Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds

Die Seite wird erstellt Astrid Schiller
 
WEITER LESEN
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Magazin

                                  2 | 2019
                                             BODEN
                                             FRUCHTBARKEIT
                                             FONDS

Kann BIO die Welt ernähren?
Seite 3

Bodenfruchtbarkeitsfonds
und myclimate - eine klimawirksame
Partnerschaft beginnt
Seite 13

Wir brauchen eine neue
Landwirtschaft
Seite 24

   Allianz für die Bodenfruchtbarkeit
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Liebe Freunde und Interessierte
des Bodenfruchtbarkeitsfonds
der Bio-Stiftung

«Bei wachsender Weltbevölkerung muss mehr Ertrag                          Mathias Forster, Geschäftsleiter Bio-Stiftung Schweiz und
pro Hektar her, sonst werden viele Menschen in Zukunft                      Vorsitzender Projektleitung Bodenfruchtbarkeitsfonds
Hunger leiden müssen. Da wir das nicht wollen, wird es
nicht ohne künstlichen Stickstoffdünger, nicht ohne syn-
thetische Pestizide und andere Werkzeuge aus dem Bau-
kasten der modernen industriellen Landwirtschaft ge-               «Trinkwasserinitiative» zielt darauf ab, dass in Zukunft nur
hen. Bio wird die Welt jedenfalls nicht ernähren können.»          noch diejenigen Landwirtschaftsbetriebe Subventionen
Diese These ist weit verbreitet und hat viele Anhänger.            erhalten, die auf den Einsatz von synthetischen Pestiziden
Aber stimmt sie auch? Dr. Felix Prinz zu Löwenstein vertritt       und prophylaktischen Antibiotikagaben verzichten. Die
eine ganz andere These: «Wir werden uns ökologisch er-             sogenannte «Pestizidinitiative» möchte erreichen, dass der
nähren oder überhaupt nicht mehr.»                                 Einsatz von synthetischen Pestiziden in der Schweiz gene-
                                                                   rell verboten wird, auch der Import von Lebens- und Fut-
In dem vorliegenden Magazin zeigt er anhand nüchterner             termitteln, die unter Einsatz von synthetischen Pestiziden
Fakten auf, weshalb die von den Saatgut- und Agrarche-             hergestellt wurden. Beide Initiativen sehen in ihren Kon-
miemultis mit Milliardeneinsätzen propagierte Landwirt-            zepten Übergangsfristen von acht bzw. zehn Jahren vor.
schaft nicht nachhaltig ist und direkt und indirekt genau          Wir geben beiden Initiativen in der vorliegenden Ausgabe
diejenigen Ressourcen zerstört, die für eine wachsende             die Gelegenheit, sich kurz vorzustellen. Das Thema syn-
Weltbevölkerung nötig wären. Er macht auch darauf auf-             thetische Pestizide beschäftigt uns als Bio-Stiftung Schweiz
merksam, dass wir schon heute genug Lebensmittel pro-              im Zusammenhang mit den beiden Volksinitiativen, aber
duzieren, um 12 bis 14 Milliarden Menschen zu ernähren,            auch darüber hinaus. Wir werden im nächsten Jahr eine
während 850 Mio. Menschen trotzdem Hunger leiden                   ganze Reihe von Veranstaltungen durchführen, um zur Be-
müssen und eine knappe weitere Milliarde Menschen un-              wusstseinsbildung beizutragen, sowie auch ein Buch zum
terernährt sind. Das ist tragisch und traurig. Die Gründe          Thema synthetische Pestizide herausgeben. Über dreissig
hierfür sind vielfältig, das ganze Thema Welternährung             verschiedene renommierte AutorInnen beleuchten ökolo-
komplex. Die Frage, ob Bio die Welt ernähren kann und              gische, medizinische, rechtliche, wirtschaftliche Aspekte,
wenn ja wie, wird uns wohl auch in den kommenden Aus-              aber auch Transformationsstrategien und Zukunftsvisio-
gaben unseres Magazins begleiten.                                  nen. Verschiedene Praktiker berichten von ihren Erfahrun-
                                                                   gen mit einer Landwirtschaftspraxis, die ohne synthetische
Ein wichtiges Instrument im Baukasten der modernen in-             Pestizide auskommt. Im vorliegenden Magazin veröffentli-
dustriellen Landwirtschaft sind synthetische Pestizide. Sie        chen wir zudem vier gekürzte Beiträge im Voraus, auch um
sind umstritten und nachdem Rückstände unterschied-                Sie, liebe Leserinnen und Leser, zu motivieren, schon mal
lichster sogenannter «Pflanzenschutzmittel», was für ein           ein oder mehrere Exemplare zu erwerben oder sich mit
verharmlosender Begriff, in der Arktis und in der mensch-          einer Spende an unseren bewusstseinsbildenden Aktivitä-
lichen Muttermilch gefunden werden und die enormen                 ten zu beteiligen und sie dadurch zu potenzieren. Erhalten
ökologischen und gesundheitlichen Schäden immer deut-              werden Sie die Lieferung im Frühjahr 2020, voraussichtlich
licher werden, fragen sich viele Menschen, ob wir diese            im April.
im industriellen Massstab organisierte Vergiftung des Le-
bens nicht so schnell wie möglich beenden sollten, nicht           Mit freundlichem Gruss und den besten Wünschen für die
zuletzt weil derzeit offenbar niemand die langfristigen Fol-       kommende Weihnachtszeit
gen für alles, was lebt, abschätzen kann. In der Schweiz,
im Land der Direkten Demokratie, wo wir Bürgerinnen                Mathias Forster
und Bürger über wesentliche Fragen mitentscheiden kön-
nen, haben zwei Initiativen genügend Unterschriften ge-
sammelt, sodass es 2020 zur Volksabstimmung zu ihren
Anliegen kommen wird. Die im Volksmund so genannte

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                   2
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Kann             Bio
die Welt ernähren?
                                                             Felix Löwenstein

                                                                       «Wir werden uns
Die Landwirte der Welt ernten so viel wie nie zuvor. Und
zwar nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch pro Kopf.           ökologisch ernähren
Rein rechnerisch könnten 12 bis 14 Milliarden Menschen
satt werden und sich gesund ernähren. Doch trotz dieser              oder gar nicht mehr»
gewaltigen Lebensmittelmengen kommt bei jedem ach-
ten Erdenbürger nicht ausreichend Essen auf den Tisch.
Fast 850 Millionen zählt das Heer der Hungernden auf
der Welt, eine knappe weitere Milliarde Menschen sind
unterernährt.
                                                                 termittel vom Acker geht, geht ein Vielfaches an Kalorien
Die Ursachen für Hunger sind so vielfältig und komplex           für die direkte Versorgung der Menschen verloren. Neben
wie die Stellschrauben, an denen für seine Bekämpfung            der Konkurrenz zwischen Futtermittel- und Nahrungsmit-
gedreht werden muss. Es sind miserable Regierungen,              telproduktion steigt der Bedarf nach nachwachsenden
Kriege sowie ungerechte Verteilung von Land und Ein-             Rohstoffen zur Energieversorgung. Das führt nicht nur
kommen, die Menschen in Afrika und anderswo daran hin-           dazu, dass weniger Fläche zur Nahrungsmittelerzeugung
dern, Nahrungsmittel zu erwerben oder Vorräte für Dür-           vorhanden ist, sondern treibt auch die Preise in die Höhe.
rezeiten anzulegen. Auch durch Verschwendung gehen               Allein zwischen 2003 und 2007 erhöhte der Abfluss von
Massen von Nahrungsmittel unwiederbringlich verloren:            Nahrungsmitteln zur Produktion von Biokraftstoffen
in den Ländern des Westen landet die Hälfte aller Agrarer-       die Nahrungsmittelpreise um rund 30%.
zeugnisse im Müll; die Länder des Süden erleiden starke
Nachernteverluste wegen mangelnder Lager-, Transport-            All das scheint nur einen Schluss zuzulassen: Wir müssen
und Verarbeitungsmöglichkeiten. Diese Grössenordnung             noch mehr produzieren. Da die Anbauflächen kaum ver-
zeigt, wo die wichtigen Reserven liegen. Besonders wir           mehrbar sind, müssen die Flächenerträge gesteigert wer-
Menschen in den Industrieländern verbrauchen oft sehr            den. Diese so logisch erscheinende Überlegung führt zur
viel mehr als uns zusteht. Das liegt vor allem an unserem        Schlussfolgerung der Agrarindustrie: Die Landwirtschaft
grossen Appetit nach Fleisch: zwischen 80 und 124 kg             muss produktiver werden. Dazu braucht es Düngemittel
pro Jahr verzehren Deutsche, Franzosen oder Amerikaner.          und Pestizide und gentechnisch massgeschneiderte Pflan-
Pro Jahr! Dazu steigt die Nachfrage nach Fleisch auch in         zen. Das klingt zwar einleuchtend, ist aber falsch. Denn
vielen aufstrebenden Volkswirtschaften. Ein Grossteil der        kein noch so produktives System agrarischer Erzeugung
Ernte wird dafür an Nutztiere verfüttert. Sofern es dabei        könnte auf dieser Erde leisten, was nötig wäre, damit alle
nicht um den Aufwuchs von Grünland, sondern um Fut-              Menschen unseren westlichen Lebensstil leben.

