Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns
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Aus den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns 2020 EIN BLICK IN DIE FORSCHUNG Raupendarm und Dinokopf: Forschung an ungewöhnlichen Orten WIEDERENTDECKT IN UNSEREN SAMMLUNGEN Historischer Milzbrand und 220 Jahre alte fleischfressende Pflanze IM FOKUS 2020 - mehr als nur Corona: zwei runde Geburtstage und ein Fossil des Jahres www.snsb.de
Die Museen der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns Geologisches Museum München Luisenstraße 37 · 80333 München Tel.: 089/21 80 - 66 30 · Fax: 089/21 80 - 66 01 geomuseum@snsb.de · bspg.palmuc.org Jura-Museum Eichstätt Willibaldsburg · 85072 Eichstätt Tel.: 08421/602 98 - 0 · Fax: 08421/602 98 - 35 sekretariat@jura-museum.de · www.jura-museum.de Museum Mensch und Natur Schloss Nymphenburg · 80638 München Tel.: 089/17 95 89 - 0 · Fax: 089/17 95 89 - 100 museum@musmn.de · www.mmn-muenchen.de Museum Mineralogia München Theresienstraße 41 · 80333 München Tel.: 089/21 80 43 - 12 · Fax: 089/21 80 43 - 34 mineralogische.staatssammlung@snsb.de · www.mineralogische-staatssammlung.de Naturkunde-Museum Bamberg Fleischstraße 2 · 96047 Bamberg Tel.: 0951/863 12 - 49 · Fax: 0951/863 12 - 50 info@naturkundemuseum-bamberg.de · www.naturkundemuseum-bamberg.de Paläontologisches Museum München Richard-Wagner-Straße 10 · 80333 München Tel.: 089/21 80 - 66 30 · Fax: 089/21 80 - 66 01 palmuseum@snsb.de · bspg.palmuc.org RiesKraterMuseum Nördlingen Eugene-Shoemaker-Platz 1 · 86720 Nördlingen Tel.: 09081/847 - 10 · Fax: 09081/847 - 20 rieskratermuseum@noerdlingen.de · www.rieskrater-museum.de Urwelt-Museum Oberfranken Kanzleistraße 1 · 95444 Bayreuth Tel.: 0921/51 12 - 11 · Fax: 0921/51 12 -12 verwaltung@urwelt-museum.de · www.urwelt-museum.de Botanischer Garten München-Nymphenburg Menzinger Straße 61-65, 80638 München Tel.: 089/178 61 - 316 (Info), - 350 (Kasse), - 310 (Verwaltung) · Fax: 089/178 61 - 340 botgart@snsb.de · www.botmuc.de Fortsetzung auf der hinteren Umschlaginnenseite
Discovering Planet Earth and its Biodiversity »Die Forschungstätigkeiten an den SNSB sind eng mit ihren Sammlungsaktivitäten verflochten. Die Sammlungsobjekte bilden den Ausgangspunkt für Analysen und belegen zugleich dauerhaft die Ergebnisse der Forschung.« (Aus: SNSB Forschungskonzept) 3
Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, ben. Vielfältig wurde dabei aus der Not eine Tugend gemacht und eine ganze Unser im letzten Jahr erstmals erstell- Reihe von Digitalangeboten erstellt, die tes „Jahresecho – Aus den Staatlichen auch „nach Corona“ wirksam bleiben Naturwissenschaftlichen Sammlungen sollen: Filme, Webangebote für alle Bayerns“ informiert Sie nunmehr jedes Altersstufen, virtuelle Rundgänge und Jahr über Höhepunkte und herausra- Führungen, Blogs, Galerien, sogar gende Leistungen des vergangenen einen virtuellen Adventskalender und Jahres aus unseren Staatsammlungen eine Ausstellungseröffnung hat es und Museen. gegeben. Das Museum „Reich der Kris- talle“ wird seine Öffentlichkeitsarbeit Natürlich hatte die Corona-Pandemie als „Museum Mineralogia München“ auch in unseren Reihen vielfältige fortsetzen. Behinderungen und Einschränkung zur Folge. Das betraf vor allem die Öff- Die von der LMU geleitete Planung nungsmöglichkeiten des Botanischen des Neubaus für das Department für Gartens und unserer Museen, aber Geo- und Umweltwissenschaften im auch viele Kongress- und Forschungs- Bereich Schillerstraße/Pettenkoferstra- reisen. So wurde auch die Eröffnung ße der Münchner Innenstadt mit den des BIOTOPIA-Labs auf 2021 verscho- SNSB-Sammlungen aus Paläontologie, 4
Geologie und Mineralogie schreiten unser IT-Zentrum ist hier an mehreren BSPG) eingebracht. Aber auch die voran. Gleiches gilt für die umfang- deutschlandweiten und internationalen Grabungen unserer Regionalmuseen reiche Sanierung und Neukonzep- Datenstruktur-Projekten (MOBILISE, in Ettling, Mistelgau und in Wattendorf tion des Jura-Museums in Eichstätt NFDI4Biodiversity) in führender Rolle haben neue spektakuläre Fossilfunde gemeinsam mit dem lokalen Träger, beteiligt. Die Zoologische Staats- erbracht. der Katholischen Universität Eichstätt- sammlung widmet sich mit dem Ingolstadt. Die Generalsanierung angelaufenen „German Barcode of Life Die interne Strukturreform der SNSB der Zoologischen Staatssammlung III: Dark Taxa-Projekt“ insbesondere konnte substanziell vorangebracht München (SNSB-ZSM), kombiniert mit der vielfach unerforschten Insekten- werden. Schon im Frühjahr 2020 wur- der Kompaktierung mehrerer Magazi- Kleinfauna unseres Landes. Furore de klar, dass BIOTOPIA als Nachfolger ne wird uns aber noch das ganze Jahr machte der Fund eines vermutlich auf- des Museums Mensch und Natur und 2021 einschränken. recht gehenden Menschenaffen „Udo“ die SNSB auf Dauer zusammenbleiben (Danuvius guggenmosi) im Allgäu, sollen, das Tor zur breiten Öffentlich- Trotz Corona-Krise sind die For- die dort weiter geführten Grabungen keit bleibt damit weit offen. Die IT- schungs- und Publikationsleistungen unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Kompetenz der Zentralverwaltung und der SNSB-Wissenschaftler*innen Madelaine Böhme (Univ. Tübingen) mit das Forschungsmarketing der SNSB ungebrochen eindrucksvoll, auch zahl- insgesamt mehreren 1.000 Fundstü- konnten deutlich verbessert werden, reiche Drittmittelprojekte und Pres- cken werden in die Sammlungen der ein SNSB-weites Sammlungsassess- semitteilungen mit großer Resonanz Bayerischen Staatssammlung für ment wurde auf den Weg gebracht, bringen dies zum Ausdruck. Speziell Paläontologie und Geologie (SNSB- eine neue, deutlich gestraffte und 5
bezüglich der Substrukturen homoge- men. Mit 1. Januar 2021 begrüßen Ausstellungen, Führungen und Vorträ- nisierte Dienstordnung tritt demnächst wir mit Frau Prof. Dr. Gudrun Kadereit gen zum Normalbetrieb zurückkehren in Kraft. Fortgeführt wurde die erfolg- die neue Direktorin der Botanischen zu können – helfen Sie uns dabei! reiche Maßnahme zur Forschungsför- Staatssammlung und des Botani- derung „SNSB-Innovativ“, die bereits schen Gartens. Sie ist im Hauptamt Prof. Dr. Gerhard Haszprunar eine Reihe spannender Pilotprojekte Lehrstuhlinhaberin für Systematik, Bio- Generaldirektor der SNSB als Grundlage für Drittmittel-Einwer- diversität und Evolution der Pflanzen bung hervorgebracht hat. All das war an der LMU München. Ihrer Vorgän- nur durch den Bayerischen Pakt für gerin, Frau Prof. Dr. Susanne Renner, Forschung und Innovation mit dem wünschen wir für den Ruhestand alles Bayerischen Staatsministerium für Gute. Wissenschaft, Forschung und Kunst möglich, der die Finanzgrundlagen So wünsche ich nun viel Freude beim dafür geschaffen hat. Lesen unserer Erfolgsgeschichten in diesem Heft. Die Corona-bedingten Wir heißen Frau PD Dr. Christina Ifrim Einschränkungen werden uns vermut- herzlich willkommen. Sie hat im Febru- lich auch weit ins Jahr 2021 hinein ar 2020 die wissenschaftliche Leitung begleiten. Wir sind aber zuversichtlich, des zu Jahresbeginn wiedereröffneten im Laufe dieses Jahres zumindest im Jura-Museums Eichstätt übernom- öffentlichkeitswirksamen Bereich mit 6
