Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns

Die Seite wird erstellt Hildegard-Juliane Benz
 
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Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Aus den Staatlichen
Naturwissenschaftlichen
Sammlungen Bayerns
2020

EIN BLICK IN DIE
FORSCHUNG
Raupendarm und Dinokopf:
Forschung an ungewöhnlichen Orten

WIEDERENTDECKT IN
UNSEREN SAMMLUNGEN
Historischer Milzbrand und 220 Jahre
alte fleischfressende Pflanze

IM FOKUS
2020 - mehr als nur Corona: zwei
runde Geburtstage und ein Fossil
des Jahres

                                       www.snsb.de
Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Die Museen der Staatlichen Naturwissenschaftlichen
Sammlungen Bayerns

Geologisches Museum München
Luisenstraße 37 · 80333 München
Tel.: 089/21 80 - 66 30 · Fax: 089/21 80 - 66 01
geomuseum@snsb.de · bspg.palmuc.org

Jura-Museum Eichstätt
Willibaldsburg · 85072 Eichstätt
Tel.: 08421/602 98 - 0 · Fax: 08421/602 98 - 35
sekretariat@jura-museum.de · www.jura-museum.de

Museum Mensch und Natur
Schloss Nymphenburg · 80638 München
Tel.: 089/17 95 89 - 0 · Fax: 089/17 95 89 - 100
museum@musmn.de · www.mmn-muenchen.de

Museum Mineralogia München
Theresienstraße 41 · 80333 München
Tel.: 089/21 80 43 - 12 · Fax: 089/21 80 43 - 34
mineralogische.staatssammlung@snsb.de · www.mineralogische-staatssammlung.de

Naturkunde-Museum Bamberg
Fleischstraße 2 · 96047 Bamberg
Tel.: 0951/863 12 - 49 · Fax: 0951/863 12 - 50
info@naturkundemuseum-bamberg.de · www.naturkundemuseum-bamberg.de

Paläontologisches Museum München
Richard-Wagner-Straße 10 · 80333 München
Tel.: 089/21 80 - 66 30 · Fax: 089/21 80 - 66 01
palmuseum@snsb.de · bspg.palmuc.org

RiesKraterMuseum Nördlingen
Eugene-Shoemaker-Platz 1 · 86720 Nördlingen
Tel.: 09081/847 - 10 · Fax: 09081/847 - 20
rieskratermuseum@noerdlingen.de · www.rieskrater-museum.de

Urwelt-Museum Oberfranken
Kanzleistraße 1 · 95444 Bayreuth
Tel.: 0921/51 12 - 11 · Fax: 0921/51 12 -12
verwaltung@urwelt-museum.de · www.urwelt-museum.de

Botanischer Garten München-Nymphenburg
Menzinger Straße 61-65, 80638 München
Tel.: 089/178 61 - 316 (Info), - 350 (Kasse), - 310 (Verwaltung) · Fax: 089/178 61 - 340
botgart@snsb.de · www.botmuc.de

                                                                              Fortsetzung auf der hinteren Umschlaginnenseite
Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Discovering
Planet Earth
and its
Biodiversity

»Die Forschungstätigkeiten an den SNSB
sind eng mit ihren Sammlungsaktivitäten
verflochten. Die Sammlungsobjekte bilden
den Ausgangspunkt für Analysen und
belegen zugleich dauerhaft die
Ergebnisse der Forschung.«
(Aus: SNSB Forschungskonzept)

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Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Vorwort

          Liebe Leserin, lieber Leser,               ben. Vielfältig wurde dabei aus der Not
                                                     eine Tugend gemacht und eine ganze
          Unser im letzten Jahr erstmals erstell-    Reihe von Digitalangeboten erstellt, die
          tes „Jahresecho – Aus den Staatlichen      auch „nach Corona“ wirksam bleiben
          Naturwissenschaftlichen Sammlungen         sollen: Filme, Webangebote für alle
          Bayerns“ informiert Sie nunmehr jedes      Altersstufen, virtuelle Rundgänge und
          Jahr über Höhepunkte und herausra-         Führungen, Blogs, Galerien, sogar
          gende Leistungen des vergangenen           einen virtuellen Adventskalender und
          Jahres aus unseren Staatsammlungen         eine Ausstellungseröffnung hat es
          und Museen.                                gegeben. Das Museum „Reich der Kris-
                                                     talle“ wird seine Öffentlichkeitsarbeit
          Natürlich hatte die Corona-Pandemie        als „Museum Mineralogia München“
          auch in unseren Reihen vielfältige         fortsetzen.
          Behinderungen und Einschränkung
          zur Folge. Das betraf vor allem die Öff-   Die von der LMU geleitete Planung
          nungsmöglichkeiten des Botanischen         des Neubaus für das Department für
          Gartens und unserer Museen, aber           Geo- und Umweltwissenschaften im
          auch viele Kongress- und Forschungs-       Bereich Schillerstraße/Pettenkoferstra-
          reisen. So wurde auch die Eröffnung        ße der Münchner Innenstadt mit den
          des BIOTOPIA-Labs auf 2021 verscho-        SNSB-Sammlungen aus Paläontologie,

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Geologie und Mineralogie schreiten        unser IT-Zentrum ist hier an mehreren   BSPG) eingebracht. Aber auch die
voran. Gleiches gilt für die umfang-      deutschlandweiten und internationalen   Grabungen unserer Regionalmuseen
reiche Sanierung und Neukonzep-           Datenstruktur-Projekten (MOBILISE,      in Ettling, Mistelgau und in Wattendorf
tion des Jura-Museums in Eichstätt        NFDI4Biodiversity) in führender Rolle   haben neue spektakuläre Fossilfunde
gemeinsam mit dem lokalen Träger,         beteiligt. Die Zoologische Staats-      erbracht.
der Katholischen Universität Eichstätt-   sammlung widmet sich mit dem
Ingolstadt. Die Generalsanierung          angelaufenen „German Barcode of Life    Die interne Strukturreform der SNSB
der Zoologischen Staatssammlung           III: Dark Taxa-Projekt“ insbesondere    konnte substanziell vorangebracht
München (SNSB-ZSM), kombiniert mit        der vielfach unerforschten Insekten-    werden. Schon im Frühjahr 2020 wur-
der Kompaktierung mehrerer Magazi-        Kleinfauna unseres Landes. Furore       de klar, dass BIOTOPIA als Nachfolger
ne wird uns aber noch das ganze Jahr      machte der Fund eines vermutlich auf-   des Museums Mensch und Natur und
2021 einschränken.                        recht gehenden Menschenaffen „Udo“      die SNSB auf Dauer zusammenbleiben
                                          (Danuvius guggenmosi) im Allgäu,        sollen, das Tor zur breiten Öffentlich-
Trotz Corona-Krise sind die For-          die dort weiter geführten Grabungen     keit bleibt damit weit offen. Die IT-
schungs- und Publikationsleistungen       unter der Leitung von Frau Prof. Dr.    Kompetenz der Zentralverwaltung und
der SNSB-Wissenschaftler*innen            Madelaine Böhme (Univ. Tübingen) mit    das Forschungsmarketing der SNSB
ungebrochen eindrucksvoll, auch zahl-     insgesamt mehreren 1.000 Fundstü-       konnten deutlich verbessert werden,
reiche Drittmittelprojekte und Pres-      cken werden in die Sammlungen der       ein SNSB-weites Sammlungsassess-
semitteilungen mit großer Resonanz        Bayerischen Staatssammlung für          ment wurde auf den Weg gebracht,
bringen dies zum Ausdruck. Speziell       Paläontologie und Geologie (SNSB-       eine neue, deutlich gestraffte und

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bezüglich der Substrukturen homoge-       men. Mit 1. Januar 2021 begrüßen           Ausstellungen, Führungen und Vorträ-
nisierte Dienstordnung tritt demnächst    wir mit Frau Prof. Dr. Gudrun Kadereit     gen zum Normalbetrieb zurückkehren
in Kraft. Fortgeführt wurde die erfolg-   die neue Direktorin der Botanischen        zu können – helfen Sie uns dabei!
reiche Maßnahme zur Forschungsför-        Staatssammlung und des Botani-
derung „SNSB-Innovativ“, die bereits      schen Gartens. Sie ist im Hauptamt         Prof. Dr. Gerhard Haszprunar
eine Reihe spannender Pilotprojekte       Lehrstuhlinhaberin für Systematik, Bio-    Generaldirektor der SNSB
als Grundlage für Drittmittel-Einwer-     diversität und Evolution der Pflanzen
bung hervorgebracht hat. All das war      an der LMU München. Ihrer Vorgän-
nur durch den Bayerischen Pakt für        gerin, Frau Prof. Dr. Susanne Renner,
Forschung und Innovation mit dem          wünschen wir für den Ruhestand alles
Bayerischen Staatsministerium für         Gute.
Wissenschaft, Forschung und Kunst
möglich, der die Finanzgrundlagen         So wünsche ich nun viel Freude beim
dafür geschaffen hat.                     Lesen unserer Erfolgsgeschichten in
                                          diesem Heft. Die Corona-bedingten
Wir heißen Frau PD Dr. Christina Ifrim    Einschränkungen werden uns vermut-
herzlich willkommen. Sie hat im Febru-    lich auch weit ins Jahr 2021 hinein
ar 2020 die wissenschaftliche Leitung     begleiten. Wir sind aber zuversichtlich,
des zu Jahresbeginn wiedereröffneten      im Laufe dieses Jahres zumindest im
Jura-Museums Eichstätt übernom-           öffentlichkeitswirksamen Bereich mit

