MIETER ECHO ZEITUNG DER BERLINER MIETERGEMEINSCHAFT E.V. WWW.BMGEV.DE NR. 413 DEZEMBER 2020 - BERLINER MIETERGEMEINSCHAFT EV
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IMPRESSUM GESCHÄFTSSTELLE Herausgeberin: Berliner MieterGemeinschaft e.V. Berliner MieterGemeinschaft e.V. Möckernstraße 92 (Ecke Yorckstraße), 10963 Berlin Redaktion MieterEcho: Joachim Oellerich (V.i.S.d.P./ Chefredaktion), Telefon: 030 - 2168001, Telefax: 030 - 2168515 Andreas Hüttner, Philipp Mattern, Rainer Balcerowiak, Hermann Werle, www.bmgev.de Philipp Möller, Matthias Coers (Bildredaktion), Jutta Blume (Schlussredaktion/ ÖFFNUNGSZEITEN CvD), G. Jahn (Mietrecht) Montag, Dienstag, Donnerstag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 17 Uhr Mittwoch 10 bis 13 Uhr Kontakt: Telefon: 030 - 21002584, E-Mail: me@bmgev.de Freitag 10 bis 13 Uhr und 14 bis 16 Uhr Grafik: nmp (Gestaltung/ Satz/ Bildredaktion) Am 24. und 31.12. bleibt die Geschäftsstelle geschlossen. Titelbild: nmp Fahrverbindung: Belichtung und Druck: Königsdruck Berlin u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße, i Yorckstraße, ; M19 Redaktionsschluss: 03.11.2020 Bankverbindung: Postbank Berlin, IBAN: DE62 1001 0010 0083 0711 09, BIC: PBNKDEFF © Berliner MieterGemeinschaft e.V. Nachdruck nur nach vorheriger Rücksprache. Der Bezugspreis ist durch den Die Berliner MieterGemeinschaft bietet ihren Mitgliedern persönliche Mitgliedsbeitrag abgegolten. Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen Mietrechtsberatung an (siehe Seite 31 und hintere Umschlagseite). nicht notwendigerweise mit der Meinung der Redaktion überein. Für unverlangt Die rollstuhlgerechten Beratungsstellen sind durch - gekennzeichnet. eingesandte Manuskripte oder Fotos wird keine Haftung übernommen. Achtung! In unserer Geschäftsstelle und in den Vor-Ort-Büros findet während der Öffnungszeiten keine Rechtsberatung statt. PROBLEME MIT DEM VERMIETER? Bei der Berliner MieterGemeinschaft können Ratsuchende kostenlos Bitte ankreuzen und mit Briefmarken im Wert von 0,95 € einfach an folgende Informationsblätter bestellen: folgende Adresse schicken: B ERLINER M IETERG EMEINSCHAFT E. V. Möckernstraße 92 · 10963 Berlin · Telefon 216 80 01 Berliner MieterGemeinschaft e.V. Betriebskostenabrechnung Mietvertrag Möckernstraße 92 Eigentümerwechsel Modernisierung 10963 Berlin Heizkostenabrechnung Schönheitsreparaturen NAME Kündigung durch den Umwandlung und Vermieter Wohnungsverkauf VORNAME Mängelbeseitigung Untermiete STRASSE Mieterhöhung Wohnfläche PLZ ORT Mietpreisbremse Wohnungsbewerbung Mietsicherheit/Kaution Zutritt und Besichtigung BEZIRKSGRUPPENTREFFEN Neukölln Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Beratungsstelle, Sonnenallee 101 u Rathaus Neukölln ; M41, 104, 167 Friedrichshain Jeden 3. Donnerstag im Monat, 20 Uhr E-Mail: neukoelln@bmgev.de Stadtteilbüro, Warschauer Straße 23, - u Frankfurter Tor Ee M10 Prenzlauer Berg Jeden 2. Mittwoch im Monat, 20 Uhr E-Mail: friedrichshain@bmgev.de im Nachbarschaftshaus Helmholtzplatz, Raumerstraße 10 u Eberswalder Straße Ee M10, M2 Kreuzberg Jeden 1. Donnerstag im Monat, 19 Uhr i Prenzlauer Allee i Schönhauser Allee Geschäftsstelle der Berliner MieterGemeinschaft, Möckernstraße 92 u Möckernbrücke, Mehringdamm, Yorckstraße i Yorckstraße ; M19 Wedding Jeden 2. Donnerstag im Monat, 19 Uhr E-Mail: kreuzberg@bmgev.de Tageszentrum Wiese 30, Wiesenstraße 30 u und i Wedding u Nauener Platz i Humboldthain Lichtenberg Jeden 1. Montag im Monat, 18 Uhr E-Mail: wedding@bmgev.de Kiezspinne, Schulze-Boysen-Straße 38 u und i Frankfurter Allee ; 240 Folgende Bezirksgruppen treffen sich unregelmäßig: E-Mail: lichtenberg@bmgev.de Schöneberg, Spandau, Tempelhof Ort und Termin der Treffen bitte erfragen unter 030 – 21002584. Marzahn Jeden letzten Montag im Monat, 19 Uhr Aktuelle Termine unter: www.bmgev.de/verein/bezirksgruppen.html Lebensnähe e.V. Begegnungsstätte, Alt-Marzahn 30 Bei den Bezirksgruppentreffen findet keine Rechtsberatung statt. Rechtsbe- i Marzahn Ee M6, M8, 18 ; X54, 154, 192, 195 ratung erfolgt ausschließlich durch Rechtsberater/innen in den dafür ausge- wiesenen Beratungsstellen (siehe hintere Umschlagseite).
