Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...

 
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Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
MAGAZIN DER DEUTSCHEN SEEMANNSMISSION 2020

  Mit Meerblick. Monatelang
  Die Kreuzfahrtschiffe sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten
  ohne Arbeit zu Hause – manche an Bord. Die Seemannsmission ist für sie da
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
STATIONEN    SEEMANNSMISSION WELTWEIT

    Ankerplätze
                In Deutschland ist die Deutsche Seemannsmission mit 16 Stationen
                für Seeleute aus aller Welt da. Zudem engagieren wir uns in 17 Häfen
                in Europa, Amerika, Afrika und Asien für die Würde der Seeleute.
                Unser Motto: „support of seafarers’ dignity“

                WELTWEIT

                                                                                    Amsterdam,
                                                                                    Niederlande
                                                                                    Rotterdam,
                                                                                    Niederlande
                                                                                    Antwerpen,
                                                            Großbritannien:
                                                                                    Belgien
                                                            Middlesbrough
                                                            London
                                New York, USA

                                                                                                         Deutschland
                                                             Le Havre, Frankreich

                                                                                        Genua,
                                                                                        Italien
                                                                                                               Piräus, Griechenland

                                                                                          Alexandria,
                                                                                          Ägypten

                                                                          Lomé,
                                                                           Togo
                                                                                          Douala,
                                                                                          Kamerun
                                                Santos,
                                                Brasilien

                      Valparaíso, Chile

                                                                                                        Durban,
                                                                                                        Südafrika

2                                                                                                        LASS FALLEN ANKER
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
SEEMANNSMISSION WELTWEIT                            STATIONEN

                                     IN DEUTSCHLAND

                                                                                        Sassnitz
                              Cuxhaven             Kiel

                                         Brunsbüttel                        Rostock
                                                             Lübeck
                    Wilhelmshaven                         Stade-Bützfleth
                                                                             Hamburg-Altona
                    Emden            Bremerhaven            Hamburg (Krayenkamp)
                                  Brake
                                                            Hamburg-Harburg („Duckdalben“)
                                      Bremen

                       Duisburg

   Hongkong,
   China

       Singapur

                                               Die Adressen finden Sie auf
                                               den Seiten 38–39

LASS FALLEN ANKER                                                                                  3
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
EDITORIAL

                                   Liebe Leserin, lieber Leser,

                                   „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war . . .?“ Dieser Buchtitel
                                   von Joachim Meyerhoff ging mir in den letzten Wochen oft durch
                                   den Kopf. Ob nun in den Stationen und Seemannsclubs,
                                   auf Kreuzfahrtschiffen oder in der Handelsschifffahrt – die Corona-
                                   Pandemie hat auch für die Arbeit der Seemannsmissionen weltweit
                                   dazu geführt, dass nichts mehr so ist, wie es noch vor wenigen
    Christoph Ernst ist General­
    sekretär der Deutschen         Monaten alltäglich war.
    Seemannsmission mit            Allerdings stellt sich immer mehr die Frage, ob die jetzige Unter-
    Sitz in Hamburg.
                                   brechung nicht auch eine heilsame Chance dafür sein kann, unsere
                                   bisherige Normalität kritisch zu befragen. Zum Beispiel: Sollten
                                   wir das Thema Kreuzfahrt noch einmal neu denken? Wie verhält es
                                   sich mit der Abhängigkeit von globalen Lieferketten? Wie viele
                                   klimabelastende Dienstreisen sind tatsächlich notwendig, wenn
                                   man sich erst einmal an Videokonferenzen gewöhnt hat?
                                   Das Redaktionsteam dieses Hefts hat intensiv über diese Fragen
                                   diskutiert. Bei einer Publikation, die einmal jährlich erscheint, geht es
                                   nicht nur um Tagesaktualität. Und wo wir in einigen Monaten oder
                                   in einem Jahr mit unserer seemannsmissionarischen Arbeit stehen
                                   werden, vermag heute, im Juni, kaum jemand zu beschreiben.
                                   Das Konstante auch an diesem Heft ist sein Aufbau, mit dem wir an
                                   das inzwischen bewährte Format der beiden letzten Ausgaben
                                   anknüpfen: Das Schwerpunktthema, eine Reihe von Berichten aus
                                   Stationen vor Ort, fachliche Kompetenz, theologische Vertiefung,
                                   internationale Perspektiven, Interviews und Gesichter prägen auch
                                   diese Ausgabe.
                                   Hoffen wir, dass die Corona-Pandemie dazu führt, dass wir für
                                   manches in unserer Welt eine Menge lernen können, gerade auch
                                                                                                                Titelbild: Martina Platte / Foto: privat

                                   zum Wohl der Seeleute. Und vielleicht wird es dann tatsächlich so,
                                   wie es noch nie war . . .?

                                   Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!

                                   Christoph Ernst

4                                                                                           LASS FALLEN ANKER
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
INHALT

                                   TITELTHEMA
                                   KREUZFAHRT
                                    6   Bericht: Stephanie Noack möchte
                                        endlich wieder arbeiten
                                    8   Interview: Tino Hensel über die
                                        Branche – und die Hoffnung auf den
                                        Neustart
                                    10 Seelsorge: Unterstützung für die
                                       Besatzung in Corona­Zeiten
                                    12 Gesundheit: Nicht nur Passagiere
                                       werden krank
                                    14 Umwelt: Wir brauchen den emissi­
                                       onsfreien Antrieb, sagt der NABU

                                    16 Geistliches Wort: Eine Bibel­
                                       auslegung von Martin Junge
                                    17 Meldungen
                                    18 Interview: Kapitän Björn Kropp über
                                       die Zukunft der Seefahrt
                                    20 Partnerorganisation Missão aos
                                       Marinheiros und die evangelisch­
                                       lutherische Kirche in Brasilien
                                    22 Geschäftsstelle jetzt in Hamburg
                                    23 Personalnachrichten
                                    24 Freiwillige Engagement in Rotter­
                                       dam, Amsterdam und Antwerpen           8 > 14 > 36 > 24
                                    26 Lieferkettengesetz Fair Trade gilt
                                       auch für Seeleute!
                                    28 Krisenintervention 1 Nicht nur Scho­
                                       kolade für die „Mein Schiff 3“­Crew
                                    29 Krisenintervention 2 Das Havarie­
                                       kommando und die DSM arbeiten
                                       zusammen
                                    30 Station New York Die Stadt ist leer,
                                       die Crews sind verunsichert
                                    32 Station Durban Ron Küsel besucht
                                       die Häfen in Südafrika
                                    33 Station Emden Hoffentlich bald                            8 Kreuzfahrten: Wann können wir endlich
Fotos: Martina Platte, privat

                                       wieder ein Treffpunkt für viele                           wieder arbeiten?
                                    34 Station Sassnitz Ab in den Wald!                          14 Umwelt: Die Schifffahrt braucht
                                    35 Meldungen, Impressum                                      emissionsfreien Antrieb
                                    36 Crews Eine Kapitänin steuert ihr                          36 Crews: Mit Handschuhen und Maske
                                       Schiff durch die Corona­Krise                             durch die Corona­Krise
                                                                                                 24 Freiwillige: Junge Leute erzählen von
                                    38 Kontakte und
                                                                                                 ihren Erfahrungen in den Häfen
                                       Ansprechpersonen

                                LASS FALLEN ANKER                                                                                      5
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
KREUZFAHRT

                                       Traumjob auf
                                       Traumreisen
                                       Stephanie Noack ist Entertainment-Managerin an Bord der Hapag-Lloyd-Cruises-Flotte.
                                       Normalerweise. Jetzt lebt sie schon seit Monaten an Land. Die Kreuzfahrtbranche
                                       macht Zwangspause. Und die Mitarbeiter hoffen, dass sie sich bald wieder um ihre
                                       Gäste kümmern können. Gern mit neuen Konzepten, gesünder, umweltfreundlicher

                                       M
                                                    orgens in Singapur aufwachen          auf der Brücke und im Maschinenraum, vom
                                                    und zwei Tage später in Borneo,       Tellerwäscher bis zum Kapitän.
                                                    mit Stachelrochen vor Bora Bora            Ein Kreuzfahrtschiff ist ein fahrendes Ho-
                                       schnorcheln, in Neukaledonien am Strand            tel, das zum großen Teil auf Selbstversorgung
                                       liegen und in Sydney über die Harbour              ausgerichtet ist. Hier bringt kein Postbote
                                       Bridge spazieren. Das ist das Besondere an         morgens die Zeitungen. Stattdessen werden
                                       einem Job auf einem Kreuzfahrtschiff, den-         sie jeden Morgen an Bord ausgedruckt und
                                       ken viele. Ist es auch – aber nicht immer          die großen Ausgaben sogar einzeln gebunden.
                                       und ständig.                                       Ein Bordredakteur schreibt das Programm für
                                           In letzter Zeit war ich oft genervt an Bord.   den Tag und für den jeweiligen Hafen, und
                                       Viele Menschen auf engem Raum, wenig Frei-         auch die Menükarten für die Restaurants wer-
Foto: Martina Platte (2), privat (3)