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Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Inhalt
VORWORT ......................................................................................................................... 4

EIN BLICK IN UNSERE FORSCHUNG .......................................................................... 8

ETWAS BESONDERES AUS UNSEREN SAMMLUNGEN ....................................... 24

AUS UNSEREN AUSSTELLUNGEN ............................................................................ 32

SNSB IM FOKUS ........................................................................................................... 35

MENSCHEN ................................................................................................................... 40

ZAHLEN UND FAKTEN ................................................................................................ 42

WISSENSCHAFTLICHE PUBLIKATIONEN ............................................................... 45

IMPRESSUM .................................................................................................................. 58

                                                                                                                               77
Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Ein Blick in
unsere Forschung

Der Speiseplan tropischer Raupen
Bisher gibt es für tropische Länder                oder um eine Futterpflanze handelt.            die Beziehungen südamerikanischer
nur sehr wenige Studien über die                   Von den meisten Schmetterlingslarven           Schmetterlinge zu ihren Futterpflanzen
Beziehungen von Schmetterlings-                    gibt es bisher keine eindeutigen Fraß-         - und zwar anhand der genetischen
larven zu ihren Futterpflanzen, denn               nachweise, und man weiß nicht, wie             Analyse ihres Darminhaltes. Für die
eine exakte Erforschung des natürli-               breit das Spektrum ihrer natürlichen           Studie wurden in einem ersten Schritt
chen Fressverhaltens von Raupen ist                Futterpflanzen ist. Bisherige Studien          130 Raupen von fast 50 Bäumen rund
äußerst schwierig. Das hat vor allem               zeigen, dass nur für weniger als 10%           um die biologische Forschungsstation
praktische Gründe: So sind gerade die              der tropischen Schmetterlingsarten             Panguana im Regenwald von Peru
schwer zugänglichen Baumkronen der                 bekannt ist, auf welche Futterpflanzen         untersucht. Ihre Proben erhielten die
natürliche Lebensraum vieler Raupen,               sie spezialisiert sind.                        Forscher durch sogenanntes gezieltes
und die Suche nach den überwiegend                                                                „Fogging“ (Benebeln) von ausgesuch-
nachtaktiven Arten ist dort für For-               In einer Pilotstudie erforschten               ten Baumkronen mit natürlichem Pyre-
scher kein leichtes Unterfangen. Häu-              Dr. Axel Hausmann, Kurator für                 thrum. Die so gefangenen Raupen, der
fig bleibt dabei unklar, ob es sich bei            Schmetterlinge, und weitere Wissen-            Inhalt ihres Darms sowie die befoggte
einem Raupenfund auf einer bestimm-                schaftler der Zoologischen Staats-             Baumart wurden später im Labor
ten Pflanze nur um einen Rastplatz                 sammlung München (SNSB-ZSM)                    genetisch analysiert und identifiziert

      Zahnspinnerraupe (Lepidoptera, Notodontidae) aus dem Tieflandregenwald Amazoniens im Naturschutzgebiet der biologischen For-
      schungsstation Panguana, Peru. (Foto: Robert Trusch)
Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Asselspinnerraupe Panguana Station, westliches Amazonien, Peru (Foto: Juliane Diller, SNSB-ZSM)

- mit einem überraschenden Ergebnis:             Die molekulare Identifizierung der                   Publikation:

Entgegen der bisherigen Annahme                  Raupen, ihrer Wirtspflanze, sowie die                Hausmann A, Diller J, Moriniere J, Höcherl A, Floren
scheinen sich nur 20% der in der Pilot-          Analyse ihrer Darminhalte und somit                  A, Haszprunar G (2020) DNA barcoding of fogged
                                                                                                      caterpillars in Peru: A novel approach for unveiling
studie untersuchten Larven direkt von            ihrer Nahrung liefern wichtige Einblicke
                                                                                                      host-plant relationships of tropical moths (Insecta,
dem Baum ernährt zu haben, auf dem               in die Ernährungsbiologie der Schmet-                Lepidoptera). PLOS ONE 15(1): e0224188.
sie saßen. Im Darm der überwiegenden             terlingsraupen. Solche umfassenden                   https://doi.org/10.1371/journal.pone.0224188
Mehrheit der Tiere ließen sich verdaute          Analysen ganzer Ernährungssysteme
Reste von Lianen, Epiphyten und Moo-             könnten auch für die Schädlingsbe-
sen oder von benachbarten Bäumen                 kämpfung in der Land- und Forstwirt-
nachweisen – Forscher sprechen hier              schaft von großem Nutzen sein und
vom sogenannten „alternative feeding“.           zur Anwendung kommen. Gerade
Das bedeutet, die meisten Raupen                 in diesen Bereichen ist man darauf
ernähren sich von anderen Pflanzen               angewiesen, die Nahrungsspektren
und nicht vom benebelten Baum.                   pflanzenfressender Insekten möglichst
                                                 genau zu kennen, z.B. im Falle von
Hausmann und seine Kollegen arbeiten             Massenvermehrungen bestimmter
inzwischen bereits an einem Folgepro-            Insekten, die unter Umständen große
jekt der Pilotstudie. Sie wollen insbe-          wirtschaftliche Schäden anrichten
sondere die Methodik verbessern, um              können. Die Erforschung von vernetz-
mögliche Fehlerquellen zu minimieren.            ten Nahrungsketten, sogenannten
Es wird beispielweise untersucht,                „food-webs“, ist insbesondere für das
inwieweit in der Laboranalyse durch              Verständnis komplexer ökologischer
spezielle Vorbehandlung der einzelnen            Zusammenhänge unerlässlich. Durch
Raupen Kontaminationen minimiert                 diese Kenntnisse lassen sich auch ein-
werden können. Die Darminhaltsana-               zigartige Ökosysteme besser schützen                     Forschungsstation Panguana
lyse von bisher weiteren 200 Raupen              und die noch verbliebenen Tropenwäl-                     mitten im Regenwald von Peru. Die
                                                                                                          Artenvielfalt Panguanas ist eine
aus dem Tropenwald rund um die                   der unseres Planeten erhalten.
                                                                                                          unerschöpfliche Quelle für spannende
Panguana-Station bestätigte den in der           Text: Dr. Axel Hausmann, ZSM                             Forschungsarbeit. (Foto: Juliane Diller,
Pilotstudie ermittelten hohen Prozent-                                                                    SNSB-ZSM)
satz von „alternative feeding“.

