Salzburger Menschenrechtsbericht 2021 - SALZBURG24
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Salzburger Menschenrechtsbericht 2021 DIE PLATTFORM FÜR MENSCHENRECHTE ... ist ein Zusammenschluss von sozialen DER PLATTFORM GEHÖREN AN: und kulturellen Einrichtungen, von kirch- lichen und politischen Organisationen so- Afro-Asiatisches Institut Salzburg, Aka- wie Privatpersonen aus Stadt und Land sya Verein für Bildung und Kultur, Aktion Salzburg. In der Plattform arbeiten Men- Leben Salzburg, Amnesty International schen aus unterschiedlichen Nationen, Salzburg, AUGE – Alternative und Grüne Kulturen, Ethnien und Religionen für die GewerkschafterInnen/UG Bürgerliste/ Verwirklichung von Menschenrechten Die GRÜNEN Caritas Salzburg Diakonie zusammen. Die Plattform setzt sich für Flüchtlingsdienst und Integrationshaus, die unbedingte und unteilbare Geltung Die GRÜNEN Salzburg, DIE LINKE Salz- der Menschenrechte in Salzburg ein. Sie burg, Evangelische Christuskirche, Evan- arbeitet für die Gleichberechtigung und gelisch-Methodistische Kirche Salzburg, das offene Miteinander verschiedener Evangelisches Pfarrzentrum Salzburg- Kulturen und Lebensformen. Die Platt- Süd Friedensbüro Salzburg Helix For- form wendet sich gegen Rassismus und schung und Entwicklung, Helping Hands jede Form von Diskriminierung aufgrund Salzburg, Hiketides, HOSI Salzburg Insti- von Alter, Behinderung, Geschlecht, Her- tut zum Studium von Buddhismus und Di- kunft, religiösem Bekenntnis oder sexuel- alog der Religionen Jugendzentrum IGLU ler Orientierung. Sie will zu einem offenen Katholische Aktion – Bereich Jugend, und konstruktiven Klima in Salzburg bei- Katholische Aktion - Bereich „Kirche & tragen. Die Plattform ist parteipolitisch Arbeitswelt“/ABZ, Katholische Frauen- ungebunden, aber für Parteien offen. bewegung Salzburg, Katholische Hoch- schulgemeinde, KommEnt Muslimische Jugend Österreich Omas gegen rechts, Ökumenischer Arbeitskreis Salzburg, Ös- terreichische Hochschüler*innenschaft Salzburg, Österreichisch-Somalischer Freundschaftsverein Radiofabrik – Freier Rundfunk Salzburg Soli.café, Somos Salzburg, SOS – Clearing House Verein Einstieg, Verein knackpunkt – Selbstbe- stimmt leben, Verein Synbiose, Verein VIELE Frauen MONITORING Die Plattform für Menschenrechte (www. menschenrechte-salzburg.at) dokumen- tiert laufend die Situation der Menschen- Büro: rechte im Bundesland Salzburg. Dazu Plattform für Menschenrechte, arbeiten wir auf drei Ebenen: Wir erstel- Kirchenstraße 34, 5020 Salzburg. len Überblicksberichte sowie Einzelfall- dokumentationen und wir bieten Hilfe für Kontakt: Betroffene. Informationspartner:innen office@menschenrechte-salzburg.at, stellen Falldokumentationen und Hin- Tel.: +43 (0)676/8746-6666, tergrundinfos zur Verfügung. Zu ihnen Mag. Georg Wimmer, gehören neben Plattform-Mitgliedsorga- Mo-Do von 8.30–12.30 Uhr. nisationen zahlreiche Einzelpersonen, Rechtsanwält:innen sowie Salzburger Be- ratungseinrichtungen und Vereine. 2
Salzburger Menschenrechtsbericht 2021 INHALT 4 EINLEITUNG 5 MONITORING 5 Georg Wimmer: Dokumentieren und Strukturieren 7 Barbara Sieberth: Monitoring der Antidiskriminierungsstelle in der Stadt Salzburg 10 FLUCHT UND ASYL 11 • Lena Kainer: Asylberechtigt und straffällig geworden – was nun? 12 • Meline Mazinjan: Erfahrungen mit der BBU 15 • Renate Roittner und Josef P. Mautner: Keine Aufenthaltsbewilligung für Neugeborene 17 • Ursula Liebing und Josef P. Mautner: Erleichterter Zugang zur Staatsbürgerschaft – eine demokratiepolitische Notwenigkeit 22 ARMUTSMIGRATION 23 • Alina Kugler und Herbert Müller: Vom Stehenbleiben und Weitergehen 26 SOZIALE RECHTE 27 • Carmen Bayer: Auswirkungen des SUG 29 • Petra Gschwendtner und Peter Linhuber: Der Krise zum Trotz – ambitionierte Ziele in der Wohnungslosenhilfe 32 • Heinz Schoibl: Wohnungslosigkeit von Frauen mit psychischen Erkrankungen 35 • Barbara Sieberth und Christine Nagl: Sexarbeit – unter Druck und kriminalisiert 37 • Christa Stocker: Lehrlinge in der Krise 38 • Andrea Holz-Dahrenstaedt: Kinderrechte in der Krise 41 • Ursula Liebing und Josef P. Mautner: Das Projekt „Menschen- rechtsschulen und –kindergärten“ in Zeiten von Corona 43 RELIGIONSFREIHEIT 44 • Josef P. Mautner: Politischer Islam – ein Begriff und seine politischen Auswirkungen 46 • Die Muslimische Jugend Österreich: Forderung der Löschung der „Islam-Landkarte“ 47 ZUR SITUATION VON MENSCHEN MIT BEHINDERUNGEN 48 • Monika Schmerold: Anleitung zur Selbstbestimmung 50 • Karin Astegger im Interview mit Georg Wimmer: Wir müssen uns endlich auf den Weg machen! 54 • Beatrice Stadel: Ausgrenzung durch Covid19-Schutzmaßnahmen 56 ANTIDISKRIMINIERUNG UND GLEICHBEHANDLUNG 57 • Norbert Krammer: Ausgegrenzt – nicht alle dürfen ins städtische Seniorenwohnhaus 59 • Yi-heng Chen: Eine Asiatin in Saltzburg...in Zeiten von Corona 61 • Christine Bayer-Borrero: Raus aus der Schublade. Hinein in eine lebenswerte, einfühlsame und vielseitige Welt! 65 • Anonym: Diskriminierung und Belästigung am Arbeitsplatz 67 THEMENÜBERSICHT DER BERICHTE 2003-2020 71 IMPRESSUM 3
einleitung EINLEITUNG Am 28. Juli 2021 feierte die Genfer Flüchtlingskon- Im Bereich der Religionsfreiheit berichten wir über vention ihr 70-jähriges Bestehen, wobei von feiern die Auswirkungen der sogenannten Islam-Landkar- im Jahr 2021 kaum Rede sein konnte. An vielen te, die aller Beschwerden kirchlicher und weltlicher ist diese Nachricht im Jahr nach dem ersten Co- Gemeinden, Organisationen und Einrichtungen zum rona-Lockdown beinahe komplett vorbeigegangen. Trotz weiterhin online ist. Wir wurden beschäftigt mit Nachrichten über das Infektionsgeschehen, den Arbeitsmarktstatistiken Im Bereich der Menschen mit Behinderungen for- samt (inter-)nationale und regionale politische Ent- dern wir einen Rechtsanspruch auf Persönliche As- scheidungen, die unser Leben stark beeinflussen. sistenz, die Umsetzung der UN-Konvention über die Dahinter verschwinden einzelne Menschen nur all Rechte von Menschen mit Behinderungen vor allem zu leicht. in Betreuung und Unterbringung. Zudem werfen wir einen Blick darauf, wie es Menschen mit Behinde- Der Menschenrechtsbericht zeigt, wie jedes Jahr, rungen während der Lockdown und den Phasen auf, wie dünn der Boden für viele Menschen in Salz- dazwischen ergangen ist. Barrierefreie Kommunika- burg ist – in Krisenzeiten wie auch in normalen Zei- tion muss für eine Stabilisierung der sozialen Kon- ten. Er ist in sechs Kapitel eingeteilt, die über ver- takte, auch während eines Lockdowns ermöglicht schiedene Lebenswelten der verletzlichen Gruppen werden. in Salzburg