LANDTAGS NACHRICHTEN - Landtag MV
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LANDTAG LANDTAGS NACHRICHTEN Mecklenburg-Vorpommern 11. November 8/2022 www.landtag-mv.de +++ Regierungserklärung zu Energiekrise +++ Aktuelle Stunde zu Bürgerprotesten +++ Neustrukturierung der kindermedizinischen Versorgung +++ Erhalt der Sprach-Kitas gefordert +++ Senioren: wertvoller Teil unserer Gesellschaft +++ Parlamentsforum Südliche Ostsee +++ Kalender-Quiz +++
2 I n h a l t 3 - 26 AUS DEM PLENUM 3 Aktuelle Stunde „Meinungsfreiheit verteidigen – Bürgerproteste ernst nehmen” auf Antrag der Fraktion der AfD 4 - 12 Auszüge aus der Originaldebatte Minister Christian Pegel, Horst Förster (AfD), Franz-Robert Liskow (CDU), Torsten Koplin (DIE LINKE), Constanze Oehlrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), René Domke (FDP), Falko Beitz (SPD), 13 - 24 Berichte Energiekrise: MV ist Teil der Lösung EU-Vogelschutzgebiet Lewitz im Wandel Neustrukturierung der kindermedizinischen Versorgung Katastrophenschutz Abschiebungen konsequenter angehen Erhalt der Sprach-Kitas gefordert Altenparlamenttagte im Plenarsaal Senioren: Wertvoller Teil unserer Gesellschaft 25 - 26 Meldungen Long COVID erforschen Agrarbericht contra Datenstatistik Ermittlungsarbeit an der Belastungsgrenze Wirtschaft und Bürger steuerlich entlasten Preis für Parkausweise diskutiert 27 Gesetzgebung 28 - 33 Ausschüsse Landschaftspflege Klimawandel und Krieg im Fokus AdR-Fachkommission für Wirtschaft Wirtschaftsausschuss vor Ort Gutachten UnimedMV 2030 34 - 35 Panorama Weihnachtliche Stimmung im Schweriner Schloss Kalender-Quiz 36 Chronik Titelfoto: Uwe Sinnecker IMPRESSUM Herausgeber: Layout: Uwe Sinnecker Namentlich gekennzeichnete Beiträge Landtag Mecklenburg-Vorpommern geben nicht in jedem Fall die Meinung des - Öffentlichkeitsarbeit - Druck: produktionsbüro TINUS Herausgebers wieder. Schloss, Lennéstraße 1, 19053 Schwerin Gedruckt auf Recyclingpapier Alle Abbildungen sind urheberrechtlich Fon: 0385 / 525-2113, Fax 525-2151 geschützt. Nachdruck nur mit a Genehmi- E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@landtag-mv.de Zugunsten des Leseflusses und aus gung des Herausgebers. Internet: www.landtag-mv.de Platzgründen ist stellenweise nur die männliche Form verwendet. Die LandtagsNachrichten können kostenlos Redaktion: Referat Öffentlichkeitsarbeit, In solchen Fällen ist die weibliche Form bezogen werden. Bestellungen sind an den Anna-Maria Leistner mitgedacht. Herausgeber zu richten. Referatsleiter: Julien Radloff Redaktionsschluss: 21. 10. 2022 LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
A k t u e l l e S t u n d e 3 Innnenminister Christian Pegel während der Aktuellen Stunde. Foto: Uwe Sinnecker Aktuelle Stunde Meinungsfreiheit verteidigen - Bürgerproteste ernst nehmen Laut dem neuesten Jahresbericht des Ost-Beauftragten der Bundesregierung denken, nur weil sie auf der Straße un- sind immer weniger Menschen der Ansicht, man könnte seine Meinung frei äu- terwegs seien. Denn es gebe keine ßern. Dies, und auch die in ihren Augen einseitige öffentlichen Diskurs zur Migra- Wahrheit bei der Meinung. Für ihn sei tion, die manipulative Berichterstattung in den Medien und die Verunglimpfung „völlig unstrittig“, dass Demonstratio- von Demonstranten nahm die AfD zum Anlass, für die Oktober-Sitzungswoche nen darauf aufmerksam machten, was eine Aktuelle Stunde zu beantragen. Während der Aussprache waren sich alle die Menschen bewege. Die Landesre- Fraktionen einig, dass die Meinungsfreiheit eines der höchsten Güter in unserem gierung nehme die Sorge um hohe Land sei. Genauso sei es verständlich, dass die Sorge über die hohen Energie- Energiepreise ernst und auch Bürger- preise die Menschen auf die Straße treibt. Diese Demonstrationen seien nicht proteste. Darum mache sie, wann im- nur lebendige Demokratie, sondern würden auch von der Regierung ernst ge- mer möglich, Gesprächsangebote. nommen werden. Aber der Argumentationslinie der AfD konnte keine der ande- ren Fraktionen folgen. Er habe immer seine Meinung sagen können, teilte Franz-Robert Liskow Die freie Meinungsäußerung sei ein in und Fakten. Der von allen Schichten des (CDU) mit. Allerdings seien in der Coro- der Verfassung niedergeschriebenes, Volkes getragene aktuelle Protest, sei na-Pandemie, Menschen mit abwei- elementares Grundrecht, stellte Horst nicht nur legitim, sondern demokra- chender Meinung zu „Querulanten“ er- Förster (AfD) fest. „Wie sie praktisch ge- tisch notwendig und ein Weckruf für die klärt worden. Auch beobachte er, dass lebt wird, sei eine andere Sache.“ Seine Regierung. bei bestimmten Themen der „Mei- Fraktion sorge sich um mediale Mani- nungskorridor“ schmaler geworden sei pulationen in der Meinungsbildung Demonstrierende hätten nicht deshalb und eine öffentliche Debatte unmög- mittels „Verdachtsmeinungen“ und „Tot- die Wahrheit auf ihrer Seite, gab Innen- lich mache. Die Politik dürfe dem „fata- schlagargumenten“ statt Sachdebatte minister Christian Pegel (SPD) zu be- len Eindruck“ keinen Vorschub leisten, LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
4 A u s d e m P l e n u m dass man zwar alles sagen dürfe, aber Bundes und der Länder von ihrer Ver- Gegenmeinung auszuhalten und sich dass es niemanden interessiere. sammlungsfreiheit Gebrauch machten. miteinander auszutauschen“. Er bedaue- Sie sehe aber auch verfassungsfeindli- re, dass es hier Defizite gebe. Es sei wichtig, dass sich die Menschen che Netzwerke und Einzelpersonen, die „artikulieren“ begrüßte Torsten Koplin mit den Ängsten der Menschen Stim- Die Ängste der Menschen, ob sie sich im (DIE LINKE) die jüngsten Demonstratio- mung gegen den demokratischen Winter eine warme Wohnung leisten nen. Die Ursachen, von der AfD sehr Rechtsstaat und dessen Repräsentanten können, hielt Falko Beitz (SPD) für nach- oberflächlich betrachtet, lägen jedoch machten, um unser demokratisches Sys- vollziehbar. Auch wenn sie dann de- viel tiefer und hätten mit der Art und tem zu delegitimieren. „Das dürfen wir monstrieren gingen. Aber er mahnte zu Weise zu tun, „wie wir produzieren, wie nicht zulassen.“ schauen, mit wem man dort auf der wir das Produzierte verteilen und wie Straße stehe. Spätestens wenn demo- sich auch Armut und Reichtum zueinan- René Domke (FDP) erkannte keine Ge- kratisch gewählten Regierungen die Le- der verhalten“. Darauf reagiere die AfD fährdung der Meinungsfreiheit in gitimation abgesprochen werde, dann mit „Demagogie“ und mache Politik auf Deutschland. Allerdings finde die freie sollte jeder der Demonstranten, der mit dem Rücken der Sorgen und Ängste Meinungsäußerung Grenzen, beson- beiden Beinen auf dem Boden des von Menschen. ders „wenn sie gegen Gesetze verstößt“ Grundgesetzes stehe, den Platz verlas- oder in Beleidigungen münde. Es gebe sen haben. Constanze Oehlrich (BÜNDNIS 90/DIE auch keinen Anspruch, dass jede Mei- GRÜNEN) hielt es als völlig rechtens, nung gehört werde. Er sei immer dafür, Es fand eine Aussprache statt. dass die Kritiker der Energiepolitik des Dinge auszudiskutieren, „Meinung und Minister Christian Pegel: Und wenn wir das zur Grundlinie der Diskussion machen, ob Meinungsfreiheit verteidigt werden muss, würden alle „Menschen ernst zu im Raume sagen, ja, und ob man Bürgerproteste ernst neh- men soll, würden wir ebenfalls sagen, ja, denn es könnte nehmen, ist mir ein hohes sein, dass der gegenüber recht hat. Es gibt keine Wahrheit in der Meinung. […] Anliegen.