Jüdische Gemeinde in Hamburg

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
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              ‫לזכור‬
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                                                               „Abraham Mendelssohn wird in den
                                                            niederländischen Contract aufgenommen.“
                                                          Neuigkeiten von Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus – Seite 3
              !
Jüdische Gemeinde in Hamburg
Impressum / Editorial

           Impressum
Herausgeber
Hamburger Gesellschaft für
jüdische Genealogie e.V.

Redaktion
                                                      Liebe Leserinnen und Leser,
Leitung: Jürgen Sielemann
Korrektorat und Beirat:
Dr. Jutta Braden,                   in der heimatkundlichen Literatur zur Geschichte von
Dr. Beate-Christine Fiedler         Finkenwerder war von jüdischen Einwohnern dieser Ham-
Layout: Christian Wöhrl             burger Elbinsel bisher nichts zu lesen; dem Beitrag von
Druck: Frick, Krumbach
                                    Ralph Busch ist es zu verdanken, dass damit Schluss ist.
Redaktionsadresse
Hamburger Gesellschaft für
jüdische Genealogie e.V.,
                                    „Familienforschung endet nie!“ Diese Weisheit gilt auch
c/o Jüdische Gemeinde in            für biografische Forschungen, selbst wenn es sich um
Hamburg, Grindelhof 30,             berühmte Persönlichkeiten handelt, denen schon viele
20146 Hamburg
E-Mail:
                                    Autoren nachgegangen sind. Der Grund liegt hin
hgjg2011@googlemail.com             und wieder darin, dass Fakten der Einfachheit halber gern
                                    aus der Literatur (mit ihren Irrtümern) bezogen werden
Preis
10,00 €. Verkaufspreis durch
                                    anstatt durch ein mühsames Studium archivalischer Quellen.
Mitgliedsbeitrag abgegolten.        Dies gilt auch für Felix Mendelssohn Bartholdys
                                    Hamburger Elternhaus, wie mein Beitrag über wahre und
Vereinskonto
Hamburger Gesellschaft für          „alternative“ Fakten zu zeigen beabsichtigt.
jüdische Genealogie e.V.
Hamburger Sparkasse                 Nach vielen Jahren ist in Hamburg nun eine groß angelegte
IBAN:
DE24 2005 0550 1010 2116 29         Stätte des Gedenkens an die Deportationen vom
BIC: HASPDEHHXXX                    Hannoverschen Bahnhof entstanden. Kristina Vagt hat
                                    daran mitgewirkt und stellt uns diesen am 10. Mai 2017
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Unsere Leser sind eingeladen,       eingeweihten Gedenkort in Wort und Bild vor.
Artikel zur Veröffentlichung zu
senden. Die Beiträge verpflichten   Sylvia Steckmest erzählt im zweiten Teil die Geschichte
ausschließlich die Verfasser.
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sind nur mit dem Einverständnis     aus Rendsburg.
der Redaktion gestattet.

Copyright                           Wer einen Beitrag für unsere Zeitschrift beisteuern möchte
© Hamburger Gesellschaft für        – sehr, sehr gern!
jüdische Genealogie e.V.
Liskor – Erinnern.

Titelbild
                                                           Mit herzlichem Gruß
Felix Mendelssohn Bartholdy                                 Jürgen Sielemann
Staatsarchiv Hamburg,
720-1 Plankammer, 215 Me 311.

ISSN 2509-4491

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
Jürgen Sielemann
         Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus
               in historischen Quellen und in der Literatur
                   Wahre und „alternative“ Fakten aus alter und neuer Zeit

Felix Mendelssohn Bartholdy – der Name            beschäftigt sich dieser Beitrag. Auch wird
des berühmten Komponisten ist eng mit             darin ein bemerkenswertes Dokument zum
Hamburg verbunden, denn hier stand sein           Hamburger Aufenthalt der Familie Men-
Geburtshaus. Als Schöpfer von Meister-            delssohn vorgestellt, das den Biografen bis-
werken der Romantik ging er in die Musik-         her entgangen ist.
geschichte ein. Auch seine ebenfalls in
Hamburg geborene Schwester Fanny fand             Ein kurzer genealogischer Überblick
darin einen festen Platz. Die Literatur zum       Die Genealogie der Familie von Felix
Leben und Werk der beiden Geschwister ist         Mendelssohn Bartholdy wurde umfassend
heute kaum noch überschaubar.                     erforscht und in Publikationen dargestellt,
       Felix Mendelssohn Bartholdy wurde          in denen seine Vorfahren bis in das Mittel-
am 3. Februar 1809 in Hamburg als Sohn            alter hinein nachgewiesen sind.1 Der nach-
von Abraham und Lea Mendelssohn geb.              folgende Überblick beschränkt sich – wegen
Salomon geboren. Mit seinen Eltern und            ihrer Beziehung zu unserer Stadt – auf die
den Schwestern Fanny (geb. 1805) und              Eltern, eine Tante und einen Onkel des
Rebecka (geb. 1811)                                                      Komponisten. Einiges
verließ er Hamburg                                                       wäre auch von in
bereits als Kleinkind.                                                   Hamburg lebenden
Den wenigen Jahren                                                       Nachkommen zu be-
des hiesigen Auf-                                                        richten, was im Rah-
enthalts der Familie                                                     men dieses Beitrags
gingen zahlreiche Au-                                                    allerdings nicht ge-
toren nach, wobei in                                                     leistet werden kann.2
Ermangelung        von                                                          Felix’ Großvater
Quellen hin und wie-                                                     Moses Mendelssohn,
der auch eigene Zuta-                                                    der berühmte Philo-
ten eingesetzt wurden,                                                   soph der Aufklärung
die dann in nachfol-                                                     (geb. 6.9.1729 in Des-
genden Publikationen                                                     sau, gest. 4.1.1786 in
als „Fakten“ wiederzu-                                                   Berlin) war mit einer
finden sind. Mit die-                                                    gebürtigen Altonaerin
sem Problem und den                                                      verheiratet: Fromet
tatsächlichen, durch              Felix Mendelssohn Bartholdy.           geb.      Guggenheim
Quellen dokumentier-        Staatsarchiv Hamburg, 720-1 Plankammer,      (geb. 6.10.1737, gest.
ten       Sachverhalten                    215 Me 311                    5.3.1812 in Altona),

                                         ,-'./0&1/*12'3&-'445                                 3
Jüdische Gemeinde in Hamburg
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

eine Tochter des Kaufmanns Abraham                  Unterschied zu ihren Geschwistern ließ
Guggenheim. Ihr Grabstein auf dem Jüdi-             sich Recha Meyer nicht taufen.4
schen Friedhof an der Königstraße in Alto-
na wurde 2009 restauriert und zieht viele           Joseph Mendelssohn (1770 – 1848)
Besucher an. Fromets Ehe mit Moses Men-             Joseph, der älteste Sohn des Philosophen
delssohn entstammten zehn Kinder, von de-           Moses Mendelssohn, war als Bankier sehr
nen im Folgenden drei näher betrachtet              erfolgreich. Mit seinem Bruder Abraham
werden:                                             gründete er 1804 das Berliner Bankhaus J.
• Recha Meyer geb. Mendelssohn, geb.                & A. Mendelssohn und ein Jahr später die
  14.7.1767 in Berlin, gest. 23.4.1831 ebenda       Bank Gebrüder Mendelssohn & Co. in
• Joseph Mendelssohn, geb. 11.8.1770 in             Hamburg. Hier hatte sich Joseph Mendels-
  Berlin, gest. 24.11.1848 ebenda, Bankier          sohn bereits 1801 an der Firma des Maklers
• Abraham Mendelssohn Bartholdy, geb.               Zadig Aron Zadig beteiligt.5
  10.12.1776 in Berlin, gest. 14.11.1835                   Joseph Mendelssohn gehörte zu den
  ebenda, Bankier, der Vater des Kompo-             begüterten Juden, deren Aufenthaltsrecht in
  nisten.                                           Hamburg durch eine Aufnahme in den so-
                                                    genannten Niederländischen Kontrakt be-
Recha Meyer geb. Mendelssohn                        gründet wurde. Im Unterschied zu diesem
(1767 – 1831)                                       kleinen Personenkreis waren jüdische Zu-
Recha, die dritte Tochter von Moses und             wanderer geringeren Einkommens nach er-
Fromet Mendelssohn, wurde 1786 mit dem              folgter Taxierung durch Gemeindeälteste
Mecklenburg-Strelitzer      Kammeragenten           zur Zahlung eines jährlichen Entgelts für
Mendel Nathan Meyer getraut. Als einziges           das Bleiberecht verpflichtet. Der „Nieder-
Kind dieser 1800 geschiedenen Ehe wurde             ländische Kontrakt“ war im 17. Jahrhundert
im Oktober 1793 die Tochter Rebecca (Bet-           zur Aufnahme wohlhabender reformierter
ty) in Neustrelitz geboren. Nach der Schei-         Glaubensflüchtlinge aus den spanischen
dung siedelte Recha Meyer mit ihrer Mut-            Niederlanden eingeführt worden. Die spä-
ter Fromet Mendelssohn nach Altona über             tere Anwendung auf jüdische Einwanderer
und führte dort unter wechselnden Adres-            offenbart den Pragmatismus des Hambur-
sen bis 1812 ein Erziehungsinstitut für             ger Rats, wenn es um die Gewinnung zah-
Mädchen. Die Altonaer Volkszählungsliste            lungskräftiger Einwohner ging. Martin
von 1803 führt sie als Hausmutter mit ihrer         Moses Haarbleicher, der Chronist der
Tochter, drei minderjährigen Schützlingen           Rechtsverhältnisse der Hamburger Juden
und einer Dienstmagd als Bewohnerin des             im 18. und 19. Jahrhundert, hat von dieser
Hauses Palmaillenstraße 340 auf.3 1812,             relativ unbekannten Praxis berichtet, wobei
nach dem Tod ihrer Mutter, kehrte Recha             ihm der Lapsus unterlief, vom Niedersäch-
Meyer nach Berlin zurück. Ihre Tochter Re-          sischen anstatt vom Niederländischen Kon-
becca heiratete 1818 den Berliner Bankier           trakt zu sprechen. Laut Haarbleicher „gab
Heinrich Beer, dessen Bruder Giacomo                es noch eine kleine Anzahl, die von der
Meyerbeer wie Felix Mendelssohn Barthol-            Stadt auf den sogenannten Niedersächsi-
dy in die Musikgeschichte einging. Im               schen [!] Contract aufgenommen waren;