berichten und mit denen Mitgliedsorga- nisationen in der Plattform für Menschenrechte in Der Bereich von Antidiskriminierung und Gleichbe- ihrer Arbeit zu tun haben. handlung gibt wieder Einblick in die Antidiskrimi- nierungsarbeit in der Stadt Salzburg, ein Bereich, Im Bereich Flucht, Asyl und Aufenthalt reichen die der immer wieder um Finanzierung kämpfen muss. Artikel von den ersten Erfahrungen der Bundesagen- Wir beobachten eine Selektion der Pensionist:in- tur für Beratungs- und Unterstützungsleistungen nen durch die neue Richtlinie der Stadt Salzburg von Asylwerbenden und subsidiär Schutzberech- zur Aufnahme in ein Seniorenwohnheim. In Betreu- tigten über die Anerkennung von Asylbescheiden ungseinrichtungen für Menschen mit Pflegebedarf hin zu Problemen mit der Staatsbürgerschaft, z.B. mangelt es an Plätzen, Wartelisten sind häufig, nun Familien, die keine Familienbeihilfe beantragen kön- müssen Menschen mit bestimmten Krankheitsbil- nen, weil sie auf den Nachweis der ausländischen dern und/oder Multimorbidität noch mehr um einen Staatsbürgerschaft des in Österreich geborenen Platz bangen. Ganz persönliche Einblicke über Ras- Kindes warten. sismus und Diskriminierung anhand von Aussehen und Alter erhalten wir von drei starken Frauen, die Im Bereich der Armutsmigration beschäftigen uns sich im diesjährigen Menschenrechtsbericht zu Strafverfügungen und fehlende Plätze in Notschlaf- Wort melden. stellen. 2021 haben wir weitere Aktionen für „Salzburg hat Im Bereich der Sozialen Rechte beschäftigt uns die Platz“ organisiert und waren mit vielen Menschen Umstellung der Bedarfsorientierten Mindestsiche- im Gespräch. Inzwischen haben schon fünf Salzbur- rung auf das Salzburger Unterstützungsgesetz. Da- ger Gemeinden beschlossen, freiwillig geflüchtete mit gehen einige Verschlechterungen einher – und Menschen aufnehmen zu wollen – wenn der Bund das in einer Zeit, in der -nicht nur in Not geratene- es ihnen denn erlauben würde. Die Menschen- Menschen erst langsam wieder damit beginnen, rechtsstadt Salzburg hat einen ähnlich lautenden sich von den privaten wirtschaftlichen Verlusten Beschluss noch nicht fassen können. Auch daran durch das letzte Corona-Jahr zu erholen. Außerdem zeigt sich, wie hart Menschenrechtsarbeit in der ist Obdachlosigkeit und Sexarbeit in Salzburg ein Stadt sein kann. Das 70-jährige Bestehen der Gen- Themenbereich sowie die Rechte von Kindern und fer Flüchtlingskonvention gibt uns Zuversicht, auch Jugendlichen, und zum Beispiel auch Lehrlingen wenn wir - wie im Menschenrechtsbericht von 2021 während der Schutzmaßnahmen. Die Rechte von nachlesbar ist- auf allen Ebenen für die Umsetzung Kindern und Jugendlichen waren neben anderen kämpfen müssen. Menschenrechten oft Anlass für Gespräche in den Menschenrechtsschulen und -kindergärten, die von Christine Dürnfeld der Plattform für Menschenrechte begleitet werden. Im Rahmen der Maßnahmen konnten Veranstaltun- Christine Dürnfeld ist gemeinsam gen angeboten und durchgeführt werden. mit Barbara Sieberth Sprecherin der Plattform für Menschenrechte 4
monitoring MONITORING DOKUMENTIEREN UND STRUKTURIEREN Mit dem Menschenrechte-Monitoring zeigt die Plattform auf, wo und wie in Salzburg Grundrechte verletzt werden. Der Mann am Telefon ist hörbar verzweifelt. Seine Minderheiten, Menschen mit einem unsicherem Frau (81) hat Angstzustände und Depressionen und Aufenthaltsstatus oder Menschen, die aufgrund lebt seit vielen Jahren in der psychiatrischen Son- ihrer ethnischen Herkunft diskriminiert werden. derkrankenanstalt in St. Veit. Um in ihrer Nähe zu Manchmal wird ein bestimmtes Merkmal den Be- sein, ist der Mann in die Nachbargemeinde Goldegg troffenen nur von anderen zugeschrieben, etwa gezogen. Seine Frau möchte aber, dass sie ganz zu- eine bestimmte Religion. Die Plattform dokumen- sammen Wohnen und thematisiert das immer wie- tiert einerseits von sich aus, wenn sie grundrechts- der bei seinen Besuchen. Was für einen gewissen widrige Zustände beobachtet. Außerdem tragen Leidensdruck spricht. immer wieder Betroffene oder Organisationen der Zivilgesellschaft Fälle an die Plattform heran. Nach Ein gemeinsames Wohnen wäre einerseits mit einer der Dokumentation stellt sich die Frage, was mit barrierefreien Wohnung plus einer 24-Stunden-Pfle- diesen Informationen weiter geschehen soll. Wel- ge möglich. Dafür reichen die Mittel des Paares aber che Maßnahmen können den betroffenen Personen bei Weitem nicht. Eine andere Möglichkeit wäre die unmittelbar helfen? Handelt es sich um einen Ein- Aufnahme des Ehemannes als Angehöriger in der zelfall oder stecken strukturelle Ursachen hinter Unterkunft der Frau. Das geht aber laut dem Salzbur- einer Problemlage? Ist eine Intervention bei Poli- ger Krankenanstalten-Gesetz nicht. Was der Mann tik, Behörden oder Einrichtungen sinnvoll? Ist eine nicht versteht. Wenn bei Kindern ein gemeinsamer Sensibilisierung der Öffentlichkeit angebracht und Krankenhaus-Aufenthalt mit Eltern möglich sei, wa- die Suche nach breiterer Unterstützung etwa durch rum nicht auch bei älteren Ehepaaren? Es müsste Medienarbeit? zumindest für Härtefälle Ausnahmen geben, so der Mann. „Damit wir nicht getrennt auf den Tod warten Im Fall des älteren Ehepaares hat sich die Plattform müssen“, würde er es in Kauf nehmen, in eine Unter- – mit Einverständnis des Mannes – zunächst mit kunft mit psychisch kranken Personen zu ziehen. der Patienten-Anwaltschaft und dem Vertretungs- Netz in Verbindung gesetzt. Nicht selten sind ande- Manche Fallgeschichten, die die Plattform im Zuge re Organisationen näher mit einem Thema vertraut. des Menschenrechte-Monitoring dokumentiert, ha- Erscheint eine breitere Vernetzung sinnvoll, würde ben erst auf den zweiten Blick mit Menschenrechten die Plattform weitere Organisationen an einen Tisch zu tun. Denn dass ein gemeinsames Wohnen im Al- holen. Zahlenmäßig überwiegen im Monitoring seit ter ein Recht ist, findet sich so in keiner Konvention, Jahren Fälle aus dem Bereich „Flucht und Asyl“. die Österreich unterzeichnet hat. Sehr wohl aber gibt Das zeigte sich einmal mehr, als Vertreter:innen es den Passus, wonach alle Menschen ein „Recht von 20 Mitgliedsorganisationen der Plattform sich auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens“ haben im Juni 2021 auf einem Plenum zum Thema Moni- (Artikel 8, Europäische Menschenrechtskonvention). toring austauschen. Vor allem über das Bundesamt Somit ist die Situation des Ehepaares auch ein Fall für Fremdenwesen und Asyl (BFA) werden mehre- für die Plattform. re bedenkliche Vorfällen berichtet. So bekommen Asylsuchende von Beamt:innen offenbar immer Betroffen sind oft besonders wieder den „Rat“, ihre Begleitperson nicht mit in verletzliche Gruppen den Raum zum Interview zu nehmen. Obwohl diese Möglichkeit laut Gesetz ausdrücklich vorgesehen Monitoring meint zunächst das Überwachen und ist, heißt es plötzlich, es könne ein Nachteil sein, systematische Erfassen von Vorgängen. Es geht wenn eine weitere Person mit dabei sei, wenn die um Situationen, die besonders verletzliche Men- Fluchtgeschichte erzählt und protokolliert wird. Was schen als Unrecht erleben. Dazu zählen neben äl- sollen die Betroffenen in ihrer unsicheren Situation teren Personen ebenso Kinder, Frauen, Menschen tun, in einem fremden Land, mit dessen Rechts- mit Behinderungen, Menschen mit verschiedenen praxis sie nicht vertraut sind? Sollen Sie ihrer Be- sexuellen Identitäten, Angehörige von religiösen gleitperson vertrauen und auf deren Anwesenheit 5
