Versicherungsforen-Themendossier - Schadentrends im Fokus: Cyberrisiken, Digitali-sierung und Dienstleistersteuerung - Versicherungsforen Leipzig
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Versicherungsforen-Themendossier Nr. 3/2016 | 15. Februar 2016 Schadentrends im Fokus: Cyberrisiken, Digitali- sierung und Dienstleistersteuerung S3 S7 S12 Cyberrisiken: Aktuelle Phä- Interview: Innovation in Mobile Schadenregulierung nomene und neues Gefähr- der Versicherungswirtschaft von Gebäudeschäden dungspotenzial und die Rolle des Schaden- managements
Abstract Der Orkan »Niklas« Ende März letzten Jahres zeigte wieder zum Standort, zur Wetterlage oder auch durch die Einbin- ganz deutlich, dass ein einziges Naturereignis ein enormes dung von Online-Bezahlsystemen. Hier spielen Kooperatio- Schadenausmaß haben kann. Laut dem GDV war »Niklas« für nen mit spezialisierten Dienstleistern eine wesentliche Rolle. rund ein Drittel der Schäden im Jahr 2015 verantwortlich und Die Dienstleistersteuerung ist ein Thema, das die Versicherer kostete die Versicherungswirtschaft rund 750 Millionen Euro. nach wie vor sehr beschäftigt. Sie sind mehr und mehr da- Nach vorläufigen Zahlen des Verbands fielen die Schäden bei, Dienstleisternetze für die Bearbeitung ihrer Schadenfälle insgesamt höher aus als im Vorjahr, was sich auch in einem aufzubauen oder sich an ihnen zu beteiligen. Anstieg der Combined Ratio und einem geringeren versiche- rungstechnischen Ergebnis niedergeschlagen hat. Vor allem Neben den Chancen, die die zunehmende digitale Vernet- die Wohngebäudeversicherung, das Sorgenkind der Branche, zung bereithält, entstehen eben dadurch auch neue Risiken. ist regelmäßig von solchen Großereignissen betroffen. In einer vernetzten Welt entsteht durch Cyber-Kriminalität ein Bedrohungsszenario von besonderem Ausmaß. Laut dem Der steigende Kostendruck, aber auch die höheren Erwar- Allianz Risk Barometer 2016 führen Cyber-Angriffe die Rang- tungen des Kunden, der an allen Kommunikationsschnitt- liste der Emerging Risks an. Ein neuer Bedarf an Versiche- stellen (egal ob Vertragsabschluss oder Schadenmeldung) rungsschutz entsteht, die Angebote sind heute aber noch einen nahtlos funktionierenden Kundenservice und Online- recht dünn gesät, was sicherlich auch daran liegt, dass den Kontaktmöglichkeiten erwartet, zwingen die Versicherer zu Versicherern bislang die Erfahrungswerte fehlen. Verbesserungen in allen Bereichen der Wertschöpfungskette. Dabei bietet die Digitalisierung den Versicherern neue Poten- Im aktuellen Themendossier greifen wir diese Themen auf ziale zur Steigerung der Kundenzufriedenheit und zur Sen- und schauen auf künftige Entwicklungen im Schadenmana- kung des Schadenaufwands, bspw. durch die Erfassung von gement. Schäden durch den fachkundigen Experten per Video oder Chat, die Nutzung zusätzlicher Daten etwa Informationen Inhaltsübersicht Cyberrisiken: Aktuelle Phänomene und neues Gefährdungspotenzial 3 Interview: Innovation in der Versicherungswirtschaft und die Rolle des Schadenmanagements 7 Interview: Schadenmanagement bei Naturereignissen 10 Mobile Schadenregulierung von Gebäudeschäden 12 Senkung der Schadenkosten im Gebäudeschaden 14 Vom Schadenmanager zum Systemanbieter in der (Wohn-)Gebäudeversicherung 16 Versicherungsforen in eigener Sache 18
Cyberrisiken: Aktuelle Phänomene und neues Ge- fährdungspotenzial 46 Millionen Deutsche nutzen mittlerweile ein Smartphone. Begriffe Cyber Crime, Cyber Security, Cyber Risk und Cyber Laut Prognosen steigt die Nutzerzahl bis 2019 jedes Jahr um Terrorism häufig synonym verwendet. Die Definitionspro- 16 Prozent. Noch stärker steigt der darüber stattfindende Da- bleme rühren daher, dass es sich bei Cyberrisiken nicht um tenverkehr (+60,1 Prozent jährlich). Moderne IT und das In- Einzelrisiken, sondern um ein Bündel von verschiedenen Ri- ternet sind aus unserem privaten und beruflichen Leben nicht siken handelt. So beinhaltet der Begriff u.a. Hackerangriffe, mehr wegzudenken. Aus Sicht der Unternehmen bleiben das Computerviren, DDOS Angriffe, Datendiebstahl, Datenverlust Internet of Things und Industrie 4.0 die großen Treiber auf etc. Dabei erstreckt sich das Cyberrisiko nicht nur auf die dem Markt der Informationstechnologie. Einer Studie von klassische IT, sondern auch auf die mobile Kommunikation PricewaterhouseCoopers zufolge will die deutsche Industrie und Social Media. Die Risiken können dabei aus externen bis 2020 40 Milliarden Euro pro Jahr und somit knapp 3,5 oder internen (Mitarbeiter-)Quellen resultieren. Somit kann Prozent ihres Jahresumsatzes für Industrie 4.0 ausgeben. man sagen, dass sich das Cyberrisiko auf die gesamte inter- Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Informationstech- ne und externe Kommunikation, die IT-Netzwerke sowie die nologien, die stetig steigende Zahl von Internetnutzern und Infrastruktur erstreckt. die immer umfassendere Vernetzung und Abhängigkeit der Geräte untereinander bedeuten jedoch hohe Anforderungen Vielschichtig ist auch das mögliche Ausmaß der Schäden an die Sicherheit der IT-Systeme. Cyberrisiken sind kein neu- durch Cyberrisiken: angefangen beim Missbrauch von Kun- es Phänomen; Unternehmen beschäftigen sich – wenn auch deninformationen über Diebstahl geistigen Eigentums bis hin in unterschiedlicher Intensität – seit einigen Jahren intensiv zu Rufschädigungen. Folgen sind wiederum der Imageverlust mit den Gefahren. Auch die Angebote der Versicherer zur durch besagte Datenlecks, finanzielle Einbußen durch den Absicherung gegen Schäden aus Cyberrisiken haben sich Unternehmensstillstand, Diebstahl von Geschäftsgeheimnis- kontinuierlich ausgeweitet. Aufgrund der hohen Sensibilität sen oder operative Einschränkungen durch die Manipulation der Daten fehlen jedoch verlässliche und konsistente Infor- von technischen Geräten. mationen über Schadenfälle und -höhen. Aktuelle Zahlen Unklare Definition Aufgrund der nicht eindeutigen definitorischen Abgrenzung Obwohl Cyberrisiken zunehmend an Bedeutung gewinnen, sind Zahlen über Schäden nur punktuell betrachtbar. Laut besteht bisher keine eindeutige Definition. Auch werden die einer repräsentativen Befragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom Februar 2015 sind Pri- Das stellt aus Sicht der Entscheider ein großes Risiko in Deutschland dar vatpersonen im Gesamtumfang von mehr als 14,7 Millionen 71 67 Computerviren Fällen pro Jahr von Internetkriminalität betroffen. Das ent- 62 66 70 spricht einem Gesamtschaden von 3,4 Milliarden Euro.1 48 49 Datenbetrug im Internet 57 dass andere Staaten (bspw. USA, Das Bundeslagebild Cybercrime2 stellt die jährlich erfassten China) die deutschen Bürger zu sehr 22 19 überwachen Fälle von Cybercrime im engeren Sinn dar. Diese umfassen dass der dt. staat die Bürger zu sehr überwacht 1 Johannes Rieckmann, Martina Kraus: Tatort Internet: Kriminalität verursacht 2013 2014 2015 Bürgern Schäden in Milliardenhöhe, Dezember 2015, online unter: https://www.diw. in Prozent, Basis: Bundesrepublik Deutschland, Abgeordnete und de/documents/publikationen/73/diw_01.c.498298.de/15-12-6.pdf 2 Bundeskriminalamt: Bundeslagebild Cybercrime 2014, online unter: http://www. Führungskräfte in mittleren und großen Unternehmen, Quelle: IfD Allens- bka.de/DE/ThemenABisZ/Deliktsbereiche/InternetKriminalitaet/Lagebilder/lagebil- bach, September 2015 der__node.html?__nnn=true 3
