MBZ Stille Volkskrankheit Parodontitis - Modernes Versorgungskonzept - ZAHNÄRZTEKAMMER ...
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MBZ 06 2017 Mitteilungsblatt Berliner Zahnärzte Modernes Versorgungskonzept Stille Volkskrankheit Parodontitis
Aus der Redaktion 10 Liebe Leserinnen, liebe Leser, • Der Zahnärzteschaft ist daran gelegen, den gesetzlich versi- cherten Patienten alternative, weitergehende Therapien zur Ver- fügung zu stellen. In seinem Leitartikel auf Seite 6 setzt sich Dr. wie es um die Versorgung und Therapie der Patienten mit Paro- Jörg-Peter Husemann mit den Änderungen in einem sich ständig dontitis steht, zeigt der aktuelle Barmer-Zahnreport: Vermutlich wandelnden GKV-System auseinander und zeigt auf, was diese für wird die Parodontitis in vielen Fällen spät erkannt – jedenfalls zu die Patienten bedeuten. spät behandelt. Eine regelmäßige Vorsorge kann dazu beitragen, Zähne zu retten. • „Zahnärzte belehren nicht ordnungsgemäß über Kosten“, lau- tet das Ergebnis einer Umfrage der Verbraucherzentrale in Nord- Der Zahnreport bestätigt ein steigendes Risiko, vor, während und rhein-Westfalen. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung setzt nach der Parodontitistherapie Zähne zu verlieren, wenn zahnärzt- sich dagegen zur Wehr. In einem offenen Brief schreibt sie: „Die liche Kontrolluntersuchungen nicht regelmäßig wahrgenommen Ergebnisse sind nicht nachvollziehbar.“ Wir berichten auf Seite 21. werden. Ein möglicher Grund für die Vernachlässigung der Prophy- laxe: Viele Menschen wissen nicht, ob bei ihnen ein hohes Risiko für eine Parodontitis vorliegt oder ob sie bereits darunter leiden. •Zahnmedizin Innerhalb der DGZMK hat sich 2016 die Arbeitsgemeinschaft für Menschen mit Behinderung oder besonderem Das Tückische ist, dass es sich um eine sog. „stille“ Erkrankung medizinischen Unterstützungsbedarf gegründet. Zu ihrer zweiten handelt. Der Betroffene verspürt oft über einen langen Zeitraum Jahrestagung bietet sie in Berlin eine Fortbildung am Philipp-Pfaff- keine Krankheitssymptome oder Schmerzen. Erst im fortgeschrit- Institut zum Thema „Zahnmedizin barriereärmer“ an. Sie sind herz- tenen Stadium der Erkrankung treten Beschwerden, Zahnlockerun- lich willkommen! Lesen Sie die Informationen auf Seite 26. gen und Zahnverluste auf. Längst hat die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung erkannt, • Es kommt immer mal wieder vor: Bei der Versorgung mit In- lays können die fertiggestellten Einlagefüllungen nicht eingeglie- dass der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen im Be- dert werden, weil aus unterschiedlichsten Gründen die Fortsetzung reich der Prävention und Nachsorge völlig veraltet ist. Wesentliche der Versorgung nicht mehr angezeigt ist. Auf Seite 30 informieren Bausteine einer präventionsbasierten Versorgungsstrecke fehlen. wir Sie, wie die Teilleistung berechnet werden kann. Es bedarf eines modernen Versorgungskonzeptes auf der Höhe der Zeit. Denn im Gegensatz zur Karies steht im Bereich der Paro- Eine anregende Lektüre wünscht dontitis der Turnaround zur präventionsorientierten Zahnheilkunde noch bevor. Unser Titelthema ab Seite 10. Vanessa Hönighaus MBZ 06 2017 3
Inhalt Foto: KZV Berlin Foto: ZÄK Berlin 20 Beruf & Politik AWMF-Positionen zur Bundestagswahl 14 16 Netzwerktreffen Junge Zahnärzte 16 Frühjahrsfest der KZBV und BZÄK 17 30 Jahre Hilfswerk Deutscher Zahnärzte 18 Medizinethik im Nationalsozialismus 18 GesundheitstagSin Marzahn T E U E R B E R AT E R 20 Einführung der TENNERT Telematikinfrastruktur • S OMME R 20 KZBV wehrt sich&gegen PARTNER Pauschangriff 21 Aus der Redaktion Pantone 3 540 Zahnmedizin Pantone 652 Keramik- und Kunststoff-Therapie 22 Leitartikel 6 TENNERT S O MME DMS V: Mundgesundheit in Ost und West • 23 Meldungen 8 & PARTNER Dienstagabend-Fortbildung der Zahnärztekammer 24 Deutsch-Syrisches Ärzteforum 24 Fortbildungen der KZV 25 Thema W W W.T E N N E R T- S O M M E R - PA R T N E R . D E Zahnmedizin barriereärmer 26 Stille Volkskrankheit Parodontitis Kursangebot des Philipp-Pfaff-Instituts 28 Ruf nach modernem Versorgungskonzept 10 Strukturierte Fortbildung Akupunktur 50 Anzeige 4 MBZ 06 2017
Inhalt Foto: rdnzl - fotolia.com Foto: ZÄK Berlin / axentis.de 33 34 Amtliches Geschäftsverteilung des KZV-Vorstandes 40 GOZ & BEMA Nachwahl eines KZV-Ausschussmitgliedes 40 Teilleistungsberechnung 30 Vertreterversammlung der KZBV 40 Korrektur zahntechnischer Leistungen 31 Neuzulassungen im Mai 41 Zusatztermine für GOZ-Workshops 31 Sitzungstermine des Zulassungsausschusses 41 Häufige Fehler bei der PAR-Abrechnung 32 Panorama Praxis & Team Neu in der Leihbücherei 42 Praxisbegehung durch das LAGetSi 33 KZV-Lauf 2017 43 KZBV-Kostenstrukturerhebung 33 Neue Medizinprodukte-Betreiberverordnung 34 Kalender Termine der Fraktionen Juni 2017 50 Recht Abhängige Beschäftigung in Gemeinschaftspraxis 38 Rubrik-Anzeigen 44 Adressänderung an die Zahnärztekammer 38 Impressum 47 EuGH-Urteil zum strikten Werbeverbot 39 Ansprechpartner 49 Anzeige MedConsult MedConsult Wirtschaftsberatung Wirtschaftsberatung medizinischeBerufe fürfürmedizinische Berufe Praxisverkauf Praxisverkauf Burkhardt Burkhardt Otto Otto Praxiswertermittlung Praxiswertermittlung Olaf Steingräber Kauf- Kauf- undund Mietvertragsabwicklung Mietvertragsabwicklung Olaf Steingräber Vermittlung von Kaufinteressenten Volker Schorling Vermittlung von Kaufinteressenten Unterstützung bei Vertrags- Unterstützung bei Vertrags- Arztsitzausschreibungen Arztsitzausschreibungen FAB Praxiskauf FAB Praxiskauf Investitionsberatung Niederlassungsberatung Investitionsberatung Niederlassungsberatung Finanzierungsvermittlung MedConsult Finanzierungsvermittlung Versicherungen MedConsult Wirtschaftsberatung für Versicherungen medizinische Berufe oHG für Wirtschaftsberatung Praxiskooperation medizinische Giesebrechtstraße Berufe 6 • 10629 oHG Berlin Praxiskooperation Job-Sharing Partnerschaften Tel.: 213 90 95 • Fax: Giesebrechtstraße 6 • 213 94 94 10629 Berlin MVZ-Konzepte Job-Sharing Partnerschaften Tel.:E-mail: 213 90info@fab-invest.de 95 • Fax: 213 94 94 MVZ-Konzepte E-mail: info@fab-invest.de MBZ 06 2017 5