monitoring bestehen? Oder sollen sich dem fügen, was die Interventionen bei Behörden, Polizei und Politik oder Beamt:innen sagen, die Atmosphäre entspannen gegebenenfalls auch mit Öffentlichkeitsarbeit Ver- und sich darauf verlassen, dass der Rechtsstaat in besserungen herbeizuführen. Viel Aufmerksamkeit diesem Land funktioniert? erfuhr so der Fall einer Frau, die im Winter unter den Dom-Bögen einen Platz zum Schlafen gesucht hatte. Einzelfall oder steckt System dahinter? Die Notschlafstellen in der Stadt waren an diesem Abend alle voll. Die Polizei warf der Frau dennoch Zu den Verfahren am BFA gibt es auf diesem Plenum vor, sie habe den Straftatbestand der „Anstands- viele weitere Beobachtungen. Die Vertreterin einer verletzung“ begangen und verhängte eine Strafe christlichen Kirche schildert, wie ein Beamter den in Höhe von € 150. Ein Einspruch gegen den Be- Übertritt eines Asylsuchenden vom Islam zum Chris- scheid hatte keinen Erfolg. Nachdem die Plattform tentum kurzerhand als unglaubwürdig abtat, obwohl den Fall öffentlich gemacht hatte, meldeten sich der Mann nun schon mehrere Jahre Mitglied ihrer mehrere Salzburger:innen, die bereit waren die Gemeinde ist. Rechtlich ist die Frage tatsächlich um- Strafe zu übernehmen. Das Vorgehen der Salzbur- stritten, ob eine Konversion, die im Aufnahmeland ger Polizei markierte aber den Beginn einer neuen erfolgt ist, vor einer Abschiebung schützen kann, Strategie. In der Vergangenheit waren es vor allem weil in der Folge im Herkunftsland mit dem christ- Strafbescheide wegen „aggressiven Bettelns“, mit lichen Glauben eine Verfolgung droht. Doch weit denen Druck auf Notreisende ausgeübt wurde, zum mehr umstritten ist, dass die Einschätzung darüber, Teil haarsträubenden Begründungen. Nun kommt es an welchen Gott jemand glaubt, durch einen Amts- vermehrt zu Anzeigen wegen Anstandsverletzungen. person erfolgen soll – und nicht durch die Kirchen Die Plattform unterstützt Einsprüche dagegen und selbst. Dazu soll es demnächst eine Entscheidung geht ebenso rechtlich gegen eine Bettelverbotszone des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrech- in der Stadt vor, die vom Verfassungsgerichtshof im te geben. Ebenfalls ein Thema auf diesem Plenum Grundsatz bereits als rechtswidrig angesehen wur- zum Thema Monitoring sind die langen Asylverfah- den (siehe auch der Artikel von Kugler und Müller in ren. Im Plattform-Büro hat sich erst kürzlich wieder dieser Ausgabe). ein Mann aus Afghanistan gemeldet, der nach vier Jahren noch immer auf einen Termin für sein zweites Im Fall des älteren Ehepaares hat die Plattform Interview wartet. Mit den bekannten Konsequenzen einen Brief an das zuständige Regierungsmitglied auf Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten oder Fa- geschrieben, um auf die die menschenrechtlich Re- milienzusammenführung. Bei solchen Fällen stößt levanz ihres Anliegens hinzuweisen. Im Zuge der Ge- ein Monitoring als Druckmittel für Veränderungen spräche mit Patientenanwaltschaft, mit Fachleuten im Sinne der Menschenrechte an seine Grenzen. und Politiker:innen stellte sich heraus: Der Wunsch Solche Fälle sind in Österreich hinreichend bekannt. nach einer gemeinsame Unterbringung in einer Ein- Neben der Dokumentation von Einzelfällen kennt richtung für psychisch Kranke Menschen stellt in die Plattform eine weitere Methode im Rahmen des Salzburg eine Ausnahme dar. Geht es um die Auf- Monitoring – das sind so genannte „Foren“ zu be- nahme in Pflegeeinrichtungen, so werden ältere Paa- stimmten Themen. So gab es 2019 ein Forum zum re aber öfter getrennt, wenn ihnen unterschiedliche Thema Rassismus. Betroffene hatten hier im ge- Pflegestufen zugeschrieben werden. Auf die Frage, schützten Rahmen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen ob es da nicht massiven Widerstand gebe, erklär- zu berichten. Als verbreitetes Problem wurde insbe- te eine Expertin: „Anfangs wehren sich die Leute sondere das Racial Profiling geschildert. Gemeint ist schon gegen das System, aber am Ende erkennen damit die Praxis der Polizei, vorwiegend oder sogar sie, dass sie keine Chance haben und fügen sich.“ ausschließlich Menschen mit dunkler Hautfarbe zu Das Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Fa- kontrollieren, beispielsweise in den Zügen zwischen milienlebens wird in Zukunft wohl öfter Thema im München und Salzburg. Das nächste Forum ist für Monitoring der Plattform sein. Anfang 2022 angesetzt, Thema ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für Aslywerbende. Georg Wimmer Foren bieten einen geschützten Rahmen Ein weiteres großes Thema neben Flucht und Asyl Georg Wimmer ist Mitarbeiter der betrifft im Menschenrechte-Monitoring die Situation Plattform für Menschenrechte, freier von Notreisenden in Salzburg. Auch hier dokumen- Journalist und Experte für Leichte Sprache. tiert die Plattform Einzelfälle, beobachtet Häufun- gen von bestimmten Vergehen und versucht mit Kontakt: Plattform für Menschenrechte, Kirchenstraße 34, 5020 Salzburg, Tel.: +43 (0)676/8746 6666, Mail: office@menschenrechte-salzburg.at, Web: www.menschenrechte-salzburg.at 6