                                                                                                                                                         9
Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
Im Kopf eines Dinosauriers
 Wenn man an große Raubdinosaurier                  Unvollständigkeit des Skeletts lag. Bei             Einen wichtigen Einblick in die Le-
 denkt, hat man meist Tiere wie Tyran-              einem Bombenangriff auf München                     bensweise eines Tieres können seine
 nosaurus oder Allosaurus vor Augen:                während des Zweiten Weltkriegs wur-                 Sinnesorgane und Hirnstruktur geben.
 mächtige Riesen mit einem kräftigen,               den neben vielen weiteren Fossilien                 Eine Arbeitsgruppe um Marco Schade
 massiven Schädel. Es gibt allerdings               auch die Überreste von Spinosaurus                  und unter Leitung von Prof. Oliver Rau-
 eine Gruppe von Raubdinosauriern, die              zerstört.                                           hut von der Bayerischen Staatssamm-
 mit ihrer extremen Größe von bis zu                                                                    lung für Paläontologie und Geologie
 18m selbst den berühmten Tyran-                    Erst während der letzten 30 Jahre                   (SNSB-BSPG) hat im Rahmen einer
 nosaurus rex noch in den Schatten                  haben neue Funde weitere Erkennt-                   Masterarbeit den Hirnschädel eines
 stellen - die Spinosauriden.                       nisse zu dieser Dinosauriergruppe                   Spinosauriers genauer untersucht. Da-
                                                    erbracht, obwohl ein vollständiges                  für durchleuchteten die Forscher am
 Das erste Exemplar von Spinosaurus                 Skelett bis heute fehlt. Paläontolo-                Deutschen Herzzentrum München und
 fand und beschrieb der Münchener                   gen kennen heute neben seinem                       bei Zeiss Messtechnik in Essingen mit
 Paläontologe Ernst Stromer von                     Körperbau – Spinosaurus gehört zu                   hochauflösenden Computertomogra-
 Reichenbach im Jahr 1915, damals                   den größten bekannten Raubsauriern                  phen den vollständigsten bekannten
 Konservator an der Bayerischen                     und besaß ein auffälliges Segel auf                 Schädel eines Spinosauriers. Der Kopf
 Staatssammlung für Paläontologie                   dem Rücken – auch mehr über die                     gehört dem mittelgroßen Raubsaurier
 und Geologie (SNSB-BSPG). Er ent-                  Schädelanatomie des Sauriers. Sein                  Irritator aus der Unteren Kreidezeit (vor
 deckte auf einer seiner Expeditionen               Schädel war eher niedrig und langge-                ca. 115 Mio. Jahren) von Brasilien.
 in Ägypten die fossilen Reste eines                streckt mit einer schmalen Schnauze,                Die CT- Daten erlaubten es, die Form
 damals noch unbekannten Raubsau-                   im Gegensatz zum mächtigen, kräftig                 des Gehirns und seiner umgebenden
 riers. Obwohl die Funde Stromers,                  gebauten Schädel eines Tyrannosau-                  Gewebe sowie die Bogengänge des
 bis zu 1,50m hohe Rückenwirbel, die                rus. Aufgrund dieser Schädelform und                Innenohrs von Irritator zu rekonstru-
 gewaltige Größe dieser Tiere anzeigte,             der Ähnlichkeit mit einigen Krokodil-               ieren. Letztere spielen für die Balance
 fand Spinosaurus unter Paläontologen               Schädeln wird vermutet dass sich                    und Bewegung eines Tieres eine große
 weniger Beachtung als andere große                 Spinosaurier eventuell von Fischen                  Rolle.
 Raubsaurier, was vermutlich an der                 ernährten.

       Rechte Schädelhälfte des Spinosauriers Irritator challengeri
       Eine Arbeitsgruppe um Prof. Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) hat
       im Rahmen einer Masterarbeit den Hirnschädel dieses Spinosauriers genauer untersucht. (Foto: Marco Schade)

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CT von Irritator challengeri
      Computertomographie der linken Schädelhälf-
      te des Spinosauriers Irritator challengeri.
      Farblich hervorgehoben sind das Innenohr
      (gelb) und eine damit assoziierte Gehirn-
      region, der sogenannte Flocculus. Letzterer ist
      bei heutigen Tieren hauptsächlich für die Fi-
      xierung der Augen bei Kopfbewegungen wich-
      tig und war bei Irritator stärker ausgeprägt als
      bei anderen großen Raubdinosauriern.
      (Foto: Marco Schade)

      Dinohirn in 3D
      Die dreidimensionale Rekonstruktion zeigt,
      dass die generelle Form des Gehirns bei
      Spinosauriern jener anderer großer Raubdino-
      saurier entsprach.
      (Rekonstruktion: Marco Schade)

Die dreidimensionalen Rekonstruk-                        gerichteter Schnauze gehalten wurde,       Publikation:

tionen zeigten, dass die generelle                       ähnlich wie bei Störchen. Dadurch          Schade M, Rauhut OMW, Evers SW (2020) Neuro-
                                                                                                    anatomy of the spinosaurid Irritator challengeri
Form des Gehirns bei Spinosauriern                       wurde das Sichtfeld über der Schnau-
                                                                                                    (Dinosauria: Theropoda) indicates potential adap-
jener anderer großer Raubdinosaurier                     ze frei, was dem Tier eine bessere         tations for piscivory. Scientific Reports 10: 9259
entsprach. Interessant sind jedoch                       Fixierung von möglichen Beutetieren        https://doi.org/10.1038/s41598-020-66261-w

die Befunde am Innenohr und einer                        erlaubte. Diese Eigenschaften waren
assoziierten Gehirnregion, dem so-                       für ein Tier, das sich darauf spezi-
genannten Flocculus. Letzterer ist bei                   alisiert hat, kleinere Beutetiere mit
heutigen Tieren hauptsächlich für die                    schnellen Bewegungen des Halses
Fixierung des Fokus bei Kopfbewe-                        und Kopfes zu packen, sicherlich von
gungen wichtig und war bei Irritator                     großem Vorteil. Die Befunde, so sagen
stärker ausgeprägt als bei anderen                       die Forscher, unterstützen die Interpre-
großen Raubdinosauriern. Zusammen                        tation, dass Spinosaurier als Raubtiere
mit der Struktur des Innenohres deutet                   auf die Ergreifung kleinerer Beutetiere
dies darauf hin, dass dieses Tier                        wie zum Beispiel Fische spezialisiert
schnelle, sehr präzise Bewegungen                        waren.
mit dem Schädel durchführen konnte,                      Text: Prof. Dr. Oliver Rauhut, BSPG
ohne dabei seine potentielle Beute aus
den Augen zu verlieren. Gleichzeitig
zeigt der Aufbau des Innenohres, dass
der Schädel in normaler Körperhal-
tung wohl mit relativ stark nach unten

                                                                                                                                                     11
Italienische Barrenringelnatter (Natrix helvetica sicula) von der oberen Isar. Charakteristisch sind die reduzierten schwarzen
     Zeichnungselemente auf dem Kopf vor den relativ undeutlichen hellen Nackenflecken. Die Barrenzeichnung an den Flanken ist zu einer Reihe
     großer Flecken reduziert. (Foto: Frank Glaw, ZSM)

 Italienische Barrenringelnatter - neue Schlangenart für Bayern
 Auch in unserer vermeintlich gut                    Bayern verbreitet ist, haben Dr. Frank               Loisach bei Garmisch-Partenkirchen,
 erforschten heimischen Fauna warten                 Glaw und Michael Franzen von der                     an der Isar bei Mittenwald, im Inntal
 noch viele spektakuläre Neuentde-                   ZSM zusammen mit Kolleg*innen vom                    und bei Sachrang. Anhand umfangrei-
 ckungen auf die Wissenschaft. So                    Museum für Tierkunde der Sencken-                    cher kerngenetischer Untersuchungen
 haben Reptilienforscher der Zoolo-                  berg Naturhistorischen Sammlungen                    konnten sie nun zeigen, dass die
 gischen Staatssammlung München                      in Dresden untersucht.                               meisten bayerischen Populationen
 (SNSB-ZSM) erst vor kurzer Zeit in                                                                       eine enge Hybridzone aus Mischlingen
 der Alpenregion Bayerns eine bisher                 Konkrete Hinweise auf die Existenz der               zwischen Barrenringelnattern und Rin-
 übersehene Schlangenart entdeckt. Es                Barrenringelnatter (Natrix helvetica) in             gelnattern bilden. Wo die Flüsse aus
 handelt sich um eine besondere Form                 Bayern ergaben sich bereits im Zuge                  den Alpentälern in das Alpenvorland
 der Barrenringelnatter (Natrix helvetica            von Kartierungen des Bayerischen                     übertreten, endet das Verbreitungsge-
 sicula), die bisher nur aus Italien und             Landesamts für Umwelt. Aber erst als                 biet der Barrenringelnatter abrupt und
 den südlichen Alpen bekannt war und                 die Wissenschaftler von der Zoologi-                 nur wenige Kilometer weiter nördlich
 die offensichtlich auch im westlichen               schen Staatssammlung München die                     findet sich nur noch die heimische
 Österreich (Tirol) weit verbreitet ist.             vorhandenen Indizien gezielt über-                   Ringelnatter (Natrix natrix). Die Alpen
 Eine Population dieser genetischen                  prüften und Proben für genetische                    konnten demnach die Ausbreitung der
 Linie hat nach der letzten Eiszeit                  Untersuchungen sammelten, gelang                     Barrenringelnatter nicht aufhalten, die
 anscheinend die Alpen durchquert                    der sichere Nachweis dieser Schlan-                  starke Präsenz der weiter nördlich le-
 und bestätigt so einmal mehr, dass                  genart. Anhand mitochondrialer DNA-                  benden Ringelnattern dagegen schon.
 dieses Gebirgsmassiv für viele Arten                Sequenzen belegten sie die Existenz                  Da die DNA-Sequenzen der Schlangen
 keine unüberwindliche Barriere war.                 der Barrenringelnatter im deutsch-                   vom südlichen und nördlichen Alpen-
 Wie weit die Barrenringelnatter in                  österreichischen Grenzgebiet an der                  rand fast identisch sind, vermuten die