INHALT Liebe Leserinnen und Leser, TITEL vor zwei Jahren fand der Wohngipfel statt, eine Reaktion der Großen Koalition auf die bedrohlichen Mietpreissteigerungen 4 Smart Cities und schlaue Stadtzukünfte Ein Marketing-Label macht noch keine intelligente Stadtpolitik und Verknappungen von Wohnraum. Mehr als belanglose Anke Strüver Maßnahmen wurden nicht erwartet, doch enthielt das be- schlossene Ergebnispapier die Passage: „Der Bund strebt an, unter Einbeziehung von Ländern und Kommunen die Mög- 7 „Zukunftsorte“ – alter Wein in neuen Schläuchen? lichkeiten zu reduzieren, Mietwohnungen in Eigentumswoh- Die wichtigsten Berliner Projekte im Überblick Roman Grabowski und Markus Wollina nungen umzuwandeln.“ Ausnahmen sollten „nur in Einzelfäl- len geltend gemacht werden dürfen“. Erst im Juni dieses Jahres wurde als Resultat des Wohngipfels 10 Smart City als Markt Beratungsfirmen entdecken die Digitalisierung der Städte ein erster Entwurf eines Baulandmobilisierungsgesetzes vor- Anne Vogelpohl gelegt, in dem tatsächlich eine Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen durch die Kommunen vorgesehen war. Allerdings sollte die Anwendung 12 Gasometer als Wahrzeichen des Kapitals Profitinteressen im grünen Mäntelchen in Schöneberg der Vorschrift daran gebunden werden, dass „die ausreichende Elisabeth Voß Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen in einer Ge- meinde oder einem Teil der Gemeinde zu angemessenen Be- dingungen besonders gefährdet ist“. Statt eines notwendigen 14 „Verwertungsspirale im Namen der Smart-City“ allgemeinen Verbots der Umwandlung von Miet- in Eigen- Interview mit Katalin Gennburg Philipp Möller tumswohnungen oder zumindest einer grundsätzlichen Ge- nehmigungspflicht von Umwandlungen sollte also die An- wendung an das Bestehen einer besonderen Gefahrenlage ge- RECHT INTERNATIONAL bunden und zudem auf fünf Jahre befristet werden. Drei Monate später jedoch erschien eine veränderte Fassung 15 Pressefreiheit in Gefahr des Gesetzentwurfs, in der die durch weitere Ausnahmen ein- Interview mit Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck geschränkte und verharmloste Vorschrift über die behördliche Hermann Werle Genehmigungspflicht überhaupt nicht mehr enthalten war. Ei- ne wichtige Funktion bei diesem Rollback kam dem rechtspo- BERLIN litischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jan- Marco Luczak, zu. Abgesehen davon, dass er ein eifriger Ver- 16 Mietendeckel bremst Verkauf von Eigentumswohnungen fechter der Videoüberwachung auf den Berliner Straßen ist, Nur jede dritte angebotene Wohnung findet auch Käufer/innen wurde er durch die politische Leidenschaft, mit der er gegen Andrej Holm den Mietendeckel kämpft, bekannt. Er ist der Koordinator des abstrakten Normenkontrollverfahrens gegen den Mietende- 18 Ein hochprofitables Geschäftsmodell ckel für die CDU/CSU-Fraktion und hält dieses Vorgehen Accentro Real Estate AG als führender Wohnungsprivatisierer „für ein starkes Signal“. Als Bannerträger des Eigentums ist Joachim Maiworm für ihn auch das Baukindergeld – eine absurde Verschwen- dung von Steuergeldern in Höhe von maximal 9,9 Milliarden Euro, mit der nur Besserverdienende bereichert werden – ein 20 Die im Dunkeln sieht man nicht großer Erfolg. Um die Wohneigentumsquote zu steigern, wür- Neue Studie bietet vertiefte Analysen zur Eigentümerstruktur Rainer Balcerowiak de er gern die Grunderwerbssteuer senken oder sogar voll- kommen abschaffen. Er hatte konsequenterweise „hart gerun- gen“, um die Einschränkung der Umwandlung zu verhindern. 22 Den Howoge-Schulbau zurückholen, bevor es zu spät ist Privatisierungsgefahr bei der Berliner Schulbauoffensive Allerdings war sein Erfolg nicht endgültig. Die SPD wider- Carl Waßmuth setzte sich, sodass nun doch ein Genehmigungsvorbehalt für Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten im Gesetz ent- halten ist. Die aufgeführten Fälle, in denen die Umwandlung MIETRECHT AKTUELL genehmigt werden muss, bieten jedoch zahlreiche Schlupflö- cher für findige Eigentümer, wie etwa der geplante Verkauf an 24 Mieter/innen fragen – wir antworten Familienangehörige oder die Veräußerung an mindestens zwei Umlage von Betriebskosten Rechtsanwältin Doris Grunow-Strempel Drittel der Mieter/innen. Wie Umwandlungsverbote von Ei- gentümern erfolgreich umgangen werden, lässt sich seit Jah- ren in den Berliner Milieuschutzgebieten beobachten. 27 RECHT UND RECHTSPRECHUNG 31 SERVICE 32 RECHTSBERATUNG IHR MIETERECHO MieterEcho 413 Dezember 2020 3
TITEL Im Rahmen der Smart City werden Unmengen von Daten erfasst – zum Nutzen oder zur Überwachung der Stadtbewohner/innen? Fotos: Matthias Coers Smart Cities und schlaue Stadtzukünfte Mit einem Marketing-Label lässt sich noch keine intelligente Stadtpolitik machen Von Anke Strüver nagement der Daseinsvorsorge getreten. Dabei blieb und bleibt zumeist ungeklärt, wie sich „smartness“ jenseits der „Will the real smart city please stand up?“ wünschte sich digitalen Vernetzung definiert, denn eigentlich verstecken der britische Stadtforscher Robert Hollands vor genau sich hinter dem Marketing-Label „Smart City“ unterschied- zwölf Jahren in einem Artikel in der Fachzeitschrift City liche Stadtentwicklungsstrategien – und diese resultieren und fragte, ob die echte smarte Stadt eigentlich eine pro- in oftmals konfligierenden Stadtutopien wie -dystopien. gressive, intelligente oder unternehmerische Stadt – und Stadtpolitik – im digitalen Gewand sei. Zwölf Jahre sind an- Dieser Beitrag greift die Frage von Hollands einmal mehr auf gesichts der extrem hohen Dynamik im Bereich der Infor- und diskutiert Smart Cities anhand von 5 Eckpunkten und da- mations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ein sehr ran gekoppelten Fragen vorrangig im Sinne der Optimierung langer Zeitraum, zum Beispiel ist das Smartphone in dieser durch digitale urbane Infrastrukturen einerseits und als Aus- Zeit vom überteuerten Technikspielzeug zum unverzichtba- druck einer neoliberal-wettbewerbsorientierten Stadtpolitik ren Alltagsbegleiter geworden. Im gleichen Zeitraum haben und ihren sozialräumlichen Effekten andererseits. Dement- sich auch immer mehr Städte an unterschiedlichen Flecken sprechend wird differenziert, inwiefern Smart City maßgeblich der Erde zu smarten Städten erklärt und sind untereinan- als unternehmensnahes Selbstvermarktungs-Label dient, etwa der in einen Wettbewerb um „smartness“ und das Verspre- für Städterankings, und welche alltagspraktischen Konsequen- chen einer hohen Lebensqualität sowie ein effizientes Ma- zen Digitalisierung und Vernetzung für urbane Prozesse haben. 4 MieterEcho 413 Dezember 2020
