ulrike Smolka Kirchenmusik gibt es in Deutschland fast flächendeckend und in ver- schiedensten Formen und Stilen: Von der großen Stadt bis zur kleinen Auf dem kulturpoli- Gemeinde auf dem Land; vom Orgelspiel über den Posaunen- oder tischen Podium im Michaeliskloster Gemeindechor hin zur Kirchenband und von Bach bis zum Neuen diskutierten (v.l.n.r.): Geistlichen Lied. Damit gehört Kirchenmusik zu den zahlenmäßig be- Markus Lüdke (Musik- land Niedersachsen), deutendsten Bereichen, in denen Menschen aktiv und regelmäßig Musik Prof. Christian Höppner machen. (Generalsekretär des Deutschen Musikrats), Doch wer sind die Akteure und unter welchen Bedingungen arbeiten Dr. Thomas Renz (Uni- sie? Was motiviert sie? Wie zufrieden sind sie? Was sind ihre Erwar- versität Hildesheim), Prof. Dr. Susanne tungen und Wünsche, wo sehen sie Handlungsbedarf ? Wie stark sind Rode-Breymann sie mit anderen Akteuren der (kommunalen) Kultur- und Bildungs- (Präsidentin HMTM Hannover), Prof. Dr. landschaft vernetzt? Susanne Keuchel (Uni- versität Hildesheim) und Prof. Dr. Wolfgang Zu diesen und weiteren Fragen hat der Verband evangelischer Kirchen- Schneider (Universität musiker_innen und Kirchenmusiker in der Evangelisch-lutherischen Hildesheim). Landeskirche Hannovers 2015 das Institut für Kulturpolitik beauftragt, erstmals em- pirische Daten zur Situation aller Kirchen- musiker_innen zu erheben und in einer Studie die internen wie externen Heraus- forderungen und zukünftigen Entwicklun- gen zu diskutieren. Unter der Leitung von Prof. Dr. Susanne Keuchel und Dr. Thomas Renz wurden im Sommer 2015 über 1.000 Kirchenmusiker_innen schriftlich befragt und ein knappes Dutzend qualitative Interviews FORSCHUNG 17
mit ausgewählten Musiker_innen geführt, um diese Ergebnisse zu ver- dichten. Dabei wurde als Kirchenmusiker_in befragt, wer in der Kirche Orgel spielt oder eine Gruppe leitet, nicht jedoch, wer an kirchenmusika- lischen Gruppen ausschließlich teilnimmt (z.B. Kirchen- oder Posaunen- chor). Die Ergebnisse der Studie wurden am 20. April 2016 im Michae- liskloster in Hildesheim vorgestellt und anschließend mit Gästen aus den Bereichen der (Kirchen-)Musik und Kulturpolitik diskutiert. Kirchenmusik trifft auf gesellschaftliche Veränderungen Zunächst lässt sich in Bezug auf Tätigkeiten, Inhalte, Ausbildungen und Anstellungsverhältnisse eine große Heterogenität feststellen. Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, wurden die unterschiedlichen Gruppen der in der Kirchmusik Tätigen betrachtet. In der Regel verfügen hauptamtli- che Kirchenmusiker_innen über A- oder B-Abschlüsse, welche sie durch ein Studium der Kirchenmusik an der einer (Kirchen-)Musikhochschule erlangt haben. Daneben gibt es im kirchenmusikalischen Bereich noch so genannte C- und D-Abschlüsse, die zu ehren- und nebenamtlichen Tätigkeiten qualifizieren: • 9 % Hauptamtliche (A- und B-Abschlüsse) • 28 % Nebenamtliche mit mehreren Arbeitsfeldern (in der Regel C- oder D-Abschlüsse) • 21 % Nebenamtliche, ausschließlich als Organist_innen tätig (in der Regel C- oder D-Abschlüsse) • 13 % Nebenamtliche mit nur einem Arbeitsfeld (in der Regel C- oder D-Abschlüsse) • 13 % Ehrenamtlich Tätige mit Abschluss (in der Regel D-Abschlüsse) • 16 % Ehrenamtlich Tätige ohne Abschluss Mit ihrer Bezahlung sind die kirchenmusikalisch Tätigen insgesamt eher zufrieden und eine geringe Vergütung wird selten als sehr störend emp- funden. Als Motivation steht an erster Stelle der Glauben, es folgen so- ziale Motive und – vor allem im hauptamtlichen Bereich – künstlerische Anliegen. Für nicht-Hauptamtliche stellt die Tätigkeit darüber hinaus auch einen Ausgleich zum Alltag dar. Nur 26% der Befragten sind nicht in der Laienmusikarbeit tätig, sodass kirchenmusikalische Tätigkeiten zugleich einen wichtigen Beitrag zur Breitenkulturarbeit darstellen. Beeinträchtigt sehen Nebenamtliche ihre Tätigkeiten durch mangelnde zeitliche Ressourcen, während Hauptamtliche eine Überforderung in administrativen Bereichen bemängeln. Eine generelle Herausforderung stellt – besonders im ländlichen Raum – der demografische Wandel dar. Die Nachwuchsarbeit wird durch den Ausbau der Ganztagsschule noch erschwert. Zudem ist nur eine Minderheit Mitglied in einem lokalen 18 FORSCHUNG