Inhalt VORWORT ......................................................................................................................... 4 EIN BLICK IN UNSERE FORSCHUNG .......................................................................... 8 ETWAS BESONDERES AUS UNSEREN SAMMLUNGEN ....................................... 24 AUS UNSEREN AUSSTELLUNGEN ............................................................................ 32 SNSB IM FOKUS ........................................................................................................... 35 MENSCHEN ................................................................................................................... 40 ZAHLEN UND FAKTEN ................................................................................................ 42 WISSENSCHAFTLICHE PUBLIKATIONEN ............................................................... 45 IMPRESSUM .................................................................................................................. 58 77
Ein Blick in unsere Forschung Der Speiseplan tropischer Raupen Bisher gibt es für tropische Länder oder um eine Futterpflanze handelt. die Beziehungen südamerikanischer nur sehr wenige Studien über die Von den meisten Schmetterlingslarven Schmetterlinge zu ihren Futterpflanzen Beziehungen von Schmetterlings- gibt es bisher keine eindeutigen Fraß- - und zwar anhand der genetischen larven zu ihren Futterpflanzen, denn nachweise, und man weiß nicht, wie Analyse ihres Darminhaltes. Für die eine exakte Erforschung des natürli- breit das Spektrum ihrer natürlichen Studie wurden in einem ersten Schritt chen Fressverhaltens von Raupen ist Futterpflanzen ist. Bisherige Studien 130 Raupen von fast 50 Bäumen rund äußerst schwierig. Das hat vor allem zeigen, dass nur für weniger als 10% um die biologische Forschungsstation praktische Gründe: So sind gerade die der tropischen Schmetterlingsarten Panguana im Regenwald von Peru schwer zugänglichen Baumkronen der bekannt ist, auf welche Futterpflanzen untersucht. Ihre Proben erhielten die natürliche Lebensraum vieler Raupen, sie spezialisiert sind. Forscher durch sogenanntes gezieltes und die Suche nach den überwiegend „Fogging“ (Benebeln) von ausgesuch- nachtaktiven Arten ist dort für For- In einer Pilotstudie erforschten ten Baumkronen mit natürlichem Pyre- scher kein leichtes Unterfangen. Häu- Dr. Axel Hausmann, Kurator für thrum. Die so gefangenen Raupen, der fig bleibt dabei unklar, ob es sich bei Schmetterlinge, und weitere Wissen- Inhalt ihres Darms sowie die befoggte einem Raupenfund auf einer bestimm- schaftler der Zoologischen Staats- Baumart wurden später im Labor ten Pflanze nur um einen Rastplatz sammlung München (SNSB-ZSM) genetisch analysiert und identifiziert Zahnspinnerraupe (Lepidoptera, Notodontidae) aus dem Tieflandregenwald Amazoniens im Naturschutzgebiet der biologischen For- schungsstation Panguana, Peru. (Foto: Robert Trusch)
Asselspinnerraupe Panguana Station, westliches Amazonien, Peru (Foto: Juliane Diller, SNSB-ZSM) - mit einem überraschenden Ergebnis: Die molekulare Identifizierung der Publikation: Entgegen der bisherigen Annahme Raupen, ihrer Wirtspflanze, sowie die Hausmann A, Diller J, Moriniere J, Höcherl A, Floren scheinen sich nur 20% der in der Pilot- Analyse ihrer Darminhalte und somit A, Haszprunar G (2020) DNA barcoding of fogged caterpillars in Peru: A novel approach for unveiling studie untersuchten Larven direkt von ihrer Nahrung liefern wichtige Einblicke host-plant relationships of tropical moths (Insecta, dem Baum ernährt zu haben, auf dem in die Ernährungsbiologie der Schmet- Lepidoptera). PLOS ONE 15(1): e0224188. sie saßen. Im Darm der überwiegenden terlingsraupen. Solche umfassenden https://doi.org/10.1371/journal.pone.0224188 Mehrheit der Tiere ließen sich verdaute Analysen ganzer Ernährungssysteme Reste von Lianen, Epiphyten und Moo- könnten auch für die Schädlingsbe- sen oder von benachbarten Bäumen kämpfung in der Land- und Forstwirt- nachweisen – Forscher sprechen hier schaft von großem Nutzen sein und vom sogenannten „alternative feeding“. zur Anwendung kommen. Gerade Das bedeutet, die meisten Raupen in diesen Bereichen ist man darauf ernähren sich von anderen Pflanzen angewiesen, die Nahrungsspektren und nicht vom benebelten Baum. pflanzenfressender Insekten möglichst genau zu kennen, z.B. im Falle von Hausmann und seine Kollegen arbeiten Massenvermehrungen bestimmter inzwischen bereits an einem Folgepro- Insekten, die unter Umständen große jekt der Pilotstudie. Sie wollen insbe- wirtschaftliche Schäden anrichten sondere die Methodik verbessern, um können. Die Erforschung von vernetz- mögliche Fehlerquellen zu minimieren. ten Nahrungsketten, sogenannten Es wird beispielweise untersucht, „food-webs“, ist insbesondere für das inwieweit in der Laboranalyse durch Verständnis komplexer ökologischer spezielle Vorbehandlung der einzelnen Zusammenhänge unerlässlich. Durch Raupen Kontaminationen minimiert diese Kenntnisse lassen sich auch ein- werden können. Die Darminhaltsana- zigartige Ökosysteme besser schützen Forschungsstation Panguana lyse von bisher weiteren 200 Raupen und die noch verbliebenen Tropenwäl- mitten im Regenwald von Peru. Die Artenvielfalt Panguanas ist eine aus dem Tropenwald rund um die der unseres Planeten erhalten. unerschöpfliche Quelle für spannende Panguana-Station bestätigte den in der Text: Dr. Axel Hausmann, ZSM Forschungsarbeit. (Foto: Juliane Diller, Pilotstudie ermittelten hohen Prozent- SNSB-ZSM) satz von „alternative feeding“. 9