                                                             3
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Schaut man genauer auf das Heer der Hungernden und                 Quellen menschengemachter Klimagas-Emissionen. Vor
Unterversorgten, wird deutlich: Zwei Drittel der hungern-          allem durch die Rodung von Wäldern und Umwandlung
den Menschen leben auf dem Land. Insbesondere Frauen               von Grünland in Ackerland, den Ausstoss von Lachgas aus
in Entwicklungsländern sind benachteiligt. Denn sie ver-           Mineraldüngung oder Methan durch Wiederkäuer und
richten zwar einen Grossteil der landwirtschaftlichen Ar-          Reisanbau wird die Lebensmittelproduktion zum Klimakil-
beit, besitzen weltweit aber nur zwei Prozent des Landes           ler. Die globale Erwärmung ihrerseits trägt zur Zerstörung
und leben deshalb häufiger in extremer Armut. Die Kon-             genau derjenigen Ressourcen bei, die zur Versorgung
kurrenz um Flächen für die Nahrungsmittelproduktion,               einer wachsenden Weltbevölkerung benötigt werden.
                                                                   Bereits heute gehen jährlich mehr als 10 Millionen Hekt-
                                                                   ar fruchtbarer Boden durch Übernutzung und die Folgen
                                                                   des Klimawandels verloren. Und gerade die Menschen,
                                                                   die nur wenig Land und keine anderen Einkommensmög-
                                                                   lichkeiten haben, spüren Ernteausfälle durch die Folgen
                                                                   des Klimawandels wie Überschwemmungen, Stürme oder
                                                                   Trockenheit besonders dramatisch.

                                                                   Was braucht es, damit nachhaltig alle satt werden? Die
                                                                   steigenden Kosten für Betriebsmittel zeigen, dass es in Zu-
                                                                   kunft wenig sinnvoll und vor allem unmöglich sein wird,
                                                                   den mit enormen Energiemengen hergestellten Stickstoff
                                                                   zur Grundlage des Pflanzenanbaus zu machen. Umso
                                                                   mehr, wenn man bedenkt, dass der Teil des künstlich ge-
                                                                   wonnenen Minerals, der versickert oder als Stickoxide in
                                                                   die Luft aufsteigt, Gewässer verunreinigt und den Treib-
                                                                   hauseffekt verstärkt. Ähnlich sieht es mit Phosphat aus, das
                                                                   nicht synthetisiert, sondern aus Lagerstätten gewonnen
                                                                   wird, die in wenigen Jahrzehnten erschöpft sein werden.

                                                                   Aber auch die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten, an Nah-
                                                                   rungspflanzen, Nutztier-Rassen und Pflanzensorten sind
den Anbau für nachwachsende Rohstoffe und Tierfutter               Ressourcen, deren dramatische Verringerung schlimme
weckt Begehrlichkeiten. Land wird knapper und Acker-               Folgen mit sich bringt. Auch hier ist eine Landwirtschaft als
böden werden zum Anlageobjekt. In Industrieländern wie             Verursacher beteiligt, die mit rationalisierten Produktions-
Deutschland, den USA oder Frankreich steigen die Pacht-            verfahren billig grosse Nahrungsmengen erzeugt.
preise. Private Investoren aber auch Staaten entdecken
den Wert von fruchtbarem Land und decken sich mit gros-            Am weitesten über die Grenzen des nachhaltig Mög-
sen Agrar-Flächen in den klammen Staaten Afrikas ein. Wo           lichen ist die «Tierproduktion» geraten, die aus Mitge-
Kleinbauern nicht durch offizielle Verträge geschützt sind,        schöpfen Fabrikgüter für die Massenherstellung macht.
wird ihnen das dringend benötigte Land einfach wegge-              Sie verursacht Probleme für Umwelt und Tierschutz und
nommen. Land Grabbing und die Spekulation mit Boden                bedroht unsere Gesundheit nicht nur, weil billiges Fleisch
oder Agrarrohstoffen verschärfen somit die Welternäh-              zu übermässigem Konsum verführt. In der industriellen
rungssituation zusätzlich.                                         Tierhaltung kommen grosse Mengen an Antibiotika zum
                                                                   Einsatz, welche die Entstehung gesundheitsgefährdender
So wenig wie mangelnde Produktivität die Hauptursache              antibiotikaresistenter Keime fördern. Zudem funktioniert
des Hungers ist, so wenig ist ein System industrieller Land-       Agrarindustrie auch im Bereich der Tierproduktion nur auf
wirtschaft, wie es die Vertreter grosser Saatgut- und Ag-          Pump: auf Millionen von Hektaren einstigen Regenwaldes
rarchemiemultis von BASF oder Monsanto im Sinn haben,              in Südamerika wachsen Sojabohnen in Monokultur, die als
zukunftsfähig. Denn dass gerade die Menschen auf dem               Eiweissfuttermittel in europäischen Viehtrögen landen. Ur-
Land durch extreme Armut am meisten Mangel leiden,                 wald für Schnitzel, sozusagen.
zeigt: eine Landwirtschaft, die nur mit regelmässigen Inves-
titionen in teure Betriebsmittel wie chemisch-synthetische         Diese Diagnose führt zu einer unumgänglichen Thera-
Pflanzenschutzmittel, Dünger, patentiertem Gentech-Saat-           pie: Unsere Landwirtschaft muss ökologisch werden
gut und kostenintensiven Maschinen funktioniert, ist kein          und unsere Ernährungsweise auch. Das Gegenmodell zur
Modell. Sie nutzt mehr Ressourcen als zur Verfügung ste-           Agrarindustrie ist der Ökologische Landbau mit seinem
hen. Und sie trägt erheblich zum Klimawandel bei. Be-              umfangreichen Methodenrepertoire. Durch Ökologische
reits heute gehört die Landwirtschaft zu den wichtigsten           Intensivierung, also der intelligenten Nutzung der Natur

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                   4
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
bei möglichst geringem Einsatz von zusätzlichen Betriebs-
mitteln, können Landwirte Ertragssteigerungen erzielen
und verbessern damit ihre Einkommenssituation. Die
Grundlage der ökologischen Intensivierung bildet eine
Kombination aus modernster wissenschaftlicher Erkennt-
nis und dem reichen Erfahrungsschatz, der insbesondere
in traditionellen Gesellschaften noch erhalten ist. Sie nutzt,
erhält und fördert die ungeheure Vielfalt an Pflanzenarten,
Sorten und Tierrassen, soweit sie in der industriellen Land-
wirtschaft noch nicht untergegangen ist.

Beispiele in Haiti oder auf den Philippinen, in Kenia oder
Äthiopien zeigen, dass dort, wo heute Menschen Hunger
leiden – in den ländlichen Regionen des Südens – Ertrags-
steigerungen und Einkommenssicherung möglich sind.
Und zwar ohne dass die Bauern ihre Einkünfte für den
Kauf von Chemikalien aus den Industriestaaten verwen-
den müssen und ohne dass sie in die Abhängigkeit jener
Patente geraten, mit denen die Gentechnikindustrie ihre
Saaten versieht. In den letzten Jahren wurden ausreichend
Daten erhoben und ausgewertet, um die Effizienz dieses
Systems zu belegen. So verwundert es nicht, dass immer               gutes Fleisch zum doppelten Preis erhöht die Lebensmit-
mehr Organisationen der Entwicklungshilfe oder der Ver-              telausgaben nicht, ist gesünder und bildet einen Beitrag
einten Nationen darauf drängen, auf eine ökologische                 zur Sicherung der Welternährung.
Intensivierung der Landwirtschaft zu setzen und nicht auf            Damit die Politik es wagt, Massnahmen zu ergreifen, muss
eine Industrialisierung nach westlichem Vorbild. In Indien           der Bewusstseinswandel bei uns Bürgerinnen und Bür-
haben sich bereits drei Bundesstaaten auf den Weg zur                gern, Wählerinnen und Wählern voranschreiten. Die Zeit
Vollumstellung ihrer Landwirtschaft gemacht.                         dafür ist günstig!