TITEL TITEL 1. Datafied Cities Versorgung aus der Verantwortung der Stadt(-regierung) in die Städte bekommen zunehmend eine digitale Haube. Durch der Firmen. die Ausstattung urbaner Räume mit digitalen Sensoren wer- Um sich im Wettbewerb positionieren und behaupten zu kön- den Mobilitätsformen und Verkehrsflüsse, Abfallaufkommen, nen, nehmen Städte zunehmend die Beratungsdienstleistungen Energieverbrauch, Umweltbelastungen, Gesundheitsparameter von Unternehmensberatungen in Anspruch (siehe S. 10). Es und vieles mehr in Echtzeit erfasst, reguliert und regiert. Dabei verwundert daher nicht, wenn Stadtregierungen Unterneh- werden Unmengen von Daten (Big Data) produziert, aus de- mensführungen immer ähnlicher werden und sich in Rankings nen sich als Nebeneffekt Mobilitäts- und Konsummuster sowie mit- bzw. gegeneinander messen. Der Smart City Index 2020 individuelle Raumnutzungs- und Aktivitätsprofile erstellen las- der deutschen Großstädte des Lobbyverbandes bitkom bei- sen. Durch die Weiterverarbeitung in städtischen wie firmen- spielsweise verstärkt solche Prozesse, indem es Städten neben eigenen und damit privaten Datenzentralen wird versucht, das ihren Stärken insbesondere ihre (vermeintlichen) Schwächen urbane Leben durch digitale Steuerung zu optimieren, bei- im Bereich der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Städ- spielsweise durch die Überwachung von „gefährlichen Orten“, ten vor Augen führt. Das hat zur Folge, dass der Wettbewerb die Vermeidung von Verkehrsstaus und Energiespitzen oder um „smartness“ völlig unabhängig von konkreten urbanen Pro- von Umwelteinflüssen wie erhöhten Lärm-, Müll- oder Fein- blemen ausgetragen wird. staubbelastungen. Die digitale Haube wird daher oftmals auch → Ist eine Stadt echt smart, weil sie ein nationales oder inter- als grüne Haube vermarktet, da digitale Infrastrukturinnovatio- nationales – aber immer entkontextualisiertes – Ranking an- nen zugleich Teil nachhaltiger/ klimafreundlicher/ ressourcen- führt? schonender Stadtvisionen sind. In mancher Hinsicht ersetzt das Smart City-Label einfach ein grünes oder nachhaltiges Label. 3. IKT-Unternehmen und urbane Digitalisierung Mit Big Data wird also Wissen über die Stadt produziert und Ähnlich wie die „Stadtraum-Unternehmen“ stehen auch die ihre Abläufe werden durch gezielte Steuerung optimiert. Die- Unternehmen der IKT-Branche selbst in Konkurrenz zueinan- ses Wissen ist jedoch eher Ergebnis der verwendeten Algo- der um die bekannteste, allumfassendste, teuerste, modernste rithmen als der erhobenen Daten. Algorithmische Datenverar- etc. Implementierung von digitalen Infrastrukturen. Daher ma- beitung wiederum basiert auf Normen und resultiert daher in chen Firmen wie IBM, Cisco, Siemens oder Hitachi den Stadt- einer normierten Wahrnehmung und Steuerung von Stadträu- regierungen dafür konkrete Angebote, die häufig zeitlich weit men – sowie einer Gestaltung dieser Räume durch die Über- vor der Nachfrage entstehen und die urbane Probleme wie Ver- führung der verarbeiteten Daten in Sensorprogrammierungen kehrsaufkommen, Dichte, Segregation und Ressourcenschutz und Softwareanwendungen. Das heißt auch, dass die digitale als technologisch lösbar verstehen. Das heißt, digitale Techno- Vernetzung die räumliche Organisation, das Strukturieren und logien fungieren hier als Verkaufsstrategie – und sind enger an Funktionieren von Gesellschaft sowie gesellschaftliche Raum- den Interessen (und Problemen) der Unternehmen als an denen produktionen als „Datenlandschaften“ verändert: Wie Räume der Städte orientiert. Zudem binden die IKT-Firmen die Stadt- wahrgenommen und genutzt werden, ist daher mittlerweile regierungen über den Verkauf und die Wartung von Sensoren technosozial produziert. und Software sowie die Weiterverarbeitung von Daten jahre- → Ist eine Stadt echt „smart“, weil sie automatisierte und sen- lang an sich. Die Stadtregierungen können dadurch zwar viele sorbasierte Überwachung praktiziert, Big Data produziert und Aufgaben der Daseinsvorsorge an diese Firmen delegieren und akkumuliert sowie algorithmisch gesteuerte Effizienzsteige- sich im Wettbewerb um „smartness“ profilieren – aber sie ver- rungen initiiert? Wie wird überhaupt Effizienzsteigerung de- lieren die Daten-, Steuerungs- und Versorgungshoheit. finiert? Als ökonomisches Wachstum? Als ökologischer Res- → Ist eine Stadt echt smart, wenn sie ihre eigenen Entwick- sourcenschutz? Als Management der Daseinsvorsorge? Als lungsinteressen denen von Unternehmen unterordnet? Profitie- soziokulturelle Lebensqualität? ren davon nicht primär die Unternehmen – und zwar in jeder Hinsicht? 2. Unternehmerische Stadt(-politik) Der Wettbewerb um „smartness“ und die Etablierung des Marketing-Labels Smart City entsprechen der Logik der neo- liberalen und unternehmerischen Stadtpolitik. Städte werden durch den neoliberalen Umbau wie Unternehmen geführt und entwickeln sich zu wirtschafts- und wettbewerbsorientierten und damit untereinander konkurrierenden „Stadtraum-Unter- nehmen“. Die neoliberale Stadtpolitik hat von Anfang an zu wachsenden Versorgungslücken im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge geführt, vor allem in den Wohn-, Bildungs- und Gesundheitsinfrastrukturen. Insbesondere durch Public- Private-Partnerships (PPP) sowie die vollständige Privatisie- rung von vormals öffentlichen Aufgaben vergrößern sich diese Foto: Privat Lücken, da private Unternehmen und Investoren wenig Inter- esse an diesen profitarmen Bereichen haben. Außerdem führt die Umwidmung öffentlicher Mittel zur Beteiligung an PPPs Anke Strüver arbeitet als Stadtgeographin an der Universität Graz und bzw. für die Gewährleistung der Daseinsvorsorge durch Un- beschäftigt sich mit urbanem Alltagsleben – insbesondere mit den Themen ternehmens-IKT zu Finanzlöchern in analogen Bereichen ei- Gesundheit, Bewegung, Ernährung und Digitalisierung – sowie im Kontext nerseits und zur Verlagerung von Verantwortung andererseits. nachhaltiger Stadtentwicklung. Smart Cities verschieben die Gewährleistung der öffentlichen MieterEcho 413 Dezember 2020 5
