Lebensdienliches und gemeinwohlorientiertes Wirtschaften - unipub
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Lebensdienliches und gemeinwohlorientiertes Wirtschaften Eine Zusammenschau der Integrativen Wirtschaftsethik Peter Ulrichs und der Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felbers Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts (MA) vorgelegt von Magdalena Maria Hrauda, BEd bei Ao.Univ.-Prof.i.R. Mag. Dr.theol. Kurt Remele am Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Katholisch-Theologischen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz im Februar 2022
Kurzzusammenfassung Die vorliegende Masterarbeit vergleicht den vorrangig theoretisch und philosophisch geprägten Ansatz der Integrativen Wirtschaftsethik Peter Ulrichs mit dem auf eine geänderte Wirtschafts- praxis zielenden, alternativen Wirtschaftsmodell der Gemeinwohl-Ökonomie Christian Fel- bers. Es ist eine hermeneutische Arbeit, die nach einer allgemeinen Einführung in die Wirtschafts- ethik zunächst die beiden oben genannten wirtschaftsethischen Konzepte getrennt voneinander darstellt und abschließend zusammenschaut. Ausgangspunkt für den Vergleich ist dabei ihre gemeinsame Hintergrundüberzeugung, dass Wirtschaft und Ethik nicht als voneinander getrennte Bereiche gelten können und die Wirt- schaft(swissenschaft) nicht wirklich – wie in deren Selbstverständnis behauptet – wertfrei ist, sondern ihr ein verdecktes Wertesystem zugrunde liegt, das es aufzudecken gilt. Die Untersuchung hinsichtlich Parallelen und Unterschiedlichkeiten zwischen der Integrativen Wirtschaftsethik Peter Ulrichs und der Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felbers hat ergeben, dass sich die beiden Ansätze stark in der jeweiligen Sprache und Ausdrucksweise unterschei- den, jedoch inhaltlich über weite Strecken sehr gut zusammenpassen. Insbesondere die bei bei- den Autoren betonte Wichtigkeit einer starken und nicht bloß repräsentativen Demokratie und die Forderung nach öffentlichen Willensbildungsprozessen in der Bevölkerung ist als Gemein- samkeit zu nennen. Darüber hinaus stimmen Ulrich und Felber darin überein, dass das Verhält- nis von Individual- und Institutionenethik nicht als das einer Alternative, sondern als das einer Ergänzung gedacht werden muss: Das herrschende Wirtschaftssystem ist kein Naturgesetz, son- dern von Menschen gemacht. Diese sind dazu aufgerufen, die Regeln des Systems so zu verän- dern, dass das System schließlich in eine „gute“ Richtung funktioniert. Um dieses „gut“ zu beschreiben, verwenden die beiden Autoren die Ausdrücke der Lebensdienlichkeit (Ulrich) und des Gemeinwohls (Felber). 2
Abstract The present thesis compares the rather theoretical and philosophical approach of Peter Ulrich’s Integrative Economic Ethics with the much more practical orientated alternative economic model of Christian Felber’s Economy for the Common Good. It is a hermeneutical thesis which first gives an introduction into economic ethics, then describes the two approaches separately from each other and finally compares them with one another. The starting point is both authors’ shared basic conviction that economy and ethics are not parts of two different spheres and that economics is – against its self-conception – not value neutral. Instead, there is a hidden value system behind it that needs to be revealed. The analysis of the similarities and differences between Peter Ulrich’s Integrative Economic Ethics and Christian Felber’s Economy for the Common Good found that they differ a lot in their diction and way of expression but are rather similar in terms of content. They are consistent with one another especially concerning their focus on a strong – and not only representative – democracy, and their call for public political consensus-building processes. They also agree on how to understand the relation between individual and institutional ethics: both Ulrich and Fel- ber point out that these are not to be misunderstood as mutually exclusive but are to be seen as complementary. The prevalent economy is not ruled by law of nature but made by people. All mature citizens are called to change the regulations of the economic system in order to make the system turn into a “good” direction. In Ulrich’s words “good” means life-conducive, and to Felber “good” means for the common good. 3
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ............................................................................................................................... 6 2 Grundlegendes zur Wirtschaftsethik .................................................................................. 8 2.1 Einführung in die Disziplinen und Grundbegriffe der Ethik und der Ökonomik ............ 8 2.1.1 Die Disziplin der Ethik und ihre wichtigsten Begriffe ............................................... 8 2.1.2 Die Disziplin der Ökonomik und ihre wichtigsten Begriffe ..................................... 12 2.2 Die Disziplin der Wirtschaftsethik ................................................................................. 14 2.2.1 Drei Arbeitsweisen der Wirtschaftsethik.................................................................. 16 2.2.2 Umriss der geschichtlichen Entwicklung der westlichen Wirtschaftsethik .............. 17 2.2.3 Vier Grundtypen normativer Wirtschaftsethik nach Dirk Raith .............................. 19 3 Integrative Wirtschaftsethik nach Peter Ulrich ............................................................... 23 3.1 Grundlagen der Integrativen Wirtschaftsethik ............................................................... 23 3.1.1 Von der Wichtigkeit eines universalistischen Vernunftstandpunktes der Moral ..... 24 3.1.2 Die Rolle der Diskursethik ....................................................................................... 26 3.1.3 Verhältnisbestimmung von Moralität und ökonomischer Rationalität .................... 27 3.2 Kritik am Ökonomismus ................................................................................................ 31 3.2.1 Kritik am Sachzwangdenken bzw. am ökonomischen Determinismus ..................... 32 3.2.2 Kritik an der Metaphysik des Marktes bzw. am ökonomischen Reduktionismus ..... 35 3.3 Sinn- und Legitimationsfrage des Wirtschaftens ............................................................ 37 3.3.1 Sinnfrage .................................................................................................................. 38 3.3.2 Legitimationsfrage ................................................................................................... 