Jüdische Gemeinde in Hamburg
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!"#$%&'(')&"**+&*! לזכור !"#"$%&'()*'+",-.*#)*'/)0)11023"45'46*'76(%023)'/)&)"18#%)')9:9' $$% !"# !"#$%&'(%)(*#+%,#!-./*#01%'23,4%)#5/// לזכור !"#$%&'(')&"**+&* „Abraham Mendelssohn wird in den niederländischen Contract aufgenommen.“ Neuigkeiten von Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus – Seite 3 !
Impressum / Editorial Impressum Herausgeber Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V. Redaktion Liebe Leserinnen und Leser, Leitung: Jürgen Sielemann Korrektorat und Beirat: Dr. Jutta Braden, in der heimatkundlichen Literatur zur Geschichte von Dr. Beate-Christine Fiedler Finkenwerder war von jüdischen Einwohnern dieser Ham- Layout: Christian Wöhrl burger Elbinsel bisher nichts zu lesen; dem Beitrag von Druck: Frick, Krumbach Ralph Busch ist es zu verdanken, dass damit Schluss ist. Redaktionsadresse Hamburger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V., „Familienforschung endet nie!“ Diese Weisheit gilt auch c/o Jüdische Gemeinde in für biografische Forschungen, selbst wenn es sich um Hamburg, Grindelhof 30, berühmte Persönlichkeiten handelt, denen schon viele 20146 Hamburg E-Mail: Autoren nachgegangen sind. Der Grund liegt hin hgjg2011@googlemail.com und wieder darin, dass Fakten der Einfachheit halber gern aus der Literatur (mit ihren Irrtümern) bezogen werden Preis 10,00 €. Verkaufspreis durch anstatt durch ein mühsames Studium archivalischer Quellen. Mitgliedsbeitrag abgegolten. Dies gilt auch für Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus, wie mein Beitrag über wahre und Vereinskonto Hamburger Gesellschaft für „alternative“ Fakten zu zeigen beabsichtigt. jüdische Genealogie e.V. Hamburger Sparkasse Nach vielen Jahren ist in Hamburg nun eine groß angelegte IBAN: DE24 2005 0550 1010 2116 29 Stätte des Gedenkens an die Deportationen vom BIC: HASPDEHHXXX Hannoverschen Bahnhof entstanden. Kristina Vagt hat daran mitgewirkt und stellt uns diesen am 10. Mai 2017 Eingabe von Artikeln Unsere Leser sind eingeladen, eingeweihten Gedenkort in Wort und Bild vor. Artikel zur Veröffentlichung zu senden. Die Beiträge verpflichten Sylvia Steckmest erzählt im zweiten Teil die Geschichte ausschließlich die Verfasser. Abdrucke aus dieser Zeitschrift der zu ihrer Verwandtschaft gehörenden Familie Mathiason sind nur mit dem Einverständnis aus Rendsburg. der Redaktion gestattet. Copyright Wer einen Beitrag für unsere Zeitschrift beisteuern möchte © Hamburger Gesellschaft für – sehr, sehr gern! jüdische Genealogie e.V. Liskor – Erinnern. Titelbild Mit herzlichem Gruß Felix Mendelssohn Bartholdy Jürgen Sielemann Staatsarchiv Hamburg, 720-1 Plankammer, 215 Me 311. ISSN 2509-4491 2 !"#$%&'(')&"**+&*
Jürgen Sielemann Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus in historischen Quellen und in der Literatur Wahre und „alternative“ Fakten aus alter und neuer Zeit Felix Mendelssohn Bartholdy – der Name beschäftigt sich dieser Beitrag. Auch wird des berühmten Komponisten ist eng mit darin ein bemerkenswertes Dokument zum Hamburg verbunden, denn hier stand sein Hamburger Aufenthalt der Familie Men- Geburtshaus. Als Schöpfer von Meister- delssohn vorgestellt, das den Biografen bis- werken der Romantik ging er in die Musik- her entgangen ist. geschichte ein. Auch seine ebenfalls in Hamburg geborene Schwester Fanny fand Ein kurzer genealogischer Überblick darin einen festen Platz. Die Literatur zum Die Genealogie der Familie von Felix Leben und Werk der beiden Geschwister ist Mendelssohn Bartholdy wurde umfassend heute kaum noch überschaubar. erforscht und in Publikationen dargestellt, Felix Mendelssohn Bartholdy wurde in denen seine Vorfahren bis in das Mittel- am 3. Februar 1809 in Hamburg als Sohn alter hinein nachgewiesen sind.1 Der nach- von Abraham und Lea Mendelssohn geb. folgende Überblick beschränkt sich – wegen Salomon geboren. Mit seinen Eltern und ihrer Beziehung zu unserer Stadt – auf die den Schwestern Fanny (geb. 1805) und Eltern, eine Tante und einen Onkel des Rebecka (geb. 1811) Komponisten. Einiges verließ er Hamburg wäre auch von in bereits als Kleinkind. Hamburg lebenden Den wenigen Jahren Nachkommen zu be- des hiesigen Auf- richten, was im Rah- enthalts der Familie men dieses Beitrags gingen zahlreiche Au- allerdings nicht ge- toren nach, wobei in leistet werden kann.2 Ermangelung von Felix’ Großvater Quellen hin und wie- Moses Mendelssohn, der auch eigene Zuta- der berühmte Philo- ten eingesetzt wurden, soph der Aufklärung die dann in nachfol- (geb. 6.9.1729 in Des- genden Publikationen sau, gest. 4.1.1786 in als „Fakten“ wiederzu- Berlin) war mit einer finden sind. Mit die- gebürtigen Altonaerin sem Problem und den verheiratet: Fromet tatsächlichen, durch Felix Mendelssohn Bartholdy. geb. Guggenheim Quellen dokumentier- Staatsarchiv Hamburg, 720-1 Plankammer, (geb. 6.10.1737, gest. ten Sachverhalten 215 Me 311 5.3.1812 in Altona), ,-'./0&1/*12'3&-'445 3
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus eine Tochter des Kaufmanns Abraham Unterschied zu ihren Geschwistern ließ Guggenheim. Ihr Grabstein auf dem Jüdi- sich Recha Meyer nicht taufen.4 schen Friedhof an der Königstraße in Alto- na wurde 2009 restauriert und zieht viele Joseph Mendelssohn (1770 – 1848) Besucher an. Fromets Ehe mit Moses Men- Joseph, der älteste Sohn des Philosophen delssohn entstammten zehn Kinder, von de- Moses Mendelssohn, war als Bankier sehr nen im Folgenden drei näher betrachtet erfolgreich. Mit seinem Bruder Abraham werden: gründete er 1804 das Berliner Bankhaus J. • Recha Meyer geb. Mendelssohn, geb. & A. Mendelssohn und ein Jahr später die 14.7.1767 in Berlin, gest. 23.4.1831 ebenda Bank Gebrüder Mendelssohn & Co. in • Joseph Mendelssohn, geb. 11.8.1770 in Hamburg. Hier hatte sich Joseph Mendels- Berlin, gest. 24.11.1848 ebenda, Bankier sohn bereits 1801 an der Firma des Maklers • Abraham Mendelssohn Bartholdy, geb. Zadig Aron Zadig beteiligt.5 10.12.1776 in Berlin, gest. 14.11.1835 Joseph Mendelssohn gehörte zu den ebenda, Bankier, der Vater des Kompo- begüterten Juden, deren Aufenthaltsrecht in nisten. Hamburg durch eine Aufnahme in den so- genannten Niederländischen Kontrakt be- Recha Meyer geb. Mendelssohn gründet wurde. Im Unterschied zu diesem (1767 – 1831) kleinen Personenkreis waren jüdische Zu- Recha, die dritte Tochter von Moses und wanderer geringeren Einkommens nach er- Fromet Mendelssohn, wurde 1786 mit dem folgter Taxierung durch Gemeindeälteste Mecklenburg-Strelitzer Kammeragenten zur Zahlung eines jährlichen Entgelts für Mendel Nathan Meyer getraut. Als einziges das Bleiberecht