TITEL Profiteure der Smart City sind die großen IT-Unternehmen, wie beispielsweise Cisco am Kurfürstendamm. 4. Smarte Inseln Infrastrukturen für alle Stadtbewohner/innen ermöglichen, ins- Urbanisierungsprozesse müssen als besondere Form gesell- besondere für diejenigen, die bislang durch Wohnverhältnisse schaftlicher Raumproduktionen verstanden werden, die un- und Mobilitätsinfrastrukturen benachteiligt sind. ter anderem zu sozialräumlichen Ungerechtigkeiten führen. → Ist eine Stadt echt smart, wenn sie durch die Ausrufung und/ Europäische Städte sind geprägt durch verschiedene Formen oder Errichtung smarter Stadtteile Ungleichheiten forciert? sozialräumlicher Segregation oder gar Polarisierung, die mit digitalen Technologien nicht automatisch behoben werden. Es 5. Schlaue Stadtzukünfte besteht die Gefahr, dass die Digitalisierung urbaner Infrastruk- Sowohl der Diskurs über als auch die Implementierung von turen sozialräumliche Ungerechtigkeiten eher intensiviert, progressiven, intelligenten Stadtentwicklungsstrategien kön- denn minimiert. Denn die Digitalisierung (teil-)öffentlicher nen und müssen jenseits der angebots- und unternehmens- urbaner Alltagsräume basiert auf den sich rasant entwickeln- orientierten Digitalisierungsstrategien existieren – und urbane den technologischen Machbarkeiten. Doch die Machbar- Strategien müssen auch jenseits von Digitalisierung definieren, keiten smarter Technologien produzieren auch vermehrt wie schlaue Stadtzukünfte zu rahmen und zu realisieren sind. Ungerechtigkeiten – und viel zu selten sind sie an konkrete Die Datafied City ist bereits Realität – doch Smart Cities blei- stadtgesellschaftliche Probleme wie beispielsweise schlechte ben wirtschaftsgetrieben und verstärken technokapitalistische ÖPNV-Anbindung, Energie- und Bildungsarmut, zunehmende Gesellschafts- und Raumprozesse. Die wirklich smarte Stadt Bevölkerungssegregation durch Wohnraumknappheit oder die mit einer hohen Lebensqualität und Daseinsvorsorge für alle Auswirkungen des Klimawandels gebunden. Insgesamt forcie- lässt also immer noch auf sich warten und bleibt hinter den ren Smart Cities die Marginalisierung bereits benachteiligter Smart City-Visionen (und ihren Visualisierungen) verborgen. Bevölkerung: Die Umsetzung von smarten Strategien erfolgt Es ist weiterhin unklar, wer wie Smart City definiert – und meist in ohnehin besser ausgestatteten und innenstadtnahen auch, wer wie progressive und intelligente Stadtentwicklung Stadtteilen und lässt die dortigen Bewohner/innen stärker kommuniziert und praktiziert. Aktuell werden die wichtigen von den öffentlichen Investitionen profitieren als Prekarisier- Adjektive wie grüne/ nachhaltige/ klimafreundliche Stadt auf te – und dies verschärft neben der räumliche Exklusion auch Digitalisierungsstrategien reduziert und nur selten werden sie die sozioökonomische und -kulturelle Segregation. Zudem auch im Sinne der sozial und ökologisch gerechten Stadtent- wird die Aufwertung ausgewählter Stadtteile aus Mitteln des wicklung diskutiert. städtischen Haushalts subventioniert – Mittel, die dann in an- → Wie wird eine echt smarte Stadt eine schlaue Stadt – eine deren Bereichen der Daseinsvorsoge fehlen. Somit bestehen Stadt, die gut funktioniert, da sie Urbanität als Alltagspraxis Wechselwirkungen zwischen existierenden sozialräumlichen und zwischenmenschliche Lebensqualität versteht – und nicht Ungleichheiten in der Stadt und der unternehmensgetriebenen als etwas genuin ungerecht Verteiltes und digital Gesteuertes? h Digitalisierung urbaner Infrastrukturen, die bereits vorhandene sozialräumliche Marginalisierungen verstärken. Im Sinne ei- Zum Weiterlesen: nes Rechts auf Stadt sollte die digitale Transformation stattdes- http://labos.ulg.ac.be/smart-city/wp-content/uploads/sites/12/2017/03/Lecture- sen eine breitere und demokratischere Teilhabe an städtischen MODULE-3-2008-Will-the-real-smart-city-please-stand-up-Hollands.pdf 6 MieterEcho 413 Dezember 2020
Träger mehrerer Zukunftsorte ist die zu 100% landeseigene Wirtschafts- und Wis- TITEL senschaftsstandort Adlershof Management GmbH (WISTA). Fotos: Matthias Coers „Zukunftsorte“ – alter Wein in neuen Schläuchen? Die wichtigsten Berliner Projekte im Überblick Von Roman Grabowski und Markus Wollina Land finanziell gefördert werden, was sich aktuell besonders beim Streit um den geplanten Umbau des denkmalgeschützten Um die Synergie von Wissenschaft zu fördern und gute Gasometers am EUREF-Campus durch den Investor Reinhard Bedingungen zur Entwicklung innovativer Technologi- Müller zeigt (siehe S. 12). en zu schaffen, hat der Senat elf sogenannte Zukunfts- Die anderen Zukunftsorte weisen allerdings keine solchen aus- orte bestimmt, die besondere Förderung genießen. geprägten Privatisierungstendenzen auf. Sie sollen im Folgen- Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Be- den näher betrachtet werden. triebe definiert diese als „Standorte, an denen vor Ort Der „Big Player“ der Zukunftsorte insbesondere im Ostteil der Netzwerkstrukturen zwischen Wissenschaft und Wirt- Stadt ist die Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Adlers- schaft existieren bzw. geschaffen werden sollen“ , um hof Management GmbH (WISTA), die sich zu 100% in Landes- durch „tatsächlich gelebte[n] Austausch und die Ko- eigentum befindet. Der namensgebende Standort selbst wird operationen von Wirtschafts-, Forschungs- und Tech- als „Deutschlands größter Wissenschafts- und Technologie- nologieeinrichtungen [...] die Innovations- und Wettbe- park und Berlins größter Medienstandort“ beworben und auf- werbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft“ zu fördern. grund einer „gelungene[n] Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft“ vom Senat als Leuchtturmprojekt angesehen. Seit Die bekanntesten Projekte, die Berlin im Rahmen seiner Smart 1991, also noch weit vor Anheftung des „Smart City“-Labels, City- und Digitalisierungsstrategie auf den Weg gebracht hat, wird das Gelände zu einem Wirtschafts- und Wissenschaftszen- sind der EUREF-Campus in Schöneberg und die Siemens- trum entwickelt. Hier ist seit 2017 auch die Geschäftsstelle für stadt 2.0 in Spandau. Beide Projekte sind besonders umstritten, „Aufbau und Durchführung eines intraregionalen Regionalma- da bei ihnen private Investoren in großem Ausmaß die Verfü- nagements für die Zukunftsorte Berlins“ eingerichtet. gung über den öffentlichen Raum erhalten und dabei noch vom Im Rahmen des Regionalmanagements Berlin Südost ist die MieterEcho 413 Dezember 2020 7
TITEL WISTA Management GmbH auch Entwicklungsträgerin des Einrichtungen der Grundlagen- und klinischen Forschung“ mit Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Schöneweide, „klare[m] inhaltliche[n] Fokus auf Biomedizin“ und „enge[m] wo sich rund um die Hochschule für Technik und Wirtschaft räumliche[n] und inhaltliche[n] Zusammenwirken der Einrich- Berlin Unternehmen aus der Hochtechnologie- und Kreativ- tungen“, so die Selbstbeschreibung auf der Website. wirtschaft ansiedeln. Zukünftig sollen hier „neue Fertigungs- Auch der Technologie-Park Berlin Humboldthain kann auf techniken (Digitalisierung, ‚Industrie 4.0‘)“ sowie „urbane eine Tradition zurückblicken, die lang bis vor die Erfindung Produktion und handwerklich geprägte Kreativwirtschaft (z. des „Smart City“-Begriffs zurückgeht. Auf dem ehemaligen B. Mode und Industriedesign)“ stattfinden. Das entsprechende AEG-Gelände in Gesundbrunnen wurde bereits 1983 das Wirtschaftsförderprogramm wird zur Hälfte aus Bundes- und Berliner Innovations- und Gründerzentrum (BIG) gegründet. Landesmitteln und von privaten und öffentlichen Kofinan- Mittlerweile sind hier rund 150 Unternehmen und 22 For- zierern getragen. Die letzteren sind das Pharmaunternehmen schungsinstitute ansässig, die hauptsächlich in verschiedenen Berlin-Chemie Menarini und der Energieversorger