41 3.4 Die Orte der Moral des Wirtschaftens ............................................................................ 44 3.4.1 Wirtschaftsbürger/innenethik ................................................................................... 45 3.4.2 Ordnungsethik .......................................................................................................... 49 3.4.3 Unternehmensethik .................................................................................................. 52 3.5 Kritik durch Dritte .......................................................................................................... 58 4 Gemeinwohl-Ökonomie nach Christian Felber ................................................................ 59 4.1 Das Fundament ............................................................................................................... 59 4.2 Das Wirtschaftsmodell ................................................................................................... 64 4.3 Die Bedeutung der Demokratie ...................................................................................... 74 4.4 Reichweite der Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung und Kritik durch Dritte ................ 77 5 Zusammenschau der beiden Konzepte .............................................................................. 79 6 Persönliche Conclusio ......................................................................................................... 90 Literaturverzeichnis ............................................................................................................... 92 4
Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Vier Grundtypen normativer Wirtschaftsethik nach Dirk Raith; aus: Raith 2013a: 11........................................................................................... 20 Abbildung 2: Ansätze der Wirtschaftsethik nach Ulrich; aus: Ulrich 2015a: 216 ....................................................................................... 29 Abbildung 3: Die Zweidimensionalität sozialökonomischer Rationalität nach Ulrich; aus: Ulrich 2015a: 227 ....................................................................................... 30 Abbildung 4: Drei Gesichtspunkte wirtschaftlicher Vernunft nach Ulrich; aus: Ulrich 2010: 31 ........................................................................................... 37 Abbildung 5: Intern zweistufige Konzeption der Unternehmensethik nach Ulrich; aus: Ulrich 2016: 465 ......................................................................................... 54 Abbildung 6: Bausteine eines integrativen Ethikprogramms in Unternehmen nach Ulrich; aus: Nietsch-Hach 2014: 101 ............................................................................. 57 Abbildung 7: Gemeinwohlmatrix 5.0; aus: International Federation for the Economy for the Common Good e.V. o.J.a .... 66 Abbildung 8: Von der Kontrakurrenz zur Kooperation; aus: Felber 2018b: 59 ......................................................................................... 70 Abbildung 9: Drei-Säulen-Demokratie nach Felber; aus: Felber 2018b: 158 ....................................................................................... 75 5
1 Einleitung Eine Wirtschaft, die dem Leben dient, anstelle eines Lebens, das der Wirtschaft dient. Das ist eine Vision, die angesichts multipler Krisen des 21. Jahrhunderts – Finanzkrise, Klimakrise, Verteilungskrise, Sinnkrise, Demokratiekrise und Wertekrise, die allesamt als „Symptome ei- ner ganzheitlichen ‚Systemkrise‘“ (Felber 2018b: 7) gesehen werden können – viele Menschen teilen. Auch ich persönlich zähle mich zu diesen Menschen und so stand das Themenfeld für meine vorliegende Masterarbeit im Studium Angewandte Ethik bald fest. Zwei Autoren auf dem Gebiet der Wirtschaftsethik, die diese Vision ebenfalls teilen, sind der Schweizer Wirt- schaftswissenschaftler Peter Ulrich mit seiner Integrativen Wirtschaftsethik und der österrei- chische Aktivist Christian Felber mit seiner Idee einer Gemeinwohl-Ökonomie. Beiden ist es ein Anliegen, dass die Wirtschaft lebensdienlicher (Peter Ulrichs Ausdruck) bzw. gemeinwohl- orientierter (Christian Felbers Bezeichnung dafür) wird, und beide gehen ähnlich, und doch wieder anders an das Thema heran. So zeigen z.B. zwei Zitate der beiden Autoren, wie ähnlich ihr Anliegen ist: [Es gehört] zu unserem Status als Bürger [sic] einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, dass wir – wer sonst? – unsere wirtschafts- und staatsbürgerliche Aufgabe darin erkennen, unsere Mitverantwortung wahrzunehmen für eine Neuausrichtung des soziökonomischen Fortschritts, die lebenspraktisch Sinn ergibt und zu gerechteren gesellschaftlichen Verhältnis- sen führt. (Ulrich 2010: 42, Hervorh. i. Orig.) Die GWÖ [Gemeinwohl-Ökonomie] bietet Sinn, Menschlichkeit und echte Nutzwerte an. […] Machen auch Sie mit! Werden Sie Teil der Veränderung, die Sie in der Welt sehen möchten! (Felber 2018b: 11) Zwei andere Zitate zeigen, wie unterschiedlich sie ihren Beitrag und ihre Aufgabe auffassen: [Der Integrativen Wirtschaftsethik] praktische Bedeutung ist nicht zuletzt eine klassisch phi- losophische, nämlich die der grundlegenden Begriffsarbeit. (Ulrich 2015a: 227, Hervorh. d. Verf.) Die Gemeinwohl-Ökonomie möchte eine neue Wirtschaftstheorie begründen, sie will die Pra- xis des Wirtschaftens ändern, und sie möchte den passenden Rechtsrahmen schaffen, damit ethische und umfassend verantwortungsvolle Wirtschaftsakteure und -tätigkeiten nachhaltig reüssieren können. (Felber 2018b: 10, Hervorh. d. Verf.) Während Peter Ulrich also die praktische Bedeutung seines Werkes vor allem in einer umfas- senden Theoriebildung und philosophischen Begriffsarbeit erkennt, will Christian Felber ne- ben der Begründung einer neuen Wirtschaftstheorie wirklich praktisch werden und formuliert viele konkrete Vorschläge für eine geänderte Wirtschaftspraxis. 6
Diese Ähnlich- und Unterschiedlichkeit bildet – neben der Einordnung in dasselbe Feld der Typologisierung normativer Wirtschaftsethik nach Dirk Raith, wie in Kapitel 2 gezeigt wird – den Ausgang der vorliegenden Forschungsarbeit, in der die beiden wirtschaftsethischen Kon- zepte der Integrativen Wirtschaftsethik Peter Ulrichs und der Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felbers gegenübergestellt bzw. zusammengeschaut werden und folgenden Forschungsfragen nachgegangen wird: • Inwieweit passen das alternative Wirtschaftsmodell der Gemeinwohl-Ökonomie nach Christian Felber und das Theoriekonstrukt der Integrativen Wirtschaftsethik Peter Ul- richs zusammen? • Welche Parallelen und Divergenzen bzw. welche Übereinstimmungen und Wider- sprüchlichkeiten fallen zwischen den Konzepten der beiden Autoren auf? Im ersten Schritt wird dazu auf die Disziplin der Wirtschaftsethik im Allgemeinen sowie auf deren Ausgangsdisziplinen der Ethik und der Ökonomik eingegangen (Kapitel 2). Darauf folgt eine getrennte Darstellung der beiden Ansätze Ulrichs (Kapitel 3) und Felbers (Kapitel 4) in Nachzeichnung ihrer jeweiligen Hauptwerke. In Kapitel 5 findet sich schließlich die Zusam- menschau der beiden Konzepte. Abgerundet wird die vorliegende Arbeit durch meine persön- liche Conclusio in Kapitel 6. 7