alle Straftaten, die sich gegen das Internet, Datennetze, in- kongress 32C3 massive Sicherheitslücken beim Bezahlen mit formationstechnische Systeme oder deren Daten richten. Für Giro-Karten und Prepaid-Karten demonstriert. Vor mehreren das Jahr 2014 registrierte die polizeiliche Kriminalstatistik tausend Zuschauern zeigten die Berliner, wie die PIN-Ziffern- insgesamt 49.925 Straftaten im Bereich Cybercrime im enge- folge nach der Eingabe ausgelesen werden kann. Außerdem ren Sinn. Darin enthalten sind unter anderem Straftaten aus überwiesen sie live auf der Bühne des Kongresses 15 Euro ‚Computerbetrug’ und ‚Betrug mit Zugangsberechtigungen auf die Prepaid-Karte eines Mobilfunkanbieters und leiteten zu Kommunikationsdiensten’. Die Schäden in diesen beiden einen Zahlungsbetrag auf ein anderes Konto um.7 Fällen belaufen sich auf 36,9 Millionen Euro bzw. 2,5 Millio- nen Euro. Allerdings rechnen Experten damit, dass das Dun- Zwei amerikanischen Hackern ist es gelungen, ein Auto bei kelfeld bei knapp 90 Prozent liegt. voller Fahrt via Mobilfunk zu manipulieren und zu großen Tei- len die Kontrolle über das Fahrzeug zu übernehmen. Mit ihrer Der Bitkom geht davon aus, dass mehr als die Hälfte aller kontrollierten Hacking-Demonstration mit einem Jeep Chero- Unternehmen in Deutschland in den vergangenen zwei Jah- kee wollten die beiden vor Sicherheitsrisiken warnen und die ren Opfer von digitaler Wirtschaftsspionage, Sabotage oder Autobranche aufrütteln.8 Datendiebstahl geworden sind. Nach ihren konservativen Berechnungen beläuft sich der entstandene Schaden für die gesamte deutsche Wirtschaft auf rund 51 Milliarden Euro pro Bewusstsein für Risiken ist vorhanden Jahr.3 Eine Allensbach-Studie vom Herbst 2015 untersuchte die Sicht der Entscheider aus Politik und Wirtschaft zum The- Aktuell bekanntgewordene Schadenfälle … ma Cyber Crime. Demnach stellen Cybergefahren und Da- tenschutzverletzungen unter 20 Risiken aus allen Lebens- Von einem Hackerangriff auf das Netz der Telekom Austria bereichen das größte Risikopotenzial für die Bevölkerung in waren Ende Januar 2016 etwa 2,3 Millionen Festnetz- und Deutschland dar.9 Unter den sieben größten Risiken finden 5,4 Millionen Handy-Kunden betroffen. „Die Dimension eines sich erneut fünf wieder, die mit IT- und Datensicherheit zu- solchen Angriffs ist bislang einmalig” wurde ein Unterneh- sammenhängen: 70 Prozent der Entscheider sehen Compu- menssprecher zitiert. Welchen monetären Schaden die vier terviren als großes Risiko an, 67 Prozent den Datenbetrug im Tage andauernde Überlastung auslöste, wurde nicht be- Internet, 63 Prozent den Missbrauch von persönlichen Daten nannt.4 durch andere Nutzer in sozialen Netzwerken, 52 Prozent den Missbrauch von persönlichen Daten durch Unternehmen. Mehrere Banken in Deutschland haben Mitte Januar 2016 vorsorglich Kreditkarten von Kunden ausgetauscht, um Be- Auch das Allianz Risk Barometer 201610 spiegelt diese Wahr- trug vorzubeugen. Allein bei der Commerzbank waren 15.000 nehmung wider. Während weltweit Cyberangriffe auf Platz 3 Karten betroffen, bei der Comdirect 20.000, die Postbank der Top Business Risks 2016 steht, sehen Kanada, die USA tauschte sogar 50.000 Karten aus. Die Banken hatten von und Südafrika hier die größte Risikogefährdung. Darüber hi- der Kreditkartenorganisation Hinweise erhalten, dass Dritte naus stehen Cyberangriffe auf Platz 1 der Emerging Risks. möglicherweise unberechtigt in den Besitz von Kreditkarten- daten gelangt waren.5 Top emerging risks für die langfristige Zukunft Das Pentagon hatte im August 2015 das E-Mail-System ab- ( 10 Jahre +), in % geschaltet. Hintergrund war eine Cyberattacke und betraf ca. 4000 militärische und zivile Mitarbeiter des Generalstabs. Cyberangriffe 33 Der Hackerangriff ist über soziale Netzwerke mit einem au- tomatisierten System verübt worden, mit dem sehr schnell massenhaft Daten abgegriffen werden können, berichtete Betriebsunterbrechung 11 ein Nachrichtensender.6 Terrorismus 9 … und zwei interessante Hacking-Demonstrationen Quelle: Allianz Risk Barometer 2016 Zwei IT-Experten haben im Dezember 2015 bei dem Hacker- 3 Bitkom: Spionage, Sabotage und Datendiebstahl – Wirtschaftsschutz im digitalen Zeitalter, 2015, online unter: https://www.bitkom.org/Publikationen/2015/Studien/ Studienbericht-Wirtschaftsschutz/150709-Studienbericht-Wirtschaftsschutz.pdf 4 Hacker legen Netz der Telekom Austria lahm, 3. Februar 2016, online unter: http:// versicherungswirtschaft-heute.de/schlagzeilen/hacker-legen-netz-der-telekom- 7 Massive Sicherheitslücken bei Giro- und Prepaid-Karten, 28. Dezember 2015, online austria-lahm/ unter: http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/geld-ausgeben/hacker- 5 Yasmin Osman, Laura de la Motte: Geldhaus muss 15.000 Kreditkarten austau- kongress-32c3-sicherheitsluecken-bei-giro-karten-13987007.html schen, 19. Januar 2016, online unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/ 8 Hackers remotely kill a jeep on the highway, 21. Juli 2015, online unter: http:// banken-versicherungen/commerzbank-geldhaus-muss-15-000-kreditkarten-austau- www.wired.com/2015/07/hackers-remotely-kill-jeep-highway/ schen/12852278.html 9 IfD Allensbach: Cyber Security Report 2015, Dezember 2015, online unter: http:// 6 Pentagon schaltet E-Mail-System ab, 7. August 2015, online unter. http://www.faz. www.ifd-allensbach.de/uploads/tx_studies/Cyber_Security_Report_2015.pdf net/aktuell/politik/ausland/amerika/e-mail-system-im-pentagon-gehackt-13738336. 10 Allianz Risk Barometer 2016, Januar 2016, online unter: http://www.agcs.allianz. html com/assets/PDFs/Reports/AllianzRiskBarometer2016_DE.pdf 4