Im Kopf eines Dinosauriers Wenn man an große Raubdinosaurier Unvollständigkeit des Skeletts lag. Bei Einen wichtigen Einblick in die Le- denkt, hat man meist Tiere wie Tyran- einem Bombenangriff auf München bensweise eines Tieres können seine nosaurus oder Allosaurus vor Augen: während des Zweiten Weltkriegs wur- Sinnesorgane und Hirnstruktur geben. mächtige Riesen mit einem kräftigen, den neben vielen weiteren Fossilien Eine Arbeitsgruppe um Marco Schade massiven Schädel. Es gibt allerdings auch die Überreste von Spinosaurus und unter Leitung von Prof. Oliver Rau- eine Gruppe von Raubdinosauriern, die zerstört. hut von der Bayerischen Staatssamm- mit ihrer extremen Größe von bis zu lung für Paläontologie und Geologie 18m selbst den berühmten Tyran- Erst während der letzten 30 Jahre (SNSB-BSPG) hat im Rahmen einer nosaurus rex noch in den Schatten haben neue Funde weitere Erkennt- Masterarbeit den Hirnschädel eines stellen - die Spinosauriden. nisse zu dieser Dinosauriergruppe Spinosauriers genauer untersucht. Da- erbracht, obwohl ein vollständiges für durchleuchteten die Forscher am Das erste Exemplar von Spinosaurus Skelett bis heute fehlt. Paläontolo- Deutschen Herzzentrum München und fand und beschrieb der Münchener gen kennen heute neben seinem bei Zeiss Messtechnik in Essingen mit Paläontologe Ernst Stromer von Körperbau – Spinosaurus gehört zu hochauflösenden Computertomogra- Reichenbach im Jahr 1915, damals den größten bekannten Raubsauriern phen den vollständigsten bekannten Konservator an der Bayerischen und besaß ein auffälliges Segel auf Schädel eines Spinosauriers. Der Kopf Staatssammlung für Paläontologie dem Rücken – auch mehr über die gehört dem mittelgroßen Raubsaurier und Geologie (SNSB-BSPG). Er ent- Schädelanatomie des Sauriers. Sein Irritator aus der Unteren Kreidezeit (vor deckte auf einer seiner Expeditionen Schädel war eher niedrig und langge- ca. 115 Mio. Jahren) von Brasilien. in Ägypten die fossilen Reste eines streckt mit einer schmalen Schnauze, Die CT- Daten erlaubten es, die Form damals noch unbekannten Raubsau- im Gegensatz zum mächtigen, kräftig des Gehirns und seiner umgebenden riers. Obwohl die Funde Stromers, gebauten Schädel eines Tyrannosau- Gewebe sowie die Bogengänge des bis zu 1,50m hohe Rückenwirbel, die rus. Aufgrund dieser Schädelform und Innenohrs von Irritator zu rekonstru- gewaltige Größe dieser Tiere anzeigte, der Ähnlichkeit mit einigen Krokodil- ieren. Letztere spielen für die Balance fand Spinosaurus unter Paläontologen Schädeln wird vermutet dass sich und Bewegung eines Tieres eine große weniger Beachtung als andere große Spinosaurier eventuell von Fischen Rolle. Raubsaurier, was vermutlich an der ernährten. Rechte Schädelhälfte des Spinosauriers Irritator challengeri Eine Arbeitsgruppe um Prof. Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG) hat im Rahmen einer Masterarbeit den Hirnschädel dieses Spinosauriers genauer untersucht. (Foto: Marco Schade) 10
CT von Irritator challengeri Computertomographie der linken Schädelhälf- te des Spinosauriers Irritator challengeri. Farblich hervorgehoben sind das Innenohr (gelb) und eine damit assoziierte Gehirn- region, der sogenannte Flocculus. Letzterer ist bei heutigen Tieren hauptsächlich für die Fi- xierung der Augen bei Kopfbewegungen wich- tig und war bei Irritator stärker ausgeprägt als bei anderen großen Raubdinosauriern. (Foto: Marco Schade) Dinohirn in 3D Die dreidimensionale Rekonstruktion zeigt, dass die generelle Form des Gehirns bei Spinosauriern jener anderer großer Raubdino- saurier entsprach. (Rekonstruktion: Marco Schade) Die dreidimensionalen Rekonstruk- gerichteter Schnauze gehalten wurde, Publikation: tionen zeigten, dass die generelle ähnlich wie bei Störchen. Dadurch Schade M, Rauhut OMW, Evers SW (2020) Neuro- anatomy of the spinosaurid Irritator challengeri Form des Gehirns bei Spinosauriern wurde das Sichtfeld über der Schnau- (Dinosauria: Theropoda) indicates potential adap- jener anderer großer Raubdinosaurier ze frei, was dem Tier eine bessere tations for piscivory. Scientific Reports 10: 9259 entsprach. Interessant sind jedoch Fixierung von möglichen Beutetieren https://doi.org/10.1038/s41598-020-66261-w die Befunde am Innenohr und einer erlaubte. Diese Eigenschaften waren assoziierten Gehirnregion, dem so- für ein Tier, das sich darauf spezi- genannten Flocculus. Letzterer ist bei alisiert hat, kleinere Beutetiere mit heutigen Tieren hauptsächlich für die schnellen Bewegungen des Halses Fixierung des Fokus bei Kopfbewe- und Kopfes zu packen, sicherlich von gungen wichtig und war bei Irritator großem Vorteil. Die Befunde, so sagen stärker ausgeprägt als bei anderen die Forscher, unterstützen die Interpre- großen Raubdinosauriern. Zusammen tation, dass Spinosaurier als Raubtiere mit der Struktur des Innenohres deutet auf die Ergreifung kleinerer Beutetiere dies darauf hin, dass dieses Tier wie zum Beispiel Fische spezialisiert schnelle, sehr präzise Bewegungen waren. mit dem Schädel durchführen konnte, Text: Prof. Dr. Oliver Rauhut, BSPG ohne dabei seine potentielle Beute aus den Augen zu verlieren. Gleichzeitig zeigt der Aufbau des Innenohres, dass der Schädel in normaler Körperhal- tung wohl mit relativ stark nach unten 11
Italienische Barrenringelnatter (Natrix helvetica sicula) von der oberen Isar. Charakteristisch sind die reduzierten schwarzen Zeichnungselemente auf dem Kopf vor den relativ undeutlichen hellen Nackenflecken. Die Barrenzeichnung an den Flanken ist zu einer Reihe großer Flecken reduziert. (Foto: Frank Glaw, ZSM) Italienische Barrenringelnatter - neue Schlangenart für Bayern Auch in unserer vermeintlich gut Bayern verbreitet ist, haben Dr. Frank Loisach bei Garmisch-Partenkirchen, erforschten heimischen Fauna warten Glaw und Michael Franzen von der an der Isar bei Mittenwald, im Inntal noch viele spektakuläre Neuentde- ZSM zusammen mit Kolleg*innen vom und bei Sachrang. Anhand umfangrei- ckungen auf die Wissenschaft. So Museum für Tierkunde der Sencken- cher kerngenetischer Untersuchungen haben Reptilienforscher der Zoolo- berg Naturhistorischen Sammlungen konnten sie nun zeigen, dass die gischen Staatssammlung München in Dresden untersucht. meisten bayerischen Populationen (SNSB-ZSM) erst vor kurzer Zeit in eine enge Hybridzone aus Mischlingen der Alpenregion Bayerns eine bisher Konkrete Hinweise auf die Existenz der zwischen Barrenringelnattern und Rin- übersehene Schlangenart entdeckt. Es Barrenringelnatter (Natrix helvetica) in gelnattern bilden. Wo die Flüsse aus handelt sich um eine besondere Form Bayern ergaben sich bereits im Zuge den Alpentälern in das Alpenvorland der Barrenringelnatter (Natrix helvetica von Kartierungen des Bayerischen übertreten, endet das Verbreitungsge- sicula), die bisher nur aus Italien und Landesamts für Umwelt. Aber erst als biet der Barrenringelnatter abrupt und den südlichen Alpen bekannt war und die Wissenschaftler von der Zoologi- nur wenige Kilometer weiter nördlich die offensichtlich auch im westlichen schen Staatssammlung München die findet sich nur noch die heimische Österreich (Tirol) weit verbreitet ist. vorhandenen Indizien gezielt über- Ringelnatter (Natrix natrix). Die Alpen Eine Population dieser genetischen prüften und Proben für genetische konnten demnach die Ausbreitung der Linie hat nach der letzten Eiszeit Untersuchungen sammelten, gelang Barrenringelnatter nicht aufhalten, die anscheinend die Alpen durchquert der sichere Nachweis dieser Schlan- starke Präsenz der weiter nördlich le- und bestätigt so einmal mehr, dass genart. Anhand mitochondrialer DNA- benden Ringelnattern dagegen schon. dieses Gebirgsmassiv für viele Arten Sequenzen belegten sie die Existenz Da die DNA-Sequenzen der Schlangen keine unüberwindliche Barriere war. der Barrenringelnatter im deutsch- vom südlichen und nördlichen Alpen- Wie weit die Barrenringelnatter in österreichischen Grenzgebiet an der rand fast identisch sind, vermuten die 12