Leitartikel Gesetzliche Krankenversicherung Und sie bewegt sich doch Liebe Kolleginnen und Kollegen, leistungsrechtliche Beschränkungen im System der gesetzlichen nen grundlegend anderen strategischen Ansatz als die Ärzteschaft. Krankenversicherung (GKV) sind wir mittlerweile gewohnt. Umso Während den Ärzten daran gelegen ist, möglichst jede wirksame erfreulicher ist es, dass dennoch die vertragszahnärztliche Versor- neue Therapie in den GKV-Leistungskatalog aufzunehmen, haben gung in praxi zunehmend durchlässiger für Innovationen wird. Suk- wir uns darauf konzentriert, im gesellschaftlichen Konsens Grund- zessive hat die Politik pragmatische Mechanismen eingeführt, die leistungen zu definieren und unseren Patienten alternative weiter- das starre Sachleistungssystem aufgebrochen und dem Versicher- gehende Therapien außerhalb der GKV zugänglich zu machen. Da- ten Wahlmöglichkeiten an die Hand gegeben haben. Der erste bei hat uns sicherlich in die Hände gespielt, dass die Zahnmedizin, wichtige Schritt war die Einführung der Mehrkostenvereinbarung anders als andere medizinische Disziplinen, für fast jeden Befund in der Füllungstherapie Mitte der 1990er-Jahre. Er war eine Reak- tatsächlich verschiedene Therapiealternativen bereithält. tion auf die Diversifizierung der therapeutischen Angebotspalette, Die Zahnärzteschaft hat diese Abgrenzung aktiv gesucht und damit die neben Amalgam und Gold nun auch Keramik und Komposit den – bisher erfolgreichen – Versuch gestartet, den GKV-Versicher- enthielt. Gesetzlich Krankenversicherte konnten jetzt frei aus der ten trotz aller Begrenzungen des Systems einen Zugang zum zahn- erweiterten Palette von Füllungstherapien wählen, ohne ihren Leis- medizinischen Fortschritt zu geben. Und unser Praxisalltag zeigt, tungsanspruch zu verwirken. Ein sehr positiver Nebeneffekt: Kom- dass sich viele GKV-Versicherte entscheiden, diesen Zugang auch posite wurden hinsichtlich ihrer Verarbeitbarkeit und Langlebigkeit zu nutzen. Sie wählen Therapien jenseits der Regelversorgung, ob- weiterentwickelt. gleich sie dabei erhebliche Eigenanteile aufbringen müssen. Und Der zweite Meilenstein war 2005 die Einführung des befundbe- immer öfter schließen Patienten die Lücke zwischen der GKV-Leis- zogenen Festzuschusssystems für Zahnersatz. Der Patient erhielt tung und dem eigenen Versorgungsanspruch über Zusatzversiche- rungen. Summa summarum erle- Richtig war es, Therapien ben wir eine zumindest teil- Foto: KZV Berlin weise Flexibilisierung des nicht mehr auszuschließen, GKV-Versorgungsrahmens, sondern das GKV-System in dem der Patient wach- sende Entscheidungsräu- dynamisch zu gestalten. me für seine zahnmedizini- sche Versorgung nutzt. u. a. erstmals die Möglich- Zukünftig werden wir den gesetzlich versicherten und privat zu- keit, implantatgestützten satzversicherten Patienten behandeln, der in einer älter werden- Zahnersatz in Anspruch zu den Gesellschaft eine große Nachfrage nach lebenslanger Präven- nehmen, ohne seinen Kas- tion und hochwertiger Versorgung hat, um bis ans Lebensende senzuschuss zu verlieren. sein natürliches Gebiss zu erhalten. Diese Entwicklung wird die Hinzu kam, dass das Zuzah- Versorgungswirklichkeit dominieren und die Innovationsfähigkeit lungsverbot in der Kieferor- der Zahnmedizin mehr herausfordern als jeder andere Faktor. Das Dr. Jörg-Peter Husemann, Vorsitzender des Vorstandes thopädie faktisch gelockert aber bedeutet für den Zahnarzt eine erhöhte Aufklärungspflicht der KZV Berlin wurde. und die gründliche Dokumentation dieser Gespräche. Allen diesen Schritten war gemeinsam, dass die GKV-Leistung in ihrer Höhe oder ihrem Um- Ihr fang nicht ausgedehnt, sondern das System dynamischer gestal- tet wurde. Denn Therapien wurden nun nicht mehr ausgeschlos- sen. Damit erhielt der gesetzlich Versicherte Zugang zu Therapien, die sich jenseits von Gremienvorbehalten längst in der Praxis eta- bliert hatten. Allen Kritikern zum Trotz: Die GKV – sie bewegt sich eben doch. Zugegeben: Ganz schuldlos sind die zahnärztlichen Funktionäre an dieser Entwicklung nicht. Wir, also die Kassenzahnärztlichen Ver- einigungen, verfolgen gemeinsam mit der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung bei der Gestaltung des Gesundheitswesens ei- Jörg-Peter Husemann 6 MBZ 06 2017
Meldungen Berliner Hilfswerk Zahnmedizin Europäischer Ländervergleich Große Hilfe für Vergütung bei Zahnersatz Obdachlosenpraxis D D Foto: proDente as Institut der Deutschen ie Zahnarztpraxis für Zahnärzte (IDZ) hat eine Obdachlose am Ost- empirische Studie „Zahn- bahnhof rief um Hilfe, ärztliche und zahntechnische Vergü- das Berliner Hilfswerk Zahnme- tung beim Zahnersatz – Ergebnisse dizin (BHZ) kümmerte sich und aus einem europäischen Länderver- half. Eine generalüberholte Ka- gleich“ veröffentlicht. Vo-Einheit fand den Weg von Pul- Das Ergebnis zeigt, dass Deutschland beim Preisniveau zahnprothe- heim nahe Köln nach Berlin als tischer Leistungen einen mittleren Rang einnimmt: Beim zahnärztli- Geschenk für den sozialen Träger chen Honorar liegen Schweiz, Dänemark und die Niederlande zum der Einrichtung, die GEBEWOpro. Teil deutlich über den deutschen Preisen. Bei zahntechnischen Leis- Foto: BHZ Ein ganz besonders herzlicher tungen hingegen ist lediglich die Schweiz teurer, während in den Dank geht im Namen der Pati- Vergleichsländern zum Teil deutlich niedrigere Preisniveaus ermittelt enten, des BHZ und der GEBE- wurden. Auffällig ist, dass der durchschnittliche Anteil der Material- WOpro an den edlen Spender. Wenn wir in unseren Praxen hören, und Laborkosten am Gesamtpreis in Deutschland mit 61,3 Prozent es gäbe keine Ersatzteile mehr, sollten wir uns vergewissern, ob da mehr als zehn Prozentpunkte über dem durchschnittlichen Anteils- nicht doch noch eine Reserve schlummert: www.rdv-dental.de. wert der europäischen Nachbarn liegt (50,7 Prozent). Wir freuen uns, dass wir als BHZ helfen konnten, eine derart groß- zügige Spende zu ermöglichen. IDZ Dr. Christian Bolstorff Vorsitzender des BHZ Wettbewerbsbeiträge jetzt einreichen Zähne gut – alles gut F Erfahrungsberichte gesucht ilm ab für eine Gewalt gegen Zahnärzte neue Runde von P „Zähne gut – al- ädagogen, Behörden und Polizei les gut“. Mit dem Kurz- sprechen bereits seit einiger Zeit von filmwettbewerb möchte einer Verrohung und erhöhter Ge- die Initiative proDente waltbereitschaft in der Gesellschaft. Aus inter- e.V. wieder einen krea- Foto: kmiragaya - fotolia.com nationalen Studien geht hervor, dass auch Ärz- tiven Blick auf das The- te und Praxisteams, die in der primärärztlichen ma Mundgesundheit Versorgung tätig sind, zunehmend von verba- werfen und ruft Studenten, Schüler und freie Filmschaffende dazu len und körperlichen Angriffen betroffen sind. auf, Kurzfilme in diesem Jahr rund um das Thema „Schöne und Drogen, psychische Erkrankungen, Alkohol gesunde Zähne“ zu drehen und bis Ende August 2017 einzurei- oder eine Kombination von zwei beziehungs- chen. Der Preis ist mit insgesamt 6.000 Euro für die ersten drei weise allen drei Faktoren spielen oft eine Rolle. Plätze dotiert. Auch Zahnärzte sollten sich darauf vorbereiten, dass sie im Verlauf Der Spot soll unterhaltsam und zeitgemäß den Wert der Zähne dar- ihrer Tätigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit Formen von Aggressi- stellen. Inhaltlich kann die Pflege der Zähne, die Funktion der Zäh- on gegenüberstehen werden. Während zum Beispiel in Australi- ne oder die Herstellung von Zahnersatz im Mittelpunkt stehen. Ei- en bereits 2009 ein Sicherheitsprogramm für Allgemeinärzte ein- nen Punkt in der gesamten Bandbreite des Themas herauszugreifen geführt wurde, scheint die Problematik in Deutschland bislang in und dazu einen kreativen Ansatz zu entwickeln, ist die Herausforde- der (Fach-)Öffentlichkeit eher nicht wahrgenommen zu werden. rung für die Teilnehmer. Der Beitrag soll originell sein und über eine Die Zahnärztlichen Mitteilungen (zm), herausgegeben von der moderne Bildsprache verfügen. Der Film kann appellativ aufgebaut Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundes- sein, mit Witz arbeiten oder musikalisch aufbereitet sein – dem Ide- vereinigung, sind an Ihren persönlichen Erlebnissen interessiert. enreichtum der Filmkünstler sind keine Grenzen gesetzt. Haben auch Sie oder Ihr Praxisteam Erfahrungen mit aggressi- vem Verhalten von Patienten gemacht? Dann schreiben Sie an: Mehr Informationen und die Teilnahmebedingungen finden Sie zm@zm-online.de online: www.kurzfilmwettbewerb.prodente.de zm proDente 8 MBZ 06 2017