monitoring MONOTORING DER ANTIDISKRIMINIERUNGSSTELLE IN DER STADT SALZBURG Die Antidiskriminierungsstelle unterstützt Menschen in der Stadt Salzburg, die diskri- miniert werden oder eine Diskriminierung beobachtet haben und melden möchten. Im Zeitraum von Oktober 2020 bis September 2021 50 arbeitslos wurde, aufgrund langer körperlicher Ar- sind insgesamt 142 Anfragen an die Antidiskriminie- beit viele gesundheitliche Einschränkungen hat und rungsstelle herangetragen worden. Im Vergleich zum zusätzlich ihren Mann pflegen muss und sich des- Vorjahr ist das eine Verdoppelung. Der Schwerpunkt wegen außer Stande sah, Zuweisungen vom AMS der mit 20 Stunden pro Woche stark befristeten Stel- für Reinigungskraftangebote in Vollzeit anzunehmen. le lag auf der Beratungstätigkeit. Vernetzungsarbeit Oder der Fall einer Frau, die bis Ende des Berichts- konnte im Wesentlichen nur fallbezogen stattfinden, zeitraums keine eCard ausgestellt bekam – trotz für angefragte Bildungstätigkeit mussten externe staatlicher Zusage der Abdeckung der Leistungen, Sonderlösungen gefunden werden. was zu einer enormen Verschlechterung ihrer Ge- sundheitsversorgung führte. Wiederkehrend sind die Am häufigsten berichteten Klient:innen von ei- Schilderungen von Klient:innen, bei Terminen beim ner Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Amt aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit nicht Zugehörigkeit (63), gefolgt von Geschlecht respektvoll behandelt worden zu sein. (28), Behinderung (23), Religion und Weltan- schauung (8), Alter (6) und Sexuelle Orientie- Bezug zum Magistrat Salzburg haben Beschwerden rung (2). In einigen Fällen spielen mehrere Merkma- rund um den Zugang zu Kinderbetreuungsplätzen, le eine Rolle (Intersektionalität). In diesem Jahr gab insbesondere für Kinder mit Behinderungen und/ es eine Häufung an Meldungen von Klient:innen, die oder Migrationshintergrund, vor allem bei 3-jähri- mit Covid19-Schutzmaßnahmen im Zusammenhang gen. Auch der mangelnde Umgang mit Diversität an standen und nicht den oben genannten Diskriminie- Anlaufstellen der Existenzsicherung ist ein Thema, rungsmerkmalen zugeordnet werden konnten. In die- das die AD-Stelle ständig begleitet – sei es bei der sen Fällen fand meist eine rechtliche Abklärung ihrer Überwindung von Sprachbarrieren oder dem er- Anliegen statt und die gemeinsame Entwicklung schwerten Zugang bei sehr komplexen Materien, einer Strategie im Umgang mit der entsprechenden wie z.B. dem aktuellen Sozialunterstützungsgesetz. Maßnahme. Die AD-Stelle sucht bei diesen Beschwerden immer wieder in direkten Gesprächen mit den entspre- In 30 Fällen gab es bei dem chenden Stellen Lösungen. Es gibt beispielsweise Meldungen Berührungspunkte mit mit der Leitung Sozialamt der Stadt Salzburg eine Ämtern, Behörden sowie der Polizei gute Kooperationsbasis dafür. Bei den Beschwerden, die die Polizei betrafen, ging Stärker als in den Vorjahren vertreten war es sehr oft um den abwertenden Umgang durch Be- das Thema Diskriminierung in der Arbeitswelt amt:innen, um Situationen, die nach Einschätzung mit 34 Meldungen. Das ist auch auf die aktive der Klient:innen von der Polizei eskaliert wurden und Vernetzung mit Einrichtungen der Arbeitsvermitt- dann Ordnungsstrafen zur Folge hatten. Es war trotz lung zurückzuführen, deren Klient:innen Diskrimi- mehrmaliger offizieller Anfrage nicht möglich, eine nierungserfahrungen machen. Wiederkehrend ist Kontaktperson bei der Salzburger Polizei genannt das Thema Kopftuch am Arbeitplatz, aber auch der zu bekommen, um diese Themen auf lokaler Ebene (Nicht-) Zugang von Menschen mit Behinderung zum besprechen zu können. Bei diesen Meldungen in- Arbeitsmarkt. Beim Zugang zu Gütern und Dienst- kludiert sind auch Konflikte mit dem Arbeitsmarkt- leistungen gab es 23 Meldungen über Diskriminie- service (AMS) und der Österreichischen Gesund- rungserfahrungen. Hier beinhaltet sind die Konflikte heitskasse (ÖGK) - die fallweise einen Bezug zum rund um die Maskenpflicht. Klient:innen mit Attes- Diskriminierungsmerkmal „Sozialer Status“ aufwei- ten zur Maskenbefreiung hatten vor allem in den sen. Da ist beispielhaft der Fall einer Frau, die Ende Zeiten der Lockdowns Probleme mit dem Einkaufen 7
monitoring verschiedener Güter oder auch dem Zugang zu Ge- näher geklärt. Eine rechtliche Beratung gibt Über- sundheitsleistungen. Auch in diesen Zahlen finden blick über die rechtlichen Möglichkeiten nach Gleich- sich Beschwerden über abwertendes Verhalten im behandlungsrecht, aber auch nach einschlägigen Kund:innen-Service. Der Ausschluss vom Zugang zu Verwaltungsgesetzen und dem Strafrecht. Bespro- einem Supermarkt aufgrund einer ethnischen Zuge- chen werden auch außergerichtliche Schritte, wie hörigkeit wurde bearbeitet, genauso wie es erneut zum Beispiel Vermittlungsgespräche oder Öffentlich- Gespräche mit der Stadt Salzburg zum weiterhin be- keitsarbeit. In manchen Fällen erscheint uns eine stehenden Burkini-Verbot in den Freibädern gab. andere Beratungsstelle zielführender und zuständig, diese vermitteln wir dann weiter, z.B. bei Themen Dem Bildungsbereich sind des Aufenthaltsrechts oder der Existenzsicherung 16 Beschwerden zuordenbar bei Einkommen und Wohnen. Thematisiert wurde der Zugang zu Kinderbildung- und Jede Anfrage basierte auf einer Wahrnehmung von Betreuungseinrichtungen für Kinder mit Behinderun- Ungerechtigkeit oder Benachteiligung. Wir beraten gen, ähnlich wie die Inklusion in den weiter folgen- all diese Fälle, auch wenn sie unter keine Bestim- den Schulen. Auch enthalten sind Beschwerden von mung der Gleichbehandlungsgesetze fallen. Die Schüler:innen über rassistisch wahrgenommenen, emotionale Betroffenheit und Kränkung war in den abwertenden Umgang von Lehrenden im Unterricht. meisten Fällen jedoch sehr hoch. Teilweise konnte Auch der Umgang mit Covid19-Schutzmaßnahmen die Lösung eines Konfliktes bereits im Clearing des an Schulen rund um Maskenpflicht und Testungen Sachverhaltes oder in der Aufklärung von Missver- wurde mehrmals gemeldet. Stärkere Berührungs- ständnissen herbeigeführt werden. Auch kam es punkte mit dem Thema Gesundheit gab es bei 14 durch die Konfrontation mit der Stelle, von der die Meldungen, weitere 12 Meldungen bezogen sich auf Diskriminierung ausging, in einigen Fällen zu einer Diskriminierungserfahrungen im öffentlichen Raum. Klärung bis hin zu einer Entschuldigung. Auf Wunsch der Betroffenen setzte die AD-Stelle sozialarbeiteri- Diskriminierungen im Bereich des Wohnens sche und/oder rechtliche Interventionen. wurden 12 Mal gemeldet. Dabei ging es um ras- sistische Belästigungen durch Nachbarn oder der Pro Fall sind meist zwischen 5 und 10 Interventio- erschwerte Zugang zum Wohnungsmarkt, die unmit- nen notwendig. Als Intervention zählten wir telefoni- telbar mit einer Fluchtgeschichte oder einem Migra- sche oder persönliche Beratung, Telefonate für bzw. tionshintergrund in Zusammenhang stehen. mit Klient:innen, rechtliche Recherchen und das Ver- fassen von Interventionsschreiben. In vielen Fällen Hoch ist die Anzahl der begleitenden Rechts- gelang es, deeskalierend auf die Situation einzuwir- fragen, nämlich in 45 Fällen, die mit den Diskri- ken und gemeinsam mit den Betroffenen an Stra- minierungsanliegen gemeinsam eingebracht wurden tegien und Lösungen zu arbeiten. Reine Meldungen und viele Rechtsgebiete von Arbeitsrecht bis Staats- wurden dokumentiert, bei komplexen Problemlagen bürgerschaftsrecht, von Verwaltungsstrafrecht bis waren andere und mehr Interventionen notwendig. Sozialversicherungsrecht, etc. betrafen. 