“ (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE, Foto: Uwe Sinnecker BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Menschen ernst zu nehmen, ist mir ein hohes Anliegen, […] keiner in den Oppositionsfraktionen wird mir vorwerfen können, dass ich unentwegt nicht ernst nähme, sondern ich versuche, und das gilt auch für Gespräche mit Menschen draußen, ernst zu nehmen. Wir müssen uns davor hüten zu sagen, weil Menschen de- monstrieren gehen, ist das offenbar die Wahrheit, und wenn Politik etwas anderes fordert, dann ist sie in der Unwahrheit, sondern wir befinden uns in einem Diskurs. […] Eine zweite Verabsolutierung, die ich für extrem gefährlich halte, die in Diskussionen im Diskurs immer häufiger auftritt, […] Dann erinnere ich mich enorm gerne an eine Rede – ich ist zu sagen „das Volk“. Ich treffe auf Demonstrationen die glaube, es war der 25. Geburtstag unserer Landesverfas- Demonstranten, die mir sagen „das Volk“. Sie stehen zu zehnt sung – der früheren Bundesministerin und insbesondere dort und sagen „das Volk“. Du bist der Volksverräter, weil das der früheren Bundestagspräsidentin Frau, ich glaube, Pro- Volk will es anders. Dann atme ich einmal schwer und sage, fessorin Dr. Rita Süssmuth, […] die einen sehr schönen Satz ich fürchte, Sie sind der Volksverräter, weil Sie das, was De- ihres Vaters zitierte, der, glaube ich, sehr richtig wiedergibt, mokratie, was der freie Diskurs will, diskreditieren, wenn Sie was Demokratie als Leitsatz braucht, was Toleranz als Leit- erstens für sich verabsolutiert sagen, „Ich bin das Volk“, und satz braucht und demokratischer Diskurs. Jedenfalls ihr Va- zweitens mir absprechen, dass ich vielleicht auch Teil dieses ter hätte ihr immer gesagt, denk bei jeder Diskussion daran, Volkes sein könnte. vergegenwärtige dir regelmäßig, dass vielleicht auch dein Gegenüber recht haben könnte, […] Wir interpretieren das gerne alle wechselseitig. Aber ich warne davor zu sagen, wenn ein Bürgerprotest passiert, (Heiterkeit und Zuruf muss ein ganzes Land sofort umkehren. […] von Horst Förster, AfD) LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
A u s d e m P l e n u m | A k t u e l l e S t u n d e 5 Und jetzt bezogen auf Ihr konkretes Thema, dass Sie sagen, Horst Förster, AfD: nehmt vor allem die momentane Situation ernst. Und da verspreche ich Ihnen, das tun wir! Die Sorge vor Energieprei- „Die Unzufriedenheit sen nehmen wir hochgradig ernst! Und wie ernst wir die nehmen und wie ernst wir im Übrigen Bürgerprotest neh- der Bürger wächst.“ men, hat die Ministerpräsidentin in einer Situation, die viele andere vielleicht anders gelöst hätten, bewiesen, als sie in Foto: Uwe Sinnecker Neubrandenburg vor eine durchaus emotionale Versamm- lung von Unternehmerinnen und Unternehmern gegan- gen ist, gesagt hat, genau den Diskurs mit euch führe ich. (Thore Stein, AfD: Herr Dahlemann nicht!) […] Drittens. Gestern war angeklungen, dass Sorgen beste- hen zu sagen, aber ihr habt nicht so viel Gäste gehabt bei euren Gesprächen als Ministerinnen und Minister. Ja, auch das gehört dazu, dass ich akzeptiere, dass Menschen sagen, ich nehme das Gesprächsangebot an oder nicht. […] wir haben aber insbesondere den Bürgerprotest, die Hinweise, die Sorgen, die Nöte ernst genommen, indem wir mit ei- nem breit aufgestellten Landesenergiegipfel die Diskussion geführt haben, uns gemeinsame Positionen gebildet haben und genau mit diesen Positionen in die Bundespolitik ge- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! gangen sind. […] Die Frage, ob ich die Mehrwertsteuerab- „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild senkung von 19 auf 7 Prozent nur für Gas oder eben auch frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zu- für Fernwärmelieferung vornehme, war ein wesentlicher gänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“, so Artikel Punkt dieses Landesenergiegipfels. Sie ist heute im Übrigen 5 Satz 1 des Grundgesetzes. Meinungsfreiheit ist ein ele- gesetzt, das ist umgesetzt worden im Deutschen Bundes- mentares Grundrecht. Auf dem Papier steht sie in so gut wie tag, […] jeder Verfassung. Wie sie praktisch gelebt wird, ist eine an- dere Sache. […] […] Ernstnahme von Meinungen heißt, alle Meinungen ernst zu nehmen und, zweitens, Verfassungsfeinde dabei zu Meine Damen und Herren, die Unzufriedenheit der Bürger unterstützen, davor muss ein Staat warnen dürfen. Und das wächst. Wir erleben Demonstrationen, wie wir sie seit der sollte nicht die Legitimation dafür sein, dass ein Staat den Wiedervereinigung nicht erlebt haben. Es brodelt, vor allen Mund halten muss, wenn gegen seine Organe gearbeitet Dingen im Osten. Erst die Corona-Krise, deren Maßnahmen wird. […] Und genau deshalb dürfen wir eine Diskussion oft nicht nachvollziehbar waren und die von vielen als aus- wie heute führen, halten die miteinander aus, aber dann las- grenzende Diffamierung empfunden wurden, dann der sen Sie uns bitte auch über Meinungsfreiheit diskutieren, Ukraine-Krieg, in den wir mehr und mehr hineinstürzen, ob- und nicht darüber, dass es angeblich unwahre oder wahre wohl es eigentlich nicht unser Krieg ist, in der Folge eine Meinungen gibt! – Herzlichen Dank! Energiekrise mit horrenden Preissteigerungen und allmäh- lich die Erkenntnis, dass Putin eben nicht alles in die Schuhe (Beifall vonseiten der Fraktionen geschoben werden kann. Es droht einem großen Teil der der SPD, CDU, DIE LINKE, Bevölkerung ein massiver dauerhafter Wohlstandsverlust, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) verursacht durch selbstschädigende Sanktionen und eine wahnwitzige Klima- und Energiepolitik. Viele Bürger sind von nackter Existenzangst ergriffen und wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. An den Protesten neh- men auch Unternehmer und Selbstständige teil, weil sie massenhafte Insolvenzen und irreparable Schäden für den Wirtschaftsstandort Deutschland befürchten. Diese Proteste sind nicht nur legitim, sie sind in einer Demo- kratie notwendig, denn der von allen Schichten des Volkes getragene Protest sollte ein Weckruf für die Regierung sein, sich endlich den Ursachen der Krise zuzuwenden und das drohende Elend abzuwenden. (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD) Doch wie reagieren die Regierenden? Sie reagieren und moralisieren mit Floskeln und warnen nach dem Motto: LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