                                       zeit und lange Arbeitstage. Arbeiten auf ei-       den täglich auf Rechtschreibung überprüft
                                       nem Kreuzfahrtschiff, das hört sich nach „gro-     und korrigiert. Der Florist bindet eigenhän-
                                       ßer Freiheit“ an, nach „Arbeiten, wo andere        dig die Blumensträuße und Gestecke für das
                                       Urlaub machen“. Aber es ist eben auch genau        Schiff, und Brot, Brötchen und Kuchen werden
                                       das: Arbeiten, während andere Urlaub ma-           in der Nacht vom Bordbäcker gebacken. Ein
                                       chen. An Bord läuft alles wie ein Uhrwerk, je-     Großteil der Abläufe ist eingespielte Routine,
                                       der hat seine Aufgaben, damit alles reibungs-      trotzdem sind immer wieder Kreativität und
                                       los funktioniert, in den Restaurants, in der       Improvisationstalent gefragt. Zum Beispiel
                                       Küche, beim Housekeeping, bei der Touristik,       wenn an Heiligabend das Personal mit einem

                               6                                                                                                            LASS FALLEN ANKER
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
KREUZFAHRT

Föhn und einem Eimer versucht, aus klein          weise Bullaugen gibt es nur für Offiziere. Das
geschnittenen Servietten einen möglichst          Badezimmer ist so klein, dass man duschen
fluffigen Kunstschnee zu produzieren. Oder        könnte, während man auf der Toilette sitzt.
wenn schon ab dem frühen Morgen für das           Auf einem Schiff ist kein Platz für viel Bewe-
Strand-Barbecue zwischen dem Schiff und           gungsfreiheit oder Privatsphäre.
dem Strand mit Schlauchbooten hin und her             Und doch gibt es kaum einen besseren
gefahren wird, um Tische, Tischdecken, Servi-     Job auf der Welt, denke ich jetzt, da ich dank
etten, Grills, Essen und Getränke an Land zu      Social Distancing und Corona-Beschränkun-
bringen und dort ein komplettes Open-Air-         gen zumindest von Zweitem viel zu viel habe.
Restaurant aufzubauen. Wir kreieren jeden         Seit Monaten sitze ich allein in meiner Woh-
Tag neue, einzigartige Momente für unsere         nung, und was gäbe ich darum, jetzt in der
Gäste. Und darauf sind wir auch ein bisschen      Crew-Bar zu sein, mit den philippinischen Kol-
stolz. Aber manchmal machen wir dann doch         legen eine Karaoke-Party zu feiern oder an
lieber einen kurzen Mittagsschlaf in der Kabi-    Deck mit Gästen eine Pool-Party.
ne, statt uns noch einmal Dubai anzusehen.            Denn, und das wird mir mehr und mehr
    Die Kabinen sind klein, es passt ein Eta-     klar: Das Reisen mag sicherlich ein wichtiger
genbett hinein, einer liegt oben, einer unten,    Anreiz sein, um auf einem Kreuzfahrtschiff
denn die meisten Kabinen werden geteilt. Ein      zu arbeiten. Aber was einen dort hält, oft für
kleiner Tisch, ein Schrank. Fenster beziehungs-   viele Jahre, sind die Freundschaften, die hier
                                                  entstehen, die Kollegen und diese ganz be-
                                                  sondere Gemeinschaft an Bord, in der „alle
                                                  in einem Boot“ sitzen. Wir arbeiten und wir
                                                  feiern zusammen, wir gehen durch Krisen
                                                  und meistern Notfälle, wir erleben zusam-
                                                  men die unwahrscheinlichsten Geschichten
                                                  an den entferntesten Plätzen der Welt. Das
                                                  schweißt zusammen, wie kaum ein anderer
                                                  Job es kann. Wir haben sogar unsere eigene
                              Stephanie
                                                  Sprache, in der „Dschingelings“ immer die
                              Noack liebt
                              ihren Job, auch
                                                  Währung sind, mit der wir gerade bezahlen,
                              den Freizeit-       im Sinne von: „Hast du genug Dschingelings
                              aspekt daran.       für das Taxi?“, und in der der Toaster, den man
                              Aber jetzt          zur Reparatur in den Maschinenraum bringt,
                              würde sie gern      nicht kaputt, sondern „kaputzki“ ist.
                              mal wieder              Und wie schön ist es, um die Welt zu rei-
                              arbeiten . . .      sen und seine Freunde immer dabei zu ha-
                                                  ben! Fremde Orte zu entdecken oder an im-
                                                  mer neuen Flecken der Erde am Strand zu
                                                  liegen, und wenn es nur für zwei Stunden ist.
                                                  Niemand hat so großartige und erlebnisrei-
           Sicher, das Reisen                     che Mittagspausen wie die Crew eines Kreuz-
                                                  fahrtschiffes – so viel erlebnisreicher als hier
           ist ein Anreiz.                        zu Hause auf der Couch vor dem Fernseher.
           Aber was einen                         Wer weiß, wie lange es dauert, bis wir endlich
                                                  wieder alle an Bord gehen können, Crew und
           dort hält, ist                         Gäste, und gemeinsam reisen können. Denn
           die Gemeinschaft                       trotz aller Anstrengung und harter Arbeit ist
                                                  das Leben an Bord letztlich eben doch das:
           an Bord                                die „große Freiheit“, nach der ich mich jetzt
                                                  so sehr sehne.

                                                                                                     7
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
AMKREUZFAHRT
       WASSER    SIMAGNAM ASPELITAS

„Wir kommen wieder!“
            C              Was bedeutet Corona für die
     Wohin man blickt:                                                    ovid-19 ist für uns alle eine Heraus-
    leere Balkons. Aber                                                   forderung, beruflich und privat. Der
                           weltweite Kreuzfahrtbranche?
      das soll sich bald                                                  Virus hat alles verändert: unsere
        wieder ändern      Tino Hensel, Vizepräsident und       Art zu leben, zu arbeiten, unsere Jobs, Be-
                           Personalchef von Carnival Cruises,   dürfnisse, Ziele, Werte. Wir sorgen uns um
                           gibt Auskunft                        unsere Familien und unsere Freunde.
                                                                     Auch in der Kreuzfahrtbranche ist jetzt
                                                                vieles anders. Ich glaube, ich übertreibe nicht,
                                                                wenn ich sage, dass dieses die schlimmste
                                                                Krise ist, die wir in den letzten Jahrzehnten
                                                                erlebt haben. Trotzdem, die Costa-Gruppe ist
                                                                stark und tut ihr Möglichstes. Die Reedereien

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Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
KREUZFAHRT

                                                         haben entschieden, ihren Betrieb bis auf weiteres einzustel-
                                                         len. Die meisten Schiffe liegen in Häfen, und nun sind unsere
                                                                                                                               „Das Wohlergehen
                                                         Hauptanliegen die Gesundheit und die Sicherheit unserer               und die Sicherheit
                                                         Gäste und Seeleute. „People first“ ist in diesen Zeiten der
                                                         Unsicherheit das Motto, und wir arbeiten hart daran, das              unserer Leute
                                                         Wohlergehen unserer Leute an Bord und an Land zu sichern.
                                                             In unserem Hamburger Hauptquartier konzentrieren wir
                                                                                                                               haben jetzt
                                                         uns vor allem darauf, unsere Crews nach Hause zu bringen.             Priorität“
                                                         Und da ist im Moment jeder Schritt eine hochkomplexe Auf-
                                                         gabe. Weltweit ändern sich die Einschränkungen täglich,
                                                         oft gibt es gar keine Flüge. Einige Länder lassen ihre eige-
                                                         nen Bürger nicht einreisen, die Grenzen sind geschlossen,
                                                         damit sich der Virus nicht weiter verbreitet. Angesichts die-
                                                         ser Situation müssen wir internationa-
                                                         le Anstrengungen unternehmen, um die
                                                         Freiheit der Seeleute zu garantieren. IMO,
                                                         ILO und die EU-Kommission haben ent-
                                                         sprechende Statements abgegeben. Die
                                                         Schiffseignerverbände unterstützen und
                                                         begleiten diese Anstrengungen.
                                                             Bis jetzt ist es uns gelungen, einen Teil
                                                         unserer Besatzungsmitglieder mit Char-
                                                         terflügen nach Hause zu bringen. Wir mi-
                                                         nimieren die Besatzungen an Bord auf die
                                                         Zahl, die man braucht, um den sicheren                                                  Tino Hensel
                                                         Betrieb und die Fahrbereitschaft ohne Pas-
                                                         sagiere zu gewährleisten. Wir limitieren die Crew-Wechsel            International Association) auf ihrer Website
                                                         so weit wie möglich, und jedes neue Crew-Mitglied wird für           schreibt: „Das Aussetzen des Kreuzfahrtbe-
                                                         14 Tage isoliert.                                                    triebs wird die globale Wirtschaft deutlich
                                                             Wir wissen, wie schwer es für die Seeleute ist, auch dann,       beschädigen. Die Kreuzfahrtindustrie gene-
                                                         wenn sie wieder in ihrem Land sind. Zu Hause zu sein, darauf         riert mehr als 150 Milliarden Dollar Umsatz
                                                         zu warten und zu hoffen, dass es endlich wieder losgeht, und         jährlich und stellt 1,17 Millionen Jobs. Kreuz-
                                                         das ohne sicheres Einkommen – das ist schwierig. Wir wer-            fahrten berühren fast jeden Sektor: Transport,
                                                         den sie unterstützen, so gut wir das unter den gegebenen             Produktion, Landwirtschaft, Gastronomie,
                                                         Umständen können.                                                    Tourismus und vieles mehr. Wenn es an der
                                                                                                                              Zeit ist, die Anker zu lichten und wieder auf
                                                         AUCH DAS PERSONAL AN LAND ist schwer ge-                             Kreuzfahrt zu gehen, werden wir wieder ein
                                                         troffen. Wochenlang waren wir alle im Homeoffice. Seit dem           wichtiger Teil der globalen Wirtschaft sein.“
                                                         4. Mai arbeiten wir mit einem Plan, nach dem jeweils 50 Pro-              Also lassen Sie uns optimistisch in eine
Foto: Martina Platte, ostsee-zeitung.de