78 Frauen In 16 Fällen gab es entweder eine direkte Zusam- und 58 Männer und zwei diverse Personen suchten menarbeit mit einer weiteren Stelle oder eine Weiter- die Beratung auf. 84 Personen waren österreichi- leitung zu einer inhaltlich zutreffenderen Beratungs- sche Staatsbürger:innen oder EU-Bürger:innen, 51 einrichtung. Menschen waren Drittstaatsangehörige, bei sieben Klient:innen blieb der Status unbekannt. Bildungsarbeit und Vernetzungsarbeit gefragt, aber nicht gefördert! Wie wir arbeiten – Clearing & Beratung bis hin zur Intervention Dieser Arbeitsbereich der AD-Stelle wurde 2019 gänzlich gestrichen. Unsere Erfahrung in Bereich Bei einem Termin – telefonisch und/oder persönlich Gleichstellung und Vielfalt aber zeigt: Bildungs- und unter Einhaltung der Covid-19-Schutzmaßnahmen Vernetzungsarbeit sind eng mit der Beratung verbun- – schildern Klient:innen ihre Diskriminierungserfah- den, sie ist nicht isoliert zu gestalten. Die AD-Stelle rung. Bei einem Clearing werden die Sachverhalte wurde auch als Expertin für Workshops für Schü- 8
monitoring Antidiskriminierungsstelle in der Stadt Salzburg Kostenlose und vertrauliche Beratung und Unterstützung für Menschen, die diskriminiert werden. ler:innen, wie auch für Multiplikator:innen in ande- Zukunft der AD-Stelle ungewiss ren Beratungseinrichtungen angefragt. Durch diese Bildungsarbeit verbreitert sich das Wissen über und Auch wenn wir versucht haben, uns in unserer Arbeit der professionelle Umgang mit Antidiskriminierungs- davon nicht beeinflussen zu lassen, hat uns die un- arbeit. Dieses Bildungsangebot konnten wir im Rah- gewisse Zukunft der Antidiskriminierungsstelle in der men der AD-Stelle nicht anbieten. Stadt Salzburg beschäftigt. Es war länger nicht klar, ob es wieder eine politische Mehrheit für die Förde- Wo stellt die AD-Stelle Lücken im System fest? rung der AD-Stelle in der Stadt Salzburg geben wird. Zur Weiterentwicklung der Antidiskriminierungsarbeit Der Umgang mit Diversität bei öffentlichen Stel- in Salzburg haben wir proaktiv Politik und Verwaltung len, im Bildungsbereich oder auch beim Zugang zu in Stadt und Land Salzburg zu einem Perspektiven- Dienstleistungen hat immer noch Entwicklungsbe- Nachmittag eingeladen. Ziel war es, den Bedarf zu darf. Wir begrüßen Verbesserungen wie den Einsatz formulieren, die eine AD-Stelle erfüllen soll und eine von Video-Dolmetsch oder verstärkter Sozialarbeit. Weiterentwicklung zu ermöglichen. Verschiedene Dennoch erleben Klient:innen immer wieder Mitar- Aktionsfelder wurden genannt und diskutiert und beiter:innen in Beratungsfunktionen mit rassisti- es wurde festgestellt: Neben dem konkreten und schen, auch frauenfeindlichen Haltungen, die sie die niederschwelligen Beratungsangebot braucht es un- Klient:innen spüren lassen. bedingt (wieder) Vernetzungs- und Bildungsarbeit, sowohl in der Stadt wie im Land Salzburg. Sprachbarrieren können dazu führen, dass Klient:in- nen Angebote nicht wahrnehmen können. Bei einem Das Team der AD-Stelle war das ganze Jahr über be- Teil der Anfragen gibt es begleitende Rechtsfragen müht, mit verschiedenen Ressorts des Landes Salz- abzuklären aus anderen Rechtsgebieten, wie z.B. burgs gemeinsam Antidiskriminierungsprojekte zu dem Arbeits- und Sozialrecht wie auch aus dem erarbeiten. Zu Redaktionsschluss war der Ausgang Aufenthaltsrecht. Eine niederschwellige Rechtsbe- noch ungewiss. ratung zur Einschätzung von Beschwerdemöglichkei- ten, aber auch anderen rechtlichen Abläufen würde den Zugang zum Rechtsstaat auch für die Menschen Barbara Sieberth ermöglichen, für die rechtlicher Beistand und/oder ein Kostenrisiko zu hoch sind. Wir arbeiten – wo möglich – mit der Unabhängigen Rechtsberatung der Barbara Sieberth ist Juristin und Beraterin Diakonie und in Arbeits- und Konsumentenschutz-An- der Anti-Diskriminierungsstelle in der Stad gelegenheiten mit der Arbeiterkammer zusammen. t Salzburg und ehrenamtliche Sprecherin der Allerdings benötigen auch diese eine ausreichende Finanzierung und der Zugang zur Arbeiterkammer Plattform für Menschenrechte Salzburg. steht nicht allen Menschen offen. Covid19-Schutzmaßnahmen haben auch in diesem Halbjahr die Lebenssituation vieler sehr beeinflusst und gerade Menschen, die ohnehin in prekären Um- ständen leben ungleich härter getroffen oder stärker gefordert. Die AD-Stelle war mit Anfragen rund um die Test- und Maskenpflicht von Schüler:innen in der Volksschule konfrontiert, wie auch mit Themen der Ungleichbehandlung rund um die Maskenpflicht. Kontakt: Anti-Diskriminierungsstelle, Kirchenstraße 34, 5020 Salzburg, Tel.: +43 (0)676/8746 6979, Mail: office@antidiskriminierung-salzburg.at, Web: www.antidiskriminierung-salzburg.at 9
flucht und asyl FLUCHT UND ASYL ARTIKEL 3, AEMR: RECHT AUF LEBEN UND FREIHEIT Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person. ARTIKEL 8, AEMR: ANSPRUCH AUF RECHTSSCHUTZ Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechts- behelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerich- ten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden. ARTIKEL 14, AEMR: RECHT AUF ASYL 1. Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen. 2. Dieses Recht kann nicht in Anspruch genommen werden im Falle einer Strafverfolgung, die tatsäch- lich auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art oder auf Grund von Handlungen erfolgt, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen. 10
