ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER

 
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ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
W W W.ZAEK-SA .DE                                                             W W W.KZV-LSA .DE

                                                   JAHRGANG 29 // OKTOBER 2019     10 / 2019

  ZAHNÄRZTLICHE NACHRICHTEN
  S A C H S E N - A N H A LT

MIT BEILAGE: ZN PRAXISTEAM

  THEMA S. 6

  ZAHNERSATZ: LÄNGST
  MEHR ALS LÜCKENFÜLLER                                                    100 Jahre Bauhaus
                                                                           Evangelische
                                                                           Friedenskirche
    27. Fortbildungstage der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt                in Leuna
ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
IN EIGENER SACHE
                                                ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 10 I Oktober 2019

     JUBILÄUM
    IM DIENSTE
   DER PATIENTEN
           Patientenzeitschrift „ZahnRat“
                 erscheint zum 100. Mal /
                 Startschuss im Jahr 1993

Die Patientenzeitschrift ZahnRat erscheint in diesen Tagen
zum 100. Mal. Der ZahnRat entstand bereits 1993 in der Lan-
deszahnärztekammer Sachsen (LZKS) aus einer Idee des Jour-                Der ZahnRat feiert Geburtstag: Links Ausgabe 1 (1993), rechts die
nalisten Frank Woida als damaligem Mitarbeiter der Kammer                     aktuelle Ausgabe 99. Ausgabe 100 erscheint in diesen Tagen.
und des jetzigen Kammerpräsidenten der LZKS, Dr. Thomas
Breyer, lange Jahre verantwortlich für die Öffentlichkeitsar-
beit der LZKS.                                                        regelmäßigen Reaktionen auf die Beiträge zeigen. Nicht nur
                                                                      die Zahnärzte der Herausgeber-Kammern sind die Empfänger
Die Zeitschrift sollte sich für die Patienten zu einer Informa-       des ZahnRates, er geht mittlerweile ebenso vielen Redakti-
tionsquelle zu verschiedensten Themen der Zahnheilkun-                onen zu. Damit setzen die Kammern selbstbestimmte The-
de entwickeln. Die ersten sechs Ausgaben der Patienten-               men und etablierten sich über all die Jahre auch als sichere
zeitschrift gab die LZKS allein heraus, seit 1996 erscheint           und fachlich werbeunabhängige Informationsquelle für die
der ZahnRat in einer gemeinsamen Herausgeberschaft der                Journalisten der Print-, Hörfunk- und TV-Medien in den Zahn-
Zahnärztekammern Sachsen, Brandenburg, Thüringen und                  Rat-Ländern.
Sachsen-Anhalt sowie der Kassenzahnärztlichen Vereinigung
Sachsen-Anhalt, bis 2019 noch mit der Zahnärztekammer                 Und auch in der Zahnärzteschaft selbst gab der ZahnRat im-
Mecklenburg-Vorpommern. Eine sehr enge Partnerschaft ver-             mer wieder Anstoß zu Diskussionen, zum Beispiel über das
bindet LZKS und die anderen Herausgeber seit 1995 auch mit            Verhältnis von Wissenschaftlichkeit und verständlicher Auf-
dem Verlag Satztechnik Meißen, mit dem die Zeitschrift so-            bereitung für medizinische Laien, oder darüber, ob „echte“
wohl satztechnisch als auch gestalterisch zum heutigen Pro-           Bilder wichtig sind, oder ob für die Leser – respektive Patien-
dukt aufgebaut wurde.                                                 ten – Grafiken angenehmer sind? Das bescheinigt der Patien-
                                                                      tenzeitschrift schon einen großen Stellenwert und auch, dass
Mindestens einmal pro Jahr trifft sich die große Redaktions-          den Zahnärzten die Zeitschrift wichtig ist, sie sich in der Pa-
runde aller Herausgeber, um Themen zu besprechen, zahn-               tientenkommunikation unterstützt fühlen. Die beiden großen
medizinische und gesundheitspolitische Hintergrundinfos               Umfragen 2009 und 2015 bei den Zahnärzten der Herausge-
auszutauschen, Leserecho und Kritiken zu bewerten und auch            berländer haben das ebenfalls bestätigt. Schaut man sich die
rechtliche Dinge abzusichern. Denn der ZahnRat ist eine Mar-          Nachbestellungen an, spiegelt der ZahnRat auch wider, wel-
ke geworden. Bereits 1996 als Wortmarke für ein Printmedi-            che Informationen vom Patienten gut angenommen werden
um eingetragen, wurde das Markenrecht 2018 aktualisiert               und welche einfach nicht wahrgenommen werden wollen.
und vom Deutschen Patent- und Markenamt beurkundet. Seit
der ZahnRat 2012 auch im Internet zu finden ist mit eigener            Ohne größere Werbeblöcke im Heft – das hebt die Zeitschrift
Homepage, erwachten auch Interesse an den Inhalten und, ja            schon heraus aus dem Wartezimmer-Angebot. Und auch, dass
auch Begehrlichkeiten an dem Namen mit seinem Wortwitz.               sich jede Ausgabe einem Thema widmet, zwar viele Facet-
                                                                      ten und übergreifende Zusammenhänge mit ins Spiel bringt,
Viele Zahnärzte nutzten und nutzen den ZahnRat, um ihn auf            aber kein „Themen-Hopping“ betreibt, bei dem letztlich alle
ihrer Homepage einzubauen – mit einem Abbild der Titel-               Beiträge irgendwie zu kurz kämen. Über alle 100 Ausgaben
seite und dem Link auf die ZahnRat-Homepage ist das auch              hinweg wurde das Layout regelmäßig aufgefrischt, doch der
korrekt. Vertreten ist das Medium ebenso auf Facebook, wo             markante Zeitschriftentitelkopf blieb unverändert und wie-
er nicht nur aufgerufen, sondern auch gelesen wird, wie die           dererkennbar.

                                                                     2
ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
INHALT
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IN EIGENER SACHE                                                                                          MITTEILUNGEN DER
Juibläum: Patientenzeitschrift „ZahnRat“                                                                  KZV SACHSEN-ANHALT
erscheint zum 100. Mal ..................................................................... S. 2         Die Zulassungsstelle informiert ...............................................S. 40
                                                                                                          Hinweise der Abteilung Abrechnung .....................................S. 42
HISTORISCHES                                                                                              Versorgung im Land bleibt stabil ............................................ S. 44
Wie der Überbiss die Entwicklung der menschlichen                                                         Aus der Vorstandssitzung .............................................................S. 45
Sprache beeinflusste .......................................................................... S. 4
                                                                                                          SACHSEN-ANHALT
EDITORIAL                                                                                                 Zum Titelbild: Evangelische Friedenskirche
30 Jahre Wende                                                                                            in Leuna ..................................................................................................S. 46
von Dr. Carsten Hünecke.................................................................. S. 5
                                                                                                          MITTEILUNGEN DES
27. FORTBILDUNGSTAGE                                                                                      FVDZ SACHSEN-ANHALT
Zahnersatz – mehr als nur ein Lückenfüller ......................... S. 6                                 Der Freie Verband im Wandel? ..................................................S. 49
Die Vorträge für die Zahnärzte in Kürze ................................. S. 8
Impressionen vom Bierabend......................................................S. 11                     27. ZAHNÄRZTETAG
Lehrreiches für die Praxisteams ................................................S. 14                     Anmeldeformular und Informationen ........................... S. 51/52

BERUFSSTÄNDISCHES
„Was wird diesen Kindern angetan?“ – Experten
vernetzen sich auf Fachtag für Kinderschutz .....................S. 16
Eine Party mit Biss – Tag der Zahngesundheit
in diesem Jahr mit Disko in Halle (Saale) ..............................S. 18
Im Dienst einer größeren Sache – Landesverband
der Freien Berufe im Dialog mit der CDU .............................S. 20
Zahnärzte und Journalisten im Austausch –
12. Mitteldeutsches Medienseminar in Dessau .................S. 21

NACHRICHTEN UND BERICHTE
Schrader bleibt an der FVDZ-Spitze .........................................S. 22
Förderung für Hallenser Forscher ............................................S. 24

FORTBILDUNGSINSTITUT
E. REICHENBACH
Fortbildungsprogramm für Zahnärzte ...................................S. 25
Fortbildungsprogramm für Praxismitarbeiterinnen .......S. 27

KOLLEGEN
Ein rastloses Forscherleben – zu Besuch
beim Kieferorthopäden Dr. Karl Ulrich ..................................S. 32