2 Grundlegendes zur Wirtschaftsethik Zu Beginn der vorliegenden Arbeit soll eine kleine Einführung in das Fachgebiet der Wirt- schaftsethik gegeben werden. Dazu ist zunächst eine Beschäftigung mit dessen beiden Aus- gangsdisziplinen der Ethik und der Ökonomik und deren jeweiligen zentralen Begriffen nötig, welche an erster Stelle dieses Kapitels erfolgen soll (2.1). Darauf folgt eine allgemeine Einfüh- rung in die Disziplin der Wirtschaftsethik (2.2) mit einer Darstellung ihrer dreifachen Arbeits- weise (2.2.1), einem Umriss ihrer historischen Entwicklung im westlichen Raum (2.2.2), sowie einer Erläuterung der vier Grundtypen normativer Wirtschaftsethik nach Dirk Raith (2.2.3), in welche die beiden in der vorliegenden Arbeit behandelten Ansätze der Wirtschaftsethik – die Integrative Wirtschaftsethik nach Peter Ulrich und die Gemeinwohl-Ökonomie nach Christian Felber – eingeordnet werden. 2.1 Einführung in die Disziplinen und Grundbegriffe der Ethik und der Ökonomik Insofern Wirtschaftsethik als Brückendisziplin zwischen der Ethik und Ökonomik gelten kann (vgl. Aßländer 2011: 101), braucht man für die Beschäftigung mit wirtschaftsethischen Frage- stellungen immer auch ein gewisses Basiswissen der allgemeinen Ethik sowie der Ökonomik, in welches an dieser Stelle eingeführt werden soll. 2.1.1 Die Disziplin der Ethik und ihre wichtigsten Begriffe Der Begriff der Ethik leitet sich vom griechischen Wort ethos ab, welches eine ähnliche Bedeu- tung hat wie das lateinische Wort mos (= Sitte, Gewohnheit), von dem der Begriff der Moral stammt. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die beiden Begriffe Ethik und Moral bzw. ethisch und moralisch auch weitestgehend synonym gebraucht. In der Philosophie hat sich je- doch eine Differenzierung der beiden Begriffe herausgebildet und bewährt (vgl. Birnbacher 2013: 1f.). Wo im philosophisch-wissenschaftlichen Kontext von Moral gesprochen wird, werden damit in den meisten Fällen1 „jene mehr oder weniger bewussten Intuitionen und Überzeugungen, die bei Individuen, in Gruppen oder in einer Gesellschaft faktisch als Normen und Werte des 1 Eine Ausnahme bilden hier z.B. Jürgen Habermas und seine Schüler/innen, welche eine andere Begriffsunter- scheidung zwischen Moral und Ethik treffen: Moral bezeichnet in deren Definition alles, was mit Normen des sozialen Zusammenlebens und Gerechtigkeit zu tun hat, und der Begriff Ethik wird bei ihnen für Fragen der indi- viduellen Lebensführung und des guten Lebens verwendet (vgl. Birnbacher 2013: 2). 8
Handelns und spezifischer Haltungen wirksam sind“ (Huppenbauer/Bernardi 2003: 22, nach Fischer et al. 2008: 44) bzw. ein „Komplex von Regeln und Normen, die das Handeln der Men- schen bestimmen oder bestimmen sollen und deren Übertretung zu Schuldvorwürfen gegen sich selbst bzw. gegen andere führt“ (Homann/Lütge 2013: 5) bezeichnet. Vereinfacht kann man auch sagen, die Moral beschreibe die faktisch geltenden Werte, Normen und Haltungen einer Gesellschaft (vgl. Friske et al. 2005: 11). Hingegen wird Ethik als die „philosophische Theorie der Moral“ (Birnbacher 2013: 2, Hervorh. i. Orig.) verstanden. Sie ist somit jene Fachdisziplin der Praktischen Philosophie, deren Gegen- stand die Moral ist. Als solche arbeitet sie auf drei verschiedene Weisen: Als deskriptive Ethik untersucht und beschreibt sie die jeweils herrschende moralische Praxis bestimmter Gruppen, als normative Ethik wirkt sie Normen-schaffend, d.h. sie legt Regeln moralisch richtigen Ver- haltens fest, und als Metaethik analysiert sie das sogenannte Sprachspiel der Moral sowie ver- schiedene ethische Konzeptionen (vgl. Aßländer 2011: 64f.). Im Bereich der normativen Ethik geht es auch darum, eine Handlung als gut oder böse einzu- stufen. Gleichzeitig ist an dieser Stelle aber mit Cornelia Nietsch-Hach zu erwähnen, dass „Ethik nicht unbedingt gesichertes Wissen liefert“ (2014: 22) und oftmals eher neue Fragen und Denkmöglichkeiten eröffnet, als konkrete Ergebnisse bereitstellt. Somit geht es in diesem Be- reich mehr um „Orientierungswissen statt um Verfügungswissen“ (Nietsch-Hach 2014: 22). Ob eine Handlung schließlich jedoch als gut oder schlecht eingestuft wird, hängt vor allem von der jeweiligen philosophischen Ausgangsposition ab. Vorrangig wird hier zwischen deontolo- gischen und teleologischen Ansätzen unterschieden (Bak 2014; Fischer et al. 2008; Friske et al. 2005; Aßländer 2011). Nietsch-Hach (2014: 23) erwähnt in diesem Zusammenhang zusätzlich auch die Diskursethik, welche in der vorliegenden Arbeit vor allem wegen ihrer hohen Bedeu- tung für Peter Ulrichs Ansatz der Integrativen Wirtschaftsethik ebenfalls Erwähnung finden soll. Der Bezugspunkt für deontologische Begründungsmodelle ist die Handlungsintention bzw. das dahinterliegende Prinzip, auf dessen Basis eine Handlung getroffen wurde. Deontologie kommt von dem griechischen déon (= Pflicht) und wird daher auch als Pflicht- oder Gesinnungsethik bezeichnet (vgl. Aßländer 2011: 69). Es geht ihr darum, ob eine Handlung „aus der rechten Gesinnung, also der Verpflichtung gegenüber Normen und Geboten erfolgt“ (Friske et al. 2005: 14). Die Folgen einer Handlung spielen für deren Beurteilung keine Rolle. Der bekannteste Vertreter einer solchen Ethik ist Immanuel Kant (1724–1804) (vgl. Aßländer 2011: 69). 9