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
diese leisteten den Einwohner-Eid und ver-               1775 erhalten und reichen bis 1811. Sie do-
accordirten und entrichteten ihren Schoss                kumentieren die Dauer der Anwesenheit
direkt an die Kammern. Die letzte Aufnah-                von Juden in Hamburg in einer Zeit, in der
me dieser Art geschah 1808.“6 Hartvig Levy               es noch kein Einwohnermelderegister gab
übernahm Haarbleichers Angabe in seiner                  und in der die stets unvollständigen Adress-
1933 eingereichten Dissertation „Die Ent-                bücher oft veraltete Adressenangaben und
wicklung der Rechtsstellung der Hambur-                  Lücken aufweisen.
ger Juden“ wie folgt: „Im Laufe der Jahr-                      Der Eintrag über die Fremdenschoss-
zehnte – bis 1808 – wurden in ganz weni-                 zahlungen von Joseph Mendelssohn be-
gen Fällen auch nicht zur Gemeinde gehö-                 ginnt mit dem Vermerk, dass „Joseph Men-
rige Juden in Hamburg auf den sogenann-                  delsson, ein Jude, A.[nno] 1801 d. 4ten
ten Niedersächsischen [!] Kontrakt zugelas-              Märtz auf 2 Jahre à 50 Mark pro Anno an-
sen. Diese entrichten ihre Steuer direkt an              genommen“ wurde. Die letzte seiner jährli-
die Kämmerei.“7                                          chen Zahlungen datiert vom 21. März
       Die „Fremdenschossbücher“, in denen               1811;8 von diesem Tag stammt auch die
solche Zahlungen verbucht wurden, sind ab                letzte Fremdenschosszahlung seines Bru-
                                                                ders Abraham, mit dem Joseph wenig
                                                                später wegen eines Problems mit der
                                                                französischen Besatzungsbehörde aus
                                                                Hamburg flüchtete.9
                                                                      In den Hamburger Adressbü-
                                                                chern ist Joseph von 1801 bis 1811
                                                                durchgehend mit der Adresse Große
                                                                Michaelisstraße 71 aufgeführt. Nach
                                                                Eckart      Kleßmanns       Mendels-
                                                                sohn-Biografie zog er erst 1804 nach
                                                                Hamburg, was nicht den Quellen
                                                                entspricht.10

                                                                   Abraham Mendelssohn Bartholdy
                                                                   (1776 – 1835)
                                                                   1. Seine Niederlassung in Hamburg in
                                                                   den Quellen und in der Literatur
                                                                   Den zusätzlichen Namen Bartholdy
                                                                   führte Abraham Mendelssohn, der
                                                                   Vater der Komponisten Fanny und
                                                                   Felix, seit 1823.11 Den Beginn seiner
                                                                   Hamburger Zeit dokumentiert das in
   Joseph Mendelssohns Zahlungen im Fremdenschoss-                 der Mendelssohn-Forschung bislang
            register der Hamburger Kämmerei.                       übersehene Protokoll der Sitzungen
Staatsarchiv Hamburg, 311-1 I Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 239        des Hamburger Rats von 1805. Der

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

Indexband zu diesem Protokoll weist in der         Bruder Joseph und der gemeinsamen Firma
Rubrik „Index realis et interna, Juden“ unter      ist er darin wie folgt aufgeführt:
Ziffer 3 den folgenden Eintrag auf: „Abra-         Mendelssohn Gebr. et Comp.[agnon] Kaufleute
ham Mendelsohn wird in den niederländi-            in B.[anc-]C.[onto] Joseph Mendelssohn,
schen Contract aufgenommen [siehe S.]              gr.[oße] Michaelisstraße, no 71 a.
209 b.“ 12
                                                   Mendelssohn, Joseph, unter vorstehender Fir-
       Der erwähnte Indexband zeigt, in            ma, gr. Michaelisstraße, no 71 a.
welchen ganz unterschiedlichen Fällen sich         Mendelssohn, Abrah., unter obiger Firma, gro-
der Hamburger Rat in jenem Jahr mit jüdi-          ße Michaelisstraße, no 119 a.
schen Einwohnern befasste: Fall 1 betraf die
Anträge von drei Juden zum Erwerb von              Es handelte sich um die Hausnummern 71
Grundstücken („Erben“), Fall 2 bezog sich          und 119 und nicht 71 a und 119 a; der
auf „das Gesuch einiger Juden, bei dem             Buchstabe a ist nichts anderes als ein Sigle
Fortifications-Departement einigen armen           im Zusammenhang mit der Gebietseintei-
Juden Arbeit zu geben“, und Fall 3 wurde           lung des Hamburger Bürgermilitärs.16
wie folgt geregelt: „Die in einem Hause in                In diesem Adressbuch begegnet zum
der Neustraße wohnenden Juden werden               ersten Mal die Adresse des Hauses, in dem
zur Räumung angehalten.“
Gegenüber dem wohlhaben-
den Abraham Mendelssohn
bewies der Rat Wohlwollen,
wie der Eintrag im Senatspro-
tokoll der Sitzung vom 20.
Mai 1805 zeigt. Der Beschluss
über dessen Supplik zur Auf-
nahme in den Niederländi-
schen      Kontrakt      lautete
schlicht: C.[onclusum], daß
dem Gesuch zu deferiren [d.h.
stattzugeben]“.13
       Abraham Mendelssohns
Zahlungen für seinen Aufent-
haltsstatus dokumentiert das
Fremdenschossprotokoll der
Kämmerei wie auf Seite 7 ab-
gedruckt.
       In den Hamburger Ad-
ressbüchern erscheint Felix
Mendelssohn Bartholdys Va-
ters erstmals in der Ausgabe                    Index zum Senatsprotokoll von 1805.
für das Jahr 1806. Mit seinem         Staatsarchiv Hamburg, 111-1 Senat, Cl. VIII Nr. X 1805 Bd. 2

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
Felix Mendelssohn Bartholdy am 3. Februar                Bombenangriff zum Opfer. Dass der Fami-
1809 geboren wurde: Große Michaelisstraße                lienname Mendelssohn Bartholdy richti-
119. Lesen wir, was die Zeitung „Die Welt“               gerweise ohne Bindestrich zu schreiben ist,
vom 4.11.1972 darüber zu berichten wusste:               war dem Journalisten wie vielen anderen
Am 3. Februar 1809 kam er im Haus Nr. 14                 Autoren unbekannt, und dass die Öffent-
an der Großen Michaelisstraße, Ecke Brun-                lichkeit kein Dokument besäße, das die Er-
nenstraße, zur Welt. [...] Das Geburtshaus Fe-           innerung an den Komponisten bewahre,
lix Mendelssohns ist längst aus dem Stadtbild            trifft ebenso wenig zu18 wie die Behauptung,
verschwunden – es wurde abgerissen. [...] So             das offizielle Hamburg habe das Andenken
hat sich das offizielle Hamburg auch zu keiner           an den Komponisten zu keiner Zeit geehrt.
Zeit gemüßigt gefühlt, das Andenken an Felix             An den Säulen in der Halle des 1897 fertig
Mendelssohn-Bartholdy zu ehren und zu för-               gestellten Hamburger Rathauses prangen
dern. Die Öffentlichkeit besitzt kein Doku-              seit über 100 Jahren Reliefporträts berühm-
ment, kein Musikmanuskript, kein Autograph,              ter Hamburger, darunter auch ein solches
keine Briefe, die die Erinnerung an diesen               von Felix Mendelssohn Bartholdy.19 Bis
Sohn für die Nachwelt bewahren. Heute und
an dieser Stelle sei seiner gedacht.17