Blockheiz- Bereichen der Hochtechnologie forschen, entwickeln und pro- kraftwerks-Träger- und Betreibergesellschaft mbH Berlin, bei- duzieren. Das Land Berlin fördert den Technologie-Park zwar, de selbst in Schöneweide ansässig, sowie die nichtkommerzi- unter anderem durch Mittel für den Aufbau eines Standortma- elle Bürgerplattform „SO! MIT UNS“. nagements, doch federführend ist ein privates Unternehmen. Auch der CleanTech Business Park in Marzahn-Hellersdorf Die Vermietung der Gewerbeflächen für Gründungen liegt bei ist inzwischen in die Trägerschaft der WISTA Management der GSG (Gewerbesiedlungs-Gesellschaft) Berlin, die sich GmbH übergegangen. Bei diesem erst 2015 gestarteten Pro- seit Verkauf der Anteile des Landes vor 13 Jahren komplett in jekt sollen vor allem Unternehmen aus der Branche für um- privatwirtschaftlicher Hand befindet; die Vermarktung erfolgt weltfreundliche Energie Fuß fassen. Dementsprechend hat das durch den Technologie-Park Humboldthain e.V., der sich aus Land die Ansiedlung mit einem wissenschaftlich-technologi- 11 ansässigen Unternehmen zusammensetzt. schem Anforderungsprofil verknüpft. In fünf Jahren hat sich Weniger ein Zukunftsort, als vielmehr eine Konglomeration hier lediglich ein (!) Unternehmen angesiedelt, wie die Berli- diverser Orte stellt das Projekt Berlin SÜDWEST dar. Um ner Morgenpost berichtet. Seit 2020 wird die Standortvermark- die FU Berlin mit ihren bereits bestehenden Unternehmens- tung deshalb auch hier von der WISTA Management GmbH ausgründungen, andere ansässige Forschungsinstitute wie betrieben, die dafür sorgen soll, dass der Clean Tech Park kein beispielsweise die Bundesanstalt für Materialforschung und „Ladenhüter“ bleibt. -prüfung und weitere Industrieansiedlungen im Bezirk Steglitz- Bei dem Campus Berlin-Buch mit seinem BiotechPark han- Zehlendorf besser zu vernetzen, wurde das „Regionalmanage- delt es sich um den einzigen östlichen Zukunftsort, der nicht ment Berlin SÜDWEST“ gegründet, das durch Bezirk, Land in der Hand der WISTA Management GmbH liegt. Doch auch und Bund finanziert wird. Seine wichtigste Aufgabe besteht dies ist ein öffentlich und wissenschaftlich getragenes Projekt in der Entwicklung des Technologie- und Gründungszentrums – und eines, dem nach der Entstehung in den 1990er Jahren „Business and Innovation Center next to Freie Universität Ber- ebenfalls erst in jüngster Zeit das Etikett „Smart City“ bzw. lin Campus“ (FUBIC), wo bis zu 80 Unternehmen aus den Be- „Zukunftsort“ angeklebt wurde. Nachdem das Land Berlin reichen Biowissenschaften und IT angesiedelt werden sollen. 2018 die Mehrheitsbeteiligung an der 1995 gegründeten BBB Auch hier ist die landeseigene WISTA Management GmbH für Management Campus Berlin-Buch GmbH, Betreiber und Ent- die Entwicklung verantwortlich. wickler des Standorts, erworben hat, gehört sie dem Land so- Ein ähnlicher Weg wird in Charlottenburg-Wilmersdorf ver- wie den Forschungseinrichtungen Max-Delbrück-Centrum für folgt, wo die TU Berlin und die Universität der Künste mit Molekulare Medizin und Forschungsverbund Berlin e.V. für Unterstützung von Bezirk und Senat den Campus Char- das Leibniz-Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakolo- lottenburg entwickeln. Ziel ist es, die Kooperation mit den gie. Herausgebildet hat sich so „ein moderner Wissenschafts-, ansässigen außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu Gesundheits- und Biotechnologiepark mit Unternehmen sowie verstärken und ein förderliches Umfeld für Unternehmens- ausgründungen aus den Bereichen Digitale Medien, IT und Hochtechnologie zu bieten. Als Anlaufpunkt zur Unterstüt- zung der ausgegründeten Start-ups wurde das Charlottenbur- ger Innovations-Centrum (CHIC) gegründet – auch hier ist wieder die WISTA Management GmbH verantwortlich. Die Spezifik der Campus-Projekte am Humboldthain, in Steglitz- Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf liegt also weni- ger in der Umsetzung von „Smart City“-Konzepten. Vielmehr geht es hier um die Schaffung eines attraktiven Umfelds für Unternehmensgründungen im Umfeld bereits bestehender For- Foto: Fotostudio Graetz schungs- und Industrieansiedlungen und die Nutzung von ent- sprechenden Kooperationen und Synergieeffekten. Etwas anders sieht es bei Berlin TXL – The Urban Tech Foto: Privat Republic aus. Nach Eröffnung des Flughafens Berlin Bran- denburg soll auf dem 5 Quadratkilometer großen Gelände des Roman Grabowski (links) ist Bezirksverordneter in der Lichtenberger Flughafens Tegel ab Frühjahr 2021 bis 2040 ein „Industrie- und Linksfraktion mit dem Schwerpunkt Arbeit und Beschäftigung. Forschungspark für urbane Technologien“ entstehen, mit bis zu Markus Wollina (rechts) ist in der LINKEN Berlin in den Bereichen 1.000 Unternehmensansiedlungen und dem Campus der Beuth Städtebau- und Wohnungspolitik und politische Bildung aktiv. Hochschule, wie auf der Projektwebsite zu lesen ist. Zusätzlich sind ein Landschaftspark und ein „smartes Wohnquartier“ mit 8 MieterEcho 413 Dezember 2020
TITEL Der Technologie-Park Berlin Humboldthain auf dem ehemaligen AEG-Gelände wurde bereits 1983 unter anderem Namen gegründet. Gefördert vom Land Berlin ist ein privates Unternehmen federführend. 5.000 Wohnungen geplant. Das „Schumacher Quartier“ soll schäftstätigkeit der Privatunternehmen anfallen – Fragen, die nicht nur als Wohnort, sondern auch als Erprobungsfeld für auf der politischen Ebene ganzheitlich und grundsätzlich be- Technologien in den Bereichen Energie und Mobilität dienen, antwortet werden müssen. die in der Urban Tech Republic entwickelt werden. Die Berli- Genau hier, auf der politischen Konzeptions- und Steuerungs- ner Politik und insbesondere die sozialen Bewegungen werden ebene, liegt jedoch die Hauptproblematik. Im Gegensatz zu hier besonders darauf achten müssen, wie die Nutzungsrech- anderen Metropolen, die sich das Smart City-Leitbild auf die te am öffentlichen Raum und den dort erhobenen Daten or- Fahnen geschrieben haben, fällt Berlin durch das offensichtli- ganisiert werden. Der Senat hat die Entwicklung des Gebiets che Unvermögen auf, die erforderliche konzeptionelle und stra- jedenfalls zur Chefsache gemacht und die landeseigene Tegel tegische Arbeit aus eigener Kraft zu erbringen. Die Leistungen Projekt GmbH gegründet, die die Planung, Kommunikation werden von externen Privatunternehmen ausgeführt. So wird und den Vertrieb unter einem Dach vereint. die Beratungsfirma EY die Digitalisierungsstrategie ausarbei- Schon länger für den Flugverkehr geschlossen ist der Flug- ten, die die Smart City-Strategie in einen größeren Rahmen hafen Tempelhof. Das denkmalgeschützte und stark sanie- integrieren soll. Auch die Kommunikation des Strategieent- rungsbedürftige Terminalgebäude wird schrittweise für die wicklungsprozesses soll von der privaten Agentur Johannssen Nutzung durch Start-up-Unternehmen der