oder landesweiten Netzwerk oder Verband. Der Organisationsgrad der Hauptamtlichen ist hier insgesamt höher. Doch gerade eine solche Ver- netzung mit anderen (kulturellen) Bildungsakteuren könnte ein wichtiger Schritt für eine künftig gelingende Nachwuchsarbeit sein. Auch sehen viele Befragte Fortbildungsbedarf in der Arbeit mit älteren Teilnehmer_ innen (zum Beispiel Chorarbeit mit älteren Stimmen). Wirkung verbessern, Qualität entwickeln In der kulturpolitischen Podiumsdiskussion im Michaeliskloster stellte sich die Frage, wie Kirchenmusik ihre Wirkung besser entfalten könne. Dafür brauche es vor allem eine Stärkung der Kirchenmusik innerhalb der Kirche und darüber hinaus in der Gesellschaft. Aus musikpolitischer Sicht gehört dazu auch Vernetzungsarbeit, denn oft wüssten Musik- szenen nicht, was in anderen Musikbereichen oder in den Nachbarorten passiert; die Bedeutung von Netzwerkarbeit wurde besonders für den Bereich der Kulturellen Bildung hervorgehoben. Doch gehört Netz- werk-, Öffentlichkeits- und Verwaltungsarbeit sowie die Akquise von Geldern auch in das Aufgaben- und Anforderungsprofil von Kirchen- musiker_innen? Was sind wichtige oder gar entscheidende Kompeten- zen? Da eine Person nicht in allen Bereichen und Musikstilen professio- nell sein könne, könnten Neigungsprofile gebildet werden. Gleichzeitig müsse im Studium eine gewisse Offenheit für Neues vermittelt werden. Qualität ausschließlich an spieltechnischen Fertigkeiten festzumachen bedeute jedoch ein Problem in der Arbeit mit Laien: Was, wenn sie diese recht konkreten Anforderungen nicht (mehr) erfüllen? Hier brauche es vor allem Methoden und ein erweitertes Kunstverständnis. Renz, Thomas und Keuchel, Susanne (Hg.) (2016): Report Kirche und Musik. Eine empirische Analyse der Situation von kirchenmusikalischen Tätigkeiten in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. ARCult Media Köln. Eine Zusammenfassung der Studie steht zum Download bereit unter: https://www.uni-hildesheim.de/media/presse/2016_Kirche_und_ Musik_Ergebnisse_Uni_Hildesheim.pdf (letzter Abruf: 31.10.2016). Weitere Informationen finden sich auf der Seite des Verbandes evan- gelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker der Evangelisch- lutherischen Landeskirche Hannovers e.V. unter http://kirchenmusi- kerverband-hannover.de/kirchenmusiker-umfrage/, (letzter Abruf: 31.10.2016). Ulrike Smolka studiert Kulturvermittlung an der Universität Hildesheim und hat die Studie als studentische Hilfskraft begleitet. FORSCHUNG 19
jazzstudie2016 Ergebnisse einer Arbeitsmarktforschung von Thomas Renz Zahlreiche musik- und kulturpolitische Bemühungen unterschiedlich- ster Akteure haben seit den 1970er Jahren in Deutschland zu einer bemerkenswerten Jazzlandschaft beigetragen. Doch welchen Einfluss haben diese Maßnahmen auf das Arbeitsleben von Jazzmusiker_innen in Deutschland? Welche finanziellen Einnahmen können diese heute erwarten? Ist das immer wieder beschriebene „künstlerische Prekariat“ Realität oder nur Gefühl? Die jazzstudie2016 liefert nun erstmals seit dem Künstlerreport aus den 1970er Jahren empirisch belastbare Zahlen und Fakten zur ökonomischen Situation und zu den Arbeits- und Le- bensbedingungen von Jazzmusiker_innen in Deutschland. Im Auftrag der Union Deutscher Jazzmusiker, des Jazzinstituts Darmstadt sowie der IG Jazz Berlin untersuchten Wissenschaftler_innen am Institut für Kul- turpolitik der Universität Hildesheim diese Fragestellungen anhand einer standardisierten Onlinebefragung im Frühsommer 2015. Gefördert wurde die Untersuchung durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie durch die Bundesländer Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Topp ausgebildet und dennoch prekär Ähnlich wie in anderen Sparten des Arbeitsmarkts Kultur haben Jazz- musiker_innen überdurchschnittlich hohe Bildungsabschlüsse. 