                                                         zent eines Teams im Büro sind – und jeden zweiten Tag wird           freundliche Zukunft blicken, in der unsere
                                                         gewechselt. So wollen wir die Kontakte minimieren, weil das          Branche einen soliden Beitrag zur wirtschaft-
                                                         Wohlergehen und die Sicherheit aller unserer Angestellten            lichen Erholung leistet – weltweit. Wir alle
                                                         für uns Priorität haben. Es war nicht leicht, sich an diese Art      hoffen, dass die Krise bald vorbei ist und wir
                                                         von Büroarbeit zu gewöhnen, wobei uns die Technik unter-             allmählich zur Normalität zurückkehren kön-
                                                         stützt, mit virtuellen Meetings und Conference Calls. Aber           nen. Wir freuen uns darauf, den Betrieb wie-
                                                         ich kann nicht leugnen, dass mir der persönliche Kontakt             der aufzunehmen und endlich unsere Gäste,
                                                         fehlt, die Diskussionen face to face, die Brainstormings und         die wir sehr vermissen, willkommen zu hei-
                                                         der direkte Austausch von Informationen.                             ßen. Auch wenn ich die Herausforderungen,
                                                             Die weltweite Wirtschaft erlebt eine sehr schwierige Zeit,       vor denen wir alle in Zukunft stehen, nicht
                                                         und fast jeder Sektor ist betroffen. Wie es die CLIA (Cruise Lines   unterschätzen will.

                                          LASS FALLEN ANKER                                                                                                                     9
Mit Meerblick. Monatelang - Die Kreuzfahrtschi e sind weltweit ausgebremst. Viele Crew-Mitglieder warten ohne Arbeit zu Hause - manche an Bord ...
KREUZFAHRT

                Wo andere                                                                 je, da eine direkte Begegnung mit den
                                                                                          Crew-Mitgliedern aus Sorge, dass das
                                                                                          Virus an Bord getragen wird, in der Re-

                    Urlaub
                                                                                          gel nicht möglich ist.

                                                                                          IN NORMALEN ZEITEN engagie-
                                                                                          ren manche Reedereien für die Passagie-

                machen, ist
                                                                                          re Bordseelsorgerinnen und -seelsorger,
                                                                                          die auf den Reisen unter anderem für
                                                                                          Gespräche zur Verfügung stehen. Nur
                                                                                          in besonders schweren Fällen – zum Bei-

                 das Leben
                                                                                          spiel dem Überbringen einer Todesnach-
                                                                                          richt – erhalten die Seelsorgerinnen und
                                                                                          Seelsorger auch die Erlaubnis, mit den
                                                                                          betroffenen Crew-Mitgliedern in Kon-

                       hart
                                                                                          takt zu treten. Dies bedarf allerdings im-
                                                                                          mer der ausdrücklichen Genehmigung.
                                                                                              Grundsätzlich steht also den Crew-
                                                                                          Mitgliedern an Bord von Kreuzfahrt-
                                                                                          schiffen kein professionelles soziales
                                                                                          oder seelsorgerliches Angebot zur Ver-
                                                                                          fügung. Nicht einmal ein vertraulicher
                                                                                          Arztbesuch ist unbemerkt von Vorge-
                                                                                          setzten möglich. Doch wohin mit den
                                                                                          Nöten und Sorgen, wenn man bis zu
     Von: Olaf Schröder                                                                   neun Monate an Bord des Schiffes lebt
                                                                                          und arbeitet?
                                                                                              Klar, es gibt andere Crew-Mitglieder,
     Besonders betroffen von der Corona-Pandemie
                                                                                          denen man sein Herz ausschütten kann.
     sind die vielen Crew-Mitglieder an Bord der                                          Es gibt zudem die sozialen Medien, über
     rund 500 Kreuzfahrtschiffe weltweit. Große                                           die man, zumindest in den Hafenstäd-
     existenzielle Sorgen bedrücken sie. Die Verträge                                     ten, mit den Lieben daheim in Kontakt
                                                                                          treten kann. Was aber, wenn das alles
     laufen aus, die Schiffe liegen fest. Was können
                                                                                          nicht hilft, wenn einem die Sorgen über
     Seelsorger für die Menschen tun? Der Hamburger                                       den Kopf wachsen? Wo bekommt die
     Seemannsdiakon kennt ihre Nöte                                                       Crew professionelle und zugleich ver-
                                                                                          trauliche Unterstützung, wenn sie über
                                                                                          Monate an ihrem Arbeitsplatz fest ge-
                                                                                          bunden ist? Am Ende der langen Zeit

     F
                                                                                          an Bord rettet man sich vielleicht mit
             ür die Seemannsmission liegt        schen Seemannsmission wie auch in der    dem Gedanken an die bevorstehende
             das besondere Augenmerk in          „Maritime Labour Convention (MLC)“,      Heimreise. Aber was, wenn Probleme
             dieser schwierigen Zeit auf den     dem internationalen Seearbeitsüber-      schon am Anfang der Dienstzeit unlös-
     Crew-Mitgliedern, deren „support“ wir       einkommen, sind alle Menschen, die       bar erscheinen?
     uns auf die Fahnen geschrieben ha-          auf Schiffen arbeiten, Seeleute. Dies
     ben. Die Crew auf Kreuzfahrtschiffen        aus dem einfachen Grund, dass sie alle   IN ZEITEN VON CORONA ist
     entspricht zu großen Teilen nicht der       unter ähnlichen Bedingungen arbeiten     nun auch noch der direkte Kontakt zu
     klassischen Definition, mit der die meis-   und so vergleichbare Bedürfnisse, Sor-   Seelsorgerinnen und Seelsorgern der
     ten Menschen Seeleute beschreiben           gen und Nöte haben. Im Moment sind       verschiedenen Seemannsmissionen in
     würden. Im Sprachgebrauch der Deut-         unsere Bemühungen schwieriger denn       den Häfen weltweit untersagt. Neue

10                                                                                                               LASS FALLEN ANKER
KREUZFAHRT