verpflichtet. Der „Nieder- Kind dieser 1800 geschiedenen Ehe wurde ländische Kontrakt“ war im 17. Jahrhundert im Oktober 1793 die Tochter Rebecca (Bet- zur Aufnahme wohlhabender reformierter ty) in Neustrelitz geboren. Nach der Schei- Glaubensflüchtlinge aus den spanischen dung siedelte Recha Meyer mit ihrer Mut- Niederlanden eingeführt worden. Die spä- ter Fromet Mendelssohn nach Altona über tere Anwendung auf jüdische Einwanderer und führte dort unter wechselnden Adres- offenbart den Pragmatismus des Hambur- sen bis 1812 ein Erziehungsinstitut für ger Rats, wenn es um die Gewinnung zah- Mädchen. Die Altonaer Volkszählungsliste lungskräftiger Einwohner ging. Martin von 1803 führt sie als Hausmutter mit ihrer Moses Haarbleicher, der Chronist der Tochter, drei minderjährigen Schützlingen Rechtsverhältnisse der Hamburger Juden und einer Dienstmagd als Bewohnerin des im 18. und 19. Jahrhundert, hat von dieser Hauses Palmaillenstraße 340 auf.3 1812, relativ unbekannten Praxis berichtet, wobei nach dem Tod ihrer Mutter, kehrte Recha ihm der Lapsus unterlief, vom Niedersäch- Meyer nach Berlin zurück. Ihre Tochter Re- sischen anstatt vom Niederländischen Kon- becca heiratete 1818 den Berliner Bankier trakt zu sprechen. Laut Haarbleicher „gab Heinrich Beer, dessen Bruder Giacomo es noch eine kleine Anzahl, die von der Meyerbeer wie Felix Mendelssohn Barthol- Stadt auf den sogenannten Niedersächsi- dy in die Musikgeschichte einging. Im schen [!] Contract aufgenommen waren; 4 !"#$%&'(')&"**+&*
diese leisteten den Einwohner-Eid und ver- 1775 erhalten und reichen bis 1811. Sie do- accordirten und entrichteten ihren Schoss kumentieren die Dauer der Anwesenheit direkt an die Kammern. Die letzte Aufnah- von Juden in Hamburg in einer Zeit, in der me dieser Art geschah 1808.“6 Hartvig Levy es noch kein Einwohnermelderegister gab übernahm Haarbleichers Angabe in seiner und in der die stets unvollständigen Adress- 1933 eingereichten Dissertation „Die Ent- bücher oft veraltete Adressenangaben und wicklung der Rechtsstellung der Hambur- Lücken aufweisen. ger Juden“ wie folgt: „Im Laufe der Jahr- Der Eintrag über die Fremdenschoss- zehnte – bis 1808 – wurden in ganz weni- zahlungen von Joseph Mendelssohn be- gen Fällen auch nicht zur Gemeinde gehö- ginnt mit dem Vermerk, dass „Joseph Men- rige Juden in Hamburg auf den sogenann- delsson, ein Jude, A.[nno] 1801 d. 4ten ten Niedersächsischen [!] Kontrakt zugelas- Märtz auf 2 Jahre à 50 Mark pro Anno an- sen. Diese entrichten ihre Steuer direkt an genommen“ wurde. Die letzte seiner jährli- die Kämmerei.“7 chen Zahlungen datiert vom 21. März Die „Fremdenschossbücher“, in denen 1811;8 von diesem Tag stammt auch die solche Zahlungen verbucht wurden, sind ab letzte Fremdenschosszahlung seines Bru- ders Abraham, mit dem Joseph wenig später wegen eines Problems mit der französischen Besatzungsbehörde aus Hamburg flüchtete.9 In den Hamburger Adressbü- chern ist Joseph von 1801 bis 1811 durchgehend mit der Adresse Große Michaelisstraße 71 aufgeführt. Nach Eckart Kleßmanns Mendels- sohn-Biografie zog er erst 1804 nach Hamburg, was nicht den Quellen entspricht.10 Abraham Mendelssohn Bartholdy (1776 – 1835) 1. Seine Niederlassung in Hamburg in den Quellen und in der Literatur Den zusätzlichen Namen Bartholdy führte Abraham Mendelssohn, der Vater der Komponisten Fanny und Felix, seit 1823.11 Den Beginn seiner Hamburger Zeit dokumentiert das in Joseph Mendelssohns Zahlungen im Fremdenschoss- der Mendelssohn-Forschung bislang register der Hamburger Kämmerei. übersehene Protokoll der Sitzungen Staatsarchiv Hamburg, 311-1 I Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 239 des Hamburger Rats von 1805. Der ,-'./0&1/*12'3&-'445 5
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus Indexband zu diesem Protokoll weist in der Bruder Joseph und der gemeinsamen Firma Rubrik „Index realis et interna, Juden“ unter ist er darin wie folgt aufgeführt: Ziffer 3 den folgenden Eintrag auf: „Abra- Mendelssohn Gebr. et Comp.[agnon] Kaufleute ham Mendelsohn wird in den niederländi- in B.[anc-]C.[onto] Joseph Mendelssohn, schen Contract aufgenommen [siehe S.] gr.[oße] Michaelisstraße, no 71 a. 209 b.“ 12 Mendelssohn, Joseph, unter vorstehender Fir- Der erwähnte Indexband zeigt, in ma, gr. Michaelisstraße, no 71 a. welchen ganz unterschiedlichen Fällen sich Mendelssohn, Abrah., unter obiger Firma, gro- der Hamburger Rat in jenem Jahr mit jüdi- ße Michaelisstraße, no 119 a. schen Einwohnern befasste: Fall 1 betraf die Anträge von drei Juden zum Erwerb von Es handelte sich um die Hausnummern 71 Grundstücken („Erben“), Fall 2 bezog sich und 119 und nicht 71 a und 119 a; der auf „das Gesuch einiger Juden, bei dem Buchstabe a ist nichts anderes als ein Sigle Fortifications-Departement einigen armen im Zusammenhang mit der Gebietseintei- Juden Arbeit zu geben“, und Fall 3 wurde lung des Hamburger Bürgermilitärs.16 wie folgt geregelt: „Die in einem Hause in In diesem Adressbuch begegnet zum der Neustraße wohnenden Juden werden ersten Mal die Adresse des Hauses, in dem zur Räumung angehalten.“ Gegenüber dem wohlhaben- den Abraham Mendelssohn bewies der Rat Wohlwollen, wie der Eintrag im Senatspro- tokoll der Sitzung vom 20. Mai 1805 zeigt. Der Beschluss über dessen Supplik zur Auf- nahme in den Niederländi- schen Kontrakt lautete schlicht: C.[onclusum], daß dem Gesuch zu deferiren [d.h. stattzugeben]“.13 Abraham Mendelssohns Zahlungen für seinen Aufent- haltsstatus dokumentiert das Fremdenschossprotokoll der Kämmerei wie auf Seite 7 ab- gedruckt. In den Hamburger Ad- ressbüchern erscheint Felix Mendelssohn Bartholdys Va- ters erstmals in der Ausgabe Index zum Senatsprotokoll von 1805. für das Jahr 1806. Mit seinem Staatsarchiv Hamburg, 111-1 Senat, Cl. VIII Nr. X 1805 Bd. 2 6 !"#$%&'(')&"**+&*