Absicherung gegen Cyberrisiken Auf die beiden zuletzt genannten Punkte soll im Folgenden verstärkt eingegangen werden, weil sich hier zum Teil voll- Die erste Versicherung gegen Cyberrisiken kam 2011 auf den kommen neue Tatgelegenheiten ergeben. deutschen Markt; heute sind es rund 20 Policen und europa- weit etwa 45.11, 12 Aber auch wenn das Bewusstsein für die Unter den Begriff »Internet der Dinge« fällt auch, dass so- Risiken steigt, können Versicherungsnehmer oft die Reich- genannte »intelligente Endgeräte« (bspw. Kühlschränke, weite des Risikos schwer einschätzen. Cyberversicherungen Fernseher) permanent an das Internet angeschlossen sind bieten keine Allgefahrendeckung, sondern Versicherungs- oder über Sensoren (bspw. in Kaffeemaschinen, Heizung, schutz gegen benannte Einzelrisiken. Ein weiterer Grund für Haustechnik) von außen gesteuert werden können. Aktuelles die vergleichsweise geringe Verbreitung von Cyberpolicen Produktthema für die Versicherungswirtschaft ist der Bereich in Deutschland ist (3,7 Prozent im Jahr 2014, im Gegensatz »Smart Home«, der als Oberbegriff für technische Verfahren dazu verfügen 35 Prozent der Unternehmen in den USA über und Systeme in Wohnräumen und -häusern steht mit dem eine Cyberpolice), dass Verträge nur bedingt standardisierbar Zweck, eine Erhöhung von Wohn- und Lebensqualität, Si- sind und eine individuelle Police erstellt werden muss, was cherheit und effizienter Energienutzung auf Basis vernetzter wiederum die Komplexität der Prozesse erhöht. und fernsteuerbarer Geräte und Installationen sowie auto- matisierbarer Abläufe zu erreichen. Während Versicherer in Cyberbedingungen enthalten regelmäßig mehrere Versiche- erster Linie an Garantieprodukte und Assistanceleistungen rungsfalldefinitionen (für Eigenschadenteil, Haftpflichtteil denken, sollte gleichzeitig über die Gefahren von gehackten oder z.B. Betriebsunterbrechung). Hinzu kommen unter- technischen Geräten nachgedacht werden. Auch hier wird schiedliche Definitionen der versicherten Risiken oder Schä- der Trend vom analogen Einbruch hin zur digitalen Manipula- den. Dies macht die Bedingungen komplex und erschwert tion der Hausgeräte gehen.14 einen Bedingungsvergleich.13 Der Gesamtverband der Deut- schen Versicherungswirtschaft (GDV) hat mit der Entwick- Die elektronische und webbasierte Steuerung von Prozessen lung von unverbindlichen Musterbedingungen begonnen, die ist von essentieller Bedeutung für Unternehmen, vor allem im vor allem kleinen und mittleren Unternehmen eine bessere produzierenden Gewerbe. Die zunehmende Vernetzung, die Vergleichbarkeit erlauben würden. Insbesondere bei KMUs Abhängigkeit vernetzter, sich selbst steuernder Produktions- scheitert die Absicherung jedoch oft an einem nicht ausrei- prozesse und Logistikketten von der Verfügbarkeit der Netze chenden IT-Sicherheitsniveau. und die Problematik der Trennung/Abschottung dieser Netze zum Internet, stellen dabei eine große Herausforderung dar. Die Folge dieser Entwicklung ist eine steigende Abhängigkeit Steigendes Gefährdungspotenzial: Internet der Din- der Unternehmen von der Informationstechnik. Daraus resul- ge und Industrie 4.0 tiert ein sehr hohes Bedrohungspotenzial für die Wirtschaft. Eine Schädigung der IT-Infrastruktur von Unternehmen kann Das Gefährdungspotenzial rührt im Wesentlichen aus vier mittlerweile nicht mehr nur zur Störung der Kommunikation Punkten: Die steigende Zahl der Internetnutzer im Allge- führen, sondern vielmehr auch zum kompletten Produktions- meinen, die steigende Nutzung mobiler Endgeräte, die mit stillstand, was enorme Verluste für die betroffenen Unterneh- dem Begriff »Internet der Dinge« umschriebene Vernetzung men nach sich ziehen würde. Insbesondere die Gefahr der technischer Haushaltgeräte und Kraftfahrzeuge sowie die als digitalen Erpressung von Unternehmen steigt dadurch. »Industrie 4.0« bezeichnete Digitalisierungsumsetzung in den Unternehmen. Aktuelle Phänomene der Cyberkriminalität Welche Aspekte der Digitalisierung fürchten Zu den neuen Entwicklungstendenzen gehören Cybercrime- Unternehmen am meisten? in % as-a-Service und der Diebstahl digitaler Identitäten im Zu- sammenhang mit dem verstärkten Aufkommen von Phishing, Immer raffinierte Cyberangriffe 52 vor allem im Onlinebanking. In diesem Zusammenhang stel- len Botnetze, DoS, Schadprogramme und die organisierte Kriminalität im Untergrund ein hohes Gefährdungspotenzial Datenbetrug oder -diebstahl 50 dar. »Cybercrime-as-a-Service« sind Dienstleistungsangebote der Ausfall entscheidender Infrastruktur 38 Underground Economy und ermöglichen, dass auch unerfah- rene Cyber-Kriminelle schnell Fuß fassen können. Im Schutze Quelle: Allianz Risk Barometer 2016 der Anonymität des Netzes stellt sie eine große Bandbreite an Dienstleistungen zur Verfügung, welche die Durchführung je- der Art von Cybercrime ermöglicht. Dazu gehören beispiels- 11 siehe bspw. Flagmeier, Wilfried: Versicherungshandbuch Betriebliche Versicherun- weise Kommunikationsplattformen zum Austausch von krimi- gen; Sonderheft: Cyber-Versicherungen, August 2014 12 GDV: Mehr Schutz gegen Hacker, 17. Juni 2015, online unter: http://www.gdv. de/2015/06/mehr-schutz-gegen-hacker/ 13 Christian Drave: Möglichkeiten und Grenzen der Versicherung von Cyberrisiken, 14 Cybercrime: Die Polizei NRW im Kampf gegen Computerkriminelle, September Juli 2014, online unter: http://www.wilhelm-rae.de/sites/default/files/pdf/versiche- 2015, online unter: http://www.mik.nrw.de/fileadmin/user_upload/Redakteure/ rungspraxis_-_moeglichkeiten_und_grenzen_der_versicherung_von_cyberrisiken_-_ Dokumente/Themen_und_Aufgaben/Schutz_und_Sicherheit/cybercrimekongress/ juli_2014.pdf streifecybercrime.pdf 5
nellem Know-how, Anonymisierungsdienste zum Verschleiern AUTORIN der eigenen Identität und »Infection on Demand«, die Vertei- lung von Schadsoftware auf Abruf. Die digitale Identität umfasst alle Arten von Nutzer-Accounts und zahlungsrelevanten Informationen eines Internetnut- zers. Beispiele hierfür sind Zugangsdaten für E-Mail- und Messengerdienste, Onlinebanking und -Händler etc. Phishing ist eine der verbreitetsten Methoden, Zugang zu den Daten Kathleen Joost zu erlangen. Hierunter versteht man alle Versuche, z.B. durch Leiterin Kompetenzteam »Antrag, gefälschte Websites, E-Mails oder Kurznachrichten an per- Vertrag & Schadenmanagement« sönliche Daten eines Internetnutzers zu gelangen und somit Versicherungsforen Leipzig einen Identitätsdiebstahl zu begehen. Ausgehend von einer erfolgreichen Infektion des Opferrechners mit Schadsoftware wie z.B. einem Trojaner kann die digitale Identität abgegrif- fen und von Straftätern missbraucht werden. Beispielsweise können die entsprechenden Daten unmittelbar für eigene kriminelle Zwecke eingesetzt oder auf illegalen Plattformen veräußert werden. Bei Botnetzen handelt es sich um Netzwerke aus Computern, die von Schadsoftware befallen und zusammengeschlossen werden. Ein infizierter Computer (»Zombie-Rechner«) kann dann beispielsweise von Cyberkriminellen ferngesteuert wer- den, andere Computer infizieren oder ganz einfach Milliarden von Spam-Mails versenden, ohne dass sein Besitzer etwas davon bemerkt. Sogenannte Bot-Herder oder Zombie-Hirten steuern dies zentral über das Netz und bieten kriminelle Dienstleistungen gegen virtuelles Geld, z.B. Bitcoins, an. Alternativ-Zombie-Rechner – auf Kommando des Zombie- Hirten fallen zu Tausenden über missliebige Web-Sites her – rufen solange Seiten auf, bis der Web-Server die Last nicht mehr bewältigen kann und seine Arbeit einstellt. Dieses Phä- nomen wird als Denial of Service (DoS) bezeichnet. Fazit Sind Sie ein Zombie? Sie wissen es nicht? Ich auch nicht – und damit geht es uns wie Millionen anderen privaten PC- Nutzern. Wir sind unbemerkt dazu geworden. Mit der zuneh- menden Anbindung von Mobiltelefonen, Uhren, Autos und Kühlschränken an das Internet und die Vernetzung unterei- nander steigt die Gefahr von Cyberangriffen. Erschwerend hinzu kommt, dass der Endkunde sich den Risiken und noch weniger den möglichen (finanziellen) Folgen bewusst ist. Es ist spannend, die Entwicklungen auf dem Privatkundenmarkt zu beobachten, denn selbst wenn sich die Kunden durch den ein oder anderen bekannt gewordenen Fall absichern wollen – Angebote gibt es noch nicht wie Sand am Meer. Der Gewerbe- und Industriekundenmarkt ist hier schon wei- ter, wenngleich Angebot und Nachfrage hier entgegengesetzt auseinanderklaffen. Die Nachfrage nach Cyber-Lösungen, vor allem in mittelständischen Firmen, steigt allerdings. Charak- teristisch für Cyber-Policen ist ihr Multiline-Police-Charakter, der Eigen- und Drittschäden abdeckt. Hier besteht die Her- ausforderung, dass der Bedarf vor der Deckungszusage ge- nau geprüft werden muss und stets einzelfallbezogen erfolgt. 6