Die Zeit ist gekommen, nicht mehr das
«ob», sondern das «wie» zu diskutieren.
Wie schaffen wir die Transformation hin
zu einer Ökologischen Landwirtschaft, die
auch künftigen Generationen ihre Leben-
                                                        Dr. Felix Prinz zu Löwenstein
schancen lässt? Der Schlüssel dafür liegt
in dem, was die Ökonomen «Kostenin-                     Dr. Felix Prinz zu Löwenstein ist ein deutscher Agrarwis-
ternalisierung» nennen. Es muss Schluss                 senschaftler und Landwirt. Er gilt als bedeutender Kritiker
damit gemacht werden, dass ein erhebli-                 der modernen industriellen Landwirtschaft. Felix Prinz zu
cher Teil der Produktionskosten von der                 Löwenstein bekleidet verschiedene Ehrenämter in Orga-
Umwelt gezahlt wird, statt damit den                    nisationen des Ökologischen Landbaus: Vorstandsvorsit-
Preis der Produkte zu belasten. Wenn                    zender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft
sich Kosten, wie sie durch die Ausschwem-               (BÖLW) und Vorstandsmitglied des Forschungsinstituts für
mung von Nährstoffen in Gewässer, durch                 biologischen Landbau (FiBL Deutschland). 2011 veröffent-
Klimawandel, Verlust der Artenvielfalt oder             lichte er sein Buch ‹Food Crash›, das von Deutschlandradio
dem Bienensterben verursacht werden, im                 Kultur als «beeindruckendes und überzeugendes Plädoyer
Preis des Schnitzels wiederfinden würden,               für eine ökologische Landwirtschaft» und von ‹Spektrum
zöge das eine Reihe von Konsequenzen                    der Wissenschaft› als «Plädoyer für ein nachhaltigeres und
nach sich: So wäre die Produktion mit den               gerechteres Landwirtschaftssystem» bezeichnet wurde.
geringsten Allgemeinkosten konkurrenzfä-                2016 erhielt er für sein vielseitiges Engagement im Öko-
hig. Das ist der Ökologische Landbau auch               landbau das Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundes-
dann, wenn man berücksichtigt, dass er auf              republik Deutschland.
vielen Feldern noch weiterentwickelt wer-               Dr. Felix Prinz zu Löwenstein ist zudem Botschafter des
den muss, um dem Ziel einer vollkomme-                  Bodenfruchtbarkeitsfonds.
nen Nachhaltigkeit näherzukommen. Und
unser Ernährungsverhalten würde sich än-
dern – zum Nutzen aller: Denn halb so viel

                                                                 5
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Herbstimpressionen
		      Weidriethof, Liechtenstein

                                                                  Meter, der erste Bodenfrost und röhrende Rothirsche in
                                                                  der Nacht bei meinem Hof lassen keinen Zweifel. Gemäss
                                                                  Prognosen regnet es die nächste Woche jeden Tag. Ich bin
                                                                  heilfroh, dass ich meine 5 ha Kartoffeln und meine 2.5 ha
                                                                  Karotten im September schon geerntet habe … Insbeson-
                                                                  dere bei der Kartoffelernte hat sich gezeigt, dass der Bo-
                                                                  den von den Gründüngungen, die ich nun seit 5 Jahren
                                                                  anbaue, stark profitiert hat. Die Erträge waren super und
                                                                  auf der Erntemaschine hatten wir durch die gute Boden-
                                                                  struktur sehr wenig Arbeit mit dem Aussortieren von Erd-
                                                                  schollen.

                                                                  Nach der Ernte habe ich, sobald als möglich, Wickroggen
                                                                  angesät, der sich jetzt gut entwickelt.

                                                                  Meine 9 ha Winterweizen habe ich letzte Woche mit dem
                                                                  neuen Traktor pfluglos angesät, was auch Dank der super
                                                                  Bereifung (80 cm Breitreifen) gut gelungen ist. Unsere
                                                                  schweren Böden trocknen im Oktober schlecht ab. Bei
                                                                  den Landwirten, die jetzt noch Kartoffeln im Boden haben,
                                                                  ist die Stimmung angespannt. Es schmerzt alle Landwir-
                                                                  te, wenn wir bei zu nassen Bodenbedingungen mit den
                                                                  schweren Erntemaschinen den Boden befahren müssen.
Als Biolandwirt ist mein Leben im Herbst stark vom Wet-           Die Erntemaschinen sind einfach noch zu schwer und
terablauf geprägt. Ernten und Ansäen geht einfach bei             richten insbesondere bei nassen Bodenbedingungen
trockenen Bedingungen viel besser und die sind in die-            grossen Schaden an. Hier muss die Landtechnikbranche
sem Herbst bei uns in Liechtenstein rar. Der Herbst ist bei       unbedingt noch ihre Hausaufgaben machen!
uns nach dem verregneten August und einem «normalen»
September jetzt definitiv eingekehrt … Schnee bis auf 1200                                                      Georg Frick

                                                                                               Wickroggen 5 Tage nach der Saat

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                  6
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Eindrücke und Erlebnisse vom Patenhoftag 2019
bei   SlowGrow in Mönchaltorf

Das Wetter war schön, aber nicht zu heiss, als sich am
12. September ca. 50 Menschen bei SlowGrow, dem
Hof von Matthias Hollenstein und Samuel Bähler, ein-
fanden und vom Hofteam und einem kleinen Bauern-
hof-Apéro mit pikanten Dips aus buntem Gemüse
begrüsst wurden. SlowGrow, der zukunftsweisende
Hof mit dem Ziel einer regenerativen Landwirtschaft,
ist etwas Besonderes, das war schon bei der Ankunft
spürbar.
Den Einstieg in den Nachmittag machte Matthias
Hollenstein mit einer kurzen Vorstellung ihres insge-
samt gut 15 Hektar grossen Betriebs, auf dem mit in-
novativen Anbaumethoden gesunde, schmackhafte
Lebensmittel in Bioqualität angepflanzt werden. Der
Strom an Gästen – in erster Linie Patinnen und Paten
des BFF, für die der Anlass ja durchgeführt wurde —
schien dabei nicht versiegen zu wollen. Mathias Fors-
ter stellte anschliessend den Bodenfruchtbarkeits-
fonds vor, in dem SlowGrow ein Partnerbetrieb ist,
und verdeutlichte dabei die Wichtigkeit der Rolle der
Landwirte zum Aufbau der Bodenfruchtbarkeit sowie              Matthias Hollenstein
die Notwendigkeit, ihnen die nötigen Freiräume da-
für zu ermöglichen.

Mit Dr. Ulrich Hampl ging es danach zur Bodenan-             zen der Boden belebt wird. So lebendig und vielfältig sah
sprache, um den Zustand des Bodens näher zu un-              es dort vor einem Jahr jedoch noch nicht aus. Mit kon-
tersuchen: An einem Gründüngungsfeld wurde kur-              ventionellen Methoden wurde auf der Fläche zuvor Mais
zerhand ein Spaten voll Erde ausgehoben, damit die           angebaut, der Boden war an vielen Stellen verdichtet mit
Besucher sehen konnten, wie durch vielfältige Pflan-         einer Tendenz zur Plattenbildung. Mit einer vorgängigen