Felix Mendelssohn Bartholdy am 3. Februar Bombenangriff zum Opfer. Dass der Fami- 1809 geboren wurde: Große Michaelisstraße lienname Mendelssohn Bartholdy richti- 119. Lesen wir, was die Zeitung „Die Welt“ gerweise ohne Bindestrich zu schreiben ist, vom 4.11.1972 darüber zu berichten wusste: war dem Journalisten wie vielen anderen Am 3. Februar 1809 kam er im Haus Nr. 14 Autoren unbekannt, und dass die Öffent- an der Großen Michaelisstraße, Ecke Brun- lichkeit kein Dokument besäße, das die Er- nenstraße, zur Welt. [...] Das Geburtshaus Fe- innerung an den Komponisten bewahre, lix Mendelssohns ist längst aus dem Stadtbild trifft ebenso wenig zu18 wie die Behauptung, verschwunden – es wurde abgerissen. [...] So das offizielle Hamburg habe das Andenken hat sich das offizielle Hamburg auch zu keiner an den Komponisten zu keiner Zeit geehrt. Zeit gemüßigt gefühlt, das Andenken an Felix An den Säulen in der Halle des 1897 fertig Mendelssohn-Bartholdy zu ehren und zu för- gestellten Hamburger Rathauses prangen dern. Die Öffentlichkeit besitzt kein Doku- seit über 100 Jahren Reliefporträts berühm- ment, kein Musikmanuskript, kein Autograph, ter Hamburger, darunter auch ein solches keine Briefe, die die Erinnerung an diesen von Felix Mendelssohn Bartholdy.19 Bis Sohn für die Nachwelt bewahren. Heute und an dieser Stelle sei seiner gedacht.17 Daran stimmt nahezu nichts. Das Geburts- haus in der Großen Michaelisstraße trug bis 1834 die Hausnummer 119, erst dann die Hausnummer 14 und ab 1901 die Haus- nummer 54. Das Gebäude wurde auch nicht abgerissen, sondern fiel 1945 einem Einträge über den Vater des Komponisten im Fremdenschossprotokoll. Staatsarchiv Hamburg, 311-1 Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 293 Eintritt Abraham Mendelssohn, ein Jude14 A[nn]o 1805, d. 5. July auf 1 Jahr à 75 Mark pro A[nn]o aufgenommen. A[nn]o 1805, 12. July durch Jacobsen15 zum Eintritt 40,– [Mark] 1805, 29. Jan[uar] durch d[ito Jacobsen] Schoß de 1805 75,– [Mark] 1806, d. 4. Dec.[ember] pro [anno] auf 2 Jahre à 75 Mark pr.[o] A[nn]o 1807, d. 4. Febr[uar] [pro anno auf 2 Jahre] 1806 75,– [Mark] 1808, d. 22 d[it]o [d. h. Februar] durch Jacobsen Schoß de 1807 75,– [Mark] 1808, d. 6. Dec.[ember] pro [anno] auf 2 Jahre à 150 Mark 12 Schillinge pr.[o] anno 1809, d. 8. Febr.[uar] durch Jacobsen Schoß de 1808 150 [Mark] 12 [Schillinge] 1810, d. 14. Märtz [durch Jacobsen Schoß de] 1809 150 [Mark] 12 [Schillinge] 1811, d. 11. [Märtz] [durch Jacobsen Schoß de] 1810 150 [Mark] 12 [Schillinge] ,-'./0&1/*12'3&-'445 7
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus 1938 erinnerte eine Mendelssohnstraße in Verlag erschienene Buch23 desselben Autors. Eimsbüttel an den Komponisten; dann Diese Ausgabe glänzt mit einem reichen wurde sie nach einem Direktor der Ham- Schatz an Abbildungen. Nicht ertragreich burger Ratsmusiker in Schopstaße umbe- für die Beschäftigung mit der Hamburger nannt. Auch der Mendelssohnstraße in Zeit der Mendelssohns ist Eka Donners Bahrenfeld gab das NS-Regime 1938 einen Buch „Felix Mendelssohn Bartholdy. Aus neuen Namen; sie hieß fortan Valpa- der Partitur eines Musikerlebens“.24 798 Sei- raisostraße. Bei diesen Änderungen blieb es ten stark ist das Buch „Felix Mendelssohn nach 1945; als „Ersatz“ wurde 1952 ein Teil Bartholdy. Sein Leben und seine Musik“ der Bahrenfelder Adickesstraße in Men- von R. Larry Todd – ein detailreiches, ange- delssohnstraße umbenannt.20 Der Autor des nehm lesbares und mit Quellenangaben ver- besagten Zeitungsartikels hätte beruhigt sehenes Werk.25 Noch umfangreicher ist die sein können: Außer ihm selbst hatten noch Neuausgabe von Sebastian Hensels mehr- andere des Komponisten gedacht, sogar „das fach aufgelegter Edition „Die Familie Men- offizielle Hamburg“. delssohn 1729 bis 1847. Nach Briefen und Journalistische Errata sind keine Sel- Tagebüchern“.26 Darin kommen Abraham, tenheit, und so ist es kein Wunder, dass sich Felix, Fanny und andere Familienangehörige in den vielen Presseberichten über die selbst zu Wort, auch wenn sie ihre Aufzeich- Hamburger Zeit der Familie Mendelssohn nungen nicht für die Nachwelt schrieben. Bartholdy falsche Geburtsdaten, unrichtige Hausnummern und andere Irrtümer fin- 2. Felix Mendelssohn Bartholdys Geburtshaus den.21 Mehr Sorgfalt darf man von Biogra- In R. Larry Todds eben gepriesenem Werk fen erwarten, die sich diesem Thema wid- ist dies zu lesen: meten. Aus der kaum noch übersehbaren Als die Bankiers Joseph und Abraham Men- der Mendelssohn-Literatur seien einige delssohn das Unternehmen Gebrüder Mendels- Beispiele erwähnt: sohn & Co. 1805 gründeten, war Hamburg Recht unterhaltsam liest sich das mit ein blühendes Handels- und Schiffbauzentrum vielen Quellenauszügen (leider ohne Quel- mit etwa 100.000 Einwohnern. [...] Die Bank lenangaben) versehene Buch von Eckart lag in der Großen Michaelisstraße 71 a; in der Kleßmann, „Die Mendelssohns. Bilder aus Winterresidenz der Gebrüder (Nr. 14), einem einer deutschen Familie“.22 Die Hamburger dreigeschossigen Gebäude direkt hinter dem Zeit der Familie des Komponisten ist darin Michel, in dem Abraham und [seine Frau] Lea allerdings recht kurz abgehandelt, und Jo- Mendelssohn mit [Abrahams Bruder] Joseph, seph Mendelssohns Zuzug nach Hamburg seiner Frau Henriette und deren Söhnen Ben- im Jahr 1801 verlegte der Autor irrtümlich jamin und Alexander lebten, wurde Felix auf das Jahr 1804. Auch die von ihm mit Nr. Mendelssohn geboren. [...] Die beiden Familien 14 (statt 119) angegebene Hausnummer von teilten sich vermutlich den ersten und zweiten Felix und Fanny Mendelssohns Geburts- Stock [...].27 haus trifft nicht zu. Ebenfalls „Die Mendels- sohns. Bilder aus einer deutschen Familie“ Die Hamburger Adressbücher sagen etwas heißt das bereits zuvor in einem anderen ganz anderes. Zwar trifft es zu, dass sich die 8 !"#$%&'(')&"**+&*
Bank in der Großen Michaelisstraße 71 Besitz einer Welt von Töpfen, Schüsseln, Lust- (nicht 71 a, siehe dazu Anm. 16) befand. res [d.h. Lüstern], Spiegel und Mahagonis Aus den Adressbüchern geht jedoch ein- zaubert, deren reizenden Anblick ich in mei- deutig hervor, dass Joseph Mendelssohn nem chez moi [d. h. meinem Heim] bis jetzt dort und nicht bei seinem Bruder Abraham entbehren muß. Doch laß ich mir, wenn Ma- in der Großen Michaelisstraße 119 wohnte, mas und Deine Ordnungsliebe es verzeihen einem Gebäude, das wie erwähnt erst nach kann, kein graues Haar darum wachsen, und 1834 die Hausnummer 14 trug. Dabei blieb beruhige mich mit der Aussicht, daß der es bis zum Fortzug der beiden Brüder nach geschäftigen Martha das melodische Schlüssel- Berlin 1811. klappern mit der Zeit nicht entgehen soll. Der auch als Historiker hervorgetre- Morgen wird der erste große Versuch angestellt, tene Hamburger Journalist Arthur Obst in unseren vier Mäuerchen zu dinieren, und (1866 – 1936) scheint der einzige unter den zwar vom französischen Restaurateur. Weder Mendelssohn-Biografen gewesen zu sein, Meubles noch Wirtschaftssachen kann ich bis der die Adressen von Felix und Joseph jetzt anschaffen, weil mir nicht der geringste Mendelssohn in Hamburg korrekt darge- Raum bleibt; auch wird das Chaos erst geord- stellt hat. In seinem Artikel „Die Familie net, wenn wir das Land beziehen, wozu uns Mendelssohn in Hamburg“, der am schon ein hübsches, an der Elbe dicht bei 31.1.1909 im Hamburger Fremdenblatt er- Neumühlen gelegenes und mit einem Balcon!!! schien, ist dies zu lesen: verziertes Landhaus vorgeschlagen worden, Vorläufig