In teleologischen Ansätzen (von griechisch télos, Ziel) hingegen sind die Folgen einer Hand- lung der zentrale Bezugspunkt für deren Einstufung als richtig oder falsch. Solche Begrün- dungsmodelle werden auch als Folgen- bzw. Verantwortungsethik oder als konsequentialisti- sche Modelle bezeichnet (vgl. Aßländer 2011: 73). Um den Kerngedanken dieser ethischen Richtung zu beschreiben, kann die bekannte Aussage „Der Zweck heiligt die Mittel“ herange- zogen werden (vgl. Homann/Lütge 2013: 8). Die bekannteste Ausprägung des Konsequentia- lismus ist der Utilitarismus (von lat. utilis, nützlich), bei dem jene Handlung als moralisch gut gilt, die den größten Nutzen bzw. das größte Glück der größten Zahl hervorbringt.2 Zu diesem Zweck werden Schaden und Nutzen einer Handlung für alle Betroffenen so genau wie möglich kalkuliert und gegeneinander abgewogen. Die bekanntesten Utilitaristen sind Jeremy Bentham (1748–1832), James Mill (1773–1836) und dessen Sohn John Stuart Mill (1806–1873) (vgl. Aßländer 2011: 73f.). In der Diskursethik schließlich soll die moralische Urteilsbildung „durch eine rationale und von Herrschaftsbeziehungen freie Diskussion erfolgen […], bei der alle Teilnehmer [sic] gleiche Chancen haben, ihre Auffassungen (und evtl. Interessen) zur Geltung zu bringen“ (Birnbacher 2013: 428). Es ist hier also der gemeinsame Gedankenaustausch – der Diskurs eben, für den bestimmte Regeln wie Machtfreiheit, Rationalität und Unhintergehbarkeit gelten –, der für die Bewertung einer Handlung relevant ist (vgl. Nietsch-Hach 2014: 23). Moralisch richtiges Han- deln ist demnach ein solches, das sich an der Grundnorm der Zustimmungsfähigkeit aller Be- troffenen orientiert (vgl. Nietsch-Hach 2014: 140). Dabei beschreibt Diskursethik jedoch kein „Erfolg sicherndes (!) Konsenserzielungsverfahren, sondern reflektiert die normativen Bedin- gungen der Möglichkeit argumentativer Verständigungsprozesse“ (Ulrich 2016: 88). Der dis- kursethische Ansatz ist vor allem mit den Namen Karl-Otto Apel (1922–2017) und Jürgen Ha- bermas (*1929) verknüpft (vgl. Nietsch-Hach 2014: 23). Peter Ulrich legt diesen Ansatz seiner Integrativen Wirtschaftsethik zugrunde, wie im späteren Verlauf der vorliegenden Arbeit noch ausführlicher dargelegt wird. Um die Einführung in die Grundlagen der allgemeinen Ethik abzurunden, sollen an dieser Stelle noch einige Grundbegriffe der Ethik definiert werden. Der Begriff der Moral wurde bereits eingangs thematisiert. Während sich dieser wie erwähnt auf faktische Werte- und Normenge- füge einer bestimmten Gruppe bezieht, bezeichnet der Begriff Ethos (griechisch für Gewohn- heit, Sitte, Brauch) das „gelebte Werte- und Normengefüge des Individuums“ (Nietsch-Hach 2014: 22). Im Sinne eines sogenannten Berufsethos wird der Begriff allerdings auch für die 2 In Bezug auf oben genannte Aussage „Der Zweck heiligt die Mittel“ gilt hier, dass allerdings nur solche Mittel gewählt werden dürfen, die dem größten Glück der größten Zahl nicht entgegenstehen. 10
Bezeichnung der gemeinsamen Wertvorstellungen eines jeweiligen Berufsstandes verwendet, z.B. als Ethos des Ärztestandes (vgl. Nietsch-Hach 2014: 22). Bezüglich des angesprochenen Werte- und Normengefüges lässt sich definieren, dass unter Werten die „wünschenswerten Ziele eines Individuums oder einer Gruppe“ (Ahlrichs 2012: 27, Hervorh. d. Verf.) verstanden werden, welche auch deren Handlungsentscheidungen beeinflus- sen. Als Beispiele für Werte nennt Ahlrichs Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Sicherheit, Ge- sundheit, Wohlstand und Menschenwürde. Nietsch-Hach (2014: 15) hält zusätzlich fest, dass zwischen inneren und äußeren Werten unterschieden werden kann und dass Werte auch mitei- nander in Konflikt treten können. Sie definiert Werte als „Überzeugungen, Einstellungen und Vorstellungen in Bezug auf einen selbst und auf andere, wie man leben und sich verhalten sollte“ (Nietsch-Hach 2014: 15). Demgegenüber sind Normen „verbindliche Handlungsanleitungen oder Verhaltensrichtlinien“ (Ahlrichs 2012: 28, Hervorh. d. Verf.), die aus der Konkretisierung von Werten entstehen. Nor- men zeigen in Form von Geboten und Verboten an, was ein Mensch tun oder lassen soll. Je nach Grad ihrer Verbindlichkeit kann man gesetzliche und rein moralische Normen unterschei- den (vgl. Ahlrichs 2012: 28): Gesetzliche Normen haben gewissermaßen Zwangscharakter und können auch als Muss-Normen beschrieben werden. Sie werden von staatlichen Autoritäten erlassen und ihre Nichteinhaltung wird geahndet. Ihr Inhalt kann sich mit moralischen Normen decken, muss es aber nicht. Rein moralische bzw. sittliche Normen hingegen, die nicht in Form von Gesetzen erlassen wurden, sind nur sogenannte Kann- oder Soll-Normen und damit weniger verbindlich. Sie entstehen entweder über die Zeit durch eine bestimmte, gewachsene Lebens- form oder werden von nicht-staatlichen Autoritäten (z.B. Religionsgemeinschaften) explizit oder implizit vorgeschrieben. Ihre Nichteinhaltung hat keine strafrechtlichen Konsequenzen, allerdings kann sie auf eine andere Weise, etwa durch Gewissensbisse, gesellschaftliche Sank- tionen wie soziale Ächtung oder die religiös begründete Androhung von göttlichen Sanktionen im Jenseits, ebenfalls „bestraft“ werden (vgl. Göbel 2017: 27ff.). Als Tugend schließlich wird die „Fähigkeit und innere Haltung, das Gute mit innerer Neigung zu tun“ (Nietsch-Hach 2014: 25) bezeichnet. Diese kommt jedoch nicht von selbst, sondern es bedarf einer Einübung, um ein tugendhaftes Leben zu führen. Als großer Vertreter einer Tu- gendethik beschreibt Aristoteles (384–322 v. Chr.) Tugenden als Mittelweg zwischen zwei un- gesunden Extremen; so ist z.B. die Tapferkeit die Tugend zwischen Tollkühnheit und Feigheit (vgl. Nietsch-Hach 2014: 16). 11
2.1.2 Die Disziplin der Ökonomik und ihre wichtigsten Begriffe Es wäre zu einfach, analog zur Ethik als Wissenschaft der Moral die Ökonomik als Wissen- schaft der Wirtschaft zu bezeichnen. Da sich auch andere Disziplinen in verschiedenerlei Hin- sicht mit diesem Funktionsbereich der Gesellschaft befassen, muss für die Definition der Öko- nomik konkretisiert werden, dass sie sich mit dem wirtschaftlichen Handeln beschäftigt (vgl. Göbel 2017: 59). Dieses wiederum kann als zweckorientiertes Handeln verstanden werden, bei dem es darum geht, dass der/die Wirtschaftende seine/ihre wirtschaftlichen Ziele so effizient wie möglich (sprich nach dem Minimierungs- bzw. Maximierungsprinzip, welche unten noch näher erklärt werden) erreicht (vgl. Bak 2014: 29f.). Angemerkt sei, dass wirtschaftswissen- schaftliche Lehrbücher wirtschaftliches Handeln eher als ressourceneffizientes Handeln zur Be- friedigung menschlicher Bedürfnisse und Beseitigung von Mängeln definieren. Sowohl Göbel (2017: 59f.) als auch Bak (2014: 29f.) dekonstruieren dies jedoch anhand von Beispielen, wo reales wirtschaftliches Handeln eben nicht der allgemeinen Menschheit dient, sondern den je individuellen Zielen der Wirtschaftenden, und plädieren daher für die oben genannte Begriffs- definition von wirtschaftlichem Handeln. Die Ökonomik versteht sich selbst als eine amoralische im Sinne einer wertfreien bzw. wert- neutralen Wissenschaft (vgl. Raith 2013a: 6). Das war nicht immer so, wie auch der Blick in die geschichtliche Entwicklung der Wirtschaftsethik in Kapitel 2.2.2 zeigen wird. Besonders seit Ende des 19. Jahrhunderts orientiert sich die Ökonomik jedoch zunehmend am Ideal der Naturwissenschaften und möchte mithilfe mathematischer Methoden objektive ökonomische Gesetze beschreiben; ethisch-normative Überlegungen bleiben seither bewusst außen vor (vgl. Aßländer 2011: 50). Im Zusammenhang mit der Ökonomik sollen nun drei der wichtigsten Begriffe bzw. ökonomi- schen Konzepte kurz beschrieben werden. Wir werfen damit einen Blick auf den homo oeco- nomicus, die freie Marktwirtschaft und das dazugehörige Wettbewerbsprinzip. Der homo oeconomicus ist der Prototyp eines nach der ökonomischen Rationalität handelnden Menschen. Als ökonomisch rationales Handeln gilt dabei jenes nach dem Minimierungs- und dem Maximierungsprinzip: Bei ersterem geht es um die Erreichung eines gegebenen Ziels mit minimalem Ressourcenaufwand und bei zweitem um die Erreichung des bestmöglichen Ergeb- nisses bei gegebenem Mittelaufwand (vgl. Sautter 2017: 152f.). Neben der Rationalität, welche einschließt, dass der homo oeconomicus je die optimale, nutzenmaximierende Entscheidung ohne gleichzeitige Berücksichtigung moralischer Faktoren zu treffen versucht, seien noch zwei weitere seiner Merkmale genannt: das Individualprinzip und die Problemorientierung. Das 12
Individualprinzip meint, dass der homo oeconomicus stets nur die eigenen Interessen und Ziele verfolgt und die Problemorientierung zeigt an, dass er bei der Entscheidungsfindung für eine Handlung nur die exakt dafür relevanten Gegebenheiten berücksichtigt. Sein Handeln kann zu- dem nicht durch Emotionalität oder irrationale Gedanken beeinflusst werden, was dieses ge- wissermaßen prognostizierbar macht (vgl. Bak 2014: 31). Der homo oeconomicus war über lange Zeit hinweg das prägende Menschenbild der Ökonomie und viele ökonomische Modelle beruhen auf ihm (vgl. Aßländer 2011: 48). Erst Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde durch Erkenntnisse aus der Psychologie deutlich, dass ein solch rein rationales Menschenbild auch im Kontext wirtschaftlichen Handelns nicht haltbar ist und ein gewisses Maß an Irratio- nalität auch wirtschaftliche Entscheidungen immer begleiten kann (vgl. Bak 2014: 31f.). Göbel (2017: 59) attestiert jedoch, dass der homo oeconomicus in der Ökonomik nach wie vor oftmals als Modell zur Erklärung menschlichen Verhaltens dient. Die freie Marktwirtschaft ist das wirtschaftliche Modell, welches der Planwirtschaft gegenüber- steht und aus moralischer Sicht auch häufig den Vorzug bekommt, da es unter Wahrung der individuellen Freiheit des/der Einzelnen als Ziel Wohlstand für alle anstrebt. Angebot und Nachfrage bestimmen einander wechselseitig und damit reguliert sich der Markt selbst. Dieser Kerngedanke der freien Marktwirtschaft sowie die Metapher der unsichtbaren Hand des Mark- tes, welche ein gutes Ergebnis für alle herbeiführt, wenn jede/r Wirtschaftsbürger/in bloß seine/ihre eigenen Interessen verfolgt, stammen vom berühmten Ökonomen Adam Smith (1723–1790), von dem in diesem Zusammenhang auch folgendes Zitat in eine Vielzahl von Geschichts- und Wirtschaftslehrbüchern Eingang gefunden hat (vgl. Bak 2014: 32f.): Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen. Wir wenden uns nicht an ihre Menschen-, sondern an ihre Eigenliebe, und wir erwähnen nicht die eigenen Be- dürfnisse, sondern sprechen von ihrem Vorteil. (Smith [1776] 1974: 17) Das in der Theorie postulierte Zusammenspiel von maximalem Eigennutzen und damit einher- gehendem Allgemeinwohl lässt sich in der Praxis leider nicht finden (vgl. Bak 2014: 33). Den- noch wird vielfach an diesem Modell bzw. am abgewandelten Modell der sozialen Marktwirt- schaft festgehalten, welches an den grundlegenden Problemen des freien Marktes, wie z.B. ei- ner Machtasymmetrie und eines Informationsdefizits3 jedoch nichts ändert. Der Marktwirtschaft inhärent ist auch das sogenannte Wettbewerbsprinzip, welches in vielen wirtschaftsethischen Überlegungen eine besondere Rolle spielt und deshalb an dieser Stelle ebenfalls Beachtung finden soll. Es ist neben dem System freispielender Preise, welche über 3 Genauere Ausführungen dazu siehe Bak (2014: 33). 13
Angebot und Nachfrage reguliert werden, eine entscheidende Institution der Marktwirtschaft und stellt vor allem für die Konsument/innen eine effiziente Güterproduktion sicher. Jochen Gerlach beschreibt in Rückgriff auf Bruno Molitor (1989) drei Funktionen des Wettbewerbs: die Kostenkontrollfunktion, die Fortschrittsfunktion und die Entmachtungsfunktion. Unter der Kostenkontrollfunktion versteht er die Tatsache, dass Unternehmer/innen so zu einem effizien- ten Ressourceneinsatz gedrängt werden, die Fortschrittsfunktion beschreibt den Innovations- geist, der sich bei Unternehmer/innen durch die ständige Konfrontation mit der Konkurrenz quasi zwangsweise entwickelt, und die Entmachtungsfunktion kommt dadurch zustande, dass innovative Produkte rasch von Konkurrent/innen nachgemacht werden. Die Institution des Wettbewerbs bedarf aber nach Gerlach bzw. Molitor auch einer staatlichen Regulierung, um beispielsweise Diskriminierung und Kartellbildung auszuschließen (vgl. Gerlach 2002: 69f.). Ein Problem, das aus ethischer Perspektive häufig im Zusammenhang mit dem Wettbewerbs- prinzip in Verbindung gebracht wird, ist das sogenannte Absinken der Grenzmoral. Damit wird das Phänomen bezeichnet, dass Wettbewerbsbedingungen einzelne Unternehmer/innen dazu verleiten können, allgemein geltende Moralstandards marginal zu unterschreiten, um einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu erzielen. Dies zieht allerdings nach sich, dass deren Kon- kurrent/innen sich allmählich ebenfalls an den niedrigeren Moralstandard anpassen (müssen), um am Markt zu bestehen, was schließlich insgesamt zu immer niedriger werdenden Moral- standards führt. Das Wettbewerbssystem von Marktwirtschaften wird somit von Ethiker/innen häufig für die Erosion der Moralvorstellungen in einer Gesellschaft verantwortlich gemacht (vgl. Aßländer 2011: 103f.). Nach dieser Einführung in die Disziplinen der Ethik und der Ökonomik erfolgt nun die genau- ere Beschäftigung mit der Disziplin der Wirtschaftsethik, zu deren Aufgaben unter anderem die Verhältnisbestimmung von Ethik und Ökonomik gehört und die auch, wie bereits eingangs er- wähnt, als eine Art „Brückendisziplin“ (Aßländer 2011: 101) zwischen den beiden gesehen werden kann. 2.2 Die Disziplin der Wirtschaftsethik So wie Ethik als wissenschaftliche Reflexion der Moral definiert wurde, gilt Wirtschaftsethik als die „wissenschaftliche Beschäftigung mit den Normen und Werten der Wirtschaft“ (Ahlrichs 2012: 29). Sie erwächst aus dem Dialog der Wirtschaftswissenschaften und der wis- senschaftlichen Ethik. Die eindringlichste Frage dieser Disziplin, die allein der Begriff der Wirt- schaftsethik schon in den Raum wirft, ist jene nach der Vereinbarkeit von wirtschaftlichem, 14
also effizienzorientiertem, Handeln auf der einen und ethischen Vorstellungen von moralisch gutem Handeln auf der anderen Seite (vgl. Jähnichen 2015: 334). Die Brisanz dieser Frage bringt Bernd Klees mit einer pointierten Formulierung zum Ausdruck: Ist Wirtschaftsethik ein Begriff, der sich zwanglos zu einer Einheit fügen lässt und die unter- schiedlichen Prinzipien vereinigt, oder ist er ein gewaltsam zusammengepresster Begriff, der mit elementarer Wucht und hoher Zentrifugalkraft auseinander strebt [sic] und nur mit äußers- ter Mühe zusammengehalten werden kann? (Klees 2003: 3) Für Peter Ulrich und Christian Felber, deren Konzepte der Integrativen Wirtschaftsethik bzw. der Gemeinwohl-Ökonomie in der vorliegenden Arbeit die zentrale Rolle spielen und in Kapitel 3 und 4 näher beleuchtet werden, gibt es eine eindeutige Antwort auf diese Frage – aus ihrer Perspektive gibt es keinen inneren Widerspruch zwischen Wirtschaft und Ethik. Im Gegenteil, diese beiden Bereiche gehören aus ihrer Sicht quasi von Natur aus zusammen. Für andere Wirt- schaftsethiker/innen fällt diese Antwort jedoch mitunter auch ganz anders aus. So gibt es nicht nur durch Bezug auf diese Frage, sondern auch aus anderen Hinsichten sehr unterschiedliche Verständnisse und Auffassungen bzw. Grundtypen von Wirtschaftsethik, wie in Kapitel 2.2.3 noch ausführlich gezeigt werden wird. Dabei kann festgestellt werden, dass jede Wirtschafts- ethik in einem allgemeinen Sinn angewandte Ethik ist, da ihr Reflexionsgegenstand das wirt- schaftliche Handeln ist und sie für dieses in der Praxis dienlich werden soll (vgl. Raith 2013b: 61).4 Wirtschaftliches Handeln wiederum findet auf drei Ebenen (Mikro-, Meso- und Makroebene) statt und kann auch anhand dieser Ebenen reflektiert werden. Somit werden wirtschaftsethische Fragestellungen im weiteren Sinn auch entlang dieser drei Ebenen gestellt und erörtert (vgl. Klees 2003: 3). Auf der Mikroebene geht es um Fragen der Individualethik, sprich um das „Verhalten des Individuums als ökonomisches Handlungssubjekt“ (Aßländer 2011: 119), bei- spielsweise um das Führungsverhalten von Vorgesetzten oder um die Verantwortung einzelner Mitarbeiter/innen. Die Mesoebene ist die Ebene der Unternehmensethik, auf welcher Fragen in Bezug auf die Moral von Unternehmen oder Organisationen, wie z.B. deren Umgang mit den Interessen ihrer Stakeholder/innen, behandelt werden (vgl. Aßländer 2011: 119). Die dritte Ebene schließlich, die Makroebene, ist jene der Wirtschaftsethik im engeren Sinn. Auf dieser werden Fragen der Ordnungspolitik und der Verantwortung von Staaten und Staatengemein- schaften thematisiert (vgl. Klees 2003: 3). 4 Wirtschaftsethik als Bereichsethik wie die Medizin- oder Medienethik zu denken, ist hingegen schon eine spezi- ellere Form von angewandter Ethik (vgl. Raith 2013b: 61f.), von welcher zwar sehr viele Autor/innen der wirt- schaftsethischen Fachliteratur ausgehen, aber bei weitem nicht alle (vgl. Göbel 2017: 89). 15
Wirtschaftsethische Reflexionen erfolgen jedoch nicht nur entlang der drei Ebenen wirtschaft- lichen Handelns, sondern auch auf drei verschiedene Weisen, wie im Folgenden näher erläutert wird. 2.2.1 Drei Arbeitsweisen der Wirtschaftsethik Ähnlich wie bereits in der Beschreibung der Disziplin der Allgemeinen Ethik in Kapitel 2.1.1 dargelegt wurde, arbeitet auch die Wirtschaftsethik mit drei verschiedenen Methoden, wodurch eine Unterscheidung in deskriptive, normative und explikative Wirtschaftsethik getroffen wer- den kann. Als deskriptive Wirtschaftsethik ist Wirtschaftsethik beschreibend tätig. Mittels empirischer Untersuchungen stellt sie fest, welche Normen und Werte in der realen Wirtschaftspraxis vor- zufinden sind und welche Auswirkungen dies jeweils hat. Auch die Beschreibung moralischer Dilemma-Situationen im wirtschaftlichen Kontext gehört ins Feld dieser Form der Wirtschafts- ethik (vgl. Raith 2013b: 23f.). Wirtschaftsgeschichte und -ethnologie gehören ebenfalls zur de- skriptiven Wirtschaftsethik. Wie im Blick auf die Historie im folgenden Unterkapitel noch deut- lich werden wird, gab und gibt es zahlreiche unterschiedliche Vorstellungen von gutem und richtigem Wirtschaften. Indem die deskriptive Wirtschaftsethik dies aufzeigt, kann sie uns, mit den Worten Dirk Raiths ausgedrückt, „ein tieferes Verständnis dafür vermitteln, dass Wirtschaft stets in eine moralische Umwelt eingebettet ist, von der sie abhängt und zehrt, die sie aber auch mit verändert – und mit der sie immer auch in Konflikt kommen kann“ (Raith 2013b: 26). Die Befunde deskriptiver Wirtschaftsethik stellen damit auch das amoralische Selbstverständnis der Ökonomik schwer infrage (vgl. Raith 2013b: 26f.). Unter normativer Wirtschaftsethik wird jene Form der Wirtschaftsethik verstanden, welche be- stimmt, was aus moralischer Perspektive gutes/richtiges Wirtschaften ist bzw. Regeln für des- sen Bestimmung definiert. Normative Wirtschaftsethik ist also das, was landläufig unter Wirt- schaftsethik allgemein verstanden wird. Sie versucht eine Brückenfunktion zwischen den wirt- schaftlichen Anforderungen effizienten Handelns und den moralischen Anforderungen guten Handelns zu übernehmen. Auch dies geschieht in der Praxis auf vielerlei verschiedene Weisen (vgl. Raith 2013b: 28f.), wie bereits angedeutet wurde und speziell in Kapitel 2.2.3 noch aus- führlicher erläutert wird. Die dritte Form der Wirtschaftsethik ist die explikative (von lat. explicare; entwirren, klarlegen, auseinandersetzen) bzw. meta-theoretische Wirtschaftsethik. Diese „beschreibt, analysiert und vergleicht […] normative Wirtschaftsethiken hinsichtlich ihrer Annahmen, der Logik ihrer 16
Aussagen und ihrer moralischen und ökonomischen Implikationen für die Wirtschaftspraxis“ (Raith 2013b: 30). Es ist jene Art der wirtschaftsethischen Arbeitsweise, welche auch für die vorliegende Arbeit gewählt wurde. Nachdem in Kapitel 2.2.3 die vier Grundtypen normativer Wirtschaftsethik nach Dirk Raith vorgestellt werden, werden im anschließenden Hauptteil der vorliegenden Arbeit zwei der nach diesem Schema im gleichen Feld eingeordneten normativen Wirtschaftsethiken ausführlich dargestellt und miteinander verglichen. Zunächst werfen wir jedoch noch einen Blick auf die historische Entwicklung der westlichen Wirtschaftsethik. 2.2.2 Umriss der geschichtlichen Entwicklung der westlichen Wirtschaftsethik Insofern Wirtschaftsethik sich auf die reale Wirtschaft bzw. gängige Wirtschaftstheorien be- zieht, hängt auch ihre Geschichte eng mit der Ökonomiegeschichte als solcher zusammen. Der folgende Überblick über die geschichtliche Entwicklung der westlichen Wirtschaftsethik ist deshalb verwoben mit einem Überblick über die westliche Ökonomiegeschichte. Wirtschaftsethische Fragestellungen spielten bereits bei den antiken griechischen Philosophen eine Rolle. Allerdings war deren Grundverständnis von Wirtschaft/Ökonomie nicht jenes einer eigenständigen Disziplin, sondern gemeinsam mit Politik und Ethik bildete sie den Gegenstand der Praktischen Philosophie (vgl. Aßländer 2011: 22f.). Somit waren ökonomische und ethische Fragen in der Antike nicht voneinander zu trennen, was sogar bis in die Neuzeit hinein so blieb. Die bedeutendsten Philosophen der griechischen Antike des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts – Sokrates, Platon und Aristoteles – waren Vertreter einer Tugendethik, in deren Zentrum eine gute Lebensführung des/der Einzelnen stand (vgl. Ahlrichs 2012: 32f.). Was zu einer gelungenen Lebensführung in der Antike allerdings eindeutig nicht gehörte, sondern im Gegenteil sogar als moralisch verpönt galt, war das Anhäufen von Gütern durch Handel und Zinsgeschäfte: die sogenannte widernatürliche Erwerbskunst bzw. Chrematistik. Was wir also heute unter Ökonomie verstehen, kommt dem damaligen Verständnis von Chrematistik gleich. Ökonomie bzw. Oikonomik (Haushaltungskunst) im damaligen Sinn begriffen, bezog sich hin- gegen rein auf den Erhalt des natürlichen Vermögens (vgl. Aßländer 2011: 57). Die Antike wurde abgelöst vom Mittelalter und mit diesem kam es wie in allen Lebensberei- chen auch in den wirtschaftlichen und wirtschaftsethischen Fragen zur Vormachtstellung der katholischen Kirche. Die aus der Antike übliche Behandlung wirtschaftlicher Angelegenheiten unter moralischen Gesichtspunkten wurde nun durch die Kirchenväter (Patristik) und Kirchen- lehrer (Scholastik) fortgeführt. Die Lehre vom gerechten Preis und gerechten Lohn 17
(Preisbestimmung nach dem natürlichen Wert von Ware und Arbeit versus Preisbestimmung nach Angebot und Nachfrage) und das Kanonische Zinsverbot brachten die nach wie vor ver- tretene Sichtweise der moralischen Minderwertigkeit von Handel und Zinsgeschäften zum Aus- druck (vgl. Aßländer 2011: 57). Insgesamt gab es im Mittelalter durch die Machtposition der Kirche, welche die bestehende Gesellschaftsordnung immer wieder bestätigte und das Monopol für ethische Reflexion generell für sich beanspruchte, kaum eine Weiterentwicklung im Bereich der Wirtschaftsethik (vgl. Ahlrichs 2012: 33f.). Neuer Wind in die Sache kam erst mit Beginn der Neuzeit und dem Entstehen einer bürgerli- chen anstelle der ständischen Gesellschaft. Damit ging auch die schrittweise Etablierung des Kapitalismus und der Marktwirtschaft einher. Philosophisch war es das Zeitalter der Aufklä- rung, welches allen voran durch Immanuel Kant (1724–1804) und dessen Kategorischen Impe- rativ5 geprägt wurde. Die neue Ethik dieser Zeit orientierte sich nicht mehr in erster Linie an kirchlichen Vorgaben, sondern holte das selbstständige Denken und die Autonomie des/der Einzelnen in den Vordergrund. In diese Zeit fällt auch das Leben und Wirken des Ökonomen Adam Smith (1723–1790), der als Hauptvertreter der ökonomischen Klassik gilt und von des- sen Theorie der unsichtbaren Hand des Marktes bereits in Kapitel 2.1.2 die Rede war. Wenig später prägte John Stuart Mill (1806–1873) den Gedanken des Utilitarismus (siehe hierzu Ka- pitel 2.1.1). Das Wohlergehen der Gesellschaft wurde zum Maßstab erhoben und der Nutzen des Individuums gewann als Teil der Gesamtwohlfahrt an Bedeutung. Die Freiheit des Marktes – verkörpert im Liberalismus – galt als der Schlüssel zu diesem Glück. Die Umsetzung der propagierten Freiheitsrechte führte durch die wettbewerbsangetriebene Produktionssteigerung in der Praxis jedoch zu einer Verelendung der Arbeitergesellschaft, wie sie von Karl Marx (1818–1883) im Zuge seiner Kritik am Kapitalismus heftig angeprangert wurde (vgl. Ahlrichs 2012: 34f.). In dieser Zeit entstand auch die ökonomische Schule der Neoklassiker, zu denen beispielsweise auch der Gründer der Wiener Schule, Carl Menger (1840–1921), zählte. Die Neoklassiker ver- wehrten sich im Gegensatz zu ihren Vorgängern der ökonomischen Klassik gegen die Auffas- sung der Ökonomie als Teilbereich der Moralphilosophie. Für sie sollte die Ökonomie frei von weltanschaulichen Prämissen und Werten sein und in ihrer Arbeitsweise eher der Mathematik als der Philosophie gleichen – was, wie bereits in Kapitel 2.1.2 angesprochen, für viele Ökonom/innen auch heute noch gilt. Inhaltlich stimmten die neoklassischen Theorien mit den 5 Der Kategorische Imperativ Kants lautet in seiner ersten und bekanntesten Formulierung: „[H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde.“ (Kant 1792: 52). 18
klassischen aber in ihrer Hinordnung auf das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage über- ein, welches auf einem freien Markt unter optimalen Bedingungen zustande kommen soll und mit dem Vollbeschäftigung und Gemeinwohl einhergehen sollen (vgl. Nietsch-Hach 2014: 44ff.). Einen Gegenpol dazu brachte John Maynard Keynes (1883–1946) in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er machte sich für eine Konjunktur- und Fiskalpolitik stark und forderte damit zum Zweck des Gemeinwohls staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, da er den (neo-)klassischen Gleichgewichtstheorien nicht glaubte. Im Keynesianismus spielt zudem der gesellschaftliche Nutzen des Produzierten eine wichtige Rolle; ohne Nachweisbarkeit eines solchen gilt die Pro- duktion als illegitim. Damit werden auch moralische Aspekte wieder mit der Wirtschaft ver- knüpft (vgl. Nietsch-Hach 2014: 45ff.). Die soziale Marktwirtschaft, die sich in Österreich und Deutschland nach dem zweiten Welt- krieg entwickelte, verband schließlich die Idee des freien Marktes und des Wettbewerbssystems mit staatlichen Eingriffen zur Verbesserung sozialer Gerechtigkeit. Seit den 1970er-Jahren be- gannen neben dem aufkommenden Neoliberalismus, der die Rolle des Staates wieder auf die Gewährleistung sicherer Rahmenbedingungen beschränken wollte (vgl. Ahlrichs 2012: 36), theoretische Auseinandersetzungen mit explizit wirtschaftsethischen Fragestellungen aus dem Boden zu sprießen. Im angloamerikanischen Raum wurden und werden diese unter dem Begriff der Business Ethics abgehandelt und waren/sind stark unternehmens- bzw. praxisorientiert. Die deutschsprachige Wirtschaftsethik beschäftigt sich hingegen vielfach auch mit grundsätzliche- ren Fragen, wie z.B. den Funktionslogiken und Prämissen der Wirtschaft als solcher oder dem generellen Verhältnis von Ethik und Ökonomik (vgl. Kuttner 2015: 10). Auf welcher Band- breite sich diese unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen abspielen, ist Teil der folgenden Ausführungen. 2.2.3 Vier Grundtypen normativer Wirtschaftsethik nach Dirk Raith Während in der Literatur häufig nur drei wirtschaftsethische Modelle unterschieden werden (vgl. Göbel 2017: 77ff.), schlägt Dirk Raith (2013b: 32ff.) eine Vier-Felder-Einordnung ver- schiedener Typen normativer Wirtschaftsethik vor. Er unterscheidet zwischen dem Integrati- onsmodell der moralischen Ökonomik, dem Identitätsmodell der Nützlichkeitsethik, dem Im- plementierungsmodell der ökonomischen Ethik und dem Interventionsmodell der angewandten Ethik. Diese Einordnung trifft er anhand von zwei Kriterien: erstens, in welcher Beziehung 19
wirtschaftliches und moralisches Handeln in den verschiedenen Theorien stehen, und zweitens, ob jeweils die Ethik oder die Ökonomik als Ausgangsdisziplin herangezogen wird. Raith verwendet dazu folgende Übersicht: Abbildung 1: Vier Grundtypen normativer Wirtschaftsethik nach Dirk Raith; aus: Raith 2013a: 11 Das Integrationsmodell der moralischen Ökonomik ist dadurch gekennzeichnet, dass als Aus- gangspunkt die Ethik gewählt wird und Moral und Wirtschaft als eine Einheit verstanden wer- den. Es gibt nach diesem Verständnis – wie z.B. in der griechischen Antike – keine aussage- kräftige Beurteilung wirtschaftlichen Handelns ohne Berücksichtigung normativer Aspekte. Die umfassende „Lebensdienlichkeit“ (Ulrich 2016: 11) wirtschaftlichen Handelns ist das Kri- terium, nach welchem dieses bewertet wird. Ökonomische Rationalität wird in diesem Zusam- menhang nicht als alleiniger Zweck gelten gelassen, sondern darf immer nur Mittel zum effi- zienten Erreichen eines umfassenderen Ziels sein (vgl. Raith 2013b: 33f.). Dieses Modell wurde in der jüngeren Geschichte der Wirtschaftsethik besonders von Peter Ulrichs Ansatz der Integ- rativen Wirtschaftsethik geprägt. Auch die Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felbers, welche in der vorliegenden Arbeit mit Peter Ulrichs Integrativer Wirtschaftsethik zusammengeschaut wird, ist hier einzuordnen, wie die oben abgebildete Tabelle erkennen lässt. 20
Das Identifikationsmodell der Nützlichkeitsethik unterscheidet sich vom Integrationsmodell vor allem darin, dass es ihm nicht darum geht, Ökonomik ethisch zu begründen, sondern Ethik ökonomisch zu begründen. Die Ausgangsdisziplin ist damit eine andere. In diesem Modell nor- mativer Wirtschaftsethik werden moralisches und wirtschaftliches Handeln in der Tat als iden- tisch (und nicht nur als zusammengehörig) betrachtet. Es gilt also nicht nur wie im Integrati- onsmodell die Prämisse, dass kein Handeln ökonomisch richtig sein kann, wenn es moralisch falsch ist, sondern umgekehrt auch, dass eine Handlung nie moralisch richtig sein kann, wenn sie wirtschaftlich falsch ist (vgl. Raith 2013b: 45f.). Zu diesem Modell kann insbesondere der klassische Utilitarismus gezählt werden. Im Implementierungsmodell der ökonomischen Ethik werden Ethik und Ökonomik nun weder als identisch noch als zusammengehörig, sondern als gänzlich voneinander getrennte Einheiten verstanden. Wirtschaftlich Handelnde müssen sich demnach prinzipiell um die Moralität ihrer Handlung keine Gedanken machen, da das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Die klassi- sche Ökonomik sowie die Neoklassik und der Neoliberalismus können als implizite Wirt- schaftsethiken in diesem Sinne gelten. Die konkrete Frage, wie sich nun aber Moral innerhalb des ökonomischen Subsystems implementieren lässt, stellen sich unter anderem zwei moder- nere, explizit wirtschaftsethische Ansätze: die Governanceethik Josef Wielands, die sich vor allem auf Unternehmen konzentriert, und die Ordnungsethik bzw. Moralökonomik Karl Homanns, welche ausschließlich den gesellschaftlichen/staatlichen Ordnungsrahmen als Ort der Moral in der Wirtschaft sieht und dementsprechend diesem die Verantwortung für die Im- plementierung der Moral in der Wirtschaft zuspricht (vgl. Raith 2013b: 51ff.). In diesem Modell wird von der Ökonomik ausgegangen und deren Prinzipien, wie jenes der Nutzenmaximierung, werden auf die Ethik angewandt. Im Konfliktfall gilt der Primat der Ökonomik, was z.B. be- deutet, dass moralisches Handeln in der Wirtschaft nur solange akzeptablerweise verlangt wer- den kann, wie es auch keine ökonomischen Nachteile bringt (vgl. Göbel 2017: 79ff.). Als viertes Modell nennt Raith das Interventionsmodell der angewandten Ethik. Wirtschafts- ethik wird hier in einem spezifischen Sinn als Angewandte Ethik bzw. als Bereichsethik ver- standen (vgl. Raith 2013b: 61). Dabei werden allgemeine ethische Prinzipien auf einen be- stimmten Bereich der Gesellschaft (wie z.B. auch der Medizin oder der Medien) im Dialog mit Expert/innen des jeweiligen Fachgebiets angewendet und für diesen konkretisiert. Die wissen- schaftliche Ausgangsposition ist dabei umgekehrt wie beim vorgenannten Modell nicht die Ökonomik, sondern die Ethik. Dieses Modell wird auch als Anwendungsmodell bezeichnet (vgl. Göbel 2017: 77ff.). Wie das Implementierungsmodell wird auch hier von einer Trennung von Moral und Wirtschaft ausgegangen. Die Moral soll hier aber nicht in der Wirtschaft 21
implementiert werden, sondern sie soll korrigierend auf die Wirtschaft angewendet werden. Der Ethik kommt somit in Konfliktfällen eindeutig eine Vorrangstellung im Vergleich zur Ökono- mik zu (vgl. Raith 2013b: 62). Nachdem nun ein Einblick in einige Grundlagen der Wirtschaftsethik gegeben und eine Ein- ordnung verschiedener Wirtschaftsethiken anhand der beiden Kriterien Dirk Raiths nachge- zeichnet wurde, beschäftigt sich die vorliegende Arbeit im weiteren Verlauf konkret mit zwei der genannten Ansätze, die beide dem Integrationsmodell der moralischen Ökonomik zugeord- net werden: der Integrativen Wirtschaftsethik Peter Ulrichs, welche vor allem ein wirtschafts- ethisches Theoriekonstrukt darstellt und der Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felbers, welche eine konkrete Alternative für die Wirtschaftspraxis bieten möchte. Nach einer gesonderten Be- schreibung der beiden Modelle in Kapitel 3 und 4 erfolgt die Überprüfung im Hinblick auf die für die vorliegende Arbeit gewählte Forschungsfrage, nämlich inwieweit sie zueinander passen bzw. welche Übereinstimmungen und Widersprüchlichkeiten zwischen den beiden Ansätzen auffallen. 22
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