70% der Befragten haben selbst einen Hochschulabschluss; die Mehrheit hat Jazz an einer Musikhochschule studiert. Zwar lassen sich bei älteren Musik- er_innen zu erwartende Generationeneffekte ablesen – so bestand lange Zeit einfach keine Möglichkeit, spezifisch Jazz an einer Musikhochschule zu studieren. Bei den jüngeren Musiker_innen dominiert hingegen ein- deutig ein klassischer Ausbildungsweg: Nach Elementar- oder Klassikun- terricht beginnt der Jazzunterricht im Jugendalter. Typische weitere Sta- tionen sind die Teilnahme an Jugendförderprogrammen und ein späteres Musikhochschulstudium. Der Berufseinstieg erfolgt dann fließend, be- reits im Studium wird mit Auftritten und Unterrichten Geld verdient. Anders als in anderen Kultursparten spielen Praktika für den Berufsein- stieg von Jazzmusiker_innen keine Rolle. Die Hälfte der Jazzmusiker_in- nen tritt durchschnittlich weniger als einmal pro Woche, etwa ein Viertel einmal pro Woche auf. Nur 15% der Musiker_innen treten zwei Mal die Woche auf. Mehr als 100 Auftritte im Jahr absolvieren nur 4% der Befragten. Ein Bewertungsmaßstab für die damit verbundenen Gagen 20 FORSCHUNG
ist nicht einfach zu finden. Musikveranstalter und die Union Deutscher Jazzmusiker haben vor einiger Zeit eine Einstiegsgage von 250 Euro pro Musiker_in gefordert, wenn die Spielstätte zu mindestens einem Drittel öffentlich gefördert wird. Wird eine solche mögliche Einstiegs- gage von 250 Euro pro Person und Auftritt als Maßstab angesetzt, so wird diese in 84 % der Auftritte der befragten Jazzmusiker_innen nicht erreicht. In großen Metropolen wie Berlin oder Köln werden bis zu 50 % der absolvierten Auftritte mit maxi- mal 50 Euro pro Musiker_in bezahlt. Es ist daher nicht weiter erstaunlich, dass die Mehrheit der befragten Jazzmusiker_in- nen mit ihrer wirtschaftlichen Situation nicht zufrieden ist. Welche weiteren Einnah- mequellen helfen Jazzmusiker_innen dann beim wirtschaftlichen Überleben? Anders als von einigen Akteuren erwartet, haben sich nur sehr wenige Hobby- Präsentation der jazztstudie2016 im Musiker_innen an der Befragung beteiligt. Nur sehr wenige Befragte Deutschen Bundestag gehen einer Vollzeitbeschäftigung in nicht-musikalischen Berufen nach. mit Wissenschaftler, Auftraggeber und Für die Mehrheit aller befragten Musiker_innen stellen Produktion und Bundespolitik: vor allem Aufnahme von Tonträgern zwar einen sehr wichtigen kün- Der Vorsitzende des Ausschusses für stlerischen Wert dar, diese werden aber fast nie mit wirtschaftlichen Kultur und Medien im Gewinnerwartungen verbunden. Die Aufnahmen werden überwiegend Deutschen Bundestag Siegmund Ehrmann, selbst produziert und nur selten gefördert. Bleiben also Instrumental- MdB, SPD (2. v.r.), und Gesangsunterricht als zweites Standbein. Für 70 % der Jazzmusik- Dr. Thomas Renz (4. v.r.) und Sigrid er_innen stellt Musikunterricht dementsprechend einen wesentlichen Hupach, MdB, Bestandteil ihrer Berufspraxis dar. Die Unterrichtstätigkeit erfolgt in der Die Linke (3. v.l.). Regel in Teilzeit und als selbstständige_r Privatlehrer_in oder Hono- rarkraft an Musikschulen. Verbesserung der Gagenniveaus als zentrale Konsequenz Welche politischen Konsequenzen sind aus der jazzstudie2016 nun möglich bzw. nötig? Der zentrale Handlungsbedarf liegt in einer gene- rellen Verbesserung des Gagenniveaus für Jazzkonzerte. Live-Auftritte stellen neben Kompositionen und (sich finanziell nicht mehr lohnen- den) Tonträgeraufnahmen bzw. -verkäufen die zentrale und vorran- gige künstlerische Aktivität von Jazzmusiker_innen dar. In der jazzstu- die2016 wurde jedoch deutlich, dass künstlerische Innovationen kaum marktfähig sind und somit nicht vom privatwirtschaftlichen Musikmarkt angemessen getragen werden. Es kann also die Frage gestellt werden, ob aktuelle musikalische Entwicklungen im Jazz nicht genauso einer FORSCHUNG 21
öffentlichen Förderung bedürfen, wie andere zeitgenössische Kunstfor- men? Spielstätten für Jazz sind in Deutschland allerdings sehr divers. Die Bandbreite reicht vom professionellen kommerziellen Veranstalter bis hin zum ehrenamtlich organisierten Jazzclub. Häufig werden einzelne Spielstätten aus mehreren Quellen finanziert. Derzeit fehlen noch mögliche kulturpolitische Konzepte der öffentlichen Spielstättenförde- rung, welche die geschichtlich gewachsene Landschaft der privaten und öffentlich geförderten Spielstätten weiterentwickeln. Die jazzstudie2016 ist ein guter Anlass, darüber nachzudenken. Die Studie ist kostenlos downloadbar unter www.jazzstudie2016.de. Dr. Thomas Renz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und war Projektleiter der „jazzstudie 