Experten, dass diese aus Norditalien auch „normale“ Ringelnattern vorkom- dazu haben an der Zoologischen über Brenner oder Reschenpass in das men. Die Barrenringelnatter wurde Staatssammlung schon begonnen. Inntal bis nach Bayern eingewandert erst 2017 aufgrund von genetischen Im Rahmen einer Masterarbeit wurde sind. Untersuchungen als eigenständige beispielsweise die morphologische Art erkannt. Sie unterscheidet sich Variabilität bayerischer Ringelnattern Solche Einwanderungen sind in der von der „normalen“ Ringelnatter oft anhand des sehr umfangreichen histo- Tierwelt nicht ungewöhnlich: Über den durch eine dunkle Barrenzeichnung rischen Belegmaterials in der Repti- Brenner war auch schon die Mauer- an den Körperseiten und eine andere liensammlung der ZSM untersucht. eidechse gekommen, deren nörd- Kopfzeichnung, bei der die hellen Und die Gummistiefel für die nächsten lichstes natürliches Vorkommen bei halbmondförmigen Nackenflecken nur Geländearbeiten stehen schon bereit... Oberaudorf im bayerischen Inntal liegt. schwach ausgeprägt sind oder ganz Text: Michael Franzen, Dr. Frank Glaw, Auch deren engste Verwandte waren fehlen. Beide Arten variieren allerdings ZSM ursprünglich nur aus den südlichen sehr stark, so dass ihre Eigenständig- Publikation: Alpen bekannt. Die ZSM-Forscher keit lange Zeit nicht bemerkt wurde. Glaw, F., Franzen, M. Oefele, G. Hansbauer & C. waren überrascht, dass so eine große Alle Ringelnattern sind übrigens völlig Kindler (2019): Genetischer Erstnachweis, Verbrei- tung und südalpine Herkunft der Barrenringelnatter Schlangenart bisher völlig übersehen ungiftig und beißen fast nie, geben (Natrix helvetica spp.) in Bayern. – Zeitschrift für wurde. Zwar lieferte die faunistische bei Gefahr aber ein stark stinkendes Feldherpetologie 26: 1-20 Fachliteratur schon vor einiger Zeit Sekret ab. Asztalos, M., Glaw, F., Franzen, M., Kindler, C. Hinweise auf Barrenringelnatter- & U. Fritz (2021): Transalpine dispersal: Italian Vorkommen nördlich der Alpen: schon Noch bleiben viele Fragen offen, etwa barred grass snakes in southernmost Bavaria — This far but no further! Journal of Zoological seit den 1950er Jahren wurde immer zur Gefährdung der Art und ihrer Ver- Systematics and Evolutionary Research. wieder auf die Existenz solcher Tiere in breitung in der bayerischen Bodensee- https://doi.org/10.1111/jzs.12471 Tirol hingewiesen. Doch diese Funde Region. Auch wissen die Forscher wurden damals als Ausdruck einer noch nicht, ob die beiden Ringelnatter- verwirrenden morphologischen Arten unterschiedliche ökologische Variation gewertet, zumal im Inntal Nischen besetzen. Intensive Arbeiten Typische Kopfzeichnung der in Bayern weit verbreiteten, „normalen“ Ringelnatter (Natrix natrix) zum Vergleich. Die hellen Nackenflecken und die breiten, schwarzen Bänder an der Oberlippe sind deutlich erkennbar. (Foto: Michael Franzen, ZSM) 1313
Biodiversität der Nordadria - zwischen Naturschutz und Artenschwund München liegt nun nicht gerade Nationalpark und natürlich der ZSM und inventarisiert in regelmäßigen Ab- am Meer. Und dennoch - in sowie der LMU München. Ein Schwer- ständen die Arten sowie die Lebensge- diversen Projekten erforschen punkt liegt dabei in der Untersuchung meinschaften im Brijuni-Nationalpark. Wissenschaftler*innen der des Meeresschutzgebiets des Brijuni- Die Forscher*innen möchten bei ihren Zoologischen Staatssammlung Nationalparks, einer kleinen Inselgrup- Untersuchungen so wenig wie möglich München (SNSB-ZSM) marine pe der kroatischen Adria. Dieses ist störend in die Ökosysteme eingreifen. Lebewesen und Ökosysteme seit einigen Jahrzehnten von mensch- Daher nutzen sie z.B. Unterwasser- in nahezu allen Weltmeeren. licher Nutzung weitgehend ausgenom- fotografien sowie andere schonende Sie untersuchen dort vor allem men. Kartierungsmethoden für ihre Analy- Arthropoden (Gliederfüßer – sen. Seit Projektbeginn wurden hierbei Spinnentiere, Krebstiere, etc.), Das Meeresschutzgebiet Brijuni liegt im Meeresschutzgebiet zum Beispiel Mollusken (Weichtiere – Schnecken, inmitten eines der am stärksten vom über 100 Arten von Zehnfußkrebsen Muscheln, etc.) und Fische. Menschen beeinflussten Meeresteile, (Decapoda) und über 200 Weichtierar- der Nordadria. Durch seine besondere ten (Mollusca) wie Meeresschnecken, Ein großes meeresbiologisches Lage ergibt sich für die Forscher*innen Muscheln, Tintenfische etc. nachge- Kooperationsprojekt an der ZSM hat hier die einmalige Möglichkeit die wiesen. Aus der Gruppe der Zehnfuß- die Erforschung der Biodiversität nahezu unberührten Ökosysteme krebse kommen über zwei Drittel aller der nördlichen Adria zum Ziel. Das des Nationalparks direkt mit einer jemals in der nördlichen Adria gefun- Projekt entwickelte sich seit seinem Umgebung zu vergleichen, die von denen Arten im Brijuni-Schutzgebiet Start 2015 zu einem umfassen- Artenschwund und Habitat-Zerstörung vor. Besonders überrascht haben die den Netzwerk aus internationalen schwer gezeichnet ist. Ein Biologen- Zoolog*innen die Funde des Pistolen- Meeresforscher*innen des Ruđer Team, darunter Wissenschaftler*innen krebses Automate branchialis und der Bošković-Instituts in Rovinj, der Marine der Sektionen Arthropoda varia, Buckelgarnele Hippolyte prideauxiana. Biology Station Piran, dem Brijuni- Mollusca und Fische der ZSM, erfasst Diese beiden Arten wurden in Brijuni Dardanus calidus ist der größte mediterrane Einsiedlerkrebs. Der Einsiedler trägt auf seinem Haus mehrere Schmarotzeranemonen Calliactis parasitica (Foto: Martin Heß, LMU)