                         Onlineangebote wie das Chatforum              geahnte Erleichterung bedeuten. Stark
                         https://dsm.care und virtuelle Gottes-        hierarchische Strukturen und das stete
                         dienste, die wir in dieser Krisenzeit mit     Arbeiten mit Abmahnungen erzeugen
                         Nachdruck an den Start gebracht haben,        einen enormen Druck. All das führt zu
                         sind ein Weg. Die räumliche Distanz ist       einer permanenten Müdigkeit, die von
                         aber immer noch eine große Hürde. Ge-         Monat zu Monat zunimmt.
                         rade in Seelsorge und Beratung ist ein
                         anwesendes und am besten vertrautes           DA IST ES NACHVOLLZIEH-
                         Gegenüber eine wichtige Voraussetzung         BAR, dass an Bord eines Kreuz-
                         für Gespräche.                                fahrtschiffes die Nerven schon mal
                             Ja, Crew-Mitglieder kommen in der         blankliegen und die Crew-Mitglieder
                         Welt herum und sehen mit etwas Glück          sprichwörtlich in den Seilen hängen. Bei
                         auch ein wenig von den Orten auf der          Problemen, die Besatzungen über die so-
                         Reiseroute. Die freie Zeit und das nötige     zialen Medien von daheim mitbekom-
                         Geld für private Erkundungen aber feh-
                         len in der Regel. So verlassen die Crew-
                         Mitglieder nur selten den Schatten ihrer        WAS DIE CREWS BRAUCHEN:
                         Schiffe.
                             Die Einrichtungen der Seemanns-
                         mission, am besten direkt am Terminal              Kostenlose Internetnutzung an Bord
                         mit Platz zum Sitzen und Entspannen,               Einen freien Tag pro Woche mit Möglich-
                         freiem WLAN für den Kontakt nach Hau-              keit zum Landgang
                         se und kleinen Shops, in denen das Nö-             Guten und ungehinderten Zugang zu                   gem Raum und durch die Ver-
                         tigste für den persönlichen Bedarf auf             medizinischer Versorgung                            schmelzung von Lebens- und
                         kurzem Weg und für kleines Geld zu be-             Niedrigschwelligen Zugang zu Seelsorge              Arbeitswelt, kaum entziehen
                         kommen ist, haben sich bewährt. Und                und Beratung                                        kann. Probleme am Arbeits-
                         dann sind da die Mitarbeiterinnen und                                                                  platz, mit Vorgesetzten und
                         Mitarbeiter der Seemannsmission, die                                                                   Kollegen, dem Kabinenmitbe-
                         ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte       men, sind sie oft Beobachter und kön-          wohner, Streit, Mobbing, Reibungsflä-
                         der Crew-Mitglieder haben und über die        nen nur tatenlos zusehen. In manchen           chen aufgrund kultureller Unterschiede
                         Saison hinweg verlässlich vor Ort an-         Fällen lassen sich Probleme mit Geld lö-       innerhalb der Crew, Machtstrukturen
                         sprechbar sind.                               sen – wenn die medizinische Behand-            innerhalb der Crew und speziell auch
                                                                       lung der Großmutter bezahlt, das längst        zwischen Männern und Frauen bis hin
                         AUF EINEM KREUZFAHRT-                         fällige Schulgeld für die Kinder überwie-      zu sexuellem Missbrauch – all das zeigt:
                         SCHIFF zu arbeiten, bedeutet nicht            sen werden muss. Das müssen die Be-            Eine Crew braucht soziale und psycho-
                         selten einen Dienst von neun Monaten          troffenen dann in der kurzen freien Zeit       soziale Betreuung. Sie braucht Seelsorge
                         am Stück. In dieser Zeit wird sieben Tage     im Hafen erledigen, was weiteren Druck         und Beratung – gerade auch angesichts
                         in der Woche, oft mehr als zehn Stun-         auf den Einzelnen ausübt. Ohnehin ist          der vielen Suizidversuche und Suizide,
                         den am Tag und für einen Lohn von teils       für viele der Druck, der große (finanzi-       von denen wir oft erst im Nachhinein
                         unter zwei Dollar pro Stunde gearbeitet.      elle) Heilsbringer für die Familie zu sein,    hören.
                         Die Crew-Mitglieder wohnen meist zu           auf den alle zu Hause bauen und hof-               Das Coronavirus zwingt gerade die
                         zweit in engen Kabinen ohne Tageslicht.       fen, der zu funktionieren hat und sich         ganze Branche in die Knie. Ein wenig
                         Ohne Privatsphäre, immer präsent und          für seine Familie in der Fremde aufop-         mehr soziale Verantwortung für die
                         ansprechbar. Sie sind fast durchgehend        fert, sehr groß. „I sacrifice my life for my   Crew würde der Kreuzfahrtindustrie
Fotos: Martina Platte

                         unter Beobachtung und müssen, das ist         familiy“, sagte mir ein Seemann.               beim bevorstehenden Neustart sehr
                         eine Dienstanweisung, mit einem Lä-                Zu den strukturellen Bedingungen          gut zu Gesicht stehen. Für die struktu-
                         cheln auf den Lippen einen perfekten          an Bord und den privaten Sorgen und            rellen Probleme, aber auch die vielen pri-
                         Service für die Gäste liefern. Die Pflicht,   Nöten kommen noch alltägliche zwi-             vaten Nöte und Sorgen der Crew-Mit-
                         in Corona-Zeiten einen Mund-Nasen-            schenmenschliche Probleme, denen               glieder von Kreuzfahrtschiffen ist die
                         Schutz zu tragen, könnte hier eine un-        man sich an Bord eines Schiffes, auf en-       Seemannsmission auch weiterhin da.

                        LASS FALLEN ANKER                                                                                                                          11
KREUZFAHRT

                                                                             W
                                        Große Herausforde-                                 ie kommt man als Kardiologin und Inter-
                                      rungen hat sie erlebt,                               nistin mit diversen Zusatzbezeichnungen
                                            medizinisch und                                dazu, zur See zu fahren? Durch eine An-
                                                 menschlich:                  zeige im „Deutschen Ärzteblatt“ . . .
                                     Brigitte Fleischer-Peter                     Nach zehn Jahren Krankenhausarbeit als Internistin
                                            ist Schiffsärztin.                und Kardiologin und zusätzlich einem Jahr Chirurgie las
                                                                              ich im „Deutschen Ärzteblatt“ eine Anzeige: Gesucht
                                                                              wird ein Schiffsarzt für die „MS Europa“ von Hapag-
     KREUZFAHRT                                  Lloyd. Ich wurde unter 350 Bewerbern für diese Stelle ausgewählt. Im November
     IN ZAHLEN 2018:                             1990 ging es los – in Venedig. Es gab damals zwei Ärzte und drei Krankenschwes-
                                                 tern für 650 Passagiere und 350 Crew-Mitglieder.
                                                     Was hat mich vom ersten Tag an am Leben auf See fasziniert? Die versproche-
     28,5 Millionen                              ne Freiheit ist in gewissem Maße eingetroffen. Allerdings lernte ich schnell, dass
     Passagiere waren                            ohne eine Lobby auf dem Schiff, auch als Offizier, das Leben nicht einfach ist. Die
     weltweit auf                                Kollegin, die mich als 2. Schiffsärztin begleitete, hatte schon ein wenig Erfahrung
     Kreuzfahrtschiffen                          und beriet mich. Mein einziger Vorgesetzter war der Kapitän.
     unterwegs                                       Das Schiff und die Crew lernte ich schnell kennen. Da das Schiff unter deut-
                                                 scher Flagge fuhr, war die Besatzung überwiegend deutsch. So lernte ich auch
     14,2 Millionen                              den Umgang mit einer deutschen Gewerkschaft kennen und damit die Möglich-
     aus Nordamerika

     1,77 Millionen                  Von: Brigitte Fleischer-Peter
     aus Deutschland

     1,177 Millionen
     Crew-Mitglieder gab
     es weltweit                     Ohnmächtig, veräng
     Quelle: CLIA 2018               Von: Marcus Oldenburg

     A
              us infektiologischer Sicht stel-   fahrtreedereien und Hafenbehörden          ihren Anliegen, Sorgen und Nöten an
              len Kreuzfahrtschiffe eine be-     hatten gezielte Infektionsschutzmaß-       Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der
              sondere Herausforderung dar,       nahmen ergriffen und zum Beispiel die      Seemannsmissionen wenden konnten.
     da viele Tausend Menschen auf be-           Crew-Wechsel untersagt, woraus mehr-           Corona hat auch gelehrt, dass selbst
     schränktem Raum zusammenleben.              monatige Kontraktverlängerungen re-        einfache Atemwegserkrankungen in die-
     Daher kam schon zu Beginn der Pande-        sultierten.                                ser Zeit weitreichende Konsequenzen
     mie den Maßnahmen zur Infektions-                Für die Besatzungen ergaben sich      haben können. Überhaupt ist die me-
     verhütung auf den Passagierschiffen         dadurch viele Probleme. Nicht zuletzt      dizinische Versorgung und Betreuung
     eine große Bedeutung zu.                    der Gedanke, dass sie ihren Familien       auf Kreuzfahrtschiffen an ihre Grenzen
        Viele Seeleute sorgten sich um ihre      zu Hause nicht beistehen konnten, war      gestoßen. Eine labortechnische Verifi-
     körperliche und seelische Unversehrt-       eine erhebliche Belastung für die See-     zierung einer SARS-CoV-2-Infektion ist
     heit, lebten in ständiger Angst vor ei-     leute. Wer für eine zweiwöchige Qua-       trotz höherer medizinischer Standards
     ner Infektion aufgrund unvermeidbarer       rantäne in der eigenen Kammer blei-        auf Passagierschiffen nicht möglich.
     Außenkontakte, waren in verschiede-         ben musste oder Landgangverbot hatte,          Die Situation spitzte sich besonders
     nen Häfen mit unterschiedlichen In-         fühlte sich isoliert, manchmal bis hin     dann zu, wenn Anlaufhäfen keine Be-
     fektionsschutzregularien konfrontiert       zur Vereinsamung. Daher war es auch        reitschaft zeigten, Personen aussteigen
     und hatten keine Perspektive, wann sie      aus medizinisch-präventiver Sicht wich-    zu lassen, Infizierte an Land zu behan-
     an Bord abgelöst werden. Einige Kreuz-      tig, dass sich die Menschen an Bord mit    deln oder wenn lange Odysseen drohten.