Daran stimmt nahezu nichts. Das Geburts-
haus in der Großen Michaelisstraße trug
bis 1834 die Hausnummer 119, erst dann
die Hausnummer 14 und ab 1901 die Haus-
nummer 54. Das Gebäude wurde auch nicht
abgerissen, sondern fiel 1945 einem

       Einträge über den Vater des Komponisten
                    im Fremdenschossprotokoll.
       Staatsarchiv Hamburg, 311-1 Kämmerei I,
                                225 Bd. 2, S. 293

Eintritt Abraham Mendelssohn, ein Jude14
A[nn]o 1805, d. 5. July auf 1 Jahr à 75 Mark pro A[nn]o aufgenommen.
A[nn]o 1805, 12. July durch Jacobsen15 zum Eintritt             40,– [Mark]
1805, 29. Jan[uar] durch d[ito Jacobsen] Schoß de 1805          75,– [Mark]
1806, d. 4. Dec.[ember] pro [anno] auf 2 Jahre                  à 75 Mark pr.[o] A[nn]o
1807, d. 4. Febr[uar] [pro anno auf 2 Jahre] 1806               75,– [Mark]
1808, d. 22 d[it]o [d. h. Februar] durch Jacobsen Schoß de 1807 75,– [Mark]
1808, d. 6. Dec.[ember] pro [anno] auf 2 Jahre                  à 150 Mark 12 Schillinge pr.[o] anno
1809, d. 8. Febr.[uar] durch Jacobsen Schoß de 1808             150 [Mark] 12 [Schillinge]
1810, d. 14. Märtz [durch Jacobsen Schoß de] 1809               150 [Mark] 12 [Schillinge]
1811, d. 11. [Märtz] [durch Jacobsen Schoß de] 1810             150 [Mark] 12 [Schillinge]

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

1938 erinnerte eine Mendelssohnstraße in            Verlag erschienene Buch23 desselben Autors.
Eimsbüttel an den Komponisten; dann                 Diese Ausgabe glänzt mit einem reichen
wurde sie nach einem Direktor der Ham-              Schatz an Abbildungen. Nicht ertragreich
burger Ratsmusiker in Schopstaße umbe-              für die Beschäftigung mit der Hamburger
nannt. Auch der Mendelssohnstraße in                Zeit der Mendelssohns ist Eka Donners
Bahrenfeld gab das NS-Regime 1938 einen             Buch „Felix Mendelssohn Bartholdy. Aus
neuen Namen; sie hieß fortan Valpa-                 der Partitur eines Musikerlebens“.24 798 Sei-
raisostraße. Bei diesen Änderungen blieb es         ten stark ist das Buch „Felix Mendelssohn
nach 1945; als „Ersatz“ wurde 1952 ein Teil         Bartholdy. Sein Leben und seine Musik“
der Bahrenfelder Adickesstraße in Men-              von R. Larry Todd – ein detailreiches, ange-
delssohnstraße umbenannt.20 Der Autor des           nehm lesbares und mit Quellenangaben ver-
besagten Zeitungsartikels hätte beruhigt            sehenes Werk.25 Noch umfangreicher ist die
sein können: Außer ihm selbst hatten noch           Neuausgabe von Sebastian Hensels mehr-
andere des Komponisten gedacht, sogar „das          fach aufgelegter Edition „Die Familie Men-
offizielle Hamburg“.                                delssohn 1729 bis 1847. Nach Briefen und
       Journalistische Errata sind keine Sel-       Tagebüchern“.26 Darin kommen Abraham,
tenheit, und so ist es kein Wunder, dass sich       Felix, Fanny und andere Familienangehörige
in den vielen Presseberichten über die              selbst zu Wort, auch wenn sie ihre Aufzeich-
Hamburger Zeit der Familie Mendelssohn              nungen nicht für die Nachwelt schrieben.
Bartholdy falsche Geburtsdaten, unrichtige
Hausnummern und andere Irrtümer fin-                2. Felix Mendelssohn Bartholdys Geburtshaus
den.21 Mehr Sorgfalt darf man von Biogra-           In R. Larry Todds eben gepriesenem Werk
fen erwarten, die sich diesem Thema wid-            ist dies zu lesen:
meten. Aus der kaum noch übersehbaren               Als die Bankiers Joseph und Abraham Men-
der Mendelssohn-Literatur seien einige              delssohn das Unternehmen Gebrüder Mendels-
Beispiele erwähnt:                                  sohn & Co. 1805 gründeten, war Hamburg
       Recht unterhaltsam liest sich das mit        ein blühendes Handels- und Schiffbauzentrum
vielen Quellenauszügen (leider ohne Quel-           mit etwa 100.000 Einwohnern. [...] Die Bank
lenangaben) versehene Buch von Eckart               lag in der Großen Michaelisstraße 71 a; in der
Kleßmann, „Die Mendelssohns. Bilder aus             Winterresidenz der Gebrüder (Nr. 14), einem
einer deutschen Familie“.22 Die Hamburger           dreigeschossigen Gebäude direkt hinter dem
Zeit der Familie des Komponisten ist darin          Michel, in dem Abraham und [seine Frau] Lea
allerdings recht kurz abgehandelt, und Jo-          Mendelssohn mit [Abrahams Bruder] Joseph,
seph Mendelssohns Zuzug nach Hamburg                seiner Frau Henriette und deren Söhnen Ben-
im Jahr 1801 verlegte der Autor irrtümlich          jamin und Alexander lebten, wurde Felix
auf das Jahr 1804. Auch die von ihm mit Nr.         Mendelssohn geboren. [...] Die beiden Familien
14 (statt 119) angegebene Hausnummer von            teilten sich vermutlich den ersten und zweiten
Felix und Fanny Mendelssohns Geburts-               Stock [...].27
haus trifft nicht zu. Ebenfalls „Die Mendels-
sohns. Bilder aus einer deutschen Familie“          Die Hamburger Adressbücher sagen etwas
heißt das bereits zuvor in einem anderen            ganz anderes. Zwar trifft es zu, dass sich die

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
Bank in der Großen Michaelisstraße 71                   Besitz einer Welt von Töpfen, Schüsseln, Lust-
(nicht 71 a, siehe dazu Anm. 16) befand.                res [d.h. Lüstern], Spiegel und Mahagonis
Aus den Adressbüchern geht jedoch ein-                  zaubert, deren reizenden Anblick ich in mei-
deutig hervor, dass Joseph Mendelssohn                  nem chez moi [d. h. meinem Heim] bis jetzt
dort und nicht bei seinem Bruder Abraham                entbehren muß. Doch laß ich mir, wenn Ma-
in der Großen Michaelisstraße 119 wohnte,               mas und Deine Ordnungsliebe es verzeihen
einem Gebäude, das wie erwähnt erst nach                kann, kein graues Haar darum wachsen, und
1834 die Hausnummer 14 trug. Dabei blieb                beruhige mich mit der Aussicht, daß der
es bis zum Fortzug der beiden Brüder nach               geschäftigen Martha das melodische Schlüssel-
Berlin 1811.                                            klappern mit der Zeit nicht entgehen soll.
       Der auch als Historiker hervorgetre-             Morgen wird der erste große Versuch angestellt,
tene Hamburger Journalist Arthur Obst                   in unseren vier Mäuerchen zu dinieren, und
(1866 – 1936) scheint der einzige unter den             zwar vom französischen Restaurateur. Weder
Mendelssohn-Biografen gewesen zu sein,                  Meubles noch Wirtschaftssachen kann ich bis
der die Adressen von Felix und Joseph                   jetzt anschaffen, weil mir nicht der geringste
Mendelssohn in Hamburg korrekt darge-                   Raum bleibt; auch wird das Chaos erst geord-
stellt hat. In seinem Artikel „Die Familie              net, wenn wir das Land beziehen, wozu uns
Mendelssohn in Hamburg“, der am                         schon ein hübsches, an der Elbe dicht bei
31.1.1909 im Hamburger Fremdenblatt er-                 Neumühlen gelegenes und mit einem Balcon!!!
schien, ist dies zu lesen:                              verziertes Landhaus vorgeschlagen worden,
Vorläufig richtete man sich offenbar sehr behag-        das wir nächstens sehen sollen.29
lich, möglichst dicht bei einander ein: Joseph
mit seiner alten Mutter, Frau und zwei Kin-             Das hier erwähnte Landhaus diente der Fa-
dern bezog das Haus Michaelisstraße 71, Ab-             milie lediglich als Sommerwohnung. Der
raham mietete sich mit seiner jungen Frau in            Hauptwohnsitz von Abraham und Lea
Nr. 119 a28 ein.                                        Mendelssohn war das Haus in der Großen
                                                        Michaelisstraße 119. Hier wurden drei ihrer
Nach dem Einzug in das dreistöckige Haus                vier Kinder geboren: Fanny am 14. Novem-
schilderte Abraham Mendelssohn Barthol-                 ber 1805, Felix am 3. Februar 1809 und Re-
dys Ehefrau Lea die Wohnung in einem                    becka (Henriette) am 11. April 1811. Die
Brief wie folgt:                                        Kenntnis der Geburtsdaten ist keiner ham-
Du willst wissen, beste Schwester, wie es in            burgischen Quelle zu verdanken, sondern
meiner Wohnung und mit meinen häuslichen                Einträgen aus späteren Jahren in einem Re-
Einrichtungen aussieht? Rasend liederlich, á            gister der Berliner Judenschaft. Jacob Jacob-
dire le vrai, wie bei den tollsten Studenten;           sen, der große Kenner der jüdischen Famili-
denn an kein Kämmerlein, an keine Wirtschaft            enforschung und als Archivar mit den Ber-
und Berliner Bequemlichkeit ist hier zu den-            liner und Hamburger Quellen bestens ver-
ken, und wenn ich meine remu ménage [d.h.               traut, hat dazu das Folgende bemerkt:
meinen Rummel] betrachte, habe ich Mühe, zu             In Geburtsregistern der Hamburg-Altonaer
glauben, daß ich wirklich verheiratet bin, wel-         Jüdischen Gemeinde – sie sind allerdings kaum
che Standesänderung einen gewöhnlich im                 vollständig – finden sich keine Eintragungen