Thema Ruf nach modernem Versorgungskonzept Stille Volkskrankheit Parodontitis U nter einer Parodontitis leidet laut der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V) mehr als die Hälfte aller jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) in Deutsch- land. Das sind mindestens fünf Millionen Patienten. Davon weisen 43,4 Prozent eine moderate Parodontitis auf, rund zehn Prozent lei- Regelmäßige Nachsorge erforderlich Weitere Ergebnisse des Reports: Eine größere Häufigkeit von Zahn- verlust zeigt sich am stärksten vor und während der Parodontitis- therapie. Studienautor Professor Dr. Michael Walter, Direktor der den an einer schweren Parodontitis. Unter den jüngeren Senioren Dresdener Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik am Universitätsklini- (65- bis 74-Jährigen) sind nahezu zwei Drittel von einer Parodonti- kum Carl Gustav Carus, erklärt, dass „nicht erhaltungswürdige Zäh- tis betroffen. Das entspricht weiteren etwa fünf Millionen Personen. ne selbstverständlich extrahiert wurden.“ Darüber hinaus sei es ein Auch wenn die Prävalenz der Parodontitis in Deutschland gegen- Hinweis, dass die Parodontitistherapie für viele Patienten spät oder über der Vorgängerstudie DMS IV aus dem Jahre 2005 zurückge- zu spät komme. gangen ist, ist die Prävalenz sowohl bei Erwachsenen als auch bei Zudem zeigt sich, dass nach der Parodontitistherapie die Häu- Senioren nach wie vor relativ hoch. Längst gilt die Parodontitis als figkeit von Zahnverlust erhöht bleibt. Bei etwa einem Drittel von Volkskrankheit und hat Studien zufolge die Karies als Hauptfeind 415.718 behandelten Patienten geht nach der Parodontitisthera- Nummer eins abgelöst. Somit drängt sich die Frage auf, wie es um pie innerhalb von vier Jahren mindestens ein Zahn verloren. Bei die Versorgung und Therapie dieser Patienten bestellt ist. einer Vergleichsgruppe ohne Therapie war hingegen im gleichen Regionale Unterschiede bei Diagnose und Therapie Derzeit bezahlen die Krankenkassen jedes halbe Jahr eine allgemei- ne Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt, einmal im Jahr die Entfer- nung des Zahnsteines und alle zwei Jahre eine Parodontitis-Unter- suchung, den sogenannten Parodontalen Screening Index (PSI). Die jährliche Untersuchung sei nach Aussage der Krankenkassen gut ge- eignet, eine heraufziehende Parodontitis zu erkennen, und biete da- mit die Chance, frühzeitig weitergehende Behandlungen einzulei- ten. Dem diesjährigen Barmer-Zahnreport zufolge lassen zwar etwa die Hälfte der erwachsenen Versicherten, also 34 Millionen Perso- nen, in einem Zeitraum von zwei Jahren eine Parodontitis-Unter- suchung vornehmen. Aber nur weniger als zwei Prozent der Versi- cherten (also rund 1,2 Millionen) haben 2015 auch tatsächlich eine Therapie durchlaufen. Für den Barmer-Vorstandsvorsitzenden, Pro- fessor Dr. Christoph Straub, ein eindeutiges Zeichen, dass viele Bun- desbürger das Risiko einer Parodontitis unterschätzen. Es gibt aber auch bemerkenswerte regionale Unterschiede bei Diagnostik und Therapie der Parodontitis (siehe Grafik 1). Die höchste Inanspruch- nahmerate von Screeninguntersuchungen findet sich in Bayern mit 30 Prozent der Versicherten, während das Saarland mit knapp 20 Prozent am unteren Ende der Skala steht. Spitzenreiter bei der Par- odontitistherapie ist Nordrhein-Westfalen mit einer Inanspruchnah- merate von 2,1 Prozent, während im Saarland nur 0,9 Prozent der Versicherten eine solche Behandlung durchlaufen. Folglich gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen den an Parodontitis Erkrankten und den Behandelten. Die Ursachen dieser Unterschiede dürften vielfältig sein, lassen sich aber mit den Reportdaten nicht aufklären. In Berlin erhalten 1,6 Prozent der Versicherten eine Therapie, wäh- rend die Inanspruchnahmerate von Screeninguntersuchungen bei 26,6 Prozent liegt. Grafik 1 10 MBZ 06 2017
Thema Zeitraum nur etwa ein Viertel (27 Prozent) betroffen. „Diese Ergebnisse mögen zu- nächst enttäuschen“, erklärt Walter. „Sie können aber nicht ursächlich auf Qualitäts- defizite in der Parodontitistherapie zurück- geführt werden.“ An den vielfältigen The- rapiekonzepten gebe es keinen Zweifel. Wer nicht jährlich zur Kontrolluntersuchung gehe, verdopple sein Risiko, im zeitlichen Umfeld der Parodontitistherapie Zähne zu verlieren. Wichtig sei daher eine regelmä- ßige Nachsorge, da der am Zahnhalteap- parat Erkrankte auch nach der Behand- lung ein „Risikopatient“ bleibe. Schließlich handle es sich bei der Parodontitis um eine chronische Erkrankung. Die Betrof- fenen müssten zudem auch eigenverant- wortlich mitarbeiten und dürften in ihren Bemühungen um die bestmögliche Mund- hygiene nicht nachlassen. Folglich lautet auch sein Appell an alle Bürger, schon bei Grafik 2 den ersten Warnsignalen wie Zahnfleisch- bluten sowie geschwollenem und gerötetem Zahnfleisch zum Zahn- auch die Therapie schlechter an. Als Konsequenz fordert die Barmer, arzt zu gehen. Eine Zahnfleischentzündung oder eine beginnende die Zahnvorsorge bei Diabetikern als Bestandteil in das Disease-Ma- Parodontitis seien noch leicht und schmerzarm zu behandeln. Kom- nagement-Programm (DMP) der Krankenkassen aufzunehmen. Das plizierter werde es, wenn die Erkrankung schon weit fortgeschrit- Programm wurde entwickelt, um chronisch kranke Menschen best- ten ist. „Wir können den Betroffenen nur raten, frühzeitig zum Zahn- möglich zu behandeln und zu unterstützen. Darin sind bereits heute arzt zu gehen und dessen Therapieempfehlungen auch konsequent regelmäßige Augenuntersuchungen oder die Kontrolle der Füße ent- umzusetzen“, ergänzt der Barmer-Vorsitzende. halten, um frühzeitig Folge- oder Begleiterkrankungen zu erkennen. Besonders wichtig sind Früherkennungs- und Nachsorgeuntersu- Der drohende Zahnverlust bei Diabetikern sollte bei der Versorgung chungen zu Parodontitis bei „Zuckerkranken“. Der Studie nach er- denselben Stellenwert erhalten, betont Straub. Die Zahnvorsorge als folgen Zahnentfernungen nach einer Parodontitistherapie bei Diabe- DMP-Bestandteil könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass tikern deutlich häufiger. Bei jungen Diabetikern ist das