Innovation in der Versicherungswirtschaft und die Rolle des Schadenmanagements Interview mit Lennart Wulff, Geschäftsführer Situative GmbH, und Manfred Garreis, Geschäftsführer Crawford & Company GmbH Die großen Kaufhauskonzerne haben die Entwicklung ver- mir stets Gedanken machen, wie man Dinge besser macht schlafen. Nur so war es möglich, dass Onlinekaufhäuser wie bzw. einen gefühlt größeren Nutzen für den Kunden schafft. Amazon und Zalando so schnell zu Handelsgiganten aufstei- In der Regel fallen mir hier viele Beispiele ein, wenn ich mei- gen konnten und Karstadt, Kaufhof und Co. das Leben nun ne Branche mit anderen vergleiche. Im Schadenthema ist so schwer machen. Zwischenzeitlich streben die Versicherer hier der Leistungsfall das klassische Beispiel. Wenn ich z.B. ebenfalls nach Innovationsansätzen. Innovation Labs und bei Amazon oder Zalando ein Produkt bestellt habe, es mir Fintechs sind in aller Munde. Digitale Transformation und In- nicht gefällt oder die Leistung unzureichend ist, gibt es ei- novation erfordern allerdings Mut. Sind die Versicherer mu- nen eindeutigen und klaren Prozess. Binnen Sekunden weiß tig genug? »Wir sind kein Autohersteller mehr« sagte Dieter ich was zu tun ist, nutze den vorbereiteten Retourenschein Zetsche auf der letzten IAA. Wann wird der erste Vorstands- und das Thema ist durch Abgabe des Pakets – das bereits vorsitzende eines großen deutschen Versicherers sagen »Wir für die Rücksendung präpariert war – und einhergehende sind kein Versicherer mehr«, bevor Googlesurance den Markt Erstattung oder neuen Versand der Ware für mich aus Kun- neu sortiert? densicht gelöst. Warum geht es nicht so bequem zu, wenn es zum Leistungsfall im Versicherungsbereich kommt? Leider Lennart Wulff und Manfred Garreis stehen in diesem Inter- hat man hier oft den Eindruck, dass der vormalige Kunde view Rede und Antwort zur Frage, ob Wachstumspotentia- – der regelmäßig seine Prämie überweist – schnell zum Bitt- le in digitalen Geschäftsmodellen möglich sind und wie die steller wird. Das kann in heutigen Zeiten schlichtweg nicht Trägheit in der Schadenregulierung abgelöst werden kann. mehr sein. Als Kunde erwarte ich einen klaren Prozess im Schadenfall, der mir vor Abschluss des originären Produktes Vielleicht ist es für Manche zunächst schwierig, den Zugang aufgezeigt, noch besser vorgelebt wird. Dies geht einher mit zu innovativem Denken zu finden, da man gedanklich in der klaren Regeln für beide Seiten, wer was wann zu tun hat. Im Gegenwart mit all den aktuellen Aufgaben und Problemen Versicherungsfall scheint mir dies nach wie vor eher einseitig genug zu tun hat. Vielleicht braucht es Beispiele, um zu ver- zu Gunsten des Versicherers ausgelegt, der gern nach Be- stehen, was gemeint ist. Was könnten Ihrer Ansicht nach lieben die Regeln bestimmt. Weitere Innovation sind simple Innovationen im Schadenbereich sein? Themen wie die einfache digitale Erfassung von Schäden, das Hinzufügen verfügbarer Daten, die von unabhängigen Wulff: Ich denke, die Mitarbeiter, die sich heute bereits in- Instanzen kommen, wie z.B. Informationen zum Standort, tensiv mit dem Thema Schaden beschäftigen, sind per se zur Wetterlage oder auch die Real-Time-Schadenerfassung Innovationsträger, nur teils durch die betriebliche Brille vor- durch den fachkundigen Experten per Video oder Chat. Al- belastet, was die konkrete Umsetzung neuer Ideen angeht. les technisch wahrlich kein Hexenwerk, nur fehlt es bislang Auch fehlt oft im Rahmen des »Daily Business« schlichtweg gefühlt am Mut aller Beteiligten zur Pilotierung dieser neuar- die Zeit, sich den Themen zu widmen. Hinzukommen gern tigen Ansätze – einhergehend mit dem genauem Messen der die üblichen Hinweise à la »das war schon immer so« oder Resultate: Kostet es mehr oder weniger, ist der Kunde zufrie- auch „kein Budget“, um dem letzten Innovator die Puste zu dener und was hat es an Einfluss auf die Combined Ratio und nehmen. Als Unternehmer eines kleinen Start-ups muss ich den Net Promoter Score des Versicherers? 7
Garreis: Investition in Innovation wird sich auch positiv werden. auf die Ergebnisse und das Wachstum eines Versicherers auswirken. Die Geschwindigkeit ist hier ein ganz wichtiger Auf dem Messekongress in Leipzig stellen viele Marktteilneh- Faktor. Wenn der Versicherungsnehmer unmittelbar mit der mer ihre Dienstleistungspalette vor. Die Versicherer präsen- Schadenmeldung einen qualifizierten und bevollmächtigten tieren sich ebenfalls in den Vorträgen. Wie schätzen Sie die neutralen Regulierer online bekommt, der über Tools ver- Innovationskraft der Messeteilnehmer ein? fügt, um eine sofortige Schadenregulierung durchzuführen, wird dieser seinen Versicherer gerne weiterempfehlen. Wenn Wulff: Ich bin das erste Mal dabei und freue mich sehr, man unmittelbar in den Online-Regulierungsprozess Betrugs- durch den Event einen aktuellen Stand zu bekommen, wie es erkennungsmodule einbaut, ist die unmittelbare Betrugs- um das Thema Innovation im Schadenbereich steht. Die Ver- abwehr zum Wohle der Versichertengemeinschaft und der anstaltung weckt also meine Neugierde und bietet mir den Combined Ratio des Versicherers umsetzbar. Die Einbindung perfekten Rahmen für Research rund um das Thema Scha- von Naturalersatz schafft weitere Optionen der Schadenre- denregulierung 2.0. gulierung, ebenso wie ein Erstattungsweg über Online-Be- zahlsysteme oder etwa Geschenkgutscheine. Vor zwei Jahren Garreis: Wir sind seit Anbeginn der Messe dabei. Über die hatte ich in Leipzig ein Online-Besichtigungstool live in einer Jahre ist sie außergewöhnlich schnell gewachsen und bietet Demo vorgeführt. Die Resonanz darauf war gleich Null. Das die ideale Plattform zur Kommunikation und Ideenaustausch. hat mich sehr überrascht, aber bestätigt, was Herr Wulff zu- Aber was ist an tatsächlich Neuem dabei herausgekommen? vor gesagt hat. Wenn ich Innovation sage, meine ich wirklich Neues – et- was, an das zuvor niemand gedacht hat. Klar, dass Prozesse Was könnte man von anderen Branchen lernen? verbessert und verfeinert wurden. Neue Dienstleister sind aufgetaucht und einige haben wirklich gute neue Angebote Wulff: Von anderen