Die Buckelgarnele Hippolyte prideauxiana auf ihrem „Wohnort“, dem Mittelmeerhaarstern Antedon mediterranea. Diese Garnele wurde in Brijuni erstmals überhaupt für die gesamte Nordadria nachgewiesen (Foto: Manuel Staggl) erstmals überhaupt für die gesamte einer Rotalgengemeinschaft der Brijuni-Projekt steht die Vision, die Nordadria bzw. die kroatische Küste Tidenzone. Durch GPS-Kartierungen Biodiversität entlang der kroatischen nachgewiesen. Die Ergebnisse des und Satellitenbild-Analysen wird auch und slowenischen Abschnitte der Kooperationsprojektes bilden eine das Absterben der Seegraswiesen Nordadria zu schützen. Der Vergleich fundierte Basis für den Forschungs- und anderer mariner Pflanzengemein- mit den Verhältnissen im Meeres- bereich „Conservation Research“, Na- schaften in den intensiv genutzten schutzgebiet sowie historischen Daten turschutzforschung. Davon profitiert Buchten im Vergleich zu den bisher aus dem letzten Jahrhundert zeigt nicht nur das Meeresschutzgebiet noch stabilen Verhältnissen im Mee- den Einfluss des Menschen auf die selbst und seine Erhaltung, sondern resschutzgebiet untersucht. gesamte Region. auch umliegende Gebiete. Denn Brijuni ist nicht nur ein Refugium für selten Die Mannigfaltigkeit des Meeres- Das Projekt wird dankenswerter Weise gewordene Arten, sondern auch ein schutzgebietes an faszinierenden finanziell unterstützt von den Freunden Sprungbrett für die Wiederbesiedelung Arten, ihre diversen Farben, Formen der Zoologischen Staatssammlung, der weiter nördlich liegenden Meeres- und Lebensweisen wurde 2020 in MareMundi – Verein zur Förderung der teile durch Verdriften der freigesetzten einer Ausstellung auf Brijuni gezeigt. Meereswissenschaften und dem Sea Larven mit dem Plankton. „Marine Microworlds of Brijuni Natio- Life München. nal Park“ wurde von den Partnern des Text: Prof. Dr. Roland Melzer, ZSM Das Projekt umfasst weiterhin meh- Kooperationsprojekts entwickelt und Publikationen rere Teilstudien über den Vergleich präsentierte auf zahlreichen Unterwas- Melzer RR, Heß M, Makovec T, Staggl MA, Mavrič verschiedener mariner Lebensgemein- serfotos der Wissenschaftler*innen B (2019) Hippolyte prideauxiana Leach, 1817: First record for the Northern Adriatic and observations schaften im Naturschutzgebiet und die Lebewelt Brijunis. Die Ausstel- on mimetic colouration. Annals for Istrian and an der benachbarten istrischen Küste. lung diente in erster Linie dazu, das Mediterranean Studies Series Historia Naturalis. Die Meereszoolog*innen von der ZSM Interesse der Öffentlichkeit auf die 29: 231-234. erforschen hier insbesondere die Schätze der Natur vor Ort zu richten Melzer RR, Pfannkuchen M (2020) Das stille Meeresspinnen (Pycnogonida) des so- und dadurch für den Erhalt mariner Sterben infralitoraler Phytalgemeinschaften in der Nordadria. P. 1076-1079 in: Hofrichter R (ed.) Das genannten Corallina-officinalis-Saums, Biodiversität zu werben. Hinter dem Mittelmeer, Band 1, 2. Auflage. 15
Die Kleinfrüchtige Moosbeere (Vaccinium microcarpum) konnte im Rahmen des „Böhmerwald“-Projekts als eine für Deutsch- land bisher nicht nachgewiesene Art bestätigt werden. (Foto: Milan Štech, Univ. České Budějovice) Der Blattlose Widerbart (Epipogium aphyllum) ist eine von Zeit zu Zeit oberirdisch erscheinende Orchidee. Die Pflan- ze gehört zu den besonders seltenen Arten. (Foto: Wolfgang Diewald) Das Resedablättrige Schaumkraut (Cardamine resedifolia) Reliktisches Vorkom- men im Böhmerwald. Ansonsten kommt diese Art nur in den Hochgebirgen Europas vor. (Foto: Wolfgang Diewald, SNSB-BSM) 16
Grenzüberschreitende Forschung: Flora des Böhmerwaldes Der Böhmerwald ist ein biologisch ihrem SNSB IT-Zenrum. Ein deutsch- sehr selten ist Epipogium aphyllum, der einzigartiges Gebiet in Mitteleuropa, tschechisches Wissenschaftlerteam Blattlose Widerbart, eine von Zeit zu das besondere Aufmerksamkeit bei hat es sich zum Ziel gemacht, gemein- Zeit oberirdisch erscheinende Orchi- der Erforschung und Dokumentation sam sowohl historische floristische dee. Auch eine für Deutschland bisher seiner Biodiversität und deren Schutz Daten der Region zusammenzuführen nicht nachgewiesene Art konnte im verdient. Der einheitliche Naturraum und aufzuarbeiten, als auch die aktu- Rahmen des „Böhmerwald“-Projekts „Böhmerwald“ war bis zum Fall des elle Pflanzenvielfalt durch neue Kartie- bestätigt werden: Vaccinium microcar- „Eisernen Vorhanges“ 1990 durch eine rungen zu ergänzen. Eine Website in pum, die Kleinfrüchtige Moosbeere. unüberwindliche politische Grenze deutscher und tschechischer Sprache geteilt. Er umfasst das bayerisch-böh- (https://www.florasilvaegabretae.eu) Das SNSB IT-Zentrum ist im Projekt mische Mittelgebirge vom Osser bis wird Artenlisten, Verbreitung und Häu- maßgeblich für die Datenverwaltung zum Ostende des Moldau-Stausees figkeit der Gefäßpflanzenarten unter verantwortlich: Die Arbeitsgruppe um mit markanten Bergen wie Arber, anderem in Form von Verbreitungskar- Dr. Dagmar Triebel steuert den Import Rachel, Lusen, Boubín und Dreisessel. ten zusammen mit Artensteckbriefen und das Management der Daten in Botaniker*innen aus Tschechien, Ös- präsentieren. Die Zusammenführung Diversity Workbench-Installationen des terreich und Bayern begannen schon sämtlicher Informationen ist von „Flora-von-Bayern“ Netzwerkes sowie 1990 mit der grenzüberschreitenden großer Bedeutung, um passende die technische Bereitstellung von his- Erforschung des Gebiets. Unter- Maßnahmen für den Arten- und Öko- torischen und aktuellen Verbreitungs- schiedliche methodische Ansätze systemschutz auf beiden Seiten der daten der bayerischen Seite des Böh- und Forschungsschwerpunkte sowie Grenze entwickeln zu können. Dazu merwaldes. Neben seiner technischen sprachliche und politische Barrieren gehört auch die Überwachung der Be- Expertise stellt das SNSB IT-Zentrum begrenzten allerdings die Zusammen- standsentwicklung von seltenen und als Teil der Botanischen Staatssamm- arbeit zwischen den Expert*innen bedrohten Arten. Eine große Anzahl lung München (SNSB-BSM) auch maßgeblich. der Pflanzen im Nationalpark sind sein botanisches Expertenwissen gefährdet oder sogar vom Aussterben zur Verfügung: BSM Botaniker*innen 2018 wurde die grenzübergreifende bedroht. Eine zweisprachige Regional- übernehmen die wissenschaftliche Initiative schließlich auf professionelle flora als gedruckte Version ist nach Betreuung der bayerischen Artenlisten, Beine gestellt: Das Projekt „Flora des Projektende 2022 geplant. die Bestimmung schwieriger Arten, Böhmerwaldes – Květena Šumavy die Mitarbeit an Artensteckbriefen und – Flora Silvae Gabretae“ ging an den Insgesamt beherbergt der Böhmer- der Einstufung des Rote-Liste-Status. Start. Das Projekt will Daten über wald ca. 1.300 Gefäßpflanzensip- Datenerhebungen im Gelände erfolgen die Verbreitung und ökologischen pen. Dies erscheint im Vergleich zu mittels der vom SNSB IT-Zentrum Anforderungen von Gefäßpflanzen dem dortigen Pilz-, Flechten- und entwickelten Smartphone App „Diver- des Böhmerwalds unabhängig von Moosreichtum nicht sonderlich viel, sityMobile“. Landesgrenzen verfügbar machen. allerdings finden sich darunter etliche Gefäßpflanzen sind eine wichtige Besonderheiten: Die Bestände der Gefördert wird das „Flora des Komponente dieses Ökosystems: Sie Vielteiligen Mondraute (Botrychium Böhmerwalds“-Projekt durch die dienen als Primärproduzenten vielen multifidum) beispielsweise gehören zu Europäische Union im Rahmen des Lebewesen als Nahrungsquelle und den individuenreichsten in ganz Mittel- Programms „Europäische Territoriale bieten Lebensräume für Insekten europa. Das in den Hochgebirgen Eu- Zusammenarbeit“ (ETZ), zur grenz- und viele andere Tiere. Partner des ropas vorkommende Resedablättriges übergreifenden Kooperation zwischen Projekts sind der Lehrstuhl für Botanik Schaumkraut (Cardamine resedifolia) dem Freistaat Bayern und der Tsche- der Südböhmischen Universität České war ehemals weiter verbreitet. Im Böh- chischen Republik. Budějovice (Budweis), der National- merwald stellt es ein Gazialrelikt dar. Text: Wolfgang Diewald, Dr. Dagmar park Bayerischer Wald, der tschechi- Zu den besonders seltenen Arten zäh- Triebel, BSM sche Nationalpark Šumava sowie die len das Stachelsporige Brachsenkraut Staatlichen Naturwissenschaftlichen (Isoetes echinospora) sowie das See- Sammlungen Bayerns (SNSB) mit Brachsenkraut (I. lacustris). Ebenfalls 1717