6 A u s d e m P l e n u m „Wird der Bürger unbequem, dann ist er sicher rechtsex- Franz-Robert Liskow, CDU: trem.“ Die Demonstranten sollen genau darauf achten, wer bei den Protesten mitmacht, und sich von radikalen Grup- „Wenn Menschen pierungen distanzieren. So hat sich auch unser Innenminis- ter geäußert. befürchten müssen, (Thomas Krüger, SPD: dass sie nicht ernst Zu Recht!) genommen werden, Meine Partei hält derlei Belehrungen oder besser Einschüch- terungen für völlig unangebracht, wird der Ton rauer.“ (Julian Barlen, SPD: Foto: Uwe Sinnecker Oh Wunder!) und wenn, Herr Krüger, dann sollte man sie in beide Rich- tungen aussprechen. Besser wäre es, diejenigen zur Räson zu rufen, die mit ihrem Vokabular die Demonstranten pau- schal verunglimpfen und die damit das Klima anheizen. (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD - Enrico Schult, AfD: Sehr richtig!) Das ist inzwischen linker Brauch, (Zuruf von René Domke, FDP) vom „Pack aus Dunkeldeutschland“ bis zum „rechten Mob“, wie der GRÜNEN-Politiker Trittin die Proteste in ostdeut- […] Aber man muss auch akzeptieren, dass es eine Zahl von schen Städten jüngst abqualifizierte. Menschen gibt in diesem Land, die das auch anders sieht als ich, und da reden wir teilweise von bis zu 50 Prozent der (Zurufe von Enrico Schult, AfD, und Deutschen, je nachdem, wie gefragt wird und wer gefragt Hannes Damm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wird, die das Gefühl haben, dass es Sprechverbote gibt, und die das Gefühl haben, sie fürchten um die Meinungsfreiheit. An den Bürgerprotesten nehmen Menschen verschiedens- […] Aber ich habe auch erlebt, dass Menschen nachvoll- ter Couleur teil, die sich gerade nicht in eine Schublade ein- ziehbare Einwände brachten und dann zu Querulanten er- ordnen lassen. Sie alle eint der berechtigte Zorn gegenüber klärt worden sind. einer Politik, die unser Land offensichtlich gegen die Wand fährt. […] Dazu gehört beispielsweise […] das Thema, dass es über ei- nige Monate verboten war, im Freien Alkohol zu trinken. Herr Innenminister, ich kann nur davor warnen, friedliche Und dazu gehören auch beispielsweise Betretungsverbote Proteste bereits im Voraus zu delegitimieren, nur, weil dort für den Strand oder die zum Glück nie verwirklichten Pläne, möglicherweise auch Extremisten mitlaufen. Nehmen Sie dass man Deutschland nur aus triftigem Grund verlassen die Proteste von Bürgern aus allen Schichten und Lagern kann. Ich kann da verstehen, dass es Menschen als verlet- ernst! Das ist das Gebot der Stunde! Tragen Sie Ihren Teil zend empfunden haben, wenn sie sozial geächtet wurden, dazu bei, dass die angestauten Probleme beim Namen ge- […]. Die wenigsten Menschen, wie beispielsweise ich, ver- nannt und angefasst werden! Wenn Bürger das Vertrauen in spüren den Drang, bei mittelmäßigem Wetter und bei Wind den Staat und seine Institutionen verloren haben, dann über den Strand zu laufen. Trotzdem, ein Verbot bleibt ein steht das am Ende eines Prozesses, für den nicht die Bürger Verbot, egal ob es einen persönlich trifft oder eben nicht, verantwortlich sind. – Vielen Dank! und wenn hier der öffentliche Meinungskorridor zu eng wird, dann kann ich schon verstehen, dass es Verärgerung gibt und dass Menschen Angst haben, ihre Meinung zu sa- gen. […] Meine Meinung an dieser Stelle ist eindeutig, Russland ist der Aggressor, und wer das sehen wollte, hat das auch schon vor dem 24. Februar gesehen. Und dass die Pipeline nicht ans Netz geht, ist auch absolut richtig. (Beifall Hannes Damm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
A u s d e m P l e n u m | A k t u e l l e S t u n d e 7 Ich stelle aber auch fest, das ist im Osten in der Form nicht Torsten Koplin, DIE LINKE: die Mehrheitsmeinung. Wir können lange darüber spekulie- ren, woher das kommt oder ob es vielleicht damit zu tun „Wir leben in hat, dass den Menschen über Jahre eingeredet wurde, Putin und die Pipeline seien vollkommen unproblematisch, der beispiellosen Zeiten.“ Aggressor sei die NATO. Und das wurde eben auch von wichtigen Verantwortungsträgerinnen und -trägern der Po- Foto: Uwe Sinnecker litik auch hier aus Mecklenburg-Vorpommern teilweise vor- gelebt. […] Aber es wird schon ein wenig schwierig – und das hat mein Kollege Daniel Peters gestern auch in der De- batte angesprochen –, wenn beispielsweise Herr Pegel, und da kommen wir dann zur Kritik, auf einer Bürgersprechstun- de der Landesregierung erklärt, dass er den Protest der Stra- ße ausdrücklich begrüßt, denn der Druck der Straße sei an dieser Stelle wichtig. Und Frau Schwesig hat sich ja in Neu- brandenburg ähnlich geäußert. Das wird zumindest einzel- ne Demonstranten mindestens schon ein wenig wundern, denn ich glaube, zurzeit geht auch niemand auf die Straße, weil es darum geht, für die Politik der Landesregierung zu demonstrieren. […] Und ganz gleich, zu welcher politischen Überzeugung man neigt, wenn Menschen befürchten müs- sen, dass sie nicht ernst genommen werden, dann darf man sich auch nicht wundern, wenn der Ton ein wenig rauer Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! […] wird. Und es gibt das geflügelte Wort, dass man heute im ich bin in negativer Hinsicht, Herr Förster, beeindruckt von Gegensatz zur DDR zwar alles sagen dürfe, aber anders als Ihrer Rede. Sie hat mich verblüfft, weil Sie in der Begrün- früher interessiert es eben niemanden mehr. Und ich glau- dung der Themensetzung sich ergangenen haben in Aus- be, wir müssen schon aufpassen, dass wir diesem fatalen deutungen, was denn Herrn Merz veranlasst hätte, dieses Eindruck nicht Vorschub leisten. oder jenes zu tun, sich so oder so zu verhalten, Sie haben Mutmaßungen angestellt, ellenlang, über die Geschehnisse (Heiterkeit bei Julian Barlen, SPD: in der Ostsee, an der Pipeline, Na, dann können Sie ja mal mit gutem Beispiel vorangehen hier!) (Heiterkeit und Zuruf […] von Horst Förster, AfD) (Beifall vonseiten der Fraktion der CDU) und Sie haben sogar noch die DDR aus der Gruft holen müs- sen und in einen falschen Kontext gestellt. Das finde ich reinweg unanständig, muss ich Ihnen sagen. (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE) Das ist ein Lehrbeispiel für Demagogie aus meiner Sicht. (Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD) […] wir leben in beispiellosen Zeiten, (Thore Stein, AfD: Ja, danke!) in Zeiten, wo sich Krisen wie die Klimakrise, wie der Krieg in der Ukraine und wie die Inflation und Energiekrise nicht nur zueinander summieren, sondern quasi einem Tsunami gleich aufschaukeln, sich gegenseitig verstärken. Das führt selbstverständlich zu Unsicherheiten bei Menschen, zu Sor- gen und Ängsten: Kann ich noch bezahlen, was ich gestern noch bezahlen konnte, auch am nächsten Tag? Kann ich den Lebensalltag stemmen? Ja? (Horst Förster, AfD: Kommen Sie mal zu den Ursachen!) LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