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Experten, dass diese aus Norditalien                 auch „normale“ Ringelnattern vorkom-                  dazu haben an der Zoologischen
über Brenner oder Reschenpass in das                 men. Die Barrenringelnatter wurde                     Staatssammlung schon begonnen.
Inntal bis nach Bayern eingewandert                  erst 2017 aufgrund von genetischen                    Im Rahmen einer Masterarbeit wurde
sind.                                                Untersuchungen als eigenständige                      beispielsweise die morphologische
                                                     Art erkannt. Sie unterscheidet sich                   Variabilität bayerischer Ringelnattern
Solche Einwanderungen sind in der                    von der „normalen“ Ringelnatter oft                   anhand des sehr umfangreichen histo-
Tierwelt nicht ungewöhnlich: Über den                durch eine dunkle Barrenzeichnung                     rischen Belegmaterials in der Repti-
Brenner war auch schon die Mauer-                    an den Körperseiten und eine andere                   liensammlung der ZSM untersucht.
eidechse gekommen, deren nörd-                       Kopfzeichnung, bei der die hellen                     Und die Gummistiefel für die nächsten
lichstes natürliches Vorkommen bei                   halbmondförmigen Nackenflecken nur                    Geländearbeiten stehen schon bereit...
Oberaudorf im bayerischen Inntal liegt.              schwach ausgeprägt sind oder ganz                     Text: Michael Franzen, Dr. Frank Glaw,
Auch deren engste Verwandte waren                    fehlen. Beide Arten variieren allerdings              ZSM
ursprünglich nur aus den südlichen                   sehr stark, so dass ihre Eigenständig-                Publikation:
Alpen bekannt. Die ZSM-Forscher                      keit lange Zeit nicht bemerkt wurde.                  Glaw, F., Franzen, M. Oefele, G. Hansbauer & C.
waren überrascht, dass so eine große                 Alle Ringelnattern sind übrigens völlig               Kindler (2019): Genetischer Erstnachweis, Verbrei-
                                                                                                           tung und südalpine Herkunft der Barrenringelnatter
Schlangenart bisher völlig übersehen                 ungiftig und beißen fast nie, geben
                                                                                                           (Natrix helvetica spp.) in Bayern. – Zeitschrift für
wurde. Zwar lieferte die faunistische                bei Gefahr aber ein stark stinkendes                  Feldherpetologie 26: 1-20
Fachliteratur schon vor einiger Zeit                 Sekret ab.
                                                                                                           Asztalos, M., Glaw, F., Franzen, M., Kindler, C.
Hinweise auf Barrenringelnatter-                                                                           & U. Fritz (2021): Transalpine dispersal: Italian
Vorkommen nördlich der Alpen: schon                  Noch bleiben viele Fragen offen, etwa                 barred grass snakes in southernmost Bavaria
                                                                                                           — This far but no further! Journal of Zoological
seit den 1950er Jahren wurde immer                   zur Gefährdung der Art und ihrer Ver-
                                                                                                           Systematics and Evolutionary Research.
wieder auf die Existenz solcher Tiere in             breitung in der bayerischen Bodensee-                 https://doi.org/10.1111/jzs.12471
Tirol hingewiesen. Doch diese Funde                  Region. Auch wissen die Forscher
wurden damals als Ausdruck einer                     noch nicht, ob die beiden Ringelnatter-
verwirrenden morphologischen                         Arten unterschiedliche ökologische
Variation gewertet, zumal im Inntal                  Nischen besetzen. Intensive Arbeiten

    Typische Kopfzeichnung der in Bayern weit verbreiteten, „normalen“ Ringelnatter (Natrix natrix) zum Vergleich. Die hellen Nackenflecken
    und die breiten, schwarzen Bänder an der Oberlippe sind deutlich erkennbar. (Foto: Michael Franzen, ZSM)

                                                                                                                                                          1313
Biodiversität der Nordadria - zwischen Naturschutz und
Artenschwund

München liegt nun nicht gerade                        Nationalpark und natürlich der ZSM            und inventarisiert in regelmäßigen Ab-
am Meer. Und dennoch - in                             sowie der LMU München. Ein Schwer-            ständen die Arten sowie die Lebensge-
diversen Projekten erforschen                         punkt liegt dabei in der Untersuchung         meinschaften im Brijuni-Nationalpark.
Wissenschaftler*innen der                             des Meeresschutzgebiets des Brijuni-          Die Forscher*innen möchten bei ihren
Zoologischen Staatssammlung                           Nationalparks, einer kleinen Inselgrup-       Untersuchungen so wenig wie möglich
München (SNSB-ZSM) marine                             pe der kroatischen Adria. Dieses ist          störend in die Ökosysteme eingreifen.
Lebewesen und Ökosysteme                              seit einigen Jahrzehnten von mensch-          Daher nutzen sie z.B. Unterwasser-
in nahezu allen Weltmeeren.                           licher Nutzung weitgehend ausgenom-           fotografien sowie andere schonende
Sie untersuchen dort vor allem                        men.                                          Kartierungsmethoden für ihre Analy-
Arthropoden (Gliederfüßer –                                                                         sen. Seit Projektbeginn wurden hierbei
Spinnentiere, Krebstiere, etc.),                      Das Meeresschutzgebiet Brijuni liegt          im Meeresschutzgebiet zum Beispiel
Mollusken (Weichtiere – Schnecken,                    inmitten eines der am stärksten vom           über 100 Arten von Zehnfußkrebsen
Muscheln, etc.) und Fische.                           Menschen beeinflussten Meeresteile,           (Decapoda) und über 200 Weichtierar-
                                                      der Nordadria. Durch seine besondere          ten (Mollusca) wie Meeresschnecken,
Ein großes meeresbiologisches                         Lage ergibt sich für die Forscher*innen       Muscheln, Tintenfische etc. nachge-
Kooperationsprojekt an der ZSM hat                    hier die einmalige Möglichkeit die            wiesen. Aus der Gruppe der Zehnfuß-
die Erforschung der Biodiversität                     nahezu unberührten Ökosysteme                 krebse kommen über zwei Drittel aller
der nördlichen Adria zum Ziel. Das                    des Nationalparks direkt mit einer            jemals in der nördlichen Adria gefun-
Projekt entwickelte sich seit seinem                  Umgebung zu vergleichen, die von              denen Arten im Brijuni-Schutzgebiet
Start 2015 zu einem umfassen-                         Artenschwund und Habitat-Zerstörung           vor. Besonders überrascht haben die
den Netzwerk aus internationalen                      schwer gezeichnet ist. Ein Biologen-          Zoolog*innen die Funde des Pistolen-
Meeresforscher*innen des Ruđer                        Team, darunter Wissenschaftler*innen          krebses Automate branchialis und der
Bošković-Instituts in Rovinj, der Marine              der Sektionen Arthropoda varia,               Buckelgarnele Hippolyte prideauxiana.
Biology Station Piran, dem Brijuni-                   Mollusca und Fische der ZSM, erfasst          Diese beiden Arten wurden in Brijuni

      Dardanus calidus ist der größte mediterrane Einsiedlerkrebs. Der Einsiedler trägt auf seinem Haus mehrere Schmarotzeranemonen
      Calliactis parasitica (Foto: Martin Heß, LMU)
Die Buckelgarnele Hippolyte prideauxiana auf ihrem „Wohnort“, dem Mittelmeerhaarstern Antedon mediterranea. Diese Garnele wurde
   in Brijuni erstmals überhaupt für die gesamte Nordadria nachgewiesen (Foto: Manuel Staggl)