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Jüdische Gemeinde in Hamburg
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

der Abraham und Lea Mendelssohn in
Hamburg geborenen Kinder. [...] Sie ge-
hörten also noch dem Judentum an, als
ihren Eltern das vierte Kind, Paul, ge-
boren wurde. Dessen Geburt gab das Si-
gnal zum Umbruch. Am 21.3.1816
wurden alle vier Kinder in Berlin ge-
tauft.30

Dem ist uneingeschränkt zu folgen.
Im oben erwähnten Fremdenschoss-
register wurde Abraham Mendels-
sohn von 1805 bis 1811 als „ein Jude“
kategorisiert und wäre demnach zur
Eintragung seiner Kinder in das hie-
sige jüdische Geburtsregister ange-
halten gewesen. Weshalb dies nicht
geschah, bleibt offen. Abraham Men-
delssohns gehobener Aufenthalts-
status als dem Niederländischen
Kontrakt zugehöriger Einwohner
wird kaum der Grund gewesen sein.                   Felix Mendelssohn Bartholdys Geburtshaus
       Zu den kleineren Irrtümern                       in der Großen Michaelisstraße 119.33
von Mendelssohn-Biografen gehört
die Bemerkung, dass Ferdinand David, Felix           das Grundstück im Jahr 1800 erworben und
Mendelssohn Bartholdys 1810 in Hamburg               kann auch als der Bauherr des darauf er-
geborener Konzertmeister im Gewandhau-               richteten dreistöckigen Hauses angenom-
sorchester Leipzig, im selben Haus wie Fe-           men werden.32
lix zur Welt kam.31 Die Hamburger Adress-                  Die älteste bekannte Darstellung des
bücher zeigen, dass Ferdinand Davids Vater           verputzten Fachwerkbaus, ein undatiertes
Salomon David im Geburtsjahr des Sohnes              Aquarell, zeigt eine über dem Eingang an-
Ferdinand in der Großen Michaelisstraße              gebrachte Gedenktafel mit einem Porträt
116 wohnte (und nicht 119, wie Abraham               des Komponisten und der Inschrift
und Lea Mendelssohn).                                 FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY
       Felix Mendelssohn Bartholdys Ge-                   GEBOREN IN DIESEM HAUSE
burtshaus Große Michaelisstraße 119 (Ecke                        IM FEBRUAR 1809
Erste Brunnenstraße) erscheint in den
Hamburger Adressbüchern erstmals in der                    Die berühmte Sängerin Jenny Lind
Ausgabe für das Jahr 1802. Johann Nicolaus           und ihr Mann Otto Goldschmidt hatten
Kraefft, ein 1866 in Altona geborener                die Tafel 1869 anbringen lassen.34 Einen
Hausmakler und ehemaliger Friseur, hatte             Einblick in die Kapazität des Gebäudes

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bieten die ab 1831 geführten sogenannten               die nötigen Mittel. Die Anordnung und
Umschreibelisten des Hamburger Bürger-                 Größe der Räume vor einem 1901 in An-
militärs, in denen die Bewohner jedes Hau-             griff genommenen tiefgreifenden Umbau
ses verzeichnet sind. Daraus geht hervor,              des Hauses dokumentiert eine Grundriss-
dass in der Großen Michaelisstraße 119                 zeichnung, die der Hamburger Baupolizei
zwanzig Jahre nach dem Fortzug der Fami-               zusammen mit Zeichnungen der geplanten
lie Mendelssohn außer dem schon erwähn-                Veränderungen eingereicht wurde.36
ten Hauseigentumer Johann Nicolaus                           R. Larry Todds Ansicht, dass es sich
Kraefft vier Mietpartien wohnten – drei In-            um „beengtes Domizil“ handelte, ist nach
haber des Hamburger Bürgerrechts und ein               allem ebenso wenig zu folgen wie seiner
„Israelit“. Zusammen hatten sie 1831 die               Vermutung, dass sich Abraham und Joseph
stattliche Jahresmiete von 1.500 Mark zu               mit Frau und Kindern den ersten und zwei-
entrichten.35 Es handelte sich folglich nicht          ten Stock teilten; Joseph bewohnte wie er-
um ein Quartier für Minderbemittelte, son-             wähnt nicht dieses, sondern das Haus in der
dern um ein erst wenige Jahre altes Gebäu-             Großen Michaelisstraße 71. Im Unter-
de für gut situierte Mieter, in dem Felix              schied zu Todd schätzte der Mendels-
Mendelssohn Bartholdy 1809 geboren wur-                sohn-Biograf Hans Christoph Worbs, die
de. Sein wohlhabender Vater verfügte über              Wohnung sei geräumig gewesen.37

    Vorderansicht und Grundriss des Parterres des Geburtshauses von Felix Mendelssohn Bartholdy
               vor dem Umbau 1901. Staatsarchiv Hamburg, 324-1 Baupolizei, K 3603

                                          ,-'./0&1/*12'3&-'445                                    11
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

       Nach dem Umbau wurde das Gebäu-                  von 1901 „Financier“ von Beruf, hatte das
de versteigert. Das Israelitische Familien-             Gebäude im Dezember 1900 erworben und
blatt vom 6.6.1902 berichtete:                          mit dem Umbau begonnen; es wurde jedoch
Das kleine Haus in Hamburg, aus dem der                 am 14.11.1901 zwangsversteigert. Zu die-
Komponist der „Lieder ohne Worte“ hervorge-             sem Zeitpunkt wies der an der Großen Mi-
gangen, wird sicher allen Freunden des deut-            chaelisstraße belegene Gebäudeteil des
schen Liedes eine geweihte Stätte sein. [...] Und       Eckhauses im Grundbuch folgende Be-
jetzt kommt das alte denkwürdige Haus unter             schreibung auf:
den Hammer. Es muss Platz machen dem                    Laden und zwei Zimmer im Parterre, 2 La-
Wachstum und den Verschönerungsbestrebun-               gerkeller, vier Zimmer, Küche und Klosett in
gen der Stadt.                                          der ersten Etage, fünf Zimmer, Küche und Klo-
                                                        sett in der zweiten Etage, drei Zimmer, Küche
Das klang danach, dass das Geburtshaus des              und Klosett in der dritten Etage. Der Gebäude-
Komponisten abgerissen werden sollte.                   teil an der Ersten Brunnenstraße umfasste zwei
Zwar kam es tatsachlich „unter den Ham-                 Läden, weitere Räume und einen Keller.
mer“, blieb jedoch nach erheblichen bauli-
chen Veränderungen erhalten. Paul Franz                 Als Meistbietender erwarb der Maurer-
Alexander Dahms, nach dem Adressbuch                    meister Adolf Ehrig das Gebäude. Dieser