Branchen kann man effiziente Prozesse entwickelt. Vielleicht erwarte ich auch zu viel, aber wirklich oder auch das Einholen von Feedback lernen. In der heutigen Revolutionäres ist meines Erachtens nicht passiert, da – so – vom Kunden stark beeinflussten – Welt ist es entscheidend, mein Gefühl – wenig echtes Interesse und der Mut für Neues dass man fortlaufend lernt und in der Lage ist, dem Kunden besteht, sondern jeder nur seinen eigenen kleinen Interes- aufzuzeigen, dass man mit seiner Kritik umgeht und die not- senbereich wahrnimmt, ohne das „big picture“ zu sehen. Um wendigen Schlüsse zieht. Die Digitalisierung führt auch zu Ihre Frage zu beantworten: Meines Erachtens ist da noch einer nie dagewesenen Transparenz, diese fehlt dem Kunden sehr viel Luft nach oben. heute noch sehr im Versicherungsbereich. Der Schadenbe- reich ist an sich die Königsklasse im Rahmen der nachhalti- Abschließend die Frage, welche Herausforderungen Sie bei gen Begeisterung des Kunden. Versicherer und Intermediäre, der Umsetzung von Innovationen in der Versicherungswirt- die hier einen guten Job machen – ob mit internen Ressour- schaft sehen. Was wären Ihre Key Messages an unsere Le- cen oder durch die Kombination mit den richtigen Partnern –, ser? brauchen sich keine Gedanken machen, ob sie ihre Kunden jedes Jahr neu über den Preisvergleich akquirieren müssen. Wulff: Die Herausforderung besteht darin, sich von ange- Den Schadenprozess kann man sogar bei der originären An- staubten Pfaden, Mitteln und Wegen sowie Prozessen im werbung des Kunden als positives Argument verwenden, z.B. Schadenbereich zu verabschieden bzw. diese kritisch zu hin- mit entsprechenden Leistungsversprechen und Anlaufstellen terfragen – und zwar aus dem Blickwinkel des Kunden. Den (Prozess), die auf Basis von bereits bestehenden Kunden Tunnelblick kennt jeder, der einmal mehr als drei Jahre inten- entsprechend auf ihre Qualität und Kundennutzen abge- siv eine konkrete Thematik begleitet hat. Herausfordernd ist klopft und verbessert wurden. Ein schönes Beispiel hierfür nun den Mut zu haben, sich mit Personen hinzusetzen, die sind Amazon-Bewertungen, in denen Kunden auch mittei- eine freie – teils naive – Sichtweise auf die bestehenden Din- len, wenn die Ware defekt ankam, dann aber schnell über ge haben, mit dem Bewusstsein, dass man auf Sachverhalte Amazon bzw. den Händler ausgetauscht und erneut versandt treffen wird, die verbessert werden müssen. Auf der ande- wurde. So sieht Kundenservice und dauerhafte Zufriedenheit ren Seite führt besagtes kritisches Durchleuchten der beste- aus. henden Wege mit klarem Fokus auf den Kunden dazu, dass etwaige Frustration und verkrustete Strukturen aufbrechen Garreis: Ich kann mich dem nur anschließen. Bei Amazon und Raum für Innovation und Kundennutzen freigegeben und Ebay wird sehr deutlich, wie sehr um die Kundenzufrie- werden. Ein Fehler hierbei kann sein, dass man sich direkt denheit gebuhlt wird. Im Netz aufgetauchte negative Be- den großen Baustellen widmet, statt das Vorgehen und die wertungen beeinflussen das Kaufverhalten nachhaltig. Dies entsprechende Leidensfähigkeit erst einmal an den kleineren ist bei Versicherern noch nicht angekommen, da zwischen Baustellen zu pilotieren. Im Rahmen der Projekterfahrung Kauf und Lieferung des Produkts ein sehr langer Zeitraum und idealerweise gewonnenen positiven Erkenntnissen bzw. vergehen kann. Es ist jedoch absehbar, dass sich dies bald messbaren Ergebnissen ist der notwendige Schwung vorhan- ändern wird. Der Net Promotor Score findet noch viel zu we- den, um auch die immer größeren Baustellen ins Auge zu nig Beachtung, da er für potentielle Kunden zu anonym ist. fassen. Externe Hilfe ist hier als Starthilfe und Ratgeber zu Dies wird sich ändern, wenn sich erst einmal persönliche Be- verstehen, hinsichtlich der Bereitstellung effizienter moder- wertungen über Leistungen im Schadenfall etabliert haben ner Methoden und Prozesse, die bereits an anderer Stelle 8
positives bewirkt haben. Garreis: Ich befürchte, dass der Leidensdruck der Versiche- rer noch nicht ausreicht, die Bereitschaft zur Selbstreflexion und -kritik zu erhöhen. Wie so häufig muss erst einmal je- mand damit beginnen, damit andere schnell folgen. Ein Be- ginn erfordert Mut, wer bringt diesen als erster auf? Lennart Wulff und Manfred Garreis haben sich auf den unge- wöhnlichen Weg gemacht, Vertrieb und Schaden gemeinsam abzubilden und veranschaulichen das in ihrem Vortrag auf dem Messekongress Schadenmanagement & Assistance am 20. April 2016. Lennart Wulff Manfred Garreis Gründer & Geschäftsführer Geschäftsführer Situative GmbH Crawford & Company GmbH 9
Schadenmanagement bei Naturereignissen Interview mit Birgit Kaufmann, Functional Sales Consultant bei Guidewire Die verschiedenen Naturschadenereignisse in den letzten bearbeiten zu können. Auch interne Schadengutachter soll- Jahren deuten darauf hin, dass die Intervalle zwischen den ten schnell vor Ort sein. Dies kann erheblich zu einer zügigen Schadenereignissen kürzer werden. Zudem tragen der Klima- Schadenregulierung beitragen und Folgeschäden minimieren. wandel, die Urbanisierung sowie die steigenden Vermögens- Wichtig ist dabei ein zentrales System, das alle Informationen werte der Versicherungsnehmer zu immer höheren Gesamt- einheitlich sammelt und aufbereitet. Das spart dem Versi- schäden im Elementarbereich bei. Im Interview haben wir cherer nicht nur Zeit, sondern vermeidet auch Fehler bei der mit Birgit Kaufmann, Functional Sales Consultant bei Guide- Bearbeitung. Zusätzlich sollten Versicherer eng mit einem wire, darüber gesprochen, was aufgrund von Kumulschäden Rückversicherer zusammenabreiten, die seit über 40 Jahren auf die Versicherer zukommt und welche Möglichkeiten die Forschungen zu Naturrisiken betreiben. So können Versiche- Digitalisierung bei der Schadenverhütung und -regulierung rer den bestmöglichen Versicherungsschutz für ihre Kunden bereithält. und sich selbst gewährleisten. Naturereignisse der vergangenen Jahre zeigen immer wieder, Mit Hilfe von Big Data und Business Analytics können Risi- wie schwer ganze Regionen von einem Unwetter getroffen koszenarien künftig genauer modelliert und auf Basis von werden können. Glauben Sie, dass wir in Deutschland ver- Daten aus Geoinformationssystemen bessere Prognosen mehrt mit extremen Wetterlagen rechnen müssen? Und was getroffen werden. Wie schätzen Sie diese Entwicklung und bedeutet das für Versicherer? den Status quo in der Branche ein? Wo liegen die größten Herausforderungen? Kaufmann: Wir sehen weltweit einen Trend zur Zunahme von Naturereignissen und auch 2015 war ein Jahr der Na- Kaufmann: Versicherungsgesellschaften besitzen einen rie- turkatastrophen für Deutschland – so errechnete der GDV sigen Schatz an Daten. Die Herausforderung besteht darin, beispielsweise einen versicherungs-technischen Schaden von diese Daten auszuwerten und entsprechend zu nutzen. Dies rund 750 Millionen Euro für Orkan »Niklas«, der damit unter gilt auch