erstmals überhaupt für die gesamte                 einer Rotalgengemeinschaft der               Brijuni-Projekt steht die Vision, die
Nordadria bzw. die kroatische Küste                Tidenzone. Durch GPS-Kartierungen            Biodiversität entlang der kroatischen
nachgewiesen. Die Ergebnisse des                   und Satellitenbild-Analysen wird auch        und slowenischen Abschnitte der
Kooperationsprojektes bilden eine                  das Absterben der Seegraswiesen              Nordadria zu schützen. Der Vergleich
fundierte Basis für den Forschungs-                und anderer mariner Pflanzengemein-          mit den Verhältnissen im Meeres-
bereich „Conservation Research“, Na-               schaften in den intensiv genutzten           schutzgebiet sowie historischen Daten
turschutzforschung. Davon profitiert               Buchten im Vergleich zu den bisher           aus dem letzten Jahrhundert zeigt
nicht nur das Meeresschutzgebiet                   noch stabilen Verhältnissen im Mee-          den Einfluss des Menschen auf die
selbst und seine Erhaltung, sondern                resschutzgebiet untersucht.                  gesamte Region.
auch umliegende Gebiete. Denn Brijuni
ist nicht nur ein Refugium für selten              Die Mannigfaltigkeit des Meeres-             Das Projekt wird dankenswerter Weise
gewordene Arten, sondern auch ein                  schutzgebietes an faszinierenden             finanziell unterstützt von den Freunden
Sprungbrett für die Wiederbesiedelung              Arten, ihre diversen Farben, Formen          der Zoologischen Staatssammlung,
der weiter nördlich liegenden Meeres-              und Lebensweisen wurde 2020 in               MareMundi – Verein zur Förderung der
teile durch Verdriften der freigesetzten           einer Ausstellung auf Brijuni gezeigt.       Meereswissenschaften und dem Sea
Larven mit dem Plankton.                           „Marine Microworlds of Brijuni Natio-        Life München.
                                                   nal Park“ wurde von den Partnern des         Text: Prof. Dr. Roland Melzer, ZSM
Das Projekt umfasst weiterhin meh-                 Kooperationsprojekts entwickelt und          Publikationen
rere Teilstudien über den Vergleich                präsentierte auf zahlreichen Unterwas-       Melzer RR, Heß M, Makovec T, Staggl MA, Mavrič
verschiedener mariner Lebensgemein-                serfotos der Wissenschaftler*innen           B (2019) Hippolyte prideauxiana Leach, 1817: First
                                                                                                record for the Northern Adriatic and observations
schaften im Naturschutzgebiet und                  die Lebewelt Brijunis. Die Ausstel-
                                                                                                on mimetic colouration. Annals for Istrian and
an der benachbarten istrischen Küste.              lung diente in erster Linie dazu, das        Mediterranean Studies Series Historia Naturalis.
Die Meereszoolog*innen von der ZSM                 Interesse der Öffentlichkeit auf die         29: 231-234.

erforschen hier insbesondere die                   Schätze der Natur vor Ort zu richten         Melzer RR, Pfannkuchen M (2020) Das stille
Meeresspinnen (Pycnogonida) des so-                und dadurch für den Erhalt mariner           Sterben infralitoraler Phytalgemeinschaften in der
                                                                                                Nordadria. P. 1076-1079 in: Hofrichter R (ed.) Das
genannten Corallina-officinalis-Saums,             Biodiversität zu werben. Hinter dem
                                                                                                Mittelmeer, Band 1, 2. Auflage.

                                                                                                                                                 15
Die Kleinfrüchtige Moosbeere
     (Vaccinium microcarpum) konnte im Rahmen
     des „Böhmerwald“-Projekts als eine für Deutsch-
     land bisher nicht nachgewiesene Art bestätigt
     werden.
     (Foto: Milan Štech, Univ. České Budějovice)

     Der Blattlose Widerbart
     (Epipogium aphyllum) ist eine von Zeit zu Zeit
     oberirdisch erscheinende Orchidee. Die Pflan-
     ze gehört zu den besonders seltenen Arten.
     (Foto: Wolfgang Diewald)

     Das Resedablättrige Schaumkraut
     (Cardamine resedifolia) Reliktisches Vorkom-
     men im Böhmerwald. Ansonsten kommt diese
     Art nur in den Hochgebirgen Europas vor.
     (Foto: Wolfgang Diewald, SNSB-BSM)

16
Grenzüberschreitende Forschung: Flora des Böhmerwaldes
Der Böhmerwald ist ein biologisch           ihrem SNSB IT-Zenrum. Ein deutsch-         sehr selten ist Epipogium aphyllum, der
einzigartiges Gebiet in Mitteleuropa,       tschechisches Wissenschaftlerteam          Blattlose Widerbart, eine von Zeit zu
das besondere Aufmerksamkeit bei            hat es sich zum Ziel gemacht, gemein-      Zeit oberirdisch erscheinende Orchi-
der Erforschung und Dokumentation           sam sowohl historische floristische        dee. Auch eine für Deutschland bisher
seiner Biodiversität und deren Schutz       Daten der Region zusammenzuführen          nicht nachgewiesene Art konnte im
verdient. Der einheitliche Naturraum        und aufzuarbeiten, als auch die aktu-      Rahmen des „Böhmerwald“-Projekts
„Böhmerwald“ war bis zum Fall des           elle Pflanzenvielfalt durch neue Kartie-   bestätigt werden: Vaccinium microcar-
„Eisernen Vorhanges“ 1990 durch eine        rungen zu ergänzen. Eine Website in        pum, die Kleinfrüchtige Moosbeere.
unüberwindliche politische Grenze           deutscher und tschechischer Sprache
geteilt. Er umfasst das bayerisch-böh-      (https://www.florasilvaegabretae.eu)       Das SNSB IT-Zentrum ist im Projekt
mische Mittelgebirge vom Osser bis          wird Artenlisten, Verbreitung und Häu-     maßgeblich für die Datenverwaltung
zum Ostende des Moldau-Stausees             figkeit der Gefäßpflanzenarten unter       verantwortlich: Die Arbeitsgruppe um
mit markanten Bergen wie Arber,             anderem in Form von Verbreitungskar-       Dr. Dagmar Triebel steuert den Import
Rachel, Lusen, Boubín und Dreisessel.       ten zusammen mit Artensteckbriefen         und das Management der Daten in
Botaniker*innen aus Tschechien, Ös-         präsentieren. Die Zusammenführung          Diversity Workbench-Installationen des
terreich und Bayern begannen schon          sämtlicher Informationen ist von           „Flora-von-Bayern“ Netzwerkes sowie
1990 mit der grenzüberschreitenden          großer Bedeutung, um passende              die technische Bereitstellung von his-
Erforschung des Gebiets. Unter-             Maßnahmen für den Arten- und Öko-          torischen und aktuellen Verbreitungs-
schiedliche methodische Ansätze             systemschutz auf beiden Seiten der         daten der bayerischen Seite des Böh-
und Forschungsschwerpunkte sowie            Grenze entwickeln zu können. Dazu          merwaldes. Neben seiner technischen
sprachliche und politische Barrieren        gehört auch die Überwachung der Be-        Expertise stellt das SNSB IT-Zentrum
begrenzten allerdings die Zusammen-         standsentwicklung von seltenen und         als Teil der Botanischen Staatssamm-
arbeit zwischen den Expert*innen            bedrohten Arten. Eine große Anzahl         lung München (SNSB-BSM) auch
maßgeblich.                                 der Pflanzen im Nationalpark sind          sein botanisches Expertenwissen
                                            gefährdet oder sogar vom Aussterben        zur Verfügung: BSM Botaniker*innen
2018 wurde die grenzübergreifende           bedroht. Eine zweisprachige Regional-      übernehmen die wissenschaftliche
Initiative schließlich auf professionelle   flora als gedruckte Version ist nach       Betreuung der bayerischen Artenlisten,
Beine gestellt: Das Projekt „Flora des      Projektende 2022 geplant.                  die Bestimmung schwieriger Arten,
Böhmerwaldes – Květena Šumavy                                                          die Mitarbeit an Artensteckbriefen und
– Flora Silvae Gabretae“ ging an den        Insgesamt beherbergt der Böhmer-           der Einstufung des Rote-Liste-Status.
Start. Das Projekt will Daten über          wald ca. 1.300 Gefäßpflanzensip-           Datenerhebungen im Gelände erfolgen
die Verbreitung und ökologischen            pen. Dies erscheint im Vergleich zu        mittels der vom SNSB IT-Zentrum
Anforderungen von Gefäßpflanzen             dem dortigen Pilz-, Flechten- und          entwickelten Smartphone App „Diver-
des Böhmerwalds unabhängig von              Moosreichtum nicht sonderlich viel,        sityMobile“.
Landesgrenzen verfügbar machen.             allerdings finden sich darunter etliche
Gefäßpflanzen sind eine wichtige            Besonderheiten: Die Bestände der           Gefördert wird das „Flora des
Komponente dieses Ökosystems: Sie           Vielteiligen Mondraute (Botrychium         Böhmerwalds“-Projekt durch die
dienen als Primärproduzenten vielen         multifidum) beispielsweise gehören zu      Europäische Union im Rahmen des
Lebewesen als Nahrungsquelle und            den individuenreichsten in ganz Mittel-    Programms „Europäische Territoriale
bieten Lebensräume für Insekten             europa. Das in den Hochgebirgen Eu-        Zusammenarbeit“ (ETZ), zur grenz-
und viele andere Tiere. Partner des         ropas vorkommende Resedablättriges         übergreifenden Kooperation zwischen
Projekts sind der Lehrstuhl für Botanik     Schaumkraut (Cardamine resedifolia)        dem Freistaat Bayern und der Tsche-
der Südböhmischen Universität České         war ehemals weiter verbreitet. Im Böh-     chischen Republik.
Budějovice (Budweis), der National-         merwald stellt es ein Gazialrelikt dar.    Text: Wolfgang Diewald, Dr. Dagmar
park Bayerischer Wald, der tschechi-        Zu den besonders seltenen Arten zäh-       Triebel, BSM
sche Nationalpark Šumava sowie die          len das Stachelsporige Brachsenkraut
Staatlichen Naturwissenschaftlichen         (Isoetes echinospora) sowie das See-
Sammlungen Bayerns (SNSB) mit               Brachsenkraut (I. lacustris). Ebenfalls