8 A u s d e m P l e n u m Zu Ursachen haben Sie auch etwas gesagt und Sie sind Constanze Oehlrich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: oberflächlich geblieben, Herr Förster. Sie haben gesagt, die- se Sorgen und Ängste, die auf die Straße getragen werden – „Das ist Ausdruck unserer ich finde das wichtig, dass sie auf die Straße getragen wer- den, ich finde das wichtig, dass Menschen sich artikulieren – freiheitlichen Demokratie." , und Sie haben gesagt, das steht aber nur in einem Zusam- menhang mit den Sanktionen. Keineswegs, die Ursachen Foto: Uwe Sinnecker liegen viel tiefer. Schon lange leben wir mit der Art und Wei- se, wie wir produzieren, wie wir das Produzierte verteilen und wie sich auch Armut und Reichtum zueinander verhal- ten, also Vermögenswerte, leben wir in Kollision mit unserer natürlichen Umwelt, mit den Rahmenbedingungen, die wir einfach selber gesetzt haben […] Und Sie reagieren mit De- magogie. Sie reagieren damit, dass Sie auf der Schaumkrone dieser Sorgen und Ängste – und ich finde, es ist die schä- bigste Art, Politik zu machen, (Zuruf von Dr. Eva Maria Schneider-Gärtner, AfD) […] Und ich bin so stolz darauf, wir waren diejenigen, die diese Idee aus dem März dieses Jahres für einen Energie- preisdeckel weiterentwickelt und so konkretisiert haben, dass er überhaupt verhandelbar ist. Und ich finde, das sind Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleg/-innen! alles Ausdrucksformen davon, dass wir die Sorgen und Nöte Laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschen- der Menschen und auch die Proteste ernst nehmen […] Ich rechte hat der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die bin nur sehr verwundert. Und ich finde, das sind Grenzüber- Ukraine bis Mitte September 5.916 Todesopfer in der ukrai- schreitungen, zu denen auch Sie sich mal verhalten könn- nischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens ten, wenn Leute auf eine Demo gehen und erklären, Bun- 379 Kinder. […] deskanzler Scholz gehöre an die Wand, wie in Rostock geschehen. Was hat denn das noch mit Meinungsfreiheit zu In Reaktion auf die fortgesetzten Angriffe […] hat die EU […] tun? […] harte Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Russland beschlossen. Der damit verbundene weitgehende Stopp (Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD – der russischen Gaslieferungen […] stellt Deutschland vor Jan-Phillip Tadsen, AfD: Wollen große Herausforderungen. Die Energiekosten sind stark ge- Sie uns das unterstellen?) stiegen, und das stellt eine große Belastung […] dar, für die Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft hier in […] Was hat die Meinungsfreiheit denn damit zu tun, dass Deutschland. jemand Waffen mit auf eine Demo bringt? Was haben die denn da zu suchen? Und es ist klar, […] dass es dann […] Demonstrationen gibt, auch hier in Mecklenburg-Vorpommern. […] Das ist […] (Horst Förster, AfD: Sprechen Sie doch Ausdruck unserer freiheitlichen Demokratie. Gleichzeitig ist über die Töne auf Ihren Veranstaltungen!) es unbestritten […] dass vielfältige Netzwerke […] die De- monstrationen für ihre Zwecke nutzen und ihr menschen- Sollen die der Durchsetzung der Meinungsfreiheit dienen? verachtendes Gedankengut in eine breitere Gesellschaft tra- gen wollen. […] Um das zu belegen, möchte ich Ihnen (Horst Förster, AfD: einige Beispiele nennen. […] Sie greifen einen Idioten raus.) In Waren war es so, dass (...) in einer dort gehaltenen Rede […] ein Bogen gespannt wurde von der DDR-Zeit über die Coro- na-Politik bis hin zur aktuellen Situation. Und dabei wurden […] die Corona-Maßnahmen mit dem KZ-Arzt Josef Menge- le verglichen. […] Weder wurde die Rede daraufhin abge- brochen, noch war Widerspruch zu hören. In Rostock […] ermittelt der Staatsschutz aufgrund eines möglichen Mordaufrufs auf einer Demonstration. Dort fie- len am 19. September 2022 nach der Parole „Olaf Scholz ist nicht unser Kanzler“ aus der Menge deutlich hörbar die Worte „Scholz an die Wand!“ LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
A u s d e m P l e n u m | A k t u e l l e S t u n d e 9 Am 25. September 2022 hat ein Mitglied der Partei „dieBasis“ René Domke, FDP: eine Demonstration in Lubmin organisiert. Der Organisator fiel schon während der Corona-Demos in Greifswald damit „Die Meinungsfreiheit ist auf, das er ein „Nürnberg 2.0“ forderte, womit er ganz klar auf die Nürnberger Prozesse anspielte. […] ein hohes Gut.“ Ich könnte meine Aufzählung noch eine ganze Weile fort- Foto: Uwe Sinnecker setzen, aber ich denke, mein Punkt ist klargeworden: […] Die rechtsextremen, verfassungsfeindlichen Auffälligkeiten auf den sogenannten Montagsdemos sind keine Einzelfäl- le.[…] (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Ich rufe […] dazu auf, genau darauf zu achten, wer die De- monstrationen anmeldet, wer dort mitläuft und was von den Redner/-innen gesagt wird. […] Und alle Teilnehmer der Demonstrationen gegen die Energiepolitik fordere ich dazu auf, sich […] von Rechtsextremisten und Verschwö- rungsmysthiker/-innen zu distanzieren. (Thore Stein, AfD: Mystiker/-innen!) […] ich glaube, das machen wir tagtäglich, dass wir die Mei- nungsfreiheit in Deutschland verteidigen […] – hier im Ple- Zeigen wir diesen Menschen, dass wir zwar oft unterschied- num, draußen auf der Straße, im Gespräch mit Bürgerinnen licher Meinung sind, uns aber geschlossen gegen die Fein- und Bürgern, zu denen wir uns natürlich auch selber zählen. de unserer Verfassung stellen! Danke für Ihre Aufmerksam- keit. […] ich sehe die Meinungsfreiheit in Deutschland über- haupt nicht als gefährdet an. (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, […] BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP) Das beste Beispiel, dass die Meinungsfreiheit funktioniert, haben wir gerade in einer Debatte erlebt, wo viele Meinun- gen ausgetauscht, teilweise auch gebrüllt wurden. Aber auch das gehört zur Meinungsfreiheit dazu. […] Die Verteidigung der Meinungsfreiheit ist Teil der DNA der Liberalen, und für uns steht die Freiheit der Menschen an oberster Stelle. (Beifall vonseiten der Fraktion der FDP) […] Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut […] und von den Urhebern unserer Verfassung aus den historischen Er- fahrungen, die dieses Land machen musste, in das Grund- gesetz aufgenommen. […]. […] es gehört zum Umgang von uns Liberalen, aber sicherlich auch aller Menschen, dass man andere Meinungen respektiert, gerade auch die, die man nicht teilt. [...] Und ich für meinen Teil kann für mich in Anspruch nehmen, dass ich […] dankbar bin für eine andere Meinung. Ist es nicht die höchste Form kommunikativer Anerkennung, dass jemand mich an seinen Gedanken teilhaben lässt, mir seine eigene Meinung öffnet? […] Das ist doch eine wertvolle Sa- che im Umgang miteinander, im respektvollen Umgang miteinander. Es eröffnet ja auch mir die Möglichkeit, einen Perspektivwechsel einzunehmen, besser zu verstehen. […] schwierig […] wird es immer dann, wenn […] derjeni- ge, der sich auf die freie Meinungsäußerung beruft, erwar- LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