im Bereich der naturwissenschaftlichen Risikobe- den fünf schwersten Stürmen in Deutschland in den vergan- wertung: Mit Geoinformationssystemen können einzelne Da- genen 15 Jahren rangiert. Entsprechend sollte man sich auch tensätze beispielsweise zu Bestandsdaten, Schadenfällen, in unseren Breiten rüsten, um auf Katastrophen angemessen Zonierungsdaten für Hochwasser oder soziodemographi- reagieren zu können. Für Versicherer bedeutet das, dass sie schen Daten zusammengeführt werden. Dadurch nimmt die sich vermehrt auf Kumulereignisse und deren Bearbeitung Transparenz bei der Risikoeinschätzung zu. Und durch mehr einstellen sollten. Transparenz wird es nicht nur möglich, den stärker werden- den Kundenwunsch nach individuellen Prämien und speziell Wenn ein Kumulereignis – wie das Hochwasser im Jahr 2013 zugeschnittenen Produkten zu bedienen, sondern auch das – über die Versicherungsunternehmen hereinbricht, bedeutet Schadenmanagement möglichst kosteneffizient zu gestal- das für sie häufig den Ausnahmezustand. Wie können sich ten. In der Vergangenheit und auch heute bieten Rückver- Versicherer am besten auf solche unvorhersehbaren Ereig- sicherungsgesellschaften weltweites Risikomanagement für nisse vorbereiten? Naturrisiken an, denn auch diese haben großes Interesse daran, ihr Portfolio möglichst transparent und risikobewusst Kaufmann: Versicherungsunternehmen sollten sich auf der- zu steuern. artige Szenarien bereits vorab einstellen. Dazu gehört bei- spielsweise, dass vordefinierte Personengruppen zur Scha- Der Versicherungsnehmer kann oft schon präventiv Vorkeh- denerstaufnahme aktiviert werden, um die Masse an Fällen rungen treffen, um einen Schaden zu verhindern oder zu- 10
mindest einzudämmen. Wie kann der Kunde stärker ins Boot alle Systeme und Kanäle ohne Datenduplizierung wird in Zu- geholt werden, wenn es um solche Maßnahmen, vor allem kunft die entscheidenden Wettbewerbsvorteile für die Gesell- aber auch um die Prävention geht? schaften bringen – je schneller Informationen erhältlich, je schneller Dienstleister beauftragt, jede schneller Betrugsfälle Kaufmann: Häufig kann der Versicherungsnehmer schon identifiziert und je schneller und eindeutiger Schadenfälle vor Eintritt des Ereignisses proaktiv zur Schadenminderung reguliert werden, desto mehr Kapazitäten stehen den Unter- beitragen. Dabei sollte ihn sein Versicherer unterstützen: nehmen für strategische Ziele zur Verfügung. Erhält der Versicherungsnehmer zum Beispiel im Falle eines Sturms Informationen über die Wetterlage mit einigen Hand- Bei allen positiven Aspekten der Digitalisierung darf man am lungsempfehlungen, kann ihm das schon einen Schaden er- Ende jedoch nicht die Fachkompetenz der Schadensachbear- sparen. Dieser partnerschaftliche Kontakt des Versicherers beiter außer Acht lassen. Der Mensch ist mit Unterstützung mit seinem Kunden ist ein wichtiger Faktor, um Kundenbin- der verschiedenen Technologien immer noch der Garant für dung zu schaffen und zu bestärken. Dies wirkt auch dem erfolgreiches Schadenmanagement und wird damit auch in allgemeinen Trend der geringer werdenden Kundenloyalität Zukunft seinen festen Platz in der Schadenbearbeitung ha- entscheidend entgegen. ben. Wie kann die Digitalisierung dazu beitragen den gesamten Schadenprozess kundenfreundlich und gleichzeitig kostenef- fizient zu gestalten? Wo liegen die größten Handlungsfelder für die Zukunft? Die Nachfrage nach individuell angepassten Self-Service-An- geboten steigt durch die Digitalisierung merklich. Dies ver- ändert auch die Schadenprozesse und den direkten Kontakt Birgit Kaufmann zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer: So entste- Functional Sales Consultant Guidewire hen zunehmend digitale Schadenbearbeitungsportale, über die Schadenmeldungen via App erfolgen können. In der Pra- xis kann ein Versicherungsnehmer zum Beispiel im Fall eines Schadens die Schadenmeldung direkt per App absetzen, Fo- tos vom Schaden mitschicken und die ersten Dokumente mit Informationen zu Schadenart, Entstehung oder Beteiligten direkt ausfüllen und an den Versicherer übertragen. Auch der direkte Kontakt zum Sachbearbeiter wird so deutlich einfa- cher und die Kommunikation kundenfreundlicher, schneller und kosteneffizienter. Dahinter muss selbstverständlich ein leistungsstarkes System stehen, das direkt mit dem Kernsys- tem kommuniziert und die Daten geordnet zusammenführt. Das ermöglicht eine effiziente und schnelle Schadenbearbei- tung, die den Kundenservice besser macht – und den Kunden noch zufriedener. Und zum Schluss: Welche Trends und Innovationen werden das Schadenmanagement der Zukunft prägen? Kaufmann: Die Entwicklung in anderen Ländern zeigt, dass Trends wie z.B. Telematik oder der Einsatz von Drohnen in der Schadenbearbeitung auf dem Vormarsch sind. Allerdings sind Versicherer erst dann in der Lage, die Vorteile aus die- sen neuen Möglichkeiten auszuschöpfen, wenn sie die tech- nologischen Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Ein Großteil der deutschen Versicherungsunternehmen kämpft momentan noch mit den Herausforderungen ihrer veralteten IT-Systeme. Durch die Digitalisierung wird sich das Schadenmanage- ment der Zukunft auf jeden Fall verändern. Versicherer legen zunehmend Wert auf eine 360°-Sicht auf ihre Kunden, um Versicherungsnehmern den Service bieten zu können, den sie erwarten. Eine echte End-to-End-Kommunikation über 11
Mobile Schadenregulierung von Gebäudeschäden Das Schadenmanagement ist eine der größten Kostenpositi- Der Zugriff auf die Schadenfälle ist nicht ortsgebunden und onen für Sachversicherungsunternehmen. Gleichzeitig ist es mit jedem Endgerät – ob Smartphone, Tablet oder Laptop einer der Faktoren, die die Zufriedenheit der Versicherungs- – mit entsprechendem Internetzugang möglich. Die so ga- kunden und damit auch das Image des gesamten Unterneh- rantierte Vollständigkeit der Dokumentation sowie die deut- mens ganz entscheidend beeinflussen. Die Schwierigkeit für lich verbesserte Genauigkeit und Qualität der Kalkulationen Versicherer besteht darin, dass Schadenabwicklung und -re- (Input-Validierung etc.) vermeiden zeitraubendes Nacharbei- gulierung traditionell von heterogenen und wenig flexiblen ten und Abstimmungsschleifen zwischen Innen- und Außen- Systemen sowie einer Fülle von manuellen, zum Teil papier- dienst. gestützten Prozessen abhängig sind. Diese Strukturen erwei- sen sich nicht nur als relativ kompliziert, teuer und intrans- Technische Weiterentwicklungen wie Diktierfunktionen mit parent, sondern sind auch extrem zeitaufwendig und damit intelligenter Spracherkennung, die Möglichkeit, Laser-Dis- wenig effizient. tanzmessgeräte oder Wärmebildkameras mittels Bluetooth an das mobile Endgerät anzuschließen oder die Schadenauf- Um auch im Bereich Schadenmanagement Geschäftserfolge nahme per Video zu dokumentieren, erleichtern die Arbeit zu erzielen, sollte in innovative und moderne Technologien zusätzlich. für die Schadenregulierung investiert