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KREUZFAHRT

                                keit, Crew-Mitglieder krankzuschreiben und bei Überforderung aus dem Dienst                Aktuell mache ich den längsten Törn
                                zu nehmen. Das habe ich nach Ausflaggen des Schiffes nicht mehr erlebt. Dann           meines Lebens auf See: Wir fahren mit
                                bestand die Crew überwiegend aus nichtdeutschen Mitgliedern.                           der „MS Bremen“ von Neuseeland direkt
                                    Mein erster Einsatz dauerte gleich fünf Monate. Unter deutscher Flagge hieß:       nach Hamburg. Aufgrund der Corona-
                                bezahlter Urlaub und Wiedereinstieg nach zwei Monaten Pause.                           Krise lag das Schiff fest vor Auckland.
                                    Am Ende der Vertragszeit – insgesamt drei Jahre – stand eine Reise nach Alaska     Nun geht es zurück, das braucht 40 See-
                                über Japan. Im April 1992 ging es in Hongkong los. 36 Stunden nach dem Auslau-         tage. Ich betreue 70 Crew-Mitglieder
                                fen hatten wir eine schwere Havarie: Das Frachtschiff „Incon Glory“ kollidierte mit    und begleite sie alle gesund und sicher
                                uns und riss ein Loch von 7 × 12 Metern in den Rumpf. Zwei von sieben Sektionen        nach Hause.
                                liefen voll, wir hatten einen Meter mehr Tiefgang und heftige Schlagseite! Mit dem         Während meiner 30 Jahre auf See
                                anderen Schiff im steuerbordseitigen Heck konnten wir bis zum Abschleppmanö-           habe ich alles erlebt, was medizinisch
                                ver 48 Stunden ausharren. Wir wurden nach Kaohsiung geschleppt, dort war die           möglich ist. Die ganzen Erkrankun-
                                Werft, die unser Schiff wieder „geschlossen“ hat. Anschließend wurde die „MS Eu-       gen, auch die schwersten, möchte ich
                                ropa“ weitere sechs Wochen in Singapur repariert. Dann ging es nach Hamburg,           lieber gar nicht erwähnen. Das waren
                                mit 200 Arbeitern an Bord, die das Schiff innen instandsetzten.                        sehr große Herausforderungen. Und es
                                    Dies war vorerst meine letzte Reise auf der „MS Europa“.                           macht mir immer noch Freude, zur See
                                    Es folgten Einsätze auf dem 110 Meter langen viermastigen Segelschiff „Sea         zu fahren.
                                Cloud“ und auf dem Forschungsschiff „Polarstern“. Bis heute fahre ich die Hälfte
                                des Jahres auf Schiffen, die andere Hälfte arbeite ich an Land.

ngstigt, isoliert
                                                                                                     Die Corona-Pandemie hat der Kreuz-
                                                                                                     schifffahrt eine Zwangspause verordnet.
                                                                                                     Was bedeutet das für die Besatzungen?

                                               Marcus Oldenburg ist           Die EU-Forschungsgruppe Healthy          unter Quarantäne gestellt wurden. In
                                               Leiter der Arbeitsgruppe   GateWays hat einige Empfehlungen             der Folge hatten sich mehr als 700 Men-
                                               Schifffahrtsmedizin        von Schutzmaßnahmen zur Verhütung            schen infiziert, elf starben. Beobachter
                                               des Zentralinstituts       von SARS-CoV-2-Infektionen auf Kreuz-        und Wissenschaftler gehen davon aus,
                                               für Arbeitsmedizin
                                                                          fahrtschiffen formuliert, an denen sich      dass dieser Verlauf hätte vermieden
                                               und Maritime
                                                                          Seeleute und Kreuzfahrtreedereien ori-       werden können, wenn die Betroffenen
                                               Medizin in Hamburg.
                                                                          entieren sollen, wenn sich Infektions-       an Land behandelt worden wären.
                                                                          ausbrüche an Bord ereignen. Wenn eine            Sinnvoll wäre es, die Verbreitung die-
                                                                          Person an Bord unter Infektionsverdacht      ses Virus auch auf Kreuzfahrtschiffen
                                                                          steht, sollte diese sofort in der eigenen    wissenschaftlich auszuwerten und in-
  Fotos: privat, UKE Hamburg

                                                                          Kammer isoliert werden. Aber eine ge-        fektiologische Erkenntnisse für das ein-
                                                                          nerelle Isolations-/Quarantäneregelung       zigartige Setting an Bord zu gewinnen.
                                                                          an Bord ist auch kritisch zu hinterfragen.   So könnte man später auf erfahrungs-
                                                                          So trat auf dem Kreuzfahrtschiff „Dia-       basierte Pandemiepläne zurückgreifen.
                                                                          mond Princess“ Ende Januar 2020 ein          Denn es ist wichtig, aus den Erfahrun-
                                                                          SARS-CoV-2-positiver Fall auf, der dazu      gen der Vergangenheit zu lernen, um
                                                                          führte, dass 3.711 Besatzungsmitglieder      für die Zukunft besser gewappnet zu
                                                                          und Passagiere am Pier von Yokohama          sein!

                               LASS FALLEN ANKER                                                                                                                    13
KREUZFAHRT

     Klare Luft, reines
     Wasser!
     Von: Sönke Diesener

     Ein großes Kreuzfahrtschiff
     verbraucht an einem normalen
     Tag 150 Tonnen Schweröl. Das
     sind mehr als fünf Tanklaster.
     Das muss aufhören, findet
     nicht nur der Naturschutzbund
     Deutschland

     W
                  ie geht’s der Antarktis? Antworten darauf su-
                  chen die Wissenschaftler auf der „Polarstern“
                  seit 1982 auf regelmäßigen Forschungsreisen.
     Das Schiff ist mit Dieselöl unterwegs, nicht mit Schweröl
     wie die meisten Kreuzfahrtschiffe. Schweröl ist ein sehr
     umwelt- und gesundheitsschädliches Restprodukt der Öl-
     industrie. Einen Stickoxidkatalysator und einen Rußparti-       Anläufe im Jahr. Ein großes Kreuzfahrtschiff     Zu Besuch
     kelfilter – wie bei Diesel-Pkw oder -Lkw seit Jahren Stan-      verbraucht an einem ganz normalen Tag 150        bei den
     dard – sucht man meist vergebens. Die Branche hat jedoch        Tonnen Schweröl. Das entspricht mehr als         Pinguinen
     eine besondere Verantwortung: Ihre Schiffe transportieren       fünf Tanklastern. Das sind etwa fünf Tonnen      in der
     Menschen, sie liegen inmitten von Städten, und eine in-         gesundheitsgefährlicher Stickoxide, die jeden    Antarktis: das
                                                                                                                      Forschungs-
     takte Natur ist das Kapital für den Urlaubstraum. Sauberes      Tag ausgestoßen werden. Zum Vergleich: Ein
                                                                                                                      schiff
     Wasser, weiße Eis- und Schneeflächen in der Arktis oder         Pkw in Deutschland produziert pro Tag im
                                                                                                                      „Polarstern“
     auch reine Luft in norwegischen Fjorden – all das verbindet     Durchschnitt etwa 13 Gramm.
     der Urlauber mit einer Kreuzfahrt. Und doch hat die stark           Schiffe gehören zu den größten Emissi-
     wachsende Anzahl der „Traumschiffe“ großen Anteil daran,        onsquellen überhaupt. Schweröl hat hohe
     dass genau diese Naturschätze in Gefahr sind.                   Anteile an Schwefel, Asche, Schwermetallen
                                                                                                                                       Fotos: Mario Hoppmann, NABU

         Die Kreuzfahrtbranche verzeichnet seit Jahren ein ste-      und anderen giftigen Substanzen. Bei der Ver-
     tiges Wachstum. Zwischen 2015 und 2020 haben allein die         brennung entstehen hochgiftige Abgase, die
     deutschen Reeder Schiffe im Gesamtwert von über fünf Mil-       unter anderem Schwefeldioxid (SO2), Stick-
     liarden Euro in Dienst gestellt. Entsprechend stark hat auch    oxid (NOx) und Feinstaub (PM) enthalten. Zu
     die Zahl der Schiffsanläufe in den beliebten Hafenstädten       Letzterem gehören auch die besonders kli-
     Hamburg, Warnemünde (Rostock), Kiel, Travemünde (Lübeck)        ma- und gesundheitsschädlichen Rußparti-
     und Bremerhaven in den letzten Jahren zugenommen. Wa-           kel (engl. Black Carbon, BC). Der Ausstoß die-
     ren es in Hamburg 2006 zum Beispiel noch rund 60 Kreuz-         ser Luftschadstoffe muss umgehend streng
     fahrtschiffsanläufe, stieg die Zahl auf mittlerweile etwa 200   begrenzt werden, so wie es an Land längst