2016“. Bericht aus Berlin Über einen wissenschaftlichen Einbruch in den Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Deutschen Bundestages von Julius Heinicke Um viertel nach fünf dürfen wir dazustoßen, genau dann, wenn im Un- terausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik der Tagungs- ordnungspunkt drei an der Reihe ist. Und nur ausnahmsweise, so die Mail. Ich will pünktlich sein und die allseits bekannten Bilder langer War- teschlangen vor dem Bundestag tun ihr Übriges, dass ich zeitig um halb fünf um den Bundestag herum irre und den richtigen Eingang zum Paul Löbe-Haus suche. Erster Versuch: ein bisschen Warten vor der Sicher- heitskontrolle, dann zum Pförtner, leider der falsche Eingang. Wenige Minuten später erreiche in den richtigen, ich stehe auf der Anmeldeliste und auf einmal bin ich in den Hallen der Politik, deren Flure weit und durchsichtig sind, gleichsam auffallend still. Hier im Inneren wirkt das Paul-Löbe-Hause wie ein sakrales, angenehm klimatisiertes Glashaus im Niemandsland zwischen Spree und Tiergarten. Die Stille beeinträchtigt mich, ich schleiche zum Fahrstuhl, der ebenfalls leise in den zweiten Stock steigt, ich schreite lautlos über den Teppich zum richtigen Sit- zungssaal. Bevor ich mich davor auf den bequemen Sofas niederlassen 22 FORSCHUNG
kann, um dort bis viertel nach fünf geräuschlos zu verharren, winkt mich die freundliche Dame vom Bundestagsteam heran, ich könne ruhig schon reingehen, andere seien auch schon da. Ich öffne die Tür des Sitzungssaals, ich werde zwar kurz wahrgenom- men, doch das Gespräch im inneren Zirkel des kleinen Saals läuft von meiner ankommenden Präsenz ungestört weiter. Ich entdecke Kolleg_ innen in der äußersten Reihe des runden Raumes und begebe mich zu ihnen. Erst jetzt schaue ich in die kleine Runde des Auswärtigen Kul- tur- und Bildungspolitikausschusses. Jeweils eine Vertreterin oder ein Vertreter der Parteien, mal mit, mal ohne Referent_in, lauschen dem Bericht der Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung. Staatsdamenhaft sitzt Monika Grütters vor dem Mikro, begründet ihr in der Öffentlichkeit so kontrovers diskutiertes Kulturgüterschutzge- setz fast zu salopp, doch redegewandt-souverän und erhält Unterstüt- zung, auch von der Opposition. Hier in dem kleinen Raum scheint man sich einiger zu sein als draußen. Alles geht schnell, ein paar rou- tinierte Fragen, die kurz sind, mahnende rote Ziffern auf den Moni- toren zählen ohnehin die wenigen Sekunden der Redezeit herunter. Frau Grütters und ihr Geschwader ziehen sodann weiter, auch Claudia Roth verabschiedet sich, nicht aus Interesselosigkeit an der Wissen- schaft, wie sie versichert, sondern ein anderer Termin wartet. Die Power der Kulturpolitikforschung Ein weiterer Tagungspunkt folgt und dann sind wir da angelangt, weswegen ich gekommen bin: Wolfgang Schneider spricht aus Sicht der Forschung über außenpolitische Kultur- und Bildungspolitik. Ein seltener Einbruch der Wissenschaft in die Hallen herrschender Politik. Schneider zückt dann auch gleich die schärfste Waffe des universitären Diskurses. Den Stick mit der Power Point-Präsentation. Die leichte Panik unter den Technikern und auf den verwunderte Gesichter der Mitglieder_innen verdeutlicht, dass eine solche Performance scheinbar nicht oft im Ausschuss Anwendung finden. Zudem ist man im „inner circle“ etwas irritiert über die vergleichsweise vielen Zuschauenden. Erst als Schneider mit einem Augenzwinkern erklärt „Das sind alles Fans der AKBP, Nachwuchswissenschaftler der politischen Bildungs- und Kul- turarbeit“, ist man beruhigt, fast gerührt über so viel Engagement. Die PPP thront nun im Viereck auf gleich mehreren Bildschirmen über den Köpfen der Mitglieder des Ausschusses und es wird alsbald klar, es hat die Stunde der wissenschaftlichen Evaluation und des Feedbacks, wie da draußen die Auswärtige Kulturpolitik überhaupt wahrgenommen FORSCHUNG 23