MITTEILUNGEN DER
ZAHNÄRZTEKAMMER SACHSEN-ANHALT
Aus der Vorstandssitzung .............................................................S. 34
Ein Jahr ZFA-Kampagne „Du glänzt!“ .....................................S. 37
Zwei erfolgreiche Jahre für Projekt Validierung .............S. 38

                                                                                                                                                                                           100 Jahre Bauhaus:
                                                                                                                                                            Evangelische Friedenskirche in Leuna.
                                                                                                                                                                                    Titelbild: Fredi Fröschki

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ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
HISTORISCHES
                                                 ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 10 I Oktober 2019

        ÜBERBISS
      BEEINFLUSSTE
      DIE SPRACHE
  Lippenzahnlaute erweiterten vor mehreren
            tausend Jahren die Fähigkeit
           zur menschlichen Artikulation

Wie sprachen Menschen vor hunderten oder gar tausen-
den Jahren? Sicher kann das niemand beantworten, da die
Möglichkeit zur Tonaufzeichnung erst seit rund 160 Jahren
besteht. Allerdings können moderne Analysen des mensch-                    Der Ackerbau veränderte die Ernährung und veränderte auch die
lichen Stimmapparates, zu dem auch der Mundkieferraum                         Zahnkiefer menschlicher Urahnen. Das leichte Übergebiss des
zählt, bei der Beantwortung dieser Frage helfen. So konnte             Homo sapiens sapiens erleichterte die Bildung der Lippenzahnlaute
jüngst ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung                   und erweiterte so die Sprachfähigkeit. Foto: Uwe Seidenfaden
der Max-Planck-Institute für Menschheitsgeschichte und für
Psycholinguistik zeigen, dass die heutige Vielfalt der gespro-
chenen Sprachen vor rund 4.000 bis 2.000 Jahren weltweit               Jäger und Sammler in der Jungsteinzeit härter und zäher war
deutlich zunahm. Über die neuen Erkenntnisse berichteten               als die Nahrung, die sich in Mitteleuropa vor rund 4.000 Jah-
Forscher aus Deutschland, Frankreich und Singapur in der               ren durch die Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht durch-
Zeitschrift „Science“ (doi: 10.1126/science.aav3218).                  setze. Als Folge der Nahrungsumstellung veränderte sich
                                                                       auch das menschliche Gebiss, so Blasi. Der sogenannte Kopf-
Der Bibel nach sprachen einst alle Menschen eine gemein-               biss, bei dem die Schneidezähne des Ober- und Unterkiefers
same Sprache. Die Vielfalt heutiger Sprachen soll die Strafe           Kante auf Kante stoßen, wich in den folgenden Menschenge-
für die menschliche Vermessenheit gewesen sein, in der Stadt           nerationen einer Gebissform, bei der die oberen Schneidezäh-
Babel einen Turm bis in den göttlichen Himmel bauen zu wol-            ne leicht über die unteren hinausragen. In der Folge konnten
len. Differenzierter ist das Bild, das die Wissenschaften auf die      die Menschen ihr Lautrepertoire um „Lippenzahnlaute“ (latei-
Sprachentwicklung werfen. Danach war das Lautrepertoire                nisch Labiodentale) erweitern. Labiodentale in der deutschen
der ersten Jetztmenschen (Homo sapiens sapiens) vor rund               Sprache sind der stimmhafte Konsonant „w“ und das stimmlo-
35.000 Jahren noch recht begrenzt. Einen Grund dafür sieht das         se „f“. Bei deren Bildung berühren sich die oberen Schneide-
Team um Damián Blasi vom Max-Planck-Institut für Mensch-               zähne und die Unterlippe. Biomechanische Analysen zeigten,
heitsgeschichte und der Universität Zürich in der Zahnstel-            dass ein leichtes Übergebiss die Bildung der Lippenzahnlaute
lung. Für die Untersuchungen analysierte das Forscherteam              erleichtert und weniger Muskelarbeit erfordern.
der Universitäten Lyon und Zürich, des Max-Planck-Instituts
für Menschheitsgeschichte sowie der Technischen Universität            Den Untersuchungen zufolge nahm seit Ende der Steinzeit
Nanyang in Singapore Daten aus verschiedenen Disziplinen               und zu Beginn der Bronzezeit vor etwa 4.000 bis 2.000 Jah-
wie der Anthropologie, der Phonetik und der historischen Lin-          ren die Fähigkeit zur Bildung von Lippenzahnlauten zu. Noch
guistik.                                                               vor etwa 6.000 Jahren waren Labiodentale vermutlich nur
                                                                       zu etwa drei Prozent in den Sprachen verbreitet, heute sind
Einst diente der Kauapparat der ersten Jetztmenschen – so              es 76 Prozent. Die Resultate gäben einen Einblick in die ur-
wie bei den meisten Tieren – vorrangig der Nahrungszerklei-            sächlichen Zusammenhänge zwischen kulturellem Verhalten,
nerung. Gelegentlich wurden die Zähne auch als „dritte Hand“           menschlicher Biologie und Sprache, resümiert Projektleiter
bei der Anfertigung von Kleidung und Werkzeugen eingesetzt,            Professor Dr. Balthasar Bickel in der Zeitschrift. Dank der den-
wie am Gebiss einer vor 9.000 Jahren verstorbenen Frau aus             talen Lautbildung konnten Menschen ihre Kreativität bei der
Mitteldeutschland zu erkennen ist. Deren Überreste werden              Wortbildung erweitern und die sozialen Kontakte ausbauen.
im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle aufbewahrt. Ar-             Das zeigt die Bedeutung, die Zahnstellungen für die kulturelle
chäologische Funde zeigen außerdem, dass die Nahrung der               Entwicklung der Menschheit hatten und haben.                   use

                                                                      4
ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
EDITORIAL
                                              ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 10 I Oktober 2019

 30 JAHRE WENDE
          Liebe Kolleginnen und Kollegen,
  sie ist in diesen Tagen überall präsent – die
   Friedliche Revolution vom Herbst 1989, die
   dem Begriff „Wende“ eine neue Bedeutung
verlieh. Auch die nach 1989 Geborenen verbin-
 den mit diesem Wort zuallererst jene Ereignis-
se, die nicht nur in Deutschland das Ende eines
diktatorischen Systems bedeuteten. Im gesam-
  ten Osteuropa gab es die Wende und nicht
überall verlief sie unblutig. So grenzt es heute
noch an ein Wunder, dass im Oktober 1989 bei
                                                                                  Dr. Carsten Hünecke
                uns keine Schüsse fielen.