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KREUZFAHRT

                                                                   steht eine neue, zusätzliche Umweltgefahr: riesige Mengen
                                                                   Waschwasser. Es enthält etliche der Schadstoffe aus dem Öl
                                                                   und landet in den meisten Fällen im Meer.
                                                                       Die neuen Treibstoffregelungen IMO 2020 sind eine Vor-
                                                                   bedingung, um wie an Land Partikelfilter und Katalysato-
                           Neue Schiffe                            ren zum Standard zu machen. Für neue Schiffe müssen aber
                                                                   schon heute komplett emissionsfreie Antriebe und Treibstoffe
                                müssen                             in Anwendung gebracht werden, um neben der Luftreinhal-
                                                                   tung auch die Klimaschutzziele erreichen zu können.
                          emissionsfrei                                Die Seeschifffahrt hat einen erheblichen Anteil an den
                                 fahren.                           weltweiten CO2-Emissionen, Tendenz steigend. Ohne einen
                                                                   tiefgreifenden Wandel bei Antriebstechnologien, Treibstof-
                        Die bestehende                             fen und der Energieeffizienz wird der Anteil der Schifffahrt
                            Flotte muss                            laut IMO von heute etwa drei bis 2050 auf etwa 17 Prozent
                                                                   an den weltweiten CO2-Emissionen ansteigen.
                            umgerüstet                                 Eine Kreuzfahrt, die am Ende einen positiven Einfluss auf
                                                                   die Umwelt hat, wird es wohl nicht geben. Aber natürlich las-
                                werden                             sen sich die negativen Auswirkungen reduzieren.
                                                                       Neben den Emissionen aus dem Schornstein, die Klima
                                                                   und Gesundheit gefährden, belasten die immer größeren
                                                                   Kreuzfahrtschiffe aber auch auf andere Weise die Umwelt.
                                                                   Die Aufkommen an Abwasser und Müll sind gewaltig und
                                                                   werden nicht überall auf der Welt sachgerecht behandelt
                                                                   und entsorgt. Andererseits sind die neueren Kreuzfahrtschiffe
                   üblich ist. Aber die Emissionen der interna-    technisch häufig deutlich besser ausgerüstet, um Umwelt-
                   tionalen Seeschifffahrt wurden lange viel zu    schäden zu verringern. Aber auch in der Kreuzfahrtbranche
                   wenig reguliert. Dadurch verursachen Schif-     ist da noch sehr viel Luft nach oben. Ein Schiff, das emissi-
                   fe einen großen und sukzessive steigenden       onsfrei durchs Meer gleitet, muss das Ziel der Branche sein.
                   Anteil an den globalen Schadstoff- und auch     Mit dem Einsatz von Brennstoffzellen, Batterien und etwa
                   Treibhausgasemissionen.                         der Nutzung von Wind kann viel erreicht werden. Natürlich
                       Die meisten Schiffsemissionen – insbe-      werden auch weiterhin Kraftstoffe benötigt, sie müssen aber
                   sondere von Kreuzfahrtschiffen – entstehen      auf regenerativer Energie basieren und weitgehend schad-
                   in unmittelbarer Küstennähe und in Häfen,       stofffrei verbrennen.
                   von wo aus sie weit ins Landesinnere ge-            Der Kreuzfahrtindustrie ging es bisher sehr gut. Es wurden
                   tragen werden. Global betrachtet werden         Milliarden investiert. Leider blieb wirksame Umwelttechnik
                   zwei Drittel aller Schiffsemissionen in einer   weitgehend auf der Strecke. Nur die wenigsten Schiffe ver-
                   Entfernung von bis zu 400 Kilometern zur        fügen über Katalysatoren, auf keinem Schiff läuft ein Parti-
Sönke Diesener
                   Küste ausgestoßen.                              kelfilter. Diese Techniken sind an Land seit Jahrzehnten Stan-
ist Referent für
                       Seit dem Jahr 2020 müssen wenigstens        dard. Der Kostenanteil umfassender Abgasnachbehandlung
Verkehrspolitik
beim NABU          die Schwefelemissionen umfassend gesenkt        an den Neubaukosten für ein Schiff liegt im Promillebereich,
Naturschutzbund    werden. Hierzu ist der Umstieg auf schwefel-    die größten Schiffe kosten immerhin über eine Milliarde Euro.
Deutschland.       armen Kraftstoff nötig, so werden auch viele    Dass die meisten Schiffe immer noch mit dreckigem Schweröl
                   andere Emissionen verringert. Leider haben      betrieben werden, ist vor dem Hintergrund der werbewirk-
                   viele Reeder insbesondere in der Kreuzfahrt     samen Lippenbekenntnisse zum Umweltschutz ein Skandal.
                   stattdessen in Schwefelwäscher, sogenannte          Neue Schiffe müssen mit neuen Treibstoffen und Antrie-
                   Scrubber, investiert. Diese ermöglichen ih-     ben gebaut werden, die komplett emissionsfrei sind. Die be-
                   nen, weiterhin das billige, aber gefährliche    stehende Flotte muss sofort auf Schweröl verzichten und mit
                   Schweröl zu nutzen. Damit die Grenzwerte        wirksamer Abgasreinigung nachgerüstet werden. Mittelfristig
                   eingehalten werden, wird der Schwefel nach-     muss auch für die Bestandsflotte eine emissionsfreie Lösung
                   träglich aus dem Abgas gewaschen. So ent-       gefunden werden.

  LASS FALLEN ANKER                                                                                                                 15
GEISTLICHES WORT

     Mehr als nur Land
                                                                                       würden, weil Paulus dazu berufen sei, Zeug­
                                                                                       nis für seinen Glauben abzulegen. Weil er auf
                                                                                       Gottes Gegenwart und Wegweisung vertraut,

     in Sicht                                                                          kann Paulus das Handeln der Wächter und
                                                                                       der Crew beeinflussen, obwohl er eigentlich
                                                                                       ein Gefangener auf dem Schiff ist.
     Von: Martin Junge                                                                     Für Paulus selbst bedeutet die Tatsache,
                                                                                       heil an Land gekommen zu sein, vielleicht ent­
                                                                                       gegen unseren Erwartungen, nicht, dass er

     A
                                                                                       nun in Sicherheit ist. Vielmehr wird Paulus
                m Ende der Apostelgeschichte (Ka­                                      dort an Land den Tod finden, auch wenn uns
                pitel 27 und 28) lesen wir von ei­                                     die Apostelgeschichte davon nicht berichtet.
                nem Segelschiff, das Schiffbruch                                       Für viele von uns heute stehen weder Land
     erleidet. An Bord dieses Schiffes war auch                                        noch Meer für Sicherheit. Das Land steht für
     der Apostel Paulus. Es geht in dieser Ge­                                         unerfüllte oder zerbrochene Träume oder für
     schichte jedoch nicht nur um den Schiff­                                          das Fehlen einer Gemeinschaft, der wir uns
     bruch, sondern einerseits auch darum, dass                                        zugehörig fühlen können. Und in einer Pan­
     unsere vielen Erwartungen und Überzeu­                                            demie, wie wir sie gerade erleben, bedeuten
     gungen und Träume oftmals auf den Kopf                                            Land und der Kontakt zu anderen Menschen
     gestellt werden und im wahrsten Sinne des                                         sogar eine Gefahr. Derzeit versuchen wir alle,
     Wortes irgendwo stranden, und anderer­                                            uns zu isolieren und uns physisch von ande­
     seits auch um unsere verlässlichste Veran­                                        ren Menschen zu distanzieren, um unsere
     kerung.                                                                           Nächsten und uns selbst vor der Ausbreitung
         Die Geschichte ist ziemlich dramatisch,                                       des Virus zu schützen.
     denn es lauern viele Gefahren: zum Beispiel                                           Was bedeutet es, in Sicherheit zu sein,
     die Gefahren, die zu der damaligen Zeit mit                                       und wo sind wir sicher? Das Ziel und die Hoff­
     einer Schiffsreise im Winter einhergehen, un­       Der Theologe
                                                                                       nung für unsere Reise sind nicht notwendi­
     erwartete Stürme, Vorboten auf andere Ge­           Martin Junge, 1961 in         gerweise, das Land zu erreichen. Hoffnung
     fahren, das Risiko, von der richtigen Fahrtrich­    Chile geboren, ist General­   gibt uns Gottes Verheißung, Gottes Gegen­
     tung abzukommen, der Verlust von Fracht,            sekretär des Lutherischen     wart, dass Gott uns den richtigen Weg weist,
     extremes Fasten und um ein Haar der Verlust         Weltbundes.                   auch wenn nicht klar ist, wo uns dieser Weg
     von Leben. Es herrscht große Erleichterung,                                                        hinführen wird oder inwie­
     als endlich Land in Sicht ist. Aber dann läuft                                                     fern die vielen Hindernisse
     das Schiff auf eine Sandbank auf, das Vorder­                                                      und Umwege in unserem
     schiff sitzt fest, und das Hinterschiff zerbricht                                                  täglichen Leben uns dabei
     unter der Gewalt der Wellen. Trotzdem kom­                                                         helfen werden, auf unserem
     men schließlich alle heil an Land.                                                                 Weg voranzukommen.
         Das klingt fast wie das wunderbare Ende                                                            Aus dieser faszinieren­
     von etwas, das genauso gut in einer Tragödie                                                       den Geschichte über den
     hätte enden können. Aber wir müssen uns ein                                                        Schiffbruch lernen wir, dass
     paar Details genauer anschauen. Paulus war                                                         uns Gott in jedem Ereignis –
     ein Gefangener auf diesem Schiff. Er sollte                                                        egal ob auf See oder an Land
     nach Rom gebracht werden, um dort vor dem                                                          – eine Gelegenheit gibt, Ver­
     Kaiser vor Gericht gestellt zu werden. Paulus                                                      trauen zu üben. Jedes Ereig­
     hatte die Besatzung des Schiffes davor ge­                                                         nis bietet uns die Möglich­
                                                                                                                                        Foto: Albin Hillert

     warnt, die Segel zu setzen, denn er hatte die                                                      keit, zu entdecken oder zu
     schweren Stürme vorhergesehen. Als sie dann                                                        erkennen, was Gott durch
     mitten in den Stürmen sind, spricht Gott zu                                                        die Beziehungen zwischen
     ihm und sagt ihm, dass alle überleben und                                                          Menschen, durch unerwar­
     sicher an ihrem Bestimmungsort ankommen                                                            tete Gemeinschaft und Ver­