wird, geschlagen. So kommt Folie Nummer zwei mit dem Titel „Kri- tik von Partnern an der AKBP“ gleich zur Sache: „Begegnungen seien nicht immer auf Augenhöhe“, „Austausch nütze gelegentlich mehr den Künstlern aus Deutschland“, „Immer noch werde prozentual mehr in Repräsentation als in Kooperation investiert“, um nur einige Punkte zu nennen. Solch Kritik aus dem Munde eines gestandenen Professors für Kulturpolitik müssen die Abgeordneten erst einmal schlucken, bekom- men dann aber schnell Hilfestellungen zur Verdauung geliefert: Schneider macht deutlich, dass hier die wissenschaftliche Fraktion Abhilfe leisten kann, fünf Publikationen zu diesem Gebiet sind allein im Kontext des Hildesheimer Instituts entstanden. Auch die Forschungsprojekte können sich sehen lassen und agieren weltweit von Bangalore über Marokko bis in die Unterrichtsräume deutscher Universitäten. Begriffe wie „Cultural Diplomacy“ und „Diversity Management“ sind die Schlagworte der Zu- kunft und dem Unterausschuss wird deutlich geworden sein: Wenn der Bundestag Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nachhaltig gestalten will, sollte er im engen Kontakt mit der Lehre und Forschung von Hoch- schulen und Universitäten stehen. So war der Einbruch der Wissenschaft in den Unterausschuss ein gutes Bespiel für den Beginn eines Dialogs auf Augenhöhe zwischen Politik und Wissenschaft. Prof. Dr. Julius Heinicke ist Kulturwissenschaftler an der Hochschule Coburg. Audience Development in der Migrationsgesellschaft Eine Dissertation über neue Strategien für Kulturinstitutionen von Vera Allmanritter Die Erkenntnis ist an sich nicht neu: In Deutschland leben seit jeher viele Menschen mit ausländischen Wurzeln. Umso verwunderlicher ist es, dass sie hierzulande erst seit Beginn des neuen Millenniums und mit der offiziellen Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland als (po- tenzielles) Publikumssegment von Kulturinstitutionen wirklich präsent sind. Schon zum Zeitpunkt der Einführung der Kategorie „Personen 24 FORSCHUNG
mit Migrationshintergrund“ in die Bevölkerungsstatistik des Statistischen Bundesamts im Jahr 2005 war klar, dass nicht von unbedeutenden Mind- erheiten gesprochen werden konnte (bspw. Stuttgart: 40,1 %, Frankfurt/ Main: 39,5 %, Nürnberg: 37,3 %). Die seitdem stark gestiegene Zuwande- rung nach Deutschland aus Ländern der Europäischen Union sowie ein deutlicher Anstieg der Asylbewerberzahlen haben die Aktualität dieses Themenfelds erhöht. So scheint eine Beschäftigung des Kulturbereichs damit selbstverständlich. Doch obwohl sich insbesondere die empirische Kulturbesucherforschung mit dieser Thematik intensiv beschäftigt hat und trotz der inzwischen vielerorts vorhandenen praktischen Erfahrun- gen hinsichtlich einer interkulturellen Öffnung, stehen offenbar viele Kulturinstitutionen weiterhin vor der Frage, wie sie Menschen mit Migra- tionshintergrund für ihre Angebote begeistern können. Eine Begründung hierfür könnte in der durch die Kulturmanagement- forschung bislang nicht abschließend beantworteten grundlegenden Frage liegen, wie Kulturinstitutionen auf Menschen mit Migrationshin- tergrund am erfolgreichsten zugehen können. Seit Beginn des 21. Jahr- hunderts rückt im deutschsprachigen Kulturbereich zunehmend Audi- ence Development als Instrumentarium in den Fokus, wenn es um Fra- gen der Besucher- und Zielgruppenarbeit geht und um Strategien zur Gewinnung von mehr oder anderen Besucher_innen für Kulturangebote. Schon eine grobe Sichtung des Themenfelds zeigt jedoch, dass für die Entwicklung von Audience Development-Strategien in Bezug auf diese Zielgruppe nicht mit Patentlösungen vorgegangen werden kann, denn den Menschen mit Migrationshintergrund gibt es nicht. Es handelt sich um Menschen aller Herkunftsländer, die zudem, jenseits ihrer Herkunft, in verschiedenen sozialen Milieus zu verorten sind. Ein Desiderat in der (Kultur-)Besucherforschung Innerhalb der Besucherforschung in Deutschland, Großbritannien und den USA existieren bereits empirische Erkenntnisse zu Menschen mit Migrationshintergrund als (potenzielle) Besucher_innen von Kulturange- boten. Daher wird in der Dissertation im theoretischen Teil zunächst ein Überblick über bestehende Besucherstudien gegeben. Betrachtet werden dabei sowohl Studien, die ihren Fokus auf nationale Herkunft und (herkunfts-)kulturelle Wurzeln von Menschen mit Migrationshintergrund legen als auch Untersuchungen, deren Fokus auf der Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen Milieus liegt. Eine Frage beantworten all diese Studien jedoch bislang nicht: Ist bei der Ansprache dieser Zielgruppe durch Kulturinstitutionen die Betonung von deren Migrationshinter- grund (Ethnomarketing), der Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen FORSCHUNG 25