10 A u s d e m P l e n u m tet, dass diese eine Meinung unkritisch übernommen wird. Falko Beitz, SPD: Schwierig wird es immer dann, wenn derjenige, der sich auf die freie Meinungsäußerung beruft, selbst eine gegenteilige „Demonstrationen sind Meinung nicht akzeptieren […] oder sie nur schwer ertra- gen kann. berechtigter Bestandteil (Thomas Krüger, SPD: So ist es.) einer lebendigen Schwierig ist es immer dann, wenn derjenige, der sich auf Demokratie.“ die freie Meinungsäußerung beruft, verlangt, dass jemand anderes sich überhaupt diese Meinung anhören muss. […] Foto: Uwe Sinnecker darauf gibt es keinen Anspruch. (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE, FDP und Hannes Damm, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) […] zu den Protesten. Ich muss zugeben, dass ich nicht den Eindruck habe, dass irgendjemand hier im Haus die De- monstrationen per se nicht ernst nimmt. […] es verdient grundsätzlichen Respekt, dass Menschen überhaupt die Überlegung treffen zu sagen, ich gehe für meine Meinung auf die Straße – das ist sehr hoch anzuerkennen […] wir setzen uns doch mit den Protesten auch inhaltlich ausei- nander. Das machen wir doch hier schon fast in jeder Sit- zung, dass wir die Themen, auch die, die draußen diskutiert […] Ich möchte mit einem […] Sprichwort beginnen: Angst werden, hier doch reflektieren [...] und nach Lösungen su- ist ein schlechter Ratgeber. Angst lähmt, […] engt unseren chen. […] es gibt nur verschiedene Lösungsansätze. […] Fokus ein und mit Angst beschränken wir uns auf das Erken- nen von Bedrohungen. Und mit dieser Angst sollte man Ich habe alles kennengelernt auf diesen Demonstrationen. nicht spielen. […] Und da habe ich oft den Eindruck, dass wir nicht mehr in der Lage sind als Gesellschaft, Meinungen und Gegen- […] natürlich nehme ich die in vielen Fällen nachvollziehba- meinungen auszuhalten […] ren Demonstrationen […] sehr ernst […]. Hohe Energieprei- se, gerade in kleinen Haushalten oder […] mit kleinen und mittleren Einkommen, bei Rentnerinnen und Rentnern, hohe Energiepreise belasten insbesondere kleine Unterneh- men, und […] gefährden Arbeitsplätze. Und für viele Men- schen steht die Frage im Raum, ob sie im nächsten Winter eine warme Wohnung haben und ob sie diese bezahlen können. Diese Ängste sind nachvollziehbar und auch die Demonstrationen aufgrund dieser Ängste ebenso. […] Das Demonstrationsrecht […] ist eines der höchsten Güter in unserem Land. In Grundgesetzartikel 8 lautet es: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Er- laubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE) Und […] blickt man auf die Demonstrationen im Land […], so muss man festhalten, sie sind berechtigter Bestandteil ei- ner lebendigen Demokratie. […]. Aber man muss schauen, mit wem man […] dort auf der Straße steht. Und wenn in Lubmin, […] ein Andreas Kalbitz frei sprechen darf, der im Übrigen Ihre Partei verlassen musste, weil er zu weit rechts außen war, (Zuruf von Horst Förster, AfD) LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
A u s d e m P l e n u m | A k t u e l l e S t u n d e 11 Foto: Uwe Sinnecker Falko Beitz (SPD) während der Aussprache im Plenum wirft das große Fragezeichen auf. Wenn man in Sachsen Gal- […] jetzt sind Sie in dieser Energiekrise unterwegs, mit einer gen bei Demonstrationen mitführt, an denen Politiker hän- Wende 2.0 […] zu fabulieren, und das maximal unglaubwür- gen sollen, dann ist eine Grenze überschritten […]. dig. Der Bundesschatzmeister der AfD Carsten Hütter schreibt etwa in seinen Social-Media-Foren, Zitat: „Wir haben (Beifall vonseiten der nicht für die deutsche Einheit gekämpft, damit wir von grü- Fraktionen der SPD, DIE LINKE und nen Kommunisten regiert werden.“ Anne Shepley, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Krüger, SPD: So ist es.) (Nikolaus Kramer, AfD: Das ist auch richtig so.) Wenn letztlich demokratisch gewählten Regierungen die Legitimation abgesprochen wird, spätestens dann sollte je- Da sei mal die Frage erlaubt, wie dieser Mann für die deut- der Demonstrant […] den Platz verlassen haben. sche Einheit gekämpft hat, ein Mann, der in Unna geboren wurde und zur Wendezeit Soldat bei der Bundeswehr war. Die AfD hat diese Aktuelle Stunde bewusst gewählt. Bereits im Titel wird deutlich, er impliziert einen Spaltungsversuch, (Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD – er unterstellt, dass wir eingeschränkte Grundrechte haben, Zuruf von Julian Barlen, SPD) und damit entlarvt sich die AfD hier selbst. Der Protest wird genutzt, um aus Ängsten Kapital zu schlagen. Das ist Ihre Ich will das nicht ins Lächerliche ziehen. Vergleiche mit der Methode. Und Sie haben es selbst angeführt, nach 2015 mit friedlichen Revolution von 1989 verbieten sich aus Respekt der Antimigrationsbewegung haben Sie versucht, Ihre Par- vor den mutigen Menschen in der DDR, die für ihre Freiheit tei durch eine Frischzellenkur von einer toten Partei zu han- auf die Straße gingen. geln – von Protestpotenzial zu Protestpotenzial. Es folgte Corona, das funktionierte ein bisschen am Anfang, und als (Beifall vonseiten der die Menschen mit dem Virus in Kontakt kamen und begrif- Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE, fen, dass es auch sie selbst treffen kann, dass ihre Familie be- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP – troffen sein kann, dass es im Umfeld schwere Verläufe gibt, Thomas de Jesus Fernandes, AfD: dann haben die Menschen begriffen, dass Sie dort groß mit Wo waren Sie denn da, dass Sie sich Wind und Luft unterwegs sind. […] darüber hier ein Urteil erlauben?) LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
12 A u s d e m P l e n u m Menschen demonstrierten in einer Diktatur für ihre Freiheit, ses sind unverletzlich“. […] wo Hass und Hetze auf Politike- und zwar mit der Angst, dafür […] ins Gefängnis zu gehen. rinnen und Politiker treffen, Heute sind Demonstrationen polizeilich geschützt. Schauen Sie nach Russland und in den Iran, wenn Sie eingeschränkte (Enrico Schult, AfD: Was ist „Hass und Hetze“? Presse- und Meinungsfreiheit sehen wollen […]! Können Sie das mal definieren, Herr Beitz?) (Beifall vonseiten der wo die Demokratie als solche und die Grundordnung der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE, Bundesrepublik infrage gestellt werden, sind rote Linien BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP – überschritten. Wir werden als SPD-Fraktion selbstverständ- Unruhe vonseiten der Fraktion der AfD – lich für die freie Meinungsäußerung eintreten, auch für die Glocke der Präsidentin) der AfD […] und wir werden auch dafür sorgen, dass die Ge- gendemonstranten, die der AfD lautstark mitteilen, was sie […] die aktuelle Krise hat ohne Zweifel tiefgreifende Auswir- von Spaltung und Hetze halten, gleichermaßen ihr Recht auf kungen. Die Ministerpräsidentin hat es in ihrer gestrigen Re- freie Meinungsäußerung wahrnehmen können. gierungserklärung deutlich gemacht, wie die Regierung da- mit umgeht, dass sie Menschen […] in der aktuellen Und eines […] noch […]: Erklären Sie mir bitte unter Bezug Situation ernst nehmen, dass sie Menschen, die Unterstüt- auf die heutige Überschrift […], zung benötigen, auch Unterstützung geben wird, dass Un- ternehmen, die Unterstützung benötigen, diese auch be- (Enrico Schult, AfD: Machen wir gleich!) kommen, […], niemand wird alleingelassen. Das ist das Versprechen unserer Landesregierung und das ist im Übri- bei den Demos von „Fridays for Future“ habe ich Sie noch gen auch das Versprechen des deutschen Bundeskanzlers nicht gesehen. […]. (Beifall vonseiten der Fraktionen (Heiterkeit bei Enrico Schult, AfD, der SPD und DIE LINKE – und Jan-Phillip Tadsen, AfD: Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD) Doch, waren wir auch.) Und die Tatsache, dass Sie aufrufen, demokratisch gewähl- Nehmen Sie […] als AfD diese Proteste gleichermaßen ten Politikerinnen und Politikern nicht zu glauben, lässt tief ernst? – […] blicken. Sie können das ja in der Sache immer kritisieren. 