richtete man sich offenbar sehr behag- das wir nächstens sehen sollen.29 lich, möglichst dicht bei einander ein: Joseph mit seiner alten Mutter, Frau und zwei Kin- Das hier erwähnte Landhaus diente der Fa- dern bezog das Haus Michaelisstraße 71, Ab- milie lediglich als Sommerwohnung. Der raham mietete sich mit seiner jungen Frau in Hauptwohnsitz von Abraham und Lea Nr. 119 a28 ein. Mendelssohn war das Haus in der Großen Michaelisstraße 119. Hier wurden drei ihrer Nach dem Einzug in das dreistöckige Haus vier Kinder geboren: Fanny am 14. Novem- schilderte Abraham Mendelssohn Barthol- ber 1805, Felix am 3. Februar 1809 und Re- dys Ehefrau Lea die Wohnung in einem becka (Henriette) am 11. April 1811. Die Brief wie folgt: Kenntnis der Geburtsdaten ist keiner ham- Du willst wissen, beste Schwester, wie es in burgischen Quelle zu verdanken, sondern meiner Wohnung und mit meinen häuslichen Einträgen aus späteren Jahren in einem Re- Einrichtungen aussieht? Rasend liederlich, á gister der Berliner Judenschaft. Jacob Jacob- dire le vrai, wie bei den tollsten Studenten; sen, der große Kenner der jüdischen Famili- denn an kein Kämmerlein, an keine Wirtschaft enforschung und als Archivar mit den Ber- und Berliner Bequemlichkeit ist hier zu den- liner und Hamburger Quellen bestens ver- ken, und wenn ich meine remu ménage [d.h. traut, hat dazu das Folgende bemerkt: meinen Rummel] betrachte, habe ich Mühe, zu In Geburtsregistern der Hamburg-Altonaer glauben, daß ich wirklich verheiratet bin, wel- Jüdischen Gemeinde – sie sind allerdings kaum che Standesänderung einen gewöhnlich im vollständig – finden sich keine Eintragungen ,-'./0&1/*12'3&-'445 9
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus der Abraham und Lea Mendelssohn in Hamburg geborenen Kinder. [...] Sie ge- hörten also noch dem Judentum an, als ihren Eltern das vierte Kind, Paul, ge- boren wurde. Dessen Geburt gab das Si- gnal zum Umbruch. Am 21.3.1816 wurden alle vier Kinder in Berlin ge- tauft.30 Dem ist uneingeschränkt zu folgen. Im oben erwähnten Fremdenschoss- register wurde Abraham Mendels- sohn von 1805 bis 1811 als „ein Jude“ kategorisiert und wäre demnach zur Eintragung seiner Kinder in das hie- sige jüdische Geburtsregister ange- halten gewesen. Weshalb dies nicht geschah, bleibt offen. Abraham Men- delssohns gehobener Aufenthalts- status als dem Niederländischen Kontrakt zugehöriger Einwohner wird kaum der Grund gewesen sein. Felix Mendelssohn Bartholdys Geburtshaus Zu den kleineren Irrtümern in der Großen Michaelisstraße 119.33 von Mendelssohn-Biografen gehört die Bemerkung, dass Ferdinand David, Felix das Grundstück im Jahr 1800 erworben und Mendelssohn Bartholdys 1810 in Hamburg kann auch als der Bauherr des darauf er- geborener Konzertmeister im Gewandhau- richteten dreistöckigen Hauses angenom- sorchester Leipzig, im selben Haus wie Fe- men werden.32 lix zur Welt kam.31 Die Hamburger Adress- Die älteste bekannte Darstellung des bücher zeigen, dass Ferdinand Davids Vater verputzten Fachwerkbaus, ein undatiertes Salomon David im Geburtsjahr des Sohnes Aquarell, zeigt eine über dem Eingang an- Ferdinand in der Großen Michaelisstraße gebrachte Gedenktafel mit einem Porträt 116 wohnte (und nicht 119, wie Abraham des Komponisten und der Inschrift und Lea Mendelssohn). FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY Felix Mendelssohn Bartholdys Ge- GEBOREN IN DIESEM HAUSE burtshaus Große Michaelisstraße 119 (Ecke IM FEBRUAR 1809 Erste Brunnenstraße) erscheint in den Hamburger Adressbüchern erstmals in der Die berühmte Sängerin Jenny Lind Ausgabe für das Jahr 1802. Johann Nicolaus und ihr Mann Otto Goldschmidt hatten Kraefft, ein 1866 in Altona geborener die Tafel 1869 anbringen lassen.34 Einen Hausmakler und ehemaliger Friseur, hatte Einblick in die Kapazität des Gebäudes 10 !"#$%&'(')&"**+&*
bieten die ab 1831 geführten sogenannten die nötigen Mittel. Die Anordnung und Umschreibelisten des Hamburger Bürger- Größe der Räume vor einem 1901 in An- militärs, in denen die Bewohner jedes Hau- griff genommenen tiefgreifenden Umbau ses verzeichnet sind. Daraus geht hervor, des Hauses dokumentiert eine Grundriss- dass in der Großen Michaelisstraße 119 zeichnung, die der Hamburger Baupolizei zwanzig Jahre nach dem Fortzug der Fami- zusammen mit Zeichnungen der geplanten lie Mendelssohn außer dem schon erwähn- Veränderungen eingereicht wurde.36 ten Hauseigentumer Johann Nicolaus R. Larry Todds Ansicht, dass es sich Kraefft vier Mietpartien wohnten – drei In- um „beengtes Domizil“ handelte, ist nach haber des Hamburger Bürgerrechts und ein allem ebenso wenig zu folgen wie seiner „Israelit“. Zusammen hatten sie 1831 die Vermutung, dass sich Abraham und Joseph stattliche Jahresmiete von 1.500 Mark zu mit Frau und Kindern den ersten und zwei- entrichten.35 Es handelte sich folglich nicht ten Stock teilten; Joseph bewohnte wie er- um ein Quartier für Minderbemittelte, son- wähnt nicht dieses, sondern das Haus in der dern um ein erst wenige Jahre altes Gebäu- Großen Michaelisstraße 71. Im Unter- de für gut situierte Mieter, in dem Felix schied zu Todd schätzte der Mendels- Mendelssohn Bartholdy 1809 geboren wur- sohn-Biograf Hans Christoph Worbs, die de. Sein wohlhabender Vater verfügte über Wohnung sei geräumig gewesen.37 Vorderansicht und Grundriss des Parterres des Geburtshauses von Felix Mendelssohn Bartholdy vor dem Umbau 1901. Staatsarchiv Hamburg, 324-1 Baupolizei, K 3603 ,-'./0&1/*12'3&-'445 11
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus Nach dem Umbau wurde das Gebäu- von 1901 „Financier“ von Beruf, hatte das de versteigert. Das Israelitische Familien- Gebäude im Dezember 1900 erworben und blatt vom 6.6.1902 berichtete: mit dem Umbau begonnen; es wurde jedoch Das kleine Haus in Hamburg, aus dem der am 14.11.1901 zwangsversteigert. Zu die- Komponist der „Lieder ohne Worte“ hervorge- sem Zeitpunkt wies der an der Großen Mi- gangen, wird sicher allen Freunden des deut- chaelisstraße belegene Gebäudeteil des schen Liedes eine geweihte Stätte sein. [...] Und Eckhauses im Grundbuch folgende Be- jetzt kommt das alte denkwürdige Haus unter schreibung auf: den Hammer. Es muss Platz machen dem Laden und zwei Zimmer im Parterre, 2 La- Wachstum und den Verschönerungsbestrebun- gerkeller, vier Zimmer, Küche und Klosett in gen der Stadt. der ersten Etage, fünf Zimmer, Küche und Klo- sett in der zweiten Etage, drei Zimmer, Küche Das klang danach, dass das Geburtshaus des und Klosett in der dritten Etage. Der Gebäude- Komponisten abgerissen werden sollte. teil an der Ersten Brunnenstraße umfasste zwei Zwar kam es tatsachlich „unter den Ham- Läden, weitere Räume und einen Keller. mer“, blieb jedoch nach erheblichen bauli- chen Veränderungen erhalten. Paul Franz Als Meistbietender erwarb der Maurer- Alexander Dahms, nach dem Adressbuch meister Adolf Ehrig das Gebäude. Dieser Architektenzeichnungen der Vorderfront und Längsseite des Hauses für den Umbau. Die vorgesehenen Veränderungen – eine breite Schaufensterfront und ein zusätzliches Fenster im zweiten Stock – sind rot eingezeichnet. Staatsarchiv Hamburg, 324-1 Baupolizei, K 3603 12 !"#$%&'(')&"**+&*