Der dann folgende gesellschaftliche Umbruch verlief aus mei-             unter den derzeitigen Bedingungen nicht mehr das Maß aller
ner Sicht bei uns unter der besonderen Situation der Überwin-            Dinge und der Wunsch nach einer Anstellung, zumindest für
dung der deutschen Teilung außerordentlich stürmisch. Unser              einen wesentlich längeren Berufsabschnitt und am besten in
Berufsstand ist dafür ein gutes Beispiel und die meisten von             größeren Strukturen, die Realität.
Ihnen haben es durchlebt: Nur ein Jahr nach dem Fall der Mau-
er im November 1989, der Wirtschafts- und Währungsunion im               Dazu kommen Fehlentscheidungen der Politik. „Es muss
Sommer 1990 und der Wiedervereinigung im Oktober 1990                    Schluss sein mit der Ideologie der Freiberuflichkeit!“, meinte
hieß es im Herbst 1990 bereits, intensiv die eigene Praxis in frei-      Ulla Schmidt 2006, nachdem sie 2004 das MVZ als neue Ver-
er Niederlassung zu planen. Das gesetzlich garantierte Fortbe-           sorgungsform implementierte und damit die „Poliklinik“ mit
stehen der Polikliniken war keine Option mehr. Die Welle der             angestellten Ärzten als Modell der ambulanten Versorgung
Niederlassung 1991 als „Abstimmung mit den Füßen“ beendete               wiederbelebte. Seitdem hat keine Koalition, egal welcher Cou-
das Modell einer staatlich geplanten und organisierten kol-              leur, das MVZ mehr in Frage gestellt. Im Gegenteil, mit der 2015
lektiven zahnmedizinischen Versorgung in wenigen Monaten.                beschlossenen Erweiterung auf arztgruppengleiche MVZ, die
Dieser fundamentale Umbruch geschah dabei ohne Einschrän-                auch von Berufsfremden betrieben werden können, wurde die
kung der Versorgung unserer Patienten!                                   aktuelle Situation der Investoren-ZMVZ erst möglich. Statt not-
                                                                         wendiger Förderung der freiberuflichen Berufsausübung setzt
Gleichzeitig bedeutete Freiberuflichkeit auch Selbstverwal-               die Politik auf kollektive Großstrukturen, die die flächende-
tung, die es in den neuen Bundesländern 1990/91 aufzubauen               ckende Versorgung sichern sollen. Welch fataler Trugschluss!
galt. So möchte ich an dieser Stelle alldenjenigen unter Ihnen
besonders danken, die damals mit einem unwahrscheinlichen                Der Wunsch nach der eigenen Praxis ist noch groß, zeigen Um-
Engagement nicht nur an der eigenen beruflichen Zukunft                   fragen. Gleichzeitig belegen sie aber auch, dass Verwaltung
gearbeitet haben, sondern darüber hinaus beim Aufbau der                 und finanzielle Risiken der Praxisgründung für die junge Gene-
Selbstverwaltung bis in die Kreise hinein eine Mammutauf-                ration (zu) große Hürden sind. Die berechtigten Forderungen
gabe geleistet haben. Danken möchte ich auch für die große               der Standesorganisationen nach besseren Arbeitsbedingungen
Unterstützung, die seinerzeit die vielen Kollegen aus den alten          in der Niederlassung bedeuten weder eine Ideologie der Frei-
Bundesländern beim Aufbau leisteten. Sie bestärkten darin, die           beruflichkeit noch die Konservierung eines „überholten“ Klas-
Chance auf selbstbestimmte Berufsausübung zu nutzen und die              sikers der Berufsausübung. Wir fordern weitsichtige politische
durchaus vorhandenen Zweifel in den Hintergrund zu drängen.              Entscheidungen, die nicht von Ideologien getragen werden,
                                                                         sondern die Wünsche der Betroffenen aufnehmen. Alles andere
Liebe Kolleginnen und Kollegen,                                          ist ein Irrweg, wie der Herbst 1989 lehrte. Herzlichst, Ihr
warum erinnere ich hier so ausführlich an die Geschichte? 30
Jahre sind eine Generation und knapp die Hälfte unserer der-
zeit tätigen Zahnärzte im Land kennt keine Poliklinik mehr. Bei          Dr. Carsten Hünecke
den jungen Kolleginnen und Kollegen ist die Niederlassung                Präsident der Zahnärztekammer Sachsen-Anhalt

                                                                   5
ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
27. FORTBILDUNGSTAGE
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        Seit vielen Jahren Gastgeber der Fortbildungstage: Wernigerode, die bunte Stadt am Harz. Foto: Stadt Wernigerode/Frank Drechsler

                                                                       Ehrenpräsidenten der ZÄK, Dr. Frank Dreihaupt, den leitenden
     ZAHNERSATZ:                                                       Zahnarzt der Bundeswehr, Flottenarzt Dr. Helfried Bieber und
                                                                       seinen Kollegen Dr. Dirk Wachter, den Vorstandsvorsitzenden

     MEHR ALS EIN                                                      der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt Dr.
                                                                       Jochen Schmidt und seinen Stellvertreter Dr. Bernd Hüben-

    LÜCKENFÜLLER                                                       thal, den Aufsichtsrat des Altersversorgungswerkes der ZÄK
                                                                       um Dipl.-Stomat. Dieter Hanisch sowie das Führungstrio des
                                                                       Landesverbandes des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte
         Zahnärzte unternehmen bei den                                 mit Matthias Tamm, Dr. Dorit Richter und Angela Braune. „Sie
                                                                       werden sehnsüchtig erwartet“, verkündete auch Wernigero-
27. Fortbildungstagen in Wernigerode Streifzug                         des stellvertretender Bürgermeister Burkhard Rudo den Zahn-
       durch moderne Zahnersatzkunde                                   ärzten mit Blick auf den Einzelhandel augenzwinkernd. Rudo
                                                                       konnte berichten, wie gut sich Wernigerode entwickelt. So stei-
„Es war doch erst gestern!“ – diesem Gefühl, das wohl viele            gen die Tourismuszahlen, 2018 zählte die von Hermann Löns so
Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie ihre Praxisteams im Sep-             getaufte „bunte Stadt am Harz“ 1,3 Millionen Übernachtungen
tember bei der Rückkehr nach Wernigerode haben, verlieh                sowie zwei Millionen Tagesbesucher. Schwerpunkt für Investiti-
Dr. Carsten Hünecke, Präsident der Zahnärztekammer Sach-               onen sei der Ortsteil Schierke, wo am Winterberg ein Skigebiet
sen-Anhalt, zur Begrüßung bei den diesjährigen, nunmehr 27.            mit Seilbahn entsteht.
Fortbildungstagen der ZÄK Ausdruck. 850 Teilnehmer waren
am 20. und 21. September 2019 in die bunte Stadt am Harz ge-           SPAHN ZIEHT TEMPO AN
kommen, um gemeinsam mit dem Wissenschaftlichen Leiter                 So rasant wie künftig vielleicht Skifahrer am Winterberg ist der-
Prof. Dr. Sebastian Hahnel (Leipzig) auf einen Streifzug durch         zeit auch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unterwegs.
die moderne Zahnersatzkunde zu gehen. „Wir fühlen uns wie              Mit dem Tempo, mit dem er Gesetzesvorlagen veröffentlicht,
zuhause“, sagte Kammerpräsident Dr. Hünecke mit Blick auf              überfordere Spahn den üblichen politischen Betrieb. Das füh-
das Harzer Kultur- und Kongresshotel, in dem die Fortbildungs-         re zu Kollateralschäden, eine Vielzahl von Fragen bleibe of-
tage bereits zum 23. Mal zu Gast sind. Viele bekannte Gesich-          fen, erklärte Dr. Carsten Hünecke zu Beginn der Fortbildungs-
ter konnte der Präsident im Publikum begrüßen, darunter den            tage in seinem Blick auf die Lage der Zahnärzteschaft.        ▶

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ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
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Allein drei Gesetzesvorhaben mit zum Teil erheblichen Aus-
wirkungen auf den Berufsstand habe das BMG in Jahresfrist
auf den Weg gebracht: Zum einen das im Frühjahr verab-
schiedete TSVG. Die dortigen Regelungen zur Gründung von
zahnärztlichen MVZ reichten nicht aus, um Investoren und
berufsfremde Dritte außen vor zu lassen und die berufsrecht-
lichen Probleme mit MVZ wurden überhaupt nicht betrachtet,
kritisierte Dr. Hünecke. Aktuell seien zwei weitere Gesetze
                                                                                Dr. Carsten             Burkhard      Prof. Dr. Sebastian
mit blumigen Namen wie „Digitale-Versorgung-Gesetz“ und
                                                                                  Hünecke                   Rudo                 Hahnel
„Faire-Kassenwahl-Gesetz“ im Abstimmungsprozess. Ersteres
soll den Weg für Gesundheits-Apps, telemedizinische Anwen-
dungen und die elektronische Patientenakte ebnen. Die Fra-
gezeichen zum Datenschutz im Entwurf seien jedoch so groß             rung der GOZ unabdingbar. Beinahe die Hälfte der Leistungen
gewesen, dass selbst das Bundesjustizministerium dem Ent-             sind inzwischen schlechter vergütet als mit dem BEMA. Die
wurf im Kabinett die Unterstützung versagte und Nachbesse-            BZÄK habe auch deshalb nun eine öffentlichkeitswirksame
rung forderte. Gleichzeitig verschärft Jens Spahn gegen Ver-          Kampagne gestartet, um auf die GOZ-Problematik aufmerk-
weigerer der TI die Sanktionen, die Gematik als maßgebliche           sam zu machen (siehe auch zn 9/2019, S. 11). Die Ende dieses
Institution der Selbstverwaltungsgremien zur Durchführung             Jahres erwarteten Ergebnisse der von der GroKO im Koaliti-
der TI wurde im Mai mit einem Federstrich entmachtet und              onsvertrag vereinbarten „Wissenschaftlichen Kommission für
ist durch eine 51%ige Mehrheit des BMG nun ein politisches            ein modernes Vergütungswesen (KOMV)“, die EBM und GOÄ
Instrument. „Die Verantwortung des Zahnarztes für die uns             unter Aspekten der Harmonisierung untersuchen soll, wer-
anvertrauten Daten muss am Konnektor enden“, bekräftigte              den sicher einen Hinweis geben, wie die Politik auch die GOZ
Dr. Hünecke die Position der BZÄK.                                    behandeln möchte, so die Hoffnung der Standespolitik. Noch
                                                                      gehörten die Selbstverwaltung und das standespolitische En-
Kopfschütteln bekomme man auch beim „Faire-Kassen-                    gagement für die eigenen Ziele gleichermaßen zu einem frei-
wahl-Gesetz“, so der Kammerpräsident. Das Ziel dieses Ge-             en Beruf, wie das Selbstverständnis, sich auf dem aktuellen
setzes sei nicht allein die bundesweite Öffnung regional or-          Wissensstand zu halten. Das müsse auch in Zukunft so blei-
ganisierter Kassen wie der AOKen. Gleichzeitig sollen auch            ben, beschloss Dr. Hünecke seine Ausführungen und übergab
hauptamtliche Vorstände die ehrenamtlichen Entscheidungs-             das Wort an den Wissenschaftlichen Leiter der Fortbildungs-
gremien der gesetzlichen Krankenkassen „professionalisie-             tage, Prof. Dr. Sebastian Hahnel.
ren“. Mit der Öffnung verschiebe sich ganz nebenbei die Auf-
sicht von Landesebene auf Bundesebene. „Was das bedeutet,             Bereits jetzt steht das Thema für das kommende Jahr fest:
spüren wir in Sachsen-Anhalt am eigenen Leibe: Die Bundese-           2020 lädt Prof. Dr. Stefan Zimmer von der Universität Wit-
bene des vdek blockiert seit Jahren die angemessene und vom           ten-Herdecke als wissenschaftlicher Leiter zum Thema „Prä-
Schiedsamt bestätigte Punktwertanhebung, auch gegen den               ventive Zahnheilkunde und Kinderzahnheilkunde“ ein.
Willen der vdek-Landesvertretung. So haben wir bei der unter
Landesaufsicht stehenden AOK Sachsen-Anhalt mittlerweile
einen deutlich besseren Punktwert. Wenn auch dort zukünf-
tig Bundesebenen entscheiden, wird es sicher nicht leichter“,
fürchtet Dr. Carsten Hünecke.