           Architektenzeichnungen der Vorderfront und Längsseite des Hauses für den Umbau.
     Die vorgesehenen Veränderungen – eine breite Schaufensterfront und ein zusätzliches Fenster im
          zweiten Stock – sind rot eingezeichnet. Staatsarchiv Hamburg, 324-1 Baupolizei, K 3603

12                                           !"#$%&'(')&"**+&*
war schon vorher mit                                                 große Komponist hier am 3.
der Umgestaltung be-                                                 Februar 1809 geboren wur-
fasst gewesen und hatte                                              de, aber es ist nur die Ge-
der Baupolizei-Behörde                                               burts s t ä t t e, das Geburts-
am 25.3.1901 mitge-                                                  haus ist nicht mehr; so sehr ist
teilt, „daß der Umbau                                                es umgestaltet worden. Nur
in der Michaelisstraße                                               im Bilde ist das Haus in sei-
Nr. 54 fertiggestellt ist,                                           ner ursprünglichen Gestalt
mit dem höflichen Er-                                                noch erhalten, in dem Felix
suchen um baldige                                                    Mendelssohn seine frühen
Schlussbesichtigung“.   38
                                                                     Jugendtage verbrachte.
       Der Umbau des
Hauses wurde von Ver-                                                Der Artikel wurde mit ne-
ehrern des Kompo-                                                    benstehender Zeichnung
nisten mit Bedauern                                                  des Geburtshauses vor dem
registriert. Der bereits                                             Umbau illustriert.
erwähnte        Journalist                                                   Nicht alles wurde
Arthur Obst führte im                                                verändert; Fotos aus späte-
Hamburger Fremden- Illustration im Hamburger Fremdenblatt ren Jahren zeigen zumin-
blatt vom 31.1.1909                      vom 31.1.1909.              dest die Vorderfront des
bittere Klage:                                                       Gebäudes mit Ausnahme
Das Geschick verfährt mit den alten histori-        der neuen Schaufensterfront noch in der al-
schen Häusern Hamburgs besonders rauh; was          ten Gestalt, wie die Abbildungen auf Seite
die zehrenden Flammen des Brandes von 1842          14 oben bezeugen.
noch an denkwürdigen Gebäuden übrig gelas-                 Bei Reparaturarbeiten unter dem
sen haben, verschwindet jetzt unter der Picke       Einsatz einer Lötlampe gerieten im Januar
des Abbruch-Arbeiters, des Pioniers der Sanie-      1940 Fachwerkhölzer des Gebäudes in
rungsarbeiten in den alten Stadtteilen. [...] So    Brand. Drei Monate später waren die Schä-
schreiten in diesen Tagen durch die geweihten       den ausgebessert. Doch stand das Geburts-
Räume in der Königstraße, in denen der Mes-         haus des in der NS-Zeit verfemten Kompo-
siassänger dichtete und seine unsterbliche Seele    nisten nur noch wenige Jahre, bis es von
aushauchte, Arbeiter, deren Handwerk die Zer-       Bomben zerstört wurde.39
störung ist, und die Wände, die Klopstocks letz-           Am 11. März 1945 legte ein Großan-
te Seufzer hörten, fallen in Trümmer. Freilich      griff von 466 Kampfflugzeugen auch die
– Büste und Inschrift werden auch späteren          Häuser in der Großen Michaelisstraße in
Generationen verkünden, daß hier Klopstocks         Schutt und Asche. Höchst wahrscheinlich
Sterbehaus gestanden hat, aber die alten Räu-       war es dieser Luftangriff, dem Felix Men-
me sind es nicht mehr. [...] Noch schlimmer ist     delssohn Bartholdys Geburtshaus zum Op-
es dem Geburtshaus Felix Mendelssohn                fer fiel. Noch am 23. Februar 1945 hatte
Bartholdys in der Michaelisstraße ergangen;         sich ein Bewohner des Hauses von dort ab-
zwar zeigt auch hier die Inschrift an, daß der      gemeldet.40

                                           ,-'./0&1/*12'3&-'445                                   13
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

                                                 Die Postkarte (links) stammt vermutlich aus
                                                 den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg.
                                                 Staatsarchiv Hamburg, 720-1 Plankammer,
                                                 131-4/Mig 94

                                                     Dieses Foto des Geburtshauses wurde wahr-
                                                         scheinlich um 1930 aufgenommen.
                                                  Die 1936 entfernte Gedenktafel ist noch zu sehen.
                                                        Museum für Hamburgische Geschichte

       Im Februar 1949 war das Grundstück          Mendelssohn Bartholdy. Zur 150. Wieder-
vom Trümmerschutt befreit. Otto Hachen-            kehr seines Geburtstags wurde am 3. Febru-
berger, ein Fuhrunternehmer und Spediteur,         ar 1959 an seinem Berliner Grab ein Kranz
erhielt die baupolizeiliche Genehmigung,           der Freien und Hansestadt Hamburg nie-
dort eine Baracke mit einer Grundfläche            dergelegt, das Orchester des Norddeutschen
von 39 Quadratmetern aufzustellen. Sie be-         Rundfunks nahm Werke des Komponisten
stand aus einer Wohnküche, einem Schlaf-           in das Programm auf und die Musikbiblio-
und Wohnraum sowie einem Waschraum                 thek veranstaltete eine kleine Ausstellung.
mit Toilette. Der Unternehmer nutzte das           „In Hamburg selbst sind die Ehrungen be-
Gelände zeitweilig auch als Schrottlager.41        scheiden“, befand ein Journalist in der Zei-
       Durch den Bau der Ost-West-Straße           tung „Die Welt“.43
wurde die topografische Situation verändert;             21 Jahre später mehrten sich Stim-
die Lage des Mendelssohnschen Geburts-             men, die für eine stärkere Form des Ge-
hauses war seitdem in der Nähe des Hauses          denkens an Felix Mendelssohn Bartholdy
Nr. 98 der neuen Straße zu verorten.42             eintraten. Das Hamburger Abendblatt be-
       In der Nachkriegszeit erinnerte man         richtete am 25. März 1980:
sich auch in Hamburg wieder an Felix                                        (weiter auf Seite 16)

14                                      !"#$%&'(')&"**+&*
Links: Die Baracke auf
                       dem Grundstück von
                       Felix Mendelssohn
                       Bartholdys Geburtshaus.
                       Staatsarchiv Hamburg,
                       324-1 Baupolizei, K 3603

                       In diesem Foto der Trümmerlandschaft um
                       die St. Michaeliskirche (unten) ist der
                       einstige Ort des Geburtshauses von Felix
                       Mendelssohn Bartholdy mit einem Kreuz
                       gekennzeichnet.
                       Staatsarchiv Hamburg,
                       720-1 Plankammer, 131-2/1/19507

,-'./0&1/*12'3&-'445                                         15
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

Ungefähr an derselben Stelle wie einst Men-               Spätestens seit den 1980er Jahren –
delssohns Geburtshaus steht heute das Gebäude      und bis heute – wird die Hausnummer des
der Versicherungsunternehmen Hinrich Gaede         Hauses, in dem der Komponist geboren
und Hamburger Phönix, Ost-West-Straße 98.          wurde, immer wieder fälschlich mit Nr. 14
Beide Firmen hätten nichts dagegen, wenn au-       angegeben; selbst auf der Gedenktafel eines
ßen am Weggeländer auf der Vorderseite ihres       Gebäudes, das am ungefähren Ort des eins-
Grundstücks eine Mendelssohn-Gedenktafel           tigen Geburtshauses errichtet wurde, ist
angebracht würde. [...] Aber als Ehrung wäre       dies der Fall. Um es zu wiederholen: Das
sie zu mickrig im Vergleich mit der bevor-         Geburtshaus in der Großen Michaelisstra-
stehenden Brahms-Ehrung auf dem Karl-              ße trug bis 1834 die Hausnummer 119, erst
Muck-Platz. Auch Brückner-Rüggeberg [Pro-          dann die Hausnummer 14 und ab 1901 die
fessor an der Hochschule für Musik und Theater     Hausnummer 54.
in Hamburg] bejaht eine neue Gedenktafel in               Eine Wende im Umgang mit der Er-
der Nähe von Mendelssohns früherem Geburts-        innerung an Felix Mendelssohn Bartholdy
haus: “Vielleicht könnte man sie zum Teil durch    trat ein, als 1992 in Bendestorf in der Nord-
Wohltätigkeits-Kammerkonzerte der Philhar-         heide die Internationale Felix Mendelssohn
moniker finanzieren.“                              Gesellschaft gegründet wurde. Daran waren
                                                   nicht nur Größen aus der Welt der Musik
1984 erinnerte die Staatsoper mit einem            wie der Hauptinitiator der Gründung Kurt
Kammermusikabend an den 175. Geburts-              Masur und Justus Franz sowie die Mäzene
tag des Komponisten, doch war das Wissen           Hannelore Greve und Alfred C. Toepfer be-
um den Standort des einstigen Mendels-             teiligt; auch Max Schmeling und Heidi Ka-
sohnschen Wohnhauses schon verblasst:              bel hatten sich zur Verfügung gestellt.45
„Wenn nicht alles täuscht, stand sein inzwi-       Dieser Gesellschaft war es zu verdanken,
schen längst verschwundenes Geburtshaus            dass Anfang November 1997 zum 150. To-
in der Großen Michaelisstraße“.  44
                                                   destag des Komponisten in der Nähe des
                                                                    einstigen Geburtshauses ein
                                                                    Doppel-Denkmal zu Ehren
                                                                    von Felix und seiner
                                                                    Schwester Fanny errichtet
                                                                    wurde. Ein kleiner Schön-
                                                                    heitsfehler – als Geburtsjahr
                                                                    des Komponisten war irr-
                                                                    tümlich 1806 eingraviert
                                                                    worden – wurde bemerkt
                                                                    und alsbald korrigiert. „Erst
                                                                    in neuerer Zeit ist seine
                                                                    wahre Bedeutung anerkannt
                                                                    worden,“ befand Hamburgs
                                                                    Wissenschaftssenator Le-
        Das Doppeldenkmal heute. Foto: Jürgen Sielemann             onhard Hajen damals.46