Milieus (Milieumarketing) oder eine Kombination beider Faktoren be- sonders zielführend? Im empirischen Teil der Arbeit wurde versucht, auf diese Frage eine Ant- wort zu finden. Hierfür wurden qualitative Interviews mit 53 Menschen mit Migrationshintergrund aus der Türkei sowie aus Ländern der ehema- ligen Sowjetunion in Berlin, Frankfurt/Main und Stuttgart durchgeführt. Der Fokus lag auf kulturaffinen und damit im Verhältnis leichter zu er- reichenden Milieus innerhalb migrantischer Zielgruppen. Die Hauptthe- men der vorgenommenen Untersuchung lagen darin, Näheres über ihr Kulturnutzungsverhalten (bspw. Interesse, Erwartungen, Nutzung, Infor- mationswege, Ticket-Erwerb) zu erfahren und an Hinweise auf etwaige ei- gene sowie Nutzungsbarrieren für andere Migranten-Milieus zu gelangen. Genügt eine präzise Zielgruppenansprache? Zusammengefasst kommt die Studie zu dem Schluss, dass das allgemeine Kultur- und Mediennutzungsverhalten der Befragten auch bei verschie- denem Migrationshintergrund (türkisch/ehemalige Sowjetunion) stark durch ihre Zugehörigkeit zu einem sehr kulturaffinen Milieu bestimmt ist. Beide Befragtengruppen weisen ein sehr hohes Interesse an und eine sehr hohe Nutzungsfrequenz von verschiedensten kulturellen Angebo- ten auf (Hochkultur wie Populärkultur, klassisch wie zeitgenössisch). Beispielsweise auch in Bezug auf die von ihnen angegebenen Informa- tionsquellen zu Kulturangeboten oder zu etwaigen Besuchsbarrieren gaben beide Befragtengruppen sehr ähnliche Antworten. Eine milieu- basierte Ansprache von Angehörigen dieses kulturaffinen Milieus ist somit unabhängig von deren jeweiligem Migrationshintergrund zielfüh- rend und müsste auf andere Art und Weise erfolgen als eine Ansprache anderer, eventuell weniger kulturaffiner sozialer Milieus. In der Studie zeigen sich jedoch gleichzeitig herkunftsbedingte Unter- schiede zwischen den Befragtengruppen (türkisch/ehemalige Sowjet- union) bezüglich ihres spezifischen Kultur- und Mediennutzungs- verhaltens. Offenbar spielt ein ästhetisch prägender Einfluss ihrer verschiedenen Herkunftskulturräume in ihre jeweiligen kulturellen Präferenzen mit hinein. Auch wurden Angebote und Kommunikations- wege in der Tendenz bevorzugt genutzt, die einen Bezug zu speziell ihrer jeweiligen Herkunftskultur haben. Dies verdeutlicht, dass zumindest bei diesen beiden Migrantengruppen Informationen zum individuellen Migrationshintergrund der einzelnen Milieuangehörigen für Kulturinsti- tutionen wertvolle Anknüpfungspunkte an deren (auch) herkunftskul- turell geprägte Lebenswelt liefern können. 26 FORSCHUNG
Eine präzise Zielgruppenbildung bei der Ansprache von Menschen mit Migrationshintergrund allein ist für Kulturinstitutionen jedoch sicherlich nicht ausreichend, um diese für Angebote zu begeistern. Eine Grund- voraussetzung ist eine Einbettung dieser Bemühungen in eine ernst ge- meinte interkulturelle Öffnung der Kulturinstitutionen. Zudem ist hier- für eine Veränderung in deren Programm inkl. Personalplanung nötig. Denn eine besonders wichtige Rolle für ein zielführendes Audience De- velopment spielen eine Programmerweiterung um Angebote von Regis- seur_innen, Autor_innen und Komponist_innen aus der Herkunftskul- tur, Angebote in der (evtl. zweiten) Herkunftssprache und eine stärkere Präsenz von Künstler_innen, Musiker_innen, Schauspieler_innen aus der Herkunftskultur. Die Dissertation ist an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg unter der Betreuung von Prof. Dr. Armin Klein (Erstgutachter) und Prof. Dr. Jürgen W. Falter (Universität Mainz, Zweitgutachter) entstanden. Sie wird im Frühjahr 2017 unter dem Titel ‚Audience Development in der Migrationsgesellschaft. Neue Strat- egien für Kulturinstitutionen‘ in der Reihe Kultur- und Museumsmanagement im transcript-Verlag, Bielefeld, erscheinen. Vera Allmanritter ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturpolitik. Vera.allmanritter@uni-hildesheim.de „Von Mythen zu Erkenntnissen?