                                                         7
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Bodenlockerung und der Ansaat einer intensiv wurzeln-            es ist, den Boden möglichst intakt zu halten. Dabei war
den – und essbaren – Pflanzenmischung konnten jedoch             sehr gut spürbar, dass Matthias seiner Arbeit mit Herz und
bereits nach einem Jahr «eine intensive Durchwurzelung           Seele nachgeht und sich dabei ein enormes Wissen auf-
des Bodens bis zur Bearbeitungstiefe (ca. 30 cm) und eine        gebaut hat. Auf mich hat er gewirkt wie ein überlaufendes
bereits deutlich sichtbare Krümelstruktur im gesamten            Fass an Gedanken und Ideen, die nur darauf warten, aus-
Spaten-Profil» erreicht werden, wie der Bodenexperte Dr.         probiert und umgesetzt zu werden. Ich fand das so faszi-
Ulrich Hampl betonte.                                            nierend, dass ich am liebsten gleich dageblieben wäre!
                                                                 Doch es wartete bereits ein weiterer Posten auf die Gäs-
Als Laie ist mir jedoch vor allem im Gedächtnis geblieben,       te. Samuel Bähler zeige uns den unglaublich vielfältigen
wie anschaulich Ulrich Hampl vermitteln konnte, wie die          Gemüsegarten von SlowGrow, bei dem die Flächen mit
Pflanzen mithilfe der Photosynthese und durch ihre Wur-          Mulch (Holzschnitzel oder Wiesenschnitt) abdeckt wur-
zeln den Boden und seine Lebewesen mit Nahrung ver-              den, wodurch viel weniger gejätet werden muss, die
sorgen, dass die Wurzeln hierbei zentral sind, um eine ge-       Feuchtigkeit sich im Boden halten kann und der Boden
sunde Bodenstruktur aufzubauen, dass die Pflanzen der            gleichzeitig mit Humus versorgt wird. Beim Rundgang
Schlüssel für einen lebendigen, intakten Boden sind. Auch        durften wir Fenchel-Blüten und kleine Babyfenchel pro-
habe ich gelernt, dass es in der Natur, sofern Klima und         bieren. Wussten Sie, dass Kohlrabi, Fenchel und andere
Geografie es zulassen, keinen unbedeckten Boden gibt,            Gemüse mehrmals nachwachsen, wenn sie knapp ober-
dass Gründüngungen den Boden ernähren, sodass dieser             halb der Wurzeln abgeschnitten werden? – Ich wusste das
anschliessend die Kulturpflanzen ernähren kann und wir           jedenfalls nicht!
erst, wenn dieses Gleichgewicht gestört ist, mit Düngemit-
teln nachhelfen müssen. Das fand sogar mein 1.5-jähriger         Als Abschluss des Tages wurde den Gästen am offenen
Sohn spannend – oder waren es doch die Krähen im Baum            Feuer zubereitetes Fladenbrot und eine grosse Gemüse-
über uns?                                                        pfanne serviert. Bei den dabei entstandenen Gesprächen
                                                                 wurde noch lange und angeregt über den Tag, den Boden
Beim nächsten Programmpunkt teilten sich die Gäste in            und die wertvolle Arbeit der Landwirte sowie des Boden-
zwei Gruppen. Ich durfte zuerst mit Matthias Hollenstein         fruchtbarkeitsfonds philosophiert. Alles in allem fand ich
mitgehen, der uns über die Felder und durch seine Ge-            den Patenhoftag bei SlowGrow äussert gelungen und ich
danken führte. Matthias sprach dabei unter anderem da-           habe mir fest vorgenommen, den Hof baldmöglichst wie-
von, wie wir das riesige Netzwerk aus Wurzeln und Pilzen         der zu besuchen – das nächste Mal aber mit mehr Zeit und
im Boden, das Soil Wide Web, durch die Bearbeitung mit           einem Notizblock.
Boden-wendenden Maschinen zerstören und wie wichtig
                                                                                                            Urs Handschin

-> Kurzfilm zum Patenhoftag 2019

        BODEN
        FRUCHTBARKEIT
        FONDS                                                8
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Warum ich Patin beim Bodenfruchtbarkeitsfonds geworden bin

                                                      Sina Henne

Setzt man sich als Laie für einen Moment, um sich die auf
den ersten Blick so offensichtliche Frage zu stellen, «was
ist Boden?», dann mag man den Eindruck gewinnen, es
wurde von Experten schon so vieles darüber gesagt. Für
mich persönlich ist der Boden ein guter Freund. Wobei
Freund ein sehr kleines Wort für ein solch grundlegen-
des Wesen des Bodenorganismus ist. Denn ohne Boden
– kein Leben. Für mich ist er wie ein eigenständiges We-
sen, das Leben hervorbringt, erhält – und am Ende der
«Party» eines blühenden Lebens alles «aufräumt». Wenn er
«arbeitet», erschafft er mit seiner Kraft unglaubliche Ge-
birgslandschaften, säubert unser Wasser, reinigt und regu-
liert die Bestandteile unserer Atemluft, baut unsere «Hin-
terlassenschaften» ab und schafft auf vielfältigste Weisen          Freunde beutet man nicht aus. Für Freunde wünscht man
ein Zuhause für viele weitere Mitbewohner – in jeder Art            nur das Beste und unterstützt, um dem anderen seine
und Grösse. Die Charaktere des Terroire der Landschaf-              bestmögliche Entfaltung ermöglichen zu können. In ei-
ten, die er prägt, sind so vielfältig und unterschiedlich wie       ner Freundschaft herrschen Gleichgewichte.
die Menschen, die auf ihm leben – aus dem wir gemacht
sind und von dem wir uns ernähren. Und ob man es nun                Zwar werden wir in der Freundschaft mit dem Boden
auf Aminosäuren, Spurenelemente, Hefen, Bakterien oder              und dem Wesen der Erde wohl nie all das zurückgeben
andere «kleinste Nenner» herunterbrechen will: Wir alle             können, was wir von ihr bekommen –­doch wir können
sind ein Teil dieses Bodens. Teil unserer Mitwelt. Er ist das       mindestens achtsam, dankbar und vorsichtig miteinan-
Alpha und das Omega des grossen Kreislaufes auf Erden.              der umgehen und mithelfen, wo wir können. Eine «Pa-
                                                                    tenschaft» für Bodenfruchtbarkeit im Bodenfruchtbar-
Was also gäbe es wichtigeres, als diese einmalige Bezie-            keitsfonds ist daher wohl nur ein erster, kleiner Schritt
hung und so besondere Freundschaft zu pflegen? Uns um               auf dem Weg zu mehr gemeinsamer Verantwortung und
den Schutz seiner Gesundheit und ein gesundes Gleich-               mehr Wertschätzung.
gewicht zu bemühen, damit wir ihn guten Gewissens in
die Hände nachkommender Generationen legen kön-                     Sina Henne ist Gründerin der fairnESSkultur und Heraus-
nen? Dieser Boden ist ein unglaublich wertvoller Freund.            geberin des Magazins fairzückt!
Um Freunde kümmert man sich. Für Freunde sorgt man.                 blog.fairzueckt.de

                                                                9
Magazin 2 - Allianz für die Bodenfruchtbarkeit - BODEN FRUCHTBARKEIT FONDS - Bodenfruchtbarkeitsfonds
Unsere Partnerhöfe stellen sich vor

             «Im Herzen bin ich
                  ein Ackerbauer»
                  PARTNERHOF VOGEL-KAPPELER

Andy Vogel-Kappeler bewirtschaftet seinen Betrieb auf                 als Angestellter gearbeitet, zuletzt jahrelang als Leiter
590 Metern Höhe im kleinen Ort Wäldi (CH), auf dem See-               der Informatik-Abteilung im Treuhandbüro in Weinfelden.
rücken im Thurgau, etwa eine Viertelstunde südlich von
Konstanz.                                                             Allerdings war ihm schon als Schüler in der Oberstufe klar,
                                                                      dass er einmal den Hof seiner Eltern übernehmen und wei-
Mittlerweile betreibt er den Bauernhof mit etwa 12 Hektar             ter bewirtschaften würde. Damals war es noch ein Betrieb
im Haupterwerb und seine Frau Simone hat eine halbe Stel-             mit 16 Milchkühen, Ackerbau und Streuobst, wie dies im
le als Lehrerin. Früher hatte er zusätzlich zur Landwirtschaft        Thurgau so üblich war. Andy hatte aber «nie grosse Freud»

                                                                                                     Betrachtung eines Bodenprofiles

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                     10
Betriebsspiegel
      Flächen
      Acker: 10 ha
      Grünland: 1.5 ha
      Gesamt LN: 11.5 ha