Digital- und Krea- und Kretschmer umgesetzt werden, wie netzpolitik.org berich- tivwirtschaft geöffnet. Als Lehre aus dem Volksbegehren Tem- tet. Die Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH, pelhofer Feld geht der Senat hier betont partizipativ vor und die mit der Vermarktung Berlins als Stadt beauftragt ist und lässt die Entwicklung durch ein Bürgerbeteiligungsverfahren das Netzwerk Smart City Berlin maßgeblich unterstützt, preist und einen Fachbeirat aus Verwaltung, Industrie, Kultur und sich selbst als „privatwirtschaftliche Gesellschaft und Public Forschung begleiten. Teile des Gebäudes sollen der Öffentlich- Private Partnership“ an: „61,5 Prozent liegen bei Vertretern der keit als „Geschichtsgalerie“ offen zugänglich sein, zudem wird privaten Wirtschaft, unser Aufsichtsrat ist mehrheitlich mit Un- das Alliiertenmuseum hierher umziehen. Auch hier behält das ternehmern besetzt“. Land Berlin die Zügel in der Hand. Entwicklung, Vermietung Im Gegensatz beispielsweise zu Wien gibt es in Berlin keine und Veranstaltungsmanagement liegen bei der landeseigenen Digitalisierungsstrategie und keine zentrale Steuerungsstelle in Tempelhof Projekt GmbH, die im engen Austausch mit der öffentlicher Hand, sondern eine Zerteilung der Zuständigkeit Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen steht. auf verschiedene Staatssekretäre. Auch das Zusammenwirken Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sitzt dabei persönlich im der lokalen und regionalen Ebenen, der öffentlichen, wissen- Aufsichtsrat und im Beirat der Tempelhof Projekt GmbH. schaftlichen, zivilgesellschaftlichen und unternehmerischen Bei vielen dieser Cluster handelt es sich also eher um „alten Initiativen und Akteure, alter und neuer Standorte, gleicht bis- Wein in neuen Schläuchen“. Zwar ist eine offensive Entstaat- her eher einer Flickenschürze als einer Gesamtkomposition. lichung nicht erkennbar, gleichwohl bestehen die üblichen Es bleibt nur zu hoffen, dass im Zuge der Überarbeitung der unvermeidlichen Risiken der Kooperationen von Staat, Wis- überholten Smart City-Strategie des SPD-CDU-Senats von senschaft und Wirtschaft: Spekulation und Wucherpreise bei 2015 und der Aufwertung des landeseigenen Innovationslabors Immobilien auf Kosten von gewerblichen und privaten Mieter/ CityLab die öffentliche Hand die nötige Gestaltungskompe- innen, die Drittmittel- und damit Sponsoring-Abhängigkeit der tenz erlangt, um die bisher disparaten Ansätze systematisch zu Forschung, aber auch die Ökonomisierung des öffentlichen verknüpfen und aus dem bisherigen Stück- ein sinnvolles und Raumes und die Eigentümerschaft an Daten, die bei der Ge- vorwärtsweisendes Gesamtwerk zu machen. h MieterEcho 413 Dezember 2020 9
TITEL Smart City als Markt Beratungsfirmen entdecken die Digitalisierung der Städte als Investitionschance Von Anne Vogelpohl an. Zweitens haben im Zuge von Sparpolitiken die Kapazitäten und Kompetenzen in Behörden abgenommen, größere Projekte Die private Beratungsgesellschaft EY (bis 2013 „Ernst & zu steuern. Deswegen wurde zum Beispiel 2016 die Beratungs- Young) organisiert derzeit den Prozess, an dessen Ende firma McKinsey beauftragt, die Probleme des Landesamts für die ‚Berliner Digitalisierungsstrategie‘ stehen soll. Diese Gesundheit und Soziales (LaGeSo) zu beheben; Pricewater- Inanspruchnahme von externer Beratung und Planung ist houseCoopers (PwC) hat 2017 an der Ausarbeitung einer bun- nur eine von zahlreichen zugekauften Beratungsdienstleis- desweiten Smart City Charta mitgewirkt – und nun plant EY, tungen, die vom Berliner Senat, von den Berliner Senats- wie die Digitalisierung in verschiedenen Kontexten in Berlin verwaltungen und den nachgelagerten Behörden in An- realisiert werden könnte. 2019 sagte mir ein Berliner Berater in spruch genommen werden. EY, laut Selbstdarstellung im einem anderen Kontext und von einer anderen Beratungsfirma: Internet „Prüfer, Berater, Gestalter“ , hat den Auftrag nach „Grundsätzliches Problem ist im öffentlichen Sektor: zu wenig einer öffentlichen Ausschreibung erhalten und nimmt da- Mitarbeiter für zu viele Aufgaben, die zu neu, zu komplex und für knapp 300.000 Euro ein. Das wirft nicht nur unmittelbar zu schwierig [sind].“ Fragen nach den Kosten, sondern auch weitergehende Fra- Gerade die großen, internationalen Beratungsfirmen wie die Big gen auf: Wieso haben nicht die städtischen Behörden, son- Four (PwC, KPMG, EY und Deloitte), Accenture, McKinsey dern eine Beratungsfirma die Expertise für einen so wich- & Co oder Roland Berger Strategy Consultants verstehen sich tigen Strategieprozess? Und welchen Einfluss hat dies auf darauf, sich als fähig im Umgang mit Komplexität und schnel- den Inhalt der Strategie? Oder allgemeiner gefragt: Wie len Veränderungen darzustellen. Deswegen wird ihnen immer beeinflussen private Beratungen die Zukunft der Stadt? häufiger die allgemeine Strategieentwicklung überlassen, auch ohne konkrete fachliche Expertise für Stadtentwicklung, die Private Politikberatung im Aufwind eher Forscher/innen, Bundesinstitute oder Stadtplanungsagen- Private Beratungsfirmen in Politikprozesse einzubinden hat turen hätten. Das zeigt sich auch bei der Berliner Digitalisie- seit etwa dem Jahr 2000 aus zwei Gründen zugenommen: rungsstrategie. EY hat hier nicht die Aufgabe, die Inhalte zu Erstens scheint sich das Tempo von gesellschaftlichen Ver- setzen oder konkrete Maßnahmen zu entwickeln, sondern den änderungen und Krisen beschleunigt zu haben, was zügigere übergeordneten Prozess der Strategiefindung zu organisieren. politische Antworten erfordert. Diese bieten die Firmen als Aber ist dies wirklich frei von inhaltlicher Beeinflussung? ‚Expert/innen für Lösungen‘, als die sie sich selbst verstehen, Zwischen Wirtschaft und Gesellschaft Wirtschaft und Gesellschaft, eigentlich untrennbar, scheinen in der Digitalisierungsstrategie zu zwei Polen zu werden: Zunächst in Hinblick auf die Frage, wessen Ideen eigentlich am Ende die Strategie prägen sollen – die des Unternehmens oder die der Stadtgesellschaft Berlins? Zwar wird die Rolle von Partizipation der Zivilgesellschaft neben der weiten Be- teilung aller Senatsverwaltungen bereits in der Ausschreibung zentral gesetzt: „Der Auftragsgegenstand sind demnach die strategische, kommunikative und partizipative Beratung sowie die Projektbegleitung bei der Entwicklung der Berliner Digi- talisierungsstrategie“. Allerdings, so steht es ebenfalls in der Ausschreibung, sollen ein zentrales Narrativ sowie Leitlinien und Hypothesen der Strategie schon in der ersten Phase und Foto: Privat damit vor einer intensiven Partizipationsphase entwickelt wer- den. Damit ist der Korridor für inhaltliche und strategische Entscheidungen bereits verengt. Dr. Anne Vogelpohl ist Geographin und vertritt eine Professur für Sozial- Außerdem deutet sich eine Polarisierung von Wirtschaft und wissenschaften in der Sozialen Arbeit an der HAW Hamburg. Sie beschäftigt sich mit dem politischen Einfluss von privaten Expertisen, mit Gesellschaft in den Inhalten der Strategie an. Die erste Phase feministischen Perspektiven auf Arbeit und Auseinandersetzungen um des Strategieprozesses ist bereits abgeschlossen und das soge- soziale Wohnungspolitiken. nannte „Grünbuch“ zeigt den Status Quo sowie Entwicklungs- bedarfe auf. Die zentralen Themen sind vorgezeichnet und 10 MieterEcho 413 Dezember 2020