“ Die 7. Tagung des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung sik a- ter Mu Tanz Liter nst Spiel nst Spiel nz Litera- ur m Thea Literat sik von Sarah Kuschel l Ku Ku Ta te ur Fil Kunst Spie ter Musik ter Musik nst Spiel Film Thea Spiel Tanz Theater Mu Mu- Literat k ea ea Ku ur t m r Tanz eater Musi ur Film Th ur Film Th ter Musik nz Literat sik Kuns eratur Fil Film Theate ter Spiel Th at at ea Ta Mu Lit ea si k Kunst atur Film Tanz Liter Tanz Liter ur Film Th nst Spiel m Theater iel Tanz Literatur ur Film Th Theater r Mu er Spiel iel erat k Ku ur Fil nst Sp Tanz erat m Theate iel Tanz Lit k Kunst k Kunst Sp l Tanz Lit eater Musi Literat Musik Ku nst Spiel l Tanz Lit eratur Fil Thea- Sp si si ie Th nz r Ku ie Lit m Kunst Theater Mu Theater Mu k Kunst Sp atur Film nst Spiel Ta Film Theate ter Musik k Kunst Sp Spiel Tanz eratur Fil ter Musik m si er ea si t Lit m tur Fil eratur Fil Theater Mu l Tanz Lit ter Musik Ku erat ur m Th ter Mu k Ku ns l Tanz v Thea nst Lit Fil m t Sp ie Th ea l Ta nz Lit eratur Fil Film Thea ter Musi Kunst Spie eratur Film r Musik Ku t Spiel Ta nz ur ns m Spie l Tanz Lit ur Th ea k Lit m Theate k Kuns Literat sik Ku atur Fil Kunst Literat Filmv r Musi l Tanz Vom 25. - 27. Oktober 2016 fand an der Bundesakademie für Kulturelle ie si nz Tanz Theater Mu Tanz Liter er Musik k Kunst Sp Spiel Tanz Literatur Film Theate Kunst Spie eratur Fil Theater Mu t Spiel Ta a- m l at Lit ns er tur Fil Kunst Spie ea te r Musi sik Kunst t Spiel Tanz Literatur ter Musik Spiel Tanz atur Film Musik Ku l Tanz Lit nz k m Th r Mu ns nz Thea ur Liter Theater nst Spie a Spiel Ta r Musi ur Fil m Theate r Musik Ku nst Spiel Ta atur Film nz Literat iel Tanz then zu at Fil m k Ku Lit er Th e er Fil te Ku er Ta t Sp ur si nz Tanz Film iel Tanz Lit Literatur Film Thea r Musik l Tanz Lit nst Spiel sik Kuns nz Literat Theater Mu t Spiel Ta nst Spiel atur Bildung in Wolfenbüttel die 7. Tagung des Netzwerks Forschung Kul- t Sp nz at ur ea te Sp ie k Ku r Mu l Ta Fil m ns k Ku er nz Lit Von Myntnissen? Kuns t Spiel Ta nz Liter Filmv Th k Kunst ter Musi m Theate Spie ur k Ku Musi m Ku ns ie l Ta at ur Mu si Th ea ur Fil si k Kunst nz Literat eater Musi m Theater t Spiel Ta eratur Fil k k Sp er r m Ta Th ns Lit si si Kunst Tanz Lit l Theate atur Fil Literat Theater Mu t Spiel ur Fil m eratur Fil sik Ku iel Tanz eater Mu nz Musik nst Spiel l Tanz Spie T Tanz Liter t Spiel Tanz ur Film Musik Kuns nz Literat l Tanz Lit Theater Mu k Kunst Sp ur Film Th t Spiel Ta Ku ie ns erat r Ta ie m si at ns Musik k Kunst Sp eratur Film Musik Ku l Tanz Lit m Theate nst Spiel k Kunst Sp eratur Fil eater Mu Tanz Liter r Musik Ku atur Film l turelle Bildung statt. In Kooperation mit dem Stiftungsverbund Rat für si Ta ur m ter si Erken nd Zukunft ie nz at Fil ea Ku si ter Mu iel Tanz Lit Film Thea k Kunst Sp Literatur ter Musik Theater Mu Spiel Tanz eratur Film Kunst Spie Film Thea iel Tanz Lit k Kunst Sp m Sp t Kunst nz Literat Theater Mu t Spiel Ta ur Film Th eratur Film Musik Kuns iel Tanz Lit eater Musi nz Literat sik Kunst ur Film Mu Literatur n ns r Sp Spiel eratur Fil r Musik Ku Tanz Liter iel Tanz Lit m Theate sik Kunst atur Film nst Spiel Theater Mu Tanz Liter t Spiel Ta ter Musik Lit Th Th k Ta l ur te Sp at er si nz ie Fil Ku iel Fil er a Kulturelle Bildung e.V., in Zusammenarbeit mit der Bundesakademie Lit te Sp Mu Ku m l ns ea Tanz m Thea Kunst Sp sik Kunst Literatur m Theater iel Tanz Lit ter Musik eratur Fil Kunst Spie r Musik Ku ur Film Th l Tanz Liter art u g zur ur Fil sik Mu nz Fil Sp ea Lit k te at ie Literat Thaer Mu m Theater t Spiel Ta Literatur sik Kunst ur Film Th Spiel Tanz eater Musi Film Thea Tanz Liter k Kunst Sp Film Theate m Fil ns Gegenw her Forschun ng at t tur Fil Film Th r Musik Ku t Spiel Tanz Theater Mu l Tanz Liter Musik Kuns atur Film nz Literat Kunst Spie Theater Mu Literatur t Spiel Ta Th ur l si sc empiri urellen Bildu ur te ns m ie r er l Ta k m nz ns Literat Film Thea Musik Ku eratur Fil k Kunst Sp m Theate iel Tanz Lit nst Spie eater Musi eratur Fil nst Spiel Ta r Musik Ku Theater für Kulturelle Bildung und gefördert durch die Universität Hildesheim, at ur te r Lit si ur Fil t Sp k Ku m Th Lit Ku te Fil m Liter ter Thea Spiel Tanz Theater Mu Literat sik Kuns r Musi eratur Fil Spiel Tanz ter Musik ur Film Thea Literatur k