200 Milliarden, um Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen (Beifall vonseiten der von hohen Energiepreisen zu entlasten! Ich erwarte keinen Fraktionen der SPD, DIE LINKE und Applaus, aber Sie bringen gebetsmühlenartig von Sitzungs- Dr. Harald Terpe, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) woche zu Sitzungswoche […] immer wieder die gleichen Argumente, wohl wissend, dass sie uns nicht weiterbringen. (Zuruf von Horst Förster, AfD) Fossile Energieträger stärker nutzen, Kernkraft ausbauen, Gas und Öl aus Russland. Schönen Dank! (Heiterkeit vonseiten der Fraktion der AfD) […] Demonstrationen und freie Meinungsäußerungen ha- ben Grenzen, wenn Versammlungen eben nicht mehr fried- lich sind, wenn Meinungsäußerungen dazu gebraucht wer- den, andere Grundrechte anzugreifen, Grundrechte wie Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, Artikel 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver- sehrtheit“, Artikel 3: „Niemand darf wegen seines Geschlech- tes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevor- zugt werden“, (Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Leben Sie das doch mal! Leben Sie das doch selbst einmal, was Sie da vorgelesen haben!) Artikel 4: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnis- LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g 13 Foto: Uwe Sinnecker Ministerpräsidentin Manuela Schwesig während der Regierungserklärung am 5. Oktober 2022. Energiekrise MV ist Teil der Lösung Die Entlastungspakete sind ein gemeinsamer nationaler Kraftakt von Bund und Ländern Die Regierungserklärung der Okto- Nach den Ausführungen der Minister- Ministerpräsidentin Manuela Schwesig ber-Sitzungswoche zum Thema „Aktu- präsidentin zu den energiepolitischen (SPD) betonte drei Dinge für die Krisen- elle Situation der Energieversorgung“, Maßnahmen des Landes und den Ent- bewältigung: sichere Energieversor- flankiert von drei Anträgen und drei lastungspaketen des Bundes, ergriffen gung, Energiesparen und bezahlbare Änderungsanträgen, mündete in einer pro Fraktion mehrere Abgeordnete so- Energiepreise. vierstündigen Debatte. wie der Wirtschaftsminister das Wort. Da MV „doppelt so viel Strom aus erneu- SPD und DIE LINKE forderten verlässli- Der Tenor der Reden war, die Probleme erbarer Energie [produziert] als wir che Antworten für die Menschen. Die der Energieversorgung mit Nachdruck selbst verbrauchen“, müsse sich das für Entlastungspakete des Bundes müss- anzupacken. Alle Fraktionen kritisier- die Menschen im Land „in fairen Strom- ten konkreter und schneller kommen ten, dass die Entscheidungen der Bun- preisen widerspiegeln“. und wo nötig mit Landesmitteln er- desregierung zu zögerlich kommen. In Lubmin hätten die Bauarbeiten für gänzt werden. ein LNG-Terminal begonnen. Der Hafen Der Antrag der AfD drang auf die Nut- Die beiden Anträge und Änderungs- Rostock versorge Schwedt mit Öl. „MV zung von fossilen Energieträgern, anträge der Opposition fielen durch, ist Teil der Lösung. Wir wollen, dass das Kernkraftwerken und des intakten der Antrag und Änderungsantrag der anerkannt wird“, verlangte die Minister- Nord Stream-Stranges. Regierungskoalition wurden ange- präsidentin. Im CDU-Antrag ging es hauptsächlich nommen. Dennoch blieben bei den Menschen um einen unbürokratischen Preisde- Ängste, dass sie „alles verlieren, was sie ckel für alle Energiearten. sich in den letzten Jahrzehnten aufge- LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
14 R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g Fotos: Uwe Sinnecker baut haben“. Darum brauche es einen Energiepreisdeckel, der Strom, Gas und Wärme umfasst. Das habe den Vorteil, dass nicht hinterher mit Hilfen und An- tragsverfahren unterstützt werden müsse, sondern es könne geholfen wer- den, bevor Notlagen entstünden. Der Fraktionsvorsitzende Nikolaus Kra- mer (AfD) wunderte sich, dass die Re- gierungserklärung die Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines mit keinem Wort erwähnte. Dabei sei das „nichts weniger als ein Angriff auf die europäische Ener- gieversorgung und nichts weniger als ein Angriff auf unser Land“ gewesen. Eine Möglichkeit zur kurzfristigen Lö- sung der Energiekrise wurde genom- men. „Angesichts dieser existenziellen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig Krise“ im Land müssen alle Energieträ- ger in Betracht gezogen werden. Mittel- fristig gehöre dazu, sich für eine Lauf- Politik müsse handeln, so Fraktionsvor- zeitverlängerung der Kohlekraftwerke sitzende Jeannine Rösler (DIE LINKE), und für einen innovativen Ausbau der besonders in Zeiten der Krise. „Diese Kernenergie einzusetzen. „Aufbau statt Landesregierung hat klug und weitsich- Rückbau lautet die Devise“, unterstrich tig gehandelt, als sie der Bundesratsini- der Politiker. Entlastungen seien wich- tiative von Bremen zur Abschöpfung tig, aber es brauche eine Perspektive für von Übergewinnen beigetreten ist“, das Land und die Bürger. Dazu gehör- hob die Abgeordnete hervor. Dieses ten „sofortige Entlastung, ohne Umwe- „beherzte und kluge Anpacken“ vermis- Fraktionsvorsitzende Jeannine Rösler (DIE LINKE) ge“, einschließlich der Aussetzung von se sie auf der Bundesebene: „Die Ampel Steuern und Abgaben, besonders auf bleibt immer noch wichtige Antworten Erdgas sowie beim Kraftstoff. schuldig.“ Andere europäische Länder bekannten Wenigstens gebe es nun auf Druck der sich längst zum Energiepreisdeckel. In Länder eine Gaspreisbremse, stellte der Deutschland ginge es durch die Schul- Fraktionsvorsitzende Franz-Robert Lis- denbremse nicht. „Es ist aus politischer, kow (CDU) fest. „Das ist die gute Nach- sozialer und ökonomischer Sicht zwin- richt“, fuhr der Abgeordnete fort. Der gend erforderlich, dass diese heilige Bund müsse endlich das Modell der Kuh endlich geschlachtet oder zumin- Fraktionsvorsitzender René Domke (FDP) Preisbremse vorstellen. Der Politiker plä- dest ausgesetzt wird“, ließ die Parlamen- dierte dafür, sein einst im Plenum be- tarierin keinen Zweifel. Es gebe Entlas- schriebenes, einfaches und nachvoll- tungen, aber diese kämen für viele spät ziehbares Modell anzuwenden. oder zu spät. „Und ich fürchte, das reicht Bezugsgröße sei der Verkaufspreis vom nicht aus“, sorgte sich Jeannine Rösler. 24. Februar, der mit einem Aufschlag versehen werde. „Und die Differenz zwi- Fraktionsvorsitzender Dr. Harald Terpe schen dem Markt- und Verkaufspreis (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zeigte sich bezahlt der Staat.