16                                                                                                                 LASS FALLEN ANKER
SIMAGNAM ASPELITASMELDUNGEN
                                                                                                                                            AM WASSER

                                                bundenheit, durch die Güte und Großzügig­
                                                keit von Menschen bewirken will.                                              Schokoloade fragt nicht. Schokolade
                                                    Wo sind wir zu Hause? Wo gehören wir                                      versteht! Ein wichtiges Motto, denn
                                                hin? Wir gehören weder dem Land noch dem                                      in der Corona­Zeit sind Seeleute
                                                Meer, sondern – um es mit den Worten des                                      (viel mehr als sonst schon) nahezu
                                                Paulus zu sagen: „Denn diese Nacht trat zu                                    gefangen an Bord. Für sie ist es in
                                                mir der Engel des Gottes, dem ich gehöre und                                  normalen Zeiten schon schwierig,
                                                dem ich diene“ (Apg 27,23). Wir gehören Gott.                                 aber nun ist es vielen verboten,
                                                Gott ist unser Zuhause. Gott ist unser Anker.                                 ihr Schiff zu verlassen. Deswegen
                                                Es gibt keinen anderen. Selbst inmitten eines                                 erreichen uns bei der Seemannsmis­
                                                wilden Sturms auf dem Meer oder wenn un­                                      sion Cuxhaven per Mail und Telefon
                                                ser Herz erfüllt ist von Unsicherheit und Un­                                 Anfragen von Bord, ob wir nicht
                                                gewissheit, ist Gott bei uns. Wenn alles aus                                  ein paar Besorgungen machen könn­
                                                den Fugen geraten ist, wenn uns nur noch                                      ten. Auf den meisten Einkaufslisten
                                                Chaos umgibt, wenn die Wellen heftig an das                                   steht haufenweise „Seelenfutter“ –
                                                Schiff schlagen, lässt Gott uns nicht allein.                                 Schokolade und Chips.
                                                Gott bietet uns unablässig einen sicheren Ha­                                 Das wissen ja sogar Landratten:
                                                fen, der uns Vertrauen und Zuversicht gibt,                                   Mit einem Stückchen Schoki sieht
                                                so dass wir unsere Augen und Herzen öffnen                                    die Welt gleich ein bisschen besser
                                                und die Schönheit und Güte Gottes um uns                                      aus! Entsprechend groß sind Freude
                                                herum wahrnehmen können.                                                      und Dankbarkeit, wenn wir die
                                                                                                                              Einkäufe zum Schiff bringen.

                                                Am Ostersonntag fuhren                                                        Seelsorge in Douala Ein Piraten­
                                                Stefanie Zernikow und ihr                                                     überfall ist eine furchtbare
                                                Seemannsmissionsteam im                                                       Erfahrung. Die Kriminellen sind
                                                Rostocker Hafen von Schiff zu                                                 gut informiert, schwer bewaffnet
                                                Schiff und feierten – weil die                                                und gehen strategisch vor. Auf
                                                Seeleute wegen der Corona­                                                    einem Schüttgutfrachter zeigte der
                                                Regeln nicht weit von Bord                                                    Chief den Leuten von der Seemanns­
                                                durften – auf den Piers oder                                                  mission das Einschussloch einer
                                                vor dem Schiff auf Wunsch Gottesdienste. Im Anschluss wurden kleine           Kalaschnikow. Zwei Wochen lang
                                                Geschenke an die Besatzungen verteilt. Dieses besondere Osterfest werden      war das Team der Seemannsmission
Fotos: DSM Cuxhaven, DSM Rostock, DSM Douala

                                                die Seeleute und auch das Rostocker Team in guter Erinnerung behalten.        mindestens eine Stunde täglich
                                                                                                                              zur Krisennachsorge an Bord. Vier
                                                                                                                              Betroffene sprachen offen über
                                                                                                                              ihre Erfahrungen und Ängste. Zwei
                                                                                                                              wurden auf eigenen Wunsch
                                                                                                                              frühzeitig nach Hause rückgeführt.
                                                                                                                              Die anderen blieben, weil ihre
                                                                                                                              Familien die Heuer benötigen. Von
                                                                                                                              der 22 Mann starken Besatzung
                                                                                                                              war die Hälfte entführt worden. Die
                                                                                                                              fehlenden Crewmitglieder wurden
                                                                                                                              ersetzt. Die Seemannsmission hat
                                                                                                                              die so entstandene Mannschaft bei
                                                                                                                              teambildenden Aktivitäten begleitet.

                                               LASS FALLEN ANKER                                                                                                 17
INTERVIEW

                                                                               bekommen, ohne irgendjemanden vor den Kopf zu
                                                                               stoßen. Ich möchte die Menschen und ihre Probleme
                                                                               bei allen kulturellen Unterschieden ernst nehmen. Wir
                                                                               bemühen uns, Brücken zu bauen. Im Kleinen, indem
                                                                               man gemeinsame Grillfeste feiert, zusammen Bas­

                    „Die Menschen                                              ketball spielt oder ein Kickerturnier veranstaltet. Ins­
                                                                               gesamt bemühen sich alle, für Wohlbefinden zu sor­

                     ernst nehmen“
                                                                               gen. Gutes Essen ist wichtig! Alles, was möglich ist . . .
                                                                               Traut der Kapitän seinen Leuten auch ein
                                                                               Stück Mitdenken zu?
                                                                               Das ist manchmal nicht einfach. Allerdings ist das Sys­
                                                                               tem Schiff so komplex, dass es ohne das Mitdenken
                         Hapag­Lloyd­Kapitän Björn Kropp                       aller einfach nicht geht. Bei allen Unterschieden: Wir
                             über das Miteinander an Bord,                     sitzen alle sprichwörtlich im selben Boot. Alle mitzu­
                         die Folgen der Digitalisierung und                    nehmen, um möglichst viel unterschiedlichen Input
                               die Grenzen des Wachstums                       zu nutzen ‒ das ist immer wieder ein Thema in vielen
                                                                               Lehrgängen, die wir absolvieren müssen.
                                                                               Sie gehören noch immer zu den jüngeren
                                                                               Kapitänen und haben noch über
                                                                               20 Jahre Arbeit vor sich. Wie sehen Sie die
                                                                                                Zukunft der Seefahrt?
     Björn Kropp, 41,   Hier oben auf der Brücke                                                   Das ist schwer zu sagen. Ich bin
       hat das Sagen    haben Sie den Überblick.                                                   kein Digitalisierungsskeptiker. Ich
      auf der „Callao   Aber auch viel Verantwor-                                                  glaube, dass auf der großen Fahrt
     Express“, einem    tung. Wie geht es Ihnen                                                    die Automatisierung Einzug hält
          Container­    zwischen Routine und                                                       und unsere Arbeit entlastet. Dass
           schiff von
                        Krisenmomenten?                                                            die Schiffe vollautomatisch über
         333 Metern
                        Gott sei Dank sind Krisenmomen­                                            die Weltmeere fahren werden,
               Länge,
                        te sehr selten. Die meiste Zeit                                            sehe ich aber noch nicht. Wer soll
       Heimathafen:
           Hamburg.     läuft ja alles rund. Den Druck in                                          im Notfall eingreifen, falls es auf
                        Stresssituationen wie Fahrplan­                                            hoher See zu Problemen an Bord
                        verzögerungen muss man aushal­                                             kommt? Beispiele in den letzten
                        ten. Man muss versuchen, Ruhe                                              Jahren haben ja gezeigt, dass
                        auszustrahlen gegenüber seiner Besatzung. Es gibt      Mannschaften an Bord durch schnelles Eingreifen,
                        keinen anderen, der Entscheidungen treffen kann.       zum Beispiel bei Bränden, Schäden an Schiffen und
                        Also muss man sie selbst treffen und dazu stehen,      Ladung verhindern beziehungsweise verringern konn­
                        auch wenn sie sich nachher möglicherweise als falsch   ten. Außerdem müssten ja alle Arbeiten, die nicht an
                        herausstellen. Für Unfälle haben wir Notfallpläne.     Bord durchgeführt werden, durch Serviceunterneh­
                        An ihnen kann man sich entlanghangeln. Das bringt      men im Hafen erledigt werden. Zudem brauchen die
                        Sicherheit im Handeln. Außerdem erhalten wir in        Schiffe in Hafennähe sowieso Besatzungen, um fest­
                        solchen Situationen Unterstützung durch unsere         machen zu können. Das würde automatisch nicht ge­
                        Reederei.                                              hen. Es wird sicherlich Entlastung an der einen oder
                                                                                                                                            Fotos: privat, hapag­lloyd.com

                        Kapitäne, Offiziere, Kadetten aus Deutsch-             anderen Stelle geben, die uns bei Entscheidungsfin­
                        land, die Crew von den Philippinen, aus der            dungen hilft. Ein anderer Punkt ist, dass die Seefahrt
                        Ukraine oder Polen – wie gelingt es Ihnen,             auf jeden Fall sauberer werden wird. Die Schiffe wer­
                        Brücken zu bauen? Wo sind Grenzen, wo gibt             den auf Erdgas oder Bio­Fuels umrüsten. Da ist eine
                        es auch Chancen dieses Miteinanders?                   Entwicklung angestoßen worden, die langsam, aber
                        Die Kulturen und auch die Ausbildungssysteme der       sicher voranschreitet.
                        verschiedenen Nationen an Bord sind zum Teil sehr      Welche Auswirkungen hat die fortschreitende
                        unterschiedlich. Das muss man schon unter einen Hut    Automatisierung auf die Arbeit? Wird es