16                                        !"#$%&'(')&"**+&*
Die Gräber von Felix Mendels-
                                                                                    sohn Bartholdy und seiner
                                                                                    Schwester Fanny Hensel auf
                                                                                    dem Dreifaltigkeitsfriedhof
                                                                                    in Berlin, wo auch deren
                                                                                    Eltern und weitere Familien-
                                                                                    angehörige bestattet wurden.
                                                                                    In einer Gedenkstätte in der
                                                                                    aufgelassenen Kapelle
                                                                                    dieses Friedhofs wird das
                                                                                    Leben und Wirken der
                                                                                    Mendelssohns dokumentiert.
                                                                                    Foto: Jürgen Sielemann

      Zwei Jahre später wurde dieses Denk-                           Als weniger geglückt erscheint eine
mal dank der Hannelore und Helmut Gre-                        Gedenktafel, die am 23. Juni 2002 in der St.
ve-Stiftung noch näher an den einstigen                       Michaeliskirche enthüllt wurde. Sie wurde
Standort des Geburtshauses herangerückt47                     laut Hamburger Abendblatt vom selben
und präsentiert sich heute am damals ange-                    Tage in einem neuen Keramikmaterial per
legten Geschwister-Mendelssohn-Stieg in                       Datenprogrammierung geschaffen und ist
einer kleinen Grünanlage.                                     leider auch aus der Nähe kaum lesbar.

1 Gerhard Ballin, Die Ahnen des Komponisten Felix             3 Staatsarchiv Hamburg, im Folgenden: StAHH, 424-2
  Mendelssohn Bartholdy. In: Genealogie, 1967 Heft 3,           Stadtbücher der Stadt Altona, I c 2 B. II, Nr. 1069.
  Insingen 1967, S. 647–655. – Gero von Wilcke, Die           4 https://de.wikipedia.org/wiki/Recha_Meyer
  Mendelssohns in Leipzig. In: Genealogie, 1983 Heft          5 Zadig Aron Zadig, geb. in Breslau, starb am 6.12.1830
  4, S. 498–519.                                                in Hamburg im Alter von 63 Jahren (StAHH, 522-1,
2 An dieser Stelle sei wenigstens auf eine Veröffentli-         725 c, Sterberegister der Deutsch-Israelitischen Ge-
  chung unseres Mitglieds Angelika G. Ellmann-Krü-              meinde in Hamburg, 1830, Nr. 182).
  ger unter Mitarbeit von Dietrich Ellmann hingewie-          6 M. M. Haarbleicher, Zwei Epochen aus der Geschich-
  sen: Der Bankier Carl Heine, seine Nachkommen und             te der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg.
  die Beziehungen zu den Familien Veit, Mendelssohn,            Hamburg 1867, S. 31.
  Mendelssohn-Bartholdy, Hensel und Westphal. In:             7 Hamburg 1933, S. 22, Fußnote 54. – Hans W. Lehr,
  Mendelssohn-Studien. Bd. 17, hrsgg. für die Men-              Das Bürgerrecht im Hamburgischen Staate (Hamburg
  delssohn-Gesellschaft von Hans-Günter Klein und               1919) bemerkte irrtümlich, dass die Juden vom Ein-
  Christoph Schulte, Hannover 2011, S. 241–274. Be-             tritt in den Fremdenkontrakt ausgeschlossen waren (S.
  ate-Christine Fiedler hat den Beitrag im vormaligen           18).
  gemeinsamen Organ der Schweizerischen Vereini-              8 StAHH, 311-1 Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 239.
  gung für jüdische Familienforschung und der Ham-            9 StAHH, 311-1 Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 293. – Am
  burger Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V.              1.7.1811 befand er sich bereits wieder in Berlin. Vgl.
  rezensiert (Maajan – Die Quelle, Heft 102, 2012, 1.           R. Larry Todd, Felix Mendelssohn Bartholdy. Sein
  Quartal, S. 3952–3953). Darin wird u.a. von Felix und         Leben. Seine Musik. Stuttgart 2008, S. 55. – Zu den
  Fannys Bruder Paul Mendelssohn Bartholdy berichtet,           Gründen der Flucht von Felix und Joseph Mendels-
  der in Hamburg eine Bank eröffnete.                           sohn aus Hamburg nach Berlin siehe Max F. Schnei-
                                                                der, Felix Mendelssohn Bartholdy. Herkommen

                                                 ,-'./0&1/*12'3&-'445                                             17
Felix Mendelssohn Bartholdys Hamburger Elternhaus