GOZ-PUNKTWERT UNVERÄNDERT
Als Fazit bleibe, dass die Praxen statt solches politischen Ak-
tionismus Planungssicherheit für notwendige Innovationen                             27. FORTBILDUNGSTAGE
und Investitionen in den Praxen bräuchten – auch finanziell,                          IN DER RÜCKSCHAU
was Dr. Hünecke zum Thema GOZ-Punktwert brachte. „Der
seit 31 Jahren geltende GOZ-Punktwert von 11 Pfennigen ge-
                                                                                     S. 8-13: Die Vorträge für die Zahnärzte in Kürze
hört endlich auf den Müllhaufen der Geschichte“, forderte der
                                                                                     S. 11: Impressionen vom Bierabend
Kammerpräsident. Die Bundesversammlung der Bundeszahn-
                                                                                     S. 12: Eindrücke von der Dentalschau
ärztekammer habe im Vorjahr einstimmig eine Anhebung auf
                                                                                     S. 14-15: Lehrreiches für die Praxisteams
14 Cent gefordert. Daneben sei eine grundlegende Novellie-
                                                                                     (außerdem detailliert in der Praxisbeilage)

                                                                7
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ZAHNERSATZKUNDE: SPAGAT                                                WERKSTOFFKUNDE: EIERLEGENDE
ZWISCHEN VIELEN KONZEPTEN                                              WOLLMILCHSAU GIBT ES NICHT
Prof. Dr. Sebastian Hahnel, Leipzig: Moderne Zahnersatz-               Prof. Dr. Martin Rosentritt, Regensburg: Werkstoffkun-
kunde – was macht sie aus? Prothesen zum Ersatz verlorener             de – Update Keramiken. Der Regensburger Ingenieur und
Zahnhartsubstanz gibt es bereits seit Jahrtausenden. Die               Kunststofftechniker Prof. Dr. Martin Rosentritt hat sich viel
moderne Zahnersatzkunde müsse einen Spagat vollführen,                 mit Keramiken und Zirkonoxiden beschäftigt. Er nahm die
               so der Wissenschaftliche Leiter der Fortbil-                              Zuhörer in Wernigerode mit auf einen
               dungstage, Prof. Dr. Sebastian Hahnel. Auf                                   Ausflug in die Welt der Werkstoffe. Die
                  der einen Seite stünden junge Patienten,                                  eierlegende Wollmilchsau gebe es dabei
                  denen nur ein oder zwei Zähne fehlen und                                  nicht, erklärte Prof. Rosentritt. Ob Polymere,
                  wo der Fokus auf der Ästhetik liege, also ei-                             Glas- oder Oxidkeramiken, der Teufel liegt
                  nem natürlichen und schönen Aussehen, das                                 im Detail. So gebe es bei den zu den Oxid-
                  sich harmonisch in die Zahnreihen einfügt.                             keramiken gehörenden Zirkonoxiden hohe
                  Am anderen Ende befänden sich Patienten                                Qualitätsunterschiede und entsprechend
mit 18 und mehr fehlenden Zähnen. Hier stünden Erhalt bzw.             verschiedene Indikationen. So besäßen 3Y-Zirkonoxide eine
Wiederherstellung von Kaufunktion und Lebensqualität im                hohe Festigkeit, seien aber opak. Mit steigender Luzenz wie
Vordergrund – und der Anteil dieser Gruppe wachse. In beiden           bei 5Y-Zirkonoxiden sinke dagegen die Festigkeit. Mehrglied-
Fällen gebe es hinsichtlich Vorgehen, Abformung, Werkstoff-            rige Prothesen im Seitenzahnbereich würden damit brechen,
wahl und Befestigung vielfältigste Möglichkeiten, so Prof.             warnte Prof. Rosentritt. „Das beste Material kann nichts
Hahnel. Dieser Spagat zwischen Ästhetik und Funktion mache             dafür, wenn Sie es falsch verarbeiten“, postulierte er und
die Arbeit für den Prothetiker schwierig – aber auch spannend.         zeigte an Mikroskopaufnahmen, wie sich Keramikstrukturen
                                                                       je nach Temperatur bei der Sinterung verändern. Auch gebe
                                                                       es Multilayer-Rohlinge, deren Schichten unterschiedliche
VOLLKERAMIK: AUF ANGABEN                                               Festigkeiten haben. Fazit: Die Behandler sollten die Eigen-
                                                                       schaften der von ihnen verwendeten Keramiken gut kennen
DES HERSTELLERS ACHTEN                                                 und je nach Patient individuell nutzen – die eine Keramik für
Prof. Dr. Matthias Rödiger, Göttingen: Vollkeramik in der Pra-         alle Indikationen gebe es nicht.
xis – funktioniert wirklich alles? Nein, postulierte der Göttin-
ger Prothetik-Spezialist Prof. Dr. Matthias Rödiger gleich am          CAD/CAM-KOMPOSITE:
Anfang seines Vortrages. Bei Vollkeramik gebe es immer ein
                  Dilemma zwischen Ästhetik und Stabilität,
                                                                       BESSER LABSIDE ALS CHAIRSIDE
                  wie Rödiger am Beispiel des „Hoffnungs-              Dr. Angelika Rauch, M.Sc. / Dr. Andreas König, Leipzig: CAD/
                  trägers“ Zirkonoxid zeigte. Galt Zirkonoxid          CAM-Komposite aus der Sicht des Klinikers und des Werk-
                  am Anfang als fast vergleichbar mit dem              stoffwissenschaftlers. Die Leipziger Dres. Rauch und König
                  Goldstandard Metall-Keramik, zeigten sich            brachten in ihrem Vortrag jede Menge Tipps und Tricks rund
                  im Fünf-Jahres-Zeitraum in Studien einige                                              um CAD/CAM-Komposite
                  Komplikationen wie Gerüstfrakturen und                                                 mit. Diese besäßen Rönt-
                  Chipping im Seitenzahnbereich, was zu re-                                                  genopazität und Fluores-
duzierten Überlebensraten von nur 74 Prozent führte. Diese                                                   zenz, eine gute Kantensta-
Ergebnisse setzten sich im Sieben- bzw. Zehnjahreszeitraum                                                   bilität und großen Komfort
fort. „Wir wissen bei vielen Materialien in der Routine-An-                                                  bei geringem Gewicht.
wendung nach Markteinführung noch nichts über deren                                                          CAD/CAM-Komposite
Bewährung“, so Prof. Rödiger. Diverse Kenngrößen (Mindest-                                                   eigneten sich deshalb für
stärke, Indikationsbereiche ...) seien zwar postuliert, aber           partielle Restaurationen, teilweise auch für Vollkronen und
oft noch nicht wissenschaftlich belegt. Lägen dann Studien             Brücken. Dabei seien indirekte, also vom Hersteller/ZT-Labor
vor, seien die Materialien bei Behandlern und Herstellern              gelieferte Komposite wesentlich fehlerfreier als chairside
häufig schon wieder „out“. Er rät Zahnärzten im Praxisalltag            verarbeitete. „Achten Sie auf einen hohen Fülleranteil, umso
deshalb dazu, bei der Verwendung die Herstellerangaben zu              besser ist die Mechanik“, riet Dr. König. Der Trend bei CAD/
beachten und abzuwägen, ob der Patient eine bewährte oder              CAM-Kompositen gehe zu Kompositen mit antikariogener
innovative Versorgung benötige.                                        und remineralisierender Wirkung.