TITEL Beratungsfirmen wie EY haben die Debatte um Smart Cities selbst zu einem Markt gemacht, auf dem sie nun ihre Dienstleistungen anbieten. Foto: Matthias Coers das zentrale Ziel benannt: „Dabei ist die Digitalisierung kein rung in diesem Feld ebenfalls sehr begrenzt ist? Sie sind es Selbstzweck, sondern hat die Aufgabe, Gesellschaft und Wirt- tatsächlich kaum. Sie haben nur Mittel und Wege, sich schnell schaft zu dienen“, so ist es im Grünbuch zu lesen. Die starke Wissen zu verschaffen. Sie kooperieren mit IT-Firmen, kaufen Betonung von Wirtschaft fällt ins Auge. Das mag neben der sich Wissen von Forschungsinstituten ein und knüpfen globale steuernden Rolle von EY auch daran liegen, dass die Gesamt- firmeninterne Netzwerke. Sie haben so in den letzten Jahren koordination der Strategie bei der Senatsverwaltung für Wirt- einen Pool an Kontakten und theoretischem Wissen aufgebaut, schaft liegt. den sie nun nutzen, um sich als die Expert/innen für digitale Dass der Fokus auf Wirtschaft nicht nur Rhetorik ist, zeigen Städte darstellen zu können. Sie haben die Debatte um Smart die „Zahlen, Daten und Fakten“, entlang derer die Digitalisie- Cities selbst zu einem Markt gemacht, auf dem sie nun ihre rung Berlins vermessen wird. Die Informationen stammen aus Dienstleistungen anbieten. fünf Bereichen: Infrastruktur, Umgang mit Daten, Forschung, Ein Einwand könnte nun sein: es geht bei der Aufgabe von EY Start-ups und Digitalwirtschaft sowie dem „Digitaldiskurs“. In in Berlin ja nicht um den Inhalt der Digitalisierungsstrategie, letzterem sei Berlin Hauptstadt. Allerdings werden hier keine sondern lediglich um die Organisation des Prozesses. Gerade Themen oder Kontroversen des Diskurses aufgegriffen, son- weil Partizipation der städtischen Behörden und schließlich dern vielmehr aufgelistet, welche publikumswirksamen Kon- auch der Bevölkerung dabei von großer Bedeutung sein soll, gresse in Berlin ausgerichtet wurden. Inhaltliche Forderungen ist jedoch auch hier fraglich, ob eine hauptsächlich als Wirt- und Ideen, wie sie etwa vom „Bündnis digitale Stadt Berlin“ schaftsprüfungsunternehmen und Unternehmensberatung tä- formuliert werden, werden im Grünbuch nicht thematisiert. tige Firma dafür am besten geeignet ist. In einer Studie über Dieses fordert „eine inklusive Digitalisierungspolitik, die den Einfluss solcher Firmen auf Stadt- und Regionalpolitiken Mensch, Natur und Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellt“, habe ich gezeigt, dass städtische Behörden oftmals von den und entwickelt Ideen dazu. Qualitäten dieser Expert/innen in einem komplexen Akteurs- Die erste Phase der Strategiefindung ist noch sehr stark von umfeld enttäuscht waren – zumindest wenn „Kommunikation“ den Impulsen der Berater/innen geprägt und stellt Digitalisie- mehr als Werbung und „Partizipation“ mehr als „Wünsch-dir- rung als Motor für ein ökonomisches Wachstum ins Zentrum; was“ sein soll. Für die Organisation von Partizipation, zumal wie die vorgesehene ausgeweitete Partizipation der folgenden unter Berücksichtigung von ungleichen Beteiligungsmög- Phase den Blickwinkel auf Soziales und Ökologie erweitern lichkeiten in einer heterogenen Stadtgesellschaft, sind die- kann, bleibt abzuwarten. se global agierenden Prüfungs- und Beratungsunternehmen kaum geeignet. Schnelligkeit hingegen ist ihr großes Plus. Digitale Städte im Fokus von EY & Co Schnelligkeit und demokratische beziehungsweise partizipa- Berlin ist kein Einzelfall, was den Einkauf von Beratung zu tive Entscheidungsfindung lassen sich jedoch oftmals nicht Digitalisierung von Stadt und Region betrifft. Auf der ganzen gut vereinen. Dem Berliner Senat war in diesem Fall offenbar Welt – von Australien über Asien (insbesondere Indien) und eine schnelle Politik wichtiger. h Afrika bis Amerika – entwickeln Teams der großen Beratungs- Weitere Informationen: firmen Konzepte für Smart Cities. Warum scheinen diese Fir- www.berlin.de/sen/wirtschaft/digitalisierung/digitalstrategie/ men in der Lage dazu, wenn zugleich deren praktische Erfah- https://digitalesberlin.info/eine-digitalisierungsstrategie-fuer-berlin/ MieterEcho 413 Dezember 2020 11
TITEL Gasometer als Wahrzeichen des Kapitals Auch in Schöneberg kommen Profitinteressen im grünen Mäntelchen daher Von Elisabeth Voß mann (CDU)“ eingeladen. Der frühere Berliner Bausenator Pe- ter Strieder sitzt heute im Aufsichtsrat der EUREF AG. Der Schöneberger Gasometer, ein Wahrzeichen des Bezirks Der Tagesspiegel mutmaßte im Sommer, auch Tesla könne mit auf der „Roten Insel“ an der Torgauer Straße, wurde 1995 seiner Europa-Filiale in den Gasometer ziehen. Der US-ameri- stillgelegt. Das luftige Gerüst ist von weit her zu sehen – kanische Konzern des Paypal-Gründers Elon Musk hat im Juni doch mit dem Anblick wird es bald vorbei sein. Die GASAG im brandenburgischen Grünheide – gegen vielfältige Proteste verkaufte den Gasometer 2007 an den privaten Vorhaben- – mit dem Bau einer Fabrik begonnen, in der pro Jahr eine träger Reinhard Müller. Dieser ließ rings um das denkmal- halbe Million Elektroautos produziert werden sollen. Für diese geschützte Metallgerippe Gewerbegebäude errichten und wurden bereits 90 Hektar Wald abgeholzt, weitere 100 Hektar betreibt dort den 5,5 Hektar großen EUREF-Campus, ein sollen folgen. Der Wasserverband fürchtet Engpässe aufgrund selbsternanntes „Reallabor der Energiewende“ . In den an- des enormen Wasserverbrauchs der Fabrik. sässigen Unternehmen arbeiten etwa 3.500 Menschen. Nun Am 24. September stellte der Tagesspiegel klar, Tesla wolle möchte Müller auch im Inneren des Gasometer Büroräume zwar nach Berlin kommen, aber nicht ins EUREF. Immerhin für weitere 2.000 Arbeitsplätze bauen. Der Campus gehört zwei Tesla-Manager eröffneten am 10. September gemeinsam zu den elf vom Land Berlin geförderten „Zukunftsorten“ . mit Reinhard Müller und Bundeswirtschaftsminister Peter Alt- maier (CDU) auf dem EUREF-Gelände ein Schnellladegerät In seinem 2011 erschienenen Buch „Korrupt? Wie unsere Po- für Elektroautos – allerdings nur für Teslas, nicht für andere litiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“ hat Marken, wie die Berliner Morgenpost mitteilte. Begleitet wur- der Journalist Mathew Rose dem EUREF und Reinhard Müller de Altmaier von der Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona ein 32-seitiges Kapitel unter der