                                                                                                                            1717
Insektenmonitoring unterstreicht Wert der Bio-Landwirtschaft

Begriffe wie „Artenschwund“ und                    Schmetterlingsarten nachgewiesen                    50% der Gesamtfauna Bayerns ab und
„Insektensterben“ sind inzwischen in               werden. Allein bei den Schmetterlin-                ermöglicht eine schnelle und zuverläs-
der Gesellschaft angekommen. Breit                 gen enthielten die Fallen des Öko-                  sige Bestimmung von Insektenarten.
angelegte wissenschaftliche Untersu-               Bauernhofes circa 60% mehr Arten als                In kurzer Zeit lassen sich damit große
chungen und Langzeitmessungen zur                  die des Vergleichs-Hofes. Zudem fand                Insektenbestände charakterisieren.
Auswirkung der Landnutzung auf die                 sich auf den ökologisch bewirtschafte-              Außerdem können durch die Methode
Insektendiversität fehlen jedoch bisher            ten Flächen mit 30 Arten die doppelte               auch diejenigen Artengruppen erfasst
weitestgehend. Forscher der Zoolo-                 Menge an gefährdeten Schmetter-                     werden, für die bisher keine Experten
gischen Staatssammlung München                     lingsarten der Roten Liste wieder. Der              zur Verfügung standen und die daher
(SNSB-ZSM) haben in einer Studie die               Vergleich der insgesamt gesammelten                 nicht ausreichend untersucht werden
Insektenvorkommen auf ökologisch                   Biomasse auf beiden Höfen ergab für                 konnten. Durch das Metabarcoding-
sowie konventionell bewirtschafteten               den Ökohof die 2,6-fache Menge. Die                 Verfahren ergibt sich ein großer Vorteil
landwirtschaftlichen Flächen unter-                Studie konnte in den Jahren 2019 und                vor allem für ökologische Analysen
sucht und verglichen.                              2020 fortgeführt und auf 20 Fallen                  von Lebensräumen: Die Daten-
                                                   erweitert werden. Erste Auswertungen                grundlage für Umweltgutachten und
Für die Vergleichsstudie waren im                  der Insektenfänge bestätigten die                   naturschutzrelevante Entscheidungen
Pilotprojekt 2018 vier Insektenfallen,             Ergebnisse der Pilotstudie weitgehend.              beschränkte sich bisher häufig auf
sogenannte Malaisefallen, auf einem                                                                    einige wenige Indikatorgruppen – also
ökologisch und einem konventionell                 Möglich wurde die schnelle und alle                 Tiere, die besonders sensibel auf
betriebenen Hof nahe Pfaffenhofen                  Arten umfassende Durchführung des                   Veränderungen ihrer Umwelt reagie-
installiert worden. Die Ergebnisse wa-             Projekts durch die Anwendung mo-                    ren. Diese „Störungsmelder“ machen
ren eindeutig. In Bezug auf Biomasse,              derner genetischer Artbestimmungs-                  jedoch oft nur 2-3% der Gesamtfauna
Artenvielfalt, Vorkommen stark gefähr-             Methoden (Metabarcoding) an der                     eines Ökosystems aus. Durch Me-
deter und vom Aussterben bedrohter                 Zoologischen Staatssammlung Mün-                    tabarcoding können Veränderungen
Arten bot die ökologisch bewirt-                   chen. Eine Forschergruppe an der ZSM                in der Umwelt und Auswirkungen
schaftete Fläche klare Vorteile für die            erstellt bereits seit vielen Jahren eine            verschiedener Landnutzungsformen
Insektenfauna. Insgesamt konnten in                DNA-Referenz-Bibliothek aller bayeri-               auf den Insektenbestand erstmals auf
beiden Untersuchungsgebieten knapp                 schen Insekten (www.barcoding-zsm.                  breiter Basis untersucht werden. Eben-
4.000 Arthropoden-Arten und 604                    de). Diese deckt inzwischen weit über               falls können nun die rein quantitativen

      Der Braune Bär (Arctia caja) wurde im Rahmen der Studie nur auf dem Biohof nachgewiesen. Er steht auf der Roten Liste in der „Vor-
      warnstufe“. Auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen fanden sich mit 30 Arten die doppelte Menge an gefährdeten Schmetterlingsarten
      der Roten Liste wieder. (Foto:Thomas Greifenstein)
Das Kleine Nachtpfauenauge (Saturnia pavonia) wurde 2018 und 2019 jeweils auf einer der drei Untersuchungsflächen nachgewie-
   sen. Dies ist eine derjenigen Arten, die in Bayern noch nicht gefährdet sind. (Foto:Thomas Greifenstein)

Biomasse-Untersuchungen, wie sie                       Innovation). Eine Fortsetzung und                      beitragen, den Artenverlust in land-
beispielsweise der „Krefelder Studie                   Ausweitung des Projekts in Zusam-                      wirtschaftlich geprägten Gegenden zu
zum Insektenrückgang“ aus dem Jahr                     menarbeit mit HIPP läuft derzeit im                    verringern.
2017 zugrunde lagen, durch qualitative                 Rahmen eines auf 5 Jahre angeleg-                      Text: Dr. Axel Hausmann, ZSM
Informationen in Form von Artenlisten                  ten Forschungsprogramms. Bereits                       Publikation:
ergänzt werden.                                        jetzt stützen diese Untersuchungen                     Hausmann A, Segerer AH, Greifenstein T, Knubben
                                                       die Vermutung, dass ökologischer                       J, Morinière J, Bozicevic V, Doczkal D, Günter A, Ul-
                                                                                                              rich W & JC Habel (2020) Towards a standardized
Das Projekt wurde unterstützt durch                    Anbau, kleinräumigere Landwirtschaft,
                                                                                                              quantitative and qualitative insect monitoring
die Firma HIPP und „SNSB innovativ“                    Förderung von Randstrukturen und                       scheme. Ecology and Evolution
(Bayerischer Pakt für Forschung und                    Vergrößerung der Mährhythmen dazu                      https://doi.org/10.1002/ece3.6166

      Malaisefalle für das Insektenmonitoring
      auf dem Bio-Bauernhof nahe Pfaffenhofen.
      In den Jahren 2019 und 2020 wurden über
      20 solcher Fallen aufgestellt. Malaisefallen
      eignen sich besonders zum Fang flugaktiver
      Insekten. Heute werden Malaisefallen welt-
      weit zur Erfassung von Insekten eingesetzt,
      denn sie erlauben es, die Insektendiversität
      eines Gebietes in kurzer Zeit hocheffizient zu
      erfassen.
      Mehr Info: https://barcoding-zsm.de/malaise-
      fallenprojekt
      (Foto: Axel Hausmann, SNSB-ZSM)

                                                                                                                                                               1919
Backenzahn-Vielfalt (v.l.n.r): Ausgestorbener Hauerelefant Deinotherium giganteum (Mittleres Miozän, ca. 14 Millionen
      Jahre), Pferd Sivalhippus nagriensis (Mittleres Miozän, ca. 10 Millionen Jahre) und Desmostylus hesperus, ausgestorbenes großes
      Säugetier, das vor etwa 13 Millionen Jahren im Mittleren Miozän an der Pazifikküste lebte.
      (Fotos: Manuela Schellenberger, BSPG)