      Tiere
      Junghennen-Aufzucht: 4000 Plätze

      Energieerzeugung mit Holzhackschnitzeln,
      Wärme für 35 Haushalte im Dorf

      Anbauverband: Bio Suisse seit 2007

                                                                                                            Simone und Andy

an den Kühen, sodass er, als er mit seiner Frau Simone            Seitdem ist Andy zwei- bis dreimal im Jahr aufgeregt,
auf den Hof zog und ihn übernahm, die Kühe abschaffte.            wenn 4000 neue «Damen», wie er die Hühnchen nennt,
Seine grosse Leidenschaft ist der Ackerbau mit der ent-           auf den Hof kommen. Nach 18 Wochen fürsorglicher Pfle-
sprechenden Technik – ein Jugendtraum war einmal ge-              ge verlassen die Küken den Hof dann als elegante legerei-
wesen, nach Kanada zu gehen «und grosse Traktoren zu              fe Junghennen und gehen in Bio-Legebetriebe. Seit die-
fahren». Das kam jedoch nicht zustande und so experi-             se Tiere nun den Hof beleben, hat er die zuletzt nur noch
mentierte er zuhause – zum Beispiel in der noch konventio-        geringfügige Nebenbeschäftigung als Computerspezia-
nellen Bewirtschaftungszeit mit dem pfluglosen Ackerbau.          list ganz aufgegeben. Denn dass sich die verschiedenen
                                                                  Betriebszweige des Hofes rechnen, ist ihm von Anfang an
Nicht zuletzt durch den Einfluss seiner Frau reifte zuneh-        wichtig gewesen – so kann er nun wirklich ausschliesslich
mend die Überlegung, den Hof auf ökologische Bewirt-              Bauer sein und den Hof im Haupterwerb betreiben.
schaftung umzustellen, was dann Anfang der 2000er Jahre
auch vollzogen wurde. Um den Betrieb auf weitere Stand-           Allerdings ist er weiterhin nebenbei als zweifacher Prä-
beine zu stellen, wurde 2009 eine Hackschnitzel-Heizanla-         sident tätig: Einerseits als Kommissionspräsident für er-
ge gebaut, über die mittlerweile 35 Gebäude im Dorf mit           neuerbare Energie im kantonalen Bauernverband, ande-
Wärme versorgt werden. Dabei sind das Schulhaus, einige           rerseits als Präsident von Swiss Green Protein. Dies ist ein
Mehrfamilienhäuser sowie der eigene Hühnerstall. Der Ein-         Verein, der sich darum bemüht, heimisches Eiweiss aus
satz erneuerbarer Energie ist Andy ein grosses Anliegen –         Grünpflanzen wie Klee und Luzerne zu gewinnen und zu
zurzeit überlegt er, wie er auch die Stromerzeugung autark        vermarkten. Der Kontakt dazu kam über entsprechende
gestalten könnte. Da ist vor allem die umweltfreundliche          Versuche an der Fachschule Arenenberg. Andy hat sich
und effektive Speicherung noch eine ungelöste Aufgabe.            daran früh beteiligt und produziert seitdem Klee und Lu-
                                                                  zerne für Eiweiss-Pellets, die hauptsächlich in der Milch-
Flächenmässiges Wachstum des Hofs ist auf dem Stand-              viehfütterung eingesetzt werden. Tüftler wie er ist, probiert
ort kaum möglich, da freiwerdende Flächen in der Regel            er nun Verfahren aus, wie dieses Futter auch für Hühner
von grösseren Gemüsebauern übernommen werden, die                 eingesetzt werden könnte. Seine gefiederten «Damen»
eine höhere Pacht zahlen können. Deshalb setzte Andy              waren jedenfalls von getrockneten Kurzhalm-Proben, die
2016 noch einmal auf eine weitere Investition zur Inten-          er ihnen auf Tellern dargereicht hat, absolut begeistert.
sivierung des Betriebes: Er wagte sich an den Bau eines
Aufzucht-Stalles für 4000 Junghennen. Bio-Junghennen-             Eine andere Leidenschaft ist für ihn der Anbau von Soja-
aufzucht ist eine gefragte Nische, da die Biogeflügelhal-         bohnen, den er schon viele Jahre betreibt und mittlerweile
tung auch in der Schweiz boomt.                                   für die Verwendung als Speise-Soja, Tofu u.a. vermarkten

                                                             11
kann – «im Herzen bin ich ein Ackerbauer», sagt er. Das          So arbeitet er jetzt weiter daran, zunehmend auf den Pflug
spürt man auch, wenn man mit ihm über seine Felder geht          verzichten zu können, den er durchaus nach der Umstel-
und ihm zuhört, wie er über seine Pflanzen spricht.              lung auf Ökolandbau zur Unkrautregulierung wieder öfter
                                                                 eingesetzt hatte. Eine nicht wendende Bodenbearbeitung
Gefragt, was ihm am Bauer-Sein am meisten gefällt, ant-          auf seinen sehr tonhaltigen Böden braucht allerdings eine
wortet er: Die Herausforderung, mit Hilfe von Technik und        hohe Geistesgegenwart und flexible Bearbeitungs-Ent-
geeigneten Bewirtschaftungsabläufen jeweils das Opti-            scheidungen. Im Moment ist er dabei, die Fruchtfolge mit
mum für das Leben von Pflanzen und Tieren bereitzustel-          verschiedenen Gründüngungsgemengen zu optimieren
len. Auch, dass man als Bauer sein eigener Chef ist und          und nach einem geeigneten, nicht wendenden Locke-
einen unglaublich abwechslungsreichen Beruf hat, liebt           rungsgerät zu suchen.
Andy sehr. Und natürlich auch, wenn die Ernte gut ist –
«wenn`s en rechte Wage voll git!»                                Eigentlich will er schon seit zwei Jahren eine Betriebs-
                                                                 Homepage aufbauen, auf der auch der Boden als Basis
Nachteil ist höchstens manchmal das Ausgeliefertsein z.B.        des Ökolandbaus ins Zentrum gerückt wird. Aber seit er
an ungünstige Wetterverhältnisse oder wenn etwa die              seine gefiederten «Damen» hat, findet er einfach die nöti-
Wildschweine im Mais die mühevolle Pflegearbeit in kur-          ge Ruhe und Zeit noch nicht dafür … Deshalb hält er ge-
zer Zeit zunichtemachen.                                         rade Ausschau nach einer zuverlässigen Vertretung für die
                                                                 Betreuung der Hühner. Denn es ist ihm ein Anliegen, mit
Begeistert stellt er sich aber schon immer der Herausfor-        der Umgebung zum Thema Erhaltung der Bodenfrucht-
derung, seine sehr schweren Böden nachhaltig zu bewirt-          barkeit in Kontakt zu treten. Und dafür sollen sowohl die
schaften. In der konventionellen Zeit habe er auch viele         geplante Internetseite als auch Infotafeln auf Hof und Fel-
Sünden begangen, wie er sagt, z.B. bei der Ernte der Zu-         dern dienen.
ckerrüben, wo mit schweren Achslasten auf nassen Böden
herumgefahren worden sei. Jetzt ist es absolut vorrangig,        Tochter und Sohn sind gerade erwachsen geworden und
keine solchen Sünden mehr zu begehen, sondern im Ge-             es ist noch völlig offen, ob der Hof einmal von ihnen wei-
genteil alles daran zu setzen, dem Boden Gutes zu tun.           tergeführt werden wird. Aber als Jahrgang 1967 ist Andy
Hierbei kam die Teilnahme am Projekt Bodenfruchtbar-             jung genug, um noch viele seiner weiterhin sprudelnden
keitsfonds gerade recht, auf dessen Ausschreibung er             Ideen auf dem Hof umzusetzen.
sich vor drei Jahren bewarb. An dem Projekt BFF schätzt
er besonders die fachliche Begleitung. Die Optimierung           Wir wünschen ihm und seiner Frau dabei gutes Gelingen!
von Bodenbearbeitung und Fruchtfolge in Abstimmung
mit Ulrich Hampl ist ihm dabei ein besonderes Anliegen.                                                       Ulrich Hampl

      BODEN
      FRUCHTBARKEIT
      FONDS                                                 12
der
Bodenfruchtbarkeitsfonds
und myclimate
– eine klimawirksame Partnerschaft beginnt

  Der Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung
  Schweiz und die Stiftung myclimate Schweiz bieten
  einen neuen, zusammen mit Soil and More Impacts
  entwickelten Typ von Klimaschutzprogramm an: Koh-
  lenstoffspeicherung in Ackerböden. Bodenerosion und
  Humusverlust sind weltweit, aber auch in der Schweiz
  und in den Nachbarländern leider ein Trend. Dank
  dem Bodenfruchtbarkeitsfonds erhalten Bio-Bauern
  in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Liechten-       auf landwirtschaftlichen Flächen um den Faktor 10 – 100
  stein, Förderbeiträge und betriebsspezifische Bera-         schneller ist als die Bodenbildungsrate.
  tungen, um ihre Bodenentwicklung voranzubringen
  und humusaufbauende Massnahmen umzusetzen. So               Es ist ein Teufelskreis: Durch den Preisdruck von Billigim-
  tragen sie zu einer klimapositiven, ernährungssicheren      porten müssen Bäuerinnen und Bauern ihre Böden inten-
  und zukunftsfähigen Landwirtschaft bei.                     siver bewirtschaften und sind gezwungen, ökologische
                                                              Massnahmen zu vernachlässigen. Dadurch trägt vor allem
                                                              die industrielle Landwirtschaft insgesamt einen immer re-
  Die landwirtschaftlichen Flächen verlieren durch inten-     levanteren Anteil zum Klimawandel bei. Der neueste IPCC-
  sive Bewirtschaftung konstant an Humus und somit ihre       Sonderbericht (2019) schätzt, dass die Land- und Forst-
  Fruchtbarkeit. Sogar der Nährstoffgehalt von Bioböden       wirtschaft (inkl. deren veränderten Landnutzung) zu 23%
  ist tendenziell abnehmend, weil die zeitintensiven Mass-    der anthropogenen Treibhausgasemissionen beitragen.
  nahmen für Humuserhalt und langfristigen Humusaufbau        Gleichzeitig sind die Bäuerinnen und Bauern aber direkt
  nicht wirklich entlöhnt werden. Neueste Schätzungen vom     vom Klimawandel betroffen, wie zum Beispiel durch län-
  IPCC Sonderbericht (2019) zeigen, dass die Bodenerosion     gere Trockenperioden oder Starkregenereignisse.