war schon vorher mit große Komponist hier am 3. der Umgestaltung be- Februar 1809 geboren wur- fasst gewesen und hatte de, aber es ist nur die Ge- der Baupolizei-Behörde burts s t ä t t e, das Geburts- am 25.3.1901 mitge- haus ist nicht mehr; so sehr ist teilt, „daß der Umbau es umgestaltet worden. Nur in der Michaelisstraße im Bilde ist das Haus in sei- Nr. 54 fertiggestellt ist, ner ursprünglichen Gestalt mit dem höflichen Er- noch erhalten, in dem Felix suchen um baldige Mendelssohn seine frühen Schlussbesichtigung“. 38 Jugendtage verbrachte. Der Umbau des Hauses wurde von Ver- Der Artikel wurde mit ne- ehrern des Kompo- benstehender Zeichnung nisten mit Bedauern des Geburtshauses vor dem registriert. Der bereits Umbau illustriert. erwähnte Journalist Nicht alles wurde Arthur Obst führte im verändert; Fotos aus späte- Hamburger Fremden- Illustration im Hamburger Fremdenblatt ren Jahren zeigen zumin- blatt vom 31.1.1909 vom 31.1.1909. dest die Vorderfront des bittere Klage: Gebäudes mit Ausnahme Das Geschick verfährt mit den alten histori- der neuen Schaufensterfront noch in der al- schen Häusern Hamburgs besonders rauh; was ten Gestalt, wie die Abbildungen auf Seite die zehrenden Flammen des Brandes von 1842 14 oben bezeugen. noch an denkwürdigen Gebäuden übrig gelas- Bei Reparaturarbeiten unter dem sen haben, verschwindet jetzt unter der Picke Einsatz einer Lötlampe gerieten im Januar des Abbruch-Arbeiters, des Pioniers der Sanie- 1940 Fachwerkhölzer des Gebäudes in rungsarbeiten in den alten Stadtteilen. [...] So Brand. Drei Monate später waren die Schä- schreiten in diesen Tagen durch die geweihten den ausgebessert. Doch stand das Geburts- Räume in der Königstraße, in denen der Mes- haus des in der NS-Zeit verfemten Kompo- siassänger dichtete und seine unsterbliche Seele nisten nur noch wenige Jahre, bis es von aushauchte, Arbeiter, deren Handwerk die Zer- Bomben zerstört wurde.39 störung ist, und die Wände, die Klopstocks letz- Am 11. März 1945 legte ein Großan- te Seufzer hörten, fallen in Trümmer. Freilich griff von 466 Kampfflugzeugen auch die – Büste und Inschrift werden auch späteren Häuser in der Großen Michaelisstraße in Generationen verkünden, daß hier Klopstocks Schutt und Asche. Höchst wahrscheinlich Sterbehaus gestanden hat, aber die alten Räu- war es dieser Luftangriff, dem Felix Men- me sind es nicht mehr. [...] Noch schlimmer ist delssohn Bartholdys Geburtshaus zum Op- es dem Geburtshaus Felix Mendelssohn fer fiel. Noch am 23. Februar 1945 hatte Bartholdys in der Michaelisstraße ergangen; sich ein Bewohner des Hauses von dort ab- zwar zeigt auch hier die Inschrift an, daß der gemeldet.40 ,-'./0&1/*12'3&-'445 13
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus Die Postkarte (links) stammt vermutlich aus den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Staatsarchiv Hamburg, 720-1 Plankammer, 131-4/Mig 94 Dieses Foto des Geburtshauses wurde wahr- scheinlich um 1930 aufgenommen. Die 1936 entfernte Gedenktafel ist noch zu sehen. Museum für Hamburgische Geschichte Im Februar 1949 war das Grundstück Mendelssohn Bartholdy. Zur 150. Wieder- vom Trümmerschutt befreit. Otto Hachen- kehr seines Geburtstags wurde am 3. Febru- berger, ein Fuhrunternehmer und Spediteur, ar 1959 an seinem Berliner Grab ein Kranz erhielt die baupolizeiliche Genehmigung, der Freien und Hansestadt Hamburg nie- dort eine Baracke mit einer Grundfläche dergelegt, das Orchester des Norddeutschen von 39 Quadratmetern aufzustellen. Sie be- Rundfunks nahm Werke des Komponisten stand aus einer Wohnküche, einem Schlaf- in das Programm auf und die Musikbiblio- und Wohnraum sowie einem Waschraum thek veranstaltete eine kleine Ausstellung. mit Toilette. Der Unternehmer nutzte das „In Hamburg selbst sind die Ehrungen be- Gelände zeitweilig auch als Schrottlager.41 scheiden“, befand ein Journalist in der Zei- Durch den Bau der Ost-West-Straße tung „Die Welt“.43 wurde die topografische Situation verändert; 21 Jahre später mehrten sich Stim- die Lage des Mendelssohnschen Geburts- men, die für eine stärkere Form des Ge- hauses war seitdem in der Nähe des Hauses denkens an Felix Mendelssohn Bartholdy Nr. 98 der neuen Straße zu verorten.42 eintraten. Das Hamburger Abendblatt be- In der Nachkriegszeit erinnerte man richtete am 25. März 1980: sich auch in Hamburg wieder an Felix (weiter auf Seite 16) 14 !"#$%&'(')&"**+&*
Links: Die Baracke auf dem Grundstück von Felix Mendelssohn Bartholdys Geburtshaus. Staatsarchiv Hamburg, 324-1 Baupolizei, K 3603 In diesem Foto der Trümmerlandschaft um die St. Michaeliskirche (unten) ist der einstige Ort des Geburtshauses von Felix Mendelssohn Bartholdy mit einem Kreuz gekennzeichnet. Staatsarchiv Hamburg, 720-1 Plankammer, 131-2/1/19507 ,-'./0&1/*12'3&-'445 15
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus Ungefähr an derselben Stelle wie einst Men- Spätestens seit den 1980er Jahren – delssohns Geburtshaus steht heute das Gebäude und bis heute – wird die Hausnummer des der Versicherungsunternehmen Hinrich Gaede Hauses, in dem der Komponist geboren und Hamburger Phönix, Ost-West-Straße 98. wurde, immer wieder fälschlich mit Nr. 14 Beide Firmen hätten nichts dagegen, wenn au- angegeben; selbst auf der Gedenktafel eines ßen am Weggeländer auf der Vorderseite ihres Gebäudes, das am ungefähren Ort des eins- Grundstücks eine Mendelssohn-Gedenktafel tigen Geburtshauses errichtet wurde, ist angebracht würde. [...] Aber als Ehrung wäre dies der Fall. Um es zu wiederholen: Das sie zu mickrig im Vergleich mit der bevor- Geburtshaus in der Großen Michaelisstra- stehenden Brahms-Ehrung auf dem Karl- ße trug bis 1834 die Hausnummer 119, erst Muck-Platz. Auch Brückner-Rüggeberg [Pro- dann die Hausnummer 14 und ab 1901 die fessor an der Hochschule für Musik und Theater Hausnummer 54. in Hamburg] bejaht eine neue Gedenktafel in Eine Wende im Umgang mit der Er- der Nähe von Mendelssohns früherem Geburts- innerung an Felix Mendelssohn Bartholdy haus: “Vielleicht könnte man sie zum Teil durch trat ein, als 1992 in Bendestorf in der Nord- Wohltätigkeits-Kammerkonzerte der Philhar- heide die Internationale Felix Mendelssohn moniker finanzieren.