Risiko mehr die Zahnärzte bei der Behandlung von zuckerkranken Menschen ein als doppelt so hoch wie bei gleichaltrigen Nicht-Diabetikern (sie- stärkeres Augenmerk auf die Zahngesundheit der Patienten legen he Grafik 2). Bei zuckerkranken Menschen ist die Gefahr einer Par- und damit Krankheiten wie die Parodontitis früh erkennen. odontitis also nicht nur besonders groß, bei ihnen schlägt offenbar PZR als primärpräventive Maßnahme bewährt Parodontitis kann durch regelmäßige Dass sich bereits die Professionelle Zahnreinigung Prophylaxe beim Zahnarzt und (PZR) als primärpräventive Maßnahme in der zeitli- chen Verlängerung der Individualprophylaxe für Kin- mundgesundes Verhalten in den meisten der und Jugendliche bewährt hat, zeigen ebenfalls Fällen vermieden und eine bestehende die Ergebnisse der DMS V: Jüngere Erwachsene, die regelmäßig eine PZR in Anspruch nehmen, zeigen Erkrankung in ihrer Verlaufsform weniger Karieserfahrung und bessere parodontale wesentlich abgemildert werden. Zustände. Die Karieserfahrung – also die Gesamtheit MBZ 06 2017 11
Thema der durch Karies oder Kariesfolgen (Füllungen oder Die Leistungen der gesetzlichen andere Restaurationen, Zahnverluste) betroffenen Zähne eines Gebisses – liegt in dieser Altersgruppe Krankenkassen für Prävention und bei regelmäßiger PZR bei 10,7 Zähnen, während sie Nachsorge sind unvollständig und in der Gruppe von Personen, die keine regelmäßige PZR in Anspruch nehmen, bei 11,4 Zähnen liegt. Bei veraltet. Zudem ist die „Sprechende den jüngeren Senioren stellen sich die Unterschiede Zahnmedizin“ nicht adäquat abgebildet. noch deutlicher dar. Es fehlt das „Ärztliche Gespräch“ als Defizite im GKV-Leistungskatalog gesonderte Leistungsposition. Da die PZR eine Präventivmaßnahme ist, also keine Dr. Wolfgang Eßer, Maßnahme der Parodontitistherapie, haben gesetzlich Vorsitzender des Vorstandes der KZBV Krankenversicherte auch bei Vorliegen einer Parodonti- tis nach gängiger Rechtsprechung keinen Anspruch auf Durchführung einer PZR zulasten der gesetzlichen Krankenversiche- wesentlichen Bausteinen einer präventionsbasierten Versorgungs- rung (GKV). strecke zählen für die KZBV u. a.: Im Hinblick auf Prävention und Nachsorge von parodontalen Er- • Möglichkeit des Zahnarztes zur individuellen Aufklärung krankungen sieht die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung • Motivation und Remotivation der Patienten (KZBV) daher nicht nur deutliche Defizite im GKV-Leistungskata- • regelmäßige Verlaufskontrolle im Sinne einer qualitätsgesicher- log. Dieser ist sowohl unvollständig als auch veraltet und entspricht ten Evaluation somit nicht mehr dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse. • strukturiertes Nachsorgeprogramm im Sinne der unterstützen- Bei der aktuell in den Verträgen abgebildeten Parodontitistherapie den Parodontitistherapie (UPT) fehlten wichtige Eckpfeiler für ein modernes und dauerhaft Erfolg versprechendes Behandlungskonzept. Um den Behandlungserfolg nach der aktiven Phase der Behand- Benötigt werde folglich ein neues, modernes Versorgungskonzept lung einer chronischen Erkrankung zu stabilisieren, ist sowohl nach im Bereich der Parodontitistherapie auf der Höhe der Zeit. Zu den ausschließlicher antiinfektiöser Therapie (AIT) im geschlossenen Vorgehen als auch bei Patienten mit zusätzlich durchgeführter wei- terführender chirurgischer Parodontitistherapie (CPT) der Über- Aus meiner Sicht gang in die strukturierte Nachsorge erforderlich. Die UPT hat zum Ziel, sowohl nicht befallenes gingivales und pa- Der aktuelle Zahnreport weist zu rodontales Gewebe gesund zu erhalten als auch Neu- oder Re- Foto: KZV Berlin Recht darauf hin, dass Parodontitis infektionen in behandelten Bereichen zu erkennen und bestehen- bereits im Frühstadium vermieden de Erkrankungen einzudämmen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind werden muss, damit der Patient kei- regelmäßige UPT-Sitzungen notwendig. Die UPT besteht aus: nen Zahnverlust erleidet. Bislang bil- • Kontrolle der individuellen Mundhygiene (Plaque- und Entzün- det aber der GKV-Leistungskatalog dungsindex) die notwendigen Maßnahmen wie • Mundhygienemotivation und -instruktion Prävention und die UPT nicht ab. • mindestens einmal pro Jahr PAR-Status Ein modernes Versorgungskonzept • erneute vollständige supra- und subgingivale Reinigung aller ist daher unerlässlich. Das wird Geld Zähne von anhaftenden Biofilmen und Belägen kosten, da sich die UPT über Jahre • subgingivale Instrumentierung an Zähnen mit ST = 4 mm und hinziehen kann. Doch Geld allein ist Bluten auf Sondieren (BOP) und alle Stellen mit ST ≥ 5 mm Dr. Jörg-Peter Husemann, Vorsitzender des Vorstandes nicht alles. Denn ohne die Compli- der KZV Berlin ance unserer Patienten hilft auch das Die in der UPT enthaltenen Therapiemaßnahmen sind aktuell beste Versorgungskonzept nichts. nicht im GKV-Leistungskatalog enthalten. Die starke Formalisie- rung bei der Einführung neuer Behandlungsmethoden auf Basis 12 MBZ 06 2017
Thema der evidenzbasierten Medizin sieht im Gemeinsamen Bundesaus- Die Kassen sollten daher die Vorschläge der Selbstverwaltung für schuss (G-BA) zur Einführung neuer präventiver und therapeuti- konkrete Versorgungsverbesserungen im Interesse der Patienten scher Maßnahmen das Verfahren der Methodenbewertung nach mittragen, besonders im G-BA, mahnt Eßer. Er fordert Politik und § 135 SGB V vor. Hierbei wird weltweit nach der bestmöglichen Kostenträger auf, die Zahnärzteschaft beim präventionsorientierten Evidenz für eine Behandlungsmethode in Form von wissenschaft- Turnaround in der Parodontitistherapie zu unterstützen, der bei der lichen Studien gesucht. Dies sind zum einen der Einstieg in die Karies-Bekämpfung bereits gelungen ist. Beratungen und zum anderen der Stand der Aktualisierung der Auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) spricht sich für mehr PAR-Leistungen in der Behandlungsrichtlinie. Prävention aus: Parodontitis bleibe eine Volkskrankheit, die stark Anfang 2015 wurde das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit vom Mundgesundheitsverhalten der Patienten abhängig ist. Auf im Gesundheitswesen (IQWiG) mit einer wissenschaftlichen Ex- Grund ihres chronischen Verlaufs und ihrer Wechselwirkungen ins- pertise beauftragt, die bestehenden Regelungen in der Behand- besondere zum Diabetes dürfe sie nicht verharmlost werden. Das lungsrichtlinie hinsichtlich der Parodontitistherapie systematisch zu Wissen um diese Erkrankung sei in der Bevölkerung unzureichend. überprüfen. Dieser Vorbericht wurde im Januar 2017 veröffentlicht „Aufklärung und Prävention müssen unbedingt verstärkt werden“, (wir berichteten im MBZ 03/2017). Das IQWiG weist darin für die fordert Professor Dr. Dietmar Oesterreich, BZÄK-Vizepräsident. Zahnärztesachaft völlig unverständlich nahezu keine positiven Be- Zusätzliche Bedeutung erhält das Thema durch die seit Jahren im- lege zum Nutzen der Parodontalbehandlung aus. Aufgrund seiner mer dringlicheren Hinweise aus der Wissenschaft, dass parodonta- starren Methodik schließt das IQWiG hinsichtlich der Parodontal- le Erkrankungen keineswegs nur ein Problem der Mundhöhle sind, behandlung zahlreiche international anerkannte Studienergebnis- sondern weit darüber hinausreichend schwere Allgemeinerkran- se bei der Bewertung aus und lässt sie gänzlich unberücksichtigt. kungen wie beispielsweise Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankun- Somit wird Versorgungsformen, die weltweit auf wissenschaftlicher gen befördern, wenn nicht sogar auslösen können. Erkenntnislage angewendet werden, der Nutzen für Deutschland Hier kommt der Standespolitik die verpflichtende Aufgabe zu, der abgesprochen. Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, ob die Me- Politik praktikable Lösungsvorschläge zu unterbreiten, zugleich thoden des IQWiG zur Nutzenbewertung von Arzneimitteln über- aber auch mögliche Alternativen aufzuzeigen. Die KZBV bezieht haupt auf nicht medikamentöse Therapieformen in Human- und deshalb nicht nur die fachlichen Gesichtspunkte in ihre Überlegun- Zahnmedizin angewendet werden können. gen für die Neugestaltung der Richtlinien mit ein, sondern befasst sich auch mit der Frage, ob künftig etwa durch spezielle Anreiz- Versorgungskonzept angekündigt systeme sowohl die Mitarbeit der Patienten als auch die Finanzier- barkeit gefördert werden können. Die KZBV hat bereits 2014 begonnen, zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG Paro) und unter Beteiligung der Vanessa Hönighaus Bundeszahnärztekammer (BZÄK) die bisher in der Behandlungs- richtlinie des G-BA und die im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen (BEMA) abgebildete PAR-Therapiestrecke zu Zuschuss zur Professionellen Zahnreinigung hinterfragen und insbesondere die mögliche Einbindung dringend er- forderlicher Präventionskonzepte einschließlich der UPT in den GKV- Die KZBV hat die Angebotsvielfalt bei der PZR zum Anlass genom- Leistungskatalog zu prüfen. Die Expertenrunde hat die Problemfelder men, im April 2017 eine Umfrage bei den 113 gesetzlichen Kran- der aktuellen Regelungen und Richtlinien der vertragszahnärztlichen kenkassen durchzuführen, 36 haben geantwortet. Etliche befragte Versorgung identifiziert und erstellt derzeit unter Federführung der Kassen gewähren ihren Versicherten einen Zuschuss zur PZR pro KZBV ein umfassendes Versorgungskonzept zur Parodontitistherapie Jahr oder pro Termin. Eini- in der GKV. Das Konzept soll zeitnah veröffentlicht werden. „Dann ge Kostenträger bieten Ver- wird sich zeigen, ob die Kassen darin enthaltene, substanzielle Ver- günstigungen jedoch nur in sorgungsverbesserungen mittragen oder aus Kostengründen blockie- Zusammenarbeit mit aus- ren“, stellt Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV, gewählten Zahnärzten an. fest. Natürlich gehe es auch hier nicht ohne zusätzliche finanzielle Mit- Die Umfrage-Ergebnisse tel, die durch die Politik und Kassen freizugeben seien. Dieser Prozess für die Verwendung in Ih- der Neugestaltung einer zeitgemäßen PAR-Therapie sei ein Prozess, rer Praxis finden Sie online: bei dem dicke Bretter gebohrt werden müssten. MBZ 06 2017 13
Beruf & Politik Positionen zur Bundestagswahl 2017 Evidenzbasierte Medizin – Basis guter Gesundheitspolitik I m Mittelpunkt der patientenorientierten Gesundheitspolitik steht die Verbesserung der Qualität der medizinischen Ver- sorgung für alle Menschen in Deutschland. Die Gesundheits- politik muss sich an empirisch belegten Fakten orientieren, denn nur eine evidenzbasierte Medizin kann die Qualität der Versorgung Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. sichern und nur eine evidenzbasierte Gesundheitspolitik kann da- für die Rahmenbedingungen setzen. Eine gute medizinische Ver- des Antibiotikaeinsatzes zugunsten weniger schädlicher Hygien- sorgung setzt eine qualitativ hochwertige Aus-, Weiter- und Fort- emaßnahmen und die Entwicklung neuer Antiinfektiva mit staat- bildung sowie eine medizinische Forschung auf international licher Förderung sind dringend erforderlich. kompetitivem Niveau voraus. Für ein zukunftsorientiertes, nach- haltiges und effektives Gesundheitssystem für Deutschland fordert • Verbesserung der Rahmenbedingungen die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen für die Gesundheitsforschung Fachgesellschaften e.V. (AWMF): Die Arzneimittel- und die Medizinproduktegesetzgebung haben in • Intensive Kooperation der Gesundheitspolitik den letzten Jahren zunehmend höhere Hürden für die akademi- mit der wissenschaftlichen Medizin sche klinische Forschung aufgebaut. Damit drängende Forschungs- fragen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung wieder Bei gesundheitspolitischen Entscheidungen ist darauf zu achten, ohne Verzögerung bearbeitet werden können, benötigt die akade- dass die Entscheidungsbefugnis jeweils der Ebene (Bund, Länder, mische klinische Forschung erleichterte Rahmenbedingen. Selbstverwaltung) mit der größten fachlichen Kompetenz zugeord- net wird. Dabei sollten die AMWF und die in ihr organisierten Wis- • Personalentwicklung und Nachwuchsförderung senschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, die das me- in der Medizin dizinische Wissen in Deutschland vertreten, mehr und zu einem früheren Zeitpunkt als bisher einbezogen werden. In der AMWF Die Approbationsordnungen für Ärzte und für Zahnärzte stehen zur sind alle medizinischen Fächer, die meisten interdisziplinären The- Revision an. Zu einer Reform mit Augenmaß anhand erprobter Mo- menbereiche und neben Ärzten auch viele weitere Gesundheits- delle gehören ein gemeinsames Grundstudium beider Berufsgrup- berufe vertreten. pen, die Qualitätssicherung durch Staatsprüfungen nach Grund- und Hauptstudium sowie definierte Schnittstellen vom Studium zur Wei- • Unabhängige Finanzierung der Entwicklung terbildung. Dabei sind einerseits eine intensivere Ausbildung in der und Implementierung von Leitlinien ambulanten Medizin in Lehrpraxen und Hochschulambulanzen und andererseits der Aufbau von Karrierepfaden für (Zahn-)Ärzte und me- Leitlinien fassen das medizinische Wissen auf dem jeweils aktu- dizinische Wissenschaftler durch ausreichende finanzielle Mittel si- ellen Stand zusammen und liefern damit die Basis für ärztliche cherzustellen. Weiterhin müssen die Zahl der Studienplätze sowie die Entscheidungen zum Wohl des einzelnen Patienten. Ihre Inhalte Personalschlüssel in der Pflege und dem Hebammenwesen an die werden von den in der AWMF organisierten Fachgesellschaften ge- steigenden Anforderungen im Gesundheitswesen angepasst werden. liefert. Die Erstellung von Leitlinien und deren Umsetzung in die Praxis bedürfen einer nachhaltigen unabhängigen Finanzierung. Für die Gesundheitsgesetzgebung sollten ähnlich hohe Maßstäbe gelten wie für die medizinische Versorgung. Bevor neue Wege zur • Koordination des Infektionsschutzes Verbesserung der medizinischen Versorgung eingeschlagen wer- zwischen Humanmedizin und Tiermedizin den, ist anhand überprüfbarer Fakten nachzuweisen, dass die ge- setzgeberischen Maßnahmen ausreichend, notwendig und zweck- Der unkritische Einsatz von Antibiotika in Medizin und Landwirt- mäßig sind. Die AWMF bietet hierzu gern ihre Unterstützung an. schaft hat Infektionen mit antibiotikaresistenten Keimen zu einem Gesundheitsproblem ersten Ranges gemacht. Die Eingrenzung AWMF 14 MBZ 06 2017