                                                             13
Fruchtbare Böden als wertvolle
Kohlenstoff-Speicher

Die Landwirtschaft mit ihren Böden bietet aber ein gros-
ses Kohlenstoff-Speicherpotenzial, denn Böden speichern
dreimal mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre. Der Kohlen-
stoff in Böden stammt unter anderem aus dem atmosphä-
rischen Kohlendioxid (CO2), den Pflanzen durch Photosyn-
these entnehmen und im Boden durch die Pflanzenwurzeln
und Mikroorganismen speichern. Je intakter ein Boden,
desto mehr Kohlenstoff wird im Ackerboden gespeichert.
Durch bodenschonende und humusaufbauende Mass-
nahmen wird die Humusanreicherung erhöht, und so
dienen fruchtbare Ackerböden als Kohlenstoff-Senken —
diese binden aktiv die menschengemachten CO2-Emissi-              Klimaschutz durch regionale und
onen aus der Atmosphäre (sog. Negativemissionen).                 internationale Bodenfruchtbarkeits-Pflege

Der Bodenfruchtbarkeitsfonds lehnt sich an die 4-Pro-
                                      Im Zentrum des Bodenfruchtbarkeitsfonds stehen die För-
mille-Initiative der UN an, welche Böden als relevante
                                      derung von Humus aufbauenden Massnahmen auf Acker-
CO2-Senken sieht. Die Initiative geht davon aus, dass eine
                                      flächen in Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der
jährliche, weltweite Steigerung des Humusgehaltes um
                                      Schweiz. 30 ausgewählte Partner-Betriebe, allesamt bio-
0.4% im Oberboden (0-40cm) die weltweiten, anthropo-
                                      logisch oder biologisch-dynamisch produzierend, verein-
genen CO2-Emissionen ausgleichen könnte. Eine weltwei-
                                      baren mit dem Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung
te Ökologisierung der Landwirtschaft wäre also einer der
                                      Schweiz jährlich standort- und betriebsoptimierte Akti-
grössten Hebel zur Reduktion der Treibhausgase.
                                      vitäten um die Bodenfruchtbarkeit zu erhöhen und ihre
                                                        Böden zu entwickeln. Dazu gehört z.B.
                                                        der Aufbau und Eintrag von Kompost,
                                                        veränderte Fruchtfolgen, nichtwenden-
                                                        de Bodenbearbeitung, Mischkulturen
                                                        oder Gründüngungen. Als zusätzliche
«Mit diesem Klimaschutzprogramm zeigen                  und wichtige Massnahmen werden die
wir, dass die Bio-Bäuerinnen und -Bauern die            Bäuerinnen und Bauern mit individuel-
eigentlichen Stars auf der Klimabühne wer-              ler Beratung durch Bodenexperten vor
                                                        Ort und einer Austausch- und Wissens-
den könnten. Durch ihr umsichtiges Tun und              transfer-Plattform des Bodenfruchtbar-
Wirken - insbesondere im schonenden Um-                 keitsfonds unterstützt. Dieser moderier-
                                                        te Austausch untereinander, wo sich die
gang mit ihren Böden und einer nachhaltigen             Bauern als Partner im Ringen um den
Bodenentwicklung - werden sie zum Teil der              Erhalt und Aufbau der Bodenfruchtbar-
                                                        keit, anstatt als Konkurrenten erleben,
Lösung und gehen das Problem gemeinsam                  stellt einen wesentlichen Bestandteil
an der Wurzel an.»                                      dar und wird sehr geschätzt.

Mathias Forster, Geschäftsführer und Stiftungsrat, Bio-Stiftung Schweiz

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                 14
12 600 Tonnen CO2e und mehr

Humusaufbau geschieht nicht von heute auf morgen, es
ist ein längerer Prozess. Das Programm ist vorerst auf sie-
ben Jahre angelegt und hat das Ziel mindestens 12 600
Tonnen CO2e in diesem Zeitraum zu speichern. Weiter-
hin wird durch einen humusreicheren Boden auch die
Wasserspeicherkapazität verbessert und so die Resilienz
bei Wetterextremen erhöht. Die technische Berechnung
der CO2-Reduktionen wird durch Soil and More Impacts
durchgeführt, einem Unternehmen, das auch an der Ent-
wicklung der Berechnungs-
grundlagen und der Sys-
temgrenzen mit beteiligt
war. Die Kooperation vom                  «Dank diesem Pionierprojekt rücken wir die Bedeu-
Bodenfruchtbarkeitsfonds                   tung des Bodens und der Ökolandwirtschaft in den
und myclimate Schweiz
stellt somit nachhaltig si-                  Fokus unseres Engagements für den Klimaschutz.
cher, dass sich eine stress-            Mit dem Bodenfruchtbarkeitsfonds wurde ein Gefäss
resistente, gesunde und er-
nährungssichere Landwirt-
                                         geschaffen, in dem Bäuerinnen und Bauern eine kli-
schaft entwickeln kann. Im               mapositive Landwirtschaft lernen, betreiben und als
Rahmen der internationalen
Solidarität mit Bäuerinnen
                                                                              Vorbilder agieren können»
und Bauern in Entwick-
lungsländern und der von              Silvana Comino, Programmleiterin Klimaschutzprojekte, Stiftung myclimate Schweiz
der UNO und FAO ausge-
rufenen Dekade «Family
Farming» werden von mycli-
mate zusätzlich für alle erzielten Emissionsreduktionen aus
dem Bodenfruchtbarkeitsfonds-Projekt die gleichen Men-
gen an Emissionsreduktionen mit einem internationalen,
zertifizierten Kompensationsprogramm mit Kleinbauern in
Nicaragua stillgelegt.

Wenn Sie also an einer regionalen Wertschöpfungsbil-
dung durch eine Förderung der Bio-Landwirtschaft durch
freiwillige CO2-Kompensation Interesse haben, so zögern
Sie nicht, unseren Partner myclimate zu kontaktieren.

                          Mathias Forster und myclimate

       myclimate ist Partner für wirksamen Klimaschutz – global und lokal. Die internatio-
       nale Initiative mit Schweizer Wurzeln gehört weltweit zu den Qualitätsführern von
       freiwilligen CO2-Kompensationsmassnahmen. Mit Projekten höchster Qualität treibt
       myclimate weltweit messbaren Klimaschutz und eine nachhaltige Entwicklung vor-
       an. Emissionen werden reduziert, indem fossile Energiequellen durch erneuerbare
       Energien ersetzt, lokale Aufforstungsmassnahmen mit Kleinbauern umgesetzt,
       energieeffiziente Technologien implementiert und nun neu CO2 in Bio-Ackerböden
       gespeichert werden.