Insektenmonitoring unterstreicht Wert der Bio-Landwirtschaft Begriffe wie „Artenschwund“ und Schmetterlingsarten nachgewiesen 50% der Gesamtfauna Bayerns ab und „Insektensterben“ sind inzwischen in werden. Allein bei den Schmetterlin- ermöglicht eine schnelle und zuverläs- der Gesellschaft angekommen. Breit gen enthielten die Fallen des Öko- sige Bestimmung von Insektenarten. angelegte wissenschaftliche Untersu- Bauernhofes circa 60% mehr Arten als In kurzer Zeit lassen sich damit große chungen und Langzeitmessungen zur die des Vergleichs-Hofes. Zudem fand Insektenbestände charakterisieren. Auswirkung der Landnutzung auf die sich auf den ökologisch bewirtschafte- Außerdem können durch die Methode Insektendiversität fehlen jedoch bisher ten Flächen mit 30 Arten die doppelte auch diejenigen Artengruppen erfasst weitestgehend. Forscher der Zoolo- Menge an gefährdeten Schmetter- werden, für die bisher keine Experten gischen Staatssammlung München lingsarten der Roten Liste wieder. Der zur Verfügung standen und die daher (SNSB-ZSM) haben in einer Studie die Vergleich der insgesamt gesammelten nicht ausreichend untersucht werden Insektenvorkommen auf ökologisch Biomasse auf beiden Höfen ergab für konnten. Durch das Metabarcoding- sowie konventionell bewirtschafteten den Ökohof die 2,6-fache Menge. Die Verfahren ergibt sich ein großer Vorteil landwirtschaftlichen Flächen unter- Studie konnte in den Jahren 2019 und vor allem für ökologische Analysen sucht und verglichen. 2020 fortgeführt und auf 20 Fallen von Lebensräumen: Die Daten- erweitert werden. Erste Auswertungen grundlage für Umweltgutachten und Für die Vergleichsstudie waren im der Insektenfänge bestätigten die naturschutzrelevante Entscheidungen Pilotprojekt 2018 vier Insektenfallen, Ergebnisse der Pilotstudie weitgehend. beschränkte sich bisher häufig auf sogenannte Malaisefallen, auf einem einige wenige Indikatorgruppen – also ökologisch und einem konventionell Möglich wurde die schnelle und alle Tiere, die besonders sensibel auf betriebenen Hof nahe Pfaffenhofen Arten umfassende Durchführung des Veränderungen ihrer Umwelt reagie- installiert worden. Die Ergebnisse wa- Projekts durch die Anwendung mo- ren. Diese „Störungsmelder“ machen ren eindeutig. In Bezug auf Biomasse, derner genetischer Artbestimmungs- jedoch oft nur 2-3% der Gesamtfauna Artenvielfalt, Vorkommen stark gefähr- Methoden (Metabarcoding) an der eines Ökosystems aus. Durch Me- deter und vom Aussterben bedrohter Zoologischen Staatssammlung Mün- tabarcoding können Veränderungen Arten bot die ökologisch bewirt- chen. Eine Forschergruppe an der ZSM in der Umwelt und Auswirkungen schaftete Fläche klare Vorteile für die erstellt bereits seit vielen Jahren eine verschiedener Landnutzungsformen Insektenfauna. Insgesamt konnten in DNA-Referenz-Bibliothek aller bayeri- auf den Insektenbestand erstmals auf beiden Untersuchungsgebieten knapp schen Insekten (www.barcoding-zsm. breiter Basis untersucht werden. Eben- 4.000 Arthropoden-Arten und 604 de). Diese deckt inzwischen weit über falls können nun die rein quantitativen Der Braune Bär (Arctia caja) wurde im Rahmen der Studie nur auf dem Biohof nachgewiesen. Er steht auf der Roten Liste in der „Vor- warnstufe“. Auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen fanden sich mit 30 Arten die doppelte Menge an gefährdeten Schmetterlingsarten der Roten Liste wieder. (Foto:Thomas Greifenstein)
Das Kleine Nachtpfauenauge (Saturnia pavonia) wurde 2018 und 2019 jeweils auf einer der drei Untersuchungsflächen nachgewie- sen. Dies ist eine derjenigen Arten, die in Bayern noch nicht gefährdet sind. (Foto:Thomas Greifenstein) Biomasse-Untersuchungen, wie sie Innovation). Eine Fortsetzung und beitragen, den Artenverlust in land- beispielsweise der „Krefelder Studie Ausweitung des Projekts in Zusam- wirtschaftlich geprägten Gegenden zu zum Insektenrückgang“ aus dem Jahr menarbeit mit HIPP läuft derzeit im verringern. 2017 zugrunde lagen, durch qualitative Rahmen eines auf 5 Jahre angeleg- Text: Dr. Axel Hausmann, ZSM Informationen in Form von Artenlisten ten Forschungsprogramms. Bereits Publikation: ergänzt werden. jetzt stützen diese Untersuchungen Hausmann A, Segerer AH, Greifenstein T, Knubben die Vermutung, dass ökologischer J, Morinière J, Bozicevic V, Doczkal D, Günter A, Ul- rich W & JC Habel (2020) Towards a standardized Das Projekt wurde unterstützt durch Anbau, kleinräumigere Landwirtschaft, quantitative and qualitative insect monitoring die Firma HIPP und „SNSB innovativ“ Förderung von Randstrukturen und scheme. Ecology and Evolution (Bayerischer Pakt für Forschung und Vergrößerung der Mährhythmen dazu https://doi.org/10.1002/ece3.6166 Malaisefalle für das Insektenmonitoring auf dem Bio-Bauernhof nahe Pfaffenhofen. In den Jahren 2019 und 2020 wurden über 20 solcher Fallen aufgestellt. Malaisefallen eignen sich besonders zum Fang flugaktiver Insekten. Heute werden Malaisefallen welt- weit zur Erfassung von Insekten eingesetzt, denn sie erlauben es, die Insektendiversität eines Gebietes in kurzer Zeit hocheffizient zu erfassen. Mehr Info: https://barcoding-zsm.de/malaise- fallenprojekt (Foto: Axel Hausmann, SNSB-ZSM) 1919