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INTERVIEW

                                                                                              „Wir brauchen
                                                                                               das Handwerk
                                                                                               weiterhin.
                                                                                               Die Schiffe rosten
                                                                                               auch in Zeiten der
                                                                                               Digitalisierung!“

 immer mehr Arbeit am Bildschirm sein? Oder                Sicherlich gibt es irgendwo eine wirtschaftliche und
 gibt es noch Handwerk?                                    technische Grenze für die Größe der Schiffe. Wo die
 Es wird definitiv mehr Arbeit am Bildschirm geben. Für    liegt, kann ich allerdings nicht sagen. Und es wird si­
 die Offiziers­ und Ingenieurs­Dienstgrade bedeutet        cherlich immer Routen auf den Weltmeeren geben, auf
 dies eine Umstellung – und zum Teil höhere Ansprü­        denen sehr, sehr große Schiffe unterwegs sind. Und es
 che. Aber das Handwerkliche wird nicht vollständig        wird auch Häfen geben, die mit diesen Schiffen sicher
 abgeschafft werden können. Die Schiffe müssen in­         erreicht werden. Ebenso auch Häfen, die nur für klei­
 stand gesetzt werden. Die Schiffe rosten auch in Zeiten   nere Schiffseinheiten zu erreichen sind. Grundsätzlich
 der Digitalisierung! Das muss alles in Schuss gehalten    gilt: Wenn die Schiffe gut ausgelastet werden können,
 werden. Eine Leine bleibt eine Leine. Die muss womög­     spricht nichts gegen größere Einheiten.
 lich gespleißt werden. Das sind einfach handwerkliche     Stichwort Klimawandel. Werden sich die
 Grundlagen, ohne die wird es nicht funktionieren. Auch    Schifffahrtsrouten und Warenströme zukünf-
 wenn wir nicht mehr nach den Sternen navigieren . . .     tig ändern? Werden Sie eines Tages vielleicht
 Sie teilen die Sorge nicht, dass es auf Sicht             „obenrum“ fahren, wenn die Polkappen
 weniger Arbeitsplätze für Seeleute geben wird?            schmelzen?
 Auf so einem großen Schiff hat man zwei Möglichkei­       Theoretisch ist das möglich. Aber es ist zumindest
 ten: Man fährt die Besatzung runter und sourct alles      für den Containertransport momentan nicht attrak­
 aus an Land. Das halte ich für viel zu teuer. Die ande­   tiv. Da oben gibt es einfach nichts, was wir abliefern
 re Möglichkeit ist: Ich fahre mit einer entsprechenden    oder mitnehmen könnten. Wenn wir jetzt nach Süd­
 Besatzung und warte das Schiff an Bord. Ich glaube        ostasien oder nach China fahren, laufen wir auch Hä­
 aus den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, dass sich     fen im Mittelmeer, im Roten Meer, auf dem indischen
 Outsourcing nicht lohnt. Das sind alles alte Ideen, die   Subkontinent sowie Singapur an. Das sind alles große
 schon einmal in den 70er, 80er und 90er Jahren da         Häfen mit großem Ladevolumen. Man könnte „oben­
 waren. Das hat sich alles nicht rentiert. Es mag auch     rum“ fahren, um zum Beispiel nach Japan zu kommen.
 jetzt einige Versuche geben, aber ich glaube, da rudert   Aber dann würden andere Häfen nicht mehr bedient
 man bald wieder zurück.                                   werden können. Ich glaube nicht, dass sich das für
 Beim Blick nach vorne ahnen wir alle, dass es             die Containerschifffahrt ändern wird. Für andere Ge­
 nicht unbegrenzt so weitergehen kann. Gren-               schäftsfelder, Bulk­Schifffahrt zum Beispiel, ist das
 zen des Wachstums – gibt es etwas, was dem                eventuell eine Option.
 Kapitän in Seefahrt und -handel zu weit geht?                               Interview: J. Janssen und B. Reichelt

LASS FALLEN ANKER                                                                                                         19
PARTNERORGANISATION

„Den Seeleuten in ihrem
 Alltag nahe sein“
     Im Hafen von Santos, zwei Autostunden von São Paulo entfernt,
     arbeitet die DSM eng mit der lutherischen Kirche Brasiliens
     zusammen. Ein Gespräch mit Synodalpastor Marcos Jair Ebeling

                   Herr Ebeling, Sie leiten als Synodalpastor eine          den Blick zu schärfen für ihre eigenen Aufgaben am
                   der 18 Synoden der evangelisch-lutherischen              Ort. Ganz konkret wird das gemeinsame Handeln
                   Kirche Brasiliens. Welche Bedeutung hat die              von Ortsgemeinde und MM in der lobenswerten Ar­
                   Deutsche Seemannsmission für Ihre Kirche                 beit bei der Prävention von Kinderprostitution – ein
                   und Synode?                                              besonders schwieriges Arbeitsfeld auch im Alltag
                   Marcos Jair Ebeling: Die Seemannsmission heißt           des Hafens.
                   in Brasilien „Missão aos Marinheiros“ (MM) und           Santos ist der größte Hafen Südamerikas. Wo
     Marcos Jair   stellt einen wichtigen Arbeitsbereich der lutherischen   können wir als Lutherische Kirche und Deut-
     Ebeling       Kirche im Südosten Brasiliens dar. Zum einen gibt es     sche Seemannsmission noch enger zusam-
                   in Santos eine lutherische Gemeinde. Zum anderen         menarbeiten?
                   weiten die Präsenz und die Partnerschaft mit MM un­      Wir können die institutionellen Beziehungen und die
                   ser christliches Handeln. Wir beschränken uns nicht      Partnerschaft zwischen der Deutschen Seemannsmis­
                   nur auf unsere Kerngemeinde, sondern die Seeleute        sion und der Südost­Synode weiter verbessern. Auch
                   aus aller Welt öffnen uns neue Horizonte und Visio­      sollten wir Partnerschaften mit öffentlichen Einrich­
                   nen des christlichen Glaubens – den leben wir ja nicht   tungen und maritimen Unternehmen vorantreiben,
                   nur innerhalb einer Ortsgemeinde. Wichtig ist auch,      um MM den Zugang zu Seeleuten auf den Schiffen zu
                   dass das Evangelium und die Kirche fest in das soziale   erleichtern. Wichtig wäre es, spezielle Trainings für die
                   Umfeld eingebettet sein müssen. In Santos bietet uns     Mitarbeitenden zum Beispiel für Notfälle oder Kon­
                   der Hafen den Raum dazu. Dort mit humanitären Ak­        flikte anzubieten und Teams von Ehrenamtlichen für
                   tionen und mit Einladungen zum Glauben präsent zu        die Arbeit der Seemannsmission zu bilden – immer
                   sein, ist für unsere Kirche von unschätzbarem Wert.      mit Blick auf ihr Ziel „support of seafarers’ dignity“.
                   Was sind die Ergebnisse unserer bisherigen               Heute liegt der Schwerpunkt auf der Bereitstellung
                   Zusammenarbeit?                                          humanitärer Hilfe durch MM vor Ort. Aber ich will
                   Meiner Meinung nach gibt es einige Punkte, die man       daran erinnern, dass zur täglichen Lebenserfahrung
                   hervorheben muss, denn es sind Früchte der bishe­        auch ein lebendiger Glaube gehört. Daher ist es wich­
                   rigen Partnerschaft! Zunächst natürlich die Betreu­      tig, dass wir bei Onlinegottesdienst­ und Seelsorge­
                   ung, die wir mit dem gemeinsamen Projekt MM den          angeboten vorankommen, um für die Seeleute auch
                   Seeleuten in ihren verschiedenen Gesundheits­, Le­       dann präsent zu sein, wenn sie auf dem Meer sind.
                   bens­ und Arbeitssituationen anbieten. Weiterhin         Denn das ist der Ort, an dem sich das Leben der See­
                                                                                                                                        Fotos: privat, DSM Santos

                   fördern wir mit MM die ökumenische Partnerschaft,        leute abspielt, und es ist der Ort, an den sie sich be­
                   insbesondere mit der katholischen Schwesterorga­         rufen fühlen. Seeleuten in ihrem Alltag nah zu sein,
                   nisation Stella Maris. Wir leisten auch in der lokalen   das ist unsere Aufgabe.
                   Nachbarschaft große Hilfe, sowohl bei humanitären             Wir wissen, dass die politischen und wirtschaft­
                   als auch in seelsorglichen Notlagen. Diese Verbindung    lichen Verhältnisse im Hafen nicht immer fair sind.
                   der lokalen und der globalen Dimension der Kirche        Wir wissen nicht, inwieweit wir sie verändern kön­
                   trägt dazu bei, der lutherischen Gemeinde in Santos      nen. Aber wir müssen, gerade als lutherische Kirche

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