Beruf & Politik 6. Netzwerktreffen Junge Zahnärzte Erfahrungsaustausch und viele neue Kontakte D ie Veranstaltung hilft uns, Kontakte zu knüpfen, und verbes- sert den Erfahrungsaustausch“, charakterisierte die Teilneh- merin Adela Rusu das 6. Netzwerktreffen Junge Zahnärz- te der Zahnärztekammer Berlin (ZÄK Berlin), das am 11. Mai 2017 in der Bar am Steinplatz stattfand. Rund 40 Teilnehmer trafen sich in der „Hotelbar des Jahres 2017“ in Berlin-Charlottenburg. Eingeladen hatte der Vorstand der ZÄK Berlin, an dem Abend vertre- ten durch Präsident Dr. Karsten Heegewaldt, Vizepräsident Dr. Micha- el Dreyer sowie Vorstandsmitglieder Juliane von Hoyningen-Huene. Sie standen dem zahnärztlichen Nachwuchs als Ansprechpartner zur Verfügung: „Das Netzwerktreffen soll Ihnen ermöglichen, sowohl mit Ihren Kolleginnen und Kollegen als auch mit uns in lockerer Atmo- sphäre ins Gespräch zu kommen“, so Dr. Heegewaldt bei der Begrü- ßung der Gäste. „Nutzen Sie die Gelegenheit, wir freuen uns auf ei- nen regen Austausch mit Ihnen und beantworten Ihnen gern all Ihre Fragen.“ Der Präsident verwies dabei auf die vielfältige praktische Ex- pertise der anwesenden Vorstandsmitglieder sowie des Kammer-Ge- schäftsführers Dr. Jan Fischdick etwa zu den Themen Praxisführung, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Vertragsrecht. Das Angebot und die Präsenz des Vorstandes kam bei den jungen Zahnärzten sehr gut an: „Ich freue mich immer, wenn ich dabei sein kann. Ich bin total begeistert von der Organisation und den immer gut gewählten Loca- tions dieser Abende. Meinen Dank an die Zahnärztekammer, dass sie für uns immer da ist“, sagte Zahnärztin Rusu. Wie auch die vorausgegangenen Netzwerktreffen wurde die Veran- staltung unterstützt durch die Deutsche Apotheker- und Ärztebank. Monika Mohri, stellvertretende Direktorin der Filiale Berlin und Lei- terin Selbstständige Heilberufe, Lisa-Marie Menzel, Beraterin An- gestellte Heilberufe, und Diplom-Bankbetriebswirt Stefan Schmidt, Berater Selbständige Heilberufe, waren für die Gäste gefragte Kon- takte und bereicherten die Veranstaltung durch ihr umfangreiches Know-how in Finanzthemen rund um Praxisgründung, -suche oder -übernahme. Stefan Schmidt, der den Impulsvortrag „So wollen Heilberufler leben und arbeiten“ hielt, sah in seinen zahlreichen Gesprächen an diesem Abend den allgemeinen Trend widerge- spiegelt: Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte sehen die Nieder- lassung weiterhin als sehr attraktiv an und tendieren eher zur Ge- meinschafts- als zu einer Einzelpraxis.“ Die Teilnehmer der Veranstaltungsreihe bestätigen, dass regelmä- ßiger kollegialer Anschluss vieles einfacher macht: „Es ist beruhi- gend und auch sehr inspirierend, sich mit Zahnärzten unterschied- licher Spezialisierung über Behandlungskonzepte auszutauschen“, meinte Zahnärztin Maxie Schenk. „Darüber hinaus wurde heute Abend mit Vortrag und Gesprächen intensiv auf meine Fragen zur Selbstständigkeit eingegangen. Man fühlt sich wohl, informiert und geht gestärkt und mit neuen Zielen nach Hause.“ Das nächste Netzwerktreffen Junge Zahnärzte findet am 14. Sep- Fotos: ZÄK Berlin tember 2017 statt. Kornelia Kostetzko 16 MBZ 06 2017
Beruf & Politik Frühjahrsfest der Zahnärzteschaft Positionen und Ziele klargestellt M itte Mai fand das traditionelle Fotos: KZBV/axentis.de Frühjahrsfest von Kassenzahn- ärztlicher Bundesvereinigung (KZBV) und Bundeszahnärztekammer (BZÄK) statt. Bereits zum fünften Mal tra- fen sich Gäste aus Politik, Zahnärzteschaft, Selbstverwaltung, Medien und Gesund- heitswirtschaft in der Britischen Botschaft in Berlin. Der Vorsitzende des Vorstandes der KZBV, Dr. Wolfgang Eßer, stellte in seiner Rede anlässlich des Festakts die Positionen und Ziele der KZBV für die Gestaltung der zu- künftigen vertragszahnärztlichen Versor- gung vor. „Wir müssen den demografi- schen Wandel bewältigen, die Chancen der Digitalisierung konsequent nutzen und dabei Datenschutz und Datensicherheit für Patientinnen und Patienten sowie Zahnärz- tinnen und Zahnärzte gewährleisten“, so Eßer. Als größte Herausforderung für die zu bewahren und den mündigen zahnmedizinische Versorgung bezeichne- Bürger zu fördern. Auch die Stär- te er den Kampf gegen die Volkskrankheit kung der Mundgesundheitskom- Parodontitis. Hier sei eine gemeinsame petenz sei ein entscheidender Anstrengung von Zahnärzten, Politik und Beitrag zur Förderung von Eigen- Selbstverwaltung unter Einbindung der verantwortung, führte Eßer aus. Wissenschaft notwendig, um Versorgung Abschließend lud er dazu ein, ge- zielgerichtet zu verbessern. Erklärtes Ziel meinsam mit dem Vorstand der der Zahnärzteschaft sei es, so Eßer weiter, KZBV die Perspektiven für die dass die Menschen in Deutschland unab- zahnmedizinische Versorgung hängig von ihrem Wohnort und ihrem so- der nächsten Jahre zu diskutie- zialen Status einen gleichberechtigten Zu- ren. Die Positionen und Ziele der gang zur zahnmedizinischen Versorgung Vertragszahnärzteschaft werden und Teilhabe am medizinischen Fortschritt in Kürze in der Agenda Mundge- haben. Um dieses Ziel auch im ländlichen sundheit 2017-2021 vorgestellt. Bei der Novelle der Approbationsordnung Raum zu erreichen, müssten Steuerungs- Bundesminister für Gesundheit Hermann Zahnmedizin wolle das Bundesministe- fehler korrigiert werden und dürften her- Gröhe (CDU) bezeichnete in seinem Gruß- rium für Gesundheit den Zeitplan halten kömmliche Zahnarztpraxen nicht länger wort die sehr guten Ergebnisse im Kampf und die über 60 Jahre alte Approbations- gegenüber reinen Zahnarzt-MVZ benach- gegen Karies als Erfolgsgeschichte. Auch ordnung noch in dieser Legislaturperiode teiligt werden. er sehe aufgrund der Ergebnisse der Fünf- novellieren. Davon könne sie nichts abhal- Als innovativer Berufsstand nehme die ten Deutschen Mundgesundheitsstudie die ten. Zahnärzteschaft auch die Entwicklung der Versorgung von Parodontalerkrankungen BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel appellier- Digitalisierung im Gesundheitswesen po- als große Herausforderung und stellte fest: te deshalb noch einmal an die Vertreter sitiv auf. „Wir begreifen die Digitalisierung „Hier gibt es Entwicklungsbedarf.“ Die Be- der Bundesländer, die Verabschiedung der als Chance, Versorgung effizienter zu ge- wältigung der Volkskrankheit Parodontitis sei neuen Approbationsordnung Zahnmedizin stalten“, betonte Eßer. Vorschlägen zum für ihn ein wichtiges Thema und er sei ge- in dieser Legislaturperiode zu unterstüt- Umbau des dualen Gesundheitssystems spannt auf die Vorschläge für eine besse- zen. Zudem überreichte Engel dem Minis- zu einer Einheitsversicherung erteilte Eßer re Prävention und Therapie von Parodonta- ter das BZÄK-Papier „Gesundheitspoliti- aus Sicht der KZBV eine Absage. In einem lerkrankungen, die die KZBV in Form eines sche Perspektiven für die Legislaturperiode eindringlichen Appell forderte er die an- Versorgungskonzeptes vorlegen wird. Positiv 2017-2021“. wesenden Politiker auf, die Eigenverant- griff der Minister auch das Gesprächsange- wortung und Wahlfreiheit der Patienten bot des Vorstands der KZBV auf. KZBV | BZÄK MBZ 06 2017 17