   und Jugendzeit in Berlin. In: Jahrbuch der Stiftung            Martens Mühle. In: Hamburgische Geschichts- und
   Preußischer Kulturbesitz, Bd. II. Berlin 1963, S. 8–9.         Heimatblätter, Bd. 15. Hamburg 2009, S. 10–15.
10 Eckart Kleßmann, Die Mendelssohns. Bilder aus einer         30 Jacob Jacobson, Von Mendelssohn zu Mendels-
   deutschen Familie. Frankfurt am Main und Leipzig               sohn-Bartholdy. In: Yearbook V of the Leo Baeck Ins-
   1993, S. 56.                                                   titute. London 1960, S. 256.
11 Gerhard Ballin, wie Anm. 1, S. 647.                         31 R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 52. – Desgleichen Ha-
12 StAHH, 111-1 Senat, Cl. VIII Nr. X 1805 Bd. 2, In-             rald Richert, Berufstreue und Vererbung musikali-
   dex des Senatsprotokolls von 1805.                             scher Begabung in Hamburger Tonkünstlerfamilien.
13 StAHH, 111-1 Senat, Cl. VIII Nr. X a 1805 Bd. 1,               In: Zeitschrift für Niederdeutsche Familienkunde, 59.
   Senatsprotokoll von 1805, Sitzung vom 20.5.1805, S.            Jahrg., Heft 6, 1984, S. 181. – Ebenso Hans Christoph
   209 b.                                                         Worbs in seinem Artikel „Flucht aus dem Schmugg-
14 StAHH, 311-1 Kämmerei I, 225 Bd. 2, S. 293. Die                lerlager“. In: Die Welt, Ausgabe vom 2.2.1989. – Des-
   Interpunktion wurde der heutigen Form angepasst.               gleichen Eka Donner, wie Anm. 24, S. 81.
15 J. A. Jacobsen, Wedde-Schreiber und Schreiber beim          32 StAHH, 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, A I e 11,
   Bürger-Protokoll. Vgl. Hamburger Adressbuch von                Index zum Bürgerbuch von 1789, S. 235, Erwerb des
   1809, S. 151.                                                  Hamburger Bürgerrechts am 9.10.1789 als Friseur. –
16 Der Buchstabe a. hinter der Hausnummer steht für               741-2 Genealogische Sammlungen, 1/3433. – Zum
   „außerhalb“ der Gebietseinteilung des Hambur-                  Erwerb des Grundstücks: Hypothekenamt, VI 1 Bd.
   ger Bürgermilitärs. Im Unterschied dazu weisen die             DD, Hauptbuch St. Michaelis, Folio 166, und Hypo-
   Adressen innerhalb dieser Gebietseinteilung in den             thekenamt, VI 5 Bd. 26, Erbebuch St. Michaelis, S.
   Hamburger Adressbüchern stets ein Kürzel für die               186 f.
   Bezeichnung des Kirchspiels und des Bürgermili-             33 Aus: Adolph Kohut, Berühmte israelitische Männer
   tär-Bataillons auf (z.B. M 7), was im Fall der Großen          und Frauen, Vol. 1, Leipzig 1900, S. 29.
   Michaelisstraße nicht der Fall ist.                         34 1936 wurde die Tafel von Nationalsozialisten entfernt.
17 Artikel „Vor 125 Jahren starb der Hamburger Felix              R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 51.
   Mendelssohn-Bartholdy“.                                     35 StAHH, 341-3 Bürgermilitär, Bc 33 Bd. 1, S. 26.
18 Das Staatsarchiv Hamburg verwahrt einen Brief von           36 StAHH, 324-1 Baupolizei, K 3603.
   Felix Mendelssohn Bartholdy vom 21.6.1842 an sei-           37 R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 52. – Im oben im Wort-
   nen Bruder Paul im Zusammenhang mit einem Be-                  laut zitierten Brief von Abraham Mendelssohns Ehe-
   nefizkonzert zugunsten im Großen Brand von 1842                frau Lea aus den ersten Tagen ihrer Ehe heißt es zwar:
   obdachlos gewordener Einwohner (351-3 Öffentliche              „Weder Möbel noch Wirtschaftssachen kann ich bis
   Unterstützungsbehörde für die Abgebrannten von                 jetzt anschaffen, weil mir nicht der geringste Raum
   1842, 30-400).                                                 bleibt.“ Im nächsten Satz sprach sie dann vom „Chaos“
19 Das Porträt wurde in der NS-Zeit entfernt und in der           in der Wohnung, was sicherlich auf das in den Räu-
   Nachkriegszeit ersetzt.                                        men noch unausgepackt lagernde Umzugsgut zurück-
20 Hamburger Adressbuch von 1943, Verzeichnis der                 zuführen ist. – Hans Christoph Worbs, Die Welt, vom
   umbenannten Straßen, S. 36; Hamburger Adressbuch               2.2.1989.
   von 1966, Straßenteil, S. 1177 und 1544.                    38 StAHH, wie Anm. 36.
21 StAHH, 731-8 Zeitungsausschnittsammlung, A 762,             39 StAHH, wie Anm. 36.
   Mendelssohn Bartholdy, Felix.                               40 Auf einem Foto, das nach dem Luftangriff vom
22 Eckart Kleßmann, wie Anm. 10.                                  11.3.1945 in dieser Straße aufgenommen worden war,
23 Zürich und München 1990.                                       ist das Geburtshaus unter den Trümmern nicht auszu-
24 Düsseldorf 1992.                                               machen. Das Foto findet sich in der Dokumentation
25 Stuttgart 2008.                                                von Hans Brunswig, Feuersturm über Hamburg. 8.
26 Frankfurt am Main 1995, 935 Seiten. Stefan Hensel              Auflage 1987, S. 362. – 332-8 Meldewesen, Hausmel-
   war ein Neffe von Felix Mendelssohn Bartholdy.                 dekartei 1939–1968, Mikrofilm K 2325, Karteikarte
27 R. Larry Todd, wie Anm. 9, S. 51.                              Michaelisstraße 54.
28 Das kleine a hinter der Ziffer 119 gehört nicht zur         41 StAHH, wie Anm. 36.
   Hausnummer; vgl. Anm. 16.                                   42 Irmgard Stein, Jüdische Baudenkmäler in Hamburg,
29 Zitiert nach Arthur Obsts Artikel „Die Familie Men-            Hamburg 1984, S. 9.
   delssohn in Hamburg“ im Hamburger Fremdenblatt              43 Die Welt, Ausgabe vom 3.2.1959.
   vom 31.1.1909. – Bei dem von Lea Mendelssohn                44 Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 3.2.1984.
   genannten Landhaus handelte es sich um das Wohn-            45 Die Welt, Ausgabe vom 25.6.1992.
   haus des Müllers Daniel Martens, genannt „Martens           46 Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 2.11.1997.
   Mühle“. Siehe dazu Irmgard Stein, Ein Hoch auf              47 Hamburger Abendblatt, Ausgabe vom 27.8.1999.

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Sylvia Steckmest
                      Familie Mathiason aus Rendsburg
                                             Teil 2

Infolge der nicht enden wollenden Streitig-         1.000 Taler erben, Jekew 600 Mark und
keiten der Juden mit den christlichen Krä-          Kalmann 500 Mark, die Töchter je 500
mern in Rendsburg entschlossen sich bald            Mark. Er war folglich ein sehr wohlhaben-
einige jüdische Einwohner, die Stadt wieder         der Mann und hatte vermutlich mehr als 12
zu verlassen.                                       Kinder. Eine Sefer Tora aus seinem Besitz
       Vorerst schloss sich die Familie Levy        wurde später der Hamburger Jüdischen
ihnen noch nicht an. Mathias Levy hatte             Gemeinde gestiftet.
zwei Söhne: Kalman Mathias Levy und                        Isaac Itzig, sein erstgeborener Sohn
Isaac Mathias Levy, der Vorsteher der               (1740 – ?), hatte seinen Anteil laut Testa-
Rendsburger Jüdischen Gemeinde wurde.               ment bereits vorab erhalten. Er zog in frü-
Dessen Sohn Nachmann Joachim Levy, der              hen Jahren nach Amsterdam und eröffnete
später den Familiennamen Rendsburg trug,            dort einen Handel mit Fettwaren. Später
heiratete vier Mal. Die erste Frau war Han-         übersiedelte er nach Kopenhagen, wo er
na Jacob; sie starb 1761 oder 1765 in               1827 starb.
Rendsburg. Seine zweite Eheschließung                      Jekew (oder Jokew) zog es nach Lon-
fand bereits in Hamburg statt, und zwar mit         don, wo er sich als Händler mit Posen und
Gella, einer Tochter von Ephraim Goldzie-           Federn niederließ und mit seinen Brüdern
her, aus einer alten bekannten Familie.1 Von        in Hamburg in geschäftlichem Kontakt
nun an lebte die Familie Levy in Hamburg.           stand. Seine Kinder wanderten nach Nord-
Die zweite Frau starb schon wenige Jahre            amerika aus.
später im Wochenbett. Die dritte, 1767 ge-                 Das fünfte Kind Feibel führte später
heiratete Frau hieß Särchen Chasan; die             den Namen Philipp Levysohn oder Lewin-
vierte Frau ist mit Namen nicht bekannt.2           sohn. Er heiratete Fanny Samuel; darüber
       Im Steuerkontenbuch der Hambur-              mehr im 3. Teil.
ger Jüdischen Gemeinde ist Nachmann als                    Das sechste Kind Kalman hieß später
Kaufmann zuerst mit 37 Mark und 14                  Hambro mit Familiennamen, dazu mehr im
Schilling eingetragen.3 Später wurde sein           4. Teil.
Einkommen auf 500 Taler eingeschätzt.                      Das achte Kind war Jekusiel oder Ku-
Demnach liefen seine Geschäfte gut. Er              sel Rendsburg, später mit Familiennamen
starb 1783 im Alter von 83 Jahren und               Dellevie; Näheres darüber im 5. Teil.
wurde auf dem Friedhof an der Königstra-                   Hier geht es zunächst um das 4. Kind
ße in Altona begraben. Zuvor hatte er ein           mit Namen Mathias Joachim, angeblich
Testament gemacht, das mit den Worten               geb. um 1755 (nach meinen Unterlagen, er-
begann: „Der Anfang aller Weisheit ist              stellt nach den Sammlungen des Staatsar-
G’ttesfurcht.“ Seine Kinder bedachte er wie         chivs, bereits 1746) in Rendsburg, aus der
folgt: Jacob, Mathias und Feibel sollten je         ersten Ehe seines Vaters, und um dessen

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Familie Mathiason aus Rendsburg