werden. Schadenab- teilungen stehen unter dem permanenten Druck, ihre Kos- tenquote für die Schadenabwicklung zu reduzieren und die Positive Auswirkungen für Handwerker und Sanierer Abläufe im Schadenbetrieb zu optimieren. Entsprechend gilt es bei der Erfassung, Verwaltung und Weiterleitung von Fall- Handwerker und Sanierer sind in der Lage, durch die Ver- zuweisungen an interne Mitarbeiter und Drittanbieter (zum fügbarkeit aktueller Marktdaten und ortsüblicher Preise zügig Beispiel Schadenregulierer, Handwerker oder Sanierungsun- zu kalkulieren und korrekte Angebote zu erstellen. Sämtliche ternehmen) neue Wege zu gehen. schadenrelevanten Informationen sind für alle Beteiligten jederzeit einsehbar, sodass doppelte Dateneingaben sowie Dafür sind nicht nur technische Lösungen als Unterstützung Abweichungen zwischen Angeboten und Kalkulationen ver- notwendig, sondern ist ein gut durchdachtes und auf die Un- mieden werden. Die Preis- und Prozesstransparenz sorgt für ternehmensziele abgestimmtes Change-Management uner- eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Handwerkern, Re- lässlich. Der Einsatz von neuen Technologien hat immer auch gulierern und Versicherungen und bedeutet für alle Seiten Auswirkungen auf die beteiligten Akteure und ihre Arbeit. eine Win-win-Situation. Die Vorteile für Versicherer und Mitarbeiter Wie profitieren Versicherungsnehmer? Ein System für die mobile Schadenregulierung wickelt Scha- Das transparente Vorgehen des Regulierers vor Ort und die denprozesse standardisiert und damit für die Versicherungen damit verbundene Nachvollziehbarkeit der Schadenaufnah- deutlich kostengünstiger ab. Mit derart neuen technischen me führen zu deutlich höherer Zufriedenheit auf Seiten der Lösungen können Mitarbeiter bequemer die vom Unterneh- Versicherungsnehmer. Schadenbearbeitungszyklen werden men definierten Anforderungen erfüllen. Die Schadenaufnah- deutlich reduziert, Berichte stehen zeitnah oder sogar direkt me ist jederzeit nachvollziehbar, alle Daten auf einen Blick vor Ort zur Verfügung und Schäden lassen sich schnell und verfügbar. Bei der Kalkulation von Schadenumfängen stehen unkompliziert regulieren. aktuelle Preisdaten mit regionalem Bezug zur Verfügung, so- dass Mitarbeiter vor Ort fallabschließend arbeiten können. 12
Herausforderungen der mobilen Schadenregulierung AUTOR Neben der Auswahl der richtigen Technik und Lösung ist ein durchdachtes Change-Management der zentrale Erfolgsfak- tor: Die betroffenen Akteure (Regulierer, Sachverständige, aber auch Sachbearbeiter) müssen frühzeitig einbezogen und die Anforderungen genau diskutiert und definiert wer- den. Es empfiehlt sich, stets eine Testphase mit einer Gruppe von Akteuren vorzuschalten, um die Prozesse bestmöglich an Michael Rodenberg die Regulierungspraxis anzupassen. Wichtig ist es in diesem Leiter Sachschaden Zusammenhang, vor allem auch Kolleginnen und Kollegen zu Referent Mobile Schadenregulierung involvieren, die nicht so technikaffin und in der Nutzung von Eucon GmbH Tablets und Smartphones noch unsicher sind. Wenn die in- tuitive Bedienbarkeit eines modernen Systems auch voraus- gesetzt werden kann, so ist der grundsätzliche Umgang der Akteure mit den mobilen Endgeräten und Apps als Basis zu schulen und auch im späteren Prozess zu begleiten. Bei der konkreten Umsetzungsplanung sind regelmäßige Ab- In Kooperation mit der Firma Xactware bietet Eucon eine stimmungen und transparente Kommunikationsprozesse zu Lösung für die mobile Schadenregulierung an. berücksichtigen. Sofern im Unternehmen noch nicht existent, müssen technische und vor allem rechtliche Voraussetzungen für den Einsatz von mobilen Endgeräten geschaffen werden. Die aktive Gestaltung der Change-Management-Prozesse ist nicht nur lohnenswert, sondern im Falle der mobilen Scha- denregulierung ein zwingender Schritt Richtung Zukunft. Das Fazit Das Schadenmanagement ist ein kostspieliger, aufwendiger und zeitraubender Prozess für jeden Sachversicherer. Da- bei kommt der Vereinheitlichung und Beschleunigung der Informationsflüsse zwischen allen Schadenbeteiligten eine entscheidende Bedeutung zu. Moderne Schadenregulie- rungstechnologien gewährleisten eine effiziente Erfassung, Weiterleitung und Verwaltung von auf aktuellen Marktdaten (Preisen, Arbeitswerten, Stundenverrechnungssätzen) basie- renden Kalkulationen für interne Mitarbeiter und Drittanbie- ter. So können Versicherer den Kosten- und Zeitaufwand für die Schadenbearbeitung und -regulierung enorm reduzieren und Leistungen im Schadenservice werden wesentlich trans- parenter. Insbesondere in einer Zeit wachsender Schadenvo- lumina, in der der Kostendruck schwerer als je zuvor auf der Schadenabwicklung lastet, ist dies elementar. Die Wahl der richtigen technologischen Lösung kann von ge- schäftsentscheidender Bedeutung sein. Sie muss sich nicht nur anpassen und nahtlos in das bestehende interne Scha- denmanagementsystem integrieren lassen, sondern Versi- cherern auch helfen, ihre Schadenorganisation nachhaltig zu verbessern. 13
Senkung der Schadenkosten im Gebäudeschaden – Bestandsaufnahme und Potentiale durch inte grierte Steuerung Trotz intensiver Bemühungen der Versicherungswirtschaft Der Bereich Leitungswasser ist dabei aufgrund der Regel- zur Sanierung der Sparte Wohngebäudeversicherung bleibt mäßigkeit der Schadenfälle verhältnismäßig gut planbar und diese weiterhin das Sorgenkind der Branche. Die Versicherer kann entsprechend der übergeordneten Schadenstrategie op- leiden vor allem unter Leitungswasserschäden, weil Gebäude timiert werden. So haben sich in den zurückliegenden Jahren immer älter werden und viel zu wenig in die Modernisierung eine aktive Schadensteuerung durch frühzeitige Einbindung der wasserführenden Systeme investiert wird. Zudem belas- von internen oder externen Schadenregulierern bzw. Sach- ten Unwetterereignisse die Situation. Angesichts des Klima- verständigen, das Hinzuziehen von qualifizierten Partnern wandels muss außerdem damit gerechnet werden, dass es in der Leckageortung, Trocknung und Sanierung sowie eine zukünftig in höherer Frequenz zu extremen, nicht selten lokal begleitende Angebots- und Rechnungsprüfungen als wesent- auftretenden Sturm- und Hagelereignissen kommt. liche Optimierungspotentiale herausgebildet. Versicherungen mit hinreichendem Schadenvolumen und (regionaler) Größe Eine weitere Erscheinung des Klimawandels sind zunehmen- setzen darüber hinaus auf eine aktive Dienstleistersteuerung de Schäden durch Starkregen (über 20 Liter/m² pro Tag) und bzw. auch selbständig, aufgebaute und koordinierte Hand- damit einhergehende Überschwemmungen. Starkregener- werkernetze. eignisse mit immensen Schäden können bereits als jährlich wiederkehrende Phänomene erachtet werden. Das bestätigt Relativ wenig Beachtung wird dagegen noch dem Bereich eine vom Umweltbundesamt im November 2015 veröffent- der Prävention geschenkt, also dem Erkennen von bestehen- lichte umfassende Vulnerabilitätsanalyse zur Gefährdung den Risiken. Dabei