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       DOMINIK NEIDHART: „WAHRER
      STOLZ KOMMT VON KOMPETENZ“
Dominik Neidhart, Profi-Segler und langjähriges Mitglied                            übermächtigen Neuseeländer zusammenschweißte.
im Schweizer Alinghi-Team, nahm seine Zuhörer beim                                 Neidhart selbst schuftete nicht nur von früh bis spät bei
diesjährigen Festvortrag mit auf eine Reise zurück ins                             endlosen monotonen Optimierungs- und Trainingsrun-
Jahr 2003, als das Außenseiter-Team des segelbegeister-                           den im Boot, er hatte auch frühmorgens die Aufgabe, die
ten Schweizer Milliardärs Ernesto Bertarelli im Hauraki                           Finnen der Kielbombe mit Sandpapier extraglatt abzu-
Gulf im Norden Neuseelands erstmals die älteste Sport-                            schleifen – wofür er sich nicht immer motivieren konnte,
trophäe der Welt, den America’s Cup, gegen den vorheri-                           wie er zugibt. Als die Bootsbauer dies bemerkten, kriti-
gen Sieger Team New Zealand gewann. Neidhart war 15 Jahre                sierten sie ihn nicht etwa, sondern zeigten ihm, wie wichtig eine
lang Segler im America’s Cup und wie seine Körperstatur ahnen            möglichst glatte Oberfläche für die Reduzierung des Wasserwi-
lässt, hatte er als „Grinder“, der die Winschen bediente, einen der      derstandes ist und dass so gewonnene Zentimeter sich im Ver-
härtesten Jobs an Bord. Mit vielen Fotos und Videos berichtete er        lauf eines Rennens auf mehrere Meter aufaddieren können – um
von den Vorbereitungen auf den Cup, die für die Augen des sport-         am Ende womöglich über Sieg oder Niederlage zu entscheiden.
begeisterten Zuschauers unsichtbar hinter den Kulissen laufen.           „Selbst kleinste Tätigkeiten haben eine wichtige Auswirkung“, er-
                                                                         klärte er dem Publikum an diesem Beispiel.
Neidhart erklärte Entwicklung und Bau der High-Tech-Jachten
von Alinghi, die im Heimatland des Teams gebaut werden müs-              Im Team müsse deshalb jeder seine Rolle kennen und dann im
sen, und die in den unberechenbaren Gefilden des Meeres wie ein           entscheidenden Moment zu 100 Prozent im Interesse der Ge-
Schweizer Uhrwerk laufen müssen – enorme Ansprüche für die               meinschaft handeln, so Dominik Neidhart. „Wahrer Stolz kommt
bis zu 800 Menschen aus 22 Nationen, die als Ingenieure, Schiffs-        von Kompetenz, nicht von Einfluss, Macht oder Geld“, ist seine
bauer, Meteorologen und Seeleute dem Alinghi-Boot zu Sieg ver-           Prämisse. Zur Gewinnermentalität gehöre es dabei auch, ein ge-
halfen. Jahre im Voraus wurden die Boote gebaut und dann bis             gebenes Umfeld aus Regeln, Gesetzen oder Bedingungen zu ak-
zum letzten Renntag optimiert und die 16-Mann-Crews an Bord              zeptieren und vielmehr das Beste aus dem zu machen, was man
der beiden Schiffe trainiert. Doch trotz des Millionenbudgets            selbst beeinflussen kann. Man dürfe sich nicht über vergangene
ist für Neidhart beim Alinghi-Sieg 2003 eines entscheidend: Der          Leistungen definieren, sondern über das, was man tut oder tun
Teamgeist. „Der Cup wurde nie vom vermögendsten Team ge-                 will“, so Neidhart. Auf dem Weg zum Ziel gebe es dabei selten
wonnen. Man kann den Titel nicht kaufen“, ist er überzeugt. Das          einen geraden Weg. So wie auch Segler viele Manöver fahren
Alinghi-Team bestand aus den Besten, die man für Geld holen              müssten, um am Wind zu bleiben, gelte dies auch für das restli-
kann, jeder Einzelne ein Experte auf seinem Gebiet. Extrinsische         che Leben. Die dafür nötige Energie, dazu Charakter, Kompetenz,
Motivation durch ein gutes Gehalt sei wichtig, ausschlaggebend           Kooperation und die Lieferung der Leistung im entscheidenden
für den Sieg war aber die intrinsische Motivation – der Wille zum        Moment seien wichtig für erfolgreiche Teamleistung, gab Domi-
Sieg, der alle im Außenseiterteam Alinghi gegen die scheinbar            nik Neidhart den Zahnärzten mit auf den Weg.
                                                                                                                                               Foto: Thierry Martinez
ZAHNERSATZ: LÄNGST MEHR ALS LÜCKENFÜLLER
27. FORTBILDUNGSTAGE
                                                 ZN SACHSEN-ANHALT I AUSGABE 10 I Oktober 2019