Kinder, die sich später den Nachnamen              jüngere Betty war somit eine Halb-Nichte
Mathiason oder Matthiasson gaben.                  von Betty Heine, denn ihr Großvater, Mo-
       Auf Wunsch seines Vaters zahlte             ses Lion Goldschmidt (und Vater von Bet-
Mathias nach dessen Tod dem Hamburger              ty Heine) war in 1. Ehe bereits mit einer
Gemeindevorstand noch dessen restliche             Verwandten aus der Familie Goldschmidt
Steuern von 125 Mark und erklärte: „Wir            verheiratet gewesen, bevor er eine zweite
haben unserem Vater das Versprechen ge-            Verwandtenehe einging.8
geben, dass seine unmündigen Kinder der                   Der dritte Sohn von Mathias, Jacob
Gemeinde nicht zur Last fallen sollen, je-         Mathiason (1793 – 1877), gelegentlich auch
des der verheirateten Kinder nimmt daher           „Matthiasson“ geschrieben, übernahm das
ein Kind zur Erziehung bei sich auf.“4 Er          Geschäft seines Vaters. Der Name der Fir-
betätigte sich in der Gemeindeverwaltung           ma lautete „Mathiason Jacob et Comp., Po-
als Armenvorsteher und Vorsteher der               sen und Federn, Herrengraben 194“. Später,
Chewra Kadischa.                                   1833, war die Firma in der Poolstraße 221
       Mathias war mit Fradche (Friderike)         ansässig, zuletzt in der Ellernthorsbrücke
Delbanco verheiratet, aus bekannter Fami-          11. Jacob heiratete 1828 seine Cousine
lie. Ihre Eltern waren Elias Simon Delban-         Fanny Pels (1814 – 1895) aus Emden.9 Er
co und Kittel Goldschmidt, eine Tante von          war in verschiedenen Wohltätigkeitsverei-
Betty Heine, geb. Goldschmidt.5 Wie seine          nen tätig, wurde so alt wie sein Vater und
Brüder war Mathias im Handel mit Posen             in Ottensen beigesetzt.10
und Federn tätig. Er wohnte am Neuen                      Jacob und Fanny hatten sieben Kin-
Steinweg 12 und später in der Ersten Ma-           der; ein Sohn Simon Mathiason vermählte
rienstraße 146. Seine Frau erreichte nur ein       sich 1863 mit Emma geb. Wolfssohn.
Alter von 44 Jahren; sie starb 1810 und                   Aus der Ehe von Joachim Levy mit
wurde auf dem jüdischen Friedhof in Ot-            Betty Goldschmidt stammte der Sohn Ma-
tensen beigesetzt. Daneben liegt ihre              thias Joachim, geboren 1819. Er heiratete
Schwester Jette begraben; sie war mit Mo-          Helene Cleve, geb. 1830 in Frankfurt, ge-
ses Bauer verheiratet. Da Fradches Gatte           storben in Hamburg 1900. Ihr Vorfahre
Mathias während der Schließung der Stadt           Moses Kosman war mit einer Tochter der
infolge der französischen Belagerung 1814          Glikl von Hameln verheiratet gewesen.
verstarb, konnte er nicht neben seiner Frau        Deren Tochter Franziska Mathiason ehe-
in Ottensen bestattet werden, sondern am           lichte Isaac Cassuto. Von dessen Nachkom-
Notfriedhof am Alten Steinweg.6 Sein               men Alfredo Cassuto gibt es einige, jedoch
Sohn Joachim (1785/7 – 1849) wurde Kat-            nicht immer genaue Aufzeichnungen aus
tunhändler, handelte unter anderem mit             Portugal.
„Krollhaaren“7 am Großneumarkt und hei-                   Die Tochter Jette Mathiason (?–
ratete 1817 Betty Goldschmidt, eine Toch-          1822) heiratete 1850 Ruben Spanier, eben-
ter von Abraham Moses Goldschmidt, der             falls aus sehr alter Hamburger Familie. De-
ein Halbbruder von Salomon Heines Ehe-             ren Sohn Joseph (? – 1836) wurde Stein-
frau Betty Heine geb. Goldschmidt war,             zeughändler; er war mit Adele Levy verhei-
verheiratet mit Hanna geb. Levin. Die              ratet.

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Die meisten Angehörigen der großen                     nach Dänemark, England, Israel, Spanien,
Familie blieben in Hamburg wohnen.                           Portugal und in die USA. Einige Nach-
In späteren Jahren verließen einige Famili-                  kommen kamen in den Konzentrationsla-
enmitglieder das Land und emigrierten                        gern um.

1 Vorfahren aus der Familie Goldzieher hatten z. B.          5 Ihre Schwester Veilchen Delbanco heiratete in zweiter
  auch Albert Ballin und die Warburgs.                          Ehe den jüngeren Bruder von Betty Heine.
2 Die Stammtafel erstellte Alfredo Cassuto 1987 in           6 Alfredo Cassuto, wie Anm. 2, S. 7.
  Portugal. Die Tafel (11 Seiten) befindet sich in der       7 Roßhaar.
  Stammtafelsammlung der Hamburger Gesellschaft              8 Da ihr Vater Moses Lion Goldschmidt mein direkter
  für jüdische Genealogie e.V.                                  Vorfahre ist, bin ich mit diesem Zweig verwandt.
3 Aufzeichnungen von Adolph Levysohn, New York,              9 Heiratsdaten ab 1816 – 1867, Geburten aus der
  und Josef Fischer, Kopenhagen, in der Stammtafel-             Franzosenzeit sowie 1811 – 1865 und Sterbedaten
  sammlung der Hamburger Gesellschaft für jüdische              1816 – 1868 sind in den Datenbanken der Hamburger
  Genealogie e.V.                                               Gesellschaft für jüdische Genealogie e.V. zu finden.
4 Stammtafel Alfredo Cassuto, S. 7.                          10 Alfredo Cassuto, wie Anm. 2, S. 10.

                                               Ralph Busch
           „Auch nach Finkenwerder habe er sich nicht getraut.“
      Anmerkungen zum Novemberpogrom 1938 auf Hamburgs „Elbinsel“ Finkenwerder

In der Nacht vom 9. auf den 10. November                     gedauert, bis dieses Lügenkonstrukt in der
1938 kam es in allen Teilen des Deutschen                    Historiografie widerlegt war.
Reichs zu Ausschreitungen gegen Juden                              Folgt man den vorliegenden „heimat-
und jüdische Einrichtungen. An vielen Or-                    geschichtlichen“ Publikationen aus Finken-
ten – so auch in Hamburg – dauerte diese                     werder, so sind diese Ereignisse an der
Äußerung eines angeblich „spontanen                          ländlich-kleinstädtischen „Insel“ am Rande
Volkszorns“ noch in den folgenden Tagen                      Hamburgs vollends vorbeigegangen. Hier
an. NSDAP-, SA- und SS-Trupps, Gestapo                       gab es, so der nahegelegte Schluss, keine Ju-
und Polizei, auch Hitlerjugend und andere                    den, keine jüdischen Geschäfte, keine Syna-
NS-Organisationen waren in zentral orga-                     goge. Von Antisemitismus, gar Ausschrei-
nisierter Weise auf die jüdische Bevölke-                    tungen am 9./10. November 1938, wurde
rung losgelassen worden.                                     nichts berichtet, weil, so die weitere Folge-
       Für Hamburg hat Gauleiter und                         rung, nichts zu berichten war.1
Reichsstatthalter Kaufmann nach 1945 die
Legende aufgebracht, er habe solche Ge-                      Spärliche Hinweise
waltakte in der Hansestadt unverzüglich er-                  Eine Synagoge, die zu zerstören gewesen
folgreich unterbunden. Es hat viele Jahre                    wäre, gab es in Finkenwerder allerdings

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„Auch nach Finkenwerder habe er sich nicht getraut.“

nicht. Die Zahl der Einwohner jüdischen            wegen auswandern mußte.“ Es handelte sich
Glaubens, wie abseits der Städte üblich, ist       um den Apotheker Otto Schottländer.3
äußerst gering gewesen – anders als in Alto-             Einen Namen hat dagegen eine Fin-
na oder im Hamburger Stadtgebiet. In Fin-          kenwerder Familie, die beiläufig von einem
kenwerder gab es seit Langem nur ganz we-          Zeitzeugen genannt wird. Ihm fiel ein, dass
nige Personen, die sich als Juden verstanden       in der Ostfrieslandstr. 16, in seiner Nach-
oder als solche bezeichnet wurden.2 Hinwei-        barschaft, „eine Familie Grünwald gelebt
se auf sie sind nur in geringer Zahl vorhan-       habe, die irgendwann abgeholt worden sei
den. So beispielsweise die Erwähnung eines         und nie wieder gesehen wurde“. Welches
„namenlosen“ Apothekers, an den sich der           Schicksal sich hier möglicherweise andeutet
Finkenwerder Einwohner Ewald Goltz                 und in welche Zusammenhänge es einzu-
(1909 – 1983) – ein einstiger NSDAP-               ordnen wäre, ist ungeklärt.
Parteigenosse – erin-
nert hat. In einem au-
tobiografischen      Be-
richt beschreibt er
„Bilder aus der Kind-
heit“, darunter auch
das folgende: „Da war
auch noch der Apothe-
ker, der mir gern seine
vielen Flaschen, die in
seinem Laden stan-
den[,] und seine Waa-
ge zeigte, mit der er
ganz feine Dinge ab-
wägen [sic!] konnte.
Dieser feine und mir
vornehm erscheinende
freundliche Herr hat es
später sehr schwer ge-
habt, weil er seiner jü-
dischen Abstammung

   Harry Reuß Löwenstein
   und Gretchen Wohlwill
            (rechte Seite).
       Fotos: Staatsarchiv
          Hamburg, 720-1
Plankammer, 215 Re 1151
           und 215 Wo 87

22                                      !"#$%&'(')&"**+&*
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