“ Wichtig sei, „dass es über das 200-Milliarden-Paket des Bun- schnell passiert“. Weitere Optionen sei- des erfreut. Die Erwartungen und For- en die Laufzeitverlängerung bei Kern- derungen der Bürger an die Politik be- Wirtschaftsminister Reinhard Meyer kraftwerken, eine Zufallsgewinnsteuer stünden zu Recht. Bei ihm sei die oder die Aussetzung des Merit-Order- Zuversicht gewachsen, weil Entlas- seien die Maßnahmen auf Bundesebe- Prinzips, wonach sich der Preis am teu- tungspakete gegriffen haben. Ebenso ne, für diejenigen in größter Not, ein ersten Gaskraftwerk orientiere. Franz- wichtig sei, dass in dieser Zeit eine Be- richtiger Schwerpunkt. Hinzu kämen Robert Liskow warnte, „dass die Zukunft reitschaft bestünde, „auch bei Differen- die Aktivitäten des Landes beim Ausbau der Industrienation Deutschland nicht zen in der Not zusammenzustehen.“ Die der erneuerbaren Energien und zur leichtfertig verspielt werden darf.“ Erwägung der Ministerpräsidentin, den Energieeinsparung. Dr. Terpe betonte, Härtefallfonds vorzuziehen und in aku- dass die Politik der Bevölkerung das Sig- ten Notsituationen zu helfen, sei richtig, nal sende, dass sie nicht allein gelassen stimmte der Abgeordnete zu. Genauso würden: „Und dieses Signal ist richtig.“ LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g 15 Fotos: Uwe Sinnecker Gäste auf der Besuchertribüne im Plenarsaal. Interessierte können sich unter folgender Mail- Adresse anmelden: besucherdienst@landtag-mv.de. Abgeordnete der Fraktionen AfD, FDP, CDU, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und SPD Dennoch bliebe die Frage, erwiderte Mecklenburg-Vorpommern sei nicht Beschluss: René Domke (FDP), „warum uns diese nur das Land zum Leben, sondern auch Es fand eine Aussprache statt. Herausforderung so eiskalt erwischt ein Land zum etwas bewegen – im und warum wir nicht auf diesen Ernst- Kreis der Bundesländer und auf der in Verbindung mit: fall vorbereitet waren“. Die Energiepoli- Bundesebene. Wichtige Punkte blieben a) Antrag SPD, DIE LINKE tik der vergangenen Jahre habe dabei, die Versorgung zu sichern und Drucksache 8/1356 Deutschland bei gleichzeitigem Atom- eine Mangellage gar nicht erst eintreten hierzu ausstieg abhängig gemacht. Der zu lassen, die Energiesouveränität Änderungsantrag SPD, DIE LINKE schnellere Ausbau der erneuerbaren schneller durch mehr erneuerbare Ener- Drucksache 8/1404 Energien wäre nötig gewesen. Sicher- gien zu fördern und die Menschen so- Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS lich werde es gelingen „die größten Här- wie die Wirtschaft insgesamt zu entlas- 90/DIE GRÜNEN ten abzufedern, aber nicht alles“. ten. Jetzt käme es darauf an, „dass die Drucksache 8/1407 Die FDP wolle auch nicht, dass die über Dinge wirklich und wirksam bei den Beschluss: Jahrzehnte hart erarbeiteten Rücklagen Menschen ankommen“. Annahme des Änderungsantrages auf aufgebraucht würden. Der Fraktions- Drucksache 8/1404 vorsitzende bemängelte, in der Regie- Politik müsse lernfähig sein – besonders Annahme des geänderten Antrages auf rungserklärung nicht viel „über konkre- in der Krise, bilanzierte Wirtschaftsmi- Drucksache 8/1356 tes Handeln hier im Bundesland“ gehört nister Reinhard Meyer (SPD). Dies habe Ablehnung des Änderungsantrages auf zu haben. „Warum reden wir nicht über sich bei der Ministerpräsidentenkonfe- Drucksache 8/1407 ein landesweites Belastungsmoratori- renz als Vorteil herausgestellt. Politik um?“ Er regte „eine gesunde Mischung müsse auch pragmatisch sein und Posi- in Verbindung mit: aus preisstabilisierenden Elementen ei- tionen überdenken. b) Antrag AfD nerseits und Anreizen für einen sparsa- Der entscheidende Punkt sei, dass die Drucksache 8/1351 men Umgang mit dem knappen Gut Energiepreisbremse komme und den hierzu andererseits“ an. Menschen die Sorgen genommen wür- Änderungsantrag AfD den. Es sei der Landesregierung daran Drucksache 8/1405 Die Erarbeitung und die Umsetzung der gelegen, vorn anzufangen, also beim Beschluss: Hilfsmaßnahmen, fielen nicht vom Him- Preis zu regeln, um hinten, bei den di- Ablehnung des Änderungsantrages mel, hob der Fraktionsvorsitzende Ju- rekten Hilfen, nicht so viel nachsteuern Ablehnung des Antrages lian Barlen (SPD) hervor. Da habe MV zu müssen. „Deswegen ist das der richti- auf der Bundesebene auf „alle wesentli- ge Weg für Deutschland und auch für in Verbindung mit: chen Beschlusspapiere“ Einfluss neh- Mecklenburg-Vorpommern“, zeigte sich c) Antrag CDU men können. Aus dem im September der Minister zufrieden. Drucksache 8/1406 eingebrachten Antrag der MV-Koalition Für Hilfsmaßnahmen gelte eine „klare Beschluss: seien wesentliche Festlegungen und Reihenfolge“ mit dem bewährten „Drei- Ablehnung des Antrages Positionen nicht nur auf der Minister- klang“: jetzt gebe es die Hilfen für akute präsidentenkonferenz, sondern auch als Fälle, der Bund habe die Gaspreisbrem- Beschlussvorlage der Bundesregierung se zu konkretisieren und bei verbleiben- berücksichtigt worden. den Lücken springe das Land ein. LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
16 A u s d e m P l e n u m / B e r i c h t e EU-Vogelschutzgebiet Lewitz im Wandel Ein Plan für die Lewitz muss vielfältigen Interessen gerecht werden Foto: Jens Büttner neutral werden wollen – und müssen – dann muss mehr passieren.“ 12,5 Prozent der Landesfläche, fast 300.000 Hektar, seien Moore. Davon könnten 130.000 Hektar renaturiert wer- den. Knapp 40.000 Hektar seien renatu- riert oder im Prozess der Renaturierung. Das sei „schon eine gewaltige Leistung“, gab der Minister zu bedenken. Die Le- witz sei ein gutes Beispiel, wo es einer Gesamtlösung bedürfe, wo Moorschutz „als gesamtgesellschaftlicher Verände- rungsprozess verstanden werden muss“, vor allem aber im Einklang mit den Ag- rarbetrieben und mit Akzeptanz der Be- völkerung. In der Lewitz werde man „nicht den zweiten vor dem ersten Schritt machen können“, sondern einen Managementplan auf die gerade erar- Die weiten Wiesen- und Ackerflächen der Lewitz sowie die dortigen Fischteiche sind unter Schutz gestellt. beiteten Analysen und Studien aufbau- en. Die Lewitz, im Dreieck Parchim, Cri- Ziel des Antrages seiner Fraktion sei vitz, Neustadt-Glewe gelegen, zählt „eine umweltverträgliche Landnutzung Thore Stein (AfD) merkte an, dass selbst mit einer Fläche von 16.500 Hektar zu mit Klima- und Naturschutzzielen“ zu ein Schutzgebiet wie die Lewitz eine einem der größten Schutzgebiete im vereinbaren, erläuterte Dr. Harald Terpe durch den Menschen geformte Kultur- Land. Es ist Rastgebiet für Zugvögel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das Ansin- landschaft sei. Vor allem durch die Ent- genauso wie Brutgebiet für seltene Ar- nen. wässerung sei vieles verloren gegangen. ten. Zum Gesamtökosystem gehören Trotz bestehender Schutzmaßnahmen Der seit der Wende verfolgte „konse- auch Wiesen, Wälder, Seen und eine für die Lewitz sei in jüngster Zeit kein quente Naturschutzgedanke“ müsse in der größten Niedermoorlandschaften Fortschritt im Bestand seltener Wiesen- „einem ausgewogenen Verhältnis“ zu Nordostdeutschlands. 