Beruf & Politik HDZ-Jubiläum Hilfsprojekte mit 33 Millionen Euro unterstützt S eit dreißig Jahren engagiert sich die Stiftung Hilfswerk Deutscher Zahnärzte (HDZ) weltweit, um in akuten Kata- strophen aber auch langfristig Not zu lindern. In den ver- gangenen drei Jahrzehnten konnten Hilfsprojekte mit insgesamt 33 Millionen Euro unterstützt werden. Sürmann. Engel dankte allen Mitstreitern des zahnärztlichen Hilfs- werks sowie allen ehrenamtlich tätigen Zahnärzten. Ihr Einsatz sei nicht hoch genug zu achten. Auch Dr. Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes und Vizepräsident des Deutschen Bundestages a. D., stellte in sei- Das Hilfswerk wurde am 18. Mai 1987 gegründet. Anlässlich des ner Festansprache das Engagement der Stiftung heraus. 30-jährigen Bestehens lud die Stiftung zu einer Feierstunde in Ber- Das HDZ ist die größte zahnärztliche Hilfsorganisation, es finan- lin ein. ziert sich ausschließlich aus Spenden und koordiniert die Hilfe vieler Die Bundeszahn- Zahnmediziner. Es hilft in Krisen- und Kriegsgebieten, bei Naturkata- ärztekammer strophen und humanitären Notlagen mit Soforthilfemaßnahmen so- (BZÄK), seit 2010 wie Infrastrukturaufbau und mit Hilfe zur Selbsthilfe. Auch der Kampf Schirmherrin der gegen HIV, AIDS und Lepra zählt zu den Aufgaben des HDZ. Stiftung HDZ, dankt dem Hilfswerk für BZÄK sein verlässliches Engagement. „Die Projekte des HDZ sind so viel- fältig wie die Länder, in denen es hilft. Das HDZ ist schnell, bürokra- tiearm und hat in den dreißig Jahren viel Not gelindert: zum Beispiel Projekte des HDZ Soforthilfe nach der Tsunamikatastrophe geleistet oder langfristig Kli- niken aufgebaut“, so BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel. Nähere Informationen zur Arbeitsweise und den Projekten des Er würdigte die jahrzehntelange Arbeit des HDZ-Vorstehers Dr. Hilfswerks Deutscher Zahnärzte finden Sie auf der Homepage: Klaus Winter. Seit 1996 hat Winter den Vorsitz der Stiftung inne www.stiftung-hdz.de und übergibt diesen nun an seinen Nachfolger Dr. Klaus-Achim Medizinethik im Nationalsozialismus Lektionen der Unmenschlichkeit H aben sich Ärzte im Nationalsozialismus mit medizinischer Ethik beschäftigt? Ist die ärztliche Ethik unabhängig vom politischen System? Diese Fragestellungen haben Dr. Flo- rian Bruns von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Dr. Tes- sa Chelouche von der israelischen Universität Haifa untersucht. Ausrichtung nicht selbstverständlich ist, sondern stets neu verhan- delt und verteidigt werden muss“, sagt Dr. Florian Bruns vom Insti- tut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin der Charité. Aus heutiger Perspektive erscheint es kaum vorstellbar, dass sich Das Projekt „GeDenkOrt.Charité – Wissenschaft in Verantwortung“ stellt Ärzte im Nationalsozialismus mit medizinethischen Fragen be- sich dieser Herausforderung: Ziel ist es, Studierende und Ärzte darin schäftigt haben. Doch genau dies konnten die beiden Forscher zu bestärken, sich den ethischen Gefährdungen der Human-, Technik-, bestätigen und anhand von Archivmaterial belegen: Im Jahr 1939 und Biowissenschaften stets bewusst zu sein und dabei zuallererst ei- wurden an allen medizinischen Fakultäten im Deutschen Reich nem verantwortungsbewussten Handeln in medizinischer Praxis, For- Pflichtvorlesungen über ärztliche Ethik eingeführt – so auch an der schung und Lehre verpflichtet zu sein. Zudem gibt es seit 2015 an der Medizinischen Fakultät der Berliner Universität. Charité die bundesweit erste Professur für Medical Humanities. Ziel der Vorlesungen war es, den angehenden Ärzten die moralischen Grundsätze nationalsozialistischer Medizin nahezubringen. Dazu ge- PM Charité hörte die Annahme, dass Menschen einen ungleichen „Wert“ besä- ßen und die Gesundheit des sogenannten „Volkskörpers“ stets wich- Studie „Lectures on lnhumanity“ tiger sei als die des einzelnen Patienten. Auch die Anerkennung der autoritären Rolle des Arztes, die Exklusion fremder „Rassen“ sowie die persönliche Pflicht zur Gesunderhaltung zählten zu den moralischen Die Studie von Dr. Florian Bruns und Dr. Tessa Chelouche er- Imperativen, die in den Vorlesungen vermittelt wurden. Als Dozenten schien unter dem Titel „Lectures on lnhumanity: Teaching Me- wurden Ärzte ausgewählt, die früh der NSDAP beigetreten waren und dical Ethics in German Medical Schools under Nazism“ in daher als ideologisch zuverlässig galten. der Fachzeitschrift „Annals of Internal Medicine“: 2017 Apr „Unsere Forschungen zeigen, dass auch die ärztliche Ethik letztlich 18;166(8):591-595 nur den gesellschaftlichen Zeitgeist widerspiegelt und ihre humane 18 MBZ 06 2017
Beruf & Politik Gesundheitstag in Marzahn Gemeinsame Patientenberatung vor Ort D as Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf orga- Fotos: KZV Berlin nisierte dieses Jahr wieder seinen bereits traditionellen Gesundheitstag. Wieder mit dabei war die Gemeinsame Patientenberatung der Berliner Zahnärzte. Mitarbeiterinnen und Zahnärzte nutzen die Gele- genheit, das Service-Angebot von Kassenzahnärzt- licher Vereinigung Berlin und Zahnärztekammer Berlin weiter bekannt zu machen. Sie standen den Teilnehmern für alle Fragen rund um die Zahnpfle- ge und Mundgesundheit zur Verfügung. Das Frage- spektrum reichte von allgemeinen Fragen wie z. B. nach der richtigen Zahnbürste oder Zahnpasta bis hin zu speziellen Fragen nach Zahnersatz. Welche verschiedenen Teilnehmer kosten- Möglichkeiten an Zahnersatz sich einem Patienten bieten, konnte los einen Sehtest ma- direkt an Modellen erklärt werden. Viele Teilnehmer ließen sich chen, ihren Blutzu- Alternativen für eine bevorstehende Zahnersatzbehandlung auf- ckerwert messen oder zeigen, andere berichteten von bereits durchgeführten Behand- ihren Fettanteil im Kör- lungen. Ein weiteres großes Thema bei den Teilnehmern: die Fül- per bestimmen lassen. lungstherapie. Ist Amalgam als Füllungsmaterial empfehlenswert Wer Informationen oder sollte aus gesundheitlichen Gründen lieber eine Alternati- rund um die gesetzli- ve gewählt werden? Alle Fragen wurden kompetent und gedul- che Krankenversicherung bekommen wollte, war hier ebenfalls rich- dig beantwortet. tig. Begleitet wurden die Gesundheitstage von einem breitgefächer- Ebenfalls mit einem Infostand vertreten waren