Säugetierzähne - Schatzkammer der Evolutionsforschung

Für die Säugetierpaläontologie an                   hältnisse und Abstammungslinien,                      variieren nicht nur von Art zu Art,
der Bayerischen Staatssammlung für                  ihrer zeitlichen und räumlichen Verbrei-              sondern auch von Position zu Position
Paläontologie und Geologie (SNSB-                   tung sowie vieler anderer Aspekte                     im Gebiss. Ein typisches Säugetierge-
BSPG) sind fossile Zähne eine zentrale              ihrer Biologie wissen wir vor allem auf               biss setzt sich aus vier verschiedenen
Forschungsgrundlage und ein wesent-                 Grund fossiler Zähne.                                 Zahnkategorien zusammen: Schneide-
licher Bestandteil der Sammlungen.                                                                        zähne (Inzisiven), Eckzähne (Kanine),
Denn Säugetierzähne sind wertvolle                  Echte Zähne sind typische Merkmale                    Vorbackenzähne (Prämolaren) und
Studienobjekte: Sie sind besonders                  der Wirbeltiere. Sie bestehen aus drei                Backenzähne (Molaren). Allen Säuge-
hart und widerstandsfähig und oft die               Hartgewebetypen und dem Zahnmark:                     tieren gemeinsam ist das “Schlüssel-
einzigen fossilen Überreste ihrer Trä-              Das Dentin bildet den Zahnkörper,                     Schloss-Prinzip” der Backenzähne im
ger. Dies liegt an der komplexen Mikro-             der die Höhle mit dem Zahnmark                        Unter- und Oberkiefer. Dies ermöglicht
struktur des Zahnschmelzes, welcher                 beherbergt, der Schmelz ummantelt                     ein perfektes funktionelles Zusam-
zu 97% aus anorganischem Material                   die Zahnkrone und der Zement die                      menspiel beim Kauen, welches durch
gebaut ist. Dadurch können Zähne                    Zahnwurzeln. Sie sind kein Bestand-                   einen unendlich oft ablaufenden
nach dem Tod eines Individuums                      teil des Skeletts, sondern lediglich                  Zahnwechsel, wie beispielsweise bei
über hunderte Jahrmillionen erhalten                in dieses eingebettet. Im Laufe der                   Fischen, gestört würde. Die Säugetiere
bleiben und liefern so Einblicke in die             Evolution haben Säugetiere als Einzige                entwickeln daher, im Gegensatz zu
Evolutionsgeschichte. Besonders in-                 unter den Wirbeltieren viel in die Qua-               allen anderen Wirbeltieren, nur zwei
teressant für die Evolutionsforschung               lität ihrer Zähne investiert. Mit ihrem               Gebissgenerationen (Diphyodontie),
ist die enorme Vielfalt der Zahnkro-                Gebiss entstand ein äußerst effektives                das Milchgebiss und das permanente
nenformen – denn diese geben nicht                  und hoch-effizientes Zerkleinerungs-                  Gebiss. Insgesamt ist die Anzahl der
nur Hinweise auf die Ernährungswei-                 werkzeug, das an eine Vielzahl von                    Zähne pro Zahntyp variabel: Heutige
se eines Tieres, sondern sind auch                  Nahrungsspezialisierungen angepasst                   Schweine und Tapire haben z.B. mit 44
artspezifisch, d.h. typisch für jede Art.           ist. Die Anpassungen spiegeln sich                    Zähnen ursprüngliche Gebisse. Elefan-
Von der Existenz vieler ausgestorbener              hauptsächlich in den unterschiedli-                   ten und Nagetiere besitzen dagegen
Säugetiere, ihrer Verwandtschaftsver-               chen Zahnkronenformen wider. Diese                    keine Eckzähne und Katzen haben ein

20
reduziertes Backenzahngebiss. Wir                   eine Fähigkeit zu tauchen. PD Dr. Ger-
                                                                                                         Publikationen
Menschen haben insgesamt 32 Zäh-                    trud Rößner, Oberkonservatorin für die
                                                                                                         Jonathan A, Guzmán-Sandoval & Gertrud E.
ne. Extremata zeigen Ameisenbären                   Säugetiersammlung an der BSPG, ist                   Rössner (2019) Miocene chevrotains (Mammalia,
und Schuppentiere, die keine Zähne                  Spezialistin für fossile Hirschferkel, die           Artiodactyla, Tragulidae) from Pakistan, Historical
                                                                                                         Biology,
mehr haben, und Zahnwale, die bis zu                große Teile Eurasiens und Afrikas be-                https://doi.org/10.1080/08912963.2019.1661405
260 Zähne mit der gleichen konischen                siedelten und außerdem in der Regel
                                                                                                         Zanolli C, Schillinger B, Kullmer O, Schrenk F,
Form besitzen.                                      deutlich großwüchsiger als heutige                   Kelley J, Rössner G E., Macchiarelli R (2020) When
                                                    Vertreter waren. Sie analysierte die                 X-Rays Do Not Work. Characterizing the Internal
                                                                                                         Structure of Fossil Hominid Dentognathic Remains
Ein kürzlich veröffentlichtes paläon-               Zähne aus Pakistan und konnte neben                  Using High-Resolution Neutron Microtomographic
tologisches Forschungsprojekt der                   den bisher bekannten Arten auch                      Imaging, Frontiers in Ecology and Evolution 8
                                                                                                         https://doi.org/10.3389/fevo.2020.00042
BSPG basiert auf der Analyse von 200                zuvor nur aus Europa bekannte Arten
Hirschferkelzähnen aus Pakistan. Die                sowie eine gänzlich neue Art nachwei-
Untersuchungen zeigten, dass die                    sen. Die neuen Erkenntnisse deuten
asiatische Hirschferkelfauna zur Zeit               sowohl auf Wanderbewegungen der
des mittleren und späten Miozäns (14                Tiere zwischen Europa und Asien hin,
bis 6 Millionen Jahre vor heute) deut-              als auch auf ein größeres Nischen-
lich vielfältiger gewesen sein muss,                spektrum.
als bisher angenommen. Hirschferkel                 Text: PD Dr. Gertrud Rößner, BSPG
sind entfernte Verwandte von Hir-
schen, Antilopen, Büffeln und Giraffen
ohne Kopfschmuck. Heute leben sie
ausschließlich in zwei getrennten Ver-
breitungsgebieten in Zentralafrika und
Südost-Asien. Mit einer Schulterhöhe
von gerade mal 20 bis 35 cm gehö-
ren sie zu den kleinsten Paarhufern
der modernen Welt. Unter anderem
kennzeichnen diese Tiere verlängerte
obere Eckzähne der Männchen und

      Fossile Hirschferkel: Unten die Lebendrekonstruktion eines Dorcatherium und oben das Unterkieferfragment mit zwei
      Backenzähnen des rund 13 Millionen Jahre alten fossilen Hirschferkels Dorcabune aus Pakistan. Die Größe der Zähne lässt ein
      Körpergewicht von über 100 kg schätzen. (Zeichnung: Beat Scheffold, Foto: Manuela Schellenberger, BSPG)

                                                                                                                                                        2121
Impaktforschung: Untersuchung von Ballenquarzen aus dem
Nördlinger Ries

Vor etwa 15 Millionen Jahren kollidier-            nen gespeichert und dokumentiert             des Impaktes und lassen somit Rück-
te ein im Durchmesser ca. 1 km großer              – eine ideale Grundlage für wissen-          schlüsse auf den Impaktcharakter d.h.
Asteroid mit der Erde. Das Resultat                schaftliche Untersuchungen auf dem           den Ablauf des Meteoriteneinschlags
dieser kosmischen Begegnung ist das                Feld der Meteoriten- und Impaktfor-          vor 15 Millionen Jahren zu. Um diese
Nördlinger Ries, eingesenkt als mar-               schung.                                      Phänomene näher zu untersuchen,
kante Geländeform in die Schwäbisch-                                                            haben die Münchner und Nördlinger
Fränkische Alb. Der etwa 25 km große,              In einem aktuellen Projekt untersuch-        Impaktforscher*innen Ries-Ballen-
nahezu kreisrunde Einschlagskrater                 ten die Wissenschaftler*innen der            quarze beprobt und analysiert. Die
gehört weltweit zu den besterhaltenen              MSM und des RiesKraterMuseums                untersuchten Ballenquarze stammen
Kratern dieser Größenordnung.                      gemeinsam mit Prof. Claudia Trep-            aus ehemaligen Gneis-Gesteinen aus
                                                   mann und Dr. Kai-Uwe Hess aus dem            dem tiefen Untergrund, dem Grund-
Für die Forscher*innen um Prof.                    Fachbereich Geowissenschaften der            gebirge, des Einschlagkraters. Diese
Wolfgang Schmahl und PD Dr. Melanie                Ludwig-Maximilians-Universität (LMU)         Grundgesteine sowie darüber liegende
Kaliwoda von der Mineralogischen                   die Entstehung der sogenannten               Sedimentgesteine wurden durch die
Staatssammlung München (SNSB-                      Ballenquarze. Dies sind rundliche,           Erschütterung des Einschlags verän-
MSM) sowie Prof. Stefan Hölzl vom                  „ballenförmige“ Strukturen von Quarz         dert und liegen heute als sogenannte
RiesKraterMuseum Nördlingen sind                   (SiO2)-Mineralen, die in den Impaktge-       Brekzie vor. Eine Brekzie ist ein Bruch-
der Aufbau und die Gesteine dieses                 steinen des Nördlinger Rieses vorkom-        Gestein, das aus unterschiedlichen
Kraters ein natürliches Labor. Hier sind           men. Diese Ballenstrukturen geben            eckigen Gesteins- und Mineraltrüm-
dynamische Prozesse als sogenannte                 Hinweise auf mögliche Temperatur-            mern besteht, die durch ein Bindemit-
Impaktstrukturen direkt in den Gestei-             und/oder Druck-Bedingungen während           tel zusammengehalten werden. Solche