Überschrift „Das erste Pri- Pop (Grüne), die in einem begeisterten Tweet Tesla als „Pio- vatenergie-Universitäts-Partyzelt der deutschen Hauptstadt“ nier der Energiewende“ lobte. gewidmet. EUREF steht für „Europäisches Energie Forum“ und Rose beschreibt, wie es dem „Baulöwen“ und SPD-Mit- Große Sprüche oder politische Verantwortung? glied Müller gelang, mit daherfabulierten Geschichten einer Seine Neubauten lässt Müller mit dem US-amerikanischen vermeintlich geplanten Energie-Universität nicht nur SPD- LEED-Ökosiegel auszeichnen (MieterEcho 381/Juni 2016). Politiker wie beispielsweise Frank-Walter Steinmeier und Sig- Der Bauzaun an der Torgauer Straße ist großflächig mit Pa- mar Gabriel als Unterstützer zu gewinnen, sondern auch den rolen der neuen Stadtmarketing-Kampagne #wirsindeinberlin ehemaligen CDU-Umweltminister Klaus Töpfer und den Ex- gepflastert. Für die Senatsverwaltung für Wirtschaft ist das Außenminister Joschka Fischer (Grüne). Mit ins Boot holte EUREF ein „Referenzort für die Smart City-Strategie des er zeitweilig Immobilienentwickler wie Klaus Groth (Berlin) Landes“ (MieterEcho 398/Oktober 2018). Dort würde „tag- oder Andrej Ogirenko (Moskau) sowie die ZEIT-Stiftung. Die täglich der Beweis erbracht, dass die Energiewende machbar Universitäts-Pläne zerschlugen sich, stattdessen entwickelte und finanzierbar ist“. Der Campus erfülle „bereits seit 2014 die Müller ein Innovationszentrum auf dem Gelände. Es war ihm CO2-Klimaziele der Bundesregierung für das Jahr 2050“. Aber gelungen, einen Großteil der früheren Brache für eine Milli- wie kann das EUREF-Gelände ein Beispiel für zukünftig kli- on Euro, etwa 25 Euro pro Quadratmeter zu erwerben. Unter magerechtes städtisches Leben sein? Es ist kein Wohnort, kei- dem damaligen Baustadtrat Bernd Krömer (CDU) wurde die ne Nachbarschaft, sondern ein Technologiezentrum mit über- vorläufige Planreife für die ersten Gebäude festgestellt, womit wiegender Büronutzung. Spricht nicht der ausgeprägte Fokus der Grundstückswert sich vervielfachte. Die Ausweisung als auf Digitaltechnologien eher für unüberschaubare Folgekosten Kerngebiet im Bebauungsplan wird die geschaffenen Fakten hinsichtlich Ressourcen- und Energieverbrauch? besiegeln. Aus der Nachbarschaft gibt es Proteste, und angesichts der dro- Von einem „exklusiven EUREF-Golfcup in Wannsee“ mit anschließendem Barbecue von Spitzenköchen berichtete die Berliner Morgenpost am 1. September 2020. Reinhard Mül- Elisabeth Voß arbeitet als parteilose Bürgerdeputierte / sachkundige ler hatte „unter anderem Altkanzler Gerhard Schröder, den Bürgerin im Stadtentwicklungsausschuss Tempelhof-Schöneberg mit der ehemaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit und Partei Die Linke zusammen. die beiden Ex-Senatoren Peter Strieder (SPD) und Jürgen Kle- 12 MieterEcho 413 Dezember 2020
TITEL Noch ist der Gasometer offen, nur unten steht die Veranstaltungshalle, in der Günter Jauch vier Jahre lang seine Talkshow im Ersten moderierte. Foto: Elisabeth Voß henden Baumaßnahmen hat sich eine Initiative von Anwohner/ denkmalpflegerischen Verpflichtungen erfüllt“. Ihm müsse klar innen zusammen gefunden. Schon nach der Privatisierung des gemacht werden, dass der Denkmalschutz „ein höherwertiges Gasometers hatte sich eine Bürgerinitiative gegründet, die das Rechtsgut darstellt, als das Investoreninteresse an einer mög- Vorhaben kritisierte (MieterEcho 330/Oktober 2008). Die neue lichst renditestarken wirtschaftlichen Verwertung des ehemali- BI „Gasometer retten“ hat einen Offenen Brief mit etwa 60 gen GASAG-Geländes.“ Den Brief an das Landesdenkmalamt Unterschriften an Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler hat auch Stadträtin Christiane Heiß (Grüne) unterzeichnet, die (SPD) und Baustadtrat Jörn Oltmann (Grüne), an die Denk- schon die erste Bürgerinitiative mitgegründet hatte. malbehörden auf Landes- und Bezirksebene geschrieben. Sie Ein langjähriger Konfliktpunkt zwischen Bezirk und Müller bitten dringend darum, keinen Änderungen an dem bisher vor- war dessen vertragliche Zusicherung, eine Straße zur Erschlie- liegenden Bebauungsplanentwurf zuzustimmen. Dieser sieht ßung des Geländes zu bauen. Bisher gibt es nur eine Zufahrt vor, dass der Gasometer so ausgebaut werden darf, dass die über die Torgauer Straße. Baustadtrat Jörn Oltmann vertrat obersten drei Ringe, und damit die beiden oberen Felder frei bislang den Standpunkt, keine weiteren Gebäude auf dem Ge- bleiben. lände zu genehmigen, solange der Vorhabenträger seiner Ver- pflichtung nicht nachkommt. Doch dann schwenkte er um. Im Gegen die wirtschaftliche Verwertung eines Denkmals Juni wurden dem Stadtentwicklungsausschuss die Ergebnisse Anlass des Briefes ist ein Beschluss des Bezirksamts vom 8. einer verkehrstechnischen Untersuchung präsentiert, wonach September 2020, eine Innenbebauung bis zum vorletzten Ring selbst bei weiteren 2.000 Arbeitsplätzen die Zufahrt über die zuzulassen, auf die eine flache Kuppel als Staffelgeschoss auf- Torgauer Straße ausreichend sei. Reinhard Müller stellte seine gesetzt werden soll, die bis ins oberste Feld hineinragt. Die Ausbaupläne für den Gasometer vor. Anstelle des millionen- Anwohner/innen kritisieren, dass dadurch die herausragende schweren Straßenbaus soll er nun lediglich den Umbau der stadtbildprägende Wirkung des Gasometers massiv beein- Torgauer Straße zur Fahrradstraße, wenn möglich verbunden trächtigt würde. Das Landesdenkmalamt hatte 2010 schon der mit einer Brücke vom S-Bahnhof, sowie Verbesserungen am niedrigeren Bebauung nur „unter Zurückstellung erheblicher Cheruskerpark finanzieren. denkmalpflegerischer Bedenken zugestimmt“. Der Landes- In den letzten Jahren konnte der Eindruck entstehen, der Be- denkmalrat, ein vom Senat berufenes Beratungsgremium, hat zirk würde die Verantwortung für die Genehmigung von Maß- die neuen Überlegungen zur Bebauung im März 2020 „mit Be- nahmen auf dem EUREF-Campus der Senatsverwaltung über- fremden zur Kenntnis“ genommen und befürchtet, „dass das fi- lassen. Zuständig ist jedoch nach wie vor der Bezirk und der ligrane Gerüst des Gasometers bei der projektierten Bebauung nächste Schritt im Bebauungsplanverfahren ist die Beteiligung nicht mehr angemessen wahrzunehmen sein wird“. der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange. Es bleibt Manche Anwohner/innen fürchten gar um den Bestand des Ga- abzuwarten, ob die Einwendungen – wie leider oft geschehen – sometergerüsts insgesamt, das seit Jahren an mehreren Stellen auch hier wieder im Investoreninteresse ab- und weggewogen rostet. Sie fordern die Angeschriebenen auf, „sicherzustellen, werden, oder ob im beginnenden Wahlkampf den Anliegen dass Herr Müller vor einem Ausbau des Gasometers erst alle aus der Bevölkerung mehr Gewicht beigemessen wird. h MieterEcho 413 Dezember 2020 13
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