“ Gesellschaft gegründet wurde. Daran waren nicht nur Größen aus der Welt der Musik 1984 erinnerte die Staatsoper mit einem wie der Hauptinitiator der Gründung Kurt Kammermusikabend an den 175. Geburts- Masur und Justus Franz sowie die Mäzene tag des Komponisten, doch war das Wissen Hannelore Greve und Alfred C. Toepfer be- um den Standort des einstigen Mendels- teiligt; auch Max Schmeling und Heidi Ka- sohnschen Wohnhauses schon verblasst: bel hatten sich zur Verfügung gestellt.45 „Wenn nicht alles täuscht, stand sein inzwi- Dieser Gesellschaft war es zu verdanken, schen längst verschwundenes Geburtshaus dass Anfang November 1997 zum 150. To- in der Großen Michaelisstraße“. 44 destag des Komponisten in der Nähe des einstigen Geburtshauses ein Doppel-Denkmal zu Ehren von Felix und seiner Schwester Fanny errichtet wurde. Ein kleiner Schön- heitsfehler – als Geburtsjahr des Komponisten war irr- tümlich 1806 eingraviert worden – wurde bemerkt und alsbald korrigiert. „Erst in neuerer Zeit ist seine wahre Bedeutung anerkannt worden,“ befand Hamburgs Wissenschaftssenator Le- Das Doppeldenkmal heute. Foto: Jürgen Sielemann onhard Hajen damals.46 16 !"#$%&'(')&"**+&*
Die Gräber von Felix Mendels- sohn Bartholdy und seiner Schwester Fanny Hensel auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof in Berlin, wo auch deren Eltern und weitere Familien- angehörige bestattet wurden. In einer Gedenkstätte in der aufgelassenen Kapelle dieses Friedhofs wird das Leben und Wirken der Mendelssohns dokumentiert. Foto: Jürgen Sielemann Zwei Jahre später wurde dieses Denk- Als weniger geglückt erscheint eine mal dank der Hannelore und Helmut Gre- Gedenktafel, die am 23. Juni 2002 in der St. ve-Stiftung noch näher an den einstigen Michaeliskirche enthüllt wurde. Sie wurde Standort des Geburtshauses herangerückt47 laut Hamburger Abendblatt vom selben und präsentiert sich heute am damals ange- Tage in einem neuen Keramikmaterial per legten Geschwister-Mendelssohn-Stieg in Datenprogrammierung geschaffen und ist einer kleinen Grünanlage. leider auch aus der Nähe kaum lesbar. 1 Gerhard Ballin, Die Ahnen des Komponisten Felix 3 Staatsarchiv Hamburg, im Folgenden: StAHH, 424-2 Mendelssohn Bartholdy. In: Genealogie, 1967 Heft 3, Stadtbücher der Stadt Altona, I c 2 B. II, Nr. 1069. Insingen 1967, S. 647–655. – Gero von Wilcke, Die 4 https://de.wikipedia.org/wiki/Recha_Meyer Mendelssohns in Leipzig. In: Genealogie, 1983 Heft 5 Zadig Aron Zadig, geb. in Breslau, starb am 6.12.1830 4, S. 498–519. in Hamburg im Alter von 63 Jahren (StAHH, 522-1, 2 An dieser Stelle sei wenigstens auf eine Veröffentli- 725 c, Sterberegister der Deutsch-Israelitischen Ge- chung unseres Mitglieds Angelika G. Ellmann-Krü- meinde in Hamburg, 1830, Nr. 182). ger unter Mitarbeit von Dietrich Ellmann hingewie- 6 M. M. Haarbleicher, Zwei Epochen aus der Geschich- sen: Der Bankier Carl Heine, seine Nachkommen und te der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. die Beziehungen zu den Familien Veit, Mendelssohn, Hamburg 1867, S. 31. Mendelssohn-Bartholdy, Hensel und Westphal. In: 7 Hamburg 1933, S. 22, Fußnote 54. – Hans W. Lehr, Mendelssohn-Studien. Bd. 17, hrsgg. für die Men- Das Bürgerrecht im Hamburgischen Staate (Hamburg delssohn-Gesellschaft von Hans-Günter Klein und 1919) bemerkte irrtümlich, dass die Juden vom Ein- Christoph Schulte, Hannover 2011, S. 241–274. Be- tritt in den Fremdenkontrakt ausgeschlossen waren (S. ate-Christine Fiedler hat den Beitrag im vormaligen 18). gemeinsamen Organ der Schweizerischen Vereini- 8 StAHH, 311-1 Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 239. gung für jüdische Familienforschung und der Ham- 9 StAHH, 311-1 Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 293. – Am burger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V. 1.7.1811 befand er sich bereits wieder in Berlin. Vgl. rezensiert (Maajan – Die Quelle, Heft 102, 2012, 1. R. Larry Todd, Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein Quartal, S. 3952–3953). Darin wird u.a. von Felix und Leben. Seine Musik. Stuttgart 2008, S. 55. – Zu den Fannys Bruder Paul Mendelssohn Bartholdy berichtet, Gründen der Flucht von Felix und Joseph Mendels- der in Hamburg eine Bank eröffnete. sohn aus Hamburg nach Berlin siehe Max F. Schnei- der, Felix Mendelssohn Bartholdy. Herkommen ,-'./0&1/*12'3&-'445 17
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus und Jugendzeit in Berlin. In: Jahrbuch der Stiftung Martens Mühle. In: Hamburgische Geschichts- und Preußischer Kulturbesitz, Bd. II. Berlin 1963, S. 8–9. Heimatblätter, Bd. 15. Hamburg 2009, S. 10–15. 10 Eckart Kleßmann, Die Mendelssohns. Bilder aus einer 30 Jacob Jacobson, Von Mendelssohn zu Mendels- deutschen Familie. Frankfurt am Main und Leipzig sohn-Bartholdy. In: Yearbook V of the Leo Baeck Ins- 1993, S. 56. titute. London 1960, S. 256. 11 Gerhard Ballin, wie Anm. 1, S. 647. 31 R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 52. – Desgleichen Ha- 12 StAHH, 111-1 Senat, Cl. VIII Nr. X 1805 Bd. 2, In- rald Richert, Berufstreue und Vererbung musikali- dex des Senatsprotokolls von 1805. scher Begabung in Hamburger Tonkünstlerfamilien. 13 StAHH, 111-1 Senat, Cl. VIII Nr. X a 1805 Bd. 1, In: Zeitschrift für Niederdeutsche Familienkunde, 59. Senatsprotokoll von 1805, Sitzung vom 20.5.1805, S. Jahrg., Heft 6, 1984, S. 181. – Ebenso Hans Christoph 209 b. Worbs in seinem Artikel „Flucht aus dem Schmugg- 14 StAHH, 311-1 Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 293. Die lerlager“. In: Die Welt, Ausgabe vom 2.2.1989. – Des- Interpunktion wurde der heutigen Form angepasst. gleichen Eka Donner, wie Anm. 24, S. 81. 15 J. A. Jacobsen, Wedde-Schreiber und Schreiber beim 32 StAHH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, A I e 11, Bürger-Protokoll. Vgl. Hamburger Adressbuch von Index zum Bürgerbuch von 1789, S. 235, Erwerb des 1809, S. 151. Hamburger Bürgerrechts am 9.10.1789 als Friseur. – 16 Der Buchstabe a. hinter der Hausnummer steht für 741-2 Genealogische Sammlungen, 1/3433. – Zum „außerhalb“ der Gebietseinteilung des Hambur- Erwerb des Grundstücks: Hypothekenamt, VI 1 Bd. ger Bürgermilitärs. Im Unterschied dazu weisen die DD, Hauptbuch St. Michaelis, Folio 166, und Hypo- Adressen innerhalb dieser Gebietseinteilung in den thekenamt, VI 5 Bd. 26, Erbebuch St. Michaelis, S. Hamburger Adressbüchern stets ein Kürzel für die 186 f. Bezeichnung des Kirchspiels und des Bürgermili- 33 Aus: Adolph Kohut, Berühmte israelitische Männer tär-Bataillons auf (z.B. M 7), was im Fall der Großen und Frauen, Vol. 1, Leipzig 1900, S. 29. Michaelisstraße nicht der Fall ist. 34 1936 wurde die Tafel von Nationalsozialisten entfernt. 