      Impaktgesteine aus dem Nördlinger Ries: Polarisationsmikroskopisches Bild eines Ballenquarzes (qtz). Der bräunliche Rand
      besteht aus dem Hochtemperaturmineral Cristobalit (crs). (Foto: Melanie Kaliwoda, MSM)

22
Durch hohe Schockbelastung während des Meteoriteneinschlags: Die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme zeigt die
    typischen gekrümmten Bruchflächen, die die Quarz-Ballen begrenzen. (Foto: Melanie Kaliwoda)

Impakt-Brekzien sind nicht nur auf der      zelnen Quarzballen durch gerundete          Ähnliche Strukturen kennen die
Erde, sondern auch auf dem Mond zu          Bruchflächen abgegrenzt sind. Diese         Forscher*innen auch bei bestimmten
finden. Das Forschungsteam unter-           Strukturen entstehen aufgrund der           SiO2-reichen vulkanischen Gläsern,
suchte in Rahmen der Studie kleinste        extrem hohen Schockbeanspruchung            wie z.B. Obsidian. Diese entstehen bei
Mikrostrukturen der Nördlinger Ballen-      während des Meteoriteneinschlags            rascher Abkühlung von flüssiger Lava.
quarze mit Hilfe modernster Analyse-        und den damit verbundenen extrem            Dies führt zur Annahme, dass die
Methoden.Dabei kamen spezielle Ge-          hohen Drücken von einigen 10er              ballenförmige Anordnung der Quarze
räte aus den mineralogischen Laboren        Gigapascal. Die Quarzkörner werden in       im Nördlinger Ries und die damit
der MSM, wie das Ramanspektroskop           Bruchteilen von Sekunden komprimiert        verbundene typische Rissbildung bei
und das Keyence-Mikroskop, sowie            und danach schlagartig wieder ent-          der Rekristallisation durch ähnliche
das Rasterelektronenmikroskop der           lastet. Dieser sehr schnell ablaufende      chemische und physikalische Prozes-
LMU zum Einsatz.                            Prozess von Druckbelastung und -ent-        se zustande gekommen sind.
                                            lastung bzw. Temperaturerhöhung und         Text: PD Dr. Melanie Kaliwoda, MSM,
Bei Betrachtung der Ballenquarze fällt      Abkühlung bewirkt unter anderem eine        Prof. Dr. Claudia Trepmann, LMU
zunächst auf, dass diese von einem          Veränderung der Kristallstruktur der
                                                                                        Publikationen
bräunlichen Rand umgeben sind. Die          Quarzkörner: Bei den extrem schnellen
                                                                                        Trepmann CA, Dellefant F, Kaliwoda M, Hess KU,
Analysen haben gezeigt, dass dieser         Belastungen werden die Quarze erst          Schmahl WW, Hölzl S (2020) Quartz and cristo-
aus dem Hochtemperaturmineral               in Glas umgewandelt, bei der anschlie-      balite ballen in impact melt rocks from the Ries
                                                                                        impact structure, Germany, formed by dehydration
Cristobalit besteht: Dies ist eine spe-     ßenden Entlastung wird Wasser aus
                                                                                        of shock‐generated amorphous phases. Meteorit
zielle Umwandlungsform des Mine-            den Kristallen ausgeschieden. Sicht-        Planet Sci, 55: 2360-2374
rals Quarz (SiO2), die bei besonders        bares Ergebnis dieser Umwandlungs-          https://doi.org/10.1111/maps.13590

hohen Temperaturen oberhalb von             prozesse sind die charakteristisch
1470 °C entsteht. Unter dem Raster-         gekrümmten Risse, die Ausbildung der
elektronenmikroskop entdeckten die          typischen Ballenkügelchen.
Mineralog*innen zudem, dass die ein-

                                                                                                                                    2323
Etwas Besonderes
aus unseren Sammlungen

 Ein neues Zuhause für die Rindenwanzen
 Seit Kurzen erfreut sich die Sektion      bislang 2050 Arten aus 285 Gattungen     und etikettiert. Ferner findet sich in der
 Hemiptera der Zoologischen Staats-        weltweit beschrieben worden, für Euro-   Sammlung Heiss eine große Anzahl
 sammlung München (SNSB-ZSM)               pa kennt man 61 Arten, in Deutschland    an besonders wertvollem Typenma-
 über einen äußerst wertvollen Zugang:     sind 24 Arten nachgewiesen. Viele von    terial. Davon sind rund 120 Holotypen
 die herausragende Aradiden-Samm-          ihnen sind mittlerweile selten, da sie   sowie mehr als 1.700 Paratypen. Prof.
 lung von Prof. DI Dr. Ernst Heiss. Im     bevorzugt in alten Wäldern mit einem     Heiss hat sich in letzter Zeit zusätzlich
 Laufe seiner rund 50jährigen wis-         hohen Anteil von verpilztem Totholz      verstärkt mit Millionen Jahre alten
 senschaftlichen Tätigkeit hat Prof.       leben, die es leider kaum noch gibt.     Bernsteinproben beschäftigt und mitt-
 Heiss für diese kaum bekannte aber                                                 lerweile auch mehrere neue Arten von
 biologisch hochinteressante Wan-          Doch was macht die „Sammlung             Rindenwanzen in solchen Einschlüs-
 zengruppe eine weltweit einmalige         Heiss“ so besonders? Da wäre zum         sen (Inklusen) beschrieben.
 Sammlung zusammengestellt, welche         einen der schiere Umfang der Samm-
 nun die Wanzensammlung der ZSM            lung zu nennen: Sie umfasst rund         Der Erwerb der Sammlung Heiss ist
 bereichert.                               50.000 Tiere und deckt etwa 66 % der     ein außerordentlicher Gewinn für die
                                           weltweit beschriebenen Arten ab, für     SNSB, sie wird die Grundlage für eine
 Aradiden oder Rindenwanzen sind           eine Privatsammlung ein unglaublich      Vielzahl zukünftiger Forschungsprojek-
 eine Teilgruppe der Baumwanzen.           hoher Anteil. Die Sammlung beinhaltet    te bilden. An dieser Stelle sei aus-
 Im Gegensatz zu den bekannten             Tiere aus allen Regionen der Erde,       drücklich dem Freistaat Bayern bzw.
 Leder- oder Feuerwanzen führen die        wobei Zentralasien und Südostasien       dem Staatsministerium für Wissen-
 hochspezialisierten Rindenwanzen ein      einen Sammlungsschwerpunkt bilden.       schaft und Kunst sowie den Freunden
 Leben im Verborgenen. Sie zeichnen        Aber auch Rindenwanzen aus fast          der Zoologischen Staatssammlung
 sich durch einen extrem flachen Kör-      allen südamerikanischen Ländern          gedankt, ohne deren großzügige finan-
 per aus, der vielfältig mit zahlreichen   inklusive der Karibik, Afrika und den    zielle Unterstützung der Erwerb dieser
 Dornen, Höckern und warzenähnlichen       australischen Gebieten liegen in zum     einzigartigen Sammlung unmöglich
 Auswüchsen besetzt ist und ihnen ein      Teil hohen Individuenzahlen vor. Die     gewesen wäre.
 bizarres Aussehen verleiht. Durch die     meisten davon wurden von Prof. Heiss     Text: PD Dr. Michael J. Raupach, ZSM
 reich strukturierte Körperoberfläche,     auf seinen vielen Reisen selbst ent-
 in Verbindung mit einer grau-braunen      deckt und gesammelt. Die Sammlung
 bis schwarzen Färbung, sind die           wird nun fortlaufend wissenschaftlich
 Tiere hervorragend auf Totholz und        bearbeitet, viele noch unbekannte
 Borkenoberflächen getarnt, wo sich        Arten und Gattungen darin können
 die meisten Arten von holzzersetzen-      neu beschrieben werden. Sämtliche
 den Pilzen ernähren. Insgesamt sind       Belegtiere sind erstklassig präpariert

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