Kunst S Thea Kult Theate t nz t ea Film Musik Kuns eratur Film t Spiel Ta Theater Mu Film iel Tanz Lit sik Kuns ur Film Th nz Literat Spiel Tanz eater Musi atur Fi ns m eratur t Th er Theate iel Tanz Lit r Musik Ku eratur Fil l Tanz Lit sik Kunst m Th7.eateTagung r Mu Literdes r Sp at Ta Spiel k Kuns Film nz Lit t Sp te Lit ie Fil l Tanz sik Forschung Kunst ter Musi Literatur t Spiel Ta sik Kuns Kunst Film Thea Spiel Tanz k Kunst Sp Theater Mu Literatur KuNetzwerks t Spie kamen mehr als 160 Forschende und Praktiker_innen der Kulturellen Mu Thea nz Kuns eater Mu Film ur t si m k ns m Theater atur Film nst Spiel Ta r Musik Th Literat Musik Kuns Theater Mu eratur Fil t Spiel Tanz eater Musi Kulturelle ur Fil Lit er Bildung k Ku Th eate ur Film Lit eratur l Ta r m Lit ns Th at nz Mu si m er at nz t Spie Theate eratur Fil Spiel Tanz Musik Ku atur Film l Tanz Liter t Spiel Ta Theater Fil Lit eratur Spiel Tanz Kunst Spie sik Kuns Musik l Ta Lit ns t ea te r Lit er Sp ie Ku ns 25.–27. Fil mOktober nz Lit 2016 t k Mu r Tanz Musik Ku Film Th Tanz sik Kunst ter Musik Literatur t Spiel Ta sik Kuns ter Musi m Theater mv Theate m T Spiel Bildung aus dem ganzen Bundesgebiet zusammen, um über Gegenwart r ur Theate nz Literat k Kunst Theater Mu Film Thea Spiel Tanz Bundesakademie k Kuns Theater Mufür m Thea ur Fil ur Fil ur Fil si ur t r Musi FilmBildung ur Fil nz Literat nz Literat nz Literat Liter Ta Spiel Theater Mu eratur Film nz Literat Musik Kuns m TheateKulturelle ur LiteratWolfenbüttel l Ta l Ta l Ta nz m l Ta m Fil Literat Spiel Tanz Kunst Spie Kunst Spie Kunst Spie nst Spiel Ta t Spie tur Fil iel Tanz Lit nst Spie Kunst Fil Literatur Spiel TanzAutumn nst k k k Ku ns Sp k Ku ter nz t sik Ku eaSchool r Musi desr Musi r Musi Musik sik Ku n Kunst ter Musi Film Thea t Spiel Ta sik Kuns eater MuForschungskolloquiums Th te m Theate Film Theate m Theater Theater Mu r Musik Ku und Zukunft empirischer Forschung zur Kulturellen Bildung zu disku- Th ea ur ns r Mu Th Film Fil m te Film nz LiterNetzwerk at Kulturelle k Ku Theate m atur atur Lit eratur eratur Fil eratur Fil Film Thea Theater M r Musi Bildung atur Fil Tanz Liter 24.–25. Forschung l Ta ea te Fil m er nz LiterOktober Ta nz 2016 Lit Lit at ur m T Spie Th ur Lit l Ta l nz er Fil erat nz Spie iel t Spie t Spiel Ta t Spiel Tanz l Tanz Lit Literatur eratur Film m www.forschung-kulturelle-bildung.de nz Lit nst Spiel Ta k Kunst k Kunst Sp kDiese ur Fil lVeranstaltet Kuns Literat t SpVeranstaltet ie Ta von:k von: si si si Tagung wirdKu k ns durchKudiensUnterstützung Sp ie Ta nz Lit Ku si Ku ter Mu ter Mu ter Mu r Musi Musik Kunst t Spie l l Tanz r Musik ermöglicht Die Tagung wird ermöglicht durch die Universität Hildesheim, von: Infos und Anmeldung: ns sik Ku Theater Mu Filmv Thea Film Thea Film Thea m Theate m Theater ter Musik sik Kuns Kunst Spie m Theate t Spiel tieren, sich auszutauschen und zu vernetzen. die Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel und den Stiftungsverbund Rat für Kulturelle Bildung e.V. im Projekt ur Fil ea Mu k Netzwerk Forschung m „Forschungsfonds Kulturelle Bildung. Studien zu den Wirkungen ur ur Fil Fil ns tur Fil nz Literat nz Literat nz Literat Literatur Literatur ur Film Th m Theater eater Musi Literatur Musik Ku Kunst Kulturelle Bildung Kultureller Bildung“, gefördert durch die Stiftung Mercator. Ta Ta l Ta nz at Fil Th nz ter k Spiel nst Spiel nst Spie t Spiel Ta t Spiel Tanz l Tanz Liter Literatur atur Film t Spiel Ta Film Thea eater Musi ur Fi Ku k Ku ns ns ie nz er ns ur Th at Musik ter Musi r Musik Ku Musik Ku k Kunst Sp t Spiel Ta iel Tanz Lit r Musik Ku nz Literat atur Film Tanz Liter eat Thea te ter si ns Sp te Ta er l Film m Thea Film Thea eater Mu r Musik Ku sik Kunst eater Thea nst Spiel l Tanz Lit Kunst Spie ur Fil Th Th Spie k Th Film ur te Mu Ku Literat nz Literat eratur Film Film Thea Theater atur Film ter Musik k Kunst eater Musi Ta ur m er ea si Th Spiel iel Tanz Lit nz Literat eratur Fil iel Tanz Lit ur Film Th Theater Mu atur Film Sp Ta Lit Sp at m er Kunst nst Spiel Spiel Tanz sik Kunst Tanz Liter eratur Fil iel Tanz Lit Tanz Literatur Spiel Kunst ter Musik KULTURELLE BILDUNG Ku t l Lit Sp Musik Musik Kuns Theater Mu Kunst Spie Tanz Theate r Film 27
Sie können auch lesen