Backenzahn-Vielfalt (v.l.n.r): Ausgestorbener Hauerelefant Deinotherium giganteum (Mittleres Miozän, ca. 14 Millionen Jahre), Pferd Sivalhippus nagriensis (Mittleres Miozän, ca. 10 Millionen Jahre) und Desmostylus hesperus, ausgestorbenes großes Säugetier, das vor etwa 13 Millionen Jahren im Mittleren Miozän an der Pazifikküste lebte. (Fotos: Manuela Schellenberger, BSPG) Säugetierzähne - Schatzkammer der Evolutionsforschung Für die Säugetierpaläontologie an hältnisse und Abstammungslinien, variieren nicht nur von Art zu Art, der Bayerischen Staatssammlung für ihrer zeitlichen und räumlichen Verbrei- sondern auch von Position zu Position Paläontologie und Geologie (SNSB- tung sowie vieler anderer Aspekte im Gebiss. Ein typisches Säugetierge- BSPG) sind fossile Zähne eine zentrale ihrer Biologie wissen wir vor allem auf biss setzt sich aus vier verschiedenen Forschungsgrundlage und ein wesent- Grund fossiler Zähne. Zahnkategorien zusammen: Schneide- licher Bestandteil der Sammlungen. zähne (Inzisiven), Eckzähne (Kanine), Denn Säugetierzähne sind wertvolle Echte Zähne sind typische Merkmale Vorbackenzähne (Prämolaren) und Studienobjekte: Sie sind besonders der Wirbeltiere. Sie bestehen aus drei Backenzähne (Molaren). Allen Säuge- hart und widerstandsfähig und oft die Hartgewebetypen und dem Zahnmark: tieren gemeinsam ist das “Schlüssel- einzigen fossilen Überreste ihrer Trä- Das Dentin bildet den Zahnkörper, Schloss-Prinzip” der Backenzähne im ger. Dies liegt an der komplexen Mikro- der die Höhle mit dem Zahnmark Unter- und Oberkiefer. Dies ermöglicht struktur des Zahnschmelzes, welcher beherbergt, der Schmelz ummantelt ein perfektes funktionelles Zusam- zu 97% aus anorganischem Material die Zahnkrone und der Zement die menspiel beim Kauen, welches durch gebaut ist. Dadurch können Zähne Zahnwurzeln. Sie sind kein Bestand- einen unendlich oft ablaufenden nach dem Tod eines Individuums teil des Skeletts, sondern lediglich Zahnwechsel, wie beispielsweise bei über hunderte Jahrmillionen erhalten in dieses eingebettet. Im Laufe der Fischen, gestört würde. Die Säugetiere bleiben und liefern so Einblicke in die Evolution haben Säugetiere als Einzige entwickeln daher, im Gegensatz zu Evolutionsgeschichte. Besonders in- unter den Wirbeltieren viel in die Qua- allen anderen Wirbeltieren, nur zwei teressant für die Evolutionsforschung lität ihrer Zähne investiert. Mit ihrem Gebissgenerationen (Diphyodontie), ist die enorme Vielfalt der Zahnkro- Gebiss entstand ein äußerst effektives das Milchgebiss und das permanente nenformen – denn diese geben nicht und hoch-effizientes Zerkleinerungs- Gebiss. Insgesamt ist die Anzahl der nur Hinweise auf die Ernährungswei- werkzeug, das an eine Vielzahl von Zähne pro Zahntyp variabel: Heutige se eines Tieres, sondern sind auch Nahrungsspezialisierungen angepasst Schweine und Tapire haben z.B. mit 44 artspezifisch, d.h. typisch für jede Art. ist. Die Anpassungen spiegeln sich Zähnen ursprüngliche Gebisse. Elefan- Von der Existenz vieler ausgestorbener hauptsächlich in den unterschiedli- ten und Nagetiere besitzen dagegen Säugetiere, ihrer Verwandtschaftsver- chen Zahnkronenformen wider. Diese keine Eckzähne und Katzen haben ein 20
reduziertes Backenzahngebiss. Wir eine Fähigkeit zu tauchen. PD Dr. Ger- Publikationen Menschen haben insgesamt 32 Zäh- trud Rößner, Oberkonservatorin für die Jonathan A, Guzmán-Sandoval & Gertrud E. ne. Extremata zeigen Ameisenbären Säugetiersammlung an der BSPG, ist Rössner (2019) Miocene chevrotains (Mammalia, und Schuppentiere, die keine Zähne Spezialistin für fossile Hirschferkel, die Artiodactyla, Tragulidae) from Pakistan, Historical Biology, mehr haben, und Zahnwale, die bis zu große Teile Eurasiens und Afrikas be- https://doi.org/10.1080/08912963.2019.1661405 260 Zähne mit der gleichen konischen siedelten und außerdem in der Regel Zanolli C, Schillinger B, Kullmer O, Schrenk F, Form besitzen. deutlich großwüchsiger als heutige Kelley J, Rössner G E., Macchiarelli R (2020) When Vertreter waren. Sie analysierte die X-Rays Do Not Work. Characterizing the Internal Structure of Fossil Hominid Dentognathic Remains Ein kürzlich veröffentlichtes paläon- Zähne aus Pakistan und konnte neben Using High-Resolution Neutron Microtomographic tologisches Forschungsprojekt der den bisher bekannten Arten auch Imaging, Frontiers in Ecology and Evolution 8 https://doi.org/10.3389/fevo.2020.00042 BSPG basiert auf der Analyse von 200 zuvor nur aus Europa bekannte Arten Hirschferkelzähnen aus Pakistan. Die sowie eine gänzlich neue Art nachwei- Untersuchungen zeigten, dass die sen. Die neuen Erkenntnisse deuten asiatische Hirschferkelfauna zur Zeit sowohl auf Wanderbewegungen der des mittleren und späten Miozäns (14 Tiere zwischen Europa und Asien hin, bis 6 Millionen Jahre vor heute) deut- als auch auf ein größeres Nischen- lich vielfältiger gewesen sein muss, spektrum. als bisher angenommen. Hirschferkel Text: PD Dr. Gertrud Rößner, BSPG sind entfernte Verwandte von Hir- schen, Antilopen, Büffeln und Giraffen ohne Kopfschmuck. Heute leben sie ausschließlich in zwei getrennten Ver- breitungsgebieten in Zentralafrika und Südost-Asien. Mit einer Schulterhöhe von gerade mal 20 bis 35 cm gehö- ren sie zu den kleinsten Paarhufern der modernen Welt. Unter anderem kennzeichnen diese Tiere verlängerte obere Eckzähne der Männchen und Fossile Hirschferkel: Unten die Lebendrekonstruktion eines Dorcatherium und oben das Unterkieferfragment mit zwei Backenzähnen des rund 13 Millionen Jahre alten fossilen Hirschferkels Dorcabune aus Pakistan. Die Größe der Zähne lässt ein Körpergewicht von über 100 kg schätzen. (Zeichnung: Beat Scheffold, Foto: Manuela Schellenberger, BSPG) 2121
Impaktforschung: Untersuchung von Ballenquarzen aus dem Nördlinger Ries Vor etwa 15 Millionen Jahren kollidier- nen gespeichert und dokumentiert des Impaktes und lassen somit Rück- te ein im Durchmesser ca. 1 km großer – eine ideale Grundlage für wissen- schlüsse auf den Impaktcharakter d.h. Asteroid mit der Erde. Das Resultat schaftliche Untersuchungen auf dem den Ablauf des Meteoriteneinschlags dieser kosmischen Begegnung ist das Feld der Meteoriten- und Impaktfor- vor 15 Millionen Jahren zu. Um diese Nördlinger Ries, eingesenkt als mar- schung. Phänomene näher zu untersuchen, kante Geländeform in die Schwäbisch- haben die Münchner und Nördlinger Fränkische Alb. Der etwa 25 km große, In einem aktuellen Projekt untersuch- Impaktforscher*innen Ries-Ballen- nahezu kreisrunde Einschlagskrater ten die Wissenschaftler*innen der quarze beprobt und analysiert. Die gehört weltweit zu den besterhaltenen MSM und des RiesKraterMuseums untersuchten Ballenquarze stammen Kratern dieser Größenordnung. gemeinsam mit Prof. Claudia Trep- aus ehemaligen Gneis-Gesteinen aus mann und Dr. Kai-Uwe Hess aus dem dem tiefen Untergrund, dem Grund- Für die Forscher*innen um Prof. Fachbereich Geowissenschaften der gebirge, des Einschlagkraters. Diese Wolfgang Schmahl und PD Dr. Melanie Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Grundgesteine sowie darüber liegende Kaliwoda von der Mineralogischen die Entstehung der sogenannten Sedimentgesteine wurden durch die Staatssammlung München (SNSB- Ballenquarze. Dies sind rundliche, Erschütterung des Einschlags verän- MSM) sowie Prof. Stefan Hölzl vom „ballenförmige“ Strukturen von Quarz dert und liegen heute als sogenannte RiesKraterMuseum Nördlingen sind (SiO2)-Mineralen, die in den Impaktge- Brekzie vor. Eine Brekzie ist ein Bruch- der Aufbau und die Gesteine dieses steinen des Nördlinger Rieses vorkom- Gestein, das aus unterschiedlichen Kraters ein natürliches Labor. Hier sind men. Diese Ballenstrukturen geben eckigen Gesteins- und Mineraltrüm- dynamische Prozesse als sogenannte Hinweise auf mögliche Temperatur- mern besteht, die durch ein Bindemit- Impaktstrukturen direkt in den Gestei- und/oder Druck-Bedingungen während tel zusammengehalten werden. Solche Impaktgesteine aus dem Nördlinger Ries: Polarisationsmikroskopisches Bild eines Ballenquarzes (qtz). Der bräunliche Rand besteht aus dem Hochtemperaturmineral Cristobalit (crs). (Foto: Melanie Kaliwoda, MSM) 22