flucht und asyl ASYLBERECHTIGT UND STRAFFÄLLIG Wenn ein Mensch mit Asylstatus straffällig geworden ist, setzt sich das Verfahren zur Aberkennung des Asylstatus in Gang. Wie es abläuft und welche Möglichkeiten der Intervention es gibt, fasst Lena Kainer zusammen. Ein:e Asylberechtigte:r, der/dem Asyl zuerkannt wur- Trifft der Aberkennungsgrund zu und ist anstelle des de, kann den Asylstatus durch ein sogenanntes Ab- Asylberechtigten-Status auch kein anderer Status zu erkennungsverfahren wieder verlieren.1 Wurde ein:e erteilen, dann hat das BFA der:m Asylberechtigten Asylberechtigte:r straffällig und ist das Vorliegen ihren/seinen Status mit Bescheid abzuerkennen. eines Aberkennungsgrundes wahrscheinlich, hat Grundsätzlich können gegen den Bescheid des BFA das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) Rechtsmittel ergriffen werden. Realistisch betrach- zwingend ein Aberkennungsverfahren einzuleiten. tet, muss man die Chance auf Erfolg hierbei jedoch Eine tatsächliche Aberkennung darf aber nur dann eher gering einschätzen, da sowohl die Rechtslage erfolgen, wenn sich im Laufe des Aberkennungsver- als auch die Judikatur sehr eindeutig sind. fahrens zeigt, dass auch ein Aberkennungsgrund vorliegt.2 Wann es zu einer Duldung kommt Wann die Straffälligkeit tatsächlich Kann ein:e Fremde:r, nachdem der Aberkennungsbe- zu einer Aberkennung führt scheid rechtskräftig entschieden wurde, nicht abge- schoben werden, kommt es zu einer Duldung gemäß Aus welchen Gründen eine Aberkennung möglich ist, §46a Fremdenpolizeigesetz. Dies ist möglich, wenn ist geregelt in §7 Asylgesetz (AsylG). Der:m Asylbe- die Abschiebung aus rechtlichen Gründen, wenn rechtigten kann der Asylstatus aberkannt werden, der:m Betroffenen beispielsweise im Herkunftsstaat wenn sie/er von einem inländischen Gericht wegen Folter droht, oder aus faktischen Gründen – die Per- eines besonders schweren Verbrechens rechtskräf- son hat etwa keine Reisedokumente und der Her- tig verurteilt worden ist und wegen dieses strafba- kunftsstaat stellt die Dokumente nicht aus – unmög- ren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft lich ist.7 Der Aufenthalt in Österreich ist in diesem darstellt. Diese Gefahr wird anhand einer Gefahren- Fall jedoch unrechtmäßig8 und schützt nicht vor einer prognose festgestellt.3 Hiervon sind Straftaten er- Abschiebung, sobald die Gründe der Duldung weg- fasst die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter gefallen sind. verletzen. Nach der Rechtsprechung sind dies bspw. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel und dergleichen.4 In die vorzunehmende Interessensab- Lena Kainer wägung nach Art 8 EMRK, welches das Privat- und Familienleben schützt, haben nach der Rechtspre- Lena Kainer ist Juristin und engagiert sich chung sowohl Umstände einzufließen, die gegen beim „Projekt: Betritt Asyl“. einen Verbleib in Österreich sprechen sowie für ei- nen derartigen. Grundsätzlich überwiegen bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufent- halt der:s Fremden die persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich, jedoch können insbe- sondere strafrechtliche Verurteilungen die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integ- ration relativieren, wonach im Endeffekt die öffentli- 1 Kittenberger, Asylrecht kompakt2 (2017) 132. 2 Kittenberger, chen Interessen überwiegen.5 Der Europäische Ge- Asylrecht kompakt2 133; § 7 Abs 2 AsylG. 3 VwGH 22.02.2021, richtshof für Menschenrechte stellte zu Art 8 EMRK Ra 2021/18/044; §§ 7 Abs 1 Z 1 iVm 6 Abs 1 Z 4 AsylG. 4 fest, dass kein absoluter Schutz vor einer Auswei- VwGH 02.03.2021, Ra 2020/18/0486. 5 VwGH 06.10.2020, Ra 2019/19/0332. 6 EGMR 18.10.2006 (GK), 46410/99, Üner/ sung abgeleitet werden kann, auch dann nicht, wenn Niederlande. 7 Kittenberger, Asylrecht kompakt2 177 f. 8 Riedler, die/der langjährig niedergelassene Fremde hier ge- Rechtsfragen der Duldung gemäß §46a FPG, migraLex 2020, 71 boren wurde oder in jungen Jahren eingereist war.6 (81). 11
flucht und asyl ERFAHRUNGEN MIT DER BBU Seit 01.01.2021 wickelt die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungs- leistungen (BBU) alle Leistungen für asylwerbende Menschen in Österreich in den Bereichen Versorgung, Unterbringung und Rechtsberatung im Asylverfahren sowie Rückkehrbegleitung in die Herkunftsstaaten ab. Meline Mazinjan berichtet von den Erfahrungen mit der BBU. Als die Bundesbetreuung und die zugewiesene Dies führte folglich leider dazu, dass Asylwerber:in- Rechtsberatung für volljährige Asylwerber:innen mit nen kein Vertrauen in eine qualitativ gute Rechtsver- Jahresbeginn auf die BBU umgestellt wurde, ließ tretung hatten und sich parallel zur BBU auch eine sich aufgrund der politisch knapp organisierten Ein- rechtliche Zweitberatung organisierten, wie z.B. bei führung nicht abstreiten, dass fast niemand wusste, der ARGE Rechtsberatung der Diakonie oder über was einen erwartet, weder die Asylwerber:innen noch privat finanzierte Asylrechtsanwalt:innen. So hat die Träger von Flüchtlingseinrichtungen. Vermutlich es ein halbes Jahr gebraucht, bis dieser anfänglich ging es der BBU jedoch auch nicht anders, da durch negative Eindruck von der BBU etwas korrigiert und die schnelle und holprige Umstellung schwer ein- mehr Vertrauen in eine professionelle Arbeit aufge- zuschätzen war, mit welchen Auftragsdimensionen baut werden konnte. zu arbeiten sein wird. Die während der Umstellung fehlende Vorbereitungszeit machte sich daher in den ersten Monaten recht rasch bemerkbar, da man beim Kontakt mit der BBU die organisatorischen und personellen Schwierigkeiten bemerkte. Holpriger Start der Rechtsberatung So machte es im Jänner 2021 bereits den Eindruck, als seien die Terminkoordinationen bei der BBU- Rechtsberatungsstelle sehr chaotisch, da Termine Jedoch saß man schließlich vertauscht oder nicht richtig eingetragen wurden. Nach mehrmaligen Überprüfungen und Nachfragen in einer Rechtsberatung, wurde einem vor Ort dann der richtige Termin bestä- in der die/der zuständige tigt, jedoch saß man schließlich in einer Rechtsbe- ratung, in der die/der zuständige Rechtsberater:in Rechtsberater:in keinerlei keinerlei Informationen über das betreffende Asyl- Informationen über das verfahren hatte bzw. im Beschwerdeverfahren nicht einmal den erstinstanzlichen Bescheid zur Vorberei- betreffende Asylverfahren tung auf das Beratungsgespräch vorab erhalten hat- te. Folglich stellten sich die Beratungsgespräche so hatte bzw. im Beschwerde- dar, dass die Rechtsberatung während dem Termin verfahren nicht einmal erstmalig anfing, den teilweise über 100-seitigen Be- scheid zu „überfliegen“, um überhaupt eine Orientie- den erstinstanzlichen rung zu erhalten, welche Rechtsmittel nun benötigt Bescheid zur Vorbereitung werden und was dem/r Asylwerber:in überhaupt ge- sagt werden kann, wobei die Beratungstermine da- auf das Beratungsgespräch durch unnötig in die Länge gezogen wurden sowie vorab erhalten hatte. die Asylwerber:innen irgendwann schon selbst auf die rechtlichen Argumente im Beschwerdeschreiben hinweisen mussten. 12