63 Prozent der vögel, wie Großer Brachvogel, Ufer- den Nutzungsansprüchen der Men- Lewitz werden als Ackerfläche oder schnepfe oder Wachtelkönig erreicht schen stehen. Die Lewitz sei von Land- Dauergrünland landwirtschaftlich ge- worden. Die Naturschützer vor Ort be- wirtschaft mit relativ „geringer Eingriffs- nutzt. richteten über eine relativ intensive Nut- tiefe“ in den Naturhaushalt geprägt. Das Land setzt für die Lewitz bereits zung der Lewitzwiesen. „Das ist nicht im Dazu gehörten die Weidehaltung, die umfangreiche Maßnahmen im Rah- Sinne der Schutzziele im Vogelschutz- Pferdezucht und primär die Grünland- men des Moorschutzkonzepts um. gebiet“, mahnte der Fraktionsvorsitzen- wirtschaft. Er wolle auch ansprechen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verdeutlich- de. „Es braucht aber ebenso Änderun- dass die Lewitz zum Wasserhaushalt des te mit einem Antrag, dass angesichts gen im Nutzungsregime des Schlossparks Ludwigslust beitrage. Soll- der Bedeutung des Gebietes für den Grünlandes.“ Und dafür sei dringend – ten die Wasserstände in der Lewitz für Klimaschutz und den Erhalt der Biodi- nicht erst 2027 – ein konkreter Manage- die Moorvernässung angehoben wer- versität mehr notwendig wäre; vor al- mentplan notwendig, befand Dr. Terpe den, würde das Konsequenzen in Lud- lem schneller. Die Fraktion schlug vor, und ermunterte seine Kollegen „ge- wigslust haben. Solche Dinge dürften auf allen Niedermoorflächen der Le- meinsam die Schlagzahl für Natur- und nicht außer Acht gelassen werden und witz den Grundwasserspiegel anzu- Klimaschutz im EU-Vogelschutzgebiet darum lehne die AfD den Antrag ab. passen, eine Natura-2000-Station ein- Lewitz“ zu erhöhen. zurichten und für das Vogelschutz- Für Wolfgang Waldmüller (CDU) mach- gebiet schon 2023 mit der Erarbeitung Moorschutz habe eine hohe Bedeutung te vor allem die beabsichtige Natura- eines Managementplans zu beginnen. für die Landesregierung, versicherte 2000-Station wenig Sinn. Sie sei mit „er- Landwirtschaftsminister Dr. Till Back- heblichem finanziellen und personellen haus (SPD): „Wenn wir bis 2040 CO2- Aufwand“ verbunden, ohne Vorteile für LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
A u s d e m P l e n u m / B e r i c h t e 17 Foto: Jens Büttner die dort wohnenden und arbeitenden Menschen. Bei der Ausweisung des Vo- gelschutzgebietes sei den Landeigentü- mern und Nutzern einst zugesagt wor- den, dass die bestehenden Nutzungs- formen unverändert blieben. Der CDU sei daran gelegen, dass die Wiederver- nässung von Moorgebieten nur im Ein- vernehmen mit den Betroffenen erfolge. Das erfordere auch Ausgleichszahlun- gen bei Nutzungseinschränkungen oder Ertragseinbußen. Unklar war für Wolfgang Waldmüller, woher angesichts der Klimasituation ausreichend Wasser für die Anhebung des Grundwasserspiegels in der Lewitz kommen solle. Er empfehle, zu prüfen, ob die Verluste in der Vogelwelt von natürlichen Feinden Die ausgedehnten Wiesenflächen sind ein beliebtes Vogelrastgebiet. verursacht würden. „Schnellschüsse“ wie im vorliegenden Antrag lehne die CDU len Nutzern möglich sein. Einen „derart Die Vernässung der Moore sei nur lang- ab. weitgehenden Beschluss, der in das Ei- fristig erreichbar, stimmte Dr. Harald gentum von unzähligen Menschen ein- Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) am DIE LINKE teile grundsätzlich die An- greift“ könne die FDP nicht mittragen. Ende der Debatte zu. Förderziele ändern sicht, dass „in einem so wichtigen Ge- Eine Natura-2000-Station bringe zusätz- sich im Laufe der Jahre, genauso wie biet“ eine angepasste Nutzung benötigt liche Bürokratie und somit Kosten. Es sich eine menschengemachte Kultur- werde, bestätigte Daniel Seiffert für sei- existierten schon zahlreiche Verwal- landschaft permanent weiterentwickelt. ne Fraktion. Der Unterschied liege im tungsstrukturen. Hinsichtlich des Ma- Dennoch sei es nicht verkehrt, mit dem Weg dahin. Der schwerwiegende Ein- nagementplans sei die Arbeit dazu für Managementplan oder anderen Maß- griff durch die Entwässerung bliebe eine 2027 geplant. Abgesehen von der erfor- nahmen früher anzufangen. Er bedaue- „Bürde aus der Vergangenheit“. Die Le- derlichen „gigantischen Menge an Ar- re die generelle Ablehnung des Antra- witz habe nicht nur einen hohen Wert beit“ - würde der Plan vorgezogen, blie- ges. für die Vogelwelt, sondern auch für die ben andere Dinge liegen. Landwirtschaft, wie zum Beispiel für das In der Abstimmung votierte nur BÜNDNIS Gestüt Lewitz mit seinen 5.000 Pferden. Dr. Sylva Rahm-Präger (SPD) war es 90/DIE GRÜNEN für den Antrag, alle Aufgrund der komplexen hydrologi- wichtig klarzustellen, dass die Natur- anderen Fraktionen dagegen. schen Bedingungen „aber auch weil es schutzziele im Land nicht „aus den Au- viele unterschiedliche Flächeneigentü- gen verloren wurden“. Im Gegenteil: Antrag BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mer gibt, müssen wir aufpassen, dass Viele Initiativen wie die ökologischen Drucksache 8/1358 wir Naturschutz mit den Flächennutzern Wertpapiere „Moor-Futures“ seien in MV Beschluss: Ablehnung des Antrages und nicht gegen sie hinbekommen“, be- erdacht worden. Allerdings, „all diese tonte der Abgeordnete. Maßnahmen kosten Geld“ und eine wei- Die Managementpläne für die Vogel- tere Natura-2000-Station würde erhebli- schutzgebiete seien in Arbeit. „Mehr und che Ressourcen binden. schneller ist wünschenswert“, aber Auf dem Dauergrünland der Lewitz wirt- durch personelle Engpässe unrealis- schafteten acht landwirtschaftliche Be- tisch. Daher könne dem Antrag nicht zu- triebe mit Schwerpunkt Milchviehhal- gestimmt werden. tung. Das feuchte Grünland sichere Natura 2000 auch in trockenen Jahren eine aus- Auch die FDP lehne den Antrag ab, teilte kömmliche Futterproduktion. Die Land- Natura-2000-Gebiete sind ein Netz- Sandy van Baal mit. Sie erkenne in der wirte seien Eigentümer oder Pächter werk von speziellen Schutzgebieten, Forderung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dieser Flächen. „Eine partielle Anhebung die gefährdeten Arten von europäi- NEN nach einer „Etablierung eines moor- des Grundwasserspiegels, so dies über- scher Bedeutung Lebensräume bieten. schonenden Grundwasserspiegels für haupt noch möglich ist, bedarf der Zu- Es kommen die Bestimmungen der alle Niedermoorflächen in der Lewitz“ stimmung der Eigentümer.“ Sie schlage Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH- und der im Antrag erwähnten Abstim- die Nutzung von Paludikulturen, wie Richtlinie) und der Vogelschutzrichtli- mung mit den Landnutzern einen Wi- Schilf oder Biomasse, als einen gangba- nie zum Tragen. Im Gegensatz dazu derspruch. ren Weg für die Zukunft vor. Aber das unterliegen Naturschutzgebiete und Die FDP sei für Natur- und Umwelt- brauche seine Zeit. „So wie der Antrag Nationalparks nationalen oder regio- schutz, aber was hier vorgeschlagen jetzt formuliert ist, können wir nicht zu- nalen Verordnungen. werde, würde nicht im Einklang mit al- stimmen.“ LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2022
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