       info@myclimate.org • www.myclimate.org

                                                          15
Neue EU-Bio-Verordnung
und der               Umgang mit Pestiziden
Dr. sc.agr. Manon Haccius

Ich habe die Ausführungen von
Hanspeter Schmidt und von Alexan-
der Gerber in den beiden vorigen
Ausgaben dieses Magazins zur neuen
EU-Bio-Verordnung mit Interesse ge-
lesen. Ich möchte hier Bezug nehmen
zu einigen Aspekten, die Alexander
Gerber im Interview der letzten Aus-      Erfahrungen beruhen die Sorgen, die      Mein Eindruck ist, dass Bio-Unterneh-
gabe gesagt hat. Vorab ist mir wichtig,   einige Akteure der Branche, auch ich,    men solche Dokumentationen bis-
zweierlei zu betonen:                     mit Blick auf die Umsetzung der An-      her zu wenig vornehmen und dass
                                          forderungen der neuen EU-Bio-Ver-        die Kontrollstellen dies derzeit noch
1. Nachdrücklich möchte ich die deut-     ordnung haben. Ich meine daher, dass     nicht systematisch prüfen. Dadurch
schen Bio-Verbände in ihrem Bemü-         man nach innen, also zu den Bio-Un-      sind Bio-Unternehmen für den Fall,
hen bestärken, sich mit den zustän-       ternehmen hin, mit Blick auf deren an-   dass PSM-Kontaminationen in ihren
digen Behörden in Deutschland auf         gemessene Vorbereitung auf die neue      Produkten festgestellt werden, ei-
eine sinnvolle Handhabung der neuen       EU-Bio-Verordnung keine verharmlo-       nem erheblichen Risiko ausgesetzt.
gesetzlichen Regeln zu verständigen.      sende und abwiegelnde Linie vertre-      Sie sollten daher schon jetzt entspre-
                                          ten sollte. Meines Erachtens müssen      chende Dienstleistungen von ihren
2. Ich spreche aus der Perspektive der    sich die Bio-Unternehmen sehr sorg-      Bio-Kontrollstellen bei der Kontrolle
Wirtschaftsbeteiligten, die tagtäglich    fältig auf ein «Worst-Case-Szenario»     einfordern. Es sollte bei der nächsten
Entscheidungen treffen und für kon-       vorbreiten; und wenn es dann nicht so    Bio-Kontrolle geklärt werden, ob die
kret auftretende Herausforderungen        schlimm kommt, oder nicht in jedem       Anforderungen an Risikobeurteilung,
Lösungen finden müssen. Ich möch-         einzelnen Fall so schlimm kommt,         Vorsorgemassnahmen und Dokumen-
te dazu beitragen, dass bereits heute     dann umso besser.                        tation ausreichend erfüllt werden.
bestehende und neu aufkommende
Risiken richtig eingeschätzt werden       Nun etwas mehr ins Detail gehend:        Wie Herr Gerber im Interview sagt,
können.                                   Wie Herr Gerber im Interview sagt,       müssen nun auch die Bio-Bauern
                                          muss der Bio-Unternehmer Vorsorge        (nicht nur die Verarbeiter) solche sys-
Schon heute beobachten wir das Phä-       gegen Kontamination mit PSM-Spuren       tematischen      Vorsorgemassnahmen
nomen, dass in Deutschland einige         treffen. Er muss systematisch schauen,   ergreifen. Damit betreten die Bauern
Öko-Kontrollbehörden im Falle eines       wo Risiken einer Kontamination beste-    Neuland, und dazu erhalten sie im Mo-
Spurenfundes von chemischen Pflan-        hen. Dann muss er überlegen, wie er      ment noch zu wenig Hilfestellung. Das
zenschutzmitteln (PSM) in Öko-Pro-        das steuern kann. Sodann muss er ent-    gilt im Prinzip überall auf der Erde, wo
dukten sehr kleinteilig, zuweilen will-   sprechend handeln. Vor allem muss er     Bio-Produkte angebaut werden, die
kürlich, über etliche Stufen zurück in    gut dokumentieren, was er tut. Denn      nach Europa verkauft werden. Auf die
der Wertschöpfungskette Nachfor-          sonst gilt der «Grundsatz des Quali-     dokumentierten       Vorsorgemassnah-
schungen anstellen (lassen). Ähnliches    tätsmanagements»: wo nichts aufge-       men kommt es im Fall eines Befundes
wurde mir auch aus anderen EU-Län-        schrieben, nichts dokumentiert ist, da   von PSM-Spuren durch hiesige Behör-
dern berichtet. Auf diesen konkreten      hat auch nichts stattgefunden.           den entscheidend an.

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                16
«Pestizidspurenfunde in Bioprodukten
       sind kein ganz so seltenes Problem …
                                                                                     die in einem Analysebericht informiert
       Das ist nicht verwunderlich, wenn man                                         wird und die ihr zur Kenntnis gelangt,
                                                                                     löst die Amtsuntersuchung und die
       bedenkt, dass Rückstände von Pestizi-                                         Sistierung der Produkte aus. Die Frage
       den mittlerweile überall zu finden sind,                                      für das Bio-Unternehmen ist in dem
                                                                                     Fall, mit welchen Dokumenten, mit
       sogar schon im Eis der Arktis.»                                               welchen Nachweisen und wie schnell
                                                                                     er zur Zufriedenheit der Behörde be-
                                                                                     legen kann, dass keine illegale An-
                                                                                     wendung durch ein Bio-Unternehmen
                                                                                     vorlag und - weit schwieriger - dass
                                                                                     auf allen Stufen der Erzeugung, des
Die Vorsorgemassnahmen sollen laut        gemeinsame Nutzung von Maschinen           Transports, der Verarbeitung, des Han-
neuer Bio-Verordnung verhältnis-          (z.B. zum Ernten), Transportgeräten        dels angemessene und verhältnismäs-
mässig und angemessen sein. Jeder         und Lagereinrichtungen ist bezüglich       sige Vorsorgemassnahmen getroffen
Bio-Unternehmer muss schriftlich fest-    Kontamination mit PSM-Spuren ein           worden sind. Hier können erhebli-
halten, wie er zu seinen Massnahmen       reales Risiko, zudem schwer zu steu-       cher Aufwand und hohe Kosten für
gekommen ist. Herr Gerber meinte,         ern, weil es ja jeweils die ersten oder    die Bio-Unternehmen entstehen. Und
dass die Vorsorgemassnahmen nur           Randpartien sind, die betroffen sind.      es kann zu behördlicher Willkür kom-
solche zu sein brauchten, die dem         Eine Homogenisierung, also eine            men. Produkte, die schon im Handel
Einfluss des Bio-Unternehmers unter-      gleichmässige Durchmischung gros-          sind und die gesperrt werden müssen,
liegen. Das findet sich zwar in Erwä-     ser Rohwarenpartien zur Verdünnung         werden in aller Regel direkt entsorgt,
gungsgrund 24 im Vorspruch (Präam-        solcher möglichen Spuren nimmt bis-        weil die grossen Handelshäuser keine
bel) der neuen EU-Bio-Verordnung,         her praktisch keiner vor. Sie könnte für   Sperrlager haben und sich die Zusatz-
aber nicht im regelnden Text. Das         einige Arten von Produkten hilfreich       mühe nicht machen, erst Ware aus
führt zu rechtlichen Unsicherheiten in    sein.                                      den Regalen zu nehmen und sie ggf.
der Praxis. Dieses Risiko sollte meines                                              später wieder einzuräumen oder aber
Erachtens klar benannt werden. Ich        Einen Spurenfund von PSM in der Pro-       dann doch entsorgen zu müssen.
teile im übrigen nicht die Auffassung,    zesskette, den der Bio-Unternehmer
dass es dem EU-Gesetzgeber vorran-        selber findet, prüft und bewertet er       Wichtig ist meines Erachtens auch
gig um Kontamination mit PSM-Spu-         selbst. Wenn sämtliche Bio-Zertifikate     Definition 50, «Stufe der Produktion,
ren aus Parallelproduktion im eigenen     der Vorstufen der Prozesskette vorlie-     der Aufbereitung und des Vertriebs»:
Betrieb geht. Das steht nirgends im       gen, wird er sagen können: ich erken-      eine Stufe, angefangen bei der Pri-
Gesetz.                                   ne kein Problem, es handelt sich um        märproduktion eines ökologischen/
                                          eine zufällige und nicht vermeidbare       biologischen Erzeugnisses bis zu sei-
Im Interview führte Herr Gerber aus-      Verunreinigung. Das braucht dann           ner Lagerung, seiner Verarbeitung,
führlich aus, dass wir ubiquitäres Vor-   nicht der Bio-Kontrollstelle gemeldet      seiner Beförderung, seinem Verkauf
kommen von PSM-Spuren aus Abdrift         zu werden.                                 oder seiner Abgabe an den Endver-
im erweiterten Sinne haben und dass                                                  braucher und gegebenenfalls der
zudem immer feinere Analysemetho-         Für die Kontrollstellen (und -behör-       Kennzeichnung, der Werbung, der
den dies immer besser detektieren,        den) gilt nicht Artikel 28 der neuen       Einfuhr, der Ausfuhr und der im Rah-
was für den Verbraucherschutz gut ist,    Bio-VO, sondern Art. 29. Dort heisst es:   men von Unteraufträgen ausgeführten
die Wirtschaftsbeteiligten aber vor be-   Eine PSM-Spur, die die Bio-Kontroll-       Tätigkeiten (DE L 150/20 Amtsblatt
sondere Herausforderungen stellt. Die     stelle oder -behörde findet, d.h. über     der Europäischen Union 14.6.2018).