ALTERSZAHNMEDIZIN: ZÄHNE                                               MOBILITÄT: BEHANDLUNG AUCH
BEDEUTSAM FÜR ZUFRIEDENHEIT                                            IM WOHNZIMMER MACHBAR
PD Dr. Andreas Zenthöfer, Heidelberg: Gut leben im Alter –             Dr. Dirk Bleiel, Rheinbreitbach: Wie viel mobile Prothetik ist
die Rolle der Zähne. Mit der Bedeutung der Zahngesundheit              möglich? Pflegebedürftige Patienten, die nur noch schwer
im Alter hat sich der Heidelberger Prothetiker Andreas Zent-           oder gar nicht mehr in die Praxis kommen können, versorgt
höfer beschäftigt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO)               DGAZ-Vorstandsmitglied Dr. Dirk Bleiel in deren Zuhause
                  definiere Gesundheit als „körperliches,                                  – denn der Behandlungsbedarf sei groß,
                 mentales und seelisches Wohlbefinden“, so                                   die ethische Verpflichtung gebiete es und
                 Dr. Zenthöfer, der ausführlich einen Frage-                                wirtschaftlich sei es auch, wenn man re-
                 bogen zur Ermittlung der mundbezogenen                                     gelmäßig rausfährt. Fast 80 Prozent dieser
                 Lebensqualität (MLQ) vorstellte, das Oral                                  Patienten hätten abnehmbaren Zahnersatz,
                 Health Impact Profile, kurz OHIP. Dieses ist                                jede Menge davon sei mangelhaft, so Dr.
                international verbreitet und anerkannt. Dr.                            Bleiel. Dass mit gründlicher Planung und
                Zenthöfer stellte anhand von Statistiken dar,                          entsprechendem Verpacken der Ausrüstung
wie sich die Mundhygiene im Alter deutlich verschlechtert              auch im Wohnzimmer viel Zahnmedizin möglich ist, zeigte
und entsprechend auch die Zahl der eigenen Zähne sinkt.                er anschaulich mit Videos aus seinem Arbeitsalltag und
Entsprechend steige der Behandlungsbedarf. MLQ-Umfragen                sparte dabei auch Schwierigkeiten nicht aus, wie er an der
hätten gezeigt, dass nicht gleich jeder Zahn ersetzt werden            Zahnreinigung und Versorgung einer dementen Patientin in
müsse, festsitzender Zahnersatz führe aber zu deutlich hö-             einem Pflegeheim demonstrierte, die nicht mehr den Mund
herer Kaukraft, die äußerst bedeutend für die Zufriedenheit            öffnen wollte. Er rät, die Prothesen der Patienten wo möglich
älterer Menschen ist. Dr. Zenthöfer plädierte abschließend             zu erhalten und ggf. zu unterfüttern oder zu erweitern. Auch
dafür, Patienten und Pflegende mehr aufzuklären und die                 verkürzte Zahnreihen sind für ihn okay. Am Ende des Lebens
aufsuchende Zahnmedizin zu stärken.                                    sollten die Prothesen als Keimschleudern in jedem Fall raus
                                                                       aus dem Mund. Die Grenzen der Mobilität liegen für Dr. Blei-
                                                                       el bei zeitintensiven Behandlungen (30 min+), chirurgischen
                                                                       Eingriffen, Mikroskopbedarf oder dem KZV-Veto.
DIGITALISIERUNG: JA, ABER
OHNE ANALOG GEHT ES NICHT
Dr. Martin Butz, München: Digitaler Workflow bestimmt das               KIEFERRELATIONSBESTIMMUNG:
Tagesgeschäft / Erfahrungsbericht Praxis + Labor. Der Münch-
                                                                       VIELE FEHLER MÖGLICH
ner Zahnarzt Dr. Martin Butz hat sich schon früh „Moderne
Zahnmedizin“ auf die Fahnen geschrieben, erst als Mitbe-               PD Dr. Daniel Hellmann, Würzburg: Was gibt's Neues von der
                 gründer eines komplett digital arbeitenden            Zentrik? Update 2019. Funktionsdiagnostiker Dr. Daniel Hell-
                 Labores und nun in eigener Niederlassung.             mann aus Würzburg stellte in seinem Vortrag die Schwierig-
                 In dieser Zeit lernte er drei Lektionen, die er       keiten bei der Kieferrelationsbestimmung dar. Diese sei zum
                 in Wernigerode gerne weitergab: 1. Zähne                                einen in der maximalen Interkuspidation
                 bleiben Zähne – am Ende zählten gute Er-                                oder alternativ in der zentrischen Kondy-
                 gebnisse, und die würden im Zusammenspiel                                  lenposition möglich – letztere sei aber nur
                   von Zahnarzt und Labor erbracht, nicht von                               schwer genau bestimmbar. Fehlerhafte
                   Maschinen. 2. Der Einsatz digitaler Technik                              Kieferrelationsbestimmungen seien ein
sei zwar effizient, der Umgang mit der Technik brauche aber                                 häufiger Grund dafür, dass bei Prothesen
viel Training, was Zeit koste. 3. Auch digitales Arbeiten benö-                             später Korrekturen und Einschleifungen
tige das Wissen um analoge Arbeitsprozesse, die mit digitalen                               nötig sind. „Wir nehmen keinen Biss, wir
Techniken optimiert würden. In dem Maße, wie die Patienten             geben einen“, postulierte Dr. Hellmann und gab zu bedenken,
immer digitaler unterwegs seien, empfiehlt Dr. Butz, sich auch          dass jede Neupositionierung des Kiefers unumgänglich mit
die neue Technik zu Nutze zu machen – von der Online-Ter-              neuromuskulären Adaptionen beim Patienten verbunden sei,
minvergabe über digitale Patientenkarteien bis zum digitalen           was älteren Menschen schwerer falle. Entschieden wandte er
Röntgen. Als günstigen Einstieg bei der Prothetik empfiehlt             sich dagegen, dass ein falscher Biss craniomandibuläre Dys-
er die Anschaffung eines Modellscanners, der konventionell             funktionen (CMD) oder Probleme des Bewegungsapparates
abgeformte Arbeiten fürs ZT-Labor einscannt.                           auslöse. Dies sei wissenschaftlich laut Leitlinie nicht belegt.

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  GUTE STIMMUNG BEIM BIERABEND
Mit dem traditionellen
Bierabend endete der
erste Konferenztag der 27.
Fortbildungstage – rund 500
Zahnärzte und Praxismit-
arbeiter nutzten nach der
Eröffnung durch Kam-
merpräsident Dr. Carsten
Hünecke die Gelegenheit,
den Abend gemeinsam zu
verbringen, mit Kolleginnen
und Kollegen den Tag Revue
passieren zu lassen sowie
natürlich das von Sponsoren
bereitgestellte Freibier und
das leckere Buffet zu genie-
ßen.      Fotos: Andreas Stein

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27. FORTBILDUNGSTAGE
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EINDRÜCKE VON DER DENTALSCHAU
Kammerpräsident Dr.
Carsten Hünecke eröff-
nete die traditionelle
Dentalschau anlässlich
der 27. Fortbildungstage
am Freitagvormittag im
Beisein des Vorstandes und
der Geschäftsführung der
Zahnärztekammer Sach-
sen-Anhalt. 36 Aussteller
präsentierten sich den
Besuchern der Fortbil-
dungstage am Freitag
und Sonnabend mit ihren
Neuheiten, Angeboten und
Produkten.

                                                                             Fotos: Uwe Seidenfaden (3) / Andreas Stein (4)
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27. FORTBILDUNGSTAGE
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FUNKTION: (ESS-)KULTUR SORGT                                           BEFESTIGUNGSZEMENT: FINGER
FÜR EIN KRANKES KAUSYSTEM                                              WEG VON METHACRYLAT!
PD Dr. Ottmar Kullmer, Frankfurt/Main: Funktion und Digita-            PD Dr. Michael Korsch, Heidelberg: Befestigungszementas-
lisierung einmal anders – die evolutionäre Perspektive. Der            soziierte periimplantäre Entzündung: Ursachen, Risiken und
Paläoanthropologe Dr. Ottmar Kullmer beschäftigt sich mit              Lösungen. Prof. Dr. Michael Korsch ist Experte für die Auswir-
dem menschlichen Gebiss. Dieses sei in seiner Vielseitigkeit           kungen von Befestigungszementresten auf das periimplantäre
               das „Schweizer Taschenmesser“ unter den                                  Gewebe, umgangssprachlich auch als „Ze-
               Gebissen. Umwelt und Organismus beein-                                       mentitis“ bezeichnet. 85 Prozent des festen
               flussten die Morphologie der Zahnstruk-                                       Zahnersatzes werde in Deutschland auf Im-
                 turen, der Mensch bringe auch noch die                                     plantaten zementiert und nicht verschraubt.
                 Kultur mit, was Okklusion und Kaumechanik                                  Die Vorteile: Weniger Schraubenlockerun-
                 verändere. Würden Zähne aufeinandertref-                                   gen, bessere Ästhetik, passive Passform und
                 fen, entstünden spezifische Facetten, die                                keine Mehrkosten. Würden jedoch Zement-
                 digital messbar seien und aus denen man                                 reste in periimplantären Gewebe verbleiben,
auf Lebensort und Ernährungsart schließen könne. So seien              führe dies in 85 Prozent aller Fälle zu Entzündungen, wie Dr.
verschiedene Fossilien untersuch- und vergleichbar – und               Korsch an Beispielen und Studien zeigte. Wie sich gezeigt
so einmalig wie ein Fingerabdruck, erklärte Dr. Kullmer.               habe, liege dies an Methacrylat-Zement, der bei 60 Prozent
Seit rund 200 Jahren erfahre das menschliche Kausystem                 aller Implantate für Komplikationen wie Zementüberschüsse,
nun kulturbedingt eine Reduktion seiner ursprünglichen                 BOP oder gar Vereiterung sorge – die letzteren beiden auch,
Funktion – Nahrungszubereitung und eine große Auswahl an               wenn es keine Zementüberschüsse gebe. Deshalb rät Dr.
hochenergetischen Lebensmitteln habe den Selektionsdruck               Korsch bei der Zementierung zur Verwendung von Zinko-
im Kauapparat beinahe vollständig eliminiert. Dr. Kullmer              xid-Zement – dieser ist wasserlöslich und lässt sich wegspülen.
stellte deshalb die These in den Raum, dass viele Störungen
in Funktion und Okklusion damit zusammenhängen.
                                                                       IMPLANTATE IM RESTGEBISS:
                                                                       VIER STÜCK SIND OPTIMAL
IMPLANTATPROTHETIK: GUT
PLANEN, PRÄZISE ARBEITEN                                               Prof. Dr. Stefanie Kappel, Heidelberg: Abnehmbarer im-
                                                                       plantatgetragener Zahnersatz – eine gute Option? Prof. Dr.
Prof. Dr. Matthias Karl, Homburg: Implantatprothetik – mal             Stefanie Kappel aus Heidelberg, die auch mit ihrem Mann
ehrlich ... Die Passgenauigkeit ist für den Langzeiterfolg             in eigener Praxis niedergelassen ist, beschäftigt sich mit
implantatgetragener Restaurationen essentiell, erklärt Prof.                             Versorgungskonzepten für den zahnlosen
Dr. Matthias Karl, Homburg. Was nicht genau passe, sorge                                 Kiefer bzw. stark reduzierte Gebisse. Die
                 für Spannungen und schädige so Restaura-                                   Patienten werden immer älter, die Kaukraft
                 tion und Knochen des Patienten, wie er an                                  ist immer stärker eingeschränkt – können
                 Negativbeispielen erläuterte. Anhand von                                   Implantate in Kombination mit heraus-
                 Studien konnte Prof. Dr. Karl zeigen, dass                                 nehmbarem Zahnersatz hier helfen? Ja, wie
                 Nachahmerprodukte dabei noch ungenauer                                     Prof. Dr. Kappel an verschiedenen Studien
                 gefertigt sind als Originale der Industrie, da-                        mit verschiedenen Implantatzahlen zeigen
                 rum riet er dazu, nur letztere zu verwenden.          konnte, auf denen Prothesen mit Stegen oder Locatoren be-
                 Anhand verschiedener Patientenbeispiele               festigt wurden. Wie von Patienten anschließend ausgefüllte
erklärte Prof. Dr. Karl, wie wichtig demütiges Planen (Eignet          OHIP-Fragebögen zeigten, verbesserte bereits ein Implan-
sich der Patient überhaupt für Implantate? Ist er in der Lage,         tat die Lebensqualität stark, die Prothesen seien hier aber
Mundhygiene zu betreiben?), präzises Arbeiten (50 Prozent              bruchgefährdet. Deshalb rät die Expertin zu zwei oder vier
der Fehler passieren bei der Abformung), Verwendung                    Implantaten, in jedem Fall sei die tetragonale Abstützung
von Originalkomponenten und Respekt vor den Material-                  wichtig. Dem Publikum in Wernigerode riet Prof. Dr. Stefanie
eigenschaften sind. Es gelte, die Implantatprothetik so zu             Kappel, in jedem Fall verbliebene Restzähne beim Versor-
betreiben, dass sie auch der normale Patient von der Straße            gungskonzept zu nutzen und vor allem für ältere Patienten
gebrauchen könne, appellierte der Saarländer Prothetikspe-             technisch einfache Prothesen zu nehmen, die leicht zu reini-
zialist an die Berufsethik seiner Kollegen.                            gen und zu reparieren sind.