Krankenkassen, Kli- ten Vortragsprogramm und verschiedenen Workshops. nik-Gruppen, Körperschaften, Fitness-Center. Jeder Kooperations- partner präsentierte sein individuelles Angebot. So konnten die Vanessa Hönighaus Grundsatzfinanzierungsvereinbarung Einführung der Telematikinfrastruktur V Foto: gematik or dem Hintergrund der getroffenen Einigung zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzen- verband) über die Finanzierung der Telematik-Infrastruktur stellt die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) fest: Die von der KZBV mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelte Grundsatzfinanzierungsvereinbarung Online-Rollout Stufe 1 sieht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben vor, dass in jedem Fall die kostengünstigste Variante zur Anbindung einer Praxis an die Te- lematikinfrastruktur von den gesetzlichen Krankenkassen vollstän- dig übernommen wird. Das ist unabhängig von den in der Grund- satzfinanzierungsvereinbarung genannten Beträgen für einzelne Komponenten sichergestellt. Der in der Vereinbarung bezifferte Betrag von 1.000 Euro für einen GKV-Spitzenverband bedeuten, dass die gleiche Erstattung erzielt Konnektor, der in die Pauschale für die Erstausstattung der Praxen werden würde, wie sie die Einigung zwischen KBV und GKV-Spit- einfließen soll, ist als vorläufiger Preis zu verstehen, bis eine qua- zenverband vorsieht. litative Marktpreisermittlung abgeschlossen ist. Nach derzeitigem Marktstand würde das für die Vereinbarung zwischen KZBV und KZBV 20 MBZ 06 2017
Beruf & Politik Kostenpflichtige Zusatzleistungen KZBV wehrt sich gegen Pauschalangriff O b Professionelle Zahnreinigung, Zahnersatz oder Bleaching: Bei vielen zahnärztlichen Leistungen müssen gesetzlich Krankenversicherte selbst zahlen. Einer Um- frage zufolge, die im Auftrag der Verbraucherzentrale Nordrhein- Westfalen (NRW) durchgeführt wurde, fühlen sich Patienten von einer solchen Vielzahl von Behandlungen mitunter vereinzelt auch zu Beschwerden kommt, sei bedauerlich und – in ausgewähl- ten und nachweislich begründeten Einzelfällen – sicher auch be- rechtigt. „Allerdings sollte die tatsächliche Zahl solcher Fälle in den Kontext der Gesamtzahl aller Behandlungen gestellt werden, be- ihren Zahnärzten nicht ausreichend aufgeklärt, wenn es um die vor Pauschalurteile über einen angesehenen Berufsstand gefällt Kosten für Zusatzleistungen geht. So nachzulesen auf dem On- werden“, so Eßer. Zudem gelte auch, dass nicht jede Beschwer- line-Portal „Kostenfalle-Zahn“. Bei der repräsentativen Online-Be- de eines Patienten, die bei der Verbraucherzentrale oder bei ver- fragung von 1.000 gesetzlich Krankenversicherten habe sich ge- gleichbaren Institutionen und Portalen über einen Zahnarzt selbst zeigt, dass viele Zahnärzte offenbar oder über das Ergebnis einer Behand- ihren gesetzlichen Aufklärungspflichten lung vorgebracht werde, auch automa- über Zusatzkosten und gesetzliche Kas- tisch berechtigt sei. „Hier bedarf es im- senleistungen nicht nachkämen, heißt mer der Überprüfung im Einzelfall, die es dazu. „Kassenpatienten werden hier- nicht zwangsläufig zu Gunsten des Pati- durch mit unnötigen Mehrkosten belas- enten ausgehen muss.“ tet und in ihrer Wahlfreiheit beschränkt“, kritisiert die Verbraucherzentrale NRW. Wissenschaftliche Grundlage Die Zahnärzteschaft müsse diese Fehl- der Studie zweifelhaft entwicklung dringend korrigieren. Vier von zehn Befragten hätten angegeben, Eßer zweifelt auch die wissenschaftliche vor Beginn der Behandlung nicht schrift- Grundlage der Studie an. Es finde sich lich über die Kosten der Zusatzleistung kein Hinweis auf ein Verfahren der Zu- informiert worden zu sein. Fast jeder fallsauswahl der Teilnehmer. Informati- Zweite habe nicht wie vorgeschrieben onen über Größe und Zusammenset- eine schriftliche Kostenübernahme be- Der Wortlaut des gesamten Schreibens der zung der Bruttostichprobe fehlten völlig. stätigt. „Gut ein Drittel der Interviewten KZBV an die Verbraucherzentrale NRW kann „Leider haben wir in der Vergangenheit nachgelesen werden unter: http://www.kzbv.de/ beklagte, nicht über mögliche Risiken auklarung-uber-zusatzleistungen.1139.de.html mit der Belastbarkeit solcher und ähn- der Zusatzleistung informiert worden zu licher Erhebungen sehr negative Erfah- sein. Und mehr als ein Viertel kritisierte, rungen machen müssen“, betont Eßer. vor Behandlungsbeginn keine Information über die mögliche Kas- Nicht selten komme es zu erheblichen Verzerrungen bei den Er- senleistung bekommen zu haben“, berichtet die Verbraucherzent- gebnissen im Hinblick auf das Ausmaß von – vermeintlichen oder rale NRW. Das mache deutlich, dass Zahnärzte in vielen Fällen ge- tatsächlichen – Problemen bei der Aufklärung von Patienten. So gen ihre Pflichten verstießen. wurden bei vergleichbaren Befragungen in der Vergangenheit mit- unter Antworten ohne konkrete Behandlungsfälle gegeben, Ant- Offener Brief an Verbraucherzentrale NRW worten erfolgten aus der weit zurückliegenden Erinnerung oder es wurden Angaben gemacht, die lediglich auf Hörensagen und Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahn- nicht auf tatsächlichem, eigenem Erleben beruhten, so Eßer. Sol- ärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), will das so nicht hinneh- che Umfragen ließen also eine fundierte wissenschaftliche Grund- men. „Die Ergebnisse der Befragung können wir in weiten Teilen lage vermissen. „Eine sachgerechte Auseinandersetzung oder gar nicht nachvollziehen, decken diese sich doch nicht oder allenfalls eine Positionierung der Zahnärzteschaft zu den Ergebnissen war nur sehr bedingt mit vergleichbaren, aktuellen Daten, die uns vor- darüber hinaus nicht möglich.“ liegen“, heißt es in einem Brief der KZBV an die Verbraucherzen- Eßer zeigt sich offen für ein gemeinsames Gespräch mit den Verant- trale NRW. Dass Vertragszahnärzte regelhaft und flächendeckend wortlichen der Verbraucherzentrale NRW. Dabei könne der Komplex in dem genannten Zusammenhang gegen ihre gesetzlich vorge- „Zuzahlungen“ an sich und auch die Möglichkeiten einer gemeinsa- schriebenen Pflichten verstoßen, „halten wir für ebenso unzutref- men Befragung durch die Verbraucherzentrale NRW und die Zahn- fend und diffamierend wie die Feststellung, dass es angeblich ‚De- ärzteschaft diskutiert werden. „Eine solche Untersuchung hätte den fizite im Behandlungsprozedere‘ gibt“, betont Eßer. In Deutschland Vorteil eines wissenschaftlich akkuraten, von allen Seiten akzeptier- würden Jahr für Jahr Millionen von vertragszahnärztlichen Behand- ten empirischen Fundaments und einer dementsprechenden sach- lungen in den Praxen erbracht und zugleich auch vielfach Privat- gerechten Evaluation als Grundlage für weitere Gespräche.“ leistungen durch Patienten ganz bewusst und aktiv nachgefragt, mit denen dann Zuzahlungen verbunden sind. Dass es angesichts Vanessa Hönighaus MBZ 06 2017 21
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