17 Artikel „Vor 125 Jahren starb der Hamburger Felix R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 51. Mendelssohn-Bartholdy“. 35 StAHH, 341-3 Bürgermilitär, Bc 33 Bd. 1, S. 26. 18 Das Staatsarchiv Hamburg verwahrt einen Brief von 36 StAHH, 324-1 Baupolizei, K 3603. Felix Mendelssohn Bartholdy vom 21.6.1842 an sei- 37 R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 52. – Im oben im Wort- nen Bruder Paul im Zusammenhang mit einem Be- laut zitierten Brief von Abraham Mendelssohns Ehe- nefizkonzert zugunsten im Großen Brand von 1842 frau Lea aus den ersten Tagen ihrer Ehe heißt es zwar: obdachlos gewordener Einwohner (351-3 Öffentliche „Weder Möbel noch Wirtschaftssachen kann ich bis Unterstützungsbehörde für die Abgebrannten von jetzt anschaffen, weil mir nicht der geringste Raum 1842, 30-400). bleibt.“ Im nächsten Satz sprach sie dann vom „Chaos“ 19 Das Porträt wurde in der NS-Zeit entfernt und in der in der Wohnung, was sicherlich auf das in den Räu- Nachkriegszeit ersetzt. men noch unausgepackt lagernde Umzugsgut zurück- 20 Hamburger Adressbuch von 1943, Verzeichnis der zuführen ist. – Hans Christoph Worbs, Die Welt, vom umbenannten Straßen, S. 36; Hamburger Adressbuch 2.2.1989. von 1966, Straßenteil, S. 1177 und 1544. 38 StAHH, wie Anm. 36. 21 StAHH, 731-8 Zeitungsausschnittsammlung, A 762, 39 StAHH, wie Anm. 36. Mendelssohn Bartholdy, Felix. 40 Auf einem Foto, das nach dem Luftangriff vom 22 Eckart Kleßmann, wie Anm. 10. 11.3.1945 in dieser Straße aufgenommen worden war, 23 Zürich und München 1990. ist das Geburtshaus unter den Trümmern nicht auszu- 24 Düsseldorf 1992. machen. Das Foto findet sich in der Dokumentation 25 Stuttgart 2008. von Hans Brunswig, Feuersturm über Hamburg. 8. 26 Frankfurt am Main 1995, 935 Seiten. Stefan Hensel Auflage 1987, S. 362. – 332-8 Meldewesen, Hausmel- war ein Neffe von Felix Mendelssohn Bartholdy. dekartei 1939–1968, Mikrofilm K 2325, Karteikarte 27 R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 51. Michaelisstraße 54. 28 Das kleine a hinter der Ziffer 119 gehört nicht zur 41 StAHH, wie Anm. 36. Hausnummer; vgl. Anm. 16. 42 Irmgard Stein, Jüdische Baudenkmäler in Hamburg, 29 Zitiert nach Arthur Obsts Artikel „Die Familie Men- Hamburg 1984, S. 9. delssohn in Hamburg“ im Hamburger Fremdenblatt 43 Die Welt, Ausgabe vom 3.2.1959. vom 31.1.1909. – Bei dem von Lea Mendelssohn 44 Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 3.2.1984. genannten Landhaus handelte es sich um das Wohn- 45 Die Welt, Ausgabe vom 25.6.1992. haus des Müllers Daniel Martens, genannt „Martens 46 Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 2.11.1997. Mühle“. Siehe dazu Irmgard Stein, Ein Hoch auf 47 Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 27.8.1999. 18 !"#$%&'(')&"**+&*
Sylvia Steckmest Familie Mathiason aus Rendsburg Teil 2 Infolge der nicht enden wollenden Streitig- 1.000 Taler erben, Jekew 600 Mark und keiten der Juden mit den christlichen Krä- Kalmann 500 Mark, die Töchter je 500 mern in Rendsburg entschlossen sich bald Mark. Er war folglich ein sehr wohlhaben- einige jüdische Einwohner, die Stadt wieder der Mann und hatte vermutlich mehr als 12 zu verlassen. Kinder. Eine Sefer Tora aus seinem Besitz Vorerst schloss sich die Familie Levy wurde später der Hamburger Jüdischen ihnen noch nicht an. Mathias Levy hatte Gemeinde gestiftet. zwei Söhne: Kalman Mathias Levy und Isaac Itzig, sein erstgeborener Sohn Isaac Mathias Levy, der Vorsteher der (1740 – ?), hatte seinen Anteil laut Testa- Rendsburger Jüdischen Gemeinde wurde. ment bereits vorab erhalten. Er zog in frü- Dessen Sohn Nachmann Joachim Levy, der hen Jahren nach Amsterdam und eröffnete später den Familiennamen Rendsburg trug, dort einen Handel mit Fettwaren. Später heiratete vier Mal. Die erste Frau war Han- übersiedelte er nach Kopenhagen, wo er na Jacob; sie starb 1761 oder 1765 in 1827 starb. Rendsburg. Seine zweite Eheschließung Jekew (oder Jokew) zog es nach Lon- fand bereits in Hamburg statt, und zwar mit don, wo er sich als Händler mit Posen und Gella, einer Tochter von Ephraim Goldzie- Federn niederließ und mit seinen Brüdern her, aus einer alten bekannten Familie.1 Von in Hamburg in geschäftlichem Kontakt nun an lebte die Familie Levy in Hamburg. stand. Seine Kinder wanderten nach Nord- Die zweite Frau starb schon wenige Jahre amerika aus. später im Wochenbett. Die dritte, 1767 ge- Das fünfte Kind Feibel führte später heiratete Frau hieß Särchen Chasan; die den Namen Philipp Levysohn oder Lewin- vierte Frau ist mit Namen nicht bekannt.2 sohn. Er heiratete Fanny Samuel; darüber Im Steuerkontenbuch der Hambur- mehr im 3. Teil. ger Jüdischen Gemeinde ist Nachmann als Das sechste Kind Kalman hieß später Kaufmann zuerst mit 37 Mark und 14 Hambro mit Familiennamen, dazu mehr im Schilling eingetragen.3 Später wurde sein 4. Teil. Einkommen auf 500 Taler eingeschätzt. Das achte Kind war Jekusiel oder Ku- Demnach liefen seine Geschäfte gut. Er sel Rendsburg, später mit Familiennamen starb 1783 im Alter von 83 Jahren und Dellevie; Näheres darüber im 5. Teil. wurde auf dem Friedhof an der Königstra- Hier geht es zunächst um das 4. Kind ße in Altona begraben. Zuvor hatte er ein mit Namen Mathias Joachim, angeblich Testament gemacht, das mit den Worten geb. um 1755 (nach meinen Unterlagen, er- begann: „Der Anfang aller Weisheit ist stellt nach den Sammlungen des Staatsar- G’ttesfurcht.“ Seine Kinder bedachte er wie chivs, bereits 1746) in Rendsburg, aus der folgt: Jacob, Mathias und Feibel sollten je ersten Ehe seines Vaters, und um dessen ,-'./0&1/*12'3&-'445 19