Durch hohe Schockbelastung während des Meteoriteneinschlags: Die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme zeigt die typischen gekrümmten Bruchflächen, die die Quarz-Ballen begrenzen. (Foto: Melanie Kaliwoda) Impakt-Brekzien sind nicht nur auf der zelnen Quarzballen durch gerundete Ähnliche Strukturen kennen die Erde, sondern auch auf dem Mond zu Bruchflächen abgegrenzt sind. Diese Forscher*innen auch bei bestimmten finden. Das Forschungsteam unter- Strukturen entstehen aufgrund der SiO2-reichen vulkanischen Gläsern, suchte in Rahmen der Studie kleinste extrem hohen Schockbeanspruchung wie z.B. Obsidian. Diese entstehen bei Mikrostrukturen der Nördlinger Ballen- während des Meteoriteneinschlags rascher Abkühlung von flüssiger Lava. quarze mit Hilfe modernster Analyse- und den damit verbundenen extrem Dies führt zur Annahme, dass die Methoden.Dabei kamen spezielle Ge- hohen Drücken von einigen 10er ballenförmige Anordnung der Quarze räte aus den mineralogischen Laboren Gigapascal. Die Quarzkörner werden in im Nördlinger Ries und die damit der MSM, wie das Ramanspektroskop Bruchteilen von Sekunden komprimiert verbundene typische Rissbildung bei und das Keyence-Mikroskop, sowie und danach schlagartig wieder ent- der Rekristallisation durch ähnliche das Rasterelektronenmikroskop der lastet. Dieser sehr schnell ablaufende chemische und physikalische Prozes- LMU zum Einsatz. Prozess von Druckbelastung und -ent- se zustande gekommen sind. lastung bzw. Temperaturerhöhung und Text: PD Dr. Melanie Kaliwoda, MSM, Bei Betrachtung der Ballenquarze fällt Abkühlung bewirkt unter anderem eine Prof. Dr. Claudia Trepmann, LMU zunächst auf, dass diese von einem Veränderung der Kristallstruktur der Publikationen bräunlichen Rand umgeben sind. Die Quarzkörner: Bei den extrem schnellen Trepmann CA, Dellefant F, Kaliwoda M, Hess KU, Analysen haben gezeigt, dass dieser Belastungen werden die Quarze erst Schmahl WW, Hölzl S (2020) Quartz and cristo- aus dem Hochtemperaturmineral in Glas umgewandelt, bei der anschlie- balite ballen in impact melt rocks from the Ries impact structure, Germany, formed by dehydration Cristobalit besteht: Dies ist eine spe- ßenden Entlastung wird Wasser aus of shock‐generated amorphous phases. Meteorit zielle Umwandlungsform des Mine- den Kristallen ausgeschieden. Sicht- Planet Sci, 55: 2360-2374 rals Quarz (SiO2), die bei besonders bares Ergebnis dieser Umwandlungs- https://doi.org/10.1111/maps.13590 hohen Temperaturen oberhalb von prozesse sind die charakteristisch 1470 °C entsteht. Unter dem Raster- gekrümmten Risse, die Ausbildung der elektronenmikroskop entdeckten die typischen Ballenkügelchen. Mineralog*innen zudem, dass die ein- 2323
Etwas Besonderes aus unseren Sammlungen Ein neues Zuhause für die Rindenwanzen Seit Kurzen erfreut sich die Sektion bislang 2050 Arten aus 285 Gattungen und etikettiert. Ferner findet sich in der Hemiptera der Zoologischen Staats- weltweit beschrieben worden, für Euro- Sammlung Heiss eine große Anzahl sammlung München (SNSB-ZSM) pa kennt man 61 Arten, in Deutschland an besonders wertvollem Typenma- über einen äußerst wertvollen Zugang: sind 24 Arten nachgewiesen. Viele von terial. Davon sind rund 120 Holotypen die herausragende Aradiden-Samm- ihnen sind mittlerweile selten, da sie sowie mehr als 1.700 Paratypen. Prof. lung von Prof. DI Dr. Ernst Heiss. Im bevorzugt in alten Wäldern mit einem Heiss hat sich in letzter Zeit zusätzlich Laufe seiner rund 50jährigen wis- hohen Anteil von verpilztem Totholz verstärkt mit Millionen Jahre alten senschaftlichen Tätigkeit hat Prof. leben, die es leider kaum noch gibt. Bernsteinproben beschäftigt und mitt- Heiss für diese kaum bekannte aber lerweile auch mehrere neue Arten von biologisch hochinteressante Wan- Doch was macht die „Sammlung Rindenwanzen in solchen Einschlüs- zengruppe eine weltweit einmalige Heiss“ so besonders? Da wäre zum sen (Inklusen) beschrieben. Sammlung zusammengestellt, welche einen der schiere Umfang der Samm- nun die Wanzensammlung der ZSM lung zu nennen: Sie umfasst rund Der Erwerb der Sammlung Heiss ist bereichert. 50.000 Tiere und deckt etwa 66 % der ein außerordentlicher Gewinn für die weltweit beschriebenen Arten ab, für SNSB, sie wird die Grundlage für eine Aradiden oder Rindenwanzen sind eine Privatsammlung ein unglaublich Vielzahl zukünftiger Forschungsprojek- eine Teilgruppe der Baumwanzen. hoher Anteil. Die Sammlung beinhaltet te bilden. An dieser Stelle sei aus- Im Gegensatz zu den bekannten Tiere aus allen Regionen der Erde, drücklich dem Freistaat Bayern bzw. Leder- oder Feuerwanzen führen die wobei Zentralasien und Südostasien dem Staatsministerium für Wissen- hochspezialisierten Rindenwanzen ein einen Sammlungsschwerpunkt bilden. schaft und Kunst sowie den Freunden Leben im Verborgenen. Sie zeichnen Aber auch Rindenwanzen aus fast der Zoologischen Staatssammlung sich durch einen extrem flachen Kör- allen südamerikanischen Ländern gedankt, ohne deren großzügige finan- per aus, der vielfältig mit zahlreichen inklusive der Karibik, Afrika und den zielle Unterstützung der Erwerb dieser Dornen, Höckern und warzenähnlichen australischen Gebieten liegen in zum einzigartigen Sammlung unmöglich Auswüchsen besetzt ist und ihnen ein Teil hohen Individuenzahlen vor. Die gewesen wäre. bizarres Aussehen verleiht. Durch die meisten davon wurden von Prof. Heiss Text: PD Dr. Michael J. Raupach, ZSM reich strukturierte Körperoberfläche, auf seinen vielen Reisen selbst ent- in Verbindung mit einer grau-braunen deckt und gesammelt. Die Sammlung bis schwarzen Färbung, sind die wird nun fortlaufend wissenschaftlich Tiere hervorragend auf Totholz und bearbeitet, viele noch unbekannte Borkenoberflächen getarnt, wo sich Arten und Gattungen darin können die meisten Arten von holzzersetzen- neu beschrieben werden. Sämtliche den Pilzen ernähren. Insgesamt sind Belegtiere sind erstklassig präpariert 24
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