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    Wenn Sylvia Wuttig von der Daisy Akademie kommt, ist der Saal voll – Die Abrechnungsexpertin sprach über die richtige Abrechnung von
          Behandlungsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen und gab auch noch ein Seminar zur Abrechnung. Fotos: Uwe Seidenfaden

      BUNTE STADT,                                                      Kinder zwischen dem zehnten bis zum vollendeten 20. Lebens-
                                                                        monat, für Kinder zwischen dem 21. bis zum vollendeten 33.

         BUNTES                                                         Lebensmonat sowie für Kinder zwischen den 34. bis zum voll-
                                                                        endeten 72. Lebensmonat ersetzt.

       PROGRAMM                                                         Prof. Dr. Matthias Rödiger, außerplanmäßiger Professor für Im-
                                                                        plantatprothetik in Göttingen, sprach über Allergien und Un-
                                                                        verträglichkeitsreaktionen in der Zahnarztpraxis. Während in
       27. Fortbildungstage mit vielfältigem                            Deutschland und vielen anderen Industrieländern die Zahl von
Programmangebot für Praxismitarbeiterinnen                              Allergikern und Menschen mit Unverträglichkeitsreaktionen
                                                                        auf Stoffe aus der Umwelt zunimmt, stellt sich die Frage, inwie-
Ein vielfältiges Programmangebot hatte die Zahnärztekam-                weit diese Thematik auch in der Zahnheilkunde widerspiegelt.
mer Sachsen-Anhalt auf den 27. Fortbildungstagen für die                Ein Sensibilisierungspotential gehe prinzipiell von Dentalle-
Praxismitarbeiterinnen zusammengestellt. Es beinhaltete                 gierungen und acrylhaltigen Kunststoffen (Polymethylmet-
u. a. Vorträge zu Unverträglichkeiten in der zahnärztlichen             hacrylat = PMMA) in Prothesen- und Befestigungsmaterialien
Praxis und Assessments zur Mundgesundheit, Ganztagsse-                  aus. Keramiken wird ein sehr geringes Sensibilisierungspoten-
minare zu Updates bei der Abrechnung und zur Stärkung des               tial zugeschrieben. Die Sensibilisierungsphase kann im beruf-
Selbstwertgefühls, sowie erstmals eine Schulung zum Brand-              lichen und privaten Umfeld (z. B. Modeschmuck) erfolgen. Bei
schutzhelfer. Den Auftakt im Vortragsreigen machte Sylvia               den Nichtedelmetall-Legierungen sind die darin enthaltenen
Wuttig von der DAISY-Fortbildungsakademie. Sie stellte u. a.            Stoffe Nickel, Chrom und Kobalt ein potentielles Risiko für Pa-
Updates zu Abrechnungsfragen bei der Behandlung von Kin-                tienten mit einer Nickel-Chrom- bzw. Chrom-Kobalt-Sensibili-
dern und Jugendlichen vor und berichtete über die neuen Früh-           sierung. Titan gilt als ein Sonderfall. Es wird zwar meist sehr
erkennungsuntersuchungen, die seit 1. Juli 2019 gültig sind. Die        gut vertragen. In der Orthopädie wurden jedoch vereinzelte
alte FU wurde durch neue Bema-Nummern für zahnärztliche                 Fälle von Titan-Prothesen-Unverträglichkeiten beobachtet. Der
Früherkennungsuntersuchungen von Kindern zwischen dem                   Referent verwies darauf, dass dazu in der Literatur oft nur Fall-
sechsten bis zur Vollendung des neunten Lebensmonats, für               berichte und keine wissenschaftlichen Studien beschrieben     ▶

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27. FORTBILDUNGSTAGE
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werden. Bei Verdacht auf Unverträglichkeitsreaktionen durch
Dentalmaterialien plädierte er für eine Differential-Diagnose
unter Berücksichtigung somatischer und psycho-somatischer
Faktoren. Von mehrfachen Korrekturen am Zahnersatz ohne
objektivierbaren Grund, nur auf Patientenwunsch und entge-
gen besseren zahnärztlichen Wissens rät Dr. Rödiger ab.