Familie Mathiason aus Rendsburg Kinder, die sich später den Nachnamen jüngere Betty war somit eine Halb-Nichte Mathiason oder Matthiasson gaben. von Betty Heine, denn ihr Großvater, Mo- Auf Wunsch seines Vaters zahlte ses Lion Goldschmidt (und Vater von Bet- Mathias nach dessen Tod dem Hamburger ty Heine) war in 1. Ehe bereits mit einer Gemeindevorstand noch dessen restliche Verwandten aus der Familie Goldschmidt Steuern von 125 Mark und erklärte: „Wir verheiratet gewesen, bevor er eine zweite haben unserem Vater das Versprechen ge- Verwandtenehe einging.8 geben, dass seine unmündigen Kinder der Der dritte Sohn von Mathias, Jacob Gemeinde nicht zur Last fallen sollen, je- Mathiason (1793 – 1877), gelegentlich auch des der verheirateten Kinder nimmt daher „Matthiasson“ geschrieben, übernahm das ein Kind zur Erziehung bei sich auf.“4 Er Geschäft seines Vaters. Der Name der Fir- betätigte sich in der Gemeindeverwaltung ma lautete „Mathiason Jacob et Comp., Po- als Armenvorsteher und Vorsteher der sen und Federn, Herrengraben 194“. Später, Chewra Kadischa. 1833, war die Firma in der Poolstraße 221 Mathias war mit Fradche (Friderike) ansässig, zuletzt in der Ellernthorsbrücke Delbanco verheiratet, aus bekannter Fami- 11. Jacob heiratete 1828 seine Cousine lie. Ihre Eltern waren Elias Simon Delban- Fanny Pels (1814 – 1895) aus Emden.9 Er co und Kittel Goldschmidt, eine Tante von war in verschiedenen Wohltätigkeitsverei- Betty Heine, geb. Goldschmidt.5 Wie seine nen tätig, wurde so alt wie sein Vater und Brüder war Mathias im Handel mit Posen in Ottensen beigesetzt.10 und Federn tätig. Er wohnte am Neuen Jacob und Fanny hatten sieben Kin- Steinweg 12 und später in der Ersten Ma- der; ein Sohn Simon Mathiason vermählte rienstraße 146. Seine Frau erreichte nur ein sich 1863 mit Emma geb. Wolfssohn. Alter von 44 Jahren; sie starb 1810 und Aus der Ehe von Joachim Levy mit wurde auf dem jüdischen Friedhof in Ot- Betty Goldschmidt stammte der Sohn Ma- tensen beigesetzt. Daneben liegt ihre thias Joachim, geboren 1819. Er heiratete Schwester Jette begraben; sie war mit Mo- Helene Cleve, geb. 1830 in Frankfurt, ge- ses Bauer verheiratet. Da Fradches Gatte storben in Hamburg 1900. Ihr Vorfahre Mathias während der Schließung der Stadt Moses Kosman war mit einer Tochter der infolge der französischen Belagerung 1814 Glikl von Hameln verheiratet gewesen. verstarb, konnte er nicht neben seiner Frau Deren Tochter Franziska Mathiason ehe- in Ottensen bestattet werden, sondern am lichte Isaac Cassuto. Von dessen Nachkom- Notfriedhof am Alten Steinweg.6 Sein men Alfredo Cassuto gibt es einige, jedoch Sohn Joachim (1785/7 – 1849) wurde Kat- nicht immer genaue Aufzeichnungen aus tunhändler, handelte unter anderem mit Portugal. „Krollhaaren“7 am Großneumarkt und hei- Die Tochter Jette Mathiason (?– ratete 1817 Betty Goldschmidt, eine Toch- 1822) heiratete 1850 Ruben Spanier, eben- ter von Abraham Moses Goldschmidt, der falls aus sehr alter Hamburger Familie. De- ein Halbbruder von Salomon Heines Ehe- ren Sohn Joseph (? – 1836) wurde Stein- frau Betty Heine geb. Goldschmidt war, zeughändler; er war mit Adele Levy verhei- verheiratet mit Hanna geb. Levin. Die ratet. 20 !"#$%&'(')&"**+&*
Die meisten Angehörigen der großen nach Dänemark, England, Israel, Spanien, Familie blieben in Hamburg wohnen. Portugal und in die USA. Einige Nach- In späteren Jahren verließen einige Famili- kommen kamen in den Konzentrationsla- enmitglieder das Land und emigrierten gern um. 1 Vorfahren aus der Familie Goldzieher hatten z. B. 5 Ihre Schwester Veilchen Delbanco heiratete in zweiter auch Albert Ballin und die Warburgs. Ehe den jüngeren Bruder von Betty Heine. 2 Die Stammtafel erstellte Alfredo Cassuto 1987 in 6 Alfredo Cassuto, wie Anm. 2, S. 7. Portugal. Die Tafel (11 Seiten) befindet sich in der 7 Roßhaar. Stammtafelsammlung der Hamburger Gesellschaft 8 Da ihr Vater Moses Lion Goldschmidt mein direkter für jüdische Genealogie e.V. Vorfahre ist, bin ich mit diesem Zweig verwandt. 3 Aufzeichnungen von Adolph Levysohn, New York, 9 Heiratsdaten ab 1816 – 1867, Geburten aus der und Josef Fischer, Kopenhagen, in der Stammtafel- Franzosenzeit sowie 1811 – 1865 und Sterbedaten sammlung der Hamburger Gesellschaft für jüdische 1816 – 1868 sind in den Datenbanken der Hamburger Genealogie e.V. Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V. zu finden. 4 Stammtafel Alfredo Cassuto, S. 7. 10 Alfredo Cassuto, wie Anm. 2, S. 10. Ralph Busch „Auch nach Finkenwerder habe er sich nicht getraut.“ Anmerkungen zum Novemberpogrom 1938 auf Hamburgs „Elbinsel“ Finkenwerder In der Nacht vom 9. auf den 10. November gedauert, bis dieses Lügenkonstrukt in der 1938 kam es in allen Teilen des Deutschen Historiografie widerlegt war. Reichs zu Ausschreitungen gegen Juden Folgt man den vorliegenden „heimat- und jüdische Einrichtungen. An vielen Or- geschichtlichen“ Publikationen aus Finken- ten – so auch in Hamburg – dauerte diese werder, so sind diese Ereignisse an der Äußerung eines angeblich „spontanen ländlich-kleinstädtischen „Insel“ am Rande Volkszorns“ noch in den folgenden Tagen Hamburgs vollends vorbeigegangen. Hier an. NSDAP-, SA- und SS-Trupps, Gestapo gab es, so der nahegelegte Schluss, keine Ju- und Polizei, auch Hitlerjugend und andere den, keine jüdischen Geschäfte, keine Syna- NS-Organisationen waren in zentral orga- goge. Von Antisemitismus, gar Ausschrei- nisierter Weise auf die jüdische Bevölke- tungen am 9./10. November 1938, wurde rung losgelassen worden. nichts berichtet, weil, so die weitere Folge- Für Hamburg hat Gauleiter und rung, nichts zu berichten war.1 Reichsstatthalter Kaufmann nach 1945 die Legende aufgebracht, er habe solche Ge- Spärliche Hinweise waltakte in der Hansestadt unverzüglich er- Eine Synagoge, die zu zerstören gewesen folgreich unterbunden. Es hat viele Jahre wäre, gab es in Finkenwerder allerdings ,-'./0&1/*12'3&-'445 21
„Auch nach Finkenwerder habe er sich nicht getraut.“ nicht. Die Zahl der Einwohner jüdischen wegen auswandern mußte.“ Es handelte sich Glaubens, wie abseits der Städte üblich, ist um den Apotheker Otto Schottländer.3 äußerst gering gewesen – anders als in Alto- Einen Namen hat dagegen eine Fin- na oder im Hamburger Stadtgebiet. In Fin- kenwerder Familie, die beiläufig von einem kenwerder gab es seit Langem nur ganz we- Zeitzeugen genannt wird. Ihm fiel ein, dass nige Personen, die sich als Juden verstanden in der Ostfrieslandstr. 16, in seiner Nach- oder als solche bezeichnet wurden.2 Hinwei- barschaft, „eine Familie Grünwald gelebt se auf sie sind nur in geringer Zahl vorhan- habe, die irgendwann abgeholt worden sei den. So beispielsweise die Erwähnung eines und nie wieder gesehen wurde“. Welches „namenlosen“ Apothekers, an den sich der Schicksal sich hier möglicherweise andeutet Finkenwerder Einwohner Ewald Goltz und in welche Zusammenhänge es einzu- (1909 – 1983) – ein einstiger NSDAP- ordnen wäre, ist ungeklärt. Parteigenosse – erin- nert hat. In einem au- tobiografischen Be- richt beschreibt er „Bilder aus der Kind- heit“, darunter auch das folgende: „Da war auch noch der Apothe- ker, der mir gern seine vielen Flaschen, die in seinem Laden stan- den[,] und seine Waa- ge zeigte, mit der er ganz feine Dinge ab- wägen [sic!] konnte. Dieser feine und mir vornehm erscheinende freundliche Herr hat es später sehr schwer ge- habt, weil er seiner jü- dischen Abstammung Harry Reuß Löwenstein und Gretchen Wohlwill (rechte Seite). Fotos: Staatsarchiv Hamburg, 720-1 Plankammer, 215 Re 1151 und 215 Wo 87 22 !"#$%&'(')&"**+&*
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