flucht und asyl Traiskirchen ist voll, Plätze in geldleistungen offen hatten, hatten zugleich nur sehr den Bundesländern bleiben leer „krumme Restbeträge“ offen, wie z.B. 0,82 € oder 9,73€ für einzelne Monate. Trotz allem führten die Einen ähnlich überforderten Eindruck machte jedoch UMF nach den Zuweisungen jedoch keine Kleidungs- auch die Bundeserstaufnahmestelle Traiskirchen, stücke mit sich, sondern kamen nur mit der Beklei- von der man mitbekam, dass unbegleitete minder- dung in den Betreuungseinrichtungen an, die sie am jährige Flüchtlinge (UMF) dort wohl mehrere Monate Leib trugen (zumeist zu große/kleine Hausschlap- lang untergebracht seien, ohne in die Länder mit frei- fen, ein T-Shirt und eine kurze Hose). en UMF-Kapazitäten zugewiesen zu werden. Lange Zeit war unklar, woran diese langen Wartezeiten hin- Im Gespräch gaben die UMF zugleich an, dass sie sichtlich der Zuweisungen von UMF lagen, begründet in Traiskirchen nie Bekleidungsgeldleistungen aus- wurden diese jedoch mit Corona-Schutzmaßnahmen bezahlt bekommen hätten und sich nicht erklären und langen Quarantäne-Zeiten, da minderjährige könnten, weshalb ihnen von der Grundversorgung Asylwerber:innen wiederholt mit positiv getesteten dafür die Leistungen nach der Zuweisung eingestellt Personen zusammengelegt wurden. Nach einem hal- werden. Nach mehrwöchigen Recherchen stellte ben Jahr änderte sich jedoch auch die Zuweisungs- sich heraus, dass die BBU wohl gebrauchte Klei- geschwindigkeit von UMF in die Bundesländer, zumal dung aus der Kleiderkammer beziehe und diese den die Asylantragszahlen unerwartet schnell stiegen in den Bundesquartieren untergebrachten Asylwer- und die Platzkapazitäten des Bundes schnell knapp ber:innen zur Verfügung stellt. Jedes Kleidungsstück wurden. würde dann in ein entsprechendes Preissegment fal- len, welches folglich vom jährlichen Bekleidungsgeld Durch folglich sehr beschleunigte Zuweisungen kam abgezogen werden und die „krummen“ Restbeträge es in weiterer Folge jedoch dann dazu, dass UMF verursachen würde. Wie viel vom jährlichen Beklei- ohne weiße Aufenthaltsberechtigungskarte und nur dungsgeld abgezogen wird, hängt von der Menge mit den grünen Verfahrenskarten in die Landesquar- und Art der Kleidungsstücke ab, die sich die Asylwer- tiere umverlegt wurden. Dies hatte wiederum zur Fol- ber:innen in der Kleiderkammer aussuchen würden. ge, dass die Einrichtungsträger die weißen Aufent- Eine Unterschrift oder Dokumentation darüber, was haltsberechtigungskarten gemeinsam mit den UMF und wie viel Kleidung die Asylwerber:innen erhalten sehr aufwendig über das BFA besorgen mussten, um haben, steht später nirgends zur Verfügung. die Klient:innen überhaupt in der Betreuungseinrich- tung anmelden zu können, da die grünen Verfahrens- karten vom Meldeamt nicht akzeptiert wurden. Das Bekleidungsgeld für 2021 ist aufgebraucht Wünschenswert wäre, Mit den langen Wartezeiten in Traiskirchen standen auch die erteilten Geldleistungen der Grundversor- dass ... mit den einzelnen gung im Zusammenhang. So kam es bei fast allen Zuweisungen zu der (meist wochenlang verspäteten) Landesregierungen sowie Meldung, dass die im Jahr 2021 zugewiesenen UMF auch mit den Trägern in ihre gesamten Bekleidungsgeldleistungen des Jah- res 2021 vollständig oder zu einem Großteil bereits den Austausch getreten im Bundeserstaufnahmezentrum Traiskirchen aus- wird, um auch strukturelle gezahlt bekommen hätten und somit von den Trä- gern nicht mehr ausgezahlt werden dürfen. Verbesserungen zeitnah und ressourcenschonend Die unerfreulichen Folgen waren, dass die UMF für das ganze restliche Jahr kein Geld mehr erhielten, in die Wege leiten um sich Kleidungsstücke kaufen zu können und die Träger auf den Kosten der bereits ausgezahlten Leis- zu können. tungen „sitzenblieben“, da diese mit der Grundver- sorgung nicht mehr abgerechnet werden konnten. All die UMF, die noch wenige Monate Bekleidungs- 13
flucht und asyl Das Unfaire dabei: Die Asylwerber:innen werden im de, ohne dass auf die zur Verfügung stehenden Res- Bundesquartier nicht darüber aufgeklärt, dass die sourcen und Möglichkeiten Rücksicht genommen Annahme der gebrauchten Kleiderspenden eine Re- wurde. Positiv muss man zugleich auch anmerken, duktion ihrer späteren Geldleistungen zu bedeutet dass die BBU sich stets sehr kritikfähig zeigte und hat. Folglich haben sie nach der Zuweisung keine an Feedback interessiert war. Der BBU war von An- Kleidung bzw. keine Mittel zur Kleidungsbeschaffung fang an klar, dass nicht alles optimal laufen wird, mehr, sodass die betroffenen Träger der Betreuungs- weshalb auch schnell Feedback-Möglichkeiten ge- einrichtung ihre UMF auf eigene Kosten mit Sommer- schaffen wurden. Wenn man Missstände transpa- und Winterkleidung ausstatten müssen. rent deponierte, wurden diese zumindest ernst ge- nommen und direkt weitergeleitet, wenn auch nicht Bei allen Trägern, die nicht über entsprechende gleich eine Änderung möglich war. finanzielle Puffer aus z.B. Spendengeldern verfü- gen, fällt leider auch diese Möglichkeit weg. Diese Wünschenswert wäre es, wenn diese Haltung der Kosten beschränken sich jedoch nicht nur auf die BBU fortlaufend aufrechterhalten werden kann, so- Ausstattungskosten, sondern bedeuten auch in der dass weiterhin an einem Kinderschutzkonzept für monatlichen Verrechnung mit der Grundversorgung UMF sowie schnellen, österreichweit einheitlichen einen deutlich höheren administrativen Aufwand für Regelungen bzgl. der Zuweisungen und der Leistun- das Personal, da nicht nur je nach aktueller Bele- gen von Asylwerber:innen gearbeitet werden kann. gung bzw. unterschiedlichen Abzügen jeden Monat Wünschenswert wäre, dass dabei mit den einzelnen die Abrechnung anders vorgenommen werden muss, Landesregierungen sowie auch mit den Trägern in sondern da auch die ganzen Cent-Beträge in der Ab- den Austausch getreten wird, um auch strukturelle rechnungsdarstellung (z.B. verpflichtende Splittung Verbesserungen zeitnah und ressourcenschonend in von Brutto/Netto) einen höheren Arbeitsaufwand zur die Wege leiten zu können. Folge haben. Ein System, das von der BBU zwar bzgl. der Ware nachhaltig geplant, jedoch nicht zu Ende gedacht ist. Meline Mazinjan Fazit Meline Mazinjan ist die Pädagogische Leitu ng Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vom Clearing-house, Betreutem Wohnen und dem BBU seit Anfang des Jahres viel Kritik entgegenge- Gastfamilien-Projekt sowie Projektleitung bracht bekam, die größtenteils auch dem Umstand von MINERVA, Einrichtungen des SOS Kinderdo geschuldet ist, dass die Umstellung auf politischer rf. Ebene so ungeordnet und überstürzt umgesetzt wur- Kontakt: Clearing-house Salzburg, Schwanthalerstr. 43A, 5026 Salzburg, Tel.: +43 (0)662/63676615, Mobil: +43 (0)676/88144671, Mail: meline.mazinjan@sos-kinderdorf.at 14