bietet gerade die Kontrolle der Gebäude durch den Klimawandel. Bemerkenswert ist, dass die Häufig- das größte Potential, um Schadenfällen vorzubeugen und keit von Elementarschäden in Regionen außerhalb der bishe- eine risikoadäquate Tarifierung vorzunehmen, aber auch im rigen Hochwasserzonen (also Gebieten mit besonderem Ri- Hinblick auf eine gezielte Reaktion im (wiederholten) Scha- siko von Flusshochwasser) ansteigen wird. Gerade in diesen denfall. Erfahrungen mit entsprechenden Konzepten zeigen, Regionen sind die vorhandene Bausubstanz sowie vielfach dass diese Kontrolle seitens der Versicherungsnehmer positiv auch die praktizierte Bautechnik aber überhaupt nicht auf wahrgenommen wird und zu einer Erhöhung der Kunden- die neuen Herausforderungen vorbereitet, was wiederum zu zufriedenheit führt. Nicht zuletzt kann festgestellt werden, höheren Schäden führt, wenn es zum Eintritt von Schadener- dass eine gezielte Information der Kunden über bestehende eignissen kommt. technische Mängel dazu beiträgt, dass erforderliche Instand- setzungsmaßnahmen durchgeführt werden, wodurch das Angesichts dieser eher ungünstigen Rahmenbedingungen Schadenrisiko der jeweiligen Gebäude reduziert wird. stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten Versicherer ha- ben, die Schadenkosten zu reduzieren. Im Hinblick auf die Die aktuell unter dem Stichwort Smart Home vielfach disku- absolute Schadenhöhe und Anzahl der Schadenfälle sollte tierten Möglichkeiten der intelligenten Vernetzung der Haus- hierbei den Bereichen Leitungswasser, Kumulschaden sowie systeme bieten sicherlich ein gewisses Potential z.B. bei der im Besonderen auch den häufig auftretenden regional be- schnellen Reaktion auf eingetretene Schadenfälle. Allerdings grenzten Schadenereignissen (durch Sturm-/Hagel- und Ele- erscheint es doch zweifelhaft, dass die grundsätzlichen Pro- mentarschäden) mit teils massiven Schäden eine besondere bleme der Sparte Leitungswasser angesichts eines Bestands Beachtung geschenkt werden. von fast 20 Millionen Wohngebäuden in Deutschland durch 14
die vereinzelte Installation hochvernetzter Haustechnik kurz- Die Ausgestaltung der Schadensteuerung ist von der kon- fristig zu bewältigen sind. kreten Ausgangssituation sowie den vorhandenen Ressour- cen jeder Versicherung abhängig. Dabei sollte gezielt auf die Ein mögliches Potential in der Minderung von Leitungswas- Kapazitäten und Qualifikationen von spezialisierten Dienst- serschäden bieten auch technische Installationen wie elek leistern zurückgegriffen werden. Gerade die angesprochene trische Absperrventile, allerdings erfordern diese zunächst notwendige Ausrichtung der Schadenorganisation auf die Investitionen von mehr als 1.000,- EUR. Zudem können diese Reaktionsfähigkeit bei Kumulereignissen sowie die unter im Schadenfall allenfalls die eintretenden Folgeschäden min- Kostenaspekten erforderliche Optimierung der internen Per- dern, verhindern aber nicht den Eintritt von Schadenfällen. sonalkapazitäten lässt sich ohne den Einsatz externer Leis- tungspartner praktisch kaum realisieren. Generell lassen sich die größten Einsparungseffekte in den Schadenkosten durch eine qualifizierte Besichtigung zur Ab- Aus Führungsperspektive sollte kritisch erörtert werden, ob grenzung versicherter Schäden und Kostenkontrolle sowie die oben umrissenen Elemente der internen Schadensteue- den Einsatz qualifizierter technischer Dienstleistungspartner rung tatsächlich aus eigener Kraft und Struktur der jeweili- für die Erstversorgung und Wiederherstellung erzielen. Auch gen Versicherung heraus realisiert werden können oder ob aus Kundenperspektive besteht zunehmend die Erwartung die angestrebten Ziele im Schadenmanagement der Wohn- an die Versicherungen, dass diese den Schadenfall aktiv be- gebäudeversicherung nicht durch eine gezielte Outsourcing- gleiten. Werden diese Möglichkeiten konsequent genutzt, Strategie unter Würdigung der vorhandenen internen fachli- können Versicherer die Schadenkosten aktiv begrenzen und chen Ressourcen schneller und nachhaltiger erreicht werden gezielt vertraglich gebundene Dienstleistungspartner einset- können. zen. Der Schadenfall bietet insofern für die Versicherung das große Potential, die Kundenbindung deutlich zu erhöhen, Im Ergebnis steigen auch die Anforderungen an die einge- wenn die Versicherung bzw. die eingebundenen Dienstleister setzten Dienstleistungspartner im Hinblick auf Fach- und Be- als Helfer wahrgenommen werden. ratungskompetenz, Organisations- und Prozessorganisation sowie die Fähigkeit zur Integration weiterer Leistungspart- Ein noch weitgehend ungenutztes Potential liegt in der inte- ner in den Gesamtprozess. Wesentlich ist dabei die Fähigkeit grierten Schadensteuerung, die nach unseren Erfahrungen der Dienstleister die Implementierung leistungsfähiger IT- ein weiteres Kostensenkungspotential von ca. 30 Prozent Anwendungen und digitaler Geschäftsprozesse umzusetzen. besitzt. Die integrierte Schadensteuerung beschreibt dabei Zukünftig werden damit die heute noch gängigen Bereiche die Vernetzung der vorhandenen internen Ressourcen sowie Beratung, IT und Dienstleistung stärker verschmelzen. Dies der eingesetzten externen Leistungspartner nicht nur über ist eine erfreuliche Perspektive für die Versicherungswirt- vertragliche Vereinbarungen und Service Level Agreements, schaft, denn mit der zunehmenden Leistungsfähigkeit der sondern durch eine integrierte und weitgehend digitalisierte Prozesspartner werden sich auch die Schadenkosten in der Prozessorganisation sowie die optimierte Vernetzung sämtli- Wohngebäudesparte optimieren lassen. Strategisch besteht cher Prozessbeteiligter untereinander. für die Versicherungen die Anforderung darin, frühzeitig die Weichen zu stellen und konkrete Zielsetzungen und Umset- Die integrierte Schadensteuerung sollte dabei die folgenden zungsstrategien zu formulieren, um den Veränderungspro- Elemente umfassen: zess einzuleiten. 1. Aktives Ressourcen- und Dienstleistermanagement AUTOR Qualifikation und Fokussierung der internen Ressour- cen, intensive Auswahl und Betreuung der eingesetzten Dienstleister, Ressourcen- und Organisationsplanung, permanente aktive Steuerung 2. Kontinuierliches Qualitätsmanagement und Prozessopti- mierung Integration von Kanban- bzw. Scrum-Elementen: Erhö- hung der Transparenz im Schadenprozess, Definition Bruno Hohmann von Zielen/Messpunkten zur Beurteilung des Leistungs- Geschäftsführer fortschritts, kontinuierliche Anpassung der Abläufe und EXCON Insurance Services GmbH Vorgehensweisen 3. Integrierte Prozesslandschaft Optimierung der Prozessabläufe über reine Service Le- vel Agreements hinaus und digitale Vernetzung sämtli- cher Prozessbeteiligten, Reduzierung von Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Systemlandschaften 4. Fachliche Exzellenz Regelmäßige Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen in Fachthemen, Prozessen, Technik und Systemen 15
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