UNTER SPANNUNG ENERGIEWENDE RELOADED - BERLINboxx
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Mai/Juni 2022 · 23. Jahrgang · 4,90 € FABIAN SCHMITZ-GRETHLEIN DIE AG THOMAS M. KLEIN Viel Neues im Westen Stadtquartier der Zukunft Zeitenwende UNTER SPANNUNG ENERGIEWENDE RELOADED 1
Editorial Liebe Leserinnen und Leser, das Copyright für den Begriff „Energie“ hat Aristoteles. Für ihn war Enérgeia die Wirkkraft, die Mögliches in Seiendes verwandelt. Damit bringt der griechi- sche Philosoph und Naturforscher das Wesen der Energie auf den Punkt. Sie ist die Kraft, die die Welt in Bewegung hält. Sie ist zugleich die Kraft, die wir brauchen, um unsere Pläne in die Tat umzusetzen. Heute würde man wohl von Power sprechen. Bei Energie und Bewegung denkt Aristoteles immer auch das Ziel mit. So ge- sehen sind Bundesregierung und Berliner Senat gut aristotelisch unterwegs. Denn mit der Energiewende verfolgen sie ein klares Ziel. Es geht längst um mehr als nachhaltige Energiegewinnung und sparsamen Energieverbrauch. Das eigentliche Ziel der Energiewende ist ein grundlegender Umbau unserer Gesellschaft. Unter welchen vielfältigen Spannungen und letztendlich geo- politischen Einflüssen ebendieser steht, beleuchten wir in unserer Titel- Think Tank geschichte. Wir gehen dabei der Frage nach, wo Berlin auf dem Weg zur Ener- giewende steht. In einem Punkt waren sich alle Gesprächspartner einig – un- sere Stadt muss möglichst schnell klimaneutral werden. Ein Beispiel ist die dezentrale Energieerzeugung auf Hausdächern. Netzwerk Von den zahlreichen anderen Beiträgen in dieser Ausgabe will ich vor allem auf das Interview mit dem neuen Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung von Char- lottenburg-Wilmersdorf, Fabian Schmitz-Grethlein, hinweisen. Im City-Bezirk wirkt sich die Energiewende unmittelbar auf Bauen, Stadtplanung und Mobili- tät aus. Und damit auch auf die Attraktivität von Ku’damm und Tauentzien für Berliner*innen und Besucher*innen unserer Stadt. Gemeinwohl Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und unbeschwerte Frühlingstage. Alle Informationen und täglich aktualisierte Termine aus Politik und Wirtschaft erhalten Sie wie immer auf unserer Website: www.berlinboxx.de. Verein der Berliner Herzlichst, Ihre Wirtschaft. Mitglied werden Foto: Dirk Lässig Wir. Unternehmen. Berlin. Dr. Angela Wiechula Herausgeberin 2 www.vbki.de 3
Neu in Berlin Aus dem Inhalt + Wirtschaftsstandort Aktuell Berliner Riesenrad kehrt zurück Editorial Seite 3 Wirtschaftsstandort aktuell Seite 4 + Berlin – Stadt der Start-ups Seite 6 POLITIK Weiterbau der A100 Charlottenburg-Wilmersdorf: City-Life Seite 8 Fabian Schmitz-Grethlein im Interview Seite 14 Für den Autobahnabschnitt von der Elsenstraße bis zur Storkower Titel Straße veröffentlichte die bundes- Unter Spannung. Energiewende reloaded Seite 16 eigene Autobahngesellschaft die Ausschreibungen für den 17. Bau- Wirtschaft abschnitt. Damit macht sie den CWS – Mehr als Handtuchspender Seite 42 Das Riesenrad wird in modernem Gewand zurück Weg für den Weiterbau der Stadtau- Frauenpower in der Architektur Seite 46 in den Berliner Spreepark kehren – barrierefrei tobahn Richtung Lichtenberg frei. Deutschlands digitale Zukunft Seite 48 und umgeben von viel Wasser. Das umliegende Auf der Strecke ist unter anderem Thomas M. Klein: Zeitenwende Seite 52 Wasserbecken soll auch als Rückhalteraum für geplant, eine zweispurige Straße die Regenwasserspeicherung, zur Bewässerung mit Wohnhäusern an beiden Sei- Neue Unternehmer braucht das Land! Seite 54 der Grünanlagen und zur Kühlung des Mikro- ten zu untertunneln und dort die klimas am Ort genutzt werden. Das geht aus Ent- Autobahnspuren übereinanderzu- Architektur & Stadtentwicklung würfen hervor, die von der Senatsverwaltung für legen. Derzeit wird der 16. Bauab- Jasper Architects: Umwelt sowie von Grün Berlin, dem künftigen schnitt gebaut, der im Jahr 2024 Parkbetreiber, vorgestellt wurden. Das legen- in Betrieb genommen werden soll. Architektonische Avantgarde Seite 58 däre Fahrgeschäft soll Ende 2024 fertiggestellt Während der Bund grünes Licht für DIE AG: Stadtquartier der Zukunft Seite 60 sein und Ostern 2025 in Betrieb gehen. Das alte das Planungsverfahren gab, sprach Innovation Cash Management Seite 66 Riesenrad ist schon seit längerem abmontiert. sich der Senat gegen die Pläne aus, + Große Teile der Altkonstruktion sollen aufgear- es sei „Verkehrspolitik von ges- GESELLSCHAFT beitet und wiederverwendet werden. tern“. Max Liebermann in Noordwijk Seite 68 Wo Manager Relaxen Seite 70 „9 für 90“ Ticket im ÖPNV Brandenburg Vorbild für Nachhaltigkeit Seite 74 Ab Sommer 2022 soll das neue Ticket „9 für 90“ auch in Berlin zu erwerben sein. Die Brandenburg News Seite 77 Dreimonatskarte kostet 27 Euro, also neun Euro pro Monat. Vor allem Geringverdiener und Pendler soll das Ticket entlasten, aber auch einen Anreiz schaffen, eher die Bahn Termine Seite 78 Covermotiv: Designed by macrovector/Freepik als das Auto zu nehmen. In Hinblick auf die Klimaziele ein guter Ansatz. Das Ticket ern- Impressum Seite 95 tet aber auch viel Kritik, weshalb derzeit ein dreimonatiger ÖPNV Nulltarif im Gespräch Zu guter Letzt: prämiert/blamiert Seite 96 ist. Der ÖPNV hat das Angebot insgesamt aber gut durchdacht: Abo-Kunden bekommen Foto: Thiago Matos/Pexels.com eine Gutschrift oder eine Erstattung für die Differenz zwischen ihrem Abo-Preis und dem 9-Euro-Ticket. Neukunden können das 9-Euro-Ticket online oder am Automaten Mit buchen. Hauptstadt kalender Mehr über neue Entwicklungen und Ansiedlungen in Berlin unter: für Wirtschaft www.projektzukunft.berlin.de & Politik 4 5
Die Berliner Start-up-Szene Innovativer Gründergeist in der Hauptstadt Nirgendwo in Deutschland floriert die Start-up-Szene mehr und auch innerhalb Europas zählt Berlin trotz großer Konkurrenz zu den bedeutendsten Start-up- Hochburgen. Denn fast jeden Tag wird hier ein Jungunternehmen gegründet, das sich mit neuartigen Ideen auf dem Markt beweisen will. Sei es in den Bereichen Urbane Moore Software, Dienstleistungen oder Mobilität, es ist alles dabei. Die BERLINboxx hat sich die Szene genauer angeschaut und stellt in jeder Ausgabe drei Start-ups vor, die aktuell besonders auf Mo(o)re erleben. Und das in einer Großstadt wie Berlin. Das Start-up Urbane sich aufmerksam machen. Moore macht es möglich. Das junge Team entwickelt Dachbegrünungs- und Fassadensysteme, welche die gleiche Funktionalität aufweisen wie Torfmoore. Ein Filter- und Verdunstungssystem soll die Natur imitieren. Dabei entschei- dend sind hohe Evapotranspirationsraten, also die Menge der Verdunstung Alpakas von Wasser aus Tier- und Pflanzenwelt sowie von Boden- und Wasserober- flächen. Dies spielt vor allem beim Süßwasserbedarf eine große Rolle. Die nachhaltige(re) www.science-startups.berlin/cofounders/?cfs=3#2973 gorillas-Alternative macht dem Un- ternehmen nicht nur mit seinem Namen Konkurrenz. Das Start-up will GreenHomeNow Verpackungsmüll Grünes Wohnen ist in der heutigen Zeit vermeiden, einen gefragter denn je. Leider ist es schwer, umweltfreundlicheren einen Überblick zu behalten, welche Transport ermöglichen Installationsfirma das beste Angebote Fotos: Johannes lex; CHUTTERSNAP on Unsplash; GreenHomeNow UG und ganz auf Bio setzen. für eine Solaranlage, oder Wärmepumpe Der Einkauf soll sich anfüh- hat. GreenHomeNow bietet eine digitale len wie auf dem Wochenmarkt: Plattform, die alle Angebote in Echtzeit lokale Produkte, Bio-Qualität und findet und vergleicht. So wird die Suche Mehrweg-Verpackungen. Das Versprechen nach der passenden Wärmepumpe oder der Gründer lautet: Preise wie im Bio-Laden, und wer bis Solaranlage deutlich verkürzt. Das Unter- 17 Uhr bestellt, bekommt den Einkauf noch am selben Abend. nehmen hat sich genau das zum Ziel gesetzt: Das vom gorillas-Investor unterstützte Start-up bietet Mit der Plattform rückt man der Erfüllung des außerdem ein Pfandsystem, in dem die Gläser wieder 1,5 Grad Ziels ein Stückchen näher – und eingesammelt werden. www.alpakas.app nutzt dabei die günstigsten Angebote. www.greenhomenow.com 6 7