flucht und asyl KEINE AUFENTHALTSBEWILLIGUNG FÜR NEUGEBORENE Renate Roittner und Josef P. Mautner schildern die finanzielle Notlage, in die Familien geraten, solange sie auf eine Aufenthaltsbewilligung ihrer neugeborenen Kinder in Österreich warten. Und sie zeigen einen Lösungsansatz auf. Die aufenthaltsrechtliche Situation der neugebore- mehr bezahlen. Familie N. war in dieser Zeit auf nen Kinder von Eltern, die nicht die österreichische private Unterstützer*innen sowie die Unterstützung Staatsbürgerschaft besitzen, ist prekär und bringt von NGOs und Sozialeinrichtungen angewiesen. häufig existentielle Notlagen für die Familien mit sich. Längere Wartezeiten auf die Aufenthaltsbewil- Ohne Aufenthaltsbewilligung ligung des neugeborenen Kindes führen dazu, dass keine Familienbeihilfe die Familien monatelang wichtige Sozialleistungen wie Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld nicht Ein weiteres Problem war und ist die Umstellung erhalten und in soziale Notlagen geraten. Die Leis- der Auszahlung der Familienbeihilfe auf eine zent- tungen werden zwar nach der Zuerkennung nach- rale Auszahlung durch Wien. Dadurch hat sich die gezahlt, aber die Familien haben in der Regel keine Bearbeitungszeit der Anträge aufgrund der Pande- Ressourcen, um diesen Zeitraum zu überbrücken. miesituation und wegen Personalmangels zusätzlich verzögert. Nicht alle können von privaten Spender:in- Ein Beispiel dafür ist die Situation der Familie N. Bei- nen oder Sozialeinrichtungen unterstützt werden. de Eltern sind nicht österreichische Staatsbürger:in- Fehlt diese Unterstützung, müssen sie teure Kredite nen: Der Vater ist EU-Bürger, die Mutter ist anerkann- aufnehmen, oder es droht eine Delogierung und Ob- ter Flüchtling und lebt mit einem Konventionspass in dachlosigkeit. Denn die Geschichte von Familie N. Österreich. Beide sind legal in Österreich aufhältig. ist kein Einzelfall, und es betrifft auch nicht nur Neu- Das Kind wurde im Herbst 2020 geboren. Zu diesem geborene. Zeitpunkt war die Familie aufgrund der Situation in der Pandemie ohne regelmäßiges Einkommen. Das Einer tschetschenischen Familie mit Konventions- Kind hat – gemäß dem Abstammungsrecht nach pass wurde für zwei ältere Kinder die Familienbeihil- dem Vater – eine EU-Staatsbürgerschaft. Die Frau fe nicht ausbezahlt, weil noch geprüft wurde, ob sie hat Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld - aber erst, weiter in Österreich aufhältig seien. Damit fehlten nachdem ihr die Familienbeihilfe zuerkannt worden der Familie ca. 400 Euro monatlich zum Familien- ist. Familie N. hat den Antrag auf Familienbeihilfe einkommen. In der Beratungstätigkeit von aktion ca. 1 Monat nach der Geburt des Kindes gestellt, leben salzburg mehren sich solche Fälle, in denen konnte jedoch zunächst keine Familienbeihilfe zu- aufgrund der langen Wartezeiten auf die Aufenthalts- erkannt bekommen, weil noch keine Aufenthalts- bewilligung und die Familienbeihilfe des Kindes exis- bewilligung für das neugeborene Kind vorhanden tentielle Notsituationen für Familien mit neugebore- war. Die Zuerkennung der Aufenthaltsbewilligung nen Kindern entstehen. verzögerte sich und erfolgte erst im Mai 2021. D.h. man musste mehr als ein halbes Jahr auf die Auf- Eine kroatische Staatsbürgerin, deren Kind Ende De- enthaltsbewilligung warten, ohne die es keine Fami- zember 2020 geboren wurde, musste eine monate- lienbeihilfe gibt; und ohne Familienbeihilfe erhielt lange Wartezeit auf die Aufenthaltsbewilligung des die Frau kein Kinderbetreuungsgeld. Kindes überbrücken, bis sie Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld erhielt. Auch für sie war das Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser ohne externe Hilfe nicht möglich. Und auch sie ist langen Wartezeit waren für Familie N. katastrophal: kein Einzelfall: Kroatische, serbische, bosnische und Sie hatten keine ausreichenden finanziellen Mittel rumänische Staatsbürger:innen müssen in der Re- für den Lebensunterhalt, weder für sich noch für gel monatelang auf die Aufenthaltsbewilligungen der das Neugeborene, und sie konnten die Miete nicht Kinder warten. Außerdem folgt aus dieser Situation 15
flucht und asyl ein Problem bei der längerfristigen Integration dieser Familien: Denn wenn die Eltern – in einer prekären finanziellen Situation – die österreichische Staats- Die wirtschaftlichen bürgerschaft anstreben, können sie nicht um Min- destsicherung ansuchen. Dann werden Leistungen und sozialen Folgen dieser wie Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld zu langen Wartezeit waren einem überlebensnotwendigen Bestandteil des Fa- milieneinkommens. für Familie N. katastrophal: Sie hatten keine ausreichen- In allen diesen Fällen haben beide Eltern entweder einen gültigen Reisepass oder Konventionspass und den finanziellen Mittel für sind – oft schon lange – legal in Österreich aufhältig. den Lebensunterhalt, weder Die tiefere Ursache für die geschilderten Probleme ist das in Österreich gültige „ius sanguinis“, d.h. für sich noch für das ein reines Abstammungsrecht im Hinblick auf die Staatsbürgerschaft. Das neugeborene Kind erhält Neugeborene, und sie die Staatsbürgerschaft der Eltern oder eines Eltern- konnten die Miete teils und nicht die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem es geboren wird. Dadurch entsteht die bereits nicht mehr bezahlen. benannte Verzögerung bei der Zuerkennung der Auf- enthaltsbewilligung. Denn für das Neugeborene wird ein Pass aus dem Herkunftsland der Eltern benötigt, der häufig mühsam und mit großen Verzögerungen mindest befristet auf ein Jahr – automatisch eine zu bekommen ist. Neben den in der Politik vieldisku- Aufenthaltsbewilligung, um die Wartezeit bei der tierten integrations- und demokratiepolitischen Pro- Antragstellung und die damit verbundenen sozialen blemen bringt ein reines Abstammungsrecht eben Härten für die Familie zu vermeiden. auch die hier geschilderten sozialen Problemlagen für die Familien mit sich. Renate Roittner und Befristete Aufenthaltsbewilligung Josef P. Mautner zur Überbrückung Renate Roittner ist Geschäftsführerin Abgesehen von der Debatte um das Staatsbürger- vom Verein Aktion Leben Salzburg. schaftsrecht gibt es einen anderen, pragmatischen Lösungsansatz, den wir für jene Fälle fordern, in denen die Eltern einen legalen Aufenthalt in Öster- Josef P. Mautner ist Gründungsmitglied der Plattform für Menschenrechte und Mitg reich besitzen: Ein in Österreich geborenes Kind mit lied des Koordinierungsteams, freier Schriftste einer österreichischen Geburtsurkunde erhält – zu- ller und Lektor. 16
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