                                                             17
Manon Haccius

Sämtliche Stufen der Produktion, der       hindeuten: Die Aufklärungspflicht            Dieser Text ist die gekürzte Fassung ei-
Aufbereitung, des Vertriebs werden         lässt sich aus dem deutschen Nach-           ner längeren Mail, die ich im Anschluss
an diversen Stellen in der Verordnung      barrecht ableiten (das gilt ja weiter-       an das Interview mit Alexander Gerber
angesprochen, so in den Erwägungs-         hin). Ein Grundstückeigner kann von          persönlich an ihn gesendet hatte. Der
gründen 24, 82, 91. Ausserdem bei der      seinem Nachbarn bis zur Grenze des           Grund, weshalb der Text im vorliegen-
Benennung des Geltungsbereichs, in         wirtschaftlich Zumutbaren (also bis zu       den Magazin abgedruckt wird, liegt
Art. 37 bezüglich der Kontrollen und       Null Ertrag) Massnahmen verlangen,           darin, dass im Gespräch mit Mathias
Art. 42, wo es um Massnahmen bei           damit es nicht zu Emissionen in sein         Forster der Eindruck entstanden ist,
Verstössen geht (kein Anspruch auf         Grundstück kommt.                            dass die darin angesprochenen As-
Vollständigkeit). Ich erwähne das, um                                                   pekte nicht nur für Landwirtschaftsbe-
auf den möglicherweise beträchtli-         Herr Gerber spricht im Interview die         triebe, sondern auch für andere Unter-
chen Aufwand bei allfälligen Klärun-       Frage an, wer die Vorschriften ausle-        nehmen der Bio-Branche interessant
gen hinzuweisen.                           gen wird. Nun, gewiss nicht die              und relevant sein könnten.
                                           EU-Kommission. Sie ist der Gesetzge-
Hinzu kommt: Pestizidspurenfunde in        ber, nicht der Anwender des Gesetzes
Bioprodukten sind kein ganz so sel-        und auch nicht die Recht sprechen-              Manon Haccius, Jahrgang 1959,
tenes Problem, wie Herr Gerber es im       de Instanz. Die Vorschriften werden             studierte Agrarwissenschaften
Interview darstellt. Im Öko-Monitoring     von den zuständigen Behörden bei                an den Universitäten Göttin-
der CVUA Stuttgart (jährlich vorge-        uns, also den Öko-Kontrollbehörden,             gen, TU Berlin, Fort Collins
legter Bericht über einige Tausend         angewendet und zu diesem Zwecke                 (Colorado, USA) und Kiel. Nach
Laboruntersuchungen auf Kontami-           ausgelegt. Und wenn deren Entschei-             ihrer Promotion im Fachgebiet
nanten in Bio- und konventionellen         dungen angegriffen werden, werden               Tierzucht 1986 arbeitete sie
Lebensmitteln) finden sich in 29% der      hiesige Gerichte eine weitere Ausle-            zunächst für die Verbände
untersuchten Bio-Proben Spuren.            gung durchführen. Das dauert dann               des ökologischen Landbaus in
                                           einige Zeit. Die sistierten Produkte            Deutschland, ab 1988 war sie
Das ist nicht verwunderlich, wenn man      sind damit in aller Regel nicht zu retten.      Geschäftsführerin der Arbeitsge-
bedenkt, dass Rückstände von Pesti-                                                        meinschaft Ökologischer Land-
ziden mittlerweile überall zu finden       Mein Fazit lautet daher: Die Bio-Un-            bau e.V. (Vorläuferorganisation
sind, sogar schon im Eis der Arktis.       ternehmen müssen alles daran setzen,            des heutigen BÖLW). Im Rahmen
Es ist also ein sehr reales Risiko, dass   dass sie zum einen sämtliche Bio-Zer-           der IFOAM EU-Gruppe (Inter-
man in Proben von Bio-Produkten, die       tifikate über die Prozesskette hin zur          national Federation of Organic
dem Handel entnommen werden und            Hand haben und dass sie sachge-                 Agriculture Movements) machte
die von den Lebensmittelbehörden           recht die Vorsorgemassnahmen er-                sie sich stark für die Verordnung
im Rahmen ihrer Stichprobenanalysen        mitteln, einrichten und kontinuierlich          über die Öko-Tierhaltung, ab
untersucht werden, mit Befunden und        anwenden, alles dokumentieren und               1998 war sie für fünf Jahre
der Kette der dann folgenden aufwän-       die Dokumentation für den Fall eines            als Mitglied des Beratenden
digen und zeitraubenden Schritte der       Spurenfundes in ihren Produkten pa-             Ausschusses Öko-Landbau bei
Amtsuntersuchung und Produktsper-          rat halten. Eine solche Dokumentation           der Europäischen Kommission in
rung rechnen muss.                         für die gesamte Wertschöpfungsket-              Brüssel berufen. Seit April 2000
                                           te, ggf. sogar über die ganze Erde              ist sie bei Alnatura zuständig
Hinsichtlich der Aufklärungspflicht        hin zur Verfügung zu haben, ist eine            für Qualitätsmanagement und
des Bio-Bauern gegenüber seinen            anspruchsvolle Aufgabe für jeden Im-            Verbraucherservice.
Nachbarn möchte ich auf Folgendes          porteur, Verarbeiter und Händler.

       BODEN
       FRUCHTBARKEIT
       FONDS                                                   18
Synthetische Pestizide
      			 – Fluch oder Segen?

                                       Veranstaltungsreihe
Eine der zentralen Aufgaben
                                       7 Städte, 7 Referenten
der Bio-Stiftung Schweiz ist die
Bewusstseinsbildung in der Öf-
fentlichkeit hin zu einer nach-
haltigen, zukunftsfähigen Land-
wirtschaft. Aus diesem Grund
geben wir zwei Initiativen, über die wir in der Schweiz im      wie zum Beispiel Martin Ott (Stiftungsratspräsident FiBL
nächsten Jahr abstimmen können, in dieser Ausgabe die           Schweiz), Dr. Felix Prinz zu Löwenstein (Präsident BÖLW),
Gelegenheit, sich vorzustellen; Die Initiative «Für eine        Prof. Dr. Johann Zaller (Boku Wien), Dr. Hans Rudolf Herren
Schweiz ohne synthetische Pestizide» sowie die «Initiative      (Präsident Biovision), Tobias Bandel (Soil and More Impacts
für sauberes Trinkwasser». Unabhängig von den zwei Initi-       B.V.) u.a. Als zweiter Programmpunkt ist ein Podiumsge-
ativen möchten wir dazu beitragen, dass die BürgerInnen         spräch mit der/m Hauptreferierenden und lokalen Persön-
bezogen auf das Thema sachlich urteilsfähig sind.               lichkeiten vorgesehen.
Dafür führen wir unter anderem in sieben Deutschschwei-         Dem Publikum wird im Anschluss die Möglichkeit gege-
zer Städten je eine Abendveranstaltung zum Thema «Syn-          ben, den ReferentInnen Fragen zu stellen. Alle Veranstal-
thetische Pestizide, Fluch oder Segen?» durch. Die Ver-         tungen werden professionell gefilmt und der Öffentlichkeit
anstaltungen sind für das Publikum kostenlos und finden         über die Website der Bio‑Stiftung Schweiz kostenlos und
zwischen April und September 2020 in den Städten Bern,          langfristig zur Verfügung gestellt. Damit wollen wir ge-
Zürich, Basel, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen und Chur        währleisten, dass die Informationen über die Events hinaus
statt. Dabei sollen unterschiedliche Aspekte wie Biodiver-      erhalten bleiben, von Interessierten und anderen Kampag-
sität, Gesundheit, Klima, nachhaltige Wirtschaft, zukünftige    nen der weltweiten Antipestizidbewegung genutzt werden
Generationen, Landwirtschaft etc. thematisiert werden, um       können und als Grundlage zur Bewusstseinsbildung in an-
der Bevölkerung ein möglichst umfassendes Bild vermit-          deren Ländern dient.
teln zu können.                                                 Die genauen Daten, Veranstaltungsorte und Referierenden
Jede Veranstaltung beginnt mit einem Vortrag von ei-            werden Anfang 2020 auf der Website www.bio‑stiftung.ch
nem/r ExpertIn aus Politik, Landwirtschaft, Forschung usw.      publiziert.

                                                               19
Sie können auch lesen