TIPPS FÜR ANGSTPATIENTEN
Um die Angst vor dem Besuch beim Zahnarzt sowie Methoden
zur Schmerzbewältigung und zum Stressabbau für Patienten und
Praxisteam ging es in einem Vortrag von Dr. med. Horst Freigang,
dem Vizepräsidenten der Deutschen Gesellschaft für Zahnärzt-
liche Hypnose e.V.. Der Referent riet dem Praxisteam, Angst- und
Schmerzpatienten mit aufmerksamer Empathie zu begegnen.                      In praktischen Übungen dürften die künftigen Brandschutzhelfer
In kurzen Videosequenzen gab er einige Beispiele dafür, wie er                  ihre Kenntnisse in der Brandbekämpfung unter Beweis stellen.
und sein Team diesen allgemeinen Ratschlag in die praktische
Arbeit umsetzten. Angstpatienten können lernen, äußere Reize             Von einigen standardisierten Assessments der Mundgesund-
und Schmerzen unter der Behandlung durch Autosuggestion                  heit für pflegerisches und zahnmedizinisches Personal (ROAG)
auszublenden bzw. im positiven Sinne umzudeuten, in dem sie              berichtete am Sonnabend PD Dr. Andreas Zenthöfer, Spezialist
diese gedanklich in Erinnerungen an schöne Erlebnisse einbau-            für Zahnärztliche Prothetik an der Klinik und Poliklinik für Zahn-
en. Auch in der direkten Kommunikation zwischen Patient und              ärztliche Prothetik des Universitätsklinikums Heidelberg. Dem
Praxisteam kann so manches noch verbessert werden. In diesem             schlossen sich der Vortrag von Tamara Strobl, Heidelberg, zur
Zusammenhang warnte der Referent vor negativen Formulie-                 perfekten Assistenz in der Oralchirurgie und der von einem Fra-
rungen, beispielsweise „Es tut jetzt vielleicht gleich ein bisschen      ge- und Antwortspiel unter Einbeziehung des Publikums gepräg-
weh…“ oder auch „Es tut nicht sehr weh“. Solche Aussagen lenken          te Vortrag von Prof. Dr. Stefanie Kappel, ebenfalls von der Klinik
geradezu die Aufmerksamkeit des Patienten auf einen zu erwar-            und Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik des Universitätsklini-
tenden Schmerz. Besser sei es, Sätze mit positiven Aussagen zu           kums Heidelberg, an. Sie brachte viele kleine praktische Tipps
formulieren. Statt zu sagen „Sie brauchen keine Angst zu haben“,         zu den Themen Provisorien, Abdrucknahme und intraorale Re-
könne man einfach sagen „Sie können sich jetzt entspannen“.              gistrate in die Diskussion, was bei vielen ZFAs im Publikum sehr
Weitere Beispiele gab Dr. Freigang in einem zweiten Vortrag zu           gut ankam.
Thema „Körpersignale richtig deuten“. Schon kleine Veränderun-
gen in der verbalen und nonverbalen Kommunikation zwischen               Erstmals wurden bei den alljährlichen Fortbildungstagen der
Patient und Praxisteam könnten sich positiv auf die Behand-              ZÄK Sachsen-Anhalt auch zwei Seminare zur Ausbildung als
lungssituation auswirken.                                                Brandschutzhelfer angeboten. Thomas Lutze, Brandschutzbe-
                                                                         auftragter der VHS-Bildungswerk GmbH in Magdeburg, infor-
In einem Ganztagesseminar vermittelte Petra Cornelia Erdmann             mierte über die möglichen Gefahren von Bränden in Praxisräu-
aus Dresden-Schönborn Kenntnisse und Strategien, das Selbst-             men und wie Brandschutzhelfer dann zu handeln haben. Auch
wertgefühl zu verbessern, denn Menschen mit einem Selbstwert-            Kleinpraxen müssen mindestens einen Brandschutzhelfer vor-
gefühl treten selbstsicher auf und das macht ihr Fortkommen              halten, so dass unter den Seminarteilnehmern so mancher Praxis-
leichter. Die Referentin verwies darauf, dass Selbstbehauptung,          inhaber selbst saß. Der praktische Teil umfasste das Training der
als eine Säule des Selbstwertgefühls, über Jahrhunderte ein              Teilnehmerinnen im Umgang mit verschiedenen Löschmitteln.
von Männern erwartetes Verhalten war. Traten Frauen selbstbe-            Alle Teilnehmer erhalten über die ZÄK ein Zertifikat als Brand-
hauptend auf, wurden sie schnell in Schubladen mit Bezeichnun-           schutzhelfer, das von Berufsgenossenschaften und Unfallkassen
gen wie Hexen, Megären und später dann Emanzen gesteckt. Die             anerkannt ist.
Rolle der Frau habe sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts gewandelt, wenngleich auch im 21. Jahrhundert noch
immer stereotype Rollenzuschreibungen existieren.

Die Alterung in der deutschen Gesellschaft schreitet voran und
damit wird in den kommenden Jahrzehnen auch die Zahn- und
                                                                                        MEHR WISSEN FÜRS TEAM
Mundgesundheit im Alter eine immer wichtigere Rolle spielen.
                                                                                        Ausführliche Berichte zu den Vorträgen für die Praxis-
                                                                                        teams sowie weitere Stimmungsbilder finden Sie in der
                                                                                        diesem Heft beiliegenden zn-Praxisteam Nr. 79.

                                                                   15
BERUFSSTÄNDISCHES
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  VEREINT GEGEN
   GEWALT UND
  MISSHANDLUNG
        Kinder- und Zahnärzte, Pädagogen
    und Experten vernetzen sich bei Fachtag
            im Sinne des Kinderschutzes

Wie können Ärzte und Zahnärzte, Lehrer und Pädagogen ver-              Rund 120 Teilnehmer aus Ärzte- und Zahnärzteschaft, Jugendäm-
nachlässigten und misshandelten Kindern besser helfen? Die                tern und Bildungseinrichtungen kamen zum Fachtag Frühe Hilfen
Eltern erreichen, am besten bevor etwas passiert? Das war                         ins Magdeburger Gesellschaftshaus. Foto: Andreas Stein
Thema beim Fachtag Frühe Hilfen am 13. September 2019 im
Magdeburger Gesellschaftshaus mit 120 Teilnehmern, orga-
nisiert von der Bundesstiftung Frühe Hilfen, dem Ministerium          Früherkennungsuntersuchungen für Kinder unter drei Jahren
für Arbeit, Soziales und Integration sowie Kassenärztlicher           beinhaltet. Nun gelte es, die Eltern auch zu motivieren, diese
und Kassenzahnärztlicher Vereinigung. Ziel sei es, Koopera-           wahrzunehmen. Marcel Christoph vom Zentrum Frühe Hilfen
tionsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote der Netz-               beschrieb den Ansatz der Frühen Hilfen, in allen Bundeslän-
werke Kinderschutz und Frühe Hilfen publik zu machen, so Dr.          dern flächendeckende Netzwerke mit Ansprechpartnern in
Hans-Jörg Willer (KZV), der moderierte.                               jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt aufzubauen. In
                                                                      Sachsen-Anhalt seien mittlerweile 60 Fachkräfte tätig, denn
50.400 Kindeswohlgefährdungen zählte das Statistische Bun-            die Geburtenzahlen steigen wieder an und jedes sechste Kind
desamt 2018 in Deutschland – 10 Prozent mehr als im Vorjahr,          wachse in sozial schwachen Familien auf. Gleichzeitig würden
wie Ministerin Petra Grimm-Benne berichtete. „Diese Zahlen            Geburtskliniken und Kinderärzte einen deutlichen Anstieg der
lassen einen nicht kalt“, so Grimm-Benne. Hinter jeder Zahl           psychosozialen Belastung der Familien wahrnehmen.
stehe ein Schicksal. Der Anstieg der Fälle sei ein deutliches
Alarmsignal, dass ein Handeln notwendig sei. Dabei gehe es            DRASTISCHE BILDER
um präventives Vorgehen, nicht um Bestrafung, betonte die             Was diese Belastung mutmaßlich für Folgen hat, berichtete
Ministerin. „Kinder können sich nicht selbst schützen“, bekräf-       Dr. Nicole Primas, Präventionsexpertin der Zahnärztekammer
tigte auch Dr. Jochen Schmidt, KZV-Vorstandsvorsitzender.             Sachsen-Anhalt, in ihrem Vortrag über mangelnde Mundhy-
Hier seien die Eltern in der Pflicht, aber ebenso alle, die mit        giene als Zeichen von Vernachlässigung. Eingangs zeigte sie
den Kindern in Kontakt kommen – auch Ärzte und Zahnärz-               Bilder eines vierjährigen Kindes aus Magdeburg, das in ihre
te. Gerade letztere, die viel Kontakt mit jungen Patienten            Praxis verwiesen wurde und dem sie im Mai sämtliche Milch-
haben, sind mit abgebrochenen Zähnen oder Kieferbrüchen               zähne in Vollnarkose ziehen musste, denn jeder Zahn war ver-
konfrontiert oder erkennen oft als erste Zeichen der Vernach-         eitert (siehe rechts). In der Folge lehnte die Mutter eine pro-
lässigung im Mund. Dr. Schmidt zeigte sich erfreut, dass der          thetische Behandlung ab. „Was ist schief gelaufen?“, stellte Dr.
GKV-Leistungskatalog seit kurzem auch drei zahnärztliche              Primas als Frage in den Raum. Erziehung und Pflege der          ▶

         Petra          Dr. Jochen            Marcel              Dr. Nicole            Sebastian         Dr. Roland       Kerstin Hörn-
  Grimm-Benne             Schmidt           Christoph                Primas                     Fox        Achtzehn       lein-Reckewell

                                                                     16
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