Politik Die zwölf GroSSstädte Berlins Charlottenburg-Wilmersdorf Einkaufen und Erholen Das 33-stöckige Upper West ist Teil des zentralen Breitscheidplatzes Unser Profiling der „zwölf Großstädte Charlottenburg-Wilmersdorf mit einem Berlins“ geht in die nächste Runde. Dieses Durchschnittsalter von 45,6 zu den ältesten Mal werfen wir einen Blick auf Charlotten- Bezirken (Wohnungsmarktbericht 2019). burg-Wilmersdorf. Was macht den Bezirk besonders? Wofür steht er? Welche Rolle Unter den zwölf Städten steht der Bezirk spielt die City West für den Bezirk? Welche flächenmäßig an sechster Stelle. Er ent- politischen Visionen hat die erste grüne stand 2001 im Rahmen der Berliner Verwal- Bezirksbürgermeisterin? tungsreform durch die Zusammenführung der ehemaligen Westbezirke Charlotten- Gehobene Sozialstruktur burg und Wilmersdorf mit den Ortsteilen Westend, Grunewald, Charlottenburg, Wil- Mit rund 340.000 Einwohner*innen ran- mersdorf, Halensee, Charlottenburg-Nord giert Charlottenburg-Wilmersdorf auf Platz und Schmargendorf. Mit 3,75 Millionen vier der einwohnerreichsten Bezirke. In Quadratmeter Grünfläche ist er hinter Spit- circa 194.000 Haushalten (Stand Okto- zenreiter Treptow-Köpenick einer der wald- ber 2020) verteilen sich die Charlotten- reichsten Bezirke. burg-Wilmersdorfer auf einer Fläche von 6.469 Hektar. Im berlinweiten Vergleich Touristenmagnet genießen sie ein hohes Einkommen Die Skyline der City West mit dem Funkturm – Besucherzahl (Stand 2020). Das spiegelt auch die Ar- City West von 1,42 Millionen in nur sechs Monaten des Vorjahres beitslosenquote von 9,5 Prozent wi- Ein Highlight Charlottenburg-Wilmersdorfs der. Dieser Wert liegt zwar deutlich über ist die City West. Der Kurfürstendamm, dem bundesweiten Durchschnitt von 5,4 liebevoll abgekürzt: Kudamm, ist als gla- – aber unter dem Berliner Schnitt von mouröse Einkaufsmeile bei Tourist*innen Ortsteile Charlottenburg, Wilmersdorf und Coronabedingt verzeichnete die Luxusmeile Fotos: Sebastian Kringel 10,2 Prozent. Der Bezirk gehört aller- und Berliner*innen gleichermaßen beliebt. Halensee. Rund um den Kurfürstendamm große Einbußen, erreichte dennoch eine dings auch beim Durchschnittsalter zur Moderne (Zweck)Architektur trifft hier auf dominieren Luxusgeschäfte, welchen die beachtliche Besucherzahl von 1,42 Millio- Spitzengruppe: Zusammen mit Steglitz- glanzvolle Stuckbauten aus dem 19. Jahr- City West ihren Ruf als edles und hochprei- nen innerhalb eines halben Jahres in 2021 Zehlendor f und Reinickendor f zählt hundert und schmückt die Straßen um die siges Wohn- und Geschäftsviertel verdankt. (Stand 2021). 8 9
Politik Charlottenburg-Wilmersdorf ist bekannt Das Charlottenburger Schloss wurde nach der Gemahlin des für seine faszinierende Architektur Kurfürsten Friedrich III., Sophie Charlotte, benannt Seine Verlängerung findet der Kudamm in der Tauentzienstraße. Sie wird überragt vom weltweit bekannten KaDeWe. Das Wahrzeichen Charlottenburg-Wilmersdorfs Kriege zerstörter Häuser. Auf einem Hoch- hat hier Sozialwissenschaften studiert. Kaufhaus des Westens wurde 1907 erbaut und Mahnmal zugleich ist die Kaiser-Wil- plateau befindet sich eine ehemalige Ab- Ihre soziale Ader spiegelt sich auch in ih- und genoss auf Anhieb Popularität. Im helm-Gedächtniskirche. Sie wurde 1895 im hörstation der West-Alliierten aus den Fünf- ren politischen Zielen wider: Bauch strebt Zweiten Weltkrieg wurden Teile des Ein- Auftrag von Kaiser Wilhelm II. zum Geden- zigern. Von dort aus wurde der Funkverkehr eine enge Einbindung der Bürger*innen kaufstempels zerstört. In den 50ern öffne- ken an seinen Großvater Kaiser Wilhelm I der Warschauer Pakt-Staaten bis weit hinter an, um Umgestaltungsprozesse gemein- te es nach umfangreichen Restaurierungs- im Stil der Neoromanik erbaut und im Welt- dem Eisernen Vorhang überwacht. Heute sam zu planen und zu verwirklichen. Als arbeiten wieder seine Türen und zieht krieg durch Bomben schwer beschädigt. Die wird das Areal als Veranstaltungsort und dreifache Mutter liegt ihr dabei besonders seither Tourist*innen aus aller Welt an: Teilruine erinnert heute an den Schrecken Street-Art-Galerie genutzt. Gerade bei den die Zusammenarbeit mit Eltern am Herzen. täglich tummeln sich hier bis zu 50.000 des Krieges. Ein Kleinod inmitten der Groß- jungen Berliner*innen erfreut sich der Teu- Kund*innen. stadt ist Schloss Charlottenburg. Ursprüng- felsberg großer Beliebtheit. Die BERLINboxx hat mit der Bezirksbürger- lich entstanden als Garten- und Lustschlös- meisterin über ihren Bezirk und ihre Visio- Beeindruckende schen für die Gemahlin des Kurfürsten Auch hier macht die harmonische Mi- nen gesprochen. Friedrich III., Sophie Charlotte, tragen schung aus Altem und Neuen den eigen- Architektur seit ihrem Tod Schloss und Dorf, heute als tümlichen Reiz des Bezirks aus. Welche drei Attribute beschreiben Char- Aber auch abseits der City West kann der Charlottenburg bekannt ist, ihren Namen. lottenburg-Wilmersdorf in Ihren Augen Bezirk mit bemerkenswerter Architektur Berlins größte Schlossanlage wurde im Ba- Wechsel im Rathaus am besten? aufwarten. Der Norden Charlottenburgs rockstil nach französischem Vorbild gebaut. Gelassen, cool, solidarisch. Unser Bezirk hat etwa zeichnet sich durch seine Werks- Dahinter erstreckt sich ein weitläufiger Seit Gründung des Bezirks wurde Charlot- ein Understatement, das ihn auch von ande- wohnanlagen aus den 1920ern in der Sie- Schlosspark mit künstlichen Gewässern, tenburg-Wilmersdorf mit Ausnahme des ren hippen Teilen Berlins unterscheidet. Eine Fotos: caro; Sebastian Kringel mensstadt und die Paul-Hertz-Siedlung geometrischen Plätzen und Terrassen. ersten Jahres sozialdemokratisch regiert. coole Gelassenheit, die Eckkneipe neben der der 60er Jahre aus. Den innerstädtischen Nach knapp 20 Jahren ging der Staffelstab Nobelboutique und das Selbstverständnis Teil von Wilmersdorf prägt eine Mischung Einen modernen Kontrast zu den Altbauten im Dezember 2021 an die Grünen-Politike- sozialen Engagements, ohne damit hausie- von Bauten unterschiedlicher Epochen von des Innenstadtbezirks bildet der ‚Teufels- rin Kirstin Bauch über. Die gebürtige Stutt- ren zu gehen, Tradition und eine Zukunfts- 1870 bis heute. berg‘, aufgeschüttet aus Trümmerschutt im garterin ist in Berlin aufgewachsen und gewandtheit, die zusammenpassen. 10 11
Politik V E T R F U K A A U K R F T E V Weitere Informationen Bezirksbürgermeisterin Kirstin Bauch (Bü90/ Grüne): bis > Geboren 1980 in Stuttgart > Aufgewachsen in Berlin 30 % > studierte Sozialwissenschaften an der mehr V Humboldt-Universität zu Berlin E T R F erzielt* U K A A > 2011-19 Kreisgeschäftsführerin der U K R F T E Grünen in Charlottenburg-Wilmersdorf V (Bereich Familien- und Kulturbereich) > 2017-heute wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag im Bereich Finanzen, danach im Berliner Abgeordnetenhaus für Rechtspolitik > Im Bezirksamt zuständig für die Bereiche Finanzen, Personal und Wirtschaftsförderung * über unser High-Price-Auction-System – bis zu 30 % mehr erzielt, als die Bewertung diverser Portale oder Makler > setzt sich für eine sichere, barrierefreie, nachhaltige und entspannte Mobilität in Charlottenburg-Wilmersdorf ein > möchte enge Zusammenarbeit mit Bürger*innen, um Umgestaltungsprozesse zusammen zu planen und verwirklichen Welche Ziele haben Sie sich für das erste Dienstleistungen nicht eingeschränkt wer- Jahr im Amt gesetzt? Worauf werden Sie den müssen – und gleichzeitig weiterhin ein besonderes Augenmerk legen? eine gute Arbeitgeberin für unsere Verwal- Einige Ziele sind von dem entsetzlichen tung sein zu können. Angriffskrieg Putins und seiner Vasallen gegen die freie Ukraine und durch die Aus- Welche Vision für den Bezirk haben Sie? wirkungen des Krieges überrollt worden. Der öffentliche Raum soll Erlebnis sein Daher gilt es in diesem Jahr zuerst, me- und Diskurs ermöglichen. Dazu werde ich dizinische Hilfe für unsere Partnerstadt zu insbesondere die Wirtschaftsförderung auf organisieren und alle Anstrengungen dar- Nachhaltigkeit ausrichten, die Einkaufs- auf zu richten, den geflüchteten Familien straßen gemeinsam mit Gewerbetreiben- Bestellen Sie unsere kostenlose ein Obdach zu geben. Dazu gehört, eine den und Anwohner*innen weiter beleben. Einwertung/High-Price-Ergebnisliste schnelle und gute Versorgung mit Kita- Unter Nachhaltigkeit verstehe ich die Ver- unter und Schulplätzen und die gesundheitliche bindung von Kultur, Digitalisierung, Öko- 030-896 698-0 Versorgung sicherzustellen. logie und Ökonomie hin zu einer dauerhaft höheren Lebensqualität für die Menschen Und fast schon nebenbei ist es meine und einer visionären Wirtschaftsweise. Aufgabe und das meiner Bezirksamts- kolleg*innen, den engen f inanziellen Meine Vision ist klar: Charlottenburg-Wil- Foto: britibay Rahmen für unseren Bezirk so auszurich- mersdorf soll das Schaufenster der Zu- ten, dass insbesondere die bürgernahen kunftsideen werden. (bk) Martha Archbold 12 13 immo-boerse.com
Politik Die Grüne Bürgermeisterin von Charlotten- Berlins SPD-Bausenator Andreas burg-Wilmersdorf, Kirstin Bauch, stellt in der BERLINboxx ihre Zukunftsideen für Geisel hat auf der MIPIM in den Bezirk vor. Was das konkret für den Cannes eine Beschleunigung Bereich Stadtentwicklung und Bauen be- und Vereinfachung der Ver- deutet, und wie die Zusammenarbeit mit waltungsverfahren auf allen dem Berliner Bausenator läuft, erläutert der zuständige Bezirksstadtrat Fabian Ebenen angemahnt. Inwieweit Schmitz-Grethlein (SPD). können und wollen Sie das im Bezirk umsetzen? Bezirksbürgermeisterin Die Prozesse dauern allgemein eindeutig Kirstin Bauch schreibt: „Mei- zu lang. Ich kenne einzelne Vorhaben seit ne Vision ist klar, Charlot- meiner Zeit in der Bezirksverordnetenver- tenburg-Wilmersdorf soll das sammlung. Das war vor 2011 – und die sind heute noch nicht fertig. Wir können, Schaufenster der Zukunf ts- was die gesetzlichen Grundlagen und Pro- ideen werden.“ Was bedeutet zesse angeht, leider nicht viel machen. das für Ihr Ressort Stadtent- Was wir aber tun können, ist Tempo zu ma- wicklung und Bauen? Und chen, und zum Beispiel bei weitestgehend unstrittigen Vorhaben Instrumente wie die welche Rolle spielt dabei Planreifeerklärung zu nutzen. Auch die Nachhaltigkeit? Vermittlungsarbeit zu den anderen Abtei- Bei Nachhaltigkeit geht es gerade auch lungen im Haus oder zur Senatsverwaltung in dem Bereich, den ich verantworte, um sind wichtig. Dies zu moderieren, zu ge- die Zukunft. Wir planen Bauten, die Jahr- stalten, auch auf dem Weg ein Stück weit zehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte zu beschleunigen, das sehe ich als meine Der Bezirksstadtrat möchte die richtigen Rahmenbedingungen für eine moderne Stadt schaffen überdauern sollen. In einem Bezirk wie zentrale Aufgabe an. Charlottenburg-Wilmersdorf, der in wei- ten Teilen schon fertig gebaut ist, kommt Herr Geisel sieht die Schuld für es darauf an, wie man ältere Bauten ent- Frischer Wind sprechend ergänzen kann, wie sich eine Verzögerungen in erster Linie Entwicklung fördern lässt, die Klima- bei den Bezirken und nannte schutz und Klimafolgenanpassung weiter als konkretes Beispiel das Pro- in Charlottenburg- nach vorne bringt. Ich denke beispiels- jekt Alt-Lietzow. Ist seine Kritik weise an das Thema Wärmeversorgung von Gebäuden, und wie es an den Gebäu- berechtigt? Foto: Bianca Farchmin/BA Charlottenburg-Wilmersdorf den mit der dezentralen Stromerzeugung Alt-Lietzow ist ein sehr komplexes Vor- Wilmersdorf aussieht. Dabei müssen wir immer auch die soziale Komponente im Blick behal- ten. Die Geschichte lehrt: Gute Städte zeichnen sich durch eine gemischte Nut- haben, das ist der Hauptgrund, warum es hängt. Und natürlich ergeben sich aus dem Aufbau der Berliner Verwaltung insgesamt Probleme. Vorweg, ich hal- Im Gespräch mit Fabian Schmitz-Grethlein, zung aus, auch in sozialer Hinsicht. Wir te eine Zweistufigkeit für sinnvoll. Man wollen einen Bezirk, in dem man gut und kann einen Stadtstaat mit 3,6 Millionen Bezirksstadtrat und Leiter der Abteilung Stadtentwicklung gerne leben, arbeiten und sich aufhalten Einwohnern nicht wie eine kleine Kom- will. Dafür steht Charlottenburg-Wilmers- mune verwalten. Wir brauchen aber eine dorf. klare Abgrenzung der Kompetenzen und 14 15
Politik wir brauchen ein kooperatives Miteinander. Nein, wir wollen und werden dieses nach- Ich habe mir vorgenommen, dass wir eben haltige Projekt im Bezirk voranbringen. Bei nicht nur über die formalen Wege mitein- dem Mobility Hub geht es um den Liefer- ander kommunizieren, sondern sehr direkt, verkehr. Im Umfeld der Messe Berlin soll sehr frühzeitig Probleme ansprechen. ein erster Hub entstehen, um von dort die Wenn jeder seine Hausaufgaben macht, Kantstraße zu beliefern. Gerade dort par- funktioniert das schon sehr gut. Die Se- ken viele Sprinter in zweiter Reihe, obwohl natsverwaltung muss die Prozesse genauso nur eine Spur vorhanden ist. Bei solchen verkürzen, um den Ball mal an Herrn Geisel Konzepten muss man bedenken, dass sie zurückzuspielen. Ich sehe nicht, dass eine für das Wirtschaftsgeschehen auf der ei- Rechtsprüfung bei einem unkomplizierten nen Seite, aber auch für die Bürgerinnen B-Plan in der Regel zwei Monate dauern und Bürger auf der anderen Seite wichtig muss. Leider hängen wir in den Bezirken sind. Insbesondere angesichts des boomen- immer am hinteren Ende, egal ob es um den Onlinehandels, wenn man sieht, wie Ressourcen, Finanzen oder Personalaus- die „flinks“ und „gorillas“ durch die Stadt stattung geht. Die Senatsverwaltung zahlt fahren. Wir wollen nicht, dass die Einkaufs- besser, hat im Zweifel die bessere Ausstat- straßen mit Lagern dieser Minilieferanten Die Messe Berlin feiert dieses Jahr 200-jähriges Jubiläum tung und kann bessere Arbeitsbedingungen zugepflastert werden. bieten. Stichwort Messe Berlin: Welche man den Ladesäulenbestand meilen. Wie können sie nach Als eine seiner ersten Amtshand- Zukunft sehen sie für die Messe lungen hat der Bausenator ein Berlin nach Corona? weiter ausbaut? Corona ihre Strahlkraft wieder- Bündnis für Wohnungsbau und Die Messe Berlin hat sich den letzten zwei gewinnen? Die Netze schaffen recht viel, solange sie bezahlbares Wohnen aus der Tau- Jahren als ein sehr hilfreicher Dienstleis- nicht alle auf einmal beansprucht werden. In der AG City steht uns ein starker Partner fe gehoben. Merken sie da schon ter für das Land Berlin erwiesen: Ich denke Die entscheidende Frage ist, wie es gelingt, zur Seite, der das antreibt. Wir werden in da an die Flüchtlingsunterbringung oder die Ladeinfrastruktur so zu gestalten, dass den nächsten Wochen eine neue Dachmar- die ersten positiven Impulse? die Corona-Impfzentren. Wir haben als sie auskömmlich ist. Viele Leute auch aus ke für die Einkaufsmeilen launchen. Unser Der Dialogprozess ist gut gestartet. In ähn- Bezirk größtes Interesse daran, dass die meinem Bekanntenkreis würden sich gerne gemeinsames Ziel ist es, für die Kunden licher Form werden wir dies sicherlich auch Messe ihre alte Bedeutung und Ausstrah- ein E-Auto kaufen, zögern deswegen aber über den reinen Einkauf hinaus Erlebnisse im Bezirk machen. Ich führe selbst Gesprä- lungskraft behält. Deshalb gilt es, bei den noch. Deshalb müssen wir bei den großen zu schaffen. Das ist am Kudamm und Tau- che mit den großen Eigentümern und Woh- Bauvorhaben die Interessen der Messe zu Bauvorhaben und dort, wo Tiefgaragen ge- entzien dank der Flagshipstores natürlich nungsbaugesellschaften. Man darf dieses berücksichtigen, etwa beim Autobahndrei- baut werden, eine entsprechende Anzahl an einfacher als in den kleineren Einkaufs- Format am Ende aber auch nicht überfrach- eck Funkturm. Da geht es gar nicht um die Ladepunkten bereitstellen. Wir werden in straßen. Und es gibt auch Immobilien, die ten. Es ist völlig legitim, dass die Investoren Besucherverkehre, sondern um die hoch- Berlin Schnelladehubs brauchen, die in der nicht mehr funktionieren. Wir haben mit und Eigentümer ihre eigene Agenda haben. komplexe Messelogistik. Wir tun von unse- Lage sind, die Autos in 20 Minuten auf 80 dem Karstadt-Gelände an zentraler Lage im Das muss man transparent machen, dann rer Seite aus, was wir können, um die Messe Prozent Akkuladung zu bringen. So etwas Moment eine Leerstelle, die uns schmerzt. kann man auch über alles reden. Nur so las- an ihrem Standort zu unterstützen. Wie sich bietet sich zum Beispiel bei S-Bahnstatio- Hier wollen wir als Bezirk gemeinsam mit sen sich gemeinsame Lösungen finden. das Messegeschäft insgesamt entwickelt – nen an oder unter der Autobahn. Da müs- dem Land zügig in der Bereichsentwick- who knows. sen die Berliner Stadtwerke definitiv in die lungsplanung vorankommen: Der gesamte Pötte kommen. Bereich vom Kudamm über das Haus der Wie steht es um die Mobili- Berliner Festspiele in der Schaperstraße bis tätshubs? Ist das Projekt vor- Gibt es im Bezirk derzeit schon Charlottenburg-Wilmersdorf hoch in die Spreestadt – das ist eine schöne Foto: Messe Berlin GmbH Herausforderung, der wir uns stellen. angeschritten – oder mit dem genügend Ladesäulen für Elek- hat mit dem Ku’damm und der Amtswechsel im Rathaus in der trofahrzeuge, und geben es Tauentzienstraße überregional Das ist ein visionäres Schlusswort. Vielen Schublade verschwunden? die Netze überhaupt her, dass bekannte, attraktive Einkaufs- Dank, Herr Schmitz-Grethlein! (evo) 16 17
Titel UNTER Berlin, seine Wirtschaft und seine Menschen stecken Grafik: Designed by macrovector/Freepik; Foto: Gervee/Pexels.com buchstäblich voller Energie. Damit die Stadt ihre Potenziale erfolgreich entfalten kann, braucht sie auch morgen noch eine sichere Energieversorgung. Zugleich müssen Bürger und Betriebe die Energiewende meis- SPANNUNG tern. Die Latte dafür hat der Berliner Senat hochgelegt – und steht jetzt angesichts der Russland-Sanktionen zunehmend unter Spannung. Mit dezentralen Öko- und Mieterstromprojekten kann der gemeinsame Weg in eine nachhaltige, autarke Zukunft gelingen. 18 19
Titel Energie- wende reloaded „Energiewende MACHEN!“ lautet das Mot- to der diesjährigen Berliner Energietage. Großbuchstaben und Ausrufezeichen sig- nalisieren die starke Spannung, unter der Das Schöneberger Gasometer ist das Wahrzeichen des EUREF-Campus Berlin die Politik in Bund und Land gegenwärtig steht. Als eine Folge des grausamen Kriegs in der Ukraine könnten hierzulande alle energiepolitischen (Zeit)Pläne Makula- tur werden. Deutschland ist nämlich zum Maschinen stillstehen – und somit auch Das Problem ist unsere starke Abhängig- Norwegen und die Niederlande, wobei auf jetzigen Zeitpunkt weit davon entfernt, die Turbinen, die Strom und Fernwärme keit von Energieeinfuhren, vor allem aus Russland mehr als die Hälfte aller deut- seinen Bedarf nur durch Sonnenenergie, erzeugen. Der alte Spruch „Atomkraftgeg- Russland. Dazu ein Blick in die Statistik: schen Importe entfallen. Selbst wenn es Wind- oder gar Wasserkraft verlässlich de- ner überwintern in Dunkelheit mit kaltem Erdgas ist derzeit der zweitwichtigste Pri- gelänge, rund 50 Prozent des russischen cken zu können. Hintern“ gewönne in abgewandelter Form märenergieträger in Deutschland. Das Gas Gases innerhalb der nächsten zwölf Monate ungeahnte Aktualität. Erste Politiker und machte 2021 mehr als ein Viertel des Ener- zu ersetzen, entspräche das nur etwa einem Foto: EUREF-Consulting Revival der Kernkraft? Wirtschaftsverbände fordern daher bereits gieverbrauchs aus. Deutschland muss des- Fünftel des deutschen Jahresbedarfs. eine Verlängerung der Laufzeiten der Kern- halb entsprechend viel Erdgas importieren. Sollte Putin uns plötzlich den Gashahn kraftwerke und/oder einen langsameren Zuletzt teilten sich nahezu ausschließlich Gasag-Vorstand Matthias Trunk mahnt des- zudrehen, würden über kurz oder lang die Ausstieg aus der Kohleverstromung. drei Exportländer das Geschäft: Russland, halb: „Was jetzt schon klar ist, wir dürfen 20 21
Titel künftig in keine Abhängigkeiten mehr ge- raten, wie aktuell von Russland. Gerade bei den Importen, die aktuell circa 70 Prozent des Energieverbrauchs ausmachen, muss diversifiziert werden.“ Und gibt zugleich teilweise Entwarnung. „Die Energiever- sorgung ist in Berlin gesichert, das ist in der aktuellen Lage zunächst das Wichtigs- te.“ Für Deutschland insgesamt seien Maß- nahmen wie die Befüllung der Gasspeicher oder der gemeinsame Gaseinkauf in ganz Europa auf den Weg gebracht worden. Sorgen bereite das weiterhin sehr hohe Preisniveau an den Energiehandelsmärk- ten, so Gasag-Chef Trunk. Das beträfe alle Energieversorger Deutschlands. „Preisstei- gerungen haben wir schon in einem nie Auf immer mehr Berliner Hausdächern erzeugen dagewesenen Umfang gesehen. Und auch Solaranlagen grünen Strom Maßnahmen der Bundesregierung zur Mil- derung der finanziellen Belastungen der Bevölkerung.“ Fatale Abhängigkeit mindest eine Zeitlang etwa einer erneuten porten vermindern? Eine Antwort erhoffen programm mit über 300 hochkarätigen Blockade trotzen zu können. An den Zapf- sich Experten und politische Beobachter Referentinnen und Referenten zusammen. Wer die aktuelle Lage richtig einschätzen säulen wiederum floss DDR-Sprit aus der von den Berliner Energietagen Anfang Mai. Entsprechend breitgefächert ist die Agen- will, sollte die historischen Hintergründe Raffinerie in Schwedt an der Oder, gegen Sie sind die Leitveranstaltung für Energie- da. Sie umfasst Panels und Foren zu The- kennen. Die selbst zu Zeiten des Kalten harte Devisen, versteht sich. Der Westen wende und Klimapolitik in Deutschland. Zu men wie Energie und Klimapolitik, Gebäu- Krieges verlässliche Versorgung mit fossilen zahlt, der Osten liefert – mit dieser Art der den Mitveranstaltern zählen denn auch alle de und Quartiere, Industrie und Gewerbe, Brennstoffen aus Russland hatte Deutsch- Arbeitsteilung konnten beide Seiten gut relevanten Akteure: Von den zuständigen Erneuerbare Energien, Wärmewende und land jahrzehntelang eine trügerische Si- leben. Der unterirdische Gasspeicher wurde Bundesministerien über zahlreiche Dach-, nicht zu vergessen den Faktor Mensch. cherheit vermittelt. Speziell die Hauptstadt 2016 geschlossen, der Kohleberg abgebaut Bundes- und Umweltverbände, führende hing und hängt am Tropf: Erdgas aus der und in den Berliner Kraftwerken verfeuert. Vertreter der Immobilienwirtschaft, Ener- Hauptveranstalter der Energietage ist Sowjetunion begann Anfang Oktober 1985 Der Fall der Berliner Mauer 1989 und das gieversorger, darunter Vattenfall, Gasag von Anfang an die Berliner Agentur EUMB nach West-Berlin zu fließen. Da die west- Ende des Kalten Krieges markierten zu- und Engie, Wissenschaftseinrichtungen, Pöschk. Inhaber Jürgen Pöschk hebt die lichen Alliierten sich jedoch Sorgen mach- gleich das Ende der Senatsreserve: Mehr Behörden sowie weitere Institutionen auf Bedeutung des Fachtreffens für die Haupt- ten, die Sowjets könnten jederzeit wie bei als 90.000 Tonnen Lebensmittel, Medika- nationaler und europäischer Ebene. stadt und weit darüber hinaus hervor: „Mit der Blockade 1948/49 die Versorgung un- mente und andere Güter gingen 1990/91 der überregionalen Leitveranstaltung der terbrechen, wurde in 1000 Meter Tiefe unter als kostenlose humanitäre Hilfe – in die Energiewende in Deutschland werden wich- Kongresse für das Klima dem Stößensee ein gigantischer Gasspei- Sowjetunion. tige Impulse in Form eines State of the Art cher gebaut. Die Reserve hätte gereicht, um Das Format nur für Fachbesucher besteht in die Berliner Energiewende eingespeist. die Halbstadt ein halbes Jahr zu versorgen. Das Modell Entspannung durch Energieex- seit dem Jahr 2000. Unter dem Dach des Damit sind die Energietage ein energie- Foto: Manny/Pexels.com porte funktionierte bis zu Putins Überfall Großkongresses finden jährlich zwischen und klimapolitischer Innovationsmotor Der Westteil der Stadt traf auch auf andere auf die Ukraine. Umso drängender stellt 50 und 60 Einzelkongresse, Tagungen und für die Stadt.“ Und fügt hinzu: „Mit der Weise Vorsorge für Katastrophen. So baute sich jetzt die Frage: Wie lässt sich unsere Workshops statt. Auf diese Weise kommen aktuellen durch den Ukraine-Krieg beding- der Senat riesige Lagerbestände auf, um zu- Abhängigkeit von russischen Rohstoffim- jedes Jahr mehr als 200 Stunden Tagungs- ten Energiekrise stellen sich völlig neue 22 23
Titel „Berlin soll vor 2050 klimaneutral werden“ Global denken, lokal handeln, diese Devise hat sich auch der Berliner Senat zu eigen gemacht. Das Klimaschutz- und Energie- wendegesetz, kurz: EWG Bln, vom August blauer Wasserstoff Bedeutung haben. Die- Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke sollen zum Jahresende vom Netz gehen 2021 gibt Marschrichtung und Tempo vor. ser könne auch eingeführt werden. „Import Berlins klimapolitischen Ziele waren auch und die Vorort-Erzeugung werden sich er- vorher schon hochgesteckt und wurden im gänzen.“ Einklang mit dem Pariser Klimaschutzab- geradezu existenzielle Anforderungen an Quasi als Präludium reisten bereits Ende kommen noch einmal deutlich verschärft. Eine ehrgeizige Vision. In einem Namens- die Ausgestaltung der Energieversorgung in März Fachpolitiker aus aller Welt zur Ber- Demnach sollen die CO 2-Emissionen bis beitrag im Berliner Tagesspiegel zur Abge- Deutschland.“ lin Energy Week an die Spree. Dieses Event 2030 um mindestens 70 Prozent (zuvor 60 ordnetenhauswahl im vergangenen Jahr versteht sich bewusst nicht als Konkurrenz, Prozent) reduziert werden. Bis 2045 ist so- stellte die damalige SPD-Spitzenkandidatin Warum die Gasag sich bei diesem Fachfor- sondern als eine synergetische Ergänzung gar eine Verringerung des CO2- Ausstoßes und heutige Regierende Bürgermeisterin Fotos: Markus Distelrath/Pexels.com; SPD Berlin, Jonas Holthaus mat engagiert, erläutert Vorstand Trunk. der Berliner Energietage. Die internatio- um 95 Prozent (85 Prozent) vorgegeben, Franziska Giffey ihr Konzept einer sozialen „Bei den Energietagen sind alle wichtigen nale Ausrichtung unterstrich einmal mehr alles im Vergleich zum Jahr 1990. Klima- und Energiepolitik vor: „Berlin soll und unterschiedlichen Akteure für den Wär- die Notwendigkeit globalen, gemeinschaft- deutlich vor 2050 vollständig klimaneutral memarkt in Berlin vertreten, der erheblich lichen Handelns zur Bewältigung der Klima- Die Energiewende sei nur durch eine Abkehr werden. Das ist ein sehr ambitioniertes, vielschichtiger ist als in anderen vergleich- krise. Ausrichter waren unter anderem das von fossilen Energieträgern zu erreichen, aber notwendiges Ziel, dem wir uns in den baren Städten. Dazu kommen noch jede Auswärtige Amt und das Bundesministe- ist sich Trunk sicher. „Wir brauchen erneu- kommenden Jahren und Jahrzehnten stel- Menge neuer Kontakte zu interessanten rium für Wirtschaft und Klimaschutz. Bei erbaren Strom aus regenerativen Quellen len werden. Das Bundesverfassungsgericht Start-ups im Energiebereich, zu Wissen- Unternehmensbesuchen konnten sich die und grüne Gase.“ Der Gasag-Vorstand setzt hat die Politik kürzlich an ihre Verantwor- schaft und Forschung. Aber natürlich auch Teilnehmer von der Innovationskraft der auch bei der Wärmeversorgung auf Wasser- tung auch für künftige Generationen erin- zur Politik, die maßgeblich die Richtung Berliner Wirtschaft in Sachen Energie- und stoff. Genauer gesagt, auf grünen Wasser- nert. Diese Verantwortung wahrzunehmen, und die Parameter der Energiewende be- Umwelttechnik überzeugen. Getreu dem stoff aus Erneuerbaren Energien. In der ist unser aller Aufgabe.“ Die kurzfristigen stimmen wird.“ Motto „Think globally, act locally“. Übergangsphase werde ein CO2-neutraler Kosten der Energiewende seien sehr hoch, 24 25
Titel räumt sie wenig später ein. Betont aber: „Das Entscheidende ist jedoch nicht allein die Höhe der Kosten der Energiewende, sondern vielmehr ihr Ergebnis in Wert- schöpfung und Beschäftigung. Für mehr Ar- beitsplätze und starke Unternehmen gilt es jetzt, die Weichen richtig zu stellen.“ Leichter gesagt als getan. Nicht nur Agen- turchef Pöschk hegt wohl Zweifel, ob die ambitionierte Agenda zu schaffen ist: „Ak- tuell gilt es, die Energiekrise und die da- mit verbundenen Anforderungen zu einem Booster der Energiewende in Deutschland auch im Hinblick auf die Ziele des Pariser Abkommens zu machen. Dann kann es noch klappen. Sollte diese Chance vertan werden, wird es schwer bis unmöglich, die Klimaziele national wie international zu er- reichen.“ Aus der Berliner Chefetage eines Elektroroller liegen im Trend großen Wirtschaftsdachverbandes hieß es dazu spöttisch, mit dem forcierten Ausstieg aus Erdgas, Kohle und Kernenergie zuguns- ten der Erneuerbaren Energien verhielten Doch Berlin braucht seine industrielle Basis logiezentrum zu Erneuerbaren Energien bilanz Berlins bei. Derzeit liegt die Haupt- sich Bundesregierung und Berliner Senat mehr denn je. Kreative Start-ups und reine betrieben. Mit den Investitionen in eine stadt mit einem Anteil der Erneuerbaren wie ein Wanderer in der Wüste, der noch vor Dienstleister allein reichen nicht aus, damit Batteriezellfabrik am Standort Schwarz- Energien am Primärenergieverbrauch von Erreichen der Oase seine letzten Wasservor- sich der Wirtschaftsstandort im nationalen heide werden die Akkus für E-Bikes und 5,1 Prozent weit hinter Brandenburg mit räte wegschüttet. und internationalen Wettbewerb auf Dau- Autos in Berlin hergestellt. Rund um Tesla fast 20 Prozent zurück. Noch fließen rund er behaupten kann. Die vergleichsweise kann neue international bedeutende For- 60 Prozent des im Nachbarland produzier- schwache Wirtschaftskraft war und ist die schung entstehen. Berlins Energieversor- ten Stroms nach Berlin. Daran dürfte sich Ambitionierte Ziele Achillesferse der Hauptstadt. Zwar legte das gung war immer auch abhängig vom Ber- so schnell auch nichts ändern, selbst wenn Die ehrgeizigen klimapolitischen Ziele kön- hiesige Bruttoinlandsprodukt im vergange- liner Umland. Selbst zu Teilungszeiten. Das der Energieverbrauch weiterhin stetig ab- nen nur gemeinsam mit den Betrieben und nen Jahr real um 3,3 Prozent zu, während wird auch künftig so sein, aber nicht mehr nimmt. Anders gesagt: Ohne Brandenburg Bürgern der Hauptstadt verwirklicht wer- es im Bundesdurchschnitt 2,9 Prozent wa- mit Lausitzer Kohle, sondern mit Wind- à la longue keine Klimaneutralität Berlins. den. Miteinander statt gegeneinander gilt ren. Das macht jedoch den Einbruch um 3,8 und Solarstrom aus Brandenburg. Warum auch und erst recht beim Thema Energieein- Prozent im Jahr 2020 nicht wett. Zudem sollte Berlin als große Nachfragerin nicht Hinzu kommt ein weiteres Problem beim sparen. Mit anderen Worten: Der rot-grün- vermag niemand vorherzusagen, wie sich auch gleichzeitig Partnerin für neue Ar- Ökostrom: die mangelnde Speicherfähig- rote Senat darf weder die Unternehmen, steigende Energiepreise, Exporteinschrän- beitsplätze in der Großregion Berlin-Bran- keit. Und so wird Berlin zu seiner Ener- beispielsweise der Baubranche, durch Bü- kungen und Lieferkettenunterbrechungen denburg sein?“ gieversorgung auch weiterhin auf fossile rokratie und Abgaben übermäßig belasten auf die Berliner Wirtschaft auswirken. Energieträger angewiesen sein, die Abhän- Foto: Jonas Jacobsson/unsplash noch die Menschen etwa bei der Verkehrs- Ob die regionale Partnerschaft trägt, muss gigkeit lässt sich bestenfalls konsequent planung immer wieder aufs Neue verprel- Franziska Giffey gibt sich zuversichtlich. die Zukunft erweisen. Streicht man die po- verringern. Denn Erdgas und Erdöl dienen len. Allzu restriktive Umweltschutz-Aufla- „Dort, wo die gemeinsame Energiewen- litische Lyrik, ergibt sich ein anderes Bild. nicht nur der Stromerzeugung, sie sor- gen steigern nicht eben die Attraktivität de-Mission der Hauptstadtregion ver- Die gerade einmal neun Windkraft-, knapp gen auch für kuschelige Wärme. Von den der Stadt, zumal für die Ansiedlung von standen wurde, dort ist neues Wachstum 9.000 Solar- und 47 Biomasseanlagen tra- insgesamt 1,9 Millionen Wohnungen in Industriebetrieben. entstanden. In Adlershof wird ein Techno- gen in überschaubarem Maße zur Ökostrom- der Hauptstadt werden 37,1 Prozent mit 26 27
Titel Fernwärme beheizt, 35 Prozent mit Erdgas Es wäre jedoch falsch, angesichts des er- und 16,8 Prozent mit Öl, der Rest verteilt nüchternden Befunds resigniert mit den sich auf andere Brennstoffe. Die Fernwärme Schultern zu zucken. Im Gegenteil, an wiederum wird in acht Kraftwerken produ- Willen zur Veränderung mangelt es näm- ziert, von denen sechs mit Erdgas laufen. lich nicht. Die maßgeblichen Akteure sind Die beiden übrigen, Moabit und Reuter West, bereit, die Energiewende aktiv mitzugestal- werden von Kohle auf Erdgas umgestellt. ten. Nur das von der Politik vorgegebene Tempo können oder wollen nicht alle hal- Langsamer Abschied ten, weil sie es sich schlicht nicht leisten können. Was gern übersehen wird: Deut- von Gas und Kohle sche Unternehmen müssen seit Jahren mit Auch bei der Stromerzeugung kann Berlin, die höchsten Energiepreise in Europa schul- zumindest kurz- und mittelfristig, nicht auf tern. Das ist offensichtlich politisch so ge- Gas und Kohle verzichten. Im Jahr 2020 wollt. Der staatliche Abgabenanteil an den lieferte die Verbrennung von Erdgas 4.500 Stromkosten macht 53 Prozent aus, beim Gigawattstunden (GWh) Strom, durch die Sprit an der Zapfsäule ist es etwa die Hälfte. Kohleverstromung wurden 1.900 GWh ge- wonnen. Sonne, Wind und Biomasse steuer- Dennoch ist auch in der hauptstädtischen ten lediglich 405 GWh bei. Unter dem Strich Wirtschaft die Bereitschaft groß, die Her- wurde also mit Erdgas elfmal mehr Strom ausforderung Energiewende anzupacken. erzeugt als mit Erneuerbaren Energien. Laut einer aktuellen Umfrage haben mehr als zwei Drittel der Berliner Unternehmen Gasag-Vorstand Matthias Trunk in den vergangenen zwei Jahren Energie- Die Zukunft ist jetzt: die Zahl effizienzmaßnahmen umgesetzt. Ebenso viele wollen in den kommenden 24 Monaten der E-Ladesäulen vermehrt sich stetig zusätzlich in diesem Bereich investieren. In der Energiewende und steht zugleich Modell den zurückliegenden zwei Jahren wurden für ein smartes Stadtquartier. Es verfügt dafür im Schnitt 50.000 Euro pro Betrieb über ein intelligentes Energienetz mit ei- ausgegeben, im Jahr 2011 waren es 30.000 nem Blockheizkraftwerk zur CO2-neutralen Euro. Auch für die Zukunft stehen bei den Energieversorgung der energieeffizienten Berliner Unternehmern Investitionen in Gebäude. Einen Forschungsschwerpunkt bil- eine bessere betriebliche Energiebilanz weit det die Mobilität, vom Elektrofahrzeug über oben auf der Agenda. Car-Sharing bis zum Autonomen Fahren. Labor für E-Mobilität Bis in Berlin nur noch Elektroautos, E-Scoo- ter, E-Bikes und E-Laster leise dahinglei- Unterstützung auf ihrem Weg in die energe- ten, ist es allerdings ein weiter Weg. Noch tische Zukunft erfahren sie aus der vielfäl- dominieren die traditionellen Verbrenner. tigen Berliner Wissenschaftslandschaft mit Obgleich stattliche staatliche Prämien den Fotos: Andrew Roberts/unsplash; Florian Büttner ihren Hochschulen und außeruniversitären Einstieg in die E-Mobilität attraktiv machen Innovationsschmieden. Ein Leuchtturm ist sollen, hält sich die Kauflust in Grenzen. der EUREF-Campus Berlin, wobei die Abkür- Knapp 17.000 Elektroautos rollen derzeit zung für Europäisches Energieforum steht. auf den Berliner Straßen. Dafür ist die Dort haben sich rund um das alte Schö- Hauptstadt bei einem anderen Fortbewe- neberger Gasometer mehr als 150 Firmen, gungsmittel Trendsetter. Von bundesweit Start-ups und Forschungsinstitute mit ins- 54.400 E-Scootern sind 11.000 in Berlin gesamt 3.500 Mitarbeitern angesiedelt. Das (gewerblich) zugelassen. Ein Grund für die 5,5 Hektar große Areal dient als Reallabor Kaufzurückhaltung bei den E-Limousinen 28 29
Titel könnte das dünne Ladesäulennetz sein. Mo- mentan stehen erst rund 1.800 öffentlich zugängliche Ladepunkte zur Verfügung, vor fünf Jahren waren es 250. Fehlende Ladestationen und Engpässe im Stromnetz behindern gegenwärtig den schnellen Ausbau der Elektromobilität in der Stadt. An der Privatwirtschaft liegt es nicht. Beispiele gefällig? Ausgerechnet eine bundesweit bekannte Supermarktkette hält die größte Ladeinfrastruktur vor. Und die Grüne Dächer sollen das Stadtklima verbessern Taxi-Innung rechnet dem Senat vor, „unter Nutzung bestehender Tankstellenstandorte und Betriebsstationen“ könnten in Berlin „ohne großen Staatsaufwand“ bis zu 800 E-Taxen jährlich an den Start gehen. Zu- gleich warnt Innungschef Leszek Nadolski, das Taxigewerbe „als hochflexible 4. Säule des ÖPNV“ könne durch „falsche politische Entscheidungen ins existenzielle Abseits befördert werden.“ Beides sollte unterneh- merfeindlichen Kräften in der Berliner Lan- despolitik zu denken geben. Doch wer sind die größten Energieschlu- cker im Lande? Die deutschlandweite Sta- tistik für 2020 zeichnet ein klares Bild. Auf „Schon in absehbarer Zukunft sind Strom, wie viel Energie ein Gebäude für den reinen Vattenfall hat nach Angaben des Unterneh- Wärme und Kälte entfallen 52 Prozent des Wärme und Mobilität eng miteinander Wärme- und Kältebedarf benötigt und be- mens im Berliner Verbundnetz einen zertifi- Endenergieverbrauchs. Der Verkehrssektor verbunden“, weiß Gasag-Vorstand Trunk. einflusst die energetische Bewertung eines zierten Primärenergiefaktor von 0,45. macht gut ein Viertel aus, die Stromerzeu- Alles sei mit allem verbunden, wie bei der Gebäudes nach dem Gebäudeenergiegesetz. gung schlägt mit rund 21 Prozent zu Buche. Kraftwärmekopplung. Gerade in Quartieren Diese wiederum entscheidet darüber, wel- Ökostrom ist Trumpf Betrachtet man nur den Stromverbrauch, ließen sich verschiedene regenerative Ener- che zusätzlichen Maßnahmen ein Gebäude- führt die Industrie mit 45 Prozent. Han- giequellen sinnvoll einbinden und könnten eigentümer zu leisten hat, um die vom Besondere Umweltfreundlichkeit nehmen del und Gewerbe folgen mit 27 Prozent, mehr als die Hälfte des Energiebedarfs dar- Gesetzgeber an seine Immobilie gestellten auch die Berliner Stadtwerke für sich in der Anteil der Privathaushalte liegt bei 26 stellen. „Beispielsweise die Kombination Anforderungen zu erfüllen. Anspruch. Sie wurden 2014 als Tochter- Prozent. von Wärmepumpen und Photovoltaik oder gesellschaft der Berliner Wasserbetriebe auch die Nutzung von Erdwärme und Ab- Je nach Energieträger vergibt der Gesetz- gegründet, damit die Hauptstadt das Ziel Vernetzte Versorgung wärme sowie innovative Energiespeicher.“ geber einen anderen Primärenergiefaktor. der Klimaneutralität durch die regionale So haben Heizöl und Erdgas einen Primä- und verbrauchernahe Erzeugung von Er- Will unser Land die Energiewende zum Er- Vattenfall Stadtwärme wirbt mit Bestwerten renergiefaktor von 1,1. Der pauschal vorge- neuerbaren Energien möglichst schnell folg führen, braucht es eine ganzheitliche bei der Energieeffizienz. Die im Berliner gebene Primärenergiefaktor für Fernwärme erreichen kann. Die Berliner Stadtwerke Lösung. Eine Reduzierung des Autover- Verbundnetz verteilte Stadtwärme stammt aus Kraft-Wärme-Kopplung beträgt 0,7. Im produzieren ausschließlich Ökostrom mit Foto: Claus Lutterbeck kehrs allein reicht nicht aus. Das gilt für zu über 50 Prozent aus ressourcenscho- überwiegenden Teil des Versorgungsgebie- Windkraft und Photovoltaik und verzichten Deutschland insgesamt, das gilt auch für nender Kraft-Wärme-Kopplung. Dies wirkt tes von Vattenfall übertrifft die klassische völlig auf die Erzeugung und den Vertrieb Berlin. Hier sind insbesondere die Energie- sich positiv auf den Primärenergiefaktor Versorgung mit Fernwärme jedoch sogar von Strom aus Kohle oder Atomkraft. Dabei versorger gefragt. Und die denken vernetzt. aus. Der Primärenergiefaktor bestimmt, diese Anforderungen. Die Stadtwärme von wird jährlich mehr Biostrom produziert, als 30 31
Titel Die Berliner Stadtwerke und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald lassen gemeinsam Bäume wachsen Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführende Vorständin der weit die Nummer 3 ihrer Branche – bezieht Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) schon seit der Gründung des ersten Marktes in Berlin 1999 grünen Strom. Das Markt- die Privatkunden in Summe verbrauchen. netz umfasst derzeit 63 Filialen, davon 55 Somit sei „unser grüner Strom für alle Ber- in Berlin und Brandenburg. Der Kontrakt klassische Mieterstadt. Insofern kommt Berlin wäre nicht Berlin, würde nicht auch liner Haushalte und in vielen Gemeinden in mit dem Ökostromlieferanten ist nur ein diesem innovativen Versorgungsmodell dieses Modellprojekt ein ambitionier- Brandenburg verfügbar“, heißt es aus der Element eines umfassenden Konzepts zur besonderes Gewicht zu. Es kann nur funkti- tes Ziel verfolgen. Dachanlagen sollen in Firmenzentrale. Energiereduktion. Dazu gehören zum Bei- onieren, wenn Mieter und Gebäudeeigentü- den nächsten Jahren bis zu 25 Prozent spiel Glastüren an den Frischeregalen und mer eingebunden sind und gleichermaßen des Strombedarfs decken, weniger als ein Dies alles geschieht im Zusammenwirken mit die durchgehende Verwendung moderner davon profitieren. Prozent ist es jetzt. Die Berliner Stadtwer- den Kunden. Beispielsweise in dem Projekt LED-Beleuchtung. Auf diese Weise könne ke haben insgesamt schon mehr als 200 „Gemeinsam Bäume wachsen lassen“. Dank bis zu 40 Prozent Strom eingespart werden, Mieterstrom ist lokal produzierter Strom. Solarstromanlagen mit knapp 16 Mega- mehr als 3.400 neuer Ökostrom-Kunden rechnet die Bio Company vor. Die Energiegewinnung findet in unmittel- watt Leistung installiert. Bei der Mehrzahl entsteht in Basdorf bei Berlin ein kleiner barer Nähe zum Nutzer statt. Die Grundidee der Mieterstromanlagen kommen jedoch Stadtwerke-Wald. Die Berliner Stadtwer- ist so einfach wie nachhaltig. Saubere Ener- Blockheizkraftwerke zum Einsatz. Und diese Gemeinsam grün ke und die Schutzgemeinschaft Deutscher gie wird möglichst dort produziert, wo sie Form der Energieerzeugung trendet: Waren Wald haben aufgerundet. So konnten 3.600 Bio-Berlin – die nachhaltige Zukunft der auch verbraucht wird – auf den Gebäuden, es 2010 erst zehn Mieterstromanlagen, sind Laubbäume 7 Kilometer von der nördlichen Stadt ist eine Gemeinschaftsaufgabe. An in denen wir leben. Der Gebäudeeigentümer mittlerweile rund 330 dezentrale Energie- Fotos: Benjamin Pritzkuleit; DGNB Stadtgrenze entfernt gepflanzt werden. deren Lösung wirken Energiebetriebe und verpachtet das Dach an die Berliner Stadt- produzenten in das Verteilungsnetz integ- Bürger, Senat und (Immobilien)Wirtschaft werke. Diese richten dort auf eigene Kosten riert. Ein weiteres Vorzeigevorhaben ist Ende März engagiert mit. Das zeigt sich wie im Brenn- eine Solarstromanlage ein. Der Solarstrom gestartet. Seither beliefern die Berliner glas am Mieterstrom-Projekt. Berlin ist mit fließt direkt an die Haushalte und kann bei Staat und Privat ziehen (zumeist) an einem Stadtwerke alle 63 Märkte der Bio Company. einem Anteil von rund 85 Prozent von Miet- Bedarf durch Ökostrom aus dem Netz er- Strang. Knapp ein Drittel der Mieterstroman- Die Bio-Supermarktkette – deutschland- verhältnissen am genutzten Wohnraum eine gänzt werden. lagen wurden gemeinsam mit landeseigenen 32 33
Titel Wohnungsbauunternehmen, privaten Woh- haben wir das Zertifizierungssystem ent- nungsunternehmen, Genossenschaften und wickelt.“ Es helfe nicht nur, Gebäude zu Eigentümergemeinschaften realisiert. Die optimieren, sondern auch Transparenz hin- Dachanlagen konzentrieren sich auf die östli- sichtlich nötiger Daten in den Markt zu be- che Stadthälfte, Mitte sowie die Bezirke Tem- kommen. Dr. Lemaitre weiter: „Von Seiten pelhof-Schöneberg und Treptow-Köpenick. der EU kommen jetzt mit dem EU Green Deal Sie versorgen mehr als 10.000 Haushalte mit und der Festlegung von Standards für die umweltfreundlichem Solarstrom. Nachhaltigkeit von Immobilien immer mehr Anforderungen auf Immobilieneigentümer, Sonnige Zeiten also? Es bleibt in puncto -betreiber und -entwickler zu.“ Im Klartext: Energieeffizienz noch viel zu tun. Berlin ist Bauen und damit Wohnen wird in Zukunft eine alte Stadt – das gilt für seine Bevölke- (noch) teurer. rung ebenso wie für seine Miethäuser. Nahe- zu jede dritte der insgesamt 1,9 Millionen Bürokratie und Wohnungen ist vor 1949 entstanden. Fassa- den müssen gedämmt, Heizungsanlagen Bürgerbeteiligung erneuert, der Energieverbrauch generell ge- Da scheint jedes Vorhaben willkommen, senkt werden. Das Kunststück besteht darin, was helfen kann, die Energiebilanz eines dass Wohnen auch nach erfolgter Sanierung Gebäudes zu verbessern und dadurch Kos- bezahlbar bleibt. Andernfalls drohen Gentri- ten zu sparen. Etwa das im Sommer 2019 Industrieunternehmen gehören fizierung und soziale Verwerfungen, was auf gestartete 1.000 Grüne Dächer Programm zur DNA der Hauptstadt längere Sicht weder im Interesse der Vermie- des Landes Berlin. „Die vielen grünen Dä- unlängst die Berliner Morgenpost. Woran ter noch der Mieter liegen kann. cher sind ein wichtiger Teil des Berliner liegt’s? „Ein zu komplizierter Antragspro- Stadtgrüns. Sie sorgen für ein besseres Kli- zess, die lange Bau- oder Umbauphase an Nachhaltigkeit versus Bezahlbarkeit, die- ma, weil hier im Sommer Wasser verdunstet sich oder die Erkenntnis, dass ein Gründach Das repräsentativ für die Berliner Bevöl- ser grundlegende Zielkonflikt besteht auch und so die Umgebung kühlt. Zudem helfen möglicherweise doch zu aufwendig und teu- kerung zusammengesetzte Gremium soll bei Neubauten in der Hauptstadt. „Emissi- begrünte Dächer, bei Starkregen die Kana- er ist“, nennt die Berliner Morgenpost an Empfehlungen erarbeiten, die im Senats- onsfrei bauen können wir nicht, aber wir lisation vor Überflutung zu schützen, weil möglichen Gründen. ausschuss Klimaschutz diskutiert werden. können dafür sorgen, die CO2-Emissionen sie das Wasser zurückhalten. Nicht zuletzt Danach nimmt der Senat Stellung dazu und im Bau und Betrieb so gering wie mög- sind sie wichtige Oasen für die Tiere und Oder insgesamt zu viel Bürokratie. Für diese greift überzeugende Vorschläge auf. Um lich zu halten“, bekennt Dr. Christine Pflanzen unserer Stadt und Wohlfühlräume Vermutung spricht die Absicht von Rot-Rot- das Durcheinander vollständig zu machen, Lemaitre, Geschäftsführende Vorständin der für viele Berlinerinnen und Berliner“, wirbt Grün, den Kompetenzwirrwarr beim Thema bot die Landesregierung nach eigenem Be- Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges die Senatsumweltverwaltung. Überdies mit Energie und Klima noch zu vergrößern. Vor kunden „ein weiteres Beteiligungsformat Bauen (DGNB). Und so soll die Gleichung verlockenden Konditionen: Die Höhe der kurzem wurde ein neues Gremium geschaf- für Bürgerinnen und Bürger in Klimaschutz- aufgehen: Die der Errichtung entstan- regulären Förderung beträgt bis zu 75 Pro- fen, der Senatsausschuss Klimaschutz. Laut fragen“ an. Auf der Online-Plattform mein. denen CO2-Emissionen werden über einen zent. Bei Projekten, „die besonders innova- Umweltsenatorin Bettina Jarasch dient die- berlin.de konnten sie von Mitte Februar bis klimapositiven Betrieb so schnell wie mög- tiv und experimentell oder partizipativ und ser der „Verbesserung der Klima-Governan- Mitte März das bereits erwähnte Berliner lich rückwirkend ausgeglichen. „Gebäude, gemeinwohlorientiert sind“, gibt es gar bis ce zur gemeinsamen Erreichung der Ber- Klimaschutz- und Energiewendegesetz die klimapositiv im Betrieb sind, erzeugen zu 100 Prozent Zuschuss. liner Klimaschutzziele“. Der Ausschuss soll kommentieren. mehr Erneuerbare Energie, als sie selbst vierteljährlich tagen. Ihm gehören die Se- brauchen. Den Überschuss geben sie ans Ein so attraktives Programm müsste hoff- natorinnen und Senatoren für Umwelt, Bil- Verwirrende Vielfalt. Gleichwohl verdient Stromnetz und verdrängen damit Energien nungslos überbucht sein, sollte man mei- dung, Finanzen, Europa, Stadtentwicklung, das Bemühen der Landesregierung Aner- aus fossilen Energieträgern.“ nen. Tatsächlich hält sich das Interesse an Bauen und Wohnen, Wirtschaft und Energie kennung, Berlins Wirtschaft und Gesell- dem Angebot des Berliner Senats bislang in sowie der Chef der Senatskanzlei an. schaft für das Ziel der Klimaneutralität bis Nachhaltigkeit dürfe kein „Bauchgefühl Grenzen. Für gerade einmal 19 Vorhaben spätestens 2050 zu gewinnen. „Energie- Foto: Siemens bleiben“, schreibt die DGNB-Vorständin seien bis Ende Februar dieses Jahres För- Parallel dazu hat der Senat den „Berliner Kli- wende MACHEN!“ bleibt auf dem Weg dort- grünen Träumern ins Stammbuch. „Deshalb dermittel ausgezahlt worden, berichtete mabürger:innenrat“ aus der Taufe gehoben. hin